VwGH 87/02/0073

VwGH87/02/007316.12.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Dorner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerden des AJ in Wien, vertreten durch Dr. Wenzel Drögsler, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 34/3, gegen die Bescheide 1. der Wiener Landesregierung vom 4. Februar 1987, Zl. MA 70‑11/980/86/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, und 2. des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Februar 1987, Zl. MA 70‑11/999/86/Str, betreffend Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37
AVG §45 Abs2
KFG 1967 §2 Z14
KFG 1967 §2 Z15
KFG 1967 §2 Z15a
KFG 1967 §36
KFG 1967 §36 lita
KFG 1967 §36 litd
MRK Art7 Abs1
StVO 1960 §20 Abs1
StVO 1960 §20 Abs2
VStG §1 Abs2
VStG §22 Abs1
VStG §25 Abs2
VStG §31 Abs3
VStG §44a
VStG §44a lita
VStG §44a litb
VStG §44a litc
VStG §44a Z1
VStG §44a Z2
VStG §44a Z3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:1987:1987020073.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wird, soweit mit ihm der Beschwerdeführer wegen einer Übertretung des „§ 36 lit. a und d KFG 1967“ bestraft worden ist, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben; im übrigen werden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.316,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe S 2.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers hinsichtlich Stempelgebühren und das Mehrbegehren der Bundeshauptstadt Wien werden abgewiesen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. April 1986, Zlen. 85/02/0275, 0276, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis wurde ein Bescheid der Wiener Landesregierung betreffend Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben; ferner wurde ein Bescheid des Landeshauptmannes von Wien betreffend Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des § 58 Abs. 2 KDV 1967 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Übertretungen des § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 Abs. 1, des § 36 lit. a und d sowie des § 64 Abs. 1 KFG 1967 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Über Ersuchen der belangten Behörden ergänzte die Erstbehörde, die Bundespolizeidirektion Wien, das Ermittlungsverfahren.

Mit dem zur Zl. 87/02/0073 angefochtenen Bescheid der Wiener Landesregierung wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Bestrafung wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 neuerlich keine Folge gegeben und der Spruch des Straferkenntnisses dahingehend geändert, daß die Tatumschreibung zu lauten hat, der Beschwerdeführer habe „am 1.1.1984 um 01.35 Uhr das als Motorfahrrad (Moped) zugelassene Fahrzeug mit dem Kennzeichen W nn in Wien 10, Favoritenstraße auf der Höhe der Franz‑Koci‑Straße gelenkt und dabei die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten“. Über ihn wurde eine Geldstrafe von S 800,-- (48 Stunden Ersatzarrest) verhängt.

Mit dem zur Zl. 87/02/0074 angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wurde der Berufung des Beschwerdeführers in Ansehung der Übertretung des § 58 Abs. 2 KDV 1967 Folge gegeben sowie in diesem Umfang das Straferkenntnis behoben und das Strafverfahren eingestellt; im übrigen wurde der Berufung keine Folge gegeben und das Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, daß die Umschreibung der als erwiesen angenommenen Taten zu lauten hat, der Beschwerdeführer habe „am 1.1.1984 um 01.35 Uhr in Wien 10, Favoritenstraße, auf der Höhe der Franz‑Koci‑Straße, das als Motorfahrrad zugelassene Fahrzeug mit dem Kennzeichen W nnn gelenkt, obwohl er 2) als Lenker von der Inbetriebnahme dieses Motorfahrrades Abstand nehmen hätte müssen, da anläßlich der zum angeführten Zeitpunkt erfolgten Fahrzeugkontrolle in Wien 10, Oberlaaer Straße festgestellt worden ist, daß das angeführte Kraftfahrzeug nicht mehr den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes 1967 und den aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen entsprochen hat, zumal der Fahrtrichtungsanzeiger bei dem als Kleinmotorrad anzusehenden Fahrzeug defekt war, 4) hat er das als Kleinmotorrad anzusehende Fahrzeug gelenkt und somit auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr, obwohl es als Kleinmotorrad nicht zugelassen war und die dafür vorgeschriebene Haftpflichtversicherung nicht bestand und 6) hat er das als Motorfahrrad zugelassene Fahrzeug gelenkt, obwohl er nicht im Besitze einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe, in die das als Kleinmotorrad anzusehende Fahrzeug fiel (Gruppe A), war“. Über ihn wurden deswegen zu 2) eine Geldstrafe von S 300,-- (18 Stunden Ersatzarrest), zu 4) eine Geldstrafe von S 1.000,-- (60 Stunden Ersatzarrest) sowie zu 6) eine Geldstrafe von S 1.000,-- (60 Stunden Ersatzarrest) verhängt.

In seinen an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerden macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Die belangten Behörden haben den Verwaltungsakt vorgelegt, je eine Gegenschrift erstattet und darin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Gerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:

1.1. Vorauszuschicken ist, daß entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers die angefochtenen Bescheide nicht mangels rechtswirksamer Zustellung an den Beschwerdeführer „nichtig“ sind. Zwar erfolgte die Zustellung der Bescheide an den früheren Rechtsvertreter des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren, obwohl der Beschwerdeführer durch den nunmehrigen Beschwerdevertreter der Erstbehörde mitgeteilt hatte, daß das Vollmachtsverhältnis zum früheren Rechtsvertreter gelöst worden sei, und gleichzeitig auch gegenüber dieser Behörde die Bevollmächtigung des Beschwerdevertreters nachgewiesen hatte. Doch gibt der Beschwerdeführer in seinen Beschwerden unmißverständlich zu erkennen, daß die dem früheren Rechtsvertreter zugemittelten Ausfertigungen der angefochtenen Bescheide von diesem an ihn weitergeleitetet worden sind. Mit dem tatsächlichen Zukommen der Bescheidausfertigungen an den Verwaltungsstrafbehörden gegenüber bevollmächtigten Beschwerdevertreter galten die Bescheide gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz des Zustellgesetzes als dem Beschwerdeführer zugestellt.

1.2. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers verstoßen die angefochtenen Bescheide auch nicht gegen § 31 Abs. 3 VStG 1950, wonach nach Ablauf von drei Jahren nach der Tat ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden darf. Der Beschwerdeführer übersieht in diesem Zusammenhang den dieser Gesetzesstelle mit der Novelle BGBl. Nr. 299/1984 angefügten zweiten Satz wonach die Zeit eines Verfahrens u.a. vor dem Verwaltungsgerichtshof in diese Frist nicht einzurechnen ist. Die Dauer des in das zitierte Vorerkenntnis mündenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, d.i. vom Tag des Einlangens der Beschwerden beim Verwaltungsgerichtshof am 28. November 1985 bis zur Zustellung des Vorerkenntnisses an die belangten Behörden am 12. Juni 1986, ist demnach in die dreijährige Verjährungsfrist nicht einzurechnen. Die Hemmung nach dem letzten Satz des § 31 Abs. 3 tritt auch hinsichtlich der vor dem Inkrafttreten der genannten VStG‑Novelle begangenen Verwaltungsübertretungen ein (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1987, Zl. 86/02/0171). Zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide war die derart zu berechnende Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen.

2. Im Vorerkenntnis wurden die im vorliegenden Beschwerdeverfahren noch zur Rede stehenden Bestrafungen deswegen aufgehoben, weil die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in einem mängelfreien Verfahren festgestellt worden war; die Bestrafung wegen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes hingen deswegen davon ab, weil es sich bei dem eine Geschwindigkeit von 90 km/h erreichenden Fahrzeug um ein Kleinmotorrad und nicht bloß um ein Motorfahrrad gehandelt hätte. Erst damit wäre die Tatbestandsmäßigkeit der gegenständlichen Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967 gegeben, weil diese Übertretungen unter Verwendung eines Motorfahrrades nicht begangen werden könnten.

Der Grund für die mit dem Vorerkenntnis erfolgte Aufhebung der Bestrafung wegen der Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 war darin gelegen, daß die belangte Behörde der Verantwortung des Beschwerdeführers, vom Standort der die Geschwindigkeit schätzenden Polizeibeamten aus sei keine verläßliche Geschwindigkeitsschätzung möglich gewesen, nicht durch ein ausreichendes Ermittlungsverfahren Rechnung getragen haben.

Die belangten Behörden haben im ergänzten Ermittlungsverfahren einen Lokalaugenschein durchgeführt, bei dem vom seinerzeitigen Standort des Streifenwagens aus die Länge der von den in diesem Streifenwagen sitzenden Polizeibeamten unbehindert eingesehenen Fahrtstrecke ermittelt wurde. Ungeachtet der nach der Begründung des angefochtenen Bescheides gegebenen Unklarheiten hinsichtlich der genauen Länge der Beobachtungsstrecke - die Rede ist einmal von 300 m, dann von 500 m ‑ und ungeachtet der möglicherweise einer Schätzung durch Personen, die in einem PKW sitzen, aufgrund der eingeschränkten Sichtverhältnisse anhaftenden Fehlerquellen bestehen in Ansehung des Ergebnisses dieser Schätzung keine Bedenken. Es liegt jedenfalls eine ausreichend lange Beobachtungsstrecke für die Schätzung eines vorbeifahrenden Fahrzeuges vor. Die bezughabenden Feststellungen sind durch Lichtbilder belegt. Der Beschwerdeführer war zu diesem Augenschein geladen, aber entschuldigt nicht erschienen. Daß dem Vertagungsantrag des Beschwerdeführers keine Folge gegeben worden ist und der Augenschein in seiner Abwesenheit durchgeführt wurde, stellt keinen Verfahrensmangel dar, weil es bei dem Augenschein darum gegangen ist, eine objektiv gegebene Sachlage an Ort und Stelle zu ermitteln, wobei weder der Standort der Polizeibeamten noch die Fahrtstrecke des Beschwerdeführers bestritten waren. Das relevante Sachverhaltselement der Länge der eingesehenen Beobachtungsstrecke konnte ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers ermittelt werden. Der Beschwerdeführer hat es auch bei der in Ansehung des Ergebnisses des Augenscheines gewährten Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme unterlassen, anzugeben, was er im Falle seiner Anwesenheit bei dem Augenschein an Zweckdienlichem vorgebracht hätte. Seine nunmehrige Rüge, die belangten Behörden hätten Ermittlungen darüber anstellen müssen, ob durch bauliche Maßnahmen zwischen Tat und Augenschein die Sichtverhältnisse verändert wurden, läuft auf einen bloßen Erkundungsbeweis hinaus. Überdies ergibt sich aus den Angaben des Meldungslegers beim Augenschein, daß sich daran nichts geändert habe.

3.1. Hinsichtlich der Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 macht der Beschwerdeführer ferner zu Unrecht geltend, die Tat sei nicht dem § 44 a lit. a VStG 1950 entsprechend umschrieben worden. Dem ist zu entgegnen, daß es bei einer Bestrafung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keiner Angabe des Ausmaßes der Überschreitung bedarf (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. März 1985, Zl. 84/02/0095, und vom 22. November 1985, Zl. 85/18/0101). Einer ziffernmäßigen Anführung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Spruch bedarf es auch nicht, ergibt sich diese doch aus der gemäß § 44 a lit. b VStG 1950 genannten verletzten Verwaltungsvorschrift des § 20 Abs. 2 StVO 1960 als im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (vgl. dazu bereits das Vorerkenntnis vom 24. April 1986, ZIen. 85/02/0275, 0276). Eine gesonderte im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit für Motorfahrräder gibt es nicht, ganz abgesehen davon, daß - wie unten ausgeführt - der Beschwerdeführer kein Motorfahrrad benützt hat.

3.2. Die Bestrafung des Beschwerdeführers nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 ist entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht infolge eingetretener Verfolgungsverjährung rechtswidrig. Innerhalb der sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 wurde schon insofern eine den Tatort (Wien 10, Favoritenstraße auf der Höhe der Franz-Koci-Straße) erfassende Verfolgungshandlung gesetzt, als der Tatort bereits in der Anzeige enthalten war und diese bereits am 22. Juni 1984 durch Gewährung der Akteneinsicht dem früheren Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zur Kenntnis gebracht werde. Die richtige rechtliche Qualifikation des vom Beschwerdeführer benützten Fahrzeuges ist in diesem Zusammenhang entbehrlich, weil - abgesehen davon, daß das Fahrzeug durch das Kennzeichen individualisiert wurde - es kein Tatbestandselement des § 20 Abs. 2 StVO 1960 darstellt, ob ein Motorfahrrad oder ein Kleinmotorrad benützt wurde. Schließlich ist es unverständlich, wieso „wohl auch der Vorwurf, daß ... die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet überschritten“ wurde, „sinnwidrig“ sein soll.

3.3. Die mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Bestrafung wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO 1960 erweist sich als mängelfrei. Die dagegen erhobene Beschwerde ist unbegründet und gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

4.1. Da sich die Feststellung der Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers mit ca. 90 km/h durch die Wiener Landesregierung ungeachtet des unter 2. genannten möglichen Fehlerquellen als mängelfrei erweist, ergibt sich im Sinne des Vorerkenntnisses, daß es sich bei dem vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeug um ein Kleinmotorrad gehandelt hat und da der Beschwerdeführer, auch wenn er kein geschulter und geprüfter Kraftfahrzeuglenker war, bei einer jedenfalls das Doppelte der Baugeschwindigkeit eines Motorfahrrads eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit diesen Umstand hätte erkennen können und müssen.

4.2. Der Beschwerdeführer bringt außer den in obigen Punkten 1 und 2 genannten Argumenten gegen den Vorwurf, er habe Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes 1967 übertreten, lediglich vor, es stelle eine unzulässige reformatio in peius dar, die im erstinstanzlichen Straferkenntnis als zwei verschiedene Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen von je S 500,-- geahndeten Verstöße gegen § 36 lit. a und lit d KFG 1967 nunmehr im angefochtenen Bescheid als eine (einheitliche) Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von S 1.000,-- zu bestrafen.

Dabei handelt es sich - wie der belangte Landeshauptmann von Wien in der Gegenschrift ausführt - zwar um keine reformatio in peius, weil das Ausmaß der über den Beschwerdeführer insgesamt verhängten Strafe gleichgeblieben ist. Dennoch liegt darin eine inhaltliche Rechtswidrigkeit. Bei den verschiedenen in litera gegliederten Tatbeständen des § 36 KFG 1967 handelt es sich um jeweils getrennte und voneinander rechtlich unabhängige Verwaltungsübertretungen. So kann insbesondere § 36 lit. d leg. cit. übertreten werden, ohne daß ein Verstoß gegen § 36 lit. a vorliegt. Der Verwaltungsgerichtshof teilt nicht die Auffassung der belangten Behörde, es handle sich dabei nur um eine Verwaltungsübertretung. Der Beschuldigte hat einen Anspruch auf Angabe der ihm zu Last gelegten strafbaren Handlung und der betreffenden verletzten Verwaltungsvorschrift. Eine Übertretung nach „§ 36 lit. a und lit. d KFG 1967“ gibt es nicht; dementsprechend ist auch das Lenken eines Kraftfahrzeuges „ohne Zulassung und ohne Haftpflichtversicherung“ nicht bloß eine Verwaltungsübertretung. Im Falle des Vorliegens mehrerer Verwaltungsübertretungen wird durch die Nichtanwendung des § 22 VStG 1950 dem Beschuldigten die Möglichkeit genommen, sich gegen die strafrechtliche Verfolgung jedes einzelnen der ihm zur Last gelegten Delikte zur Wehr zu setzen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes Slg. Nr. 7993 A/1971 und Nr. 8596 A/1974, sowie die Erkenntnisse vom 18. März 1981, Zl. 03/2242/80, und vom 28. Februar 1985, Zl. 85/02/0095 und Zl. 85/02/0118). In diesem Umfang ist der angefochtene Bescheid des Landeshauptmannes von Wien gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im übrigen ist die Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Hinsichtlich der zitierten unveröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes wird an Art 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren des Beschwerdeführers war abzuweisen, weil nur eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides des Landeshauptmannes von Wien vorzulegen und zu vergebühren war. Das Mehrbegehren der Bundeshauptstadt Wien war abzuweisen, weil der einheitliche Verwaltungsakt beider belangten Behörden vorgelegt wurde, sodaß jeder dieser Behörden nur der halbe Vorlageaufwand zugesprochen werden kann.

Wien, am 16. Dezember 1987

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