VwGH 86/02/0171

VwGH86/02/01715.11.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, Dr. Domittner, Dr. Dorner, Dr. Stoll, Dr. Bernard, DDr. Jakusch und Dr. Sittenthaler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des Dr. X, Rechtsanwalt in Y, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. September 1986, Zl. MA 70-11/1170/86/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31 Abs3;
VwGG §13 Abs1 Z1;
ZustG §13 Abs3;
ZustG §13 Abs5;
EMRK Art7 Abs1;
VStG §1 Abs2;
VStG §31 Abs3;
VwGG §13 Abs1 Z1;
ZustG §13 Abs3;
ZustG §13 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. September 1986 wurde der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung nach "§ 99/3a i.V.m. 52/10a StVO" schuldig erkannt und hiefür bestraft, weil er am 30. Oktober 1982 um 19.50 Uhr in Wien 10, Triesterstraße nächst Hermannsweg Richtung stadteinwärts, einen dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkw gelenkt "und dabei die gemäß § 52/10a StVO kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erheblich überschritten" habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 31 Abs. 3 VStG 1950 darf u.a. ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden, wenn seit dem im Abs. 2 bezeichneten Zeitpunkt drei Jahre verstrichen sind. Die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof ist in diese Frist nicht einzurechnen.

Dieser zweite Satz des § 31 Abs. 3 VStG 1950 wurde, ohne daß eine Übergangsregelung getroffen worden wäre, erst durch die Novelle BGBl. Nr. 299/1984 mit Wirksamkeit vom 1. August 1984 hinzugefügt, und es stellt sich daher im vorliegenden Beschwerdefall im Hinblick auf den zeitlich davor liegenden Tatzeitpunkt am 30. Oktober 1982 und den Umstand, daß in der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache vor Ablauf der im § 31 Abs. 3 erster Satz VStG 1950 genannten Frist bereits das mit dem aufhebenden Erkenntnis vom 12. Juni 1986, Zl. 85/02/0220, abgeschlossene Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof anhängig war, die Frage, ob diese (neugeschaffene) Bestimmung Anwendung findet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Verlängerung der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 durch die Novelle BGBl. Nr. 101/1977 in seinem Erkenntnis vom 11. September 1979, Zlen. 523, 525/79, ausgesprochen, daß sich ab dem Inkrafttreten der Novelle bezüglich dieser Bestimmung am 1. März 1977 die Verjährungsfrist, die bis dahin drei Monate betragen hatte, um drei weitere Monate, und zwar, da eine entsprechende Übergangsbestimmung fehle, in den Fällen, in denen die Verjährungsfrist nach der früheren Rechtslage an diesem Tag oder später geendet hätte, verlängerte. Nur hinsichtlich jener Taten, die bereits vor dem 1. März 1977 auf Grund des Ablaufes der bis dahin geltenden Dreimonatsfrist verjährt waren, hätte eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht mehr eintreten können. Dem Eintritt der Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate für Taten, die zwar vor dem 1. März 1977 begangen, aber am 1. März 1977 mangels Ablaufes der früher geltenden dreimonatigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt gewesen seien, stehe auch die Bestimmung des § 1 Abs. 2 VStG 1950 nicht entgegen, zumal sich diese nur auf die Strafe beziehe, nicht aber auf Verjährungsregelungen. Dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat sich der Verfassungsgerichtshof in Ansehung eines gleichgelagerten Falles in seinem Erkenntnis vom 11. Juni 1982, Slg. Nr. 9382, ausdrücklich angeschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dementsprechend auch bisher in seinen Erkenntnissen vom 23. Mai 1985, Zl. 85/02/0163, und vom 11. August 1987, Zl. 87/08/0155, ausdrücklich den Standpunkt vertreten, daß § 1 Abs. 2 VStG 1950 eine Auslegung, § 31 Abs. 3 zweiter Satz VStG 1950 sei auch auf Straftaten anzuwenden die vor dem 1. August 1984 begangen wurden, nicht hindere. Daß es hiebei allerdings darauf ankommt, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 31 Abs. 3 zweiter Satz VStG 1950 die Tat (nach der früher bestehenden Regelung) noch nicht verjährt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren (zumindest teilweise) nach diesem Zeitpunkt anhängig war, wurde unter anderem in den beiden zuletzt genannten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes betont. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Judikatur abzugehen. Ein allgemeines (die Verjährungsbestimmungen erfassendes) "Günstigkeitsprinzip" läßt sich auch aus Art. 7 Abs. 1 MRK nicht ableiten.

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 1987 wurde in der vorliegenden Beschwerdesache - nach Zitierung des § 31 Abs. 3 VStG 1950 und schlüssig davon ausgehend, daß dessen zweiter Satz anzuwenden ist - den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG Gelegenheit gegeben, sich zu folgenden Gründen, die für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides maßgebend sein könnten, zu äußern:

"Da im vorliegenden Beschwerdefall zwar der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebende Zeitpunkt der 30. Oktober 1982 war, jedoch in der betreffenden Angelegenheit ein Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Zl. 85/02/0220 anhängig war, endete die genannte Frist nicht bereits am 30. Oktober 1985. Sie wurde vielmehr im Hinblick darauf, daß nach der Aktenlage die diesbezügliche Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof am 12. August 1985 eingelangt ist und das darüber ergangene Erkenntnis vom 12. Juni 1986 (lt. hg. Zustell- und Übergabsbuch) an die belangte Behörde am 11. Juli 1986 zugestellt wurde, entsprechend verlängert. Es ergibt sich daher folgende Berechnung, daß vom 12. August 1985 (Einlangen der Beschwerde) bis zum 30. Oktober 1985 (Ende der Verjährungsfrist ohne Einbringung der Beschwerde) noch 80 restliche Tage für den Ablauf der Verjährungsfrist verblieben, die nun neuerlich ab 12. Juli 1986 (Tag nach Zustellung des Erkenntnisses) zu berücksichtigen und daher am 29. September 1986 verbraucht waren. Dies stimmt im Ergebnis auch mit der Auffassung überein, die die belangte Behörde und die Bundespolizeidirektion Wien, Revisionsbüro für Polizeistrafsachen, intern im Zusammenhang mit der von ihnen notwendig erachteten Beschleunigung der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens vertreten haben (siehe Bl. 71 und 72 des vorgelegten Verwaltungsstrafaktes). Der angefochtene Bescheid wurde jedoch dem Beschwerdeführer erst am 30. September 1986, also nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 3 VStG 1950, zugestellt und damit erlassen. Aus diesem Grunde könnte daher der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet sein."

Der Beschwerdeführer hat sich dazu nicht geäußert, während die belangte Behörde in ihrer schriftlichen Stellungnahme dieser vorläufigen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich nicht entgegengetreten ist. Der Verwaltungsgerichtshof findet auch daher keinen Grund, diese Rechtsansicht nicht mehr aufrecht zu erhalten.

Entscheidend dafür, daß man zur angenommenen Rechtswidrigkeit gelangt, ist allerdings, daß für den neuerlichen Beginn des (fortgesetzten) Fristenlaufes nicht der Zeitpunkt der Zustellung des genannten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Juni 1986, Zl. 85/02/0220, an den Beschwerdeführer am 13. Juli 1986, sondern vielmehr jener der Zustellung an die belangte Behörde (im Wege der sogenannten "Staatsämterabfertigung") am 11. Juli 1986 maßgebend war. Da es sich bei der Frist des § 31 Abs. 3 VStG 1950 um eine Ausschlußfrist handelt, nach deren Ablauf die (rechtliche) Möglichkeit behördlicher Verfolgung verwirkt ist, weshalb die Einhaltung dieser Frist von der Behörde wahrzunehmen ist, vertritt der Verwaltungsgerichtshof nunmehr - unter Abgehen von der in seinen Erkenntnissen vom 21. November 1985, Zl. 85/02/0260, und vom 16. September 1987, Zl. 87/03/0092, zum Ausdruck kommenden gegenteiligen Rechtsansicht - den Standpunkt, daß hiefür im gegebenen Zusammenhang ausschließlich der Zeitpunkt der Zustellung des Erkenntnisses an die belangte Behörde von Belang ist. Die Wahrnehmung der Frist des § 31 Abs. 3 VStG 1950 war der belangten Behörde im vorliegenden Beschwerdefall bereits wieder ab dem Zeitpunkt der Zustellung des die gleiche Verwaltungsstrafsache betreffenden, vorangegangenen Erkenntnisses an sie möglich.

Ergänzend wird bemerkt, daß die sogenannte "Staatsämterabfertigung" nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes mit den Bestimmungen des Zustellgesetzes, auch wenn dieses (ebenso wie die früher geltenden Zustellbestimmungen der §§ 21 ff AVG 1950) einen derartigen Begriff nicht kennt, im Einklang steht. Die Zustellung durch einen Bediensteten des Verwaltungsgerichtshofes ist durch § 2 i.V.m. § 3 Zustellgesetz gedeckt. Nach § 13 Abs. 5 leg. cit. kann außerhalb der Abgabestelle vorbehaltlich des § 24 (unmittelbare Ausfolgung bei der Behörde) rechtswirksam (nur) zugestellt werden, wenn die Annahme der Sendung nicht verweigert wird. Bei der gewählten Vorgangsweise lag nicht nur keine Verweigerung der Annahme der Sendung vor, sondern es wurde vielmehr - wie dies der ständigen Übung entsprach - eigens ein Bediensteter der belangten Behörde mit der Empfangnahme von für sie als Empfänger bestimmten Sendungen anderer Behörden (auch des Verwaltungsgerichtshofes) beauftragt, sodaß nicht gesagt werden kann, daß dieser Person lediglich reine Botenfunktion zugekommen wäre, sondern sie als ein zur Empfangnahme befugter Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. anzusehen war. Es war daher die im vorliegenden Beschwerdefall am 11. Juli 1986 im Wege der "Staatsämterabfertigung" (bei der das Organ der belangten Behörde die Übernahme der Sendung im hg. Zustell- und Übergabsbuch bestätigte) erfolgte Zustellung des Erkenntnisses vom 12. Juni 1986, Zl. 85/02/0220 (und nicht das aktenkundige, auch sonst hinsichtlich der Rechtswirksamkeit einer Zustellung unmaßgebliche Einlangen der Sendung bei der mit der Verwaltungsstrafsache konkret befaßten Magistratsabteilung am 14. Juli 1986) für die Fortsetzung des Fristenlaufes relevant.

Daraus ergibt sich zusammenfassend, daß im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides Verjährung gemäß § 31 Abs. 3 VStG 1950 eingetreten war, jedoch die belangte Behörde diesen Umstand nicht beachtet hat.

Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 5. November 1987

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