OGH 3Ob165/00m

OGH3Ob165/00m15.11.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leo K*****, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. Thomas K*****, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. April 2000, GZ 40 R 34/00x-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 15. September 1999, GZ 10 C 277/99v-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind wie weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz zu behandeln.

Text

Begründung

Als der Beklagte im Jahr 1987 den vorliegenden Mietvertrag abschloss, befand er sich in der Endphase seines Medizinstudiums; er beendete es Ende 1987. Während des bis 1988 geleisteten Zivildienstes benützte er die gemietete Wohnung regelmäßig und renovierte sie mit größerem Aufwand. Er beabsichtigte, sodann seine Turnusausbildung in Wien zu absolvieren, was jedoch nicht möglich war, weil ein Turnusplatz erst frühestens Anfang 1992 zu bekommen gewesen wäre. Aus diesem Grund entschied er sich, seinen Turnus in Vöcklabruck zu absolvieren. Während dieser Zeit benützte er die gemietete Wohnung in Wien weiterhin, musste jedoch regelmäßig zu seinem Arbeitsplatz pendeln. Damals verbrachte er die freien Wochenende in der gemieteten Wohnung und kam etwa einmal pro Woche dorthin, wenn der Dienst bereits gegen Mittag zu Ende war. Überdies verfügte er während dieser Ausbildung in Vöcklabruck über eine Landesdienstwohnung, die an seine Ausbildung gebunden war. Diese war etwa 32 m**2 groß und bestand aus einem Zimmer mit Kochnische sowie einem Einzelbett in einer Schlafnische. Nach Beendigung des Turnus musste er diese Wohnung wieder zurückgeben.

Als er 1992 seine Turnusausbildung beendet hatte, beabsichtigte er sodann, seine Facharztausbildung in Wien zu absolvieren, was jedoch wieder nicht möglich war, weil eine derartige Stelle in Wien nicht in Aussicht war. Aus diesem Grund begann er im Dezember 1993 seine Facharztausbildung in Wels. Auch während dieser stand ihm dort eine Landesdienstwohnung zur Verfügung, die ebenfalls an seine Tätigkeit und Ausbildung gebunden war. Die Facharztausbildung in Wels dauerte bis Ende 1996. Da sich die Dienste dort intensivierten, konnte er nur noch etwa ein- bis zweimal monatlich in seine Wohnung nach Wien fahren. Nach dieser Ausbildung in Wels folgte er seinem Ausbildungsarzt an die Landesfrauenklinik nach Linz, um dort seine Facharztausbildung abzuschließen. Während dieser Zeit konnte er die Landesdienstwohnung in Wels behalten. Da auch nach Abschluss seiner Facharztausbildung in Linz keine Facharztstelle in Wien frei war, entschloss er sich, im Krankenhaus G***** seine Facharzttätigkeit zu beginnen. Mit Beendigung seines Dienstverhältnisse musste er die Landesdienstwohnung in Wels im August 1998 aufkündigen und zog im November 1998 nach Ablauf der dreimonatigen Kündigungsfrist aus.

Seit Beginn seiner Facharzttätigkeit in G***** verfügt der Beklagte dort über eine Dienstwohnung mit einer Größe von etwa 30 m**2 im dortigen Schwesternheim mit direktem überdachten Zugang zum Krankenhaus. Seit Beginn der Tätigkeit in G***** ist er etwa ein- bis zweimal pro Woche sowie an den freien Wochenenden in Wien. Ein häufigeres Aufsuchen der Wiener Wohnung ist aufgrund der beruflichen Situation nicht möglich. Es besteht derzeit eine gute Aussicht auf eine Stelle als Facharzt in Wien, insbesondere deshalb, weil er nach Abschluss seiner beruflichen Ausbildung nicht mehr auf eine Ausbildungsstätte angewiesen ist. Es ist absehbar, dass er eine solche Facharztstelle bekommen wird, der genaue Zeitpunkt kann aber nicht festgelegt werden, weil eine solche Stelle erst ausgeschrieben werden muss.

Im Dezember 1998 eröffnete der Beklagte in S***** eine Frauenarztpraxis, und zwar eine Wahlarztpraxis neben seiner Krankenhaustätigkeit. Ordinationszeit ist zweimal pro Woche von 16.00 bis 19.00 Uhr. Sollte er eine Facharztstelle in Wien bekommen, würde er die Arztpraxis dorthin verlegen. Diese Praxis in S***** hatte er käuflich aus einer Konkursmasse erworben, wobei er davon ausging, dass im Falle einer endgültigen Übersiedlung nach Wien der Verkauf der Arztpraxis, in die er erhebliche Mittel investiert hatte, mehr Profit abwerfen würde, als eine lediglich gemietete Praxis aufzukündigen. In der Arztpraxis gibt es eine Schlafmöglichkeit, zwei WC, eine Doppelherdplatte zum Teekochen und eine Dusche. Die Praxis nützt der Beklagte jedoch nicht zu Wohnzwecken. Er hat dort lediglich anlässlich der Praxiseröffnung einmal übernachtet.

Er ist an der Adresse der aufgekündigten Wohnung hauptgemeldet, eine Meldung in G***** oder S***** besteht nicht. Seinen Reisepass bewahrt er in seiner Wiener Wohnung auf, die Kleidung ist je nach Bedarf aufgeteilt auf die Wiener Wohnung und auf die Ordination, ebenso die Dokumente.

Die aufgekündigte Wohnung wurde von einem Bruder des Beklagten in der Endphase dessen Studiums im Jahr 1993/1994 vorübergehend regelmäßig benützt.

Vor etwa 1 1/2 bis 2 Jahren begann sich die Nachbarin des Beklagten für die aufgekündigte Wohnung zu interessieren, da sie ihre Wohnung vergrößern wollte. Der Beklagte lehnte finanzielle Angebote von ihrer Seite mit der Begründung ab, er brauche die Wohnung für sich selbst.

Die damalige Hausverwalterin wusste auch davon, dass sich der Beklagte in Oberösterreich aufhielt und arbeitete. Die Nachbarin teilte der Hausverwalterin Ende 1997 zusätzlich mit, dass der Beklagte ihres Wissens als Gynäkologe in Oberösterreich arbeite. Diese Hausverwalterin fand im Februar 1998 einen Artikel der Arztpraxis des Beklagten in S***** in einer oberösterreichischen Bezirkszeitung. Diesen Artikel übergab sie aus unerfindlichen Gründen dem neuen Verwalter, der basierend auf dieser Information das gegenständliche Aufkündigungsverfahren einleitete. Während ihrer Tätigkeit als Hausverwalterin hatte sie von anderen Mietern erfahren, dass der Beklagte selbst nie da sei. Sie sah keinen Anlass, auf diese Informationen auf irgendeine Weise zu reagieren.

Der Kläger kündigte mit der dem Beklagten am 9. 3. 1999 zugestellten gerichtlichen Aufkündigung vom 4. 3. 1999 das gegenständliche Mietverhältnis zum 30. 6. 1999 auf. Diese Aufkündigung wurde auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 erster und zweiter Fall und Z 6 MRG gestützt. Dazu brachte der Kläger vor, dass der aufgekündigte Mietgegenstand nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der aufgekündigten Partei regelmäßig verwendet werde. Eintrittsberechtigte Personen seien nicht vorhanden, außerdem habe die gekündigte Partei den Mietgegenstand gänzlich an dritte Personen weitergegeben und benötige ihn in naher Zeit nicht mehr für sich dringend. Zudem habe sie den Mietgegenstand zu einem im Verhältnis des Hauptmietzins unangemessen hohen Untermietzins an eine dritte Person untervermietet.

In seinen rechtzeitigen Einwendungen bestritt der Beklagte das Vorliegen der behaupteten Kündigungsgründe. Er habe die Wohnung nicht weitergegeben, sondern benütze sie selbst regelmäßig unter Berücksichtigung seiner beruflichen Inanspruchnahme als Arzt und seiner Aus- und Weiterbildung ausschließlich zu Wohnzwecken. Eine Mitnutzung erfolge nur durch eintrittsberechtigte Personen (insbesondere Geschwister) mit dringendem Wohnbedarf. In Wien verfüge er über keine andere Wohnung und könne hier seinen Wohnbedarf nur in dieser Wohnung decken. Er benötige sie daher dringend zu Wohnzwecken. Er habe sich keinerlei unverhältnismäßige Gegenleistungen für die Mitbenützung ausbedungen. Lediglich vorsichtshalber und hilfsweise werde für den Fall der Bejahung eines Kündigungsgrundes Verschweigung eingewendet, weil sich seine Benützungsintensität in den vergangenen Jahren nicht geändert habe.

Er sei lediglich aus beruflichen Gründen daran gehindert, die Wohnung täglich zu benützen. Aufgrund seiner langen Ausbildungszeit sei diese Konstellation aus beruflichen Gründen bereits in den vergangenen Jahren vorgelegen, ohne dass er die Wohnung jemals auf- oder weitergegeben hätte. Er habe sie mit erheblichem Aufwand renoviert, um dort auch eine nach dem zeitgemäßen Standard ausgestattete Wohnmöglichkeit zur Verfügung zu haben. Mangels Ausbildungsstellen in Wien sei er gezwungen gewesen, seine Ausbildung nach Oberösterreich zu verlagern. Es sei ihm letztlich nichts anderes übrig geblieben, als eine Stelle am Krankenhaus G***** anzunehmen, um ein Einkommen zu erzielen. Auch dort verfüge er derzeit über keine eigene Wohnung, in der er sein Wohnbedürfnis angemessen befriedigen könnte, sondern lediglich über ein Dienstzimmer im Wohnheim mit einer Größe von 23 m**2, wo lediglich ein Dusch- und Schlafgelegenheit bestehe. Die von ihm eröffnete Praxis sei bloß eine Wahlarztpraxis mit geringem Patientenaufkommen und kurzen Praxiszeiten. Sehe man vom Dienstzimmer ab, würde man ihn im Kündigungsfalle seiner einzigen eigenen Wohnmöglichkeit berauben, in der sich ja auch nach wie vor seine Einrichtung befinde. Die Tätigkeit in der Wahlarztpraxis ermögliche auch die angestrebte Aufnahme einer Tätigkeit an einer Universitätsklinik in Wien. Zuletzt brachte er noch vor, dass er an einer Stelle in Wiener AKH interessiert und seine Bewerbung chancenreich sei und dass sie von einem als Zeugen beantragten Arzt befürwortet werde, derzeit jedoch keine entsprechende Stelle frei bzw ausgeschrieben sei.

Der Kläger erwiderte, dass eintrittsberechtigte Personen beim Beklagten nicht existierten. Die Verschweigungseinrede gehe schon deshalb ins Leere, weil der Beklagte noch in den Einwendungen das Bestehen eines Kündigungsgrundes bestreite. Diese seien auch unrichtig, weil Auslöser der Aufkündigung ein Zeitungsartikel in den Oberösterreichischen Nachrichten über die Praxiseröffnung des Beklagten in S***** gewesen sei. Diesen Artikel habe die frühere Verwalterin entdeckt und den nunmehrigen Hausverwalter davon benachrichtigt. Zuvor sei das Bestehen des Kündigungsgrundes weder ihm noch dem früheren oder jetzigen Verwalter bekannt gewesen.

Das Erstgericht hob die gerichtliche Aufkündigung auf und wies das Klagebegehren ab. Ausgehend von den eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Feststellungen kam es zur rechtlichen Schlussfolgerung, dass für die Kündigungsgründe der vollständigen Weitergabe bzw Untervermietung gegen unverhältnismäßig hohe Gegenleistung keine Anhaltspunkte vorlägen. Aber auch der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG liege nicht vor. Aufgrund der schwierigen beruflichen Situation sei der Beklagte gezwungen gewesen, seine Turnus- und Facharztausbildung in Oberösterreich zu absolvieren. Nun möge es zwar zutreffen, dass er die aufgekündigte Wohnung über einen mehrere Jahre dauernden Zeitraum nicht regelmäßig benützt habe, seine Abwesenheit sei jedoch als berufliche im Sinne des letzten Halbsatzes der zitierten Gesetzesstelle anzusehen. Die wenn auch lange Ausbildungszeit sei wegen der schwierigen Ausbildungssituation bei Ärzten sowie dem Bestreben des Beklagten, an seinem Hauptwohnsitz in Wien eine Stelle zu bekommen, lediglich vorübergehend zu sehen, weil in absehbarer Zeit mit der Rückkehr des Beklagten zu rechnen sei. Eine Verlegung sowohl des wirtschaftlichen als auch des familiären Schwerpunktes nach Oberösterreich sei nicht festzustellen. Bei den Dienstwohnungen habe es sich um an die jeweilige Ausbildung gebundene Wohnmöglichkeiten gehandelt. Die derzeitige Wohnmöglichkeit bestehe lediglich aus einem etwa 30 m**2 großen Zimmer mit Schlafgelegenheit im Schwesternwohnheim des Krankenhauses G***** und sei in dieser Form nicht geeignet, das dringende Wohnbedürfnis des Beklagten zu decken. Andere Wohnmöglichkeiten hätten nicht festgestellt werden können. Der Beklagte sei daher auf die aufgekündigte Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses nach wie vor angewiesen. Auch die Praxiseröffnung in S***** stehe dieser Annahme nicht entgegen, weil der Beklagte plausibel darzulegen vermocht habe, dass er diese Praxis nach Wien verlegen werde, sobald dort eine Facharztstelle gefunden habe. Überdies hätte sich der Kläger, wenn das Verhalten des Beklagten einen Kündigungsgrund darstellen sollte, dessen Geltendmachung längst verschwiegen. Seine Hausverwalterin habe spätestens Ende 1997 gewusst, dass der Beklagte die Wohnung nur selten benütze und als Gynäkologe in Oberösterreich arbeite und sich dort aufhalte. Sie habe dennoch keinen Anlass gesehen, darauf in irgendeiner Form zu agieren.

Der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil Folge und änderte dieses dahin ab, dass es die Aufkündigung des Mietverhältnisses für wirksam erklärte und den Beklagten zur Räumung verurteilte. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und legte es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde.

Davon ausgehend sei die Rechtsrüge des Klägers erfolgreich.

Rechtliche Beurteilung

Zugunsten des Beklagten davon ausgehend, dass er die Wohnung während seiner Aufenthalte in Wien auch tatsächlich benütze, nämlich einmal bis zweimal pro Woche und an den freien Wochenenden (wieviel er davon im Jahr überhaupt hat, habe er nicht angegeben), handle es sich dabei nicht um eine regelmäßige Benützung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses im Sinne des § 30 Abs 2 Z 6 MRG, sondern zu Zwecken der Freizeitgestaltung bzw als Absteigquartier (vgl Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20 Rz 41 zu § 30 MRG mwN). Ohne Zweifel liege das wirtschaftliche Schwergewicht des Beklagten nicht in der Wohnung in Wien, sondern in Oberösterreich.

Der Kündigungsgrund sei trotz Fehlens einer regelmäßigen Verwendung zu Wohnzwecken infolge beruflicher Abwesenheit wegen eines schutzwürdigen Bewahrungsinteresses des Mieters nicht gegeben, wenn in naher Zukunft die konkrete Rückkehr des Mieters bzw dessen erneutes dringendes Wohnbedürfnisses zu erwarten sei (vgl 3 Ob 402/97g = EWr I/30/335 f mwN). Es obliege dem Mieter, das Vorliegen des schutzwürdigen Interesses trotz fehlender regelmäßiger Benützung nachzuweisen. Auf ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeiten sei nicht Bedacht zu nehmen; vielmehr sei es erforderlich, dass ein dringendes Wohnbedürfnis in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten sei (6 Ob 521/90 = MietSlg 42.338).

Ein Zeitpunkt der Rückverlagerung des beruflichen Schwerpunktes des Beklagten nach Wien sei nicht, auch nicht ungefähr, festgestellt worden. Es sei somit ein künftiges dringendes Wohnbedürfnis des Beklagten an der Wohnung ungewiss und ein schutzwürdiges Interesse des Beklagten zu verneinen.

Der vom Erstgericht angenommene und von ihm als "Verschweigung" bezeichnete stillschweigende Kündigungsverzicht liege schon deshalb nicht vor, weil sich die für die geltend gemachten Kündigungsgrund relevanten Umstände erst nach Beendigung der Tätigkeit der früheren Hausverwalterin Ende März 1998 ereignet hätten. Erst danach habe der Beklagte seine Ausbildung zum Facharzt abgeschlossen, seine Facharzttätigkeit aufgenommen und (erst im Dezember 1998) eine Facharztpraxis eröffnet. Dies, insbesondere das Ende des Ausbildungsverhältnisses, bedeute eine dauerhafte Verlagerung des wirtschaftlichen Schwerpunkts des Beklagten nach Oberösterreich, was von einem allfälligen konkludenten Kündigungsverzicht nicht umfasst sein habe können. Diese Umstände, insbesondere die Eröffnung der Praxis, seien vom Kläger, nachdem sein neuer Verwalter davon im Februar (richtig:) 1999 erfahren hatte, ohne Verzögerung durch Einbringung der gegenständlichen Kündigung geltend gemacht worden. Ein schlüssiger Verzicht nach § 863 ABGB sei demnach nicht anzunehmen. Die angebrachte Skepsis werde durch den Beklagten selbst unterstrichen, der noch im Verfahren versucht habe, Argumente zu liefern, wieso der Kündigungstatbestand nicht verwirklicht sei. Vertrete er ernsthaft diesen Standpunkt, so könne er nicht erwarten, gekündigt zu werden, und damit auch nicht aus der nicht erhaltenen Kündigung auf den Verzicht auf eine solche schließen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten aus sämtlichen Revisionsgründen des § 503 ZPO. Damit begehrt er in erster Linie die Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger hat die ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes in der Frage des Fehlens einer regelmäßigen Verwendung der aufgekündigten Mietwohnung zu Wohnzwecken mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vereinbar ist.

Die Revision ist auch im Sinn ihres Aufhebungsantrags berechtigt.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO iVm § 503 Z 1 ZPO liegt nicht vor. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers hat das Berufungsgericht keineswegs Feststellungen des Erstgerichtes bloß formell bestätigt, aber im Grunde anders aufgefasst und abweichend seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Demnach liegt darin auch kein Verfahrensmangel und ebensowenig eine Aktenwidrigkeit.

Was die rechtliche Beurteilung angeht, ist vorauszuschicken, dass sich der in erster Instanz unterlegene Kläger in zweiter Instanz mit dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG weder ausdrücklich noch der Sache nach befasst hat. Es ist daher davon auszugehen, dass er diesen (auch von den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht gedeckten) Kündigungsgrund nicht mehr aufrecht erhält. Nach der insoweit einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist daher darauf nicht mehr Bedacht zu nehmen (Nachweise bei Kodek in Rechberger, ZPO**2 Rz 5 zu § 503).

Was dagegen den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 3 Z 6 MRG betrifft, hat das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts über die tatsächliche Verwendung der Wohnung durch den Beklagten, wonach der Beklagte seit Beginn der Tätigkeit in G***** ein- bis zweimal pro Woche sowie an den freien Wochenenden in Wien ist, zugunsten des Beklagten so aufgefasst, dass dieser die Wohnung in dieser Zeit auch tatsächlich benütze. Ohne weitere Anhaltspunkte und ohne nähere Begründung gelangte das Berufungsgericht davon ausgehend zur Beurteilung, dass der Beklagte die Wohnung nicht zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig benütze, sondern zu Zwecken der Freizeitgestaltung bzw als Absteigquartier. Ohne Zweifel sei der wirtschaftliche Schwerpunkt des Beklagten nicht in der Wohnung in Wien, sondern in Oberösterreich gelegen.

In Wahrheit reichen aber die Feststellungen des Erstgerichts für diese Beurteilung in keiner Weise aus.

Nach der einhelligen Rechtsprechung setzt die Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG das Fehlen einer regelmäßigen Verwendung der Wohnung zu Wohnzwecken voraus. Nur dieses Fehlen ist vom Vermieter zu beweisen (Nachweise bei Würth, Miet- und Wohnrecht20 Rz 39 zu § 30 MRG; WoBl 2000/124 = MietSlg 50.431). Nach dem Gesetz liegt der Kündigungsgrund aber auch dann nicht vor, wenn der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Zur letztgenannten Ausnahme vertritt Würth (aaO Rz 42) die Auffassung, dass es sich dabei um eine vorübergehende Nichtbenützung der Wohnung handeln müsse. Das entspricht auch der Rechtsprechung zur Vorgängerbestimmung des § 19 Abs 2 Z 13 MG (ua MietSlg 21.589; 27.425 und 29.365/30). Die bloße Benützung der Wohnung als Absteigequartier (8 Ob 349/99b; weitere Nachweise bei Würth, aaO Rz 41) sowie als Freizeitwohnung (immolex 1999/161, 292; WoBl 2000/102, 188) bzw zur Freizeitgestaltung (Nachweise bei Würth, aaO) ist keine regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken.

Von einer regelmäßigen Verwendung zu Wohnzwecken kann gesprochen werden, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt ausnützt (Würth, aaO mN; ebenso 3 Ob 331/98t; 10 Ob 370/99f; WoBl 2000/102, 188). Von der Rechtsprechung wurde auch bereits anerkannt, dass bei einem Junggesellen von einem familiären Mittelpunkt schon begrifflich keine Rede sein und dass außerdem an die Anforderungen des Lebensschwerpunktes eines Jungesellen kein allzu strenger Maßstab angelegt werden kann (MietSlg 40.458; MietSlg 47.393 = EWr I/30/164 ff [hier: alleinstehende Frau]; 3 Ob 565/95; MietSlg 47.394 = 1 Ob 618/95). Solange dieser Schwerpunkt zumindest zum Teil noch in der aufgekündigten Wohnung liegt, erfüllt auch die Benützung zweier Wohnungen noch nicht den Kündigungstatbestand (MietSlg 46.380; SZ 69/32; 8 Ob 112/98y; WoBl 2000/124 = MietSlg 50.431; 8 Ob 349/99b). Es genügt also, wenn die aufgekündigte Wohnung zumindest in mancher Beziehung auch Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (und des Familienlebens) des Mieters ist (8 Ob 349/99b mwN). Mit einem solchen wirtschaftlichen Mittelpunkt ist auch keinesfalls, wie schon in der Entscheidung MietSlg 40.458 klargestellt wurde, die Arbeitsstätte bzw die Ordination eines Arztes gemeint, dabei handelt es sich eben um die Berufsstätte. Maßgeblich für den wirtschaftlichen Mittelpunkt ist vielmehr der Haushalt.

Aus der dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass die Feststellungen des Erstgerichtes nicht ausreichen, um das Vorliegen einer regelmäßigen Verwendung der aufgekündigten Wohnung durch den Beklagten zu Wohnzwecken zu beurteilen. Dies erfordert die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und (zweckmäßigerweise) die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz. Diese wird nach entsprechender Ergänzung des Beweisverfahrens nähere Feststellungen über die Umstände und den Grund des Aufenthalts des Beklagten in der von ihm gemieteten Wohnung in Wien zu treffen haben. Im Hinblick auf die dargestellte Rechtsprechung wird es auch erforderlich sein, die familiären Verhältnisse des Beklagten festzustellen, weil es, wie dargelegt, einen Unterschied macht, ob er Junggeselle oder familiär gebunden ist. Darüber hinaus wird auch eine Feststellung darüber zu treffen sein, an wievielen Wochenenden er sich tatsächlich in der aufgekündigten Wohnung (zu Wohnzwecken) aufhält.

Für den Fall, dass nach den ergänzenden Feststellungen im Sinne der dargestellten Rechtslage eine regelmäßige Benützung zu Wohnzwecken zu bejahen wäre, käme es auf ein vom Mieter zu beweisendes schutzwürdiges Interesse gar nicht an (Würth, aaO Rz 39 mwN). Allerdings könnte im Negativfall (ausgehend von der derzeitigen Sachverhaltslage) nicht gesagt werden, dass der Beklagte die aufgekündigte Wohnung in absehbarer Zeit wieder benützen werde, dass also ein schutzwürdiges Interesse zu bejahen wäre. Dabei ist nämlich auf ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeiten nicht Bedacht zu nehmen (MietSlg 42.338; ähnlich MietSlg 47.393). Das dringende Wohnbedürfnis setzt vielmehr auch voraus, dass der Mieter, der die Wohnung nicht regelmäßig benützt, diese in absehbarer Zeit wieder benützen wird (Würth, aaO Rz 42 mwN), es muss also feststehen, dass der Mieter die Wohnung mit Sicherheit in naher Zukunft wieder benötigen wird (MietSlg 41.348; WoBl 1991, 192 [Würth]; EWr I/30/335 f = MietSlg 50.431 = WoBl 2000/124). Diesen Voraussetzungen wird, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, die festgestellte gute Aussicht des Beklagten auf eine Stelle als Facharzt in Wien, die erst ausgeschrieben werden müsste, nicht gerecht. Diese bloße Aussicht ist weder im Hinblick auf ihre Wahrscheinlichkeit noch auf den Zeitpunkt ihrer Erfüllung hinreichend konkret.

Zur Frage eines allfälligen Verzichtes auf den Kündigungsgrund ist derzeit nicht Stellung zu nehmen, steht doch noch gar nicht fest, ob dieser überhaupt verwirklicht wurde.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte