VwGH Ra 2022/07/0196

VwGHRa 2022/07/019628.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision des Univ.‑Prof. Dr. H I in I, vertreten durch die CHG Czernich Haidlen Gast & Partner Rechtsanwälte GmbH in 6020 Innsbruck, Bozner Platz 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 31. August 2022, Zl. LVwG‑2022/35/0997‑4, betreffend eine Angelegenheit nach dem Umweltinformationsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Tirol), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §46
AVG §52
EURallg
MRK Art6
UIG 1993 §2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §24 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1
32003L0004 Umweltinformationen-RL
62006CJ0275 Promusicae VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022070196.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Eingabe vom 26. Jänner 2022 begehrte der Revisionswerber Auskunft über die Daten der zweimal wöchentlich gemessenen Konzentration des N1‑Gens von SARS‑CoV‑2 im Zulauf zu den (im Rahmen des SARS‑CoV‑2‑Abwasser‑Monitoring) im Auftrag des Landes Tirol untersuchten 43 Tiroler Kläranlagen vom 1. September 2020 bis 31. Jänner 2022. Seien die Daten nicht zweimal wöchentlich vorhanden, ersuchte der Revisionswerber um die Übermittelung der wöchentlichen oder vierzehntägigen Werte. Zusätzlich zu den Daten über die Konzentration des SARS‑CoV‑2‑Gens wurde die Übermittlung der parallel gemessenen Bevölkerungsindikatoren wie Ammonium, Gesamt‑Stickstoff oder CSB für die gleichen Messzeitpunkte beantragt.

2 Dieses Informationsbegehren wurde mit Bescheid der belangten Behörde als informationspflichtige Stelle vom 22. März 2022 dahingehend entschieden, dass festgestellt wurde, dass die begehrten Daten und Bevölkerungsindikatoren keine Umweltinformationen im Sinne von § 2 Umweltinformationsgesetz (UIG) darstellten und somit nicht dem Anwendungsbereich des UIG unterlägen. Vor diesem Hintergrund komme dem Revisionswerber ein Recht auf Mitteilung der mit E‑Mail vom 26. Jänner 2022 begehrten Daten und Bevölkerungsindikatoren auf Basis des UIG nicht zu (Spruchpunkt I.).

3 Begründend führte die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde ua. aus, dass die begehrten Informationen keine Angaben über die Beschaffenheit des Umweltbestandteils Wasser bzw. zur Wassergüte enthielten.

4 Gegen diese Begründung wandte der Revisionswerber in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde unter anderem ein, dass die Wassergüte nicht Gegenstand und Grund des Informationsbegehrens gewesen sei. Vielmehr ermögliche die Anzahl der Genkopien des Virus im Abwasser Rückschlüsse über dessen Verbreitung in der Luft und Atmosphäre. Überdies handle es sich bei der begehrten Information hinsichtlich der Anzahl der SARS‑CoV‑2‑Genkopien jedenfalls auch um Informationen über die „Artenvielfalt und ihre Bestandteile“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 UIG.

5 Im weiteren Verfahren erstattete Dr. S. von der Abteilung Wasserwirtschaft des Amtes der Tiroler Landesregierung im Auftrag des Verwaltungsgerichts am 4. August 2022 eine „gutachterliche Stellungnahme“ zur Frage der „Plausibilität des Beschwerdevorbringens“ unter besonderer Beachtung des Aspektes, „inwieweit die begehrten Informationen Aufschluss über den Zustand des Umweltbestandteiles Wasser geben bzw. Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben können“. In diesem Gutachten wird ‑ ohne nähere fachliche Begründung ‑ die Aussage getroffen, dass die Anzahl der Genkopien in den Kläranlagenzuläufen keine nachvollziehbaren Rückschlüsse auf die Verbreitung des Virus in der Luft und Atmosphäre zuließen. Die Daten lieferten lediglich Hinweise darauf, wie viele Menschen im Einzugsgebiet der beobachteten Kläranlagen Viren ausschieden. Es handle sich um Daten über medizinisch relevante Gegebenheiten. So sei „aus wasserwirtschaftlicher Sicht das Anknüpfen an die Z 1, Z 2 oder Z 3 des § 2 UIG im Beschwerdevorbringen [...] nicht geeignet, die Feststellungen im Bescheid des LH vom 22.3.2022 nachvollziehbar zu widerlegen“. Die begehrten Daten beschrieben „keinen Zustand von Umweltbestandteilen“, „keine Faktoren, die sich auf die in Z 1 genannten Umweltbestandteile auswirken“, „keine Maßnahmen, die sich auf die in den Z 1 und 2 genannten Umweltbestandteile und ‑faktoren auswirken und auch keine Maßnahmen zu deren Schutz“. Auch beeinflusse die Anzahl der Genkopien im Kläranlagenzulauf die menschliche Gesundheit nicht. Die Argumentation der Behörde sei „nachvollziehbar und schlüssig“. So sei aus wasserwirtschaftlicher Sicht „kein umweltrelevanter Zusammenhang“ bei den vom Revisionswerber angefragten Daten gegeben. Zusammengefasst werde festgestellt, dass „das Beschwerdevorbringen [...] keine plausiblen Argumente, welche ein Abgehen von der Entscheidung lt. Bescheid des LH vom 22.3.2022, Zl. U‑UI‑4/1/37‑2022, begründen würden“, enthalte.

6 Im Rahmen des Parteiengehörs nahm der Revisionswerber mit Schreiben vom 21. August 2022 Stellung zum Gutachten und trat diesem dahingehend entgegen, dass ‑ wie auch schon in der Beschwerde angeführt ‑ die Methode der SARS‑CoV‑Analytik im Abwasser eine indirekte Methode darstelle, um die Belastung der Luft mit SARS‑CoV‑2‑Viren zu quantifizieren. Die Anzahl der Genkopien des Virus diene als, wie in Umweltwissenschaften üblich, Proxy‑Indikator. Der sich aus den Abwasserdaten ergebende Proxyparameter hänge kausal mit der Virenbelastung in der Luft zusammen.

7 Das Verwaltungsgericht wies die Beschwerde des Revisionswerbers ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ mit Erkenntnis vom 31. August 2022 als unbegründet ab (Spruchpunkt 1.) und sprach aus, dass eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).

8 Unter Zugrundelegung der gutachterlichen Stellungnahme kam das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung zu dem Ergebnis, es handle sich bei den begehrten Daten nicht um Umweltinformationen im Sinne des § 2 UIG.

9 Das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht damit, dass weder der Revisionswerber noch die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde eine Durchführung einer solchen beantragt habe. Die maßgeblichen Sachverhaltsfragen hätten durch die Gewährung von ausreichendem Parteiengehör auf schriftlichen Wege und anhand der Akten hinreichend geklärt werden können. Darüber hinaus seien nur rechtliche Fragen zu klären gewesen. Eine Verhandlung hätte zu keiner weiteren Klärung der Rechtssache beitragen können.

10 Die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit den verba legalia des Art. 133 Abs. 4 B‑VG. Die Frage, ob ein Anspruch auf Mitteilung von Umweltinformationen bestehe, sei in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung gelöst worden.

11 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision werden Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Einleitung des Vorverfahrens ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde von der belangten Behörde nicht erstattet ‑ erwogen:

13 Die Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung ins Treffen führt, ist aus diesem Grund zulässig und auch begründet.

14 Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht (selbst bei anwaltlich vertretenen Parteien) auch ohne Antrag von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es dies für erforderlich hält, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ohne Parteiantrag nicht im Belieben, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichtes steht. Eine Verhandlung ist ‑ abgesehen vom Fall, dass ein rechtlich normiertes Gebot eine solche verlangt ‑ von Amts wegen etwa dann durchzuführen, wenn ein für die Sache relevantes konkretes sachverhaltsbezogenes Beschwerdevorbringen erstattet wird oder die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde substantiiert bekämpft wird, oder wenn das Verwaltungsgericht von dem durch die Behörde festgestellten unbestritten gebliebenen Sachverhalt abgehen will oder die Entscheidung auf Umstände stützen will, die nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens waren, darf es doch in seine rechtliche Würdigung keine Sachverhaltselemente einbeziehen, die der Partei nicht bekannt waren (vgl. VwGH 20.2.2023, Ra 2021/07/0062, mwN).

15 Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Auf den Anspruch auf Durchführung einer Verhandlung kann zwar verzichtet werden, was dann angenommen werden kann, wenn der Beschwerdeführer keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 3 VwGVG stellt. Ein schlüssiger Verzicht liegt aber nicht vor, wenn eine unvertretene Partei weder über die Möglichkeit einer Antragstellung belehrt wurde, noch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie von dieser Möglichkeit hätte wissen müssen (vgl. VwGH 29.1.2020, Ra 2019/09/0141, 0142, mwN).

16 Bei seiner Begründung zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung, wonach eine solche nicht beantragt worden sei, ließ das Verwaltungsgericht außer Acht, dass der Revisionswerber im Beschwerdeverfahren nicht anwaltlich vertreten war. Nach der dargestellten Rechtsprechung lässt allein der Umstand, dass eine Beschwerde keinen Verhandlungsantrag enthält, nicht den Schluss zu, dass der unvertretene Revisionswerber auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat.

17 Darüber hinaus ist bei konkretem sachverhaltsbezogenen Vorbringen jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 16.11.2021, Ra 2021/07/0061, mwN).

18 Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde insoweit neues Sachverhaltsvorbringen erstattet, welches der Entscheidung der Behörde noch nicht zugrunde lag, als er vorbrachte, die Anzahl der Genkopien des Virus im Abwasser gebe Aufschluss über dessen Verbreitung in der Luft und Atmosphäre.

19 So sah sich das Verwaltungsgericht erst durch die Ausführungen in der Beschwerde veranlasst, ein Gutachten einzuholen und dadurch den entscheidungswesentlichen Sachverhalt zu ergänzen. Davon, dass der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt als geklärt anzusehen gewesen wäre, durfte das Verwaltungsgericht nicht ausgehen und hätte es daher schon deshalb nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

20 Ein Sachverständigengutachten, das vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt wird, muss ausreichend begründet sein. Der Sachverständige muss in seinem Gutachten darlegen, auf welchem Weg er zu seiner Schlussfolgerung gekommen ist, damit eine Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens vorgenommen werden kann (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, mwN).

21 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa die in Hengstschläger/Leeb, AVG § 52 Rz 59, dargestellte Judikatur) muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen ‑ unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden ‑ vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar. Gleiches gilt, wenn der Sachverständige nicht darlegt, auf welchem Weg er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen ist (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/11/0146, mwN).

22 Die in Rede stehende „gutachterliche Stellungnahme“ genügt diesen Anforderungen an ein schlüssiges Gutachten im Sinne des § 52 AVG nicht. Die wesentlichen Aussagen des Sachverständigen, etwa dass die Anzahl der gemessenen Genkopien keine nachvollziehbaren Rückschlüsse auf die Verbreitung des Virus in der Luft und Atmosphäre zuließen, lassen nicht erkennen, worauf er seine Schlussfolgerung stützt, und entbehren jeglicher Begründung. Vielmehr erschöpft sich das „Gutachten“ über weite Teile in einer rechtlichen Würdigung des Beschwerdevorbringens. Einem Sachverständigen kommt aber keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zu und er darf auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen (vgl. VwGH 30.3.2021, Ro 2019/08/0017, mwN).

23 Schon aufgrund der Heranziehung dieses nicht den Anforderungen an die Qualität eines Sachverständigengutachtens entsprechenden „Gutachtens“ durfte das Verwaltungsgericht keinen geklärten Sachverhalt annehmen; weil es diese Äußerungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, wurde es seiner Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gerecht (vgl. erneut VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350, mwN).

24 Wegen der Mangelhaftigkeit des „Gutachtens“ kann auch die Frage dahingestellt bleiben, ob der Revisionswerber den Ausführungen im „Gutachten“ in seiner Stellungnahme vom 21. August 2022 auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist, zumal nur ein schlüssiges und nachvollziehbares Gutachten zu entkräften ist, während schlichte Feststellungen des Sachverständigen, die nicht weiter begründet sind, nicht widerlegt werden müssen. Denn das Erfordernis der Widerlegung eines von der Behörde eingeholten Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene greift nur ein, wenn ein vollständiges, schlüssiges und widerspruchsfreies Gutachten vorliegt (vgl. VwGH 25.9.2018, Ra 2018/05/0199, mwN).

25 So waren die den Aussagen des Sachverständigen widersprechenden Ausführungen des Revisionswerbers in dessen Stellungnahme vom 21. August 2022, wonach die Anzahl der Genkopien als Proxy sehr wohl Rückschlüsse auf die Verbreitung des Virus in der Luft zulasse, jedenfalls als vor dem Verwaltungsgericht zu beachtendes Sachverhaltsvorbringen zu qualifizieren. Die Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit diesem Vorbringen dahingehend, dass selbst im Falle der Möglichkeit der Hochrechnung einer Anzahl der Viren in der Luft die Viruslast im Abwasser keine aussagekräftige Beschreibung des Zustandes der Luft liefere, weil eine gleichmäßige Virusverteilung in der Luft über ein größeres Gebiet unrealistisch sei, hätte ‑ abgesehen davon, dass es diesen Ausführungen einer (notwendigen) sachverständigen Grundlage mangelt ‑ nicht ohne vorangegangene amtswegige Durchführung einer Verhandlung erfolgen dürfen.

26 Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen, soweit durch Bundes‑ oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Verhandlung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder um „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (vgl. VwGH 5.4.2023, Ro 2021/12/0006, mwN).

27 In Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten, dass der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen hatte (vgl. VwGH 14.4.2023, Ra 2023/06/0001, mwN).

28 Im gegenständlichen Verfahren kommt das in Umsetzung der Richtlinie 2003/4/EG eingeführte UIG zur Anwendung und betrifft dieses sohin Angelegenheiten der „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne des Art. 51 Abs. 1 GRC (vgl. zur Bindung an die GRC bei der Auslegung von in nationales Recht umgesetzte Richtlinien etwa EuGH 29.1.2008, Promusicae, C‑275/06 , Rn. 68), sodass schon deshalb die in Art. 47 GRC festgelegten Garantien, die inhaltlich jenen des Art. 6 EMRK entsprechen, zum Tragen kommen (vgl. VwGH 28.7.2021, Ra 2020/10/0145, mwN).

29 Der Revisionswerber trat der rechtlichen Begründung der belangten Behörde in seiner Beschwerde dahingehend entgegen, dass die begehrten Informationen etwas über den „Zustand“ des Umweltbestandteils „Wasser“ aussagten und erstattete insofern neues rechtliches Vorbringen, in dem er anführte, die begehrten Informationen hinsichtlich der Anzahl der SARS‑CoV‑2‑Genkopien seien unter den Begriff der Informationen über die „Artenvielfalt und ihre Bestandteile“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 UIG zu subsumieren.

30 Neben maßgeblichen sachverhaltsbezogenen Vorbringen lagen dem Verwaltungsgericht sohin auch Rechtsfragen vor, die eine Erörterung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht hätten. Eine Auseinandersetzung damit unterließ das Verwaltungsgericht jedoch gänzlich.

31 Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und ‑ wie hier gegeben (siehe Rn. 28) ‑ des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. erneut VwGH 16.11.2021, Ra 2021/07/0061, mwN).

32 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Verwaltungsgericht nach Durchführung eines entsprechenden Beweisverfahrens und im Zuge der Nachholung der Verhandlung jedenfalls auch mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach die Anzahl der SARS‑CoV‑2‑Genkopien Informationen über die „Artenvielfalt und ihre Bestandteile“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 1 UIG darstellte, auseinanderzusetzen haben.

33 Das angefochtene Erkenntnis war somit ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat ‑ gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG schon wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, was ein Eingehen auf das übrige Revisionsvorbringen erübrigt.

34 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

35 Die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG entfallen.

Wien, am 28. Juni 2023

Stichworte