OGH 6Ob521/90

OGH6Ob521/9022.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Gertraud R***, Apothekerin, 5640 Badgastein, Waggerl Straße 3 b, vertreten durch Dr. Othmar, Dr. Lukas und Dr. Rupert Wolff, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Dr. Herwig P***, Unternehmer, 5630 Bad Hofgastein, Salzburger Straße 27, vertreten durch Dr. Helmut Grazer, Dr. Herbert Harlander, Dr. Ralf Kuhn, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 28. September 1989, GZ. 21 R 242/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 10. April 1989, GZ. 15 C 458/89-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.292,80 (darin enthalten S 548,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat mit Mietvertrag vom 24. Oktober 1959 die Wohnung im 1. Stock des Hauses Badgastein, Waggerl Straße 3, bestehend aus vier Zimmern, Küche, Bad, Speisekammer, WC und Gang samt Kellerabteil und Holzlage sowie dem Recht der Mitbenützung von Waschküche, Trockenboden und Hofraum samt Parkplatz im Hofraum gemietet. Die Klägerin kündigte als Rechtsnachfolgerin der Vermieterin die Wohnung zum 31. Dezember 1989 gerichtlich auf und begehrte die Räumung bis zum 15. Jänner 1990, 12.00 Uhr mittags. Sie stützte ihr Kündigungs- und Räumungsbegehren auf § 30 Abs. 1 und Abs. 2 Z 6 MRG und brachte vor, die Wohnung diene dem Beklagten und seiner Familie nicht zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses. Seit vielen Jahren werde die Wohnung nicht mehr bewohnt und nur zum Zwecke gelegentlichen Lüftens betreten. Der Beklagte und seine Ehefrau seien in dem von ihnen geführten Kurhaus, Hotel Sonnhof in Bad Hofgastein, Salzburger Straße 27, wohnhaft. Die beiden großjährigen Töchter hätten ihre Studien der Medizin bzw. Pharmazie abgeschlossen und bewohnten eigene Wohnungen in Wien, wo sich der Mittelpunkt ihrer Lebensbereiche befinde. An der Aufrechterhaltung des gegenständlichen Bestandverhältnisses in der nicht benützten Wohnung bestehe daher kein schutzwürdiges Interesse. Der Beklagte bestritt nicht, daß die aufgekündigte Wohnung in der letzten Zeit nur geringfügig benützt worden sei, beantragte aber die Aufhebung der bewilligten gerichtlichen Aufkündigung mit dem Vorbringen, er betreibe mit seiner Ehefrau das Hotel Sonnhof in Bad Hofgastein, das die ständige Anwesenheit seiner Ehefrau sowie seiner Person, soweit er nicht in dem von ihm geleiteten Reisebüro tätig sei, erfordere. Im Jahre 1987 sei ein Großteil des Hotels verkauft worden. Die restlichen noch im Eigentum des Beklagten stehenden Hotelteile sollten seit etwa einem Jahr ebenfalls verkauft werden. Dies sei aber bisher nicht gelungen. Es werde aber gehofft, spätestens 1991 den vollständigen Verkauf durchführen zu können. Im Falle des Verkaufes des Hotels, wo nur eine Schlafmöglichkeit, aber nicht einmal ein eigenes Wohnzimmer vorhanden sei, wäre der Beklagte mit seiner Familie "praktisch ohne Wohnung". Die beiden Töchter hätten zwar ihr Studium abgeschlossen, seien aber noch in der praktischen Berufsausbildung und hätten die Absicht, nach deren Abschluß im Jahre 1991 in ihre Heimat nach Gastein zurückzukehren. Es bestehe daher nicht nur ein Bedarf, sondern auch ein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß die streitgegenständliche Wohnung, außer zum Zwecke des gelegentlichen Lüftens, weder vom Beklagten noch von seiner Ehefrau oder den beiden großjährigen Töchtern benützt wird. Das Hotel Sonnhof in Bad Hofgastein ist ein Drei-Sterne-Betrieb mit 36 Betten. Die Hotelräumlichkeiten stehen im Eigentum des Beklagten (Wohnungseigentum), die im Betrieb anfallenden Arbeiten werden von der Ehefrau des Beklagten und einer Hilfskraft besorgt. Der Beklagte ist überdies in einem Reisebüro, das ihm und seiner Ehefrau gehört und in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Bad Gastein und in Bad Hofgastein betrieben wird, als Angestellter beschäftigt. Der Beklagte und seine Frau nächtigen zur besseren Überwachung des Hotelbetriebes in einem nicht vermieteten Fremdenzimmer. Die persönliche Versorgung erfolgt über die Hotelküche. Der Beklagte erkennt zwar, daß die Aufrechterhaltung des gegenständlichen Mietvertrages und vor allem die damit auflaufenden Kosten und Betreuungsmaßnahmen derzeit unwirtschaftlich sind. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des in Kürze bevorstehenden Pensionsalters, der Beklagte ist 1932 geboren, muß der Hotelbetrieb verkauft werden. Es wird bereits seit längerer Zeit versucht, über Inserate mit potenten Interessenten ins Gespräch zu kommen. Über den Verkaufserlös muß eine Bankschuld abgezahlt werden. Die bisherigen Interessenten haben sich nicht bereit gefunden, entsprechende Preisvorschläge zu akzeptieren. Der Verkauf des Hotelbetriebes führt aber notwendigerweise zum Verlust der Wohnmöglichkeit für den Beklagten und seine Ehefrau. Der Beklagte trägt sich zusätzlich mit dem Gedanken, sich 1991 aus der Tätigkeit im Reisebüro im Zusammenhang mit seiner Pensionierung zurückzuziehen. Die beiden Töchter des Beklagten haben sich studienbedingt "seit frühesten Jahren" kaum mehr in der gegenständlichen Wohnung aufgehalten, "sie waren wohl dann noch öfters über die Ferien hier", in der letzten Zeit auch das nicht mehr. Sie stehen nach Abschluß ihrer Studien in praktischen Berufsausbildungen als Radiologin bzw. Pharmazeutin, die 1991 abgeschlossen sein werden. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen ist Wien. Die Töchter haben zwar in Erwägung gezogen, zur Ausübung einer endgültigen Berufstätigkeit wieder nach Badgastein zurückzukehren. Konkrete Vorstellungen haben sie aber noch nicht. Rechtlich leitete das Erstgericht aus diesem Sachverhalt ab, ein schützwürdiges Interesse des Mieters am Weiterbestehen des Bestandverhältnisses sei nach wie vor gegeben. Die fehlende regelmäßige Verwendung der Wohnung sei zwar unstrittig, der Eigenbedarf sei aber nur weggefallen, wenn jahrelange Abwesenheit im Zusammenhang mit beruflichen und anderen Gründen in nächster bzw. übersehbarer Zeit die Wiedererrichtung des Lebensmittelpunktes in der aufgekündigten Wohnung nicht erwarten lasse. Es habe "nun festgestellt werden" können, "daß der Beklagte binnen zwei Jahren doch wieder auf die gegenständliche Wohnung angewiesen ist. Die Abwesenheit des Beklagten war zwar lange gewesen, aber auch festgestellterweise nur vorübergehend bis 1991. Der Beklagte hat nach dem Verkauf des Hotels die bisherige Wohnmöglichkeit nicht mehr und zieht sich überdies aus dem Berufsleben zurück, sodaß er die gegenständliche Wohnung benötigt". Es würde auf alle Fälle gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn der Mieter nun an die zehn Jahre umsonst für die Wohnung ordnungsgemäß Entgelte entrichtet habe, und es wäre eine unzumutbare Härte, bei dem kurz bevorstehenden Bedarf für den Rest seines Lebens eine Kündigung als berechtigt anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge. Es stellte fest, daß die mit Beschluß des Bezirksgerichtes Bad Hofgastein vom 11. Jänner 1989, K 51/88-1, bewilligte gerichtliche Kündigung wirksam ist, verurteilte die beklagte Partei zur Räumung der strittigen Wohnung bis zum 15. Jänner 1990, 12.00 Uhr und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt.

Das Berufungsgericht führte aus, werde eine Wohnung nicht benützt, treffe den Beklagten die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß er ein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses habe. Dieses sei dann anzunehmen, wenn das Wohnbedürfnis nicht anderweitig angemessen befriedigt werde oder wenn ein dringendes Wohnbedürfnis in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten sei. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes müsse der Hotelbetrieb wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des in Kürze bevorstehenden Pensionsalters des Beklagten verkauft werden. Das Erstgericht sei, ohne in zeitlicher Hinsicht Feststellungen getroffen zu haben, davon ausgegangen, daß der Beklagte binnen zwei Jahren wieder auf die gegenständliche Wohnung angewiesen sein werde. Der Beklagte habe nur vorgebracht, daß gehofft werde, den Hotelbetrieb bis spätestens 1991 verkaufen zu können. Ein Vorbringen, daß mit dem Verkauf tatsächlich in naher Zukunft gerechnet werden könne, habe der Beklagte nicht erstattet, auch das Beweisverfahren habe keinen konkreten Anhaltspunkt dafür ergeben. Der Beklagte habe nicht einmal einen konkreten Interessenten nennen, viel weniger noch auf einen unmittelbar bevorstehenden Vertragsabschluß hinweisen können. Auf die bevorstehende Pensionierung habe sich der Beklagte gar nicht berufen und auch in seiner Parteiaussage nur vage davon gesprochen, daß er frühestens Ende 1991 in Pension gehen könne, ohne über den tatsächlich ins Auge gefaßten Zeitpunkt auch nur Andeutungen zu machen. Die Feststellungen des Erstgerichtes seien insoweit aktenwidrig. Damit sei aber davon auszugehen, daß dem Beklagten der Nachweis des dringenden Wohnbedarfes für sich oder eintrittsberechtigte Personen nicht gelungen und der Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Es trifft zwar zu, daß eine Verletzung der Vorschriften über die Gliederung eines Urteiles nach § 417 ZPO nicht dazu führt, daß zusätzliche, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffene Feststellungen unbeachtlich wären. Der Revisionswerber übersieht aber, daß das Berufungsgericht gerade diese Feststellungen des Erstgerichtes - daß sich der Beklagte zusätzlich mit dem Gedanken trägt, sich 1991 aus der Tätigkeit im Reisebüro im Zusammenhang mit seiner Pensionierung zurückzuziehen, und festgestellt werden könne, daß der Beklagte binnen zwei Jahren nun doch wieder auf die gegenständliche Wohnung angewiesen sei, seine Abwesenheit nur vorübergehend bis 1991 dauere - als aktenwidrig nicht übernommen hat. Wird durch die Beseitigung einer Aktenwidrigkeit die Entscheidungsgrundlage unvollständig, sodaß die Sache damit noch nicht spruchreif wird, muß die Entscheidung aufgehoben und an die untere Instanz zurückverwiesen werden (vgl. Fasching, Lehrbuch2, Rz 1915). Dies war hier nicht erforderlich, weil es sich bei den aktenwidrigen Feststellungen überdies um "überschießende" Feststellungen handelte, die nicht durch das Vorbringen gedeckt waren. Der Beklagte hat das Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses nur darauf gestützt, daß sein Hotel, das ihm derzeit als Wohnmöglichkeit diene, "seit etwa einem Jahr verkauft werden soll und daß gehofft wird, spätestens 1991 den vollständigen Verkauf durchführen zu können", nicht aber auch darauf, daß seine Pensionierung spätestens Ende 1991 bevorstehe und er (auch) deshalb keine andere Wohnmöglichkeit mehr habe. Feststellungen über die Absicht des Beklagten, wann er einen Pensionsantrag stellen werde, waren daher gar nicht zu treffen. Es bildet keinen Verfahrensmangel, wenn eine mögliche überschießende Feststellung nicht getroffen wurde.

Den Vorinstanzen ist aber auch keine Verletzung der Anleitungspflicht im Sinne des § 182 ZPO vorzuwerfen, die Anleitungspflicht des Richters geht gegenüber anwaltlich vertretenen Parteien keineswegs so weit, daß diese aufzufordern wären, ein Sachvorbringen in einer bestimmten Richtung zu erstatten und hiefür Beweise anzubieten, mag dies nach dem Prozeßverlauf für den Prozeßstandpunkt einer Partei auch naheliegend oder günstig erscheinen.

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß bei Nichtbenützung einer Wohnung den Beklagten die Behauptungs- und Beweislast dafür trifft, daß er ein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre ist ein schutzwürdiges Interesse dann enzunehmen, wenn ein dringendes Wohnbedürfnis zum Zeitpunkt der Aufkündigung besteht oder zumindest bezogen auf diesen, in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist (MietSlg. 33.383 mwN, Würth in Rummel, ABGB, Rz 33 zu § 30 MRG). Feststeht aber nur, daß der Beklagte seinen Hotelbetrieb wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten verkaufen will und seit längerer Zeit versucht, über Inserate (diese stammen nach den im Akt erliegenden Urkunden im übrigen alle schon aus dem Frühjahr 1987) mit potenten Interessenten "ins Gespräch zu kommen", und daß sich bisher noch kein Interessent bereit gefunden hat, die Preisvorstellungen des Beklagten zu akzeptieren. Daß also ein Verkauf des Hotels in naher Zukunft und damit notwendig der Verlust der derzeitigen Wohnmöglichkeit mit Sicherheit zu erwarten seien und daß der Kläger die streitgegenständliche Wohnung in naher Zukunft wieder benützen werde, ist damit keineswegs erwiesen. Auf eine ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeit regelmäßiger Verwendung der aufgekündigten Wohnung zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses ist, weil dieses Ereignis nicht mit Sicherheit in naher Zukunft erwartet werden kann, nicht Bedacht zu nehmen (MietSlg. 26.300 mwN).

Das Berufungsgericht hat daher zu Recht den Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG als gegeben erachtet, sodaß der Revision ein Erfolg zu versagen war.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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