AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:L512.2207215.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
1.) Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Sebastian SIUDAK, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle St. Pölten, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der islamischen Republik Iran, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Sebastian SIUDAK, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle St. Pölten, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, §§ 57 und 55, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführer (in weiterer Folge entsprechend der Reihenfolge im Spruch als BF1-2 bezeichnet), Staatsangehörige der islamischen Republik Iran, brachten nach der Rücküberstellung von XXXX am 24.11.2017 bei der belangten Behörde Anträge auf internationalen Schutz ein.
Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF1 am 24.11.2017 zusammengefasst Folgendes vor:
Er sei verheiratet, ohne Bekenntnis und gehöre der Volksgruppe der Perser an. Er habe 5 Jahre die Volksschule, 3 Jahre die Mittelschule, 3 Jahre das Gymnasium, ein Jahr einen Vorstudienlehrgang und 4 Jahre die Universität besucht. Er habe zuletzt als XXXX gearbeitet.
Der BF1 sei legal aus dem Iran mittels Flug von XXXX nach XXXX ausgereist und habe nach seiner Ankunft in XXXX von seiner Schwiegermutter erfahren, dass Personen in Zivil gekleidet den BF1 gesucht und das Haus durchsucht hätten. Sie hätten seinen PC, zwei Laptops, Dokumente sowie mehrere Bücher, welche im Iran verboten seien, mitgenommen. Aus Angst um sein Leben habe er den Entschluss gefasst, nicht mehr in den Iran zurückzukehren, weil er befürchte, verhaftet zu werden.
Die BF2 brachte im Wesentlichen vor, dass sie verheiratet sei, Muslima bzw. Schiitin sei und der Volksgruppe der Perser angehöre. Sie hätte mit dem BF1 ihre XXXX in Österreich verbringen wollen. Als sie in XXXX gewesen seien, hätten sie von ihrer Mutter erfahren, dass mehrere in Zivil gekleidete Personen den BF1 gesucht und das Haus durchsucht hätten. Diese Männer hätten einen Computer, zwei Laptops, Dokumente, Bücher und CDs mitgenommen. Da sie im Falle der Rückkehr in den Iran am Flughafen verhaftet werden würden, hätten sie den Entschluss gefasst, nicht mehr in den Iran zurückzukehren.
Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachten die BF 1-2 am 21.03.2018 zu ihren Ausreisegründen zusammengefasst Folgendes vor:
Der BF1 gab an, dass er und die BF2 wegen der XXXX nach XXXX geflogen seien. Die Familie der BF2 habe mit ihnen telefoniert und gesagt, dass Leute in Zivil in die Wohnung der BF1-2 gekommen seien. Sie hätten alles durchsucht und ihre Sachen mitgenommen (zB 2 Laptops, einen Computer, einige CDs, ein paar Bücher und einige Dokumente der BF2). Den Schwiegervater des BF1 hätten sie auch mitgenommen. Der BF1 habe dann mit seinem Bruder in XXXX telefoniert und ihm den Vorfall geschildert. Dieser habe ihm gesagt, dass er wegen der Einstellung zur iranischen Regierung verfolgen werden würde. Der BF1 sei absolut nicht einverstanden, was in diesem Land passiere. Er habe über dieses Thema Bücher, CDs und über XXXX ausländische Fernsehsendungen angeschaut. Der BF1 sei nicht politisch engagiert. Er habe Probleme mit dem Islam, XXXX Jahre im Iran gelebt und wisse alles. Er wisse, dass die Regierung die Leute anlüge. Im Koran stehe zB wenn jemand nicht Moslem sei, dürfe man ihn töten, was menschlich nicht richtig sei. Es sei eine Religion gegen Menschen.
Die BF2 brachte vor, dass sie wegen der XXXX in XXXX gewesen seien. Ihre Mutter habe dann angerufen und gesagt, dass die Situation so sei, dass sie nicht in ihr Elternhaus heimkehren könnten. Ein paar Leute seien in ihre Wohnung gekommen und hätten alles durchsucht und den BF1 gesucht. Sie seien in Zivil gewesen und man habe nicht wissen können, woher sie kommen. Sie hätten einen Laptop, Computer, Bücher und CDs mitgenommen. Die BF2 habe im Iran verbotene Kurse über islamisch-iranische Mystik besucht und könne es sein, dass die Originalkursbesuchsbestätigungen bei der Durchsuchung mitgenommen worden sein. Ansonsten beziehe sie sich auf die Fluchtgründe des BF1.
I.2. Die Anträge der BF1-2 auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die BF 1-2 Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die von den BF1-2 dargelegten Gründe für die Asylantragstellung aufgrund der widersprüchlichen Vorbringen nicht glaubhaft seien.
I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.
I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK dar. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1 a FPG vorliegen würden.
I.3. Gegen diese Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben und mit Schriftsatz vom 16.10.2018 ergänzt.
I.4. Für den XXXX lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung. Den Verfahrensparteien wurden mit den Ladungen Länderberichte zur Lage im Iran zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum Zeitpunkt der anberaumten Verhandlung schriftlich bzw. in der Verhandlung mündlich hierzu zu äußern.
I.5. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde den BF1-2 die Möglichkeit eingeräumt, zur Integration, dem Fluchtvorbringen und der Rückkehrsituation Stellung zu nehmen.
I.6. Mit Verständigung vom 02.06.2022 wurden den BF1-2 aktuelle Länderinformationen zum Iran sowie angeforderte Unterlagen der XXXX Asylbehörden übermittelt, woraufhin die Vertretung der BF1-2 mit Schriftsatz vom 17.06.2022 eine Stellungnahme erstattete.
I.7. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
II.1.1. Die Beschwerdeführer 1-2
Bei den BF1-2 handelt es sich um iranische Staatsbürger und Angehörige der Volksgruppe der Perser, welche die Sprache Farsi sprechen. Die BF1-2 sind seit dem XXXX verheiratet (iranische Heiratsurkunde vom XXXX , AS 111 BF1). Die Identität der BF1 und der BF2 steht fest.
BF1:
Der BF1 besuchte im Iran die Schule bis zur Matura und studierte XXXX . Anschließend hat der BF1 seinen Militärdienst geleistet und war danach in einem XXXX als XXXX tätig.
Im Iran sind nach wie vor zwei Brüder des BF1 sowie mehrere Onkel und Tanten aufhältig (AS 87). Ein Bruder des BF1 ist in XXXX wohnhaft. Die Eltern des BF1 sind bereits verstorben. Der Vater ist am XXXX verstorben und wurde bei der Leichenschau ein Tod XXXX festgestellt. Eine weitere Obduktion wurde von der Ehegattin, einem Bruder und dem Vater nicht gewünscht und der Vater des BF1 beerdigt (iranischer Leichenschaubericht vom XXXX , drei Aussageprotokolle der iranischen Polizei vom XXXX ).
Der BF1 steht mit seinen Brüdern in Kontakt (VS 6). Ein Bruder im Iran ist beim XXXX tätigt und der weitere Bruder arbeitet in XXXX .
BF2:
Die BF2 besuchte im Iran bis zur Matura die Schule, studierte XXXX , war anschließend aber nicht berufstätig. Die BF2 war Hausfrau und lebte nach der Eheschließung mit dem BF1 in einer Wohnung in ihrem Elternhaus.
Die Eltern der BF2, ein Bruder sowie eine Schwester sind nach wie vor im Iran aufhältig.
BF1-2:
Der BF1 leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und ist arbeitsfähig.
Die BF2 ist seit April 2021 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Sei leidet zudem an einer schweren depressiven Symptomatik mit somatischem Syndrom, starken Angstzuständen, massiven Schlafstörungen, Alpträumen und Konzentrationsschwierigkeiten. Sie leidet an einer Pollenallergie und nimmt diesbezüglich Medikamente. Die BF 2 ist arbeitsfähig.
Am XXXX verließen die BF1-2 den Iran legal mittels Flug von XXXX in die XXXX und von dort nach Österreich, wo sie noch am selben Tag einreisten. Die BF1-2 verfügten über ein Visum C der XXXX mit der Gültigkeitsdauer vom XXXX bis XXXX .
Am XXXX reisten die BF1-2 aus Österreich aus. Am XXXX stellten die BF1-2 in XXXX Anträge auf internationalen Schutz und wurden von dort am XXXX nach Österreich rücküberstellt wurden.
Seit der Rücküberstellung nach Österreich halten sich die BF1-2 durchgehend im Bundesgebiet auf.
Die BF1-2 gehen in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber. Die BF1-2 verfügen in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel.
Die BF1-2 sind in Österreich seit Juni 2018 ehrenamtlich bei der Initiative XXXX tätig (BF1: Möbeltransport und –aufbau, Hilfeleistung bei Übersiedlungs- und Entrümpelungsaktionen, Übersetzungstätigkeiten, BF2: Kleider- und Sachspenden sortieren, Übersetzungstätigkeiten).
Der BF1 verrichtet auch bei der Stadtgemeinde XXXX gemeinnützige Tätigkeiten (Mithilfe bei Grünflächenbetreuung am Friedhof).
Am 06.02.2020 nahmen die BF1-2 an der XXXX teil.
Die BF2 hat an dem Kurs XXXX vom 16.09.2019 bis September 2019 (voraussichtliches Ende Juni 2020) teilgenommen.
Die BF1-2 haben Deutschqualifizierungsmaßnahmen besucht und haben die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten der Sprachkompetenz (Niveau B1) und zu Werte- und Orientierungswissen am 30.09.2019 bestanden.
Am 24.05.2019 haben die BF1-2 an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen.
Die BF1-2 verfügen in Österreich über freundschaftliche sowie soziale Kontakte.
Die BF1-2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der BF1 erklärte am XXXX seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Die BF2 erklärte am XXXX ihren Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Der BF1 verfügt über Benutzerprofile auf XXXX . Er scheint bei XXXX unter dem Profilnamen „ XXXX “ auf und bei XXXX unter „ XXXX “.
Das XXXX des BF1 ist seit XXXX aktiv, verfügt über XXXX Abonnenten und wurden in dieser Zeit XXXX veröffentlicht.
Über das XXXX mit XXXX Follower verfügt der BF1 seit XXXX und veröffentlicht dort durchschnittlich jeden zweiten Tag sogenannte „Tweets“.
II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Iran:
COVID-19
Letzte Änderung: 23.05.2022
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt
die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren. Die Covid-Lage flachte nach einer dramatischen fünften Welle im August 2021 mit den weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist Iran noch stark von der Pandemie betroffen. Beispielsweise herrscht in den Krankenhäusern ein gravierender Mangel an medizinischen Gütern, und es wird befürchtet, dass die Sanktionen den Zugang zu medizinischer Ausrüstung und Produkten zusätzlich erschwert haben. Gesundheitsexperten zufolge haben die begrenzten Impfstoffvorräte und die schleppende Impfkampagne erheblich zu der Gesundheitskrise beigetragen (HRC 13.1.2022). Bis Ende 2021 wurden in Iran über sechs Millionen Covid-Fälle und mehr als 130.000 Todesfälle registriert (UNHCR 14.4.2022). Bei einer Einreise nach Iran ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Ein Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen ist erforderlich. Personen, die (auch) im Besitz der iranischen Staatsangehörigkeit sind und daher mit einem iranischen Pass einreisen, benötigen jedenfalls einen maximal 72 Stunden alten PCRTest in englischer Sprache (BMeiA 19.5.2022). Reisende können bei der Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute nach ihren geplanten Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei Covid-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen und ein Covid-19-Test vorgenommen werden. Ein erneuter Covid-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bei einem positiven Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-) Anweisungen. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollten Reisende innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an Covid-19 hinweisen, kann ebenfalls ein erneuter Test durchgeführt werden. Abweichende Handhabungen sind jederzeit und kurzfristig möglich. Landgrenzen bleiben weiterhin größtenteils geschlossen. Es gibt Einschränkungen im Flugverkehr. Transitflüge einiger internationaler Fluglinien sowie Direktflüge zu verschiedenen europäischen Destinationen werden durchgeführt. Es kann dabei stets zu kurzfristigen Änderungen des Flugplans kommen (AA 19.5.2022b). Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage,
Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann einen Lockdown und eine Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente - auch in Spitalsbehandlung - konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger bzw. Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer zusammenkommen, ohne Abstand zu halten (ÖB Teheran 11.2021). Die Covid-19-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage. Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als ’middle income country’ muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird
unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 13.1.2022). Das iranische Gesundheitsministerium berichtete, dass bis Ende Dezember über 50 Millionen Menschen in Iran vollständig geimpft waren, darunter über 1 Million afghanische Staatsangehörige, einschließlich Flüchtlinge und Menschen ohne Registrierung. In enger Zusammenarbeit mit dem Büro für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) unterstützt UNHCR die iranische Regierung weiterhin bei der Bekämpfung von Covid-19 (UNHCR 14.4.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reiseund
Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/
de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 19.5.2022
• BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich]
(19.5.2022, unverändert gültig seit 17.5.2022): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv
.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 19.5.2022
• GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https:
//www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus , Zugriff 19.5.2022
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A
_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 19.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 19.5.2022
• UNHCR (14.4.2022): COVID-19 response in the Islamic Republic of Iran, December 2021, https:
//reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-response-islamic-republic-iran-december-2021
, Zugriff 19.5.2022
Politische Lage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer ’ (GIZ 12.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AA 14.9.2021b). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vgl. FH 28.2.2022), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 28.2.2022). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022, US DOS 12.4.2022). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50% und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26%. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vgl. DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 28.1.2022). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (ZO 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament seinen Vorschlag für das Kabinett gebilligt, und damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Amtsträger im Staat (FH 28.2.2022). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt (GIZ 12.2020a), da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a; vgl. OD 19.1.2022). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80% der Sitze im Parlament gewonnen (AA 28.1.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6%, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 28.2.2022; vgl. AA 28.1.2022) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021). Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unteranderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a, FH 28.2.2022, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch
den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 14.9.2021a; vgl. GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a). Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den von Revolutionsführer und Justizchef ernannten
Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 28.1.2022; vgl. FH 28.2.2022). Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der ’islamischen Gesellschaftsordnung’ (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung ’westlicher’ Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 4.3.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswae
rtiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450 , Zugriff 4.3.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-a
mt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394 , Zugriff 4.3.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 4.3.2022
• DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw.com/de/
raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660 , Zugriff 4.3.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 4.3.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte
und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 4.3.2022 [Anm.: Der
Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und
einsehbar.]
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 4.3.2022
• OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1.
Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_ope
n_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf , Zugriff 4.3.2022
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d.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran
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• Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/asien/ir
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2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 4.3.2022
• ZO – Zeit Online (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-praes
identenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei , Zugriff 4.3.2022
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 19.5.2022).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 19.5.2022). In Iran kommt es, vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 19.5.2022b). In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 19.5.2022b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 19.5.2022). In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen
sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 19.5.2022b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 19.5.2022). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 19.5.2022). Obwohl die iranische Führung den Taliban in Afghanistan misstrauisch gegenübersteht, begrüßte sie im August 2021 nicht nur das Ende des Bürgerkriegs in Afghanistan, sondern auch den Abzug der US-geführten Koalition aus dem Land, insbesondere von den Ostgrenzen Irans. Iranische Beamte haben Taliban-Vertretern im April 2022 erlaubt, in die afghanische Botschaft in Teheran zurückzukehren. Dennoch sind die Taliban-Mitarbeiter nur befugt, konsularische Aufgaben wahrzunehmen, da Iran, wie alle anderen Regierungen auch, die Taliban nicht offiziell als Regierungsbehörde Afghanistans anerkannt hat. Das Misstrauen Irans gegenüber den Taliban besteht weiterhin, was zum Teil durch mehrere Bombenanschläge auf afghanische schiitische Moscheen, die von den Sicherheitskräften der Taliban nicht verhindert werden konnten, sowie durch angebliche Misshandlungen von Schiiten durch die Taliban genährt wurde. Ende April 2022 kam es im Bezirk Islam Qala westlich von Herat zu Zusammenstößen zwischen iranischen Grenzschützern und afghanischen Streitkräften, weil die Afghanen in der Nähe der Grenze Straßen gebaut hatten. Die afghanischen Behörden reagierten darauf mit der Beschlagnahmung eines iranischen Militärfahrzeugs, woraufhin Iran zusätzliche reguläre Boden- und Hubschrauber-Militäreinheiten (keine Kräfte der Islamischen Revolutionsgarden) an die Grenze entsandte. Iran schloss den Grenzübergang vorübergehend und spielte die militärische Aufstockung als Teil der routinemäßigen Grenzsicherheitsmaßnahmen herunter. Beamte des iranischen Außenministeriums kritisierten gleichzeitig die Afghanen wegen ’möglicher mangelnder Fähigkeiten’ und der Unfähigkeit, die Grenzpunkte zwischen den beiden Ländern zu unterscheiden. Beide Seiten versuchten daraufhin, die Spannungen zu entschärfen, indem sie ankündigten, dass der amtierende Taliban-Minister für Flüchtlinge und Rückführungen Anfang Mai eine Delegation nach Iran führt, um die Grenzzusammenstöße und die angebliche iranische Misshandlung afghanischer Flüchtlinge zu besprechen (SC 4.5.2022)
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reiseund
Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/ira
nsicherheit/202396 , Zugriff 19.5.2022
• EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (19.5.2022, unverändert
gültig seit 7.4.2022): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertr
etungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 19.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 19.5.2022
• SC – Soufan Center (4.5.2022): IntelBrief: Border Clashes Mar the Taliban’s Regional Relationships,
https://thesoufancenter.org/intelbrief-2022-may-4/ , Zugriff 19.5.2022
Verbotene Organisationen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 28.1.2022).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der türkischen Arbeiterpartei Kurdistans - PKK, zusammenarbeitet (AA 28.1.2022). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 11.2021) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten Irans durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um dadurch Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021). Hinsichtlich des Risikos für politische Aktivitäten verhaftet zu werden, ist die Art der Aktivität entscheidend. Andauernde politische Aktivitäten werden eher in einer Anklage enden. Auch Personen, die mit politischem Material oder beim Anbringen politischer Slogans an Wänden erwischt werden, laufen Gefahr, verhaftet zu werden. Eine Person, die nur eine einzige politische Aktivität auf niedrigem Niveau setzt - z.B. Verteilen von Flugblättern - läuft kaum Gefahr,
deswegen angeklagt zu werden (DIS/DRC 23.2.2018).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 4.3.2022
• AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International’s written statement to the 40thsessionof
theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https:
//www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf , Zugriff
4.3.2022
• AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical
Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_152
9323691_mde1385982018english.pdf , Zugriff 4.3.2022
• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political
activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds
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• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/ Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran:
Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ec
oi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-in
cluding-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 4.3.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi
.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 4.3.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 4.3.2022
Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Organisation
of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, ’iranische Volksmudschahedin’) gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Landinfo 12.4.2021, EUAA 30.3.2022) und wird für die Ermordung von 17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vgl. GS o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als ’moharebeh’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 11.2021). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019; vgl. Landinfo 12.4.2021, EUAA 30.3.2022). Im Juni 2018 wurde ein geplanter Terroranschlag auf ein MEK-Treffen nahe Paris vereitelt (ÖB Teheran 11.2021). Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er-Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Sie unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er-Jahre aus Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden Hunderte bis Tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet (SFH 20.7.2018; vgl. Landinfo 12.4.2021). In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder im Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager im Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vgl. Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und die USA weitergereist (Guardian 9.11.2018). Die iranischen Behörden beobachten die Aktivitäten von MEK-Mitgliedern im Exil (Landinfo 12.4.2021).
Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen im Irak, bei diversen
Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vgl. Guardian 9.11.2018). Obwohl die MEK behauptet, das iranische Volk zu vertreten und ihre Rolle bei den Volksaufständen der letzten Jahre betont, gibt es kaum Anzeichen dafür, dass sie in Iran signifikante Unterstützung erhält. Das iranische Regime betrachtet die MEK als Terrororganisation und wirft ihr vor, in Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten Proteste anzuzetteln. Folglich riskieren diejenigen, die im Verdacht stehen, Verbindungen zu dieser Gruppe zu haben - einschließlich der Familienmitglieder - starke Reaktionen (Landinfo 12.4.2021; vgl. ACCORD 7.2018). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, dass sie aber in Iran aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung genießt (ÖB Teheran 11.2021). In den letzten Jahren scheint sich die MEK darauf zu konzentrieren, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und als praktikable Alternative zum derzeitigen Regime internationale Unterstützung zu gewinnen. Die Organisation führt umfassende PR- und Lobbying-Kampagnen durch, unter anderem durch den oben erwähnten Nationalen Widerstandsrat (NCRI) (Landinfo 12.4.2021). Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien angewendet, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten. Solche Vorwürfe werden von der MEK zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018). Die MEK soll im Jänner 2022 Fernsehkanäle und einen Radiosender, die unter der Kontrolle der staatlichen iranischen Rundfunkanstalt stehen, gehackt haben (EUAA 30.3.2022).
Quellen:
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• DW – Deutsche Welle (28.3.2016): Iranische Volksmudschahedin in Albanien, http://www.dw.com
/de/iranische-volksmudschahedin-in-albanien/a-19132961 , Zugriff 16.5.2022
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Q21-2022, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2022_03_Q21_EUAA_COI_Que
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• GS – Global Security (o.D.): Mujahedin-e Khalq Organization (MEK or MKO), http://www.globalse
curity.org/military/world/para/mek.htm , Zugriff 16.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.4.2021): Iran. Mojahedin-e Khalq Organization (MKO), https://www.ecoi
.net/en/file/local/2050252/Temanotat-Iran-MKO-12042021.pdf , Zugriff 16.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https:
//www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 16.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (9.2017): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/1426070/5818_1520415893_iran-oeb-bericht-2017-09.docx ,
Zugriff 16.5.2022
• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (20.7.2018): Iran: Rückkehr von Personen mit Verbindungen
zu den Volksmudschahedin (PMOI), https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittl
erer-osten-zentralasien/iran/180720-irn-gefaehrdung-pmoi.pdf , Zugriff 16.5.2022
• Telepolis (18.1.2019): Was verbindet die Volksmudschahedin mit der rechten spanischen Vox-
Partei?, https://www.heise.de/tp/features/Was-verbindet-die-Volksmudschahedin-mit-der-rechten
-spanischen-Vox-Partei-4281979.html , Zugriff 16.5.2022
• The Guardian (9.11.2018): Terrorists, cultists – or champions of Iranian democracy? The wild wild
story of the MEK, https://www.theguardian.com/news/2018/nov/09/mek-iran-revolution-regime-tr
ump-rajavi , Zugriff 16.5.2022
PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdistan bzw.
Partei für ein freies Leben Kurdistans)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die PJAK begann in den späten 1990er-Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern (JF 15.1.2018). 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die türkische Arbeiterpartei Kurdistans - PKK dort ihre Basen (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020), und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020, AA 28.1.2022). Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die zahlenmäßige Stärke der PJAK
sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015; vgl. Landinfo 18.12.2020). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (CRS 6.2.2020). Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein erklärtes Ziel der PJAK. Beide Geschlechter müssen auf allen Ebenen der Organisation gleichermaßen vertreten sein und das gleiche Schulungsprogramm absolvieren. Schätzungen zufolge sind bis zur Hälfte der Mitglieder Frauen. Neben der kurdischen Sache steht nicht nur die schon erwähnte Gleichstellung der Geschlechter, sondern auch der ethnischen Gruppen ganz oben auf der politischen Agenda der PJAK. Darüber hinaus hat die PJAK das erklärte Ziel eines Regimewechsels in Iran. In diesem Zusammenhang versucht die Organisation, alle Iraner anzusprechen. Das erklärte Ziel von PJAK ist es, das derzeitige theokratische Modell durch ein demokratisches föderales System zu ersetzen. Ihr Ziel und ihre Vision ist es, dass in einem zukünftigen politischen Modell alle ethnischen und religiösen Gruppen ein hohes Maß an Autonomie haben sollten. Dies gilt für alle ethnischen Gruppen, nicht nur für die Kurden (Landinfo 18.12.2020). Die PJAK ist in einen Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und einen politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Die Gruppe gibt vor, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen
stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und dem Irak ansässig (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020) und operiert in Iran nur im Untergrund (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 18.12.2020). Während die kurdisch-iranischen Exilparteien wie z.B. PDKI, KDP-I, die drei Komala-Fraktionen und PAK (Parti Azadi Kurdistan - Kurdistan Freedom Party) mit der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG) Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz im Nordirak getroffen haben, hat die PJAK keine solchen Vereinbarungen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Dienstleistungen einher. Da die PJAK nicht über eine solche formalisierte Präsenz verfügt, erhalten ihre Mitglieder weder finanzielle Unterstützung noch öffentliche Dienstleistungen (Landinfo 18.12.2020). Der militärische Arm der PJAK führte in Iran von Anfang der 2000er-Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten, und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden (JF 15.1.2018). Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weitverbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Die Gruppe nahm ihre Angriffe auf iranische Truppen wieder auf, was zu verstärkter Gewalt zwischen der PJAK und der iranischen Regierung führte und im
August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder der Revolutionsgarde getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018; vgl. Landinfo 18.12.2020). Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 5.2.2021). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BS 2020). Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 (Kurdistan24 5.8.2019), 2020 (Hengaw 30.12.2020) und 2021 berichtet (Rudaw 4.8.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 19.5.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/683
266/683300/683479/683557/6039039/22618901/-/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2
C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl%2D_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen
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• ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research Documentation (7.2015):
COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues,
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Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of
the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)
Letzte Änderung: 23.05.2022
Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI bzw. PDKI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 5.2.2021), und die iranischen Behörden verfolgen diese (AA 28.1.2022). Die Mitgliedschaft in kurdischen Parteien ist illegal und wird streng bestraft. In kurdischen Gebieten gilt auch zivilgesellschaftlicher Aktivismus, der nichts mit den Parteien zu tun hat, als verdächtig. Dies wird als politische Oppositionstätigkeit interpretiert und von den Behörden unterdrückt. Personen, die an Demonstrationen oder anderen Protestmärschen teilnehmen, stehen im Verdacht, Mitglied einer Partei zu sein. Sie riskieren eine Verhaftung (Landinfo 19.5.2020). Die KDPI (auch PDKI) wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines föderalen und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Sie bezeichnet sich selbst als sozialdemokratische Partei (Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, Landinfo 2.4.2020). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020), wobei dies heute nicht mehr gültig ist (Landinfo 2.4.2020). Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Trotz der Spaltung haben die beiden Parteien ein neues Kooperationsforum gebildet, das neben KDPI und KDP-Iran aus zwei weiteren iranisch-kurdischen Parteien besteht, nämlich zwei Fraktionen der linken Partei Komala (Landinfo 19.5.2020). Die kurdischen Parteien konkurrieren um Einfluss in der kurdischen iranischen Bevölkerung (Landinfo 2.4.2020), und sie sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Viele der kurdischen Parteien operieren vom Nordirak aus. Der Status und Handlungsspielraum der kurdischen Oppositionsgruppen wie KDP-I, Komala und PDKI und PJAK waren und sind ein schwieriges Thema in den Beziehungen zwischen Iran und der Autonomen Kurdischen Region (Kurdistan Regional Government - KRG). Die KRG hat Vereinbarungen für eine formalisierte Präsenz mit mehreren iranisch-kurdischen Exilparteien wie KDPI, KDP-Iran, den drei Komala-Fraktionen und der Kurdischen Freiheitspartei PAK getroffen. Aufgrund der Notwendigkeit einer gutnachbarlichen Beziehung zu Iran hat die KRG gefordert, dass die iranisch-kurdischen Exilparteien alle militärischen Aktivitäten gegen Iran unterlassen. Dies war eine Bedingung dafür, dass die Exilparteien in Stützpunkten und Lagern im Nordirak operieren dürfen. Mit dieser formalisierten Präsenz gehen finanzielle Unterstützung, Zugang zu Schulen, Gesundheitsversorgung und anderen öffentlichen Dienstleistungen einher (Landinfo 18.12.2020). Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020). Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala, in Iran ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen (DIS 7.2.2020). In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region in Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden, oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung, um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können (DIS 7.2.2020; vgl. Landinfo 19.5.2020). Es kommt immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020). Sowohl das iranische Geheimdienstministerium als auch der Geheimdienst der Revolutionsgarden sind mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranisch-kurdischen Parteien verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Parteien. Mitglieder
der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder in Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden, die Parteien zu verlassen und in den Iran zurückzukehren. Je höher die Position eines Parteimitglieds, desto höher ist der Druck auf die Familie in Iran (Landinfo 19.5.2020). Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 11.2021). Ab 2015 stationierten einige der
kurdischen Parteien ihre Peschmerga wieder in Iran. Die KDPI beispielsweise erklärte den Waffenstillstand mit Iran 2016 für beendet und bewaffnete Auseinandersetzungen nahmen zu (Landinfo 2.4.2020). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Fraktionen ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Im September 2018 wurden drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS 7.2.2020, BS 2020, BpB 10.12.2020). Die Anzahl der Begegnungen zwischen iranisch-kurdischen Guerillas und iranischen Streitkräften hat zwar an Intensität abgenommen, aber nicht aufgehört (Landinfo 2.4.2020). Die humanitäre Lage in den iranischen kurdischen Gebieten hat sich laut KDPI aufgrund der Covid-19-Krise massiv verschärft (BpB 10.12.2020).
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Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokrati-schen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. Exekutivorgane, besonders der Sicherheitsapparat, nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung. Das Justizwesen ist zudem geprägt von Korruption (AA 28.1.2022; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 28.2.2022). Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 12.4.2022). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2022; vgl. HRC 13.1.2022, AI 29.3.2022). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2022). In einigen Fällen wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert (AI 7.4.2021).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022). Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen ’göttlichen Wissens’ [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 12.4.2022). In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die ’Sondergerichte für die Geistlichkeit’ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
• Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf
gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere ’Feindschaft zu
Gott’ und ’Korruption auf Erden’;
• Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
• Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
• Spionage für fremde Mächte;
• Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
• Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen (AI 7.4.2021). Erzwungene ’Geständnisse’, die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt (AI 7.4.2021; vgl.
AA 28.1.2022). Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021). Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom ’code pénal napoléon’ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta’zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie – sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw.
Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Art. 1–216), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Art. 217–288), im dritten Buch die qisas-Strafen (Art. 289–447) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Art. 448–728) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 28.1.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr
2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 28.1.2022). Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 28.1.2022). Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019). Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 28.1.2022). Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selber inhaftiert und verurteilt. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter
Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 28.1.2022).
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• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
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• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
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• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 22.4.2022
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 23.05.2022
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (USDOS 12.4.2022). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (US DOS 12.4.2022; vgl BS 2020) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (US DOS 12.4.2022). Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 28.1.2022). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und
der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020). Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie die Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 28.1.2022). Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 28.1.2022). Heute sollen die Revolutionsgarden über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen (Iran Journal 1.2.2021), die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (Iran Journal 1.2.2021; vgl. AA 28.1.2022). Basij haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basij gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 28.2.2022). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte und kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal.
Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken
betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016; vgl. SRF 9.4.2019). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020, Iran Journal 1.2.2021). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (Iran Journal 1.2.2021). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern auch in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. Iran Journal 1.2.2021). Die 1990 gegründete Quds-Brigade ist mit 5.000 Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt sie bei Auslandseinsätzen eine zentrale Rolle. Um ihre Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt
die Quds-Armee vor allem auf Guerillataktiken (Iran Journal 1.2.2021). Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 28 .1.1.2022). Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 28 .1.1.2022). Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (US DOS 12.4.2022). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020). Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
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28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 22.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 22.4.2022
• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political
activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds
+Feb+2020.pdf , Zugriff 22.4.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN -
House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish
Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom,
9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file
/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 22.4.2022
• DW – Deutsche Welle (18.2.2016): Die Strippenzieher der iranischen Wirtschaft, http://www.dw.c
om/de/die-strippenzieher-der-iranischen-wirtschaft/a-19054802 , Zugriff 22.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
• Iran Journal (1.2.2021): Aus der Schwäche wuchs ihre Macht, https://iranjournal.org/wirtschaft/g
eschichte-der-revoltuionsgarde , Zugriff 22.4.2022
• Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https:
//www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/ ,
Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 22.4.2022
• Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben,
https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-s
o-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 22.4.2022
• SRF – Schweizer Rundfunk und Fernsehen (9.4.2019): Was ist die Revolutionsgarde?, https:
//www.srf.ch/news/international/dominante-militaermacht-im-iran-was-ist-die-revolutionsgarde ,
Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 22.4.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 23.05.2022
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 28.1.2022; vgl. US DOS 12.4.2022, DIS 7.2.2020) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022). Gerade bei politischen Fällen ist Folter nicht nur geduldet, sondern wird mitunter angeordnet (AA 28.1.2022). Folter wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 12.4.2022). Folter betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 28.1.2022). Folter und Misshandlungen werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören. Im August 2021 gelangten Videoaufnahmen an die Öffentlichkeit, die von Überwachungskameras im Evin-Gefängnis in Teheran stammten und zeigten, wie Gefangene vom Wachpersonal geschlagen, sexuell belästigt und auf andere Weise gefoltert und misshandelt wurden (AI 29.3.2022). Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022). Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein. Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet (HRC 14.5.2021) zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen (HRC 14.5.2021; vgl. HRC 13.1.2022) und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Dies gilt auch insbesondere bei der Verhängung der Todesstrafe (HRC 13.1.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 28.2.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 22.4.2022
• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021),
https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 22.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political
activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds
+Feb+2020.pdf , Zugriff 22.4.2022
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A
_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 22.4.2022
• HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A
_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 22.4.2022
• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2066471.html , Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 22.4.2022
Korruption
Letzte Änderung: 23.05.2022
Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Bereich vor, aber die Regierung implementiert
dieses Gesetz nur willkürlich. Manchmal werden Korruptionsfälle gegen Beamte rechtmäßig verfolgt, gleichzeitig werden politisch motivierte Anklagen gegen Regimekritiker oder politische Opponenten vorgebracht. Es gibt zahlreiche Berichte zu Korruption (US DOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Auch das Justizwesen ist nicht frei von Korruption (AA 28.1.2022; vgl. BS 2020). Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit (AA 28.1.2022). Auch bei der Polizei, bei sozialen Organisationen, im Öffentlichen Dienst und bei Behörden ist Korruption weit verbreitet. Korruption und Gesetzesverstöße sind auch bei der politischen Elite weit verbreitet. Nur selten werden Täter strafrechtlich verfolgt und wenn, dann ist dies hauptsächlich auf politische Rivalitäten zurückzuführen (BS 2020). Religiöse Wohltätigkeitsorganisationen, sogenannte ’Bonyads’, leisten zwischen einem Viertel und einem Drittel der wirtschaftlichen Leistung des Landes. Bonyads erhalten Begünstigungen durch die Regierung, ihr Finanzgebaren wird jedoch nicht kontrolliert. Oppositionspolitiker und internationale Organisationen bezichtigen diese Bonyads regelmäßig der Korruption. Geleitet werden diese steuerbefreiten Organisationen von Personen, die der Regierung nahe stehen, wie z.B. Angehörige des Militärs oder der Geistlichkeit. Zahlreiche Firmen, die in Verbindung mit den Revolutionsgarden stehen, betätigen sich teils rechtswidrig in Handel und Gewerbe, einschließlich der Bereiche Telekommunikation, Bergbau und Bauwesen. Andere Unternehmen der Revolutionsgarden betätigen sich im Schmuggel von Medikamenten, Drogen und Rohstoffen (US DOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Die Justiz leitete 2019 ein hartes Vorgehen gegen die Korruption ein, in dessen Folge es zu öffentlichkeitswirksamer Strafverfolgung gegen ehemalige Politiker und Gerichtsbeamte kam. Präsident Raisi machte die Korruption auch zu einem Hauptthema seiner Präsidentschaftskampagnen 2017 und 2021. Die Behörden haben sich jedoch in letzter Zeit gegen eine Überprüfung der offiziellen Korruption gewehrt. Im Juli 2021 wurden vier Journalisten, die für staatliche Nachrichtenseiten arbeiten, wegen Falschnachrichten und Verleumdung verurteilt, weil sie über mutmaßliche Korruption im Ölministerium berichtet hatten. Sie wurden Berichten zufolge aber nicht zu Haftstrafen verurteilt (FH 28.2.2022). Transparency International führt Iran in seinem Korruptionswahrnehmungsindex von 2021 mit 25 (von 100) Punkten (0=highly corrupt, 100=very clean) auf Platz 150 von 180 [2020: Platz 149 von 180] untersuchten Ländern (TI 2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 22.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 22.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
• TI – Transparency International (2022): Corruption Perspective Index 2021 – Iran, https://www.tr
ansparency.org/en/cpi/2021 , Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 22.4.2022
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung: 23.05.2022
NGOs gegenüber agiert der iranische Staat sehr misstrauisch, aufgrund der Befürchtung, dass NGOs die staatliche Ordnung untergraben würden (BS 2020). Eine aktive, öffentliche Menschenrechtsarbeit
ist in Iran somit nicht möglich. Alle Menschenrechts- und Nichtregierungsorganisationen benötigen eine staatliche Genehmigung und unterliegen damit staatlicher Kontrolle (AA 28.1.2022). Laut Gesetz müssen sich NGOs beim Innenministerium registrieren und um eine Genehmigung ansuchen, wenn sie ausländische Subventionen erhalten. Die Regierung schränkt die Arbeit einheimischer Aktivisten ein und reagiert auf deren Anfragen und Berichte häufig mit Schikanen, Verhaftungen, Online-Hacking und der Überwachung einzelner Aktivisten und Aktivistinnen sowie der Arbeitsstätten von Organisationen. Unabhängige Menschenrechtsgruppen und NGOs sehen sich weiterhin Schikanen aufgrund ihrer Tätigkeiten und möglichen Schließungen infolge anhaltender und oft willkürlicher Verzögerungen bei der offiziellen Registrierung gegenüber (US DOS 12.4.2022). Das Innenministerium warnt vor Kontakten zum Ausland und vor Kritik an der Islamischen Republik, die hart verfolgt wird, etwa in Form von Straftatbeständen wie ’Propaganda gegen das Regime’ oder ’Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit’. Zusätzlich haben NGOs große Schwierigkeiten, finanzielle Quellen zu erschließen. Rückgriff auf ausländische Gelder kann Strafverfolgung wegen Spionage, Kontakt zur Auslandsopposition oder ähnliche Vorwürfe nach sich ziehen (AA 28.1.2022). Menschenrechtsorganisationen sind nur vereinzelt vorhanden, da sie unter enormem Druck stehen. Regelmäßig gibt es Beispiele dafür, dass Organisationen, die sich im weitesten Sinne für Menschenrechte einsetzen, unter großen Druck geraten. Andererseits können manche NGOs, etwa in den Bereichen Drogenbekämpfung oder Flüchtlingsbetreuung, arbeiten. In anderen Bereichen, etwa hinsichtlich der Rechte von Frauen und Angehörigen sexueller Minderheiten aber seit 2018 auch beim Umweltschutz müssen NGOs ohne Registrierung und mit der Gefahr von Verfolgung arbeiten (ÖB Teheran 11.2021). Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des ’Defenders of Human Rights Center’, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022). Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet) (ÖB Teheran 11.2021). Im März 2021 wurde die bis dato größte NGO, die ’Imam Ali Popular Students Relief Society’, verboten und ihre Leiter verhaftet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.1.2022). Die ca. 12.000 Mitglieder hatten sich der Armutsbekämpfung verschrieben
und Blutgelder gesammelt, um Exekutionen zu verhindern. Die Organisation hatte UNESCO-Beobachtungsstatus (ÖB Teheran 11.2021). Willkürliche Verhaftungen von Personen, die lediglich friedlich ihre Menschenrechte wahrnehmen, kommen weiterhin vor. Dazu zählen Demonstranten, Journalisten, politisch Andersdenkende, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, aber auch Rechtsanwälte, Aktivisten und andere Menschenrechtsverteidiger, die sich für die Rechte von Frauen, Angehörigen sexueller Minderheiten, Arbeitnehmern und Minderheiten sowie für den Umweltschutz oder gegen die Todesstrafe engagierten. Außerdem Hinterbliebene, die u.a. für die Massenhinrichtungen und das Verschwindenlassen von Personen in den 1980er-Jahren Gerechtigkeit fordern. Hunderte Menschen waren Ende 2021 noch immer zu Unrecht inhaftiert (AI 29.3.2022). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime oder Ähnliches) (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 13.1.2022) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (ÖB Teheran 11.2021). Willkürliche Verhaftungen von Menschenrechtsverteidigern und Anwälten nach unfairen Gerichtsverfahren und deren lange Haftstrafen und harte Kautionsbedingungen bestehen weiterhin (HRC 13.1.2022). Im Ausland lebende Oppositionelle und Medienschaffende sind vermehrt Drohungen ausgesetzt. Als Vergeltungsmaßnahme für ihre Arbeit wurden ihre in Iran lebenden Familienangehörigen von den Behörden verhört und/oder willkürlich inhaftiert (AI 29.3.2022). So wurde im Sommer 2021 in New York (USA) ein Verfahren gegen mehrere
Iraner eröffnet, die versucht haben sollen, die Frauenrechtlerin Masih Alinejad und weitere Personen
aus dem Vereinigten Königreich und Kanada zu entführen bzw. nach Iran zu locken. Der Journalist Ruhollah Zam wurde Ende 2020 hingerichtet, nachdem er aus Frankreich in den Irak gelockt und von dort nach Iran entführt worden war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 27.4.2022
• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021),
https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 27.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 27.4.2022
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A
_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 27.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 27.4.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene ’Hohe Rat für Menschenrechte’ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten ’Pariser Prinzipien’ (AA 28.1.2022).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
• Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
• Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
(CERD)
• Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem
Recht) (CRC)
• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf
von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)
• Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
• Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
• UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
• UN-Apartheid-Konvention
• Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022)
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
• Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (CAT)
• Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
• Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
• Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
• Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
• Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung
von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht
ratifiziert) (AA 28.1.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für ’schwerste Verbrechen’ entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener (US DOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022, HRW 13.1.2022). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, HRW 13.1.2022). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet
(US DOS 12.4.2022). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamische Grundsätze infrage stellt. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste
Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 28.1.2022). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 27.4.2022
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran:
Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage
und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationsz
entrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf?__blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%
22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D
%2C766%5D , Zugriff 27.4.2022
• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021),
https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 27.4.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 27.4.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte
und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398 , Zugriff 27.4.2021 [Anm.:
Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert
und einsehbar.]
• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2066471.html , Zugriff 27.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
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Meinungs- und Pressefreiheit, Internet
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die iranische Verfassung garantiert zwar Meinungs- und Medienfreiheit, aber nur insoweit Aussagen nicht ’schädlich’ für die grundlegenden Prinzipien des Islams oder die ’Rechte der Öffentlichkeit’ sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022). In der Praxis sehen sich Meinungs- und Pressefreiheit mit starken Einschränkungen konfrontiert (AA 28.1.2022; vgl. BS 2020, AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022, HRW 13.1.2022) sowohl online als auch offline (FH 28.2.2022). Das Gesetz sieht die strafrechtliche Verfolgung von Personen vor, die der Anstiftung zu Straftaten gegen den Staat oder die nationale Sicherheit oder der ’Beleidigung’ des Islam beschuldigt werden. Die Regierung nutzt das Gesetz, um Personen einzuschüchtern oder strafrechtlich zu verfolgen, die die Regierung direkt kritisieren oder Menschenrechtsprobleme ansprechen, sowie um normale Bürger zur Einhaltung des Moralkodex der Regierung zu zwingen. Nach dem Gesetz wird jeder, der in irgendeiner Form Propaganda gegen die Islamische Republik Iran oder zur Unterstützung oppositioneller Gruppen und Vereinigungen betreibt, mit drei Monaten bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft (US DOS 12.4.2022). Der staatliche Rundfunk wird von Hardlinern streng kontrolliert und vom Sicherheitsapparat beeinflusst. Nachrichten und Analysen werden stark zensiert (FH 28.2.2022). Auch wenn die iranische Presselandschaft bislang eine gewisse Bandbreite unterschiedlicher Positionen innerhalb des politischen Spektrums widergespiegelt hat, ist mit der Amtsübernahme der ultrakonservativen Regierung eine deutlich strengere Berichterstattung auf Regimelinie zu erwarten. Geprägt wird die Presse ohnehin von einer Vielzahl höchst wandelbarer, da nicht schriftlich fixierter ’roter Linien’ des Revolutionsführers, die in erheblichem Maß zu Selbstzensur führen. Bei Verstößen drohen Sanktionen bis hin zum Verbot von Zeitungen (AA 28.1.2022). ’Propaganda gegen das System’ ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe sanktioniert, wobei ’Propaganda’ nicht definiert ist. Zeitungen und Medien sind daher stets der Gefahr ausgesetzt, bei unliebsamer Berichterstattung geschlossen zu werden. Dies gilt auch für Regimemedien. Oft werden in diesem Zusammenhang die Zeitungsherausgeber verhaftet (ÖB Teheran 11.2021). Mitarbeiter von ausländischen Presseagenturen (insbesondere kritische farsisprachige Medien wie BBC, DW oder Voice of America) sowie unabhängige Journalisten sind Berichten zufolge oft mit Verzögerungen bei der Gewährung der Presselizenz durch die iranischen Behörden, Verhaftungen, körperlicher Züchtigung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022) sowie Einschüchterung ihrer Angehörigen konfrontiert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Zur Vermeidung von regimekritischen Unruhen versuchen der Oberste Führer und der Justizapparat mit Hilfe der Regierung eine kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Aufrechterhaltung des Systems der Islamischen Republik steht im Vordergrund, sodass aus Sicht der religiösen Führungselite sogar eine starke Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit verhältnismäßig zu sein scheint. Lange Haftstrafen und Todesurteile werden hierbei als gerechtfertigtes Mittel gesehen (BAMF 5.2021).
Für Funk- und Fernsehanstalten besteht ein staatliches Monopol. Der Empfang ausländischer Satellitenprogramme ist ohne spezielle Genehmigung untersagt, wenngleich weit verbreitet (AA 28.1.2022; vgl. FH 28.2.2022). Die Behörden versuchen, dies durch den Einsatz von Störsendern (sogenanntes Jamming) zu unterbinden (AA 28.1.2022; vgl. FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Polizei durchsucht regelmäßig Privathäuser und beschlagnahmt Satellitenschüsseln (FH 28.2.2022). Etwa 70% der iranischen Bevölkerung sind aktive Internetnutzer. Seit 2009 haben die iranischen Behörden erhebliche Mittel für den Ausbau der Infrastruktur, aber auch für die Kontrolle ihrer Nutzung aufgewendet. Zensur und Überwachung sind umfangreich. Eine Cyberpolizei wurde eingerichtet, und auch mehrere andere Regierungsbehörden haben Aufgaben im Zusammenhang mit der Überwachung des Internets und der sozialen Medien übernommen. Darüber hinaus haben die iranischen Behörden ein lokales, staatlich kontrolliertes Netzwerk entwickelt, das National Information Network (NIN). Die regimekritische Debatte findet vor allem in den sozialen Medien statt. Für illegale Oppositionsparteien ist das Internet der bevorzugte Kanal für den Informationsaustausch. Die iranischen Behörden konzentrieren sich insbesondere auf Personen, die die öffentliche Meinung in Iran beeinflussen können, wie beispielsweise diejenigen, die viele Anhänger in den sozialen Medien haben. Dies gilt auch für im Ausland lebende Iraner. Iranische Journalisten, die für internationale Medienhäuser arbeiten, werden streng überwacht (Landinfo 31.5.2021).
Gegen Personen, die ihre Meinung oder Nachrichten online publizieren (Blogger), wird massiv vorgegangen. Die elektronischen Medien und der Internet-Verkehr stehen unter staatlicher Kontrolle. Millionen Internetseiten und viele Plattformen sind gesperrt. Regimefeindliche oder ’islamfeindliche’ Äußerungen werden auch geahndet, wenn sie in elektronischen Kommunikationsmedien, etwa auch in sozialen Netzwerken, getätigt werden (ÖB Teheran 11.2021). Ebenso werden oppositionelle Webseiten und eine Vielzahl ausländischer Nachrichtenseiten sowie soziale Netzwerke durch iranische Behörden blockiert (AA 28.1.2022; vgl. AI 29.3.2022). So bleiben z.B. die Internetseiten von Facebook, Telegram, Twitter und YouTube blockiert (AI 29.3.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Grundsätzlich ist der Empfang ausländischer Medien mithilfe sogenannter VPN (Virtual Private Network) möglich, der Staat kann diese technisch allerdings blockieren. Darüber hinaus wird der Internetverlauf gefiltert bzw. mitgelesen (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen ’Cyber-Krieg’ gegen das Land führen zu wollen. Mit einer Gesetzesinitiative zur Einschränkung der Internetfreiheit soll die Nutzung des Internets weiter eingeschränkt werden. Ausländische Internetdienste sollen durch heimische ersetzt, Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden gegenüber User gestärkt werden (AA 28.1.2022). Das Gesetz soll 2022 verabschiedet werden (AA 28.1.2022; AI 29.3.2022) und für eine Probezeit von zwei Jahren in Kraft treten (AA 28.1.2022). Noch herrscht dennoch eine erstaunliche Meinungsvielfalt im Internet, Kritik an staatlichen Maßnahmen wird breit geäußert. Dies war bereits unter der Regierung Rohani den Hardlinern im Parlament ein Dorn im Auge, die mehrmals versuchten, ein Gesetz zur stärkeren Kontrolle des Internets zu beschließen. Die Regierung Raisi hat diesen Gesetzesentwurf wieder aufgegriffen. Unter anderem ist geplant, Nutzer zu Echtnamen-Registrierung zu zwingen und die Verwendung von VPNs zu verfolgen. Iran hat mit China unter anderem eine Kooperation zu IKT-Angelegenheiten beschlossen (ÖB Teheran 11.2021). Die 1997 unter Khatami gegründete ’Association of Iranian Journalists’ wurde 2009 unter dem damaligen Präsidenten Ahmadinedschad von den Sicherheitskräften geschlossen und hat seitdem trotz pressefreundlicher Wahlkampfversprechen von Ex-Präsident Rohani ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen dürfen. Inhaftierte Journalisten sind in Iran – wie alle politischen Gefangenen – besorgniserregenden Haftbedingungen ausgesetzt, die sich aufgrund der Covid-19-Pandemie noch verschärft haben. Unter politischen Gefangenen und Journalisten kommt es regelmäßig zu Hungerstreiks gegen Haftbedingungen, unter anderem gegen die hygienischen Bedingungen und die mangelhafte medizinische Versorgung (AA 28.1.2022). Ebenso unter Druck stehen Künstler, vor allem dann, wenn ihre Kunst als ’unislamisch’ oder regimekritisch angesehen wird, oder sie ihre Filme an ausländische Filmproduktionsfirmen verkaufen oder auch nur im Ausland aufführen (dies unterliegt einer Genehmigungspflicht). Über zahlreiche Künstler wurden Strafen wegen zumeist ’regimefeindlicher Propaganda’ und anderen Anschuldigungen verhängt. Viele sind regelmäßig in Haft bzw. zu langjährigen Tätigkeits- und Interviewverboten verurteilt (ÖB Teheran 11.2021). In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen hat sich Iran wieder verschlechtert und liegt nun an Position 178 (2020: 174) von 180 (ROG 2022). Iran bestätigt mit der weltweit ersten staatlichen Hinrichtung eines Journalisten seit 30 Jahren seine Stellung als einer der schlimmsten Unterdrücker der Pressefreiheit (ROG 2021). Hinsichtlich der Covid-19-Pandemie spielt die Islamische Republik die Opferzahlen herunter, verschärft die Einschränkungen für traditionelle Medien und soziale Netzwerke, verhört, verhaftet und verurteilt Medienschaffende für ihre unabhängige Berichterstattung (ROG 2021). Die Behörden ergriffen im Jahr 2020 Maßnahmen, die eine unabhängige Berichterstattung über Covid-19 und jegliche Kritik am staatlichen Umgang mit der Pandemie unterbinden sollten. Das Ministerium für Kultur und islamische Führung wies Medien und Journalisten an, bei der Berichterstattung nur offizielle Quellen und Statistiken zu verwenden. Die Internetpolizei gründete eine spezielle Einheit, um gegen ’Internet-Gerüchte’ und ’Fake News’ über Covid-19 in den sozialen Medien vorzugehen. Zahlreiche Journalisten, Nutzer Sozialer Medien, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und andere Personen wurden festgenommen, verhört oder verwarnt (AI 7.4.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
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28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 27.4.2022
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Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage
und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationsz
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22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D
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• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
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• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2066471.html , Zugriff 27.4.2022
• Landinfo [Norwegen] (31.5.2021): Iran. Internett og sosiale medier, https://www.ecoi.net/en/file/loc
al/2052678/Temanotat-Iran-Internett-og-sosiale-medier-31052021.pdf , Zugriff 27.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
• ROG – Reporter ohne Grenzen (2022): Rangliste zur Pressefreiheit 2022, https://www.reporter-o
hne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2022/RSF_Rangliste_der
_Pressefreiheit_2022.pdf , Zugriff 29.4.2022
• ROG – Reporter ohne Grenzen (2021): Rangliste der Pressefreiheit. Weltweite Entwicklungen im
Überblick, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021/ueberblick , Zugriff
29.4.2021
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 27.4.2022
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 28.1.2022). In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2022). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 23.12.2019; vgl. DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021).Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 23.12.2019; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschen getötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Mehr als zwei Jahre nach der brutalen Niederschlagung weitverbreiteter Proteste im November 2019 haben die Behörden es verabsäumt, eine transparente Untersuchung über die Anwendung von übermäßiger und rechtswidriger Gewalt gegen Demonstranten durchzuführen (HRW 13.1.2022). Es gab mehrere Proteste im Zusammenhang mit Umweltpolitik und Klimawandel, die direkte Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen hatten. Darüber hinaus gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (HRC 13.1.2022). Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin mit rechtswidriger Gewalt gegen zumeist friedliche Proteste vor, indem sie u.a. scharfe Munition und Schrotmunition einsetzen. Die Behörden blockieren das Internet während Protesten und verhindern so, dass das Ausmaß der Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bekannt wird. Zum Beispiel wurden im Juli 2021 bei Protesten gegen die Wasserknappheit in den Provinzen Khusestan und Lorestan mindestens elf Menschen erschossen und zahlreiche weitere verletzt. Im November 2021 beschossen Sicherheitskräfte in Isfahan Demonstrierende, die den Behörden Versagen bezüglich der Wasserversorgung vorwarfen, mit Metallkugeln, was dazu führte, dass zahlreiche Menschen, darunter auch Minderjährige, erblindeten oder andere schwere Augenverletzungen erlitten (AI 29.3.2022). Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021). Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der ’Propaganda gegen das Regime’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 28.1.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 28.2.2022). Mehr als 700 Beschäftigte der petrochemischen Industrie wurden zum Beispiel zu Unrecht entlassen, weil sie sich im Juni 2021 an landesweiten Streiks beteiligt hatten (AI 29.3.2022). Erlaubt sind nur ’Islamische Arbeitsräte’ unter der Aufsicht des ’Haus der Arbeiter’ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen (ÖB Teheran 11.2021). In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidaten werden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als ’nicht geeignet’ ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat – dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij-
Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände (’regimefeindliche Propaganda’, ’Beleidigung des Obersten Führers’ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 28.1.2022). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer unter Hausarrest, der mittlerweile ein Jahrzehnt andauert (AI 29.3.2022; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 28.1.2022). An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen der letzten Jahre. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 28.1.2022).
Quellen:
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Haftbedingungen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022, HRC 13.1.2022). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalbmal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Der Mangel an Betten ist weiterhin ein Problem (US DOS 12.4.2022). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und vor allem von der Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen (AI 29.3.2022). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der Covid-19-Pandemie erheblich (US DOS 12.4.2022; vgl. HRC 13.1.2022, AA 28.1.2022). Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen – teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021). Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022). Daraufhin wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 28.2.2022; vgl. US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022). Menschenrechtsorganisationen verweisen häufig auf einige Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, insbesondere in den Abteilungen 209 und zwei des
Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 28.2.2022; vgl. US DOS 12.4.2022, AA 28.1.2022, HRC 13.1.2022). Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (US DOS 12.4.2022; vgl. HRC 13.1.2022).
Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark von einander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 28.1.2022). Mindestens 24 Gefangene starben unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, dass ihr Tod in Verbindung mit Folter und anderen Misshandlungen stand, wie z. B. der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung (AI 29.3.2022). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten
oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 12.4.2022).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022).
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Todesstrafe
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den ’schwersten Verbrechen’ zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstrierende, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022). Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten vollstreckt wird (HRW 13.1.2022). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen richtete der Iran im Jahr 2021 mindestens 333 Menschen hin, darunter zumindest 17 Frauen (BBC News 28.4.2022), sieben Personen wegen angeblicher terroristischer Anschuldigungen (HRW 13.1.2022) und zumindest zwei zum Tatzeitpunkt Minderjährige (HRC 13.1.2022). Iran ist nach wie vor eines der wenigen Länder, die Minderjährige, Homosexuelle und Frauen hinrichten, die sich auf Notwehr gegen Vergewaltiger berufen (CSW 22.3.2022). In diesen Fällen liegen der Todesstrafe für Frauen und Mädchen oft Tötungen von ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021). Ein großer Teil der Hingerichteten sind Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten, insbesondere sunnitische Muslime und Kurden (CSW 22.3.2022). Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022). Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwerwiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, ’Moharebeh’ (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2022, AA 28.1.2022); des weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Landesverrat,
Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin (AA 28.1.2022). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 28.1.2022). Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 28.1.2022). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022, HRW 13.1.2022, FH 28.2.2022, HRC 13.1.2022, CSW 22.3.2022). In den Todeszellen befinden sich noch immer mehr als 80 Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren (AI 29.3.2022; vgl. FH 28.2.2022). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet, 2021 mindestens zwei. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 28.1.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021). 2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, die die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen (AA 28.1.2022). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 28.2.2022). Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021). Seit 2021 ist ein erneuter Anstieg bei der Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 28.1.2022). Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten war mit 126 von 333 fünfmal so hoch wie 2020 (BBC News 28.4.2022). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom ’Geschädigten’ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
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Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 23.05.2022
In Iran leben ca. 86 Millionen Menschen (CIA 10.5.2022), von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 3.5.2018, vgl. USCIRF 4.2022). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten ’Buchreligionen’ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 22.3.2022). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 28.1.2022). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 3.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021, USCIRF 4.2022). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 28.2.2022, BAMF 3.2019), und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 28.2.2022). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022; OD 19.1.2022).
Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha’i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. OD 19.1.2022). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das Strafgesetzbuch aufnahm, wonach die ’Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen’ sowie ’abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen’ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022; vgl. OD 19.1.2022). Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021; vgl. AI 29.3.2022). Atheisten laufen prinzipiell ebenfalls Gefahr – im Extremfall wegen der ’Beleidigung des Propheten’ auch zum Tode – verurteilt zu werden, auch wenn derartige Fälle in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).
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Christen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan (BFA 3.5.2018). Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt, allerdings werden evangelikale Freikirchen von der Regierung nicht als christlich anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung zuerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt (ÖB Teheran 11.2021); christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. OD 19.1.2022, BAMF 3.2019, IRB 9.3.2021), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Soweit ethnische Christen die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken, werden sie kaum behindert oder verfolgt. Dies trifft insbesondere auf armenische und assyrische Christen zu. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Freikirchen sind demgegenüber
willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu (BFA 3.5.2018; vgl. BAMF 3.2019, FH 28.2.2022, USCIRF 4.2022). Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben (BFA 3.5.2018; vgl. BAMF 3.2019, FH 28.2.2022). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben (ÖB Teheran 11.2021). Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien
schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 12.5.2021; vgl. IRB 9.3.2021). Grundrechtlich besteht ’Kultusfreiheit’ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen
(ÖB Teheran 10.2020). Jedoch haben Nichtmuslime weder Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit noch Meinungsfreiheit oder Versammlungsfreiheit. Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung von anders Gläubigen ist verboten (Proselytismusverbot) und wird streng bestraft (ÖB Teheran 10.2020; vgl. BAMF 3.2019, BFA 3.5.2018, OD 19.1.2022). Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA 3.5.2018; vgl. ÖB Teheran 11.2021), wobei es in den letzten Jahren zu keinem derartigen Urteil kam. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen (’Hauskirchen’) oft hart vorgegangen (u.a. Verhaftungen und Beschlagnahmungen). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot. Kirchenvertreter sind angehalten, die Behörden zu informieren, bevor sie neue Mitglieder in ihre Glaubensgemeinschaft aufnehmen (ÖB Teheran 11.2021). Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht (BFA 3.5.2018; vgl. OD 19.1.2022). Im Weltverfolgungsindex 2022 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem neunten Platz (2021: Platz 8). Der Weltverfolgungsindex ist eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen der stärksten Verfolgung und Diskriminierung wegen ihres Glaubens ausgesetzt sind. Je niedriger die Zahl, desto höher die Verfolgung. Der durchschnittliche Druck in Iran ist weiterhin extrem hoch. Die etwas bessere Platzierung im Vergleich zum Vorjahr ist mit jährlichen Schwankungen zu erklären (OD 19.1.2022). Christen werden weiterhin schikaniert, willkürlich inhaftiert und wegen der Ausübung ihres Glaubens verurteilt (AI 29.3.2022; vgl. CSW 22.3.2022). Dies betrifft auch Personen, die zum Christentum konvertiert sind (AI 29.3.2022). Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 28.1.2022). Ausländische christliche Gemeinden können ihre Religion weitgehend ungehindert ausüben, werden jedoch von staatlicher Seite dabei genau beobachtet. Eine nachhaltige Gemeindearbeit wird durch staatliche Schikanen verhindert (z. B. Verweigerung der Visaverlängerung für in Iran praktizierende, ausländische Priester oder Visaverweigerung). Dadurch dürften die Gemeinden langfristig ’aussterben’. Insbesondere Iraner, die sich aktiv für nicht-muslimische Glaubens- und Gemeindearbeit einsetzen, laufen Gefahr, ins Visier der Sicherheitsbehörden zu geraten (AA 28.1.2022). Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen
und auch Privatschulen zu betreiben (BFA 3.5.2018). Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden (BFA 3.5.2018; vgl. IRB 9.3.2021, OD 19.1.2022). Es gehört zum Erscheinungsbild in den Großstädten, dass christliche Symbole im Modebereich als Accessoires Verwendung finden und auch in den entsprechenden Geschäften angeboten werden. Auch Dekorationen mit christlichen Motiven sind nicht ungewöhnlich. Eine solche kommerzielle Präsentation führte bisher nach Darstellung der in Teheran vertretenen westlichen Botschaften zu keinen Strafverfahren. Laut der Nachrichtenseite der iranischen Christen, Mohabat News, können Christen öffentlich im ganzen Land Weihnachtsgeschenke, Tannenbäume oder Schmuckwaren für ihre Feste kaufen. Vor einigen Kirchen in Teheran stehen anlässlich der Weihnachtsfeiertage, zu denen von staatlicher Seite immer wieder Glückwünsche übermittelt werden, Weihnachtsbäume (BAMF 3.2019).
Quellen:
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Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
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• BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (3.5.2018): Analyse Iran – Situation
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armenischer-christen-2018-05-03-ke.pdf , Zugriff 4.5.20922
• CSW - Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk
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Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel ’mohareb’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), ’mofsid-fil-arz/fisad-al-arz’ (’Verdorbenheit auf Erden’), ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018), ’Organisation von Hauskirchen’ und ’Beleidigung des Heiligen’, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 28.1.2022). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (OD 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige ’offizielle’ Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik. Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich dem Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen ’Verbrechen gegen die nationale Sicherheit’ verurteilt werden (OD 19.1.2022). Hierzu ist zu erwähnen, dass der Oberste Gerichtshof in Iran im November 2021 entschieden hat, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden, nicht wegen ’Handelns gegen die nationale Sicherheit’ angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es, dass: ’Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der ’evangelikalen zionistischen Sekte’, was beides offensichtlich bedeutet, dass das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] propagiert wird, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen’ (Artikel18 25.11.2021). Die neun Konvertiten sind 2022 offiziell freigesprochen worden. Die Abteilung 34 des Teheraner Berufungsgerichts schloss sich der Argumentation des Richters des Obersten Gerichtshofs an, der im November letzten Jahres entschieden hatte, dass die Verkündigung des Christentums nicht als Verstoß gegen die nationale Sicherheit Irans zu werten ist. Der Präzedenzfall ist überzeugend, so Mansour Borji, Leiter der Interessenvertretung von Artikel 18, da die Richter im Freispruch neun Gründe ausführlich dargelegt haben, die mit der iranischen Verfassung und der islamischen Tradition im Einklang stehen. Es könnte jedoch einige Zeit dauern, bis das Urteil rechtskräftig wird. Einer der neun Angeklagten sitzt bereits wieder im Gefängnis, wegen einer sechs Jahre alten separaten Anklage wegen Verbreitung des Christentums, für die er zuvor freigesprochen wurde. Zwei andere Angeklagte, die per Video zur Freiheit der Religionsausübung aufgerufen hatten, wurden wegen Propaganda gegen den Staat angeklagt. Die iranischen Christen begrüßten das Urteil, bleiben aber vorsichtig. Laut Borji ist dieses Urteil anders als alle anderen seiner Art, die er bisher gesehen hat (CT 1.3.2022). Die iranische Regierung ist jedoch dafür bekannt, dass sie ihre eigenen Regeln nicht befolgt (CT 21.12.2021). Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar - noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 28.1.2022; vgl. OD 19.1.2022). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021). Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich ’konvertierte’ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021). Die Versammlung in – meist evangelikalen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden ’kontrolliert’, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der ’Assembly of God’-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien
gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 29.3.2022). Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022, CSW 22.3.2022). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie ’Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen’, ’Verbreitung vom zionistischen Christentum’ und ’Gefährdung der inneren Sicherheit’ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden (ÖB Teheran 11.2021). Derzeit befinden sich in Iran ca. 20 Christen wegen des Vorwurfs einer Bedrohung der nationalen Sicherheit in Haft, und seit 2012 wurden mehr als hundert Personen wegen dieser Straftat verurteilt (Vatikan News 7.12.2021; vgl. OD 3.12.2021, CT 1.3.2022). Die Aussichten für iranische Christen, insbesondere für christliche Konvertiten, trüben sich weiter ein. Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution aufzugeben (OD 19.1.2022). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021). Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen ’Verbrechen gegen Gott’ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte (DIS/DRC 23.2.2018). Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020, DIS/DRC 23.2.2018), es kommt aber auch vor, dass einfache Mitglieder inhaftiert werden (OD 19.1.2022; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn
es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel
nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019). Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein ’high-profile’-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OD 19.1.2022). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021). Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2022 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OD 19.1.2022). Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OD 19.1.2022). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der ’Katholischen Jerusalem Bibel’ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den ’Katechismus der Katholischen Kirche’ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 3.5.2022
• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021),
https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 3.5.2022
• Artikel18 (25.11.2021): Iran’s Supreme Court rules Christians did not act against national security,
https://articleeighteen.com/news/9836/ , Zugriff 4.5.2022
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran.
Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laend
erreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.5.2022
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Ethnische Minderheiten
Letzte Änderung: 23.05.2022
Angehörige ethnischer Minderheiten machen insgesamt ca. die Hälfte der iranischen Bevölkerung aus (AA 28.1.2022). Iran gehört mit über 80 Millionen Einwohnern zu den 20 bevölkerungsreichsten Ländern der Erde. Dabei ist die iranische Gesellschaft viel heterogener, als die offizielle Staatsdoktrin glauben machen will. Nur etwa 51% der Iraner sind Perser. Dazu kommt die Volksgruppe der Aseris mit 24% der Gesamtbevölkerung, etwa 8% Gilakis und Mazanderanis, 7% Kurden, 3% Araber und je etwa 2% Turkmenen, Luren und Belutschen. Die diesbezüglich genannten Zahlen variieren teils beträchtlich. Zudem leben viele Flüchtlinge im Land, von denen die afghanischen weiterhin die größte Gruppe stellen, gefolgt von irakischen. Insgesamt ist Iran eines der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge weltweit. Die ethnischen Minderheiten Irans leben eher in den Grenzregionen des Landes zu seinen Nachbarn, die Kurden etwa im Nordwesten, die Araber in der Region um den Persischen Golf (GIZ 12.2020c). Überwiegend leben die Minderheiten also in den ökonomisch benachteiligten Randgebieten (DW 6.2.2021), und die Infrastruktur von Regionen, wo Minderheiten wohnen, ist zum Teil stark vernachlässigt (BMI 2015; vgl. FH 28.2.2022, ÖB Teheran 11.2021, AA 28.1.2022). Die Verfassung gewährt allen ethnischen Minderheiten gleiche Rechte und erlaubt die Verwendung von Minderheitensprachen in den Medien. Das Gesetz gewährt den Bürgern das Recht, ihre eigenen Sprachen und Dialekte zu lernen, zu verwenden und zu unterrichten. Trotzdem diskriminiert die Regierung Minderheiten (US DOS 12.4.2022). Die Diskriminierung ethnischer Minderheiten in Iran ist weiterhin ein Problem, betroffen sind v.a. Kurden, Araber, Belutschen, Aseris und Turkmenen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022). Die strukturelle Diskriminierung dieser Gruppen äußert sich im Alltag auch durch das Verbot ihrer Muttersprache im Unterricht und bei Behörden (nur Farsi erlaubt) und im Verbot des Zugangs zu höheren politischen Ämtern (schiitischen Männern vorbehalten). Menschen, die sich für Minderheitenrechte einsetzen, können bedroht, festgenommen und bestraft werden. Unabhängig von der Art der ihnen vorgeworfenen Straftat werden Angehörige ethnischer Minderheiten öfter zum Tode verurteilt, gefoltert und verbringen mehr Zeit in Untersuchungshaft (ÖB Teheran 11.2021). Aktivisten von Minderheiten werden regelmäßig festgenommen und wegen vage definierter nationaler Sicherheitsvorwürfe in Gerichtsverfahren angeklagt, die nicht den internationalen Standards entsprechen (HRW 13.1.2022). Auch Personen, die sich für den Erhalt der sprachlichen oder kulturellen Identität einsetzen, werden oft als Separatisten verfolgt (AA 28.1.2022).
Aufgrund der vage definierten Anklagen sind Angehörige ethnischer Minderheiten weiterhin unverhältnismäßig häufig von Todesurteilen betroffen (AI 29.3.2022; vgl. AA 28.1.2022). Die Behörden richten wegen derartiger Anschuldigungen Verurteilte heimlich hin, und weigern sich, deren Hinterbliebenen die Leichname zu übergeben (AI 29.3.2022).
Quellen:
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Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
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• AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021),
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rden-verst%C3%A4rkt-im-visier-teherans/a-56473340 , Zugriff 29.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
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• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft
Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 29.4.2022 [Anm.: Der Link ist nicht
mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2066471.html , Zugriff 29.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 29.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 29.4.2022
Frauen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Generell genießt die Familie in Iran, ebenso wie in den meisten anderen islamischen Gesellschaften, einen hohen Stellenwert. Der Unterschied zwischen Stadt und Land macht sich aber auch hier bemerkbar, in Bezug auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie hinsichtlich der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auf dem Land hat das traditionelle islamische Rollenmodell weitgehende Gültigkeit, der Tschador, der Ganzkörperschleier, dominiert hier das Straßenbild. In den großen Städten hat sich dieses Rollenverständnis inzwischen verschoben, wenn auch nicht in allen Stadtteilen. Während des Iran-Irak-Krieges war, allen eventuellen ideologischen Bedenken zum Trotz, die Arbeitskraft der Frauen unabdingbar. Nach dem Krieg waren Frauen aus dem öffentlichen Leben nicht mehr wegzudenken oder gar zu entfernen. Die unterschiedliche und sich verändernde Stellung der Frau zeigt sich auch an den Kinderzahlen: Während in vielen ländlichen, gerade den abgelegeneren Gebieten fünf Kinder der Normalfall sind, sind es in Teheran und Isfahan im Durchschnitt unter zwei. Insbesondere junge Frauen begehren heute gegen die nominell sehr strikten Regeln auf, besonders anhand der Kleidungsvorschriften für Frauen wird heute der Kampf zwischen einer eher säkular orientierten Jugend der Städte und dem System in der Öffentlichkeit ausgefochten. Eine Bewegung, die sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit erfreut, ist der islamische Feminismus. Dieser will die Rechte der Frau mittels einer islamischen Argumentation durchsetzen (GIZ 12.2020c). Auch wenn die Stellung der Frau in Iran, entgegen aller Vorurteile gegenüber der Islamischen Republik, in der Praxis sehr viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Region, sind Frauen auch hier nicht gleichberechtigt (GIZ 12.2020c). Verschiedene gesetzliche Verbote machen es Frauen unmöglich, im gleichen Maße wie Männer am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (strenge Kleiderordnung, Verbot des Zugangs zu Sportveranstaltungen, Genehmigungsvorbehalt des Ehemannes oder Vaters bezüglich Arbeitsaufnahme oder Reisen). In rechtlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind iranische Frauen also vielfältigen Diskriminierungen unterworfen, die jedoch zum Teil relativ offen diskutiert werden (AA 28.1.2022). Iran hat die ’Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau’ als einer von wenigen Staaten weltweit nicht unterzeichnet. Im Global Gender Gap Report 2021 des World Economic Forum liegt Iran auf Platz 150 von 156 (WEF 3.2021; vgl. AA 28.1.2022). Von einigen staatlichen Funktionen (u.a. Richteramt, Staatspräsident) sind Frauen gesetzlich oder aufgrund entsprechender Ernennungspraxis ausgeschlossen (AA 28.1.2022; vgl. BAMF 7.2020). Es ist hier anzumerken, dass es sehr wohl einige Richterinnen - insbesondere an Familiengerichten - gibt. Ihnen steht es aber nicht zu, ein Urteil auszusprechen oder den Prozess zu leiten. Sie dürfen unter der Aufsicht eines männlichen Richters lediglich beratend tätig werden (BAMF
7.2020). Nur eine Frau gehört dem Kabinett von Staatspräsident Raisi an, die Vizepräsidentin für Frauen- und Familienangelegenheiten Ensieh Khazali. Die ultrakonservative Politikerin gilt als Befürworterin der frühen Heirat von Mädchen (AA 28.1.2022). Die Erwerbsquote von Frauen liegt nur bei etwa 12%. Viele Frauen sind im informellen Sektor tätig (BS 2020). Zusätzlich sind Frauen seit dem Beginn der Covid-19-Krise stärker als Männer vom Verlust ihres Arbeitsplatzes betroffen. Da Arbeitgeber durch die Pandemie wirtschaftlich unter Druck geraten sind, versuchen diese, den ausbleibenden Umsatz durch eine Reduzierung der Lohnzahlungen auszugleichen. Am stärksten davon, aber auch vom Verlust des Arbeitsplatzes, betroffen sind die Lohnzahlungen von Frauen (BAMF 7.2020). Laut offiziellen Daten wurden aufgrund der Covid-19-Krise binnen eines Jahres eine Million Frauen zusätzlich arbeitslos. Die Stärkung der Schattenwirtschaft, und damit von religiösen Stiftungen und Unternehmen im Besitz der Revolutionsgarden, in denen konservative Männer dominieren, hat die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen besonders eingeschränkt (ÖB Teheran 11.2021). Laut offiziellen Angaben liegt die Arbeitslosenrate bei Frauen bei knapp 18%. Unter Frauen mit höherer Bildung liegt
sie noch deutlich höher. Die ultrakonservative Regierung wird die Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt nicht vorantreiben, weil sie die traditionelle Rolle der Frau in der islamischen Familie stärken und die Geburtenrate erhöhen will (AA 28.1.2022). Gründe für die stärkere Betroffenheit von Frauen von Arbeitslosigkeit sind neben der Covid-Pandemie auch die US Sanktionen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und die beruflichen Möglichkeiten für Frauen sind durch soziale und rechtliche Regelungen eingeschränkt, mit dem Ziel der Beschränkung der Rolle von Frauen als Mutter und Ehefrau. Oftmals wird von Frauen das Einverständnis des Ehemannes oder Vaters verlangt, um eine Erwerbstätigkeit aufnehmen zu können. Gesetzlich kann ein Ehemann seiner Ehefrau jederzeit verbieten, arbeiten zu gehen. Stellenausschreibungen werden oft geschlechtsspezifisch nur für Männer ausgeschrieben. Regelmäßig werden Frauen nach Rückkehr aus der neunmonatigen Karenz gekündigt. Die gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit verhindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss erwerbstätiger Frauen. Konservative Politiker haben in der Vergangenheit mehrmals versucht, die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter einzuschränken oder in manchen Sektoren zu verbieten (ÖB Teheran 11.2021).
In rechtlicher Hinsicht unterliegen Frauen einer Vielzahl diskriminierender Einschränkungen. Prägend ist dabei die Rolle der (Ehe-)frau als dem (Ehe-)mann untergeordnet, wie sich sowohl in Fragen der Selbstbestimmung, des Sorgerechtes, der Ehescheidung als auch des Erbrechts erkennen lässt (AA 28.1.2022; vgl. HRW 13.1.2022, ÖB Teheran 11.2021, AI 29.3.2022, BAMF 7.2020). Beispielsweise darf eine verheiratete Frau ohne die schriftliche Genehmigung ihres Mannes (oder Vaters) keinen Reisepass erhalten oder ins Ausland reisen (HRW 13.1.2022; vgl. FH 28.2.2022, BAMF 7.2020). Kinder unter 18 Jahren benötigen für die Ausstellung des Reisepasses die schriftliche Erlaubnis ihres Vaters. Wenn der Ehemann oder der Vater nicht anwesend ist, hat die Frau sich bei einem Wunsch zur Ausreise an die zuständige Behörde des Außenministeriums zu wenden, sofern die schriftliche Erlaubnis nicht vorliegt. Während dieses Verfahrens werden auch Unterschrift sowie personenbezogene Angaben überprüft (BAMF 7.2020). Unverheiratete und geschiedene Frauen sowie Witwen benötigen keine Erlaubnis ihres Vaters oder eines männlichen Vormunds, um zu reisen (Cedoca 30.3.2020). Nach dem Zivilgesetzbuch hat ein Ehemann das Recht, den Wohnort zu wählen, und kann seine Frau daran hindern, bestimmte Berufe auszuüben (HRW 13.1.2022; vgl. BAMF 7.2020). Im Straf- bzw. Strafprozessrecht sind Mädchen bereits mit neun Jahren vollumfänglich strafmündig (Buben mit 15 Jahren) (AA 28.1.2022; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021). Zeugenaussagen von Frauen werden hingegen nur zur Hälfte gewichtet (AA 28.1.2022; vgl. FH 28.2.2022, ÖB Teheran 11.2021) und die finanzielle Entschädigung, die der Familie eines weiblichen Opfers nach ihrem Tod gewährt wird, ist nur halb so hoch wie die Entschädigung für ein männliches Opfer (FH 28.2.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Selbst KFZ-Versicherungen zahlen nur die Hälfte bei Personenschäden von Frauen. Auch erben Frauen nur die Hälfte von Männern (ÖB Teheran 11.2021). Bei Verstößen gegen gesetzliche Verbote müssen Frauen mit Strafen rechnen. So kann etwa eine Frau, die ihre Haare oder die Konturen ihres Körpers nicht verhüllt, mit Freiheitsstrafe (zehn Tage bis zu zwei Monaten) und/oder Geldstrafe bestraft werden. Grundsätzlich ist auch die Verhängung von bis zu 74 Peitschenhieben wegen Verstoßes gegen die öffentliche Moral möglich; dazu kommt es in der Regel nicht, da die Familien von der Möglichkeit des Freikaufs überwiegend Gebrauch machen (AA 28.1.2022). Laut Gesetz darf eine Jungfrau nicht ohne Einverständnis ihres Vaters, Großvaters oder eines Richters heiraten (US DOS 12.4.2022). Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen liegt bei 13 Jahren. Väter und Großväter können bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie das Mädchen früher verheiraten wollen (US DOS 12.4.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021, AI 29.3.2022, BAMF 7.2020). Das gesetzliche Alter für Buben liegt bei 15 Jahren. Mit der schlechten Wirtschaftslage geht ein Anstieg des Verkaufs von Mädchen zum Kindesmissbrauch in Kinderehen einher (ÖB Teheran 11.2021). 2020 stieg die Rate nach offiziellen Zahlen um 10,5% auf 31.379 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren. Jüngere Mädchen werden nicht gezählt, auch wenn die Verheiratung von Mädchen ab neun Jahren mit Zustimmung der Eltern und eines religiösen Richters erlaubt ist (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022).
Im Juni 2020 erließ der Präsident ein Dekret, mit dem eine Änderung des Zivilgesetzbuches in Kraft gesetzt wurde. Dadurch wird es iranischen Frauen, die mit ausländischen Männern verheiratet sind, ermöglicht, ihren Kindern die Staatsbürgerschaft zu übertragen (US DOS 12.4.2022; vgl. BAMF 7.2020, ÖB Teheran 11.2021, FH 28.2.2022). Frauen müssen diese Übertragung jedoch eigens beantragen, und ihre Kinder müssen sich einer Sicherheitsüberprüfung durch das Geheimdienstministerium unterziehen, während die Staatsbürgerschaft iranischer Männer automatisch an deren Kinder übertragen wird (USDOS 12.4.2022; vgl. BAMF 7.2020). Die ersten Personalausweise für solche Kinder wurden im Juli 2021 ausgestellt (FH 28.2.2022). Gesetzliche Regelungen räumen geschiedenen Frauen das Recht auf Alimente ein. Angaben über mögliche (finanzielle) Unterstützung vom Staat für alleinerziehende bzw. alleinstehende Frauen sind nicht eruierbar. Das Gesetz sieht vor, dass geschiedenen Frauen vorzugsweise das Sorgerecht für ihre Kinder bis zu deren siebentem Lebensjahr gegeben werden soll. Danach soll das Sorgerecht dem Vater übertragen werden, außer dieser ist dazu nicht imstande. Heiraten geschiedene Frauen erneut, verlieren sie das Sorgerecht für Kinder aus einer früheren Ehe (ÖB Teheran 11.2021). Ein Mann kann sich zu jedem Zeitpunkt von seiner Frau scheiden
lassen. Die Möglichkeiten der Frau, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, sind dagegen eingeschränkt und nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Bei Schließung einer dauerhaften Ehe besteht die Möglichkeit, Regelungen vor dem Heiratsnotariat zu vereinbaren, unter denen sich die Ehefrau an ein Gericht wenden kann, um eine schriftliche Erlaubnis zur Scheidung zu erhalten (BAMF 7.2020). Aufgrund der Schwierigkeit für Frauen am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist der familiäre Rückhalt für alleinstehende Frauen umso bedeutender. Jedoch erhalten manche Frauen, die außerhalb
der gesellschaftlichen Norm leben (wie zum Beispiel lesbische Frauen oder Prostituierte), keine Unterstützung durch die Familie und können Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsheirat werden. Alleinstehende Frauen haben oft Schwierigkeiten, eine Wohnung oder Arbeit zu finden, da sie für Prostituierte gehalten werden (ÖB Teheran 11.2021). Der Staat ist verpflichtet, Frauen vor sexueller Gewalt zu schützen. Frauen, die ehelicher oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können nicht uneingeschränkt darauf vertrauen, dass effektiver staatlicher Schutz gewährt wird. Gesetze zur Verhinderung und Bestrafung geschlechtsspezifischer Gewalt existieren nicht. Ein geplantes Gesetz ’gegen Gewalt gegen Frauen’ ist noch immer nicht verabschiedet worden. Fälle von Genitalverstümmelung sind nicht bekannt (AA 28.1.2022). Vergewaltigung ist illegal und unterliegt strengen Strafen, einschließlich der Todesstrafe. Das Gesetz betrachtet Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe per Definition als einvernehmlich und behandelt daher keine Vergewaltigung in der Ehe, auch nicht in Fällen von Zwangsheirat. Die meisten Vergewaltigungsopfer melden Verbrechen nicht, weil sie staatliche Vergeltungsmaßnahmen oder Strafen für Vergewaltigungen befürchten, wie zum Beispiel Anklagen wegen Unanständigkeit, unmoralischem Verhalten oder Ehebruch. Ehebruch wiederum ist
ebenfalls mit der Todesstrafe bedroht. Auch gesellschaftliche Repressalien oder Ausgrenzung werden von Vergewaltigungsopfern befürchtet (US DOS 12.4.2022). Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz und in der Familie ist weit verbreitet, für die Männer herrscht gänzliche Straflosigkeit. Ein iranischer ’Me-Too’-Moment im Sommer 2020, als eine junge Frau Interviews mit Überlebenden sexueller Gewalt veröffentlichte, zeigte das Ausmaß des ansonsten totgeschwiegenen Problems auf. Krisenzentren und Frauenhäuser nach europäischem Modell existieren in Iran nicht. Die schwierige Beweislast für sexuellen Missbrauch und das Verbot außerehelicher Beziehungen hat zur Folge, dass Frauen Missbrauch nicht anzeigen, da sie ansonsten regelmäßig selbst Beschuldigte wären. Ein Gesetzesentwurf der Regierung Rohani zu Gewaltschutz wurde vom erzkonservativen Parlament solange boykottiert, bis der jetzige Präsident Raisi an die Macht kam, unter dem das Gesetz keine Aussicht auf Umsetzung hat (ÖB Teheran 11.2021).
Am 1.11.2021 wurde ein neues Gesetz zur ’Verjüngung der Gesellschaft und zum Schutz der Familie’ verabschiedet, das von neun UN-Sonderberichterstattern und Menschenrechtsmechanismen als menschenrechtswidrig bezeichnet wurde (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesetz schränkt den Zugang von Frauen zu reproduktiven Rechten stark ein. So soll der Zugang zu Abtreibungen v.a. mithilfe strafrechtlicher Drohungen weiter stark eingeschränkt werden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, AA 28.1.2022), insbesondere dürfte bei Abtreibungen als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) die Todesstrafe drohen (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus werden der Verkauf von Verhütungsmitteln und Sterilisationen verboten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, AA 28.1.2022), eine Datenbank von Frauen, die gynäkologische Hilfe suchen wird erstellt, und religiöse Richter sollen mitentscheiden, ob einer Frau medizinische indizierte Abtreibung gewährt wird (ÖB Teheran 11.2021). Dem Gesetz nach müssen alle Frauen in Iran ab einem Alter von neun Jahren die islamischen Bekleidungsvorschriften in der Öffentlichkeit einhalten. Das Kopftuch ist zwingend vorgeschrieben, jedoch nicht das Tragen des Tschadors. Nach einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes des iranischen Parlamentes heißen nur 13% der befragten Frauen das Tragen des Tschadors gut (BAMF 7.2020). Seit Ende Dezember 2017 fordern immer mehr iranische Frauen eine Abschaffung der Kopftuchpflicht. Als Protest nehmen sie in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und hängen sie als Fahne auf. Auch gläubige Musliminnen, die das Kopftuch freiwillig tragen, ältere Frauen, Männer und angeblich auch einige Kleriker haben sich den landesweiten Protestaktionen angeschlossen (Kleine Zeitung 3.2.2018). Zahlreiche Frauen, die öffentlich ihren Schleier abnahmen und davon Fotos und Videos verbreiteten, befinden sich weiterhin in Haft und sind zu Peitschenhieben verurteilt, wie auch ihre Rechtsanwälte (ÖB Teheran 11.2021). In einigen Fällen wurden auch besonders harte Haftstrafen verhängt (u.a. 24 Jahre Haft für eine Frauenrechtsaktivistin im August 2019) (AA 28.1.2022). Der Kopftuchzwang führt zu täglichen Schikanen, willkürlichen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen sowie dazu, dass Frauen der Zugang zu Bildung, Beschäftigung und öffentlichen Räumen verweigert wird. Mindestens sechs Frauenrechtlerinnen, die sich gegen den Kopftuchzwang eingesetzt hatten, sitzen noch immer im Gefängnis (AI 29.3.2022). Obwohl Frauen im Oktober 2019 einmalig auf Druck der FIFA erstmals ein Fußball-Länderspiel im Stadion verfolgen konnten, hat sich am grundsätzlichen Stadionverbot für Frauen nichts geändert (AA 28.1.2022). Neben den Beschränkungen in Bezug auf Sportveranstaltungen gibt es solche auch bezüglich Kultur, beispielsweise ein Singverbot außer im Chor, Verbot des Tanzens, etc. Die Regierung Raisi hat bereits angekündigt, das Rad- und Motorradfahrverbot für Frauen streng durchzusetzen (ÖB Teheran 11.2021).
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• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 12.5.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 12.5.2022
• WEF – World Economic Forum (3.2021): Global Gender Gap Report 2021, https://www3.weforum
.org/docs/WEF_GGGR_2021.pdf , Zugriff 12.5.2022
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 23.05.2022
Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vor. Im Prinzip respektiert die Regierung diese Rechte, es gibt jedoch einige Einschränkungen, besonders für Frauen und Flüchtlinge. Die Regierung verlangt von allen Bürgern für Auslandsreisen eine Ausreisebewilligung. Bürger, die auf Staatskosten ausgebildet wurden oder Stipendien erhalten haben, müssen diese entweder zurückzahlen, oder erhalten befristete Ausreisebewilligungen (US DOS 12.4.2022). Die Regierung schränkt auch die Reisefreiheit von einigen religiösen Führern, Mitgliedern von religiösen Minderheiten und Wissenschaftern in sensiblen Bereichen ein. Journalisten, Akademiker, oppositionelle Politiker, Künstler sowie Menschen- und Frauenrechtsaktivisten sind von Reiseverboten und Konfiszierung der Reisepässe betroffen. Verheiratete Frauen dürfen nicht ohne die Zustimmung ihrer Männer ins Ausland reisen (US DOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022). Zur rechtmäßigen Ausreise aus der Islamischen Republik Iran benötigen iranische Staatsangehörige einen gültigen Reisepass und einen Nachweis über die Bezahlung der Ausreisegebühr (gestaffelte Gebühr: derzeit 4 bis 8 Millionen Real, das sind 11 bis 23 Euro). Die illegale Ausreise erfolgt zumeist auf dem Landweg unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Türkei (AA 28.1.2022).
Soweit Repressionen praktiziert werden, geschieht dies landesweit unterschiedslos. Zivile und militärische Verwaltungsstrukturen arbeiten effektiv. Ausweichmöglichkeiten bestehen somit nicht (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 29.4.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 29.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices
2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 29.4.2022
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 23.05.2022
Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 130 Euro im Monat (aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt umgerechnet bei ca. 180 Euro pro Monat (AA 28.1.2022). Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Covid-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).
Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher ’Braindrain’, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung (ÖB Teheran 11.2021). So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 13.1.2022). Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80% der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20% ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Ölverkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig.
Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch
sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021). In mehreren Provinzen, darunter auch in Khuzestan, hielten Demonstranten ab Mitte Juli 2021 Kundgebungen wegen Wassermangels und schlechter Lebensbedingungen ab. Die Sicherheitskräfte reagierten darauf, indem sie die Teilnehmer festnahmen und im weiteren Verlauf des Monats tödliche Gewalt anwendeten. Während dieser Proteste sollen mindestens elf Personen durch Sicherheitskräfte getötet worden sein (FH 28.2.2022). [Bezüglich der Unruhen vgl. Sie bitte das Kapitel zur Versammlungsfreiheit].
Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vgl. BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mithilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 11.5.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co
ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 11.5.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do
kument/2068632.html , Zugriff 11.5.2022
• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/doku
ment/2046519.html ,Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft
und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff
11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A
_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net
/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 23.05.2022
Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten ’Hohen Versicherungsrat’ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die ’Organisation für Sozialversicherung’ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 9 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80% des Gehaltes, das für mindestens
ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 1,5 Euro) sog. Yarane (AA 28.1.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020). Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7% der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23% von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12%, 14% und 18%, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7% des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt.
Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50% der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25% und für Eltern 20% beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi). Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020). Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 28.1.2022). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021). Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die ’sadeqe’, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft
und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff
11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation
archiviert und einsehbar.]
• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.b
amf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country
_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2
036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 23.05.2022
Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungsunternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021). Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen zumeist auf relativ hohem Niveau möglich (AA 11.5.2022a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021). Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen ’Behvarz’ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte ’Gesundheitsposten’ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90% der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocket-Zahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50% der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58%, während sie bis 2016 auf 35,5% zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30% zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021). Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die ’Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste’ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die ’Imam Khomeini Stiftung’, um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021). Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vgl. Landinfo 12.8.2020, HRC 13.1.2022). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.5.2022a): Reise- und Sicherheitshinweise - Gesundheit,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396#conte
nt_5 , Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft
Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht
mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of
Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A
_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 11.5.2022
• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.b
amf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country
_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net
/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Rückkehr
Letzte Änderung: 23.05.2022
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA 28.1.2022). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 28.1.2022). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021). Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 28.1.2022). Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala, unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018). In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch üblich, dass Personen die Grenze zwischen dem Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).
Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018). Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 10.5.2022
• Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for
Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees
by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus
_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf ,
Zugriff 10.5.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran:
Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ec
oi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-in
cluding-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 10.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https:
//www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.5.2022
Dokumente
Letzte Änderung: 23.05.2022
Alle iranischen Staatsbürger erhalten bei der Geburtsregistrierung ein Ausweisheft (Shenasnameh). Dieses ist in zwei Versionen erhältlich: eine für Kinder bis zu 15 Jahren und eine für Personen über 15 Jahren. Das Shenasnameh wird bei Änderungen des Familienstandes und der Familienverhältnisse aktualisiert. Darüber hinaus stellen die iranischen Behörden für iranische Staatsbürger über 15 Jahren einen nationalen Personalausweis aus (Kart-e melli). Dabei handelt es sich inzwischen um eine elektronische Chipkarte, die allmählich zum wichtigsten Ausweisdokument der Iraner im täglichen Leben geworden ist. Sowohl die Shenasnameh als auch die Kart-e melli werden von der Nationalen Organisation für Zivilregistrierung (NOCR) ausgestellt (Landinfo 5.1.2021).
Gefälschte bzw. mit falschen Angaben erstellte Dokumente sind in Iran einfach erhältlich (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022). Auch echte Dokumente unrichtigen Inhaltes sind einfach zu beschaffen (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Dies betrifft insbesondere die Shenasnameh (Stammbuch). So ist es relativ einfach, in eine echte Shenasnameh ein anderes Geburtsdatum eintragen zu lassen. Bei Kindern, die außerehelich geboren werden, wird zumeist ein beliebiger Name als Vater eingetragen, um die Kinder vor Benachteiligungen in der Schule und im Erwachsenenleben zu schützen. Frauen lassen sich nach einer Scheidung häufig eine neue Shenasnameh ausstellen, aus der die gescheiterte Ehe nicht hervorgeht (AA 28.1.2022). Die neuesten Ausgaben von Shenasnameh und Kart-e melli verfügen über fortschrittlichere Sicherheitsfunktionen als die Vorgängermodelle. Dies hat dazu beigetragen, die Authentizität der iranischen Ausweise zu verbessern. Es sind aber noch immer die alten Versionen in Gebrauch und diese sind weitaus leichter zu manipulieren (Landinfo 5.1.2021).
Sowohl die von iranischen Behörden als auch von der afghanischen Botschaft in Iran ausgestellten Dokumente bestätigen unrichtige Angaben. Eine Überprüfung ist seitens der österreichischen Botschaft nicht möglich. Die Überprüfung von Haftbefehlen kann von der Botschaft aufgrund von Datenschutz nicht durchgeführt werden (ÖB Teheran 11.2021). Auch für Justizunterlagen wie Urteile, Vorladungen etc. kann eine mittelbare Falschbeurkundung nicht ausgeschlossen werden. Denn einerseits ist auch das Justizsystem korruptionsanfällig, andererseits ist es in der iranischen Kultur nicht unüblich, auf der Grundlage von Beziehungsgeflechten Hilfeleistungen und Gefälligkeiten zu erbringen (AA 28.1.2022)
Die offizielle Registrierungsbehörde nimmt alle iranischen Staatsangehörigen in ihre Datenbank auf, nachdem zuvor die Identität durch Polizei- und Informationsdienste festgestellt worden ist. Auslandsvertretungen sind nicht ermächtigt, Auskünfte einzuholen. Ein formales Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahren ist nicht bekannt (AA 28.1.2022). Durch die sukzessive Digitalisierung des Justizsystems können seit Ende 2016 Justizdokumente über eine elektronische Datenbank, das sog. Sana-System, abgerufen werden. Seit 2019 werden Justizdokumente in allen Provinzen in der Regel fast ausschließlich über diese Datenbank kommuniziert (vgl. Art. 175 iranische StPO in der Fassung von 2013/14). Sofern die Dokumente in der Justizdatenbank hinterlegt sind, kann von deren Echtheit ausgegangen werden. Der Zugang zum Sana-System war aus dem Ausland aufgrund von Geoblocking bisher nicht möglich. Seit dem 21.04.2021 kann die Datenbank unter www.kharej.adliran.com oder unter www.international.adliran.ir auch aus dem Ausland abgerufen werden, um den Status laufender Gerichtsverfahren zu überprüfen. Die Systemabfrage setzt eine vorherige Registrierung der betroffenen Person voraus, die durch persönliche Vorsprache oder eine Art Video-Identverfahren erfolgen kann. Ferner sind v.a. die Kart-e Melli-Nummer und eine erreichbare iranische Mobilfunknummer erforderlich, an die ein temporäres Passwort versendet wird (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r
tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%
28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 27.4.2022
• Landinfo [Norwegen] (5.1.2021): Iran. Passports, ID and civil status documents, https://www.ecoi
.net/en/file/local/2044494/Iran-Passports-ID-and-civil-status-documnents-05012021.pdf , Zugriff
27.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
Individuell
Für die Islamische Glaubensgemeinschaft gelten die gleichen Bestimmungen in Bezug auf einen Religionsaustritt wie für die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Dieser Austritt wird nicht bei der Religionsvertretung selbst kundgetan, sondern bei der zuständigen Behörde. Diese informiert die Islamische Glaubensgemeinschaft dann über den Austritt.
Die Privatsphäre wird bei Fälle in denen eine Austrittbescheinigung ausgestellt wurde geschützt, deren Daten etwa im Zuge einer behördlichen Benachrichtigung eingehen. Keine Angaben werden nach außen getragen.
Quelle: IGGiÖ - Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (30.9.2016): Anfrage der Staatendokumentation. Antwort per E-Mail.
Psychische Erkrankungen
Fast ein Viertel der iranischen Erwachsenen leidet an einer psychischen Erkrankung", so ein neuer Bericht des iranischen Gesundheitsministeriums.
MedCOI stellte fest, dass zahlreiche Behandlungen in den folgenden Krankenhäusern verfügbar sind:
Bspw:
Stationäre Behandlung durch einen Psychiater:
- Mehregan Private Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Maymanat Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
Ambulante Behandlung und Nachsorge durch einen Psychiater:
- Maymanat Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Iran Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
Psychiatrische ambulante Langzeitbehandlung durch einen Psychiater:
- Mehregan Private Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Iran Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Maymanat Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
Psychiatrische Behandlung von PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) mittels kognitiver Verhaltenstherapie
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Maymanat Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
- Iran Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
Psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordversuch einschließlich Magenspülung / Magenspülung
- Iran Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Maymanat Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
Psychiatrische Behandlung mittels Psychotherapie
- Rouzbeh Psychiatry Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Iran Psychiatric Hospital, Tehran (öffentliche Einrichtung)
- Rezai Psychiatric Hospital, Tehran (private Einrichtung)
MedCOI stellte fest, dass (unter anderem) folgende Medikamente verfügbar sind:
Antidepressiva: Mirtazapine, Trazodone, Amitriptyline, Duloxetine, Venlafaxine, Escitalopram, Paroxetine, Sertraline, Vortioxetine, Bupropion
Antipsychotika: Prothipendyl, Flupentixol, Levomepromazine, Clotiapine, Olanzapine, Zuclopenthixol, Haloperidol, Clozapine, Aripiprazole, Risperidone
Quelle: Uk Home Office, Country Policy and Information Note, Iran: Medical and healthcare issues, November 2019
Erfan-e Halgheh
Erfan Keyhani wird auch als „Interuniversalism“ (IEHCF o.J.; BBC 5. Apr. 2020), „Inter-universal Mysticism" (HRWF Int'l 1. März 2018, 33), „Interuniversalism Mysticism'", „Faralogy'" (IEHCF n.d.a) und „Kosmische Mystik'" (Doostdar 2018, 16) bezeichnet. Alireza Doostdar, Assistenzprofessorin für Islamwissenschaft und Anthropologie der Religion an der University of Chicago (The University of Chicago n.d.) beschreibt Erfan Keyhani als „eine iranische spirituell-therapeutische Bewegung“ (Doostdar 2018, 18).
Quellen zufolge wurde Erfan Keyhani von Mohammad Ali Taheri entwickelt (Doostdar 2018, 182; HRWF International 1. März 2018, 33; IEHCF n.d.a).
Ein Bericht über Religions- und Glaubensfreiheit im Jahr 2017 von Human Rights Without Frontiers International (HRWF Int'l) [1] weist darauf hin, dass Erfan Keyhani „vielleicht bis zu 20.000 Trainer weltweit hat“ und dass „Millionen von Menschen die praktischen Anwendungen von Inter-universal mysticism kennengelernt haben“ (HRWF Int'l 1. März 2018, 33). Laut Interviewnotizen eines Berichtes der dänischen Einwanderungsbehörde über Erfan Keyhani im Mai 2019, gab ein ehemaliges Mitglied [2] des Erfan Keyhani-Koordination Komitees in der iranischen Stadt Tabriz an, dass „es von [Erfan Keyhani] Anhängern angenommen wird, dass Millionen von Iranern an [Erfan Keyhani]-Kursen teilgenommen haben", aber dass es "keine bestätigte Statistiken“ gibt (Dänemark Mai 2019, 13, 17).
Wie in dem dänischen Bericht zitiert, wies das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani darauf hin, dass Erfan Keyhani „weder eine Religion noch eine religiöse Sekte ist“ und „nicht mit der Religion und dem Glauben der Menschen in Verbindung steht“, und fügte hinzu, dass „jeder aus jeder Religion [Erfan Keyhani] beitreten kann und von seinen Lehren profitieren kann“ (Dänemark Mai 2019, 13). Auf der Website der Interuniversalism Erfan Halqeh Canada Foundation (IEHCF) heißt es, dass "Interuniversalismus kein spezifisches Dogma enthält und auch nicht das Element des Glaubens erfordert" (IEHCF n.d.a.).
Wie im dänischen Bericht zitiert, wies das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani darauf hin, dass „derzeit“ Erfan Keyhani-Praktizierende „nicht innerhalb einer formellen Organisationsstruktur organisiert sind“, und erklärte weiter, dass es aktive Erfan Keyhani-Zentren in Kanada, Schweden Großbritannien und Österreich gibt (Dänemark Mai 2019, 15). Dieselbe Quelle stellte fest, dass „[k]eines dieser Zentren als [Erfan Keyhanis] Hauptzentrum außerhalb des Iran fungiert und es keine hierarchische Beziehung zwischen ihnen gibt“ und dass es neben den Zentren „mehrere unorganisierte Gruppen und Einzelpersonen gibt, wie die Quelle selbst, die in Sensibilisierungs- und anderen Aktivitäten aktiv sind“ (Dänemark Mai 2019, 15). Doostdar erklärt, dass Erfan Keyhani-Gruppen nach der Verurteilung von Taheri und einigen seiner Anhänger „[immer]“ mit „internen Zwietracht“ konfrontiert waren, da sich einige „Meister“ darauf konzentrierten, sich für die Freilassung von Taheri einzusetzen, während andere sich für die Wahl einer neuen Führung aussprachen (Doostdar 2018, 183). Bestätigende Informationen konnten in den von der Forschungsdirektion konsultierten Quellen innerhalb der Fristen dieser Antwort nicht gefunden werden.
Das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani merkte an, dass er bis zu Taheris Verhaftung im Jahr 2010 Mitgliedsausweise mit dem Namen der Person und den besuchten Kursen auf der Karte ausstellte; seit Taheris Verhaftung im Jahr 2010 wurden jedoch Karten von Erfan Keyhani-Ausbildern an Anhänger ausgegeben, die an Kursen teilnehmen (Dänemark, Mai 2019, 15). Dieselbe Quelle fügte hinzu, dass Karten von jedem einzelnen Ausbilder ausgestellt werden, da „es keine offizielle Organisation gibt, die dies autorisiert“ und dass „außer diesen Karten keine anderen Dokumente, die die Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zu [Erfan Keyhani] belegen, im Iran ausgestellt werden “ (Dänemark Mai 2019, 15). Bestätigende Informationen konnten in den von der Forschungsdirektion konsultierten Quellen innerhalb der Fristen dieser Antwort nicht gefunden werden.
Wie im dänischen Bericht zitiert, wies das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani darauf hin, dass Erfan Keyhani-Praktizierende im Iran Kurse durchführen, "spontaneou[s]"-Treffen abhalten, um mystische und spirituelle Angelegenheiten zu diskutieren, und an karitativen und humanitären Aktivitäten teilnehmen (Dänemark, Mai 2019, 15). Dieselbe Quelle fügte hinzu, dass auch Praktizierende von Erfan Keyhani gegen Taheris Verhaftung protestiert hätten (Dänemark, Mai 2019, 15). Bestätigende Informationen konnten in den von der Forschungsdirektion konsultierten Quellen innerhalb der Fristen dieser Antwort nicht gefunden werden.
Der Vertreter der IEHCF stellte fest, dass es im Fall von Anhängern und Praktizierenden „eine laufende Regierungskampagne gibt, um Mitglieder der Öffentlichkeit einzuschüchtern und davon abzuhalten, am Unterricht teilzunehmen und die Übungen zu machen“ (IEHCF 8. Februar 2021). Wie in dem dänischen Bericht zitiert, wies das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani darauf hin, dass die iranischen Behörden wollen, dass die Anhänger von Erfan Keyhani aufhören, „alternative Interpretationen“ der Zwölf-Version des schiitischen Islams zu verbreiten, und stattdessen „das Verständnis des Regimes für den schiitischen Islam durch ihre Kurse" (Dänemark Mai 2019, 17). Der HRWF Int’l-Bericht stellt fest, dass „die iranische Regierung versucht hat, die Verbreitung von Erfan-e Halghe aktiv zu unterdrücken, indem sie behauptet, dass Taheri ‚gegen die nationale Sicherheit handelt‘ und sich der ‚Korruption auf Erden‘ schuldig gemacht hat“ (HRWF Int‘l 1 März 2018, 33). Der International Religious Freedom Report des US-Außenministeriums für 2019 weist darauf hin, dass laut Berichten von NGOs Erfan Keyhani-Anhänger „weiterhin häufigen Verhaftungen, Inhaftierungen, Belästigungen und Überwachungen ausgesetzt waren“ (US 10. Juni 2020, 21). In Korrespondenz mit der Forschungsdirektion erklärte ein Vertreter der Human Rights Activists News Agency (HRANA) [3], dass es „mehrere Berichte über Verhaftungen und Haftstrafen gegen Praktizierende aus Erfan Halgheh gegeben hat“ (HRANA 2. Februar 2021 ). Dieselbe Quelle wies darauf hin, dass „die Verhaftungen und Belästigungen von Erfan Halgheh [Mitgliedern] erheblich zurückgegangen sind“, seit Taheri den Iran verlassen hat [4] (HRANA 2. Februar 2021). Bestätigende Informationen konnten in den von der Forschungsdirektion konsultierten Quellen innerhalb der Fristen dieser Antwort nicht gefunden werden.
Der IEHCF-Vertreter wies darauf hin, dass Lehrer und Tutoren „den größten sozialen Druck aufgrund von Verleumdungskampagnen der Regierung erleiden, die die Öffentlichkeit von der Teilnahme an Erfan Halqeh abhalten sollen“ (IEHCF 8. Februar 2021). Dieselbe Quelle gab an, dass „[viele] aktive“ Lehrer und Praktizierende von Erfan Keyhani zu „langen“ Haftstrafen und „hohen“ Geldstrafen verurteilt wurden (IEHCF 8. Februar 2021). Der IEHCF-Vertreter wies auch darauf hin, dass die Lehrer von Erfan Keyhani „stark unter Druck [von] der Polizei und der Justiz stehen“ und unter Folter verhört werden, wenn sie erwischt werden (IEHCF 8. Februar 2021). Laut dem ehemaligen Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani „sind es besonders Personen, die sehr aktiv waren“ innerhalb von Erfan Keyhani, einschließlich Kursleiter, die von den iranischen Behörden „ins Visier genommen“ werden (Dänemark Mai 2019, 17). Dieselbe Quelle gibt an, dass „im Allgemeinen das Ausmaß der Verfolgung von [Erfan Keyhani]-Anhängern von [ihrem] Aktivitätsniveau abhängt und wie offen und sichtbar die Aktivität ist“, und fügt hinzu, dass Erfan Keyhani-Praktizierende, die an öffentlichen Protesten gegen Taheris Festnahme teilgenommen haben, „Festnahmen und Schikanen“ ausgesetzt waren (Dänemark, Mai 2019, 17). Das ehemalige Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani stellte jedoch fest, dass in bestimmten Fällen „unauffällige[e]“ Personen, wie etwa Kursteilnehmer von Erfan Keyhani, von Behörden „willkürlich festgenommen oder belästigt“ wurden (Dänemark, Mai 2019, 17).
Laut Agence France-Presse (AFP) wurde Taheri erstmals 2010 festgenommen (AFP 23. Apr. 2019). Dieselbe Quelle berichtet, dass er im Mai 2011 erneut festgenommen und wegen „‚Korruption auf Erden‘ angeklagt wurde – eine der schwersten Anklagen in der islamischen [Republik]“ (AFP 23. Apr. 2019). Der Bericht von HRWF Int'l weist darauf hin, dass Taheri im Oktober 2011 wegen "'Beleidigung islamischer Heiligkeiten'" zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde (HRWF Int'l 1. März 2018, 34). Quellen berichten, dass Taheri 2015 und 2017 zum Tode verurteilt wurde, aber beide Todesurteile aufgehoben wurden (AFP 23. Apr. 2019; Reuters 18. Aug. 2018). Laut Reuters wurde Taheris zweites Todesurteil 2018 aufgehoben und durch eine fünfjährige Haftstrafe ersetzt (Reuters 18. Aug. 2018). Quellen berichten, dass Taheri im April 2019 freigelassen wurde, nachdem er fast acht Jahre im Gefängnis verbracht hatte (AFP 23. Apr. 2019; US 10. Juni 2020, 21)
Quelle: IRBC (Immigration and Refugee Board of Canada), Iran: Situation and treatment of Erfan Keyhani [Erfan-e Keyhani, Erfan-e Halgheh, Erfan Halgheh, Erfan Halqeh, Erfan-e Halghe] practitioners and their family members by society and the authorities, Anfragebeantwortung vom 2. März 2021
II.1.3. Behauptete Ausreisegründe aus dem Herkunftsstaat
Es konnte nicht festgestellt werden, dass den BF1-2 eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in ihrem Heimatland Iran droht.
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF1-2 tatsächlich vom Islam abgefallen sind.
Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die BF1-2 im Iran aufgrund ihrer religiösen/politischen Gesinnung oder aufgrund anderer Umstände seitens staatlicher Organe oder Privatpersonen Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren bzw. bei einer Rückkehr sein werden.
2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt.
Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes, des Ergebnisses des ergänzenden Ermittlungsverfahrens sowie der Beschwerdeverhandlung ist das erkennende Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
II.2.2. Die Feststellungen zur Person der BF1-2 (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, familiäre und private Verhältnisse im Iran) ergeben sich – vorbehaltlich der Feststellungen zur Identität - aus in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben der BF1-2 sowie ihren Sprach- und Ortskenntnissen.
Aufgrund der Vorlage von unbedenklichen nationalen Identitätsdokumenten konnte die Identität der BF1-2 festgestellt werden.
Die Eheschließung geht aus der iranischen Heiratsurkunde vom XXXX hervor.
Der Tod des Vaters, die daraufhin erfolgte Leichenschau sowie die Angaben der dazu befragten Familienmitglieder geht aus dem iranischen Leichenschaubericht vom XXXX und den drei Aussageprotokollen der iranischen Polizei vom XXXX hervor.
Der Gesundheitszustand des BF1 ist den unwiderlegten Angaben des BF1 zu entnehmen. Der BF1 hat zuletzt vor dem BVwG erklärt, dass er gesund ist und keine Medikamente nehme. Dass der BF1 nicht arbeitsfähig ist, dafür gibt es keine Hinweise. Der BF1 arbeitet in Österreich freiwillig, er hilft bspw. bei Möbeltransporten und- aufbau, bei Übersiedlungs- und Entrümpelungsaktionen. Der BF1 verfügt über eine mehrjährige Schul- bzw. Universitätsausbildung bzw. berufliche Erfahrung. Der BF1 könnte im Falle seiner Rückkehr in seine Heimat seinen Unterhalt durch berufliche Tätigkeiten, wenn auch anfänglich durch Gelegenheitsjobs, bestreiten.
Dass die BF2 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung ist und an einer schweren depressiven Symptomatik mit somatischem Syndrom, starken Angstzuständen, massiven Schlafstörungen, Alpträumen und Konzentrationsschwierigkeiten leidet, ist dem Schreiben der XXXX vom XXXX zu entnehmen. Eine bestehende Pollenallergie und eine damit im Zusammenhang stehende Medikation ist anhand der schlüssigen Angaben der BF2 ableitbar. Eine Arbeitsfähigkeit trotz bestehender gesundheitlicher Probleme lässt sich anhand der freiwilligen Tätigkeit der BF2 ableiten. Die BF2 legte vor dem BVwG im Zuge der mündlichen Verhandlung dar, dass sie ehrenamtlich tätig sei. Sie helfe bspw. beim Sortieren von Kleider- und Sachspenden und übersetzte für Besucher. Es gibt somit keine Hinweise, dass die BF2 bei einer Rückkehr in ihre Heimat nicht arbeitsfähig sei. Aus dem Schreiben der XXXX geht nicht hervor, dass die BF2 nicht arbeitsfähig wäre und wurde dies seitens der BF2 auch nicht vorgebracht.
Dass die BF1-2 über ein Visum C für Österreich verfügten geht aus dem zentralen Fremdenregister hervor. Die legale Einreise nach Österreich, die Asylantragstellung, die Weiterreise nach XXXX und Rücküberstellung sowie die Dauer des Aufenthaltes in Österreich des BF ergeben sich aus den Unterlagen zur Asylantragstellung, dem zentralen Fremdenregister sowie einer Abfrage beim Zentralen Melderegister (ZMR).
Der Aufenthalt in XXXX , die dortige Asylantragstellung sowie die Rücküberstellung nach Österreich ist den Unterlagen der XXXX Asylbehörden zu entnehmen.
Dass die BF1-2 nicht legal erwerbstätig sind und Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber beziehen, ist dem Betreuungsinformationssystem sowie den diesbezüglich gleichlautenden Angaben der BF1-2 zu entnehmen.
Die ehrenamtlichen Tätigkeiten der BF1-2 gehen unter anderem aus dem Schreiben von XXXX vom 01.02.2022, dem Schreiben der Stadtgemeinde XXXX vom 09.12.2021 und 23.11.2021, 10.09.2020, 22.09.2020, 23.09.2019 sowie aus dem vorgelegten Zeitungsartikel (Woche 34/2019) hervor.
Die Teilnahme der BF1-2 an der Open Learning Initiative ist der Bestätigung der Universität Wien (ohne Datum) zu entnehmen.
Dass die BF2 am Kurs „ XXXX teilgenommen hat ist der Bestätigung der XXXX vom 23.09.2019 zu entnehmen. Ob der Kurs abgeschlossen wurde, geht aus der Bestätigung nicht hervor.
Die Deutschkenntnisse beruhen auf den vorgelegten Kursteilnahmebestätigungen, den Prüfungsbestätigungen sowie den persönlichen Wahrnehmungen der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
Die Teilnahme der BF1-2 an einem Werte- und Orientierungskurs geht aus den Bestätigungen des ÖIF vom 24.05.2019 hervor.
Dass die BF1-2 soziale sowie freundschaftliche Kontakte pflegen ist den vorgelegten Empfehlungsschreiben, Fotos sowie den dahingehenden Angaben der BF1-2 zu entnehmen.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF1-2 geht aus dem Strafregister der Republik Österreich hervor.
Der Austritt der BF1-2 aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ist den Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX und der Erklärung über den Austritt aus einer Glaubensgemeinschaft gegenüber der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX zu entnehmen.
Die Feststellungen zu den Benutzerprofilen in den sozialen Medien des BF1 beruhen auf den vorgelegten Auszügen verschiedener Veröffentlichungen sowie einer Überprüfung der Profile.
II.2.3. Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen - sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges - handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten - immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse - der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen – allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden - aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu (zu den Anforderungen an die Aktualität einer Quelle im Asylverfahren vgl. etwa Erk. d. VwGH v. 4.4.2001, Gz. 2000/01/0348).
Die BF1-2 traten auch den Quellen und deren Kernaussagen nicht konkret und substantiiert entgegen.
Vollständigkeitshalber wird noch darauf hingewiesen, dass die den BF1-2 zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat Iran zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend und aktuell qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation der BF1-2 in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann. Es ist - bei einem Land wie dem Iran mit einer sehr hohen Berichtsdichte, in dem praktisch ständig neue Erkenntnisquellen entstehen - de facto unmöglich, sämtliches existierendes Berichtsmaterial zu berücksichtigen, weshalb die belangte Behörde bzw. das erkennende Gericht ihrer Obliegenheit zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Iran nachkommt, wenn sie bzw. es sich zur Entscheidungsfindung eines repräsentativen Querschnitts des bestehenden Quellenmaterials bedient.
II.2.4. Das Vorbringen der BF1-2, sie würden im Iran aufgrund der regime- und islamkritischen Aktivitäten des BF1, deren Abfall vom Islam sowie der Teilnahme der BF2 an Kursen der Erfan-e Halgheh von staatlichen Stellen verfolgt werden, wird als nicht der Wahrheit entsprechend angesehen.
Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht. Auch wurde vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es der Verwaltungsbehörde [nunmehr dem erkennenden Gericht] nicht verwehrt ist, auch die Plausibilität eines Vorbringens als ein Kriterium der Glaubwürdigkeit im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung anzuwenden. (VwGH v. 29.6.2000, 2000/01/0093).
Weiters ist eine abweisende Entscheidung im Verfahren nach § 3 AsylG bereits dann möglich, wenn es als wahrscheinlich angesehen wird, dass eine Verfolgungsgefahr nicht vorliegt, das heißt, mehr Gründe für als gegen diese Annahme sprechen (vgl zum Bericht der Glaubhaftmachung: Ackermann, Hausmann, Handbuch des Asylrechts [1991] 137 f; s.a. VwGH 11.11.1987, 87/01/0191; Rohrböck AsylG 1997, Rz 314, 524).
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Die BF 1-2 wurden im Rahmen des Asylverfahrens darauf hingewiesen, dass ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren darstellen. Die BF1-2 wurden zudem aufgefordert, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken und sie wurden darauf aufmerksam gemacht, dass unwahre Angaben nachteilige Folgen haben.
II.2.4.1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung behauptete, dass zwei oder drei Fragen vor dem BFA nicht richtig übersetzt worden seien. Erkennen könne man dies, weil seine Antworten nicht zu den Fragen passen würden.
Diesbezüglich ist anzumerken, dass der BF1 vor dem BFA vermeinte, den Dolmetscher gut zu verstehen (AS 83). Nach der gesamten Rückübersetzung der Einvernahme erklärte der BF1, dass alles richtig übersetzt worden sei (AS 107) und bestätigte am Ende der Einvernahme die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift mit seiner Unterschrift (AS 107).
Weiters ist anzuführen, dass bei der Sichtung des Einvernahmeprotokolls vom 21.03.2018 seitens der erkennenden Richterin zweifelsfrei der Eindruck entstand, dass die Befragung ohne Probleme von statten ging. Die Fragen zum Ausreisegrund, zu den Rückkehrbefürchtungen, zum Leben in Österreich, den Familienangehörigen und Lebensumständen im Herkunftsstaat wurden vom BF1 in nachvollziehbarere Weise beantwortet. Darüber hinaus stehen die protokollierten Fragen und Antworten in einem logischen Konnex, so dass nie der Eindruck entstand, dass irgendetwas falsch verstanden worden wäre oder nicht ausreichend beantwortet werden hätte können. Auch wurde dem BF1 die Einvernahme rückübersetzt und bestätigte er – wie oben dargelegt - deren Richtigkeit mit seiner Unterschrift. Ergänzungen wurden vorgenommen und ebenfalls protokolliert (AS 105). Hätten der BF1 tatsächlich Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher vor dem BFA gehabt, so ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum er diese nicht dem damaligen Referenten zur Kenntnis gebracht hat.
Es ist daher auszuschließen, dass der Dolmetscher die Niederschrift unkorrekt oder unvollständig rückübersetzt oder eine falsche bzw. unrichtige Dolmetschertätigkeit durchgeführt hat. Dem Vorbringen des BF1, es sei vor dem BFA zu einer mangelhaften Übersetzung bzw. Rückübersetzung seiner Angaben gekommen, wird daher kein Glauben geschenkt und geht das erkennende Gericht davon aus, dass sämtliche Angaben des BF1 in seiner Befragung korrekt rückübersetzt wurden und es zu keinen Missverständnissen oder Übersetzungsfehlern gekommen ist. Der BF1 versucht offenbar, Ungereimtheiten und Widersprüche in seinem Vorbringen durch nicht stattgefundene Verständigungsschwierigkeiten zu erklären.
II.2.4.2. Der belangten Behörde ist zuzustimmen, wenn diese anführt, dass erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens der BF1-2 bestehen.
Der BF1 bezog sich in der Erstbefragung darauf, dass im Iran während einem Aufenthalt von ihm und der BF2 in Österreich nach ihm gesucht worden sei und dabei verbotene Dokumente und Bücher bei ihm in der Wohnung im Iran gefunden worden seien, weshalb er aus Angst verhaftet zu werden, nicht mehr in den Iran zurückgekehrt sei.
Auch die BF2 erklärte in der Erstbefragung, dass im Iran nach dem BF1 gesucht worden sei und bei der Hausdurchsuchung unter anderem Dokumente und Bücher mitgenommen worden seien, aufgrund deren Besitz sie bei einer Rückkehr in den Iran verhaftet worden wären.
Vor dem BFA steigerten die BF1-2 jedoch die Gründe dafür, weshalb sie nicht mehr in den Iran zurückgekehrt seien.
Der BF1 führte zunächst aus, dass er einmal an einer verbotenen Veranstaltung zu Ehren eines persischen Königs teilgenommen habe, wo viele Teilnehmer politische Schlagwörter von sich gegeben hätten. Der BF1 selbst habe das jedoch nicht gemacht und sei dort anwesend gewesen, weil der König eine hohe Wertigkeit für ihn habe (AS 95). Im Verlauf der weiteren Einvernahme führte der BF1 – wie schon in der Erstbefragung – aus, dass bei ihm zu Hause zwei Laptops, ein Computer, einige CDs, ein paar Bücher und einige Dokumente gefunden und mitgenommen worden seien. Erstmals erklärte der BF1 jedoch, dass auch sein Schwiegervater sowie Dokumente der BF2 mitgenommen worden seien. Zudem brachte der BF1 vor, dass er nicht politisch engagiert sei (AS 97).
Der BF1 habe nach der Durchsuchung seiner Wohnung mit seinem Bruder telefoniert und von diesem erfahren, dass er von den Leuten gesucht worden sei, wegen dem was er gemacht habe und berief sich auf Nachfrage des einvernehmenden Referenten auf seine Einstellung zur iranischen Regierung und darauf, dass er nicht damit einverstanden sei, was im Iran passiere. Deshalb habe er über dieses Thema Bücher und CDs gehabt und auf XXXX ausländische Fernsehsendungen angeschaut. Auf die Frage, seit wann der BF1 diese Einstellung der Regierung gegenüber habe, antwortete dieser, dass er nichts gegen die Regierung sage und er nur seit etwa fünf Jahren etwas gegen den Islam habe.
Auch die BF2 sprach erstmals vor dem BFA von ihrer Teilnahme an Kursen über islamisch-iranische Mystik (AS 81), welche im Iran verboten seien und vermeinte, dass die Besuchsbestätigungen bei der Hausdurchsuchung eventuell gefunden und mitgenommen worden seien (AS 93). Ansonsten bezog sie sich auf die Rückkehrbefürchtungen des BF1.
Nicht nur die Steigerung des Vorbringens im Hinblick auf die Festnahme des Schwiegervaters des BF1 und die Beschlagnahmung von Dokumenten der BF2, sondern auch die entgegengesetzten Darstellungen seines politischen Engagements bzw. der Wechsel zu einer islamkritischen Haltung des BF1 deutet bereits auf ein konstruiertes Vorbringen hin. Von einer Festnahme ihres Vaters verlor die BF2 im Übrigen kein Wort.
Erstaunlich ist auch, dass der BF1 vor dem BFA angab, dass die Personen im Iran zwar nach ihm gesucht, diese aber keinen Grund genannt hätten, weshalb sie gekommen seien (AS 97). Nachdem der BF1 durch seine Schwiegermutter von der Hausdurchsuchung informiert worden sei, habe er mit seinem Bruder in XXXX telefoniert und von diesem erfahren, dass diese Leute ihn wegen seiner Einstellung zur iranischen Regierung bzw. wegen der Sachen, die er gemacht habe, suchen würden. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte der BF1 dahingehend aus, dass er ebenfalls von seinem Bruder erfahren habe, dass er wegen seiner Einstellung zur iranischen Regierung gesucht werde. Sein Bruder habe von einem Mitglied der Gruppe gehört, dass zwei andere Mitglieder ihrer Gruppe verhaftet worden seien und jetzt nach dem BF1 gesucht werde (VS 11).
Der BF1 beschränkte sich sohin darauf auszuführen, nur vom Hörensagen (Bruder) gewusst zu haben, dass er wegen dem Besitz von regimekritischen Büchern und Datenträgern bzw. der Teilnahme an einer Diskussionsgruppe verhaftet werden sollte. Sowohl vor dem BFA, als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der BF1 vor, dass die Leute zwar nach ihm gefragt, aber nie den Grund für ihr Kommen genannt hätten (AS 97). Vor dem BFA erklärte der BF1 auch, dass er seinen Schwiegervater, welcher nach der Hausdurchsuchung mitgenommen worden sei, nicht gefragt habe, wozu dieser einvernommen worden sei (AS 101) und habe sein Schwiegervater auch von sich aus nichts darüber erzählt. Erst in der mündlichen Beschwerverhandlung vermeinte der BF1, dass er seinen Schwiegervater nach dem Erhalt des negativen Bescheides in Österreich gefragt habe, wozu dieser befragt worden sei, woraufhin dieser gesagt habe, dass sie sich nach dem BF1 erkundigt hätten. Sie hätte ihn gefragt, wie lange er den BF1 schon kenne, ob er wisse, was er gemacht habe, welche Einstellung er habe und an was er glaube.
Der BF1 vermochte daher nicht nachvollziehbar darzulegen, warum er davon ausgeht, dass er wegen dem Besitz von regimekritischen Dokumenten bzw. wegen seiner Einstellung zur iranischen Regierung gesucht worden sei und stützte sich lediglich auf die Vermutungen seines Bruders, welcher sich in XXXX aufhält und selbst nicht vor Ort war. Das Interesse könnte entsprechend der Ausführungen des BF1 vor dem BFA auch dem Schwiegervater gegolten haben, welcher mitgenommen worden sei. Wäre dieser tatsächlich zur Befragung wegen dem BF1 mitgenommen worden, so ist jedenfalls nicht ersichtlich, weshalb die ebenfalls anwesende Mutter des BF1 nicht befragt wurde. Auch, dass der Schwiegervater dem BF1 gegenüber nichts dazu sagte, weshalb oder wonach er befragt wurde, spricht eher dafür, dass er nicht zum BF1 befragt wurde.
Folgt man den Ausführungen des BF1 vor dem BFA, hat er lediglich einmal an einer Veranstaltung zu Ehren eines persischen Königs teilgenommen, sich dort aber nicht politisch geäußert und sei er nur deshalb festgenommen worden, weil es sich um eine verbotene Versammlung gehandelt habe. Weitere Konsequenzen brachte der BF1 nicht vor. Dass die iranischen Behörden vom Besitz der verbotenen Bücher usw. offenbar in Kenntnis waren, kann sich der BF1 ebenfalls nicht erklären und stellte er vor dem BFA die Vermutung auf, dass er und seine Freunde verraten worden seien (AS 99). Der BF1 und einige Freunde von ihm hätten sich zu einem friedlichen Beisammensein getroffen, dabei aus einem Buch namens XXXX zwanzig bis dreißig Seiten gelesen und über den Inhalt gesprochen. Weiters hätten sie sich auf XXXX Dokumentationen angeschaut.
Diese Treffen hätten im XXXX begonnen und erklärte der BF1, dass sie immer vorsichtig gewesen seien (AS 101). Der BF1 beschrieb unter anderem, dass sie die Bücher nicht gekauft hätten, sondern als Datei von einem Freund erhalten hätten, welche sie dann ausgedruckt hätten (AS 99). Weiters seien nur sein Bruder und später die BF2 über diese Treffen in Kenntnis gewesen (AS 99). Im Verlauf der weiteren Einvernahme vermeinte der BF1 aber auch, dass er sich nicht nur mit Freunden getroffen habe, sondern die Bücher, CDs sowie Dokumentationen auch an anderer Personen weitergegeben habe. Er habe neben Freunden auch mit Arbeitskollegen darüber geplaudert (AS 105). Der BF1 habe es als seine Aufgabe gesehen, dass diese Personen dann ebenfalls ihre gewonnene Einstellung propagieren würden (AS 107).
Der BF1 schwenkte im Verlauf der Einvernahme vor dem BFA sohin von geheimen Treffen unter Freunden, zu dem Versuch, viele Personen mit seinen Ansichten zu erreichen, um. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung betonte der BF1 jedoch wieder, dass es im Iran fast nicht möglich sei, mit einer fremden Person über die eigene Einstellung zum iranischen Regime zu reden, weil man nicht jedem trauen könne (VS 13). Diese Diskrepanzen zeigen, dass der BF1 sein politisches Engagement im Verlauf des Verfahrens in einem immer umfangreicheren Ausmaß darzustellen versuchte, was wiederum gegen seine Glaubwürdigkeit spricht.
Einerseits beschreibt sich der BF1 als nicht politisch aktiv, führt die Verfolgungshandlungen aber auf sein Interesse an regimekritischen Schriften und Datenträgern zurück, welche bei ihm zu Hause gefunden worden seien, wobei er davon ausgeht, dass er von einem Teilnehmer an den Treffen verraten worden sei, was er später relativierte, indem er plötzlich anmerkte, auch außerhalb dieses Freundeskreises mit Personen über das iranische Regime gesprochen zu haben.
Der BF1 legt aber auch den Informationsweg widersprüchlich dar. Den Angaben in der Erstbefragung folgend, habe er von seiner Schwiegermutter telefonisch von der Hausdurchsuchung erfahren (AS 19). Vor dem BFA äußerte sich der BF1 dahingehend wenig konkret und erklärte, dass die Familie seiner Frau mit ihnen telefoniert habe, als sie in XXXX gewesen seien (AS 95). Die BF2 brachte im Zuge der Erstbefragung vor, dass sie in XXXX mit ihrer Mutter telefoniert habe (AS 21) und vermeinte vor dem BFA ebenfalls, dass sie von ihrer Mutter angerufen worden seien (AS 89). Die BF1-2 erklärten bei der Erstbefragung daher jeweils, dass sie selbst angerufen worden seien und schilderten dann vor dem BFA unpräzise, dass sie (gemeint offenbar: beide) von der Mutter angerufen worden seien. In der Beschwerdeergänzung vom 16.10.2018 wurde ausgeführt, dass der BF1 sein Telefon aufgrund der Roaminggebühren in Österreich auf Flugmodus gestellt und sein Bruder ihn deshalb nicht erreicht habe. Wie der BF1 einen Anruf seiner Schwiegermutter erhalten hat können, ist daher fraglich und erklärt möglicherweise auch die vor dem BFA geänderten Aussagen, wonach sie (gemeint: beide) angerufen worden seien.
Auch die geschilderten Ereignisse nach den Telefonaten mit der Mutter der BF2 sowie mit dem Bruder des BF1 lassen auf ein konstruiertes Vorbringen schließen.
Die BF1-2 erklärten, dass sie nach dem Telefonat beschlossen hätten zum Bruder des BF1 nach XXXX zu gelangen, obwohl es naheliegend wäre, unmittelbar in Österreich einen Asylantrag zu stellen, wenn tatsächlich die behauptete Gefahr bei einer Rückkehr in den Iran bestünde. Stattdessen erklärte der BF1 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass er damals noch nichts über die Asylgesetze gewusst habe und er mittlerweile bereue, keinen Antrag gestellt zu haben (VS 17).
Die BF1-2 verfügten für Österreich vom XXXX bis XXXX über ein Visum, reisten am XXXX nach XXXX weiter, stellten aber auch dort nicht sofort einen Antrag auf internationalen Schutz, sondern erst am XXXX . Die Angaben dazu, weshalb sie vier Monate zugewartet haben, einen Asylantrag zu stellen, gestalteten sich jedoch widersprüchlich. Der BF1 brachte vor dem BFA und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor, dass der Schlepper sie in XXXX in einer unbekannten Stadt in einer Wohnung eingesperrt habe, bis er sie letztlich am XXXX nach XXXX gebracht habe, wo sie einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätten, weil der Schlepper ihnen nicht mehr geholfen habe, nach XXXX zu gelangen (AS 95). Daran, ob er die Anhaltung in der Wohnung bei der Asylantragstellung vorgebracht habe, könne er sich aber nicht mehr erinnern (VS 13).
Die BF2 brachte vor dem BFA mit keinem Wort vor, dass sie und der BF1 fast vier Monate in einer Wohnung in XXXX eingesperrt worden seien, behauptete in der mündlichen Beschwerdeverhandlung aber dann ebenfalls vom Schlepper in der Wohnung festgehalten worden zu sein, wobei die BF2 ausführte, dies bei den XXXX Asylbehörden angegeben zu haben (VS 22).
Aus der Niederschrift der Anhörung der BF2 vor den XXXX Asylbehörden vom XXXX geht jedoch hervor, dass die BF1-2 von Österreich aus wieder in den Iran zurückgekehrt und dort am XXXX wieder eingereist seien. Am XXXX hätten sie den Iran dann wieder verlassen und seien am XXXX in XXXX angekommen.
Der Erklärungsversuch in der Stellungnahme vom 17.06.2022, wonach die BF1-2 mit dieser Aussage eine Zuständigkeit XXXX nach der Dublin-III-VO begründen hätten wollen, überzeugt insofern nicht, als sich der BF1 hinsichtlich der nicht erfolgten Asylantragstellung in Österreich in der mündlichen Beschwerdeverhandlung drauf berief, dass er sich damals nicht mit den Asylgesetzen ausgekannt habe.
Es bestehen sohin Diskrepanzen zum Aufenthaltsort nach der Ausreise aus Österreich ( XXXX oder Iran) und dazu, ob die BF1-2 in XXXX eingesperrt worden seien oder nicht.
Eine freiwillige Rückkehr in den Iran spricht jedenfalls dafür, dass die BF1-2 offenbar selbst mit keinerlei Verfolgungshandlungen gerechnet haben, weshalb es verständlich ist, eine solche vor den Asylbehörden nicht anzugeben, um sich im Asylverfahren einen Vorteil zu verschaffen. Die Rückkehr eines Asylwerbers in sein Heimatland ist jedenfalls als Indiz gegen eine bis zum Zeitpunkt der Rückkehr bestehende Verfolgung zu werten (VwGH 20.01.1993, 92/01/0745; 16.09.1993, 92/01/1057).
Die widersprüchlichen Ausführungen lassen aber auch darauf schließen, dass die BF1-2 in XXXX nicht von einem Schlepper in einer Wohnung festgehalten worden seien, was bei der Annahme, dass die BF1-2 nicht in den Iran zurückgekehrt seien, klar den Schluss zulässt, dass der Asylantrag ohne begründete Verfolgungsgefahr im Iran gestellt wurde, ansonsten sie schon viel früher einen Antrag eingebracht hätten. Eine missbräuchliche Stellung der Asylanträge ist daher im gegenständlichen Fall klar erkennbar.
Die Ausführungen der BF1-2, dass in ihrer Wohnung verbotene Bücher, CDs und sonstige regime- oder islamkritische Dokumente des BF1, gefunden worden seien und sie deshalb bei einer Rückkehr in den Iran verhaftet werden würden, konnte aufgrund oben dargelegten Ungereimtheiten und Widersprüche daher nicht als wahr eingeordnet werden.
Was die Behauptung angeht, wonach die BF1-2 vom Islam abgefallen seien und die BF2 wegen der Besuche von Kursen der Erfan-e Hagheh Verfolgungshandlungen zu befürchten habe, ist Folgendes anzumerken:
Soweit die BF1-2 in ihrem Vorbringen eine islamkritische Haltung und eine Verfolgungsgefahr wegen eines Abfalls vom Islam ansprechen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie Voraussetzung ist, dass der Beschwerdeführer seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (VwGH 19.05.2020, Ra 2019/14/0599; 14.01.2020, Ra 2019/01/0495; 13.12.2018, Ra 2018/18/0395).
Der BF1 gab in der Erstbefragung an, ohne Bekenntnis zu sein, bezog sich bei seinen Fluchtgründen jedoch nur auf die beim ihm gefundenen verbotenen Bücher, CDs und sonstige Dokumente. Ob es sich dabei auch um islamkritische Literatur gehandelt habe, führte der BF1 nicht aus, erwähnte aber auch keine Verfolgungshandlung, welche auf seiner Abkehr vom Islam beruhen würden.
In der Einvernahme vor dem BFA erklärte der BF1, dass er seit ca. fünf bis sechs Jahren (sohin seit XXXX ) ohne Religionsbekenntnis sei. Er glaube zwar an Gott, gehöre aber zu keiner Religion (AS 89). Er habe sich vom Islam abgewandt, weil er nach dem Tod seines Vaters am XXXX gesehen habe, dass Frauen keinen Wert hätten. Zudem gebe es viele Paradoxe und keine Menschenrechte im Islam (AS 91). Der BF1 habe etwas gegen den Islam und sei dies ein Prozess gewesen. Nach dem Tod seines Vaters habe seine Mutter nur 1/8 von dessen Eigentum geerbt. Den Grund dafür hätten sie nicht gewusst, nach den islamischen Gesetzen sei dies aber so gewesen. Ab diesem Zeitpunkt habe ihn das beschäftigt.
Vor dem BFA erklärte der BF1 zunächst auch, dass wegen der Einstellung zur iranischen Regierung seine Wohnung durchsucht worden sei und in seiner Wohnung unter anderem Bücher und CDs über dieses Thema gefunden worden seien. Anschließend erklärte der BF1 jedoch, dass er nicht politisch engagiert sei und er ein Problem mit dem Islam habe (AS 97). Auch auf die konkrete Frage, seit wann er diese Einstellung gegen die Regierung habe, erklärte der BF1, dass er nichts gegen die Regierung sage und er seit etwa fünf Jahren etwas gegen den Islam habe.
Es fällt auf, das der BF1 den vermeintlichen Beginn seines Abwendungsprozesses vom Islam mit dem Tod seines Vaters XXXX gleichsetzt, widersprüchlich dazu aber angibt, dass dieser Prozess erst XXXX eingesetzt habe. Darüber hinaus äußerte er sich ambivalent dazu, ob er sich regime- oder islamkritisch betätigt habe und gibt er auch an, dass die diesbezüglichen Versammlungen erst XXXX begonnen hätten (AS 99). Somit ist bereits der Prozess seiner Abwendung vom Islam mit Widersprüchen behaftet, was gegen die Glaubwürdigkeit des BF1 spricht.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der BF1 vor, dass er selbst an keine Religion glaube, sondern an Menschenrechte, Verhalten zwischen Menschen sowie an die Rechte, die jeder habe. Der Prozess habe bei ihm begonnen als sein Vater verstorben sei und habe er die Entscheidung mit dem Tod seiner Mutter getroffen (VS 16). Gleichzeitig führte der BF1 aber auch an, dass er niemals an den Islam geglaubt habe, wobei er dann wiederum angab, dass eine solche Entscheidung von schlechten Erlebnissen und Erfahrungen im Leben getragen sei. Der BF1 führte weiter aus, dass bei ihm zwei schlechte Erfahrungen bzw. Vorfälle zur Abkehr vom Islam geführt hätten, wobei er anschließend aber nur ein Ereignis angab. Demnach sei seine Mutter krank gewesen und hätten alle gesagt, er solle beten, damit Gott seine Mutter heile, obwohl die Wissenschaft gesagt habe, dass sie sterben werde. Trotzdem habe der BF1 gebetet, jedoch kein Wunder erlebt.
Der BF1 beschreibt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sohin erneut einen anderen Abfallprozess vom Islam, indem er auch den Tod seiner Mutter und ein nicht näher ausgeführtes Ereignis dafür ursächlich darstellt. Er widerspricht sich auch dahingehen, ob er nie an den Islam geglaubt hat oder – wie ausgeführt – nach einem Findungsprozess bzw. bestimmten Ereignissen ein solcher Entschluss von ihm getroffen worden sei.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der BF1 weiters an, dass er mit dem iranischen Regime „das Politische“ und die „islamische Religion“ meine. Er habe mit Leuten, die er gut gekannt habe, zB über Gesetze und Widersprüche im Koran diskutiert. Freunden habe er geraten den Koran auf Farsi zu lesen, weil man dann die Widersprüche zu der arabischen Übersetzung erkennen könne. Als konkretes Beispiel nannte der BF1 wiederum die Rechte der Frauen, über welche er bei seinen Treffen diskutiert habe.
Aus diesen Ausführungen können jedoch keine über die Benachteiligung von Frauen hinausgehenden Schlüsse - etwa hinsichtlich einer aktuell bestehenden atheistischen oder gegen den Islam gerichteten religiösen Einstellung - abgeleitet werden. Der allgemeine Hinweis auf Paradoxe oder fehlende Menschrechte bzw. Widersprüche in verschiedenen Übersetzungen des Korans sind äußerst oberflächlich gehaltene Argumente und kann darin kein bestehendes tiefgründiges Bedürfnis, Kritik am Islam zu üben erkannt werden, weshalb eine atheistische Einstellung des BF1 im Asylverfahren nicht glaubhaft zutage trat.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass der BF1 keiner inneren atheistischen Überzeugung anhängt. Angesichts dessen ist auch nicht feststellbar, dass sich der BF1 im Fall einer Rückkehr in den Iran offen atheistisch positionieren würde oder er das Bedürfnis hat, in anderer Weise einen Abfall vom Islam öffentlich darzulegen bzw. öffentlich eine atheistische Überzeugung zu vertreten. Die Befürchtung, der BF1 habe wegen dem Abfall vom Islam bzw. weil er Atheist sei, eine Strafe oder Verfolgung zu befürchten, ist demnach unbegründet.
Die BF2 führte in der Erstbefragung an, der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anzugehören und erwähnte – wie oben bereits dargelegt – den Besuch von Kursen der Erfan-e Halgheh noch nicht. Auch vor dem BFA erklärte die BF2, dass sie schiitische Muslimin sei (AS 87), merkte aber erstmals an, dass möglicherweise bei der Durchsuchung ihrer Wohnung die Original-Kursbestätigungen von verbotenen Kursen mitgenommen worden seien und sie deshalb bei einer Rückkehr festgenommen werden könnte (AS 93).
Diesbezüglich legte die BF2 Bestätigungen aus dem Jahr XXXX vor (AS 119 und 121). In der Beschwerde wurde ausgeführt, dass die BF2 Mitglied der Lehre des Dr. Taheris - „Erfan-e Halghe“ gewesen sei und deren Anhänger verfolgt und inhaftiert werden würden (AS 307). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte die BF2 aus, dass sie von ihrer Tante von diesen Sitzungen erfahren habe, sie aber keine genauen Zeitangaben zum Besuch der Kurse tätigen könne (VS 24). Zur Ideologie dieser Gruppe gab die BF2 an, dass diese nur an Gott glauben würden, welchen man wie den Heiligen Geist empfangen würde. Weiters führte die BF2 aus, dass eine Mitgliedschaft dort nicht mögliche sei, weil die Sitzungen verboten und im Geheimen abgehalten worden seien (VS 25). Aktuell habe die BF2 keinen Kontakt mehr zur Gruppe Erfan-e Halgheh und spiele deren Ideologie auch keine Rolle mehr für sie (VS 26).
Zunächst ist darauf hinzuwiesen, dass die BF2 vor dem BFA ausführte, dass im Zuge der Hausdurchsuchung möglicherweise die Original-Kursbestätigungen mitgenommen worden seien, was die Frage aufwirft, wie die BF2 zu den Kopien der Kursbesuchsbestätigungen gelangte. Wäre es tatsächlich zu einer Hausdurchsuchung gekommen und wären dabei diese Bestätigungen aufgefunden und mitgenommen worden, so hätte keine Möglichkeit mehr bestanden eine Kopie anzufertigen und der BF2 nachzuschicken. Dass die BF2 mit der Gruppierung Kontakt aufgenommen und eine Kursbesuchsbestätigung angefordert habe, brachte die BF2 ebenfalls nicht vor und führte sie – wie oben bereits dargelegt – aus, dass sie keinen Kontakt mehr zu dieser Gruppierung pflege. Angesichts dessen, dass die BF2 eine ihr persönlich drohende Verfolgungsgefahr in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte und auch die Authentizität der vorgelegten Kursbesuchsbestätigungen fraglich erscheint, ist davon auszugehen, dass die BF2 sich ein eigenes Bedrohungsszenario kreierte.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass die BF2 XXXX (ca. drei Jahre vor der Ausreise aus dem Iran) an zwei Kursen von Erfan-e Halgheh teilgenommen hat, begründet dies keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung, zumal sie – wie erwähnt – von den iranischen Behörden vollkommen unbehelligt im Iran leben konnte und den Iran unverfolgt verlassen hat. Zudem ist auf die Ausführungen im IRBC (Immigration and Refugee Board of Canada) Bericht über Erfan Keyhani zu verweisen, wonach ausgeführt wird, dass nicht für alle Mitglieder der Erfan-e Halgheh die gleiche Verfolgungsgefahr bestehe. So wurde im Bericht darauf hingewiesen, dass Lehrer und Tutoren „den größten sozialen Druck aufgrund von Verleumdungskampagnen der Regierung erleiden, die die Öffentlichkeit von der Teilnahme an Erfan Halqeh abhalten sollen. Viele aktive Lehrer und Praktizierende von Erfan Keyhani wurden zu langen Haftstrafen und hohen Geldstrafen verurteilt. Laut einem ehemaligen Mitglied des Koordinierungsausschusses von Erfan Keyhani sind es besonders Personen, die innerhalb von Erfan Keyhani sehr aktiv waren, einschließlich Kursleiter, die von den iranischen Behörden „ins Visier genommen“ werden. Im Allgemeinen hänge das Ausmaß der Verfolgung von Erfan Keyhani -Anhängern von ihrem Aktivitätsniveau ab und wie offen und sichtbar die Aktivität ist. Anhand dieser Erläuterungen muss gefolgert werden, dass einfache Mitglieder bz.w Kursteilnehmer von Erfan-e Halgheh nicht verfolgt werden würden, außer sie verfügen über eine exponierte Stellung. Auch die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation „Iran – Glaubensrichtung Erfan-e Halgheh“ vom 08.01.2018 und der Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12.12.2016 zeigen, dass die spirituelle Gruppe der Erfan-e Halgheh im Iran zwar verboten ist, Aktivitäten für diese Gruppe auf einem niedrigen Niveau jedoch nicht die Gefahr eine Verfolgung nach sich zieht.
Die BF2 selbst führte aus, dass sie kein Mitglied bei Erfan-e Halgheh gewesen sei und diese Möglichkeit erst gar nicht bestehe. Nach dem Besuch von zwei Kursen hätte die BF2 noch ca. drei Jahre im Iran gelebt, ohne in dieser Gruppe aktiv zu sein, was jedenfalls keiner exponierten oder herausragenden Stellung innerhalb der Erfan-e Halgheh entspricht.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vermeinte die BF2 dann, dass sie an keine Religion glaube. Sie sei als Muslima geboren, habe sich diese Religion aber nicht selbst aussuchen können und nie an den islamischen Gott geglaubt. An muslimischen Ritualen habe sie nur in ihrer Schulzeit teilgenommen. Als gottlos würde sie sich seit der Erklärung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich am XXXX bezeichnen. Auf die Frage, welcher Umstand oder welches Ereignis sie dazu bewogen habe, nicht mehr an eine Religion zu glauben, vermeinte die BF2 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zunächst nur, dass dies mit der Zeit gekommen sei. Erst auf die neuerliche Nachfrage, gab die BF2 an, dass sie im Iran bei der Erhängung eines Mannes dabei gewesen sei, was für sie sehr schmerzhaft gewesen sei. Dieser sei aufgrund von islamischen Gesetzen verurteilt worden. Der wichtigste Punkt sei für sie aber gewesen, dass sie sich ihre Kleidung nicht selbst aussuchen habe können. Männer und Frauen seien im Iran nicht gleichberechtigt und hätten Männer sowie das Gesetz keinen Respekt vor Frauen. Männer würden entscheiden, was die Frauen wollen und wie sie leben sollen. Männer hätten auch Rechte und Frauen nicht.
Die BF2 gab sohin erstmals in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, Atheistin zu sein, war aber nicht in der Lage anzugeben, welcher Strömung des Atheismus sie angehöre. Stattdessen verwies sie – wie dargelegt – auf Kleidervorschriften, mangelnde Frauenrechte sowie die Besserstellung von Männern im Iran. Damit hat die BF2 aber keine atheistische Weltanschauung dargelegt und zeigt sich in ihren Ausführungen vor allem der Unwille, allfällige Kleidervorschriften im Iran zu beachten.
Dass die BF2 aus ideologischen, doktrinellen oder weltanschaulichen Gründen eine besondere nach außen hin erkennbare Haltung einnimmt, solche Anschauungen vertritt und sich mit solchen auseinandersetzt, ergibt sich aus ihren Angaben jedenfalls nicht.
Auf die Frage, weshalb sie den islamischen Glauben nicht in Österreich ausleben wolle, obwohl hier der Glaube unter Einhaltung von Menschenrechten und Gleichstellung zwischen Frau und Mann ausgeübt werde, gab sie zudem vage an, dass sie einfach keine Muslima mehr sein wolle und für sie der Islam keine richtige, vollständige Religion sei. Vage und oberflächlich sind auch die Ausführungen der BF2 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach sie von Geburt an Muslima sei, sich nie für den Islam entschieden habe und nach der Schulzeit auch keine Moschee oder religiöse Rituale mehr besucht habe.
Daraus erwachsende Schwierigkeiten vor der Ausreise brachte die BF2 jedoch nicht vor. Damit nicht in Einklang zu bringen sind jedenfalls die Ausführungen der BF2 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach im Iran jeder mitbekommen würde, dass sie religionslos sei, wenn man nicht regelmäßig bete, faste, in die Moschee gehe bzw. keine Opfer bringe und nicht an den Ritualen teilnehme. Die BF2 selbst führte aus, dass sie nach ihrer Schulzeit an keinen islamischen Ritualen mehr teilgenommen habe (VS 29), damit einhergehende Verfolgungshandlungen hatte sie aber offenbar nicht zu gewärtigen, was darauf schließen lässt, dass ihr aus dem geschilderten Verhalten keine Abkehr vom Islam unterstellt wurde.
Wenn die BF2 bereits vor der Ausreise dem Islam fernstand und die religiösen Gebote des Islam nicht beachtete, indem sie nie eine Moschee aufsuchte und weder fastete noch betete, ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb sie nunmehr im Fall einer Rückkehr bei der Fortsetzung dieses Verhaltens plötzlich einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung ausgesetzt sein sollte.
Dazu tritt, dass sich die Angaben der BF2 zum behaupteten Abfall vom Islam bei näherer Nachfrage als äußerst vage und unsubstantiiert erweisen. Im Ergebnis verwies sie nur auf die in ihrer Region vorherrschende Schlechterstellung der Frau gegenüber dem Mann, blendete die Behandlung der Frau gemäß dem Koran unabhängig von Kultur, Tradition und politischem Islam jedoch aus. Eine innere Überzeugung im Sinn der oben zitierten Rechtsprechung wird mit einem solchen Vorbringen jedoch nicht glaubhaft dargelegt. Den Überlegungen der BF2 kann keine (kritische) Auseinandersetzung mit den Lehren des Islam entnommen werden. Dass im Iran keine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrsche, mag für die BF2 inakzeptabel sein, allerdings betreffen solche Spannungen nicht die religiöse Lehre des Islam an sich und stellen vielmehr einen aus der iranischen Kultur, Tradition und Politik erklärbaren Zustand dar.
Da dem Vorbringen der BF2 keine nachvollziehbaren atheistischen Erwägungen entnommen werden können, weshalb sie die Lehren des Islam kritisiert oder ablehnt und auch keine länger andauernde Auseinandersetzung mit Glaubensinhalten zum behaupteten Abfall vom Islam erkennbar ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die BF2 aus innerer Überzeugung konfessionslos ist und eine Konfessionslosigkeit als identitätsstiftendes Merkmal ansieht.
Die erkennende Richterin gelangt zu dem Ergebnis, dass die BF2 lediglich den religiösen Verwaltungsvorschriften des Islam insbesondere im Hinblick auf Kleidervorschriften keine Beachtung schenkt, da sie generell religiösen Angelegenheiten Desinteresse entgegenbringt.
Zusammenfassend ist die BF2 sohin nicht als religiös bzw. säkular orientiert anzusehen. Sie will im Rückkehrfall zwar die religiösen Verhaltensvorschriften des Islam nicht einhalten und keine Moschee aufsuchen bzw. an keinen religiösen Ritualen teilnehmen (so wie sie bereits vor der Ausreise die Moschee nicht besuchte und nicht an islamischen Ritualen teilnahm), war aber auch vor der Ausreise keinen dahingehenden Verfolgungshandlungen ausgesetzt.
Den damit zusammenhängenden Befürchtungen der BF2 ist daher entgegenzuhalten, dass die BF2 bereits beim Verlassen des Iran den islamischen Glauben nicht praktizierte und sie eine atheistische Weltanschauung nicht glaubwürdig darlegen konnte.
Die BF1 und 2 erklärten auch den formellen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Diesbezüglich ist aber anzumerken, dass ein solcher Formalakt nichts über die wahre innere Glaubenseinstellung aussagt. Laut Auskunft der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich vom 04.10.2016 an das BFA wird auch die Privatsphäre der betreffenden Personen geschützt und wurde hinsichtlich der betreffenden Daten festgehalten, dass entsprechend der Anfragebeantwortung der IGGÖ an das BFA vom 04.10.2016 keine diesbezüglichen Angaben nach außen getragen werden. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die erhobenen Daten im Rahmen des Austrittes an iranische Stellen weitergegeben wurden. Folglich hat dies für die BF 1-2 keinerlei Konsequenzen, zumal der Austritt keinen iranischen Stellen bekannt gegeben wurde bzw. davon auszugehen ist, dass die BF1-2 selbst bei Bekanntgabe ihre Zugehörigkeit zur islamischen Religionsgemeinschaft bekennen würden.
Zum Vorbringen, dass die BF2 keine Kopfbedeckung mehr trage, westlich eingestellt sei und sich ein selbstbewusstes emanzipiertes Leben wünsche, ist darauf hinzuweisen, dass ein verinnerlichter westlicher Lebensstil nicht alleine aufgrund des Umstandes, dass die BF2 kein Kopftuch mehr trage, zu erkennen ist. Es kommt nicht bloß darauf an, ob jemand zB ein Kopftuch trägt, sondern kommt es vielmehr darauf an, ob ungeachtet solcher äußerlich sichtbarer plakativer Hinweise auf eine westliche Orientierung, die gesamte Lebensführung der BF2 den traditionellen Vorstellungen islamischer Fanatiker bzw. Konservativer entgegenstünde (VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 mwN; VwGH 23.01.2018, Ra 2017/18/0301; VwGH 03.05.2018, Ra 2018/19/0191).
Gerade hiervon kann im Fall der BF2 keine Rede sein. Sie zeigte während ihrem Aufenthalt in Österreich keinerlei Anstalten, selbstbestimmt zu leben, etwa, indem sie sich um eine Anstellung oder Ausbildung bzw. Nostrifizierung ihres Studiums gekümmert hätte, die ihr als Frau ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen würde. Die BF2 hat an Deutschqualifizierungsmaßnahmen teilgenommen, pflegt soziale Kontakte und besuchte Integrationsmaßnahmen. In diesem Lebensstil sind zwar bereits Ansatzpunkte einer liberaleren Werthaltung und „freieren" Lebensweise erkennbar, jedoch reicht dies nicht hin, um bei der BF2 von einem verinnerlichten westlichen Lebensstil unter Inanspruchnahme der Grundrechte zu sprechen, bei dessen Fortsetzung sie im Iran einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre. Die BF2 vermittelte lediglich den Eindruck, sich an das Leben in Europa angepasst zu haben und, dass sie so lebt, wie die sonstige Bevölkerung in Österreich auch. Die BF2 setzt sich damit aber nicht wirklich gedanklich auseinander, wodurch sie die damit einhergehende Werteordnung nicht in einer Weise verinnerlicht hat, dass diese so zum Bestandteil ihrer Identität geworden wäre und, dass sie diese in einem anderen Umfeld nicht mehr ablegen können würde. Damit scheidet eine Bedrohung der BF2 wegen „Verwestlichung“ im Falle der Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus. Auch ein hieraus resultierendes Problem für die Familie der BF2 kann nicht ernstlich angenommen werden bzw. wurde von der BF2 nicht behauptet, sodass im Falle der Rückkehr in den Iran der BF2 auch kein Ehrenverbrechen droht.
Zum Vorbringen, dass der BF1 zahlreiche religions- und regierungskritische Videos und Beiträge auf seinen öffentlich zugänglichen Profilen in den sozialen Medien veröffentlich habe und deshalb im Falle der Rückkehr in den Iran verhaftet werden würde, ist Folgendes auszuführen:
Der BF1 verfügt über öffentlich zugängliche Benutzerprofile auf XXXX , welche auf seinem Namen lauten.
Über das XXXX Profil verfügt der BF1 aber nicht erst seit seinem Aufenthalt in Österreich, sondern besteht diese bereits seit XXXX , was bedeutet, dass er sich bereits im Iran in den sozialen Medien dem politischen System im Iran gegenüber kritisch äußerte, dahingehend aber offenbar keine Verfolgungshandlungen zu befürchten hatte, ansonsten der BF2 solche vorgebracht hätte.
Weiters ist darauf hinzuweisen, dass für Aktivitäten im Internet derselbe Maßstab gilt wie für sonstige exilpolitische Tätigkeiten. Alle Aktivitäten sind im Zusammenhang zu würdigen. Untergeordnete exilpolitische Tätigkeiten, die nicht geeignet sind, auf die Verhältnisse im Heimatland ernsthaft einzuwirken, und aus der Sicht des iranischen Staates keine Gefahr begründen, können mit dem Gefährdungspotenzial inneriranischer Systemkritik via Internet nicht verglichen werden. Mit Internetauftritten wie einem Weblog und regimekritischen Artikeln und Bildern in Facebook hebt sich jemand nicht aus der Masse der iranischen Asylwerber hervor, die im Internet präsent sind.
Der BF1 hat auf seinem XXXX seit dessen Aktivierung im XXXX lediglich XXXX Videos veröffentlicht und verfügt nur über XXXX Abonnenten. Das XXXX -Konto des BF1 ist zwar erst seit XXXX aktiv und veröffentlicht der BF1 auf diesem Profil ca. jeden zweiten Tag Beiträge, jedoch weist dieses Profil nur XXXX Follower auf. Die Aktivitäten des BF1 in den sozialen Medien zeichnen sich daher hinsichtlich XXXX weder durch Regelmäßigkeit, noch durch eine besondere Häufigkeit aus bzw. ist die Zahl der Abonnenten bzw. Follower beim häufiger genutzten XXXX Profil äußerst gering, weshalb das erkennende Gericht nicht davon ausgeht, dass sich der BF1 damit exponiert und die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden auf sich gezogen hat.
Dass der BF1 im Rückkehrfall aufgrund der geltend gemachten politischen Aktivitäten in den sozialen Medien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt ist, kann aber auch in Verbindung mit den länderkundlichen Feststellungen nicht erkannt werden. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußern und dann in den Iran zurückkehren, von Repressionen bedroht sein können. Es ist jedoch aufgrund der Ergebnisse der Beweiswürdigung, wonach die Angaben des BF1 zu seinen Ausreisegründen unglaubwürdig sind, und den Angaben des BF1 zu seinen exilpolitischen Aktivitäten, welche sich in den oben dargelegten niederschwelligen Aktivitäten erschöpfen, nicht davon auszugehen, dass dies allein für die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung (die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht – VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069) durch die iranischen Behörden im Rückkehrfall des BF1 in den Iran ausreicht. Die unterschwelligen politischen Aktivitäten des BF1 in Österreich mit wenig Reichweite auf XXXX sind einer öffentlichen regimekritischen Äußerung, wie in den Länderfeststellungen erwähnt, nicht gleichzuhalten.
Der iranische Staat kann weder jegliche Tätigkeit seiner Staatsbürger verfolgen, noch alle seine Staatsbürger beobachten und wird seinen Fokus daher auf Personen legen, die aufgrund ihrer exponierten Stellung, ihres Einflusses auf andere iranische Staatsbürger und eines herausragenden Engagements realistischerweise eine potentielle Gefahr für das Regime darstellen. Einer realen Gefährdung bei einer Rückkehr in den Iran würden sich daher solche führenden Persönlichkeiten der Oppositionsgruppen aussetzen, die öffentlich und öffentlichkeitswirksam (z.B. als Redner, Verantwortlicher oder leitender Funktionsträger) in Erscheinung treten und zum Sturz des Regimes aufrufen.
Das Verhalten des BF1 ist jedoch nicht der Gestalt, dass es geeignet erscheint, einen erhöhten Ermittlungsaufwand bei den iranischen Behörden auszulösen. Der BF1 ist seinen Angaben folgend hinsichtlich seiner politischen Aktivitäten in Österreich nicht als überzeugtes und aktives Mitglied einer regimekritischen Bewegung nach außen erkennbar in Erscheinung getreten, weshalb in weiterer Folge auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die von ihm geschilderten Veröffentlichungen im Internet den iranischen Behörden bekannt ist und ein Interesse der Behörden an seiner Person begründet.
Abgesehen davon, ist zu den Beiträgen in den sozialen Medien noch festzuhalten, dass diese nicht als (glaubwürdiger) Ausdruck einer irankritischen Überzeugung zu qualifizieren sind. Unter Berücksichtigung der sonstigen Erwägungen zur Unglaubwürdigkeit des BF1 handelt es sich auch hierbei um eine unsubstantiierte und damit unglaubwürdige Behauptung des BF1, wenn er ausführt, dass nunmehr die iranischen Behörden über seine Kritik am iranischen Regime informiert seien. Die vom BF1 angesprochenen Einträge sind folglich kein hinreichendes Indiz für eine ernsthafte regimekritische Haltung dem Iran gegenüber.
II.2.4.3. Zusammenfassend kommt das erkennende Gericht daher zu der Überzeugung, dass in den Angaben der BF1-2 glaubwürdige Anknüpfungspunkte oder Hinweise für eine individuelle Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention nicht erkennbar waren.
3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Zu A)
II.3.2. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
II.3.2.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 3 AsylG lauten:
„§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) …
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§6) gesetzt hat.
..“
Gegenständlicher Antrag war nicht wegen Drittstaatsicherheit (§ 4 AsylG), des Schutzes in einem EWR-Staat oder der Schweiz (§ 4a AsylG) oder Zuständigkeit eines anderen Staates (§ 5 AsylG) zurückzuweisen. Ebenso liegen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine Asylausschlussgründe vor, weshalb der Antrag des BF inhaltlich zu prüfen ist.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194)
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
II.3.2.2. Wie im gegenständlichen Fall bereits in der Beweiswürdigung erörtert wurde, war dem Vorbringen der BF 1-2 zum behaupteten Ausreisegrund und Nachfluchtgrund insgesamt die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weshalb die Glaubhaftmachung eines Asylgrundes von vornherein ausgeschlossen werden kann. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung [nunmehr „Status eines Asylberechtigten“] einnimmt (vgl. VwGH v. 20.6.1990, Zl. 90/01/0041).
Im gegenständlichen Fall erachtet das erkennende Gericht in dem im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Umfang die Angaben als unwahr, sodass die von den BF1-2 behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden können, und es ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380).
Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ist im Falle der BF1-2 eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem der in der GFK genannten Gründe daher nicht gegeben.
Sofern die BF1-2 behaupteten, keine Religion zu haben ist Folgendes anzuführen:
Nach islamischem Verständnis bedeutet der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und ist nicht auszuschließen, dass vom Islam abgefallene Beschwerdeführer bei ihrer Rückkehr in den Iran dort Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt sind.
Nach Rechtsprechung des VwGH, kann die Verfolgung aus Gründen der Religion, wozu auch atheistische Glaubensüberzeugungen zählen, zur Gewährung von Asyl führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Asylwerber aufgrund seiner atheistischen Lebensweise im Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch im Herkunftsstaat leben wird. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine asylrelevante Verfolgung darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, mwN, zuletzt VwGH am 22.11.2021, Ra 2020/19/0207)
Laut den aktuellen Länderberichten zum Iran laufen Personen, die sich zum Atheismus bekennen, Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war.
Dass die BF1-2 ihre Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung bzw. identitätsstiftendes Merkmal erachten, ist wie sich aus den beweiswürdigenden Ausführungen ergibt, nicht anzunehmen. Es ist lediglich von einem gewissen Desinteresse bzw. einer Distanz gegenüber der Religion auszugehen, die sich im Verhalten der BF1-2 jedoch nicht weiter äußert. Dass die BF1-2 im Iran antiislamische bzw. islamkritische Aussagen tätigen, Aktivitäten setzten, öffentlich atheistische Überzeugungen vertreten sowie über das notwendige Wissen und die Motivation dazu verfügen würde, wurde von diesen nicht glaubwürdig vorgebracht.
Im Lichte der in das Verfahren integrierten Länderinformationen sowie der hg. beweiswürdigenden Erwägungen und auch der zitierten Judikatur ist der Schluss zu ziehen, dass aus dem Desinteresse der BF1-2 am Islam bzw. Religion an sich ohne das Vorliegen einer exponierten Tätigkeit, keine asylrechtlich relevante Gefährdung resultiert.
Nach den getroffenen Feststellungen gibt es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass iranische Staatsangehörige, die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.
II.3.2.3. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung im gegebenen Fall nicht existent ist.
II.3.2.4. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände und mangels Vorliegens einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides abzuweisen.
II.3.3. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat
II.3.3.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des § 8 AsylG lauten auszugsweise:
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht. […]
Bereits § 8 AsylG 1997 beschränkte den Prüfungsrahmen auf den „Herkunftsstaat“ des Asylwerbers. Dies war dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen war, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 20.5.1999, 98/20/0300). Diese Grundsätze sind auf die hier anzuwendende Rechtsmaterie insoweit zu übertragen, als dass auch hier der Prüfungsmaßstab hinsichtlich des Bestehend der Voraussetzungen, welche allenfalls zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führen, sich auf den Herkunftsstaat beschränken.
Art. 2 EMRK lautet:
„(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken.“
Während das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.
Art. 3 EMRK lautet:
„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“
Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984).
Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394).
Unter einer erniedrigenden Behandlung ist die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad zu verstehen (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).
Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält.
Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung (nunmehr Rückkehrentscheidung) eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle ihrer Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat der Beschwredeführer zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein „ausreichend reales Risiko“ für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes („high threshold“) dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex „Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in „Dublin-Verfahren““, derselbe in Migralex: „Abschiebeschutz von Traumatisieren“; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.
Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonst. unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl zB Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 [„St. Kitts-Fall“], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).
Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 – Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller „Beweise“ zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (zB EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)
Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).
Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in [nunmehr] § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).
Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in dessen Herkunftsstaat (Abschiebestaat) mit einer über die bloße Möglichkeit (zB VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; VwGH vom 14.10.1998, Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten somit aus.
II.3.3.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:
Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 bzw. 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Da sich der Herkunftsstaat der BF1-2 nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für die BF1-2 als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.
Auch wenn sich die Lage der Menschenrechte im Herkunftsstaat der BF1-2 in wesentlichen Bereichen als problematisch darstellt, kann nicht festgestellt werden, dass eine nicht sanktionierte, ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechts-verletzungen (iSd VfSlg 13.897/1994, 14.119/1995, vgl. auch Art. 3 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984) herrschen würde und praktisch, jeder der sich im Hoheitsgebiet des Staates aufhält schon alleine aufgrund des Faktums des Aufenthaltes aufgrund der allgemeinen Lage mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, von einem unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt betroffen ist.
Aus der sonstigen allgemeinen Lage im Herkunftsstaat kann ebenfalls bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Bestehen eines unter § 8 Abs. 1 AsylG subsumierbaren Sachverhalt abgeleitet werden.
Weitere, in der Person der BF1-2 begründeten Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden. Zur individuellen Versorgungssituation der BF1-2 wird zudem festgestellt, dass diese im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügen. Bei den BF1-2 handelt es sich um mobile, junge, arbeitsfähige Erwachsene, bei welchen die Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Aus den von der BF2 vorgelegen Krankenunterlagen geht nicht hervor, dass diese nicht erwerbsfähig sei. Der BF1 verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und über ein Studium der XXXX . Die BF2 hat ein XXXX abgeschlossen. Der BF1 hat zudem mehrere Jahre als XXXX in einem XXXX gearbeitet. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die BF1-2 im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein werden für sich ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Hinzu kommt, dass die BF1-2 aus einem Staat stammen, auf dessen Territorium einerseits die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist. Andererseits gehören die BF1-2 keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf ihre individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt, als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass den BF1-2 im Fall ihrer Rückkehr auch im Rahmen ihres Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwird. So gaben die BF1-2 an, dass ihre Eltern und Geschwister (BF2) sowie zwei Brüder und mehrere Onkel und Tanten (BF1) nach wie vor im Iran leben, weshalb nichts dagegenspricht, dass diese die BF1-2 bei einer Rückkehr – zumindest bei etwaigen Anfangsschwierigkeiten – finanziell oder mit einer Wohnmöglichkeit unterstützen. Es steht den BF1-2 auch frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen oder das – wenn auch nicht sonderlich leistungsfähige - Sozialsystem des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus ist es den BF1-2 unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.
Die BF2 ist seit April 2021 wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Sei leidet zudem an einer schweren depressiven Symptomatik mit somatischem Syndrom, starken Angstzuständen, massiven Schlafstörungen, Alpträumen und Konzentrationsschwierigkeiten. Sie leidet an einer Pollenallergie und nimmt diesbezügliche Medikamente ein.
Nach der Rechtsprechung können außergewöhnliche Umstände wie etwa lebensbedrohende Ereignisse - in concreto das Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung - ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0142). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung dieser Frage unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
Außergewöhnlicher Umstände liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (statt aller jüngst VwGH 30.06.2017, Ra 2017/18/0086).
Weiters wurde im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25.04.2022, GZ: Ra 2021/20/0448-12 auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. zu sämtlichen Aspekten dieser Rechtsprechung VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175, mwN).
Zum Erkrankungen betreffenden Aspekt hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) jüngst im Urteil (der Großen Kammer) vom 7. Dezember 2021, Savran/Dänemark, 57467/15 (auszugsweise in deutscher Sprache wiedergegeben in NLMR 6/2021, 508 ff), neuerlich (unter Hinweis auf EGMR [Große Kammer] 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41738/10) betont, dass es Sache des Fremden ist, Beweise vorzulegen, die zeigen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, er würde im Fall der Durchführung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme einem realen Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung unterzogen. Erst wenn solche Beweise erbracht werden, ist es Sache der Behörden des ausweisenden Staats, im Zuge der innerstaatlichen Verfahren jeden dadurch aufgeworfenen Zweifel zu zerstreuen und die behauptete Gefahr einer genauen Prüfung zu unterziehen, im Zuge derer die Behörden im ausweisenden Staat die vorhersehbaren Konsequenzen der Ausweisung auf die betroffene Person im Empfangsstaat im Lichte der dort herrschenden allgemeinen Lage und der persönlichen Umstände des Betroffenen erwägen müssen (Rn. 130). Die Verpflichtungen des ausweisenden Staats zur näheren Prüfung werden somit erst dann ausgelöst, wenn die oben genannte (hohe) Schwelle überwunden wurde und infolge dessen der Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK eröffnet ist (Rn. 135; vom EGMR in der Rn. 140 auch als „Schwellentest“ [„threshold test“] bezeichnet, der bestanden werden muss, damit die weiteren Fragen, wie etwa nach der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einer angemessenen Behandlung, Relevanz erlangen [„As noted in paragraph 135 above, it is only after that test is met that any other questions, such as the availability and accessibility of appropriate treatment, become of relevance.“]).
Im gegenständlichen Fall handelt es sich um keine tödlichen oder akut lebensbedrohlichen Erkrankungen. Entsprechend der Länderberichte verfügt der Iran über eine hohe Dichte an medizinischen Behandlungsmöglichkeiten und sind die in Europa gebräuchlichen Medikamente erhältlich. Auch Psychotherapie und Physiotherapie sind im Iran verfügbar. Darüber hinaus steht der BF2 im Falle ihrer Rückkehr die Möglichkeit offen, sich bei der iranischen Krankenversicherung zu registrieren, um Behandlungsmöglichkeiten zu erhalten.
Aus den medizinischen Unterlagen und den Angaben der BF2 geht auch nicht hervor, dass sie nicht reisefähig ist und würde im Falle der Überstellung der BF2 in den Iran auch keine signifikante Verschlechterung des Gesundheitszustandes der BF2 eintreten bzw. ist kein lebensbedrohlicher Zustand in diesem Zusammenhang zu befürchten. Abgesehen davon ist davon auszugehen, dass Österreich in der Lage ist, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10).
Die BF2 verfügt zudem über Verwandte in ihrer Heimat, die sie finanziell unterstützen könnten. Die bei der BF2 festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen stellen daher keine derartige Beeinträchtigung dar, welche die Rückverbringung der BF2 in den Iran im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig machen würde. Folglich konnte keines in der Person der BF2 begründete entscheidungsrelevantes Rückkehrhindernis in Bezug auf ihren Gesundheitszustand bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen festgestellt werden.
Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers ergibt sich unter Zugrundelegung der Länderberichte keine Rückkehrgefährdung der BF1-2 im Sinne eines realen Risikos.
Bei COVID 19 handelt es sich um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Art 3 EMRK tangierende, Krankheit und haben die Beschwerdeführer auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde (vgl. dazu auch VwGH vom 23.06.2020, Ra 2020/20/0188-3, Rz 17 – 19).
Auch schlechtere wirtschaftliche Aussichten als vor Beginn pandemiebedingter Maßnahmen sind nicht relevant im Sinne von Art 3 EMRK, solange die Sicherung existenzieller Grundbedürfnisse gegeben ist (VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0314).
Da die BF1-2 physisch gesund sind und keiner speziellen Risikogruppe angehören, kann vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat der BF1-2 weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes, noch auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.
Weitere, in der Person der BF1-2 begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.
Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass die BF1-2 im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die dringendsten Bedürfnisse befriedigen können und sie nicht in eine - allfällige, Anfangsschwierigkeiten überschreitende - dauerhaft aussichtslose Lage gerate.
II.3.4. Frage der Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung
II.3.4.1. Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 58 Abs 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der gegenständliche, nach nicht rechtmäßiger Einreise in Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz des BF wurden bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Es liegt daher kein rechtmäßiger Aufenthalt (ein sonstiger Aufenthaltstitel der drittstaatsangehörigen Fremden ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht behauptet) im Bundesgebiet mehr vor und fällt der BF nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG.
Der Aufenthalt des BF ist nicht geduldet. Der BF ist nicht Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt im obigen Sinn.
Es liegen folglich keine Umstände vor, dass dem BF allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts Konkretes dargetan.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist diese Entscheidung daher mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
II.3.4.2. Gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG ist gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Gemäß § 52 Abs 3 FPG ist unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen. Die Erlassung der Entscheidung ist zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
Gemäß § 9 Abs 3 AsylG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
II.3.4.3. Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie hier der Rückkehrentscheidung, kann folglich ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Vom Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des 'Familienlebens' in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. dazu EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981, 118; EKMR 14.3.1980, 8986/80, EuGRZ 1982, 311; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK- Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayr, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1, ebenso VwGH vom 26.1.2006, 2002/20/0423, vgl. auch VwGH vom 8.6.2006, Zl. 2003/01/0600-14, oder VwGH vom 26.1.2006, Zl.2002/20/0235-9, wo der VwGH im letztgenannten Erkenntnis feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Sowohl eheliche als auch uneheliche Kinder aus einer Familienbeziehung, die unter Art 8 EMRK fallen, werden von ihrer Geburt an ipso iure Teil der Familie (Peter Chvosta: „Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK“, ÖJZ 2007/74; VfSlg 16.777/2003; ferner Gül gg Schweiz, ÖJZ 1996, 593; 5. 2 2004, 60457/00, Kosmopoulou gg Griechenland; 18. 1. 2007, 73819/01, Estrikh gg Litauen). Umgekehrt werden Kinder erst vom Moment ihrer Geburt an rechtlich Teil der Familie. Zu noch ungeborenen Kindern liegt somit bis dahin (noch) kein schützenswertes Familienleben iSd Art 8 EMRK vor (vgl. zB VfGH 24.02.2003, B 1670/01; EGMR 19.02.1996, GÜL vs Switzerland).
Der Begriff des Familienlebens ist darüber hinaus nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR Marckx, EGMR 23.04.1997, X ua). Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.
Artikel 8 EMRK schützt das Privatleben umfassend und sichert dem Einzelnen einen Bereich,
innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten kann.
II.3.4.4. Die BF1-2 reisten erstmals im XXXX für wenige Tage mittels Visum legal in das österreichische Bundesgebiet ein und halten sich seit einer Rücküberstellung aus XXXX seit November 2017 ununterbrochen in Österreich auf. Sie verfügen in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel und leben von Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber. Die BF1-2 sind ehrenamtlich tätig und besuchten beide Integrationsmaßnahmen. Die BF1-2 haben keine Verwandten in Österreich und sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die BF1-2 sprechen auf dem Niveau B1 die deutsche Sprache und verfügen in Österreich über freundschaftliche und soziale Kontakte.
Da die BF 1-2 gleichermaßen von einer Rückkehrentscheidung betroffen sind, liegt insoweit kein Eingriff in das schützenswerte Familienleben vor (VwGH 19.12.2012, Zl. 2012/22/0221 mwN).
Die Rückkehrentscheidung betreffend der BF1-2 stellt somit keinen Eingriff in das Recht auf Familienleben dar, jedoch einen solchen in das Recht auf Privatleben, wenngleich dieser schon alleine durch den erst – bezogen auf das Lebensalter der BF1-2 – kurzen Aufenthalt in Österreich, welcher darüber hinaus nur durch die unbegründete Stellung eines Asylantrages erreicht werden konnte, relativiert wird.
II.3.4.5. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim BFA als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff in § 10 AsylG gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens des BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
II.3.4.6. Im Einzelnen ergibt sich aus einer Zusammenschau der oben genannten Determinanten im Lichte der soeben zitierten Judikatur Folgendes:
Die BF1-2 sind seit November 2017 durgehend in Österreich aufhältig. Sie reisten zunächst legal in das Bundesgebiet ein und konnten ihren Aufenthalt nach der Rücküberstellung aus XXXX im November 2017 lediglich durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisieren. Hätten sie diesen unbegründeten Asylantrag nicht gestellt, wären sie rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig bzw. wäre davon auszugehen, dass der rechtswidrige Aufenthalt bereits durch entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen in der Vergangenheit beendet worden wäre und sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten würden.
Die BF1-2 begründeten ihr Privatleben sohin zu einem Zeitpunkt, als der Aufenthalt durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde. Auch war der Aufenthalt der BF1-2 zum Zeitpunkt der Begründung der Anknüpfungspunkte im Rahmen des Privat- und Familienlebens ungewiss und nicht dauerhaft, sondern auf die Dauer des Asylverfahrens beschränkt.
Die BF1-2 sind – in Bezug auf ihr Lebensalter - erst einen relativ kurzen Zeitraum in Österreich aufhältig und haben hier keine qualifizierten Anknüpfungspunkte. Aus dem Akteninhalt geht nicht hervor, dass die BF1-2 selbsterhaltungsfähig wären. Die BF1-2 haben hierorts keine Anknüpfungspunkte in Form einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen. Sie war bis dato nie legal erwerbstätig.
Der Umstand, dass die BF1-2 gemeinnützige Tätigkeiten ausführen, fällt bei der gegenständlichen Abwägungsentscheidung nicht besonders stark ins Gewicht, zumal hierdurch eine nachhaltige Integration der BF1-2 im Arbeitsmarkt, welche auch künftig auf ihre Selbsterhaltungsfähigkeit schließen ließe, aktuell nicht erkannt werden kann, auch wenn zweifelsohne von integrativen Schritten gesprochen werden kann.
Die BF1-2 sprechen aufgrund der Absolvierung von sprachlichen Qualifizierungsmaßnahmen mittlerweile Deutsch auf dem Niveau B1. Soweit die BF1-2 diese Deutschkenntnisse vorbrachten, war ihnen ein gewisses Maß an (sprachlicher) Integration zuzubilligen.
Soweit auf sonstige gewöhnliche soziale Kontakte im Bekannten- und Freundeskreis BF1-2 verwiesen wird, ist auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Erk. d. VwGH vom 6.11.2009, 2008/18/0720; 25.02.2010, 2010/18/0029). Damit war auch den vorgelegten Unterstützungsschreiben kein entscheidendes Gewicht zuzumessen.
Die BF1-2 verbrachten zudem den überwiegenden Teil ihres Lebens im Iran, wurden dort sozialisiert und sprechen die dortige Mehrheitssprache auf muttersprachlichem Niveau. Ebenso ist davon auszugehen, dass im Iran Bezugspersonen etwa im Sinne eines gewissen Freundes- und/oder Bekanntenkreises der BF1-2 existieren, da nichts darauf hindeutet, dass die beiden vor ihrer Ausreise in den Herkunftsstaat in völliger sozialer Isolation gelebt hätten. Es weist daher nichts darauf hin, dass es den BF1-2 im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht möglich wäre, sich in die dortige Gesellschaft erneut zu integrieren. Die BF1-2 führten aus, dass mehrere Familienmitglieder nach wie vor im Iran leben.
Die Feststellung, wonach die BF1-2 strafrechtlich unbescholten sind, stellt laut Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
Es ist im Rahmen einer Gesamtschau zwar festzuhalten, dass eine raschere Erledigung des Asylverfahrens denkbar ist, dennoch ist im gegenständlichen Fall aufgrund des Vorbringens des BF sowie seinem Verhalten im Verfahren davon auszugehen, dass kein Sachverhalt vorliegt, welcher die zeitliche Komponente im Lichte der Erkenntnisse des VfGH B 950-954/10-08 bzw. B1565/10, in den Vordergrund treten ließe, dass aufgrund der Verfahrensdauer im Rahmen der Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK von einem Überwiegen der privaten Interessen des BF auszugehen wäre (in Bezug auf ein gewisses Behördenverschulden in Bezug auf die Verfahrensdauer vgl. auch bei Vorliegen weitaus engeren Bindungen im Sinne des Art. 8 EMRK und einem ca. zehnjährigen Aufenthalt im Staat der Antragstellung das Urteil des EGMR Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).
Den BF1-2 musste bei der Antragstellung auch klar sein, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle der Abweisung des Asylantrages nur ein vorübergehender ist.
II.3.4.7. Eine Gegenüberstellung der von den BF1-2 in dem Herkunftsstaat vorzufindenden Verhältnissen mit jenen in Österreich im Rahmen einer Interessensabwägung führt daher zu keinem Überwiegen der privaten Interessen der BF1-2 am Verbleib in Österreich gegenüber den öffentlichen Interessen an einem Verlassen des Bundesgebietes.
Könnte sich ein Fremder in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen und darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrags unterlassen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip [„no one can profit from his own wrongdoing“], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration der BF1-2 in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Sicht sind nicht erkennbar. Die BF1-2 halten sich im Vergleich mit ihrem Lebensalter erst einen kurzen Zeitraum in Österreich auf, sind auf die Grundversorgung angewiesen und eine gesellschaftliche Integration im beachtlichen Ausmaß ist nicht erkennbar.
Verwandte der BF1-2 leben noch im Herkunftsstaat, wo die BF1-2 den Großteil des Lebens verbracht haben und sozialisiert wurden, und ist daher davon auszugehen, dass auf Grund dieser engen familiären und privaten Beziehungen im Herkunftsstaat im Vergleich mit dem bisherigen Leben in Österreich die Beziehungen zum Iran eine – wenn überhaupt vorhandene – Integration in Österreich bei weitem überwiegen.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der BF1-2 im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF1-2 am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen (und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden), dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
II.3.4.8. Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheide gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffenen Feststellungen keine konkreten Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass die Abschiebung in den Iran unzulässig wäre. Derartiges wurde auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht schlüssig dargelegt.
II.3.4.9. Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung entspricht § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Es wird auf die bereits getroffenen Ausführungen zu den privaten und familiären Bindungen der BF1-2 und der Vorhersehbarkeit der Verpflichtung zum Verlassen des Bundesgebietes verwiesen. Die eingeräumte Frist erscheint angemessen und wurden diesbezüglich auch keinerlei Ausführungen in der Beschwerde getroffen.
Die Verhältnismäßigkeit der seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
II.3.4.10. Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen die Spruchpunkt III. bis VI. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
II.3.5 Aufgrund der oa. Ausführungen ist der belangten Behörde letztlich im Rahmen einer Gesamtschau jedenfalls beizupflichten, dass kein Sachverhalt hervorkam, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die BF1-2 im Falle einer Rückkehr in den Iran dort mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. § 8 Abs. 1 AsylG ausgesetzt wären. Auch die Voraussetzungen für die getroffene Rückkehrentscheidung liegen vor.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff, dem Refoulement-schutz bzw. zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben abgeht.
Ebenso wird zu diesem Thema keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der Beweiswürdigung.
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