OGH 3Ob565/95

OGH3Ob565/9511.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Maria A*****, 2. Helene K*****, 3. Werner Peter K*****, alle vertreten durch Dr.Peter Schmidgruber und Dr.Filip Sternberg, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Anna Maria V*****, vertreten durch Dr.Georg Röhsner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 29.März 1995, GZ 41 R 131/95-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liesing vom 21.Dezember 1994, GZ 2 C 1739/93s-11, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Die Kläger sind Miteigentümer einer Wiener Liegenschaft mit Haus. Die Beklagte ist aufgrund des Bestandvertrages vom 17.August 1979 Mieterin der im Haus der Kläger befindlichen Wohnung top.Nr. 5.

Die Kläger kündigten das Bestandverhältnis - gestützt auf § 30 Abs 2 Z 6 MRG - zum 28.Februar 1994 auf. Sie brachten vor, das Bestandobjekt werde nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der Mieterin oder eintrittsberechtigter Personen regelmäßig verwendet. Die Beklagte wohne an einer anderen Wiener Adresse.

Die Beklagte erhob gegen die mit Beschluß vom 29.November 1993 ausgesprochene gerichtliche Aufkündigung Einwendungen und verneinte das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes. Das Bestandobjekt werde von ihr regelmäßig bewohnt und stelle für sie "die einzige Möglichkeit" zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses dar. Sie halte sich nur gelegentlich in der Wohnung eines guten Bekannten auf. Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei jedoch die aufgekündigte Wohnung. Sie habe dort auch "sämtliche persönlichen Gegenstände".

Das Erstgericht hielt die von ihm ausgesprochene gerichtliche Aufkündigung aufrecht und legte seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte habe sich erstmals von Dezember 1991 bis März oder April 1992 "längere Zeit" nicht in ihrer Wiener Mietwohnung, sondern bei ihrem Bruder im Ausland aufgehalten. Nach ihrer Rückkehr habe sie "kaum noch" im Bestandobjekt gewohnt und übernachtet, sondern "sehr bald darauf begonnen", den Großteil ihrer Zeit bei einem an einer anderen Wiener Adresse wohnhaften Bekannten zu verbringen. Sie komme lediglich "hie und da" - nämlich etwa alle 14 Tage - in ihre Mietwohnung, um diese in Ordnung zu halten. 1993 habe sich die Fernmeldegebührenrechnung (für die einzelnen Abrechnungsperioden) zwischen 414,40 S (618 Gebührenimpulse) und 864,80 S (1181 Gebührenimpulse) bewegt. Der Tagstrom- und der Gasverbrauch sei von 663 Kw und 273 m3 (Zeitraum Juni 1988 bis Juni 1989) auf 597 Kw und 172 m3 (Zeitraum Juni 1989 bis Juni 1990) gesunken; danach habe es einen Anstieg auf 616 Kw und 401 m3 (Zeitraum 1990 bis 1991) gegeben; sodann sei der Verbrauch auf 447 Kw und 83 m3 (Zeitraum 1991 bis 1992) gesunken und habe schließlich nur noch 171 Kw und einen m3 (Zeitraum 1992 bis 1993) betragen. Der Nachtstromverbrauch habe von 1988 bis inklusive 1991 gleichbleibend etwa 5000 Kw betragen und sei von 1991 bis 1992 auf 1991 Kw gesunken; von 1992 bis 1993 sei überhaupt kein Nachtstrom mehr verbraucht worden. Die Beklagte erhalte ihre Post an der Adresse ihres Bekannten; sie habe dort auch die gerichtliche Kündigung übernommen.

Diesen Sachverhalt beurteilte das Erstgericht rechtlich wie folgt:

Den Vermietern sei der Nachweis gelungen, daß die Beklagte das Bestandobjekt nicht regelmäßig für Wohnzwecke verwende. Dagegen habe die Beklagte kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages "trotz fehlender Benützung" des Bestandobjektes nachweisen können. Die Verwirklichung des Kündigungsgrundes gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG sei demnach zu bejahen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es erwog im wesentlichen:

Eine regelmäßige Verwendung des Bestandobjektes zu Wohnzwecken sei dann anzunehmen, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr als wirtschaftlichen oder familiären Mittelpunkt (Lebensschwerpunkt) benütze. Treffe das auf die aufgekündigte Wohnung wenigstens teilweise zu, erfülle auch die Benützung zweier Wohnungen noch nicht den Tatbestand des geltend gemachten Kündigungsgrundes. Es sei zwar richtig, daß in der Beurteilung des Lebensschwerpunktes eines Junggesellen kein allzu strenger Maßstab angelegt werden dürfe, die aufgekündigte Wohnung habe jedoch aufgehört, Mittelpunkt der Lebenshaltung der Beklagten zu sein, weil diese nur mehr einmal im Verlauf von 14 Tagen in das Bestandobjekt zurückkehre. Die Beklagte habe nicht behauptet, dennoch ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Bestandverhältnisses zu haben. Es habe daher auch keiner Feststellungen bedurft, ob die Beklagte mit ihrem Bekannten eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei und in welcher Wohnung sich ihre persönlichen Gegenständen befänden.

Die Revision ist zulässig und berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

Für das Vorliegen des Kündigungsgrundes gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG ist zum einen das Fehlen einer regelmäßigen Verwendung des Bestandobjektes zu Wohnzwecken, zum anderen der Mangel eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen erforderlich (1 Ob 631/94; WoBl 1993, 102). Verfügt der Mieter über keine zweite Wohnung, ist die Anzahl der Übernachtungen im Bestandgegenstand nicht entscheidend (WoBl 1992, 247); es ist dann auch die Annahme, er habe kein durch die aufgekündigte Wohnung zu befriedigendes dringendes Wohnbedürfnis, nicht ohne weiteres gerechtfertigt (MietSlg 31.422). Wäre etwa der Mieter von einer anderen Person bloß als Gast in deren Wohnung aufgenommen worden, ist die zentrale Frage des dauernden Mangels eines schutzwürdigen Interesses an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags bei bloß gelegentlicher Benützung der aufgekündigten Wohnung nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen (MietSlg 30.426).

Bei einer alleinstehenden Frau wie der Beklagten kann von einem familiären Mittelpunkt schon begrifflich keine Rede sein. In einem solchen Fall kann für die Beurteilung des Lebensschwerpunktes in einer bestimmten Wohnung kein allzu strenger Maßstab angelegt werden. Der Oberste Gerichtshof hat deshalb ua auch schon ausgesprochen, es könne aus der Tatsache, daß der Mieter häufig als Gast auswärts nächtige, nicht geschlossen werden, er benütze die aufgekündigte Wohnung nicht mehr zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses. Unmaßgeblich ist daher, wie oft der Gekündigte in der Wohnung nächtigt. Entscheidend ist somit lediglich, ob dem Mieter ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrags dauernd mangelt (MietSlg 40.458; MietSlg 25.337). Unter diesen Voraussetzungen wäre ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages nur zu verneinen, wenn ungewiß wäre, ob der Mieter das Bestandobjekt in näherer Zukunft wieder regelmäßig benützen werde (MietSlg 30.426). Wäre dagegen zu erwarten, daß der Mieter die aufgekündigte Wohnung in naher Zukunft wieder benötigen werde, ließe sich ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung seines Mietvertrages nicht verneinen (MietSlg 42.338; MietSlg 41.348; MietSlg 31.423). Zur Beurteilung des Mangels eines solchen Interesses ist auch die Sachlage heranzuziehen, wie sie sich bei Schluß der Verhandlung erster Instanz ergab, sofern diese Entwicklung Rückschlüsse darauf zuläßt, ob der geltend gemachte Auflösungsgrund bereits im Zeitpunkt der Kündigung gegeben war (MietSlg 41.348). Bereits aufgrund eines Vorbringens, der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG sei infolge eines dringenden Wohnbedürfnisses nicht erfüllt, sind alle zur verläßlichen Beurteilung dieser Frage notwendigen Tatsachenfeststellungen zu treffen, auch wenn der - insofern behauptungs- und beweispflichtige - Gekündigte nicht zu jeder in diesen Rahmen fallenden Einzelheit ein konkretes Prozeßvorbringen erstattete (MietSlg 30.427 - noch zu § 19 Abs 2 Z 13 MG).

Der vorübergehende Aufenthalt der Beklagten im Ausland ist für die Beurteilung des Vorliegens des geltend gemachten Kündigungsgrundes unbeachtlich, weil die Beklagte - nach den getroffenen Feststellungen - erst "sehr bald" nach ihrer Rückkehr begann, den Großteil ihrer Zeit nicht in der aufgekündigten Wohnung zu verbringen. Die Beklagte hatte diese Wohnung also nach ihrem Auslandsaufenthalt jedenfalls noch - wenn auch kurzzeitig - für die Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses verwendet. Berücksichtigt man im übrigen, daß sie ihre Mietwohnung im Zeitpunkt der Zustellung der gerichtlichen Aufkündigung (1.Dezember 1993) erst seit ungefähr 1 1/2 Jahren nur mehr gelegentlich aufgesucht hatte, um diese in Ordnung zu halten, läßt sich noch nicht sagen, sie habe durch ihr Verhalten - unabhängig vom Vorhandensein einer zweiten Wohnung - bereits jahrelang zu erkennen gegeben, die aufgekündigte Wohnung nicht mehr zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses zu benötigen.

Legt man die bisherigen Rechtsausführungen zugrunde, dann ging das Berufungsgericht unzutreffend davon aus, daß die Beklagte "nicht vorgebracht" habe, ungeachtet der zur Benützung ihrer Mietwohnung getroffenen Feststellungen ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Bestandvertrages zu haben; sie behauptete nämlich in ihren Einwendungen ausdrücklich, die aufgekündigte Wohnung stelle für sie "die einzige Möglichkeit zur Befriedigung" ihres "dringenden Wohnbedürfnisses dar".

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen nachzuholen haben, die eine Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage erlauben, ob zu erwarten ist, daß die Beklagte die aufgekündigte Wohnung in naher Zukunft wieder zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses benötigen werde.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der ausgesprochene Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Stichworte