VwGH Ra 2018/20/0479

VwGHRa 2018/20/047911.2.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, in der Rechtssache der Revision des G M in G, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. August 2018, Zl. W255 2190624-1/8E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §24;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018200479.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15. September 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte er zusammengefasst aus, dass sein Leben in Gefahr sei, da er aufgrund seiner Tätigkeit in einem Büro für Frauenrechte von den Taliban bedroht worden wäre, weshalb er Afghanistan verlassen habe. Nach seiner Rückkehr sei er erneut in dem Büro für Frauenrechte in Herat tätig gewesen. Zudem habe der Revisionswerber seinen Schwager, nachdem dieser die Schwester des Revisionswerbers geschlagen und vergewaltigt habe, zur Rede gestellt, weshalb er auch von diesem bedroht worden sei. Ein paar Tage später sei der Revisionswerber von zwei unbekannten Männern fast bewusstlos geschlagen worden. Im Rückkehrfall fürchte der Revisionswerber, von den Taliban oder dem Ex-Mann der Schwester umgebracht zu werden.

2 Mit Bescheid vom 18. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 2-wöchige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 7. August 2018 - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. August 2018 ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Die Revision bringt zunächst zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG weiche von der hg. Judikatur zur Begründungspflicht ab, da es im Hinblick auf die vorgebrachte Verfolgung wesentliche Ermittlungsergebnisse außer Acht gelassen habe. Entgegen diesem Vorbringen berücksichtigte das BVwG die vom Revisionswerber dargelegte Bedrohung durch die Taliban und durch seinen Schwager sowie die Misshandlung durch zwei unbekannte Männer, zumal es das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als glaubhaft seiner Beurteilung zugrunde legte. Da sich die vorgebrachten Vorfälle jedoch ausschließlich in der Herkunftsregion des Revisionswerbers ereignet hätten und er selber ausgeführt habe, dass er wiederholt und über einen längeren Zeitraum in einem Büro in Herat für eine afghanische Organisation, die sich für Frauenrechte einsetze, gearbeitet habe ohne dort bedroht oder attackiert worden zu sein, kam das BVwG zu dem Schluss, dass dem Revisionswerber in Herat oder Kabul keine asylrelevante Verfolgung drohe. Insofern setzte sich das BVwG mit den wesentlichen Teilen des Vorbringens des Revisionswerbers bzw. den Ermittlungsergebnissen in gebotener Weise auseinander, sodass ein Abweichen von der in der Revision zitierten hg. Judikatur nicht ersichtlich ist (vgl. VwGH, 27.6.2016, Ra 2016/18/0055).

8 Sofern der Revisionswerber weiters geltend macht, das BVwG wäre in Anbetracht der individuellen Gefährdungsumstände des Revisionswerbers und der allgemeinen Berichtslage zu seinem Herkunftsstaat verpflichtet gewesen, weitere landeskundliche Ermittlungen vorzunehmen, ist er auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellt, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 10.9.2018, Ra 2018/19/0390). Eine solche unvertretbare Einschätzung durch das BVwG zeigt die Revision nicht auf.

9 Die Revision begründet ihre Zulässigkeit auch damit, dass das BVwG verpflichtet gewesen wäre, den Revisionswerber bereits im Verfahren mit der Absicht zu konfrontieren, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Herat als gegeben anzusehen.

10 Dem ist entgegenzuhalten, dass sich das Recht auf Parteiengehör auf den von der Behörde festzustellenden maßgebenden Sachverhalt bezieht. Den Parteien ist daher gemäß § 37 iVm § 45 Abs. 3 AVG das bisherige Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vorzuhalten, das sind insbesondere all jene rechtserheblichen Tatsachen, die das zuständige Organ als erwiesen erachtet. Die Beweiswürdigung im Sinn des § 45 Abs. 2 AVG, also die Frage, aus welchen Gründen die Behörde welchen Beweismitteln zu folgen gedenkt, zählt aber nicht zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens. Die Behörde ist auch nicht gehalten, die Partei zu der von ihr vertretenen Rechtsansicht anzuhören, ihr also mitzuteilen, welche Vorgangsweise sie in rechtlicher Hinsicht auf Grund des als maßgeblich festgestellten Sachverhaltes ins Auge fasst (vgl. VwGH 23.2.2017, Ra 2016/20/0089). Ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung ist nicht ersichtlich, zumal es sich bei der Annahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative um eine rechtliche Beurteilung handelt. Dementsprechend kann die im Rahmen einer Verhandlung unterbliebene Erörterung der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch keine Verpflichtung zur Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung begründen.

11 Sofern sich der Revisionswerber darüber hinaus gegen die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul oder Herat zur Verfügung, wendet, ist er auf die hg. Judikatur zu verweisen, wonach es sich hierbei letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall handelt, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

12 Neben allgemeinen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers führte das BVwG im Hinblick auf dessen persönliche Umstände aus, dass es sich bei diesem um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über eine neunjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung als Automechaniker und Sekretär verfüge. Der Revisionswerber habe bereits zweimal in Herat gelebt und gearbeitet, weshalb er mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sei, spreche die Sprache Dari und verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsstadt sowie über Bezugspersonen in Herat. Der Revisionswerber könne zumindest vorübergehend Unterstützung durch seine Familie erwarten und Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

13 Soweit der Revisionswerber dazu auf die in den Revisionsgründen dargelegten aktuellen Berichte und deren Relevanz verweist, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der hg. Judikatur die Gründe für die Zulässigkeit der Revision (insbesondere auch) gesondert von den Revisionsgründen gemäß § 28 Abs. 1 Z 5 VwGG darzustellen sind. Auf Vorbringen zur Revisionsbegründung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision ist nicht einzugehen, selbst wenn es als Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision bezeichnet ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0470 bis 0473).

14 Werden darüber hinaus Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel aufgrund fehlender Feststellungen betreffend die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0107). Die Revision vermag jedoch vor dem Hintergrund der fallbezogenen Feststellungen, welchen nicht substantiiert entgegengetreten wird, keine besonderen Umstände aufzuzeigen, weshalb ein Leben in Herat oder Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sein sollte (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/01/0106).

15 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. wiederum VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

16 Insoweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach der Verwaltungsgerichtshof - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen, soweit der Sachverhalt genügend erhoben ist und die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. VwGH 28.9.2018, Ra 2018/20/0440). Eine solche Unvertretbarkeit vermag die Revision aber nicht aufzuzeigen.

17 In Bezug auf die Zulassungsausführungen im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 2.9.2015, Ra 2015/20/0023).

18 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 26.4.2018, Ra 2018/21/0022, mwN).

19 Das BVwG ist unter Zugrundelegung der Erwägungen zum subsidiären Schutz von der Möglichkeit der Schaffung einer Existenzgrundlage ausgegangen. Angesichts der sonstigen für die Interessenabwägung maßgebenden Faktoren ist fallbezogen nicht ersichtlich, dass das BVwG nicht alle relevanten Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG ausreichend berücksichtigt hätte (vgl. VwGH 17.12.2018, Ra 2018/14/0301, mwN).

20 Die Revision vermag daher nicht aufzuzeigen, dass die vom BVwG im vorliegenden Fall durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt oder in unvertretbarer Weise vorgenommen worden wäre, sodass sich diese als nicht revisibel erweist.

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 11. Februar 2019

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