VwGH Ro 2019/08/0017

VwGHRo 2019/08/001730.3.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., in der Revisionssache der G GmbH, vertreten durch die Muhri & Werschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in 8010 Graz, Neutorgasse 47, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2019, G312 2128830‑1/18E, betreffend Beitragsnachverrechnung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse), den Beschluss gefasst:

Normen

ArbVG §9 Abs3
AVG §45 Abs2
AVG §52
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs6 Z1
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019080017.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht ‑ in Bestätigung eines Bescheides der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse ‑, die revisionswerbende Partei, Beiträge zur Sozialversicherung, Nebenumlagen, Sonderbeiträge und Zuschläge samt Verzugszinsen in der Höhe von insgesamt € 38.852,08 nachzuentrichten.

2 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht ‑ soweit hier wesentlich ‑ aus, die revisionswerbende Partei sei eine gemeinnützige GmbH, die ‑ ebenso wie ihr Dachverband ‑ Mitglied beim Fachverband der Wirtschaftskammer für das Beförderungsgewerbe sei. Der Geschäftszweig der revisionswerbenden Partei umfasse Rettungs- und Krankentransporte, Rettungs- und Sozialdienste, Ausbildung von Personen der Gesundheitsdienste sowie Beteiligungen. Ihr Dachverband sei als öffentlicher, allgemeiner Rettungsdienst anerkannt. Von der revisionswerbenden Partei würden Krankentransporte einerseits mit Krankentransportwägen ‑ sogenannter „qualifizierter Krankentransport“ ‑ und andererseits mit PKW ‑ sogenannter „einfacher Krankentransport“ ‑ durchgeführt. Die Transporte erfolgten zumindest ganz überwiegend im Auftrag von Gesundheitseinrichtungen zur Gegenverrechnung mit Sozialversicherungsträgern und würden durch die bei der revisionswerbenden Partei beschäftigten Sanitäter bzw. Sanitäter in Ausbildung durchgeführt. Eine organisatorische Trennung zwischen dem „einfachen Krankentransport“ und dem „qualifizierten Krankentransport“ gebe es nicht.

3 Zwischen den Parteien sei strittig, ob auf die Dienstverhältnisse der im Betrieb der revisionswerbenden Partei beschäftigten Personen der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) oder der zur Satzung erklärte Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes anzuwenden sei. Eindeutig und auch von der revisionswerbenden Partei nicht bestritten worden sei, dass die von der revisionswerbenden Partei durchgeführten Krankentransporte mit Krankentransportwägen („qualifizierter Krankentransport“) dem Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes unterlägen. Entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei treffe es vor dem Hintergrund der (näher getroffenen) Feststellungen nicht zu, dass den mit PKW durchgeführten „einfachen Krankentransporten“ die überwiegende wirtschaftliche Bedeutung zukomme. Vielmehr gebe in Übereinstimmung mit der zur revisionswerbenden Partei ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (Hinweis auf OGH 30.10.2018, 9 ObA 16/18w) der „qualifizierte Krankentransport“ dem Betrieb der revisionswerbenden Partei das Gepräge, sodass im Sinn des § 9 Abs. 3 ArbVG der zur Satzung erklärte Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes auf die Dienstverhältnisse der Beschäftigten anzuwenden sei. Aufgrund der daraus resultierenden höheren Entgeltansprüche sei die für den Zeitraum von 1. Jänner 2011 bis 31. Dezember 2014 erfolgte Beitragsnachverrechnung berechtigt.

4 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei. Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der auch in der Judikatur des Obersten Gerichtshofes offen gelassenen Frage vor, ob auf Krankentransporte mit Personenkraftwägen („einfacher Krankentransport“) der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) anzuwenden sei.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse hat ‑ nach Durchführung des Vorverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht ‑ eine Revisionsbeantwortung erstattet.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. VwGH 25.3.2019, Ro 2018/08/0014, mwN).

10 Der Oberste Gerichtshof hat (mit näherer Begründung) ausgeführt, dass die Durchführung von Rettungs- und Krankentransporten mit besonders ausgestatteten Rettungswagen weder als Taxigewerbe noch als Mietwagengewerbe im Sinn des Kollektivvertrages für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen verstanden werden könne. Eine solche ‑ hier als „qualifizierter Krankentransport“ bezeichnete ‑ Tätigkeit unterfalle vielmehr dem gesatzten Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes (vgl. OGH 19.3.2013, 9 ObA 8/13m; 23.3.2018, 8 ObA 2/18d; RIS‑Justiz RS0128940).

11 Die Frage, ob der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit mit PKW (Taxi) auf Betriebe anzuwenden sei, die Transporte kranker Personen mit normal ausgerüsteten PKW (ohne Sonderausstattung) durchführen, ließ der Oberste Gerichtshof in seiner Judikatur offen. Liege ein Mischbetrieb im Sinn des § 9 Abs. 3 ArbVG vor, dann verdränge ein für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich maßgeblichen Betriebsbereichs anzuwendender gesatzter Kollektivvertrag in analoger Anwendung des § 9 Abs. 3 ArbVG einen für die Arbeitnehmer des wirtschaftlich untergeordneten Bereichs geltenden Kollektivvertrag (OGH 26.11.2013, 9 ObA 91/13t; RIS‑Justiz RS0050861 [T 2], RS0126333 [T 2]). Die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung sei (auch in diesem Zusammenhang) danach zu beurteilen, welcher Fachbereich dem Betrieb das wirtschaftliche Gepräge gebe. Dafür komme es nicht nur auf einzelne Aspekte wie etwa Umsatz, Gewinn, Betriebsmitteleinsatz, Ertragskomponenten, Zahl der Arbeitnehmer oder Zusammensetzung des Kundenkreises an. Vielmehr sei eine Gesamtbetrachtung anzustellen, in die auch die wirtschaftliche Funktion des einen Fachbereichs für den anderen Fachbereich einzubeziehen sei (vgl. OGH 30.10.2018, 9 ObA 16/18w). Komme in diesem Sinn in einem Betrieb, dessen Geschäftsgegenstand die Beförderung kranker Personen sei, die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung der Durchführung von Krankentransporten mit den Krankentransportwägen zu und sei die Durchführung von Krankentransporten mit normalen PKW daher insoweit untergeordnet, sei daher (schon deshalb) der gesatzte Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes anzuwenden, sodass es darauf, ob auch der Krankentransport mit normalen Pkw dem Anwendungsbereich des gesatzten Kollektivvertrages des Österreichischen Roten Kreuzes unterliege oder der Kollektivvertrag für Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) anzuwenden sei, nicht mehr ankomme (vgl. nochmals OGH 9 ObA 91/13t; 9 ObA 16/18w).

12 Die Richtigkeit dieser Grundsätze, von denen das Bundesverwaltungsgericht auch im vorliegenden Fall ausgegangen ist, zieht die Revision nicht in Zweifel. In Übereistimmung mit dem zum Betrieb der revisionswerbenden Partei ergangenen Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 30. Oktober 2018, 9 ObA 16/18w, und auf der Grundlage im Wesentlichen übereinstimmender Sachverhaltsannahmen ist das Bundesverwaltungsgericht vorliegend zum Ergebnis gelangt, dass die Durchführung von Rettungs- und Krankentransporten mit besonders ausgestatteten Rettungswagen („qualifizierter Krankentransport“) dem Betrieb der revisionswerbenden Partei das Gepräge gebe. Dass dem Bundesverwaltungsgericht insofern eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, wird in der Zulassungsbegründung der Revision nicht aufgezeigt.

13 Soweit die Revision insofern bemängelt, dass das Bundesverwaltungsgericht in Zusammenhang mit seiner Beurteilung, welcher Kollektivvertrag im Sinn des § 9 Abs. 3 ArbVG auf den Betrieb anzuwenden sei, die „wirtschaftliche Ausrichtung“ der revisionswerbenden Partei nicht „gutachterlich belegt“ habe, reicht es darauf hinzuweisen, dass einem Sachverständigen keinesfalls die Lösung von Rechtsfragen zukommt und er auch nicht in den Bereich der Beweiswürdigung vordringen darf (vgl. VwGH 21.12.2020, Ro 2020/02/0010, mwN). Die Frage, welcher Kollektivvertrag aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Anwendung gelangt, stellt eine Rechtsfrage dar.

14 Damit kommt es aber im Sinn der dargestellten Grundsätze auf die vom Bundesverwaltungsgericht zur Begründung der Zulässigkeit der Revision angeführte Frage, ob auf Krankentransporte mit Personenkraftwägen („einfacher Krankentransport“) der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit PKW (Taxi) anzuwenden sei, nicht an. Für die Lösung abstrakter oder hypothetischer Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof auf Grund von Revisionen gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 1 B‑VG nicht zuständig (vgl. VwGH 7.12.2020, Ra 2019/15/0122, mwN).

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. März 2021

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