AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W184.2155161.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner PIPAL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2017, Zl. 1087579404/151372944, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.08.2019 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005, §§ 52, 55 FPG und § 9 BFA-VG als unbegründet abgewiesen mit der Maßgabe, dass in Spruchpunkt IV. die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG bis zum 30.09.2019 verlängert wird.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, brachte nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.09.2015 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde folgende Entscheidung über diesen Antrag getroffen:
"I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
II. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen.
III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG wird eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.
Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.
IV. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden im angefochtenen Bescheid folgendermaßen zusammengefasst (gekürzt und teilweise anonymisiert durch das Bundesverwaltungsgericht):
"A) Verfahrensgang
...
Bei der Erstbefragung machten Sie zu Ihren Fluchtgründen folgende Angaben:
Drei Kilometer von unserem Dorf XXXX entfernt befinden sich Talibankämpfer und auch "Daesh". Sie haben oft zu unserer Moschee Zettel geschickt, dass die jungen Leute zu den Kämpfern kommen sollen. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Afghanistan zu verlassen. Sonst gibt es keine Fluchtgründe.
...
Nach Zulassung Ihres Verfahrens wurden Sie am 23.01.2017 durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes niederschriftlich einvernommen. Es folgen die entscheidungsrelevanten Auszüge dieser Einvernahme (F = Frage, A = Antwort):
...
F: Wo haben Sie zuletzt in Afghanistan gelebt? Können Sie mir eine genaue Adresse nennen?
A: In Baghlan im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX . Es gibt dort keine Hausnummern.
F: Können Sie irgendwelche Beweismittel in Vorlage bringen, insbesondere Personendokumente?
A: Ich habe keine Dokumente aus Afghanistan.
...
F: Zu welcher Volksgruppe gehören Sie?
A: Tadschike.
F: Welche Religionszugehörigkeit haben Sie?
A: Moslem/Sunnit.
...
F: Haben Sie Schulen besucht?
A: Ja, ich habe acht Jahre lang die Schule in Afghanistan besucht.
F: Sind Sie in Afghanistan einer Beschäftigung nachgegangen? Wie haben Sie sich Ihren Lebensunterhalt verdient?
A: Mein Vater hat mich finanziert.
F: Wie heißen Ihre Eltern, wie alt sind sie bzw. wann wurden sie geboren und wo leben sie?
A: Mein Vater ..., ca. 55 Jahre alt, und meine Mutter ..., ca. 60 Jahre alt und lebt bei meinem Vater in Afghanistan. Befragt gebe ich an, dass mein Vater für ein Baumwollunternehmen arbeitet und meine Mutter ist Hausfrau.
F: Haben Sie Geschwister? Wenn ja, wo leben diese?
A: Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Meine Brüder ..., ca. 30 Jahre alt, ..., ca. 28 Jahre alt, und ..., ca. 25 Jahre alt, und meine Schwester ..., ca. 18 Jahre alt. Alle leben in Afghanistan bei meinen Eltern.
F: Haben Sie noch weitere Verwandte in Afghanistan?
A: Nein.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihren Angehörigen?
A: Ja, wir haben telefonisch regelmäßig alle drei bis vier Monate Kontakt.
...
F: Waren Sie politisch oder religiös in Afghanistan tätig?
A: Nein.
F: Hatten Sie Probleme mit afghanischen Behörden, Gerichten oder der Polizei?
A: Nein.
F: Wann und wie haben Sie Afghanistan verlassen?
A: Illegal zu Fuß im Frühjahr 2015, das genaue Datum weiß ich nicht.
F: Seit wann sind Sie nun in Österreich aufhältig?
A: Am 17.09.2015 bin ich illegal mit dem Zug nach Österreich.
F: Was war der Zweck Ihrer Einreise hier in Österreich?
A: Ich will ein sicheres Leben haben.
...
F: Warum stellen Sie einen Asylantrag in Österreich? Nennen Sie mir Ihre Fluchtgründe.
A: Ich habe in XXXX gelebt. Es ist ca. drei bis vier Kilometer entfernt von XXXX . XXXX ist das Zentrum der Taliban. Alle zwei Monate haben Sie in der Moschee verbreiten lassen, dass sich die Jugendlichen ihnen anschließen und mitkämpfen sollen. Sie haben auch Briefe geschickt, in welchen sie gesagt haben, dass sich die Jugendlichen ihnen anschließen sollten. Falls sie sich weigerten, würden sie sie zwingen. Sie haben machen können, was sie wollten. Deshalb war ich gezwungen, mein Land zu verlassen. Ich habe mit meinen Eltern gelebt, hatte schlaflose Nächte, meine Familie hatte Stress meinetwegen. Deshalb ist mein Vater zur Entscheidung gelangt, dass ich ausreisen soll.
F: Wohin haben sie Briefe geschickt?
A: Es wurde in die Moschee geschickt und von dort wurde es verbreitet. Der Mullah der Moschee hat es an die Menschen verteilt.
F: Verstehe ich Sie richtig, dass diese Aufforderung an alle jungen Männer gerichtet war?
A: Ja, genau.
F: Hat es eine persönlich gegen Sie gerichtete Bedrohung gegeben?
A: Nein.
F: Das heißt, Sie sind aufgrund der allgemein schlechten Lage geflohen?
A: Ja, genau.
F: Wurden Sie aufgrund, Ihrer Religion, politischen Gesinnung, Rasse, sozialen Gruppe oder Nationalität bedroht?
A: Nein, ich wurde nie angegriffen.
F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?
A: Nein.
...
F: Wie geht es Ihrer Familie?
A: Es geht ihnen gut. Sie hatten keine Probleme zu Hause.
F: Haben Sie je die Möglichkeit in Betracht gezogen, in einen anderen Teil von Afghanistan, zum Beispiel Kabul, zu ziehen?
A: Die Sachen, die mich betreffen, entscheidet mein Vater. Er hat beschlossen, dass ich Afghanistan verlasse. Befragt gebe ich an, dass ich nicht weiß, ob ich in Kabul leben könnte, mein Vater hat ja entschieden, dass ich Afghanistan verlasse.
...
F: Wenn Sie heute nach Afghanistan zurückkehren würden, was würde passieren?
A: Mein Leben wäre in Gefahr. Weil ich ja geflohen bin, würden Sie mich umbringen. Mit "sie" meine ich die Taliban ..."
Es folgten im angefochtenen Bescheid die Beweismittel, die Sachverhaltsfeststellungen und die Beweiswürdigung. Bei den Länderfeststellungen wurde folgende Anfragebeantwortung bezüglich Hepatitis B-Behandlung in Afghanistan wiedergegeben:
"IOM berichtet, dass es in der Stadt/Provinz Kabul kardiologische Zentren gibt, in denen verschiedene kardiologische Untersuchungen durchgeführt werden können. Die Behandlungen in staatlichen Spitälern sind zwar kostenlos, aber sehr limitiert. Es gibt aber private Kliniken, bei denen weitere kardiologische Behandlungen durchgeführt werden können. Konservative Behandlung von chronischer Hepatitis B mit höhergradiger Fibrose (F3) ist in der Stadt/Provinz Kabul möglich. Komplexere Behandlungen, wie eine Lebertransplantation, sind in Afghanistan nicht möglich. Hepatologische Behandlungen sind in der Stadt/Provinz Kabul möglich. Für komplexere Behandlungen wird der Patient in private Kliniken/Spitäler verwiesen. Eine Endocarditis-Prophylaxe kann in der Stadt/Provinz Kabul durchgeführt werden. Eine ausgebrochene Endocarditis kann nicht in Afghanistan behandelt werden. Die Medikamente Thrombo ASS 100 mg (Acetylsalicylsäure), Acemin 5 mg (Lisinopril), Concor 2,5 mg (Bisoprolol) und Viread 245 mg (Tenofovirdisoproxil) sind in Kabul und in allen anderen Regionen Afghanistans erhältlich.
Contact addresses:
For hepatitis treatment: Public infectious disease hospital, http://www.hpicanada.ca/hospitals/antoni-infectious-disease/
For cardiology diagnosis and treatments: Wazir Akbar Khan Public Hospital (no homepage available), located opposite the ANA ("400 Bed") Hospital in the Wazir Akbar Khan District of Kabul, Telephone:
020-230-1360,
https://www.icrc.org/eng/resources/documents/misc/693cev.htm ; Sama Hospital (no homepage available), phone number: 0093(0) 790 804 020,
E-mail: Sama.hospital@yahoo.com ; Amiri Cardiology Complex Hospital, http://amc.com.af/
Quelle:
IOM - International Organization for Migration (8.3.2016): Anfrage
Afghanistan: BMI-BA123001/0040-BFA-B/III/2016. Per E-Mail."
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wurde schließlich zu den einzelnen Spruchpunkten dargelegt, dass der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt werden könne, weil ein asylrelevantes Vorbringen nicht glaubhaft gemacht worden sei und außerdem eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vorhanden sei. Auch eine refoulementrelevante Gefährdung bestehe nicht, weil die Sicherheitslage in mehreren Provinzen stabil sei. Die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK und für eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz lägen nicht vor, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage mangels besonderer Umstände zwei Wochen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und insbesondere ausgeführt wurde, dass die beschwerdeführende Partei aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch Taliban geflüchtet sei und von diesen überall in Afghanistan gefunden werden könne. Die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan unzureichend. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative gebe es in Afghanistan nicht.
Mit Strafurteil eines Bezirksgerichtes vom 28.03.2018 wurde die beschwerdeführende Partei rechtskräftig wegen § 27 SMG zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je EUR 4,- verurteilt.
In einer nach der Ladung zur Verhandlung eingebrachten Stellungnahme vom 18.07.2019 erklärte die beschwerdeführende Partei, dass er bei der Einvernahme vor dem BFA nicht die Möglichkeit gehabt habe, seine gesamte Fluchtgeschichte zu erzählen. Er habe drei- bis fünfmal täglich die Moschee in XXXX besucht und einmal seien die Taliban in die Moschee gekommen und haben die beschwerdeführende Partei und vier andere Personen von den restlichen Besuchern getrennt, um sie zwangszurekrutieren. Die beschwerdeführende Partei und ein Freund seien weggelaufen, woraufhin die beschwerdeführende Partei bewusstlos geschlagen worden sei. Sein Freund sei von den Taliban getötet worden. Die beschwerdeführende Partei habe sich wegen dieser Ereignisse ganz vom Islam abgewandt und sei nun Atheist. Als er kürzlich davon erfahren habe, dass man auch aus der Glaubensgemeinschaft austreten könne, habe er dies getan. Daher würde ihm in Afghanistan die Todesstrafe drohen. Mit dieser Stellungnahme wurden folgende Unterlagen vorgelegt: eine Religionsaustrittsbescheinigung vom 10.07.2019; eine Studienbestätigung der Akademie XXXX ; vier Zertifikate eines Schulprojektes über die Absolvierung von Kursen zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss; ein Teilprüfungszeugnis der Pflichtschulabschlussprüfung; mehrere Unterstützungsschreiben; ein Laborbefund vom 07.06.2019 und eine Ambulanzkartei 04.07.2019, wonach die beschwerdeführende Partei seit einem Jahr wegen einer chronischen Hepatitis B-Infektion eine antivirale Therapie mit Viread erhalte und regelmäßige Kontrolltermine wahrnehmen müsse.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.08.2019 eine mündliche
Verhandlung durch, in welcher die beschwerdeführende Partei und zwei
Zeugen Folgendes aussagten (gekürzt und teilweise anonymisiert durch
das Bundesverwaltungsgericht, RI = Richter, BF = beschwerdeführende
Partei, RV = Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei, BehV =
Behördenvertreter, Z1 und Z2 = Zeugen, D = Dolmetscher):
"RI: Haben Sie ein Prüfungszeugnis über Deutsch?
BF (auf Deutsch): Ich mache den Pflichtschulabschluss. Mir fehlt nur Mathematik.
RI: Wann ist die Mathematikprüfung?
BF (auf Deutsch): Ab September.
RI: Wie viele Prüfungen vor der Prüfungskommission müssen Sie ablegen, damit Sie die Pflichtschule abgeschlossen haben?
BF (auf Deutsch): Ich habe mehrere Zeugnisse vorgelegt.
RI: Wann, glauben Sie, haben Sie den Pflichtschulabschluss absolviert?
BF (auf Deutsch): Wenn ich es im September nicht schaffe, dann im Juni 2020.
RI: Was wollen Sie nachher beruflich machen?
BF (auf Deutsch): Ich möchte eine Lehre absolvieren und dann in einer Apotheke arbeiten.
RI: Haben Sie Verwandte oder eine Frau in Österreich?
BF (auf Deutsch): Ein Junge aus meiner Stadt, ein Verwandter meines Vaters, ist in Österreich, und wir wohnen gegenwärtig in einer Wohnung.
RI: Sie haben auch eine Bestätigung von der XXXX vorgelegt?
BF: Im Sommer habe ich ein Semester Zeichnen belegt. Dann konnte ich wegen der Schule nicht weitermachen.
RI: Sie haben eine gerichtliche Vorstrafe wegen Suchgifthandels. Einmal oder öfters?
BF (auf Deutsch): Das war einmal.
RI: Haben Sie die Strafe bezahlt?
BF (auf Deutsch): Ja.
RI: Dann habe ich noch eine Anzeige bekommen, dass Sie im Dezember letzten Jahres mit der Polizei herumgeschrien haben.
BF (auf Deutsch): Ich habe dagegen Beschwerde erhoben und die Strafe wurde bestätigt. Ich habe die Strafe noch nicht bezahlen können, weil ich kein Geld habe, und ich habe eine Stundung bekommen. Ich bin nur mit einem Freund bei der U-Bahn-Station gestanden und die Polizei hat mich irrtümlich mit der Amtshandlung in Zusammenhang gebracht.
RI: Sie haben mir einen Befund vorgelegt, dass Sie an einer Depression leiden. Seit wann leiden Sie an dieser Depression?
BF: Am 24.07.2019 hat mir der Arzt gesagt, dass ich unter Depressionen leide. Ich hatte die Beschwerden, die ich dem Arzt geschildert habe, schon früher, nämlich seit sechs Monaten.
RI: Sie nehmen dieses Medikament, das im Befund steht?
BF: Ja.
RI: Machen Sie eine Psychotherapie?
BF: Morgen habe ich einen Termin und beginne damit.
RI: Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, dass Sie nach Afghanistan zurückkehren?
BF: Das Problem ist, dass die Taliban in Afghanistan wollten, dass ich mich ihnen anschließe. Sie sind immer in unsere Moschee gekommen. Bevor ich das letzte Mal Afghanistan verließ, wurde ich persönlich angegriffen. Aus Angst vor den Taliban kann ich nicht nach Afghanistan zurückkehren.
RI: Wie heißt die Moschee, in der die Taliban Sie angesprochen haben?
BF (auf Deutsch): Sie heißt XXXX .
RI: Wo genau liegt diese Moschee?
BF (auf Deutsch): Die Moschee liegt genau in dem Dorf, wo wir wohnen.
BF (mit D): Die Moschee liegt in unserem Heimatdorf namens XXXX . Unser Dorf liegt ca. zwei bis drei Kilometer weg von XXXX , wo sich das Zentrum der Taliban befindet. Dazwischen liegt ein Berg. Tagsüber herrscht die Regierung, in der Nacht die Taliban.
RI: Wie viele Einwohner hat das Dorf XXXX ?
BF: Genau weiß ich es nicht, aber ca. 4 000 Einwohner.
RI: 4 000 Einwohner ist eher eine Stadt als ein Dorf. Ist XXXX ein Teil einer Stadt?
BF (teilweise auf Deutsch): Es ist ein Dorf, ein Teil der Provinz Baghlan, aber nicht Teil einer Stadt.
RI: Was ist die nächste größere Stadt neben Ihrem Heimatdorf?
BF: XXXX .
RI: Wie liegt XXXX zu XXXX ?
BF: Es ist nur ein Berg dazwischen.
RI: Wie weit von XXXX ist Ihr Heimatdorf ungefähr entfernt?
BF: Einen Kilometer, vielleicht etwas mehr.
RI: Ist XXXX die Hauptstadt der Provinz Baghlan?
BF: Ja.
RI: Wir haben jetzt von XXXX gesprochen. Liegt das diesseits des Berges oder auch jenseits des Berges? Können Sie mir das auf einem Blatt Papier aufzeichnen?
BF: legt eine handgezeichnete Skizze vor ...
RI: Sie haben uns vor ein paar Wochen eine Ergänzung zur Beschwerde geschickt und da schreiben Sie, dass Sie drei- bis fünfmal die Moschee in XXXX besucht haben.
BF (auf Deutsch): Nein, nicht in XXXX , sondern in meinem Dorf namens XXXX .
RI: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie von den Taliban in Ihrer Moschee bedroht wurden.
BF: Anfangs haben mir die Taliban Drohbriefe geschickt. Diese wurden ganz allgemein an die Moschee gerichtet.
RI: Was stand in diesen Drohbriefen?
BF: Dass sich die Jugendlichen den Taliban anschließen müssen und mit ihnen gegen die Regierung kämpfen müssen. Im letzten Drohbrief stand, dass wir entweder freiwillig zu ihnen gehen müssen oder sie uns zu sich verschleppen würden. Eines Abends, als ich nach dem Abendgebet die Moschee verließ, wurde ich von den Taliban angegriffen. Unsere Moschee hat zwei Ausgänge, einen großen Hauptausgang und einen kleinen Ausgang, der zu einer Straße führt. Ich verließ als letzter durch den kleinen Ausgang die Moschee. Als ich auf die Straße ging, sah ich, dass die Taliban bereits vier andere Jugendliche angehalten hatten. Da die Taliban Paschtu sprachen, sagte mir ein Freund auf Farsi, dass er vorhabe wegzulaufen. Er lief als erster weg und ich folgte ihm. Aber die Taliban schlugen mich auf der linken Seite auf den Kopf, die Narbe sieht man noch immer. Ich war 30 Minuten lang bewusstlos, danach kam ich wieder zu mir. Meine Kleidung war voller Blut. Ich zerriss mein Oberteil und habe damit meinen Kopf verbunden. Danach ging ich nach Hause. Ich habe versucht, meine Familie davon zu überzeugen, dass ich Afghanistan verlassen muss. Anfangs waren sie dagegen, aber schlussendlich stimmten sie mir zu. Sie wollten nicht, dass ich mich von der Familie trenne bzw. wegziehe.
RI: Wo genau sind Sie bewusstlos gelegen, genau neben der Moschee oder etwas entfernt?
BF: Ein bisschen weiter weg von der Moschee, denn dort stand das Auto der Taliban. Wir waren auf dem Weg zum Auto, ich ging links und mein Freund rechts von mir. Er lief rechts in eine Straße und ich versuchte, links zu fliehen. Auf der linken Seite befand sich ein Teich. Ich war der Meinung, nur mein Heimatdorf zu verlassen, aber meine Familie schlug vor, Afghanistan zu verlassen, denn durch die Taliban wäre ich in ganz Afghanistan in Gefahr.
RI: Warum haben Sie diesen Vorfall bei Ihrer Einvernahme nicht erzählt?
BF: Mein einziger Fehler während der Einvernahme beim BFA war, dass ich ein Foto des Freundes, der vor den Taliban weggelaufen war, vorgezeigt habe. Dieser wurde einen Monat nach meiner Ausreise umgebracht. Der Referent sagte mir, dass das Foto ihn nicht interessiert. Er gab mir mein Handy zurück und gab mir keine Gelegenheit, über meinen Fall zu sprechen. Er stellte mir Fragen.
RI: Sie sind gefragt worden: "Hat es eine persönlich gegen Sie gerichtete Bedrohung gegeben?" und Sie haben geantwortet: "Nein."
BF: Ich habe die Frage falsch verstanden. Ich dachte, der Referent meint, ob nur ich allein von diesem Problem betroffen gewesen wäre. Es waren aber auch andere Jugendliche davon betroffen. Ich wurde ja persönlich angegriffen.
RI: Gibt es noch irgendeinen Grund, warum Sie nicht nach Afghanistan zurückkehren können?
BF: Nach dem Angriff ging es mir gesundheitlich sehr schlecht. Ich war nicht in der Lage, auf irgendeine Art und Weise den Taliban behilflich zu sein. Außerdem teile ich deren Meinung überhaupt nicht. Es gibt keine weiteren Gründe. Nachdem ich die Ladung von dem Gericht bekommen habe, bin ich zum Verein Menschenrechte gegangen und habe nach meiner Beschwerde gefragt. Dabei merkte ich, dass sie den Vorfall, den ich ihnen geschildert habe, nicht geschrieben haben, woraufhin eine ergänzende Beschwerde geschrieben wurde.
RI: Welches Religionsbekenntnis haben Sie?
BF: Ich gehöre keiner Religion an.
RI: An welchen Gott glauben Sie?
BF: An keinen Gott. Ich glaube deswegen an keinen Gott, weil ich mich für meine Ziele selbst anstrengen muss. Ohne meine Anstrengung komme ich durch Gott nicht an meine Ziele. Der zweite Grund, warum ich nicht an Gott glaube, ist, weil dieser Freund von mir nach meiner Ausreise getötet wurde. Warum hat Gott ihn nicht beschützt? Wegen der Religion habe ich meine Heimat, meine Familie verlassen. Ich war in der achten Klasse und habe sogar die Schule deswegen abgebrochen.
RI: Seit wann glauben Sie nicht mehr an Gott?
BF (auf Deutsch): Seit mir das schlimmste Erlebnis passiert ist, nämlich die Verletzung am Kopf.
RI: Wann haben Sie das letzte Mal zu Gott gebetet?
BF: In Afghanistan.
RI: Waren Sie in Österreich nie in einer Moschee?
BF (auf Deutsch): Nein.
RI: Wie ist der Austritt aus Ihrer Religionsgemeinschaft abgelaufen, können Sie mir das schildern?
BF: Als ich neu in Österreich war, hatte ich keinen Deutschkurs und keine Schule. Nach ca. einem Jahr begann ich mit der Schule. Am Ende des Schuljahres hatten wir Unterricht in einem Vertrauensraum, in dem man über seine Geheimnisse reden konnte. Als ich erfuhr, dass in Österreich die Meinungsfreiheit herrscht und man sich die Religion aussuchen kann, war ich mir sicher, dass ich problemlos aus dem Islam austreten kann. Aber den Gedanken hatte ich schon seit drei Jahren.
RI: Wann war dieser Unterricht in diesem Vertrauensraum?
BF: Heuer, vor den Sommerferien.
RI: Wie ist der Austritt abgelaufen?
BF (auf Deutsch): Ich habe beim Magistrat angerufen und erfahren, dass ich das dort machen kann. Dann habe ich einen Termin ausgemacht und den Austritt erklärt.
RI: Wieso haben Sie gewusst, wo Sie anrufen müssen?
BF (auf Deutsch): In der Schule, in dem Vertrauensraum, habe ich erfahren, dass man das beim Magistrat machen kann.
RI: Sind Sie sehr religiös erzogen worden oder wenig religiös?
BF: Ich wurde sehr religiös erzogen, aber ich persönlich konnte mich innerlich nie davon überzeugen. Viele Sachen werden einem aufgezwungen. Ich konnte nicht alles akzeptieren.
RI: Wie oft sind Sie in Afghanistan in die Moschee gegangen?
BF: Dreimal. In der Früh und in der Nacht konnten wir wegen der Sicherheitslage nicht gehen.
RI: Sind Sie da gemeinsam mit Ihrer Familie oder mit Freunden dreimal am Tag in die Moschee gegangen?
BF: Manchmal mit meinem Vater, manchmal allein. Eigentlich war es so, dass mein Vater mich zwang, in die Moschee zu gehen.
RI: Was sagen Ihre Verwandten jetzt dazu, dass Sie aus Ihrer Religionsgemeinschaft ausgetreten sind?
BF: Ich habe seit langer Zeit keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich habe meine alte SIM-Karte verloren, somit können sie mich nicht mehr erreichen.
RI: Sind Sie in irgendeiner Organisation, ähnlich einer Religionsgemeinschaft, wo Sie gemeinsam Ihre nicht religiöse Weltanschauung betreiben, oder machen Sie das allein?
BF: Nein, ich bin kurz vor den Sommerferien aus dem Islam ausgetreten, davor wusste ich das nicht.
RI: Ich habe gemeint, ob Sie zum Beispiel in einer Gemeinschaft von Atheisten sind?
BF: Nein.
RI: Werden Sie nach dem Tod ins Paradies kommen?
BF (auf Deutsch): Ich glaube nicht. Wenn man tot ist, ist alles fertig.
RI: Was glauben Sie, wer die Welt erschaffen hat? War das nicht Allah, der die Welt erschaffen hat?
BF (auf Deutsch): Meiner Meinung nach nicht. Die Erde hat es immer gegeben und die Menschen haben darauf gelebt.
RI: Was sagen Ihre muslimischen Freunde in Österreich dazu, dass Sie nicht in die Moschee gehen?
BF (auf Deutsch): Viele wollen keinen Kontakt mit mir. Aber ich habe auch Freunde, die es akzeptieren, dass ich keiner Religion angehöre, obwohl diese einer Religion angehören.
RI an BehV und RV: Gibt es von Ihrer Seite Fragen an den BF?
BehV: Keine Fragen.
RV: Weiß jemand in Afghanistan, dass Sie aus dem islamischen Glauben ausgetreten sind?
BF: Nein, weil ich keinen Kontakt habe.
RV: Wie konkret würde sich in Ihrem Fall eine Abkehr vom islamischen Glauben bei einer Rückkehr nach Afghanistan äußern? Was würden Sie tun oder nicht tun? Würden Sie ganz offen die Erfüllung der Glaubenspflichten verweigern? Würden Sie in der Öffentlichkeit Alkohol trinken?
BF (auf Deutsch): Ich würde Alkohol trinken. Man darf als Mensch zu seiner Meinung stehen.
BF (mit D): Ich weiß auch, dass ich in Afghanistan sofort nach dem Verlassen des Flughafens getötet würde. Ich habe diese Entscheidung für mein Leben getroffen und dazu stehe ich.
BehV: Es wird auf das Neuerungsverbot hingewiesen. Das Vorbringen betreffend Abfall von der Religion wurde sehr spät erstattet und uns nicht mitgeteilt.
Der Z1 gibt nach Wahrheitserinnerung und Hinweis auf die Strafbarkeit einer falschen Zeugenaussage an:
Z1: Ich habe begonnen als "Lern-Buddy", als Lernhilfe, und das hat im Jänner 2019 begonnen. Da haben wir uns zum ersten Mal am XXXX getroffen. Da habe ich erfahren, dass er Prüfungen hat. Wir haben uns dann fast wöchentlich getroffen. Manchmal in einem Café und dort haben wir gemeinsam gelernt. Ich habe gemerkt, dass er sehr motiviert ist und sich für die Sprache sehr interessiert. Dazu haben wir neben Deutsch auch gemeinsam Englisch gelernt. Ich habe es auch bemerkenswert gefunden, dass er so auf seine Fitness achtet. Er geht auch ins Fitnessstudio und geht laufen und interessiert sich für seine eigene Gesundheit. Er hat mir von seiner Hepatitis B-Infektion erzählt und mir auch erklärt, dass er manchmal müde ist, und das hat er auch immer offen gesagt. Trotz seiner Müdigkeit war er auch immer sehr motiviert beim Lernen und pünktlich. Als die Prüfungen fertig waren, haben wir uns trotzdem weiterhin getroffen und es hat sich eine Freundschaft herausgebildet.
RI: Besucht der BF regelmäßig die Moschee in Österreich?
BF: Wir haben das beim Biertrinken besprochen. Ich habe ihn gefragt, warum er Bier trinken darf, und er hat gesagt, dass er nicht gläubig ist.
Die Z2 gibt nach Wahrheitserinnerung und Hinweis auf die Strafbarkeit einer falschen Zeugenaussage an:
Z2: Ich bin Sozialarbeiterin beim " XXXX ". (Dies) ist die Schule, wo der BF den Pflichtschulabschluss macht und nur mehr die Mathematikprüfung ablegen muss. Diese ist in einer externen Prüfungsschule. Bei uns werden Vorbereitungskurse für den Pflichtschulabschluss abgehalten: Mathematik, Deutsch, Englisch, Geschichte, Natur und Technik, Gesundheit und Soziales, und dann gibt es die Wahlfächer. Das sind Berufsorientierung sowie Kreativität und Gestalten. Der BF hat außer Mathematik alle Fächer bei der Externistenprüfungskommission erfolgreich bestanden und bekommt ein Abschlusszeugnis über alle Fächer. Man könnte vorher auch Teilprüfungszeugnisse beantragen. Die Lehrer und Lehrerinnen sind sehr zufrieden mit dem BF. Er bringt sich in den Schulalltag sehr positiv ein und lernt sehr schnell. Er nimmt auch an den Angeboten teil, die wir innerhalb des Vereins haben, zum Beispiel Vertrauensräume. Jetzt im Sommer macht er noch zusätzlich einen Deutschkurs und kommt in den Lernraum. Das ist ein Ort, wo man gemeinsam lernt und Hausübungen macht.
RI: Besucht der BF die Moschee in Österreich oder nicht?
Z2: Soviel ich weiß, nicht. Ich habe ihn auch nicht religiös praktizierend erlebt."
Die beschwerdeführende Partei legte in der Verhandlung folgende Unterlagen vor: einen psychiatrischen Befundbericht vom 24.07.2019, wonach er an einer Depression leide und bei der Anamnese über Vergesslichkeit, depressive Stimmung und Schlafstörungen geklagt habe, weshalb ein Antidepressivum verordnet worden sei; eine Teilnahmebestätigung über einen laufenden Deutsch B1-Kurs; eine Anfragebeantwortung von "Ärzte ohne Grenzen" betreffend Behandlungsmöglichkeiten von Hepatitis B in Afghanistan; sowie ein Empfehlungsschreiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person und den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:
Die beschwerdeführende Partei ist Staatsbürger Afghanistans und gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Religion an. Er stammt aus der Provinz Baghlan, wo er zusammen mit Vater, Mutter und vier Geschwistern lebte und acht Jahre die Grundschule besuchte.
Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.
Die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Bedrohung in Afghanistan durch eine Taliban-Gruppe wegen seiner Weigerung zum Beitritt und durch den Staat und die Bevölkerung wegen seines Abfalls vom Islam kann mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.
Der beschwerdeführenden Partei steht eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den verhältnismäßig sicheren Provinzen Afghanistans zur Verfügung, beispielsweise in den Städten Herat, Kabul und Masar-e Scharif.
Es kann nicht festgestellt werden, dass bei der beschwerdeführenden Partei ein ernsthafter innerer Entschluss vorläge, nicht mehr nach dem islamischen Glauben zu leben, und dass er demnach vorhätte, auch nach Beendigung des Asylverfahrens sein weiteres Leben als bekennender Atheist zu führen und sich auch bei einer Rückkehr nach Afghanistan den dortigen religiösen Vorstellungen nicht soweit anzupassen, dass eine Verfolgungsgefahr nicht besteht.
Zur Rückkehrsituation der beschwerdeführenden Partei wird Folgendes festgestellt:
Der beschwerdeführenden Partei droht im Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer unmenschlichen Behandlung. Insbesondere ist im Herkunftsstaat in mehreren Landesteilen die Sicherheitslage ausreichend und die Versorgung mit Nahrungsmitteln gewährleistet, z. B. in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Scharif.
Die beschwerdeführende Partei leidet an einer chronischen Hepatitis B-Infektion, die mit einer antiviralen Therapie mit dem Medikament Viread behandelt wird, sowie an einer Depression mit den Symptomen Vergesslichkeit, depressive Stimmung und Schlafstörungen, wogegen ein Antidepressivum verordnet wurde.
Die beschwerdeführende Partei ist 22 Jahre alt und arbeitsfähig, sodass er im Herkunftsstaat zumindest durch einfache Arbeit das nötige Einkommen erzielen könnte, um sich eine Existenzgrundlage zu schaffen. Die beschwerdeführende Partei hat mehrere nahe Angehörige in Afghanistan, die ihn finanziell unterstützen können, nämlich seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester.
Zum Privat- und Familienleben der beschwerdeführenden Partei wird festgestellt:
Die beschwerdeführende Partei reiste im September 2015 illegal nach Österreich ein und hält sich seither knapp vier Jahre aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber im Bundesgebiet auf.
Die beschwerdeführende Partei hat in Österreich kein Familienleben, sondern nur ein Privatleben. Die beschwerdeführende Partei absolvierte mehrere Sprachkurse und Kurse zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss, welchen er bei erfolgreicher Ablegung der letzten Prüfung im September 2019 erlangen könnte. Er spricht und versteht sehr gut Deutsch, auch wenn er darüber noch kein Zertifikat erworben hat. Außerdem belegte er einen Zeichenkurs an der XXXX und hat viele Freunde in Österreich gewonnen. Er stand noch nicht in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis und ist nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht laufend Leistungen der Grundversorgung. Die beschwerdeführende Partei wurde mit Strafurteil eines Bezirksgerichtes vom 28.03.2018 wegen § 27 SMG zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je EUR 4,- verurteilt.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
Zur Lage im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
"Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 29.06.2018
Kurzinformation vom 22.1.2019 ...
Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).
Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).
Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).
Quellen:
AJ - Al Jazeera (20.1.2019): Taliban attack in Afghanistan's Logar kills eight security forces ...;
IM - Il Messaggero (22.1.2019): Afghanistan, sangue sul disimpegno Usa: autobomba dei talebani contro scuola militare, 130 vittime ...;
NYT - The New York Times (21.1.2019): After Deadly Assault on Afghan Base, Taliban Sit for Talks With U.S. Diplomats ...;
Reuters (15.1.2019): Afghan Taliban claim lethal car bomb attack in Kabul ...;
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (14.1.2019): Four Killed, 90 Wounded In Kabul Car-Bomb Attack ...;
TG - The Guardian (21.1.2019): Taliban kill 'more than 100 people' in attack on Afghan military base ...;
TN - The National (15.1.2019): Kabul attack: Taliban Claims truck bomb and warns of more to follow ...;
Tolonews (21.1.2019) US, Taliban Hold Talks In Qatar With Peace Still Distant ...
Kurzinformation vom 23.11.2018 ...
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).
Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der Hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).
Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).
Quellen:
1TV (31.10.2018): Suicide attack kills seven outside Kabul prison
...;
AJ - Al Jazeera (21.11.2018): 'Brutal and barbaric': Victims recount horror of Kabul attack ...;
AJ - Al Jazeera (12.11.2018): Kabul: Suicide bomber targets protesters demanding security ...;
ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (12.11.2018): Afghanistan:
67 morti in 24 ore ...;
Dawn (1.11.2018): Seven killed in suicide attack near Kabul prison
...;
DZ - Die Zeit (20.11.2018): Mehr als 50 Tote bei Anschlag in Kabul
...;
DZ - Die Zeit (12.11.2018): Mehrere Tote bei Anschlag nahe Anti-Taliban-Demo ...;
IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.11.2018): Afghanistan. attacco kamikaze a Kabul durante incontro religioso: almeno 50 morti e 80 feriti gravi ...;
KP - Khaama Press (12.11.2018): Protesters gather near Presidential Palace in Kabul over recent wave of violence ...;
LE - L'Express (21.11.2018): Attentat a Kaboul: la lecture de verset du Coran soudain interrompue. raconte un blesse ...;
NYT - New York Times (20.11.2018): At Leas 55 Killed in Bombing of Afghan Religious Gathering ...;
Pajhwok Afghan News (31.10.2018): Suicide blast in front of Pul-i-Charhi prison leave 6 people dead ...;
SS - Stars and Stripes (20.11.2018): Suicide bomb attack in Kabul kills at least 43. wounds 83 ...;
TNAE - The National (21.11.2018): Kabul reels in grief after wedding hall attack ...;
Tolonews (20.11.2018): Death Toll Rises To 50 In Kabul Wedding Hall Explosion ...;
Tolonews (12.11.2018): Mol Confirms 6 Death In Kabul Explosion ...;
TS - Tagesschau (21.11.2018): Deutschland verurteilt Anschlag in Kabul ...
Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9 .2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga, auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5 .2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z. B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u. a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).
Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of
Registration: Factional tensions in Hezb-e Islami ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (11.10.2017): Mehwar-e Mardom-e
Afghanistan: New opposition group with an ambiguous link to Karzai
...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (21.8.2017): The Ghost of
Najibullah: Hezb-e Watan announces (another) relaunch ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (4.5.2017): Hekmatyar's Return to
Kabul: Background reading by AAN ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (3.5.2017): Charismatic,
Absolutist, Divisive: Hekmatyar and the impact of his return ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (22.1.2017): Afghanistan's
Incomplete New Electoral Law: Changes and Controversies ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (18.12.2016): Update on Afghanistan's Electoral Process: Electoral deadlock - for now ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President's CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document) ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (o.D.): The 'government of national unity' deal (full text) ...;
AB - Afghan Bios (18.11.2017): Understanding Council of Political Currents of Afghanistan ...;
AB - Afghan Bios (29.5.2017): New National Front of Afghanistan
(NNF) ...;
AB - Afghan Bios (15.1.2016): National Congress Party ...;
AE - Afghan Embassy (o.D.): Islamic Republic of Afghanistan, The Constitution of Afghanistan ...;
AJ - Al Jazeera (19.5.2018): Taliban pledge not to target army, police who leave "enemy ranks" ...;
AM - Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability ...;
BFA Staatendokumentation (7.2016): Dossier der Staatendokumentation, AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur ...;
BFA Staatendokumentation (3.2014): Afghanistan; 2014 and beyond ...;
Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, PhD thesis, Università degli studi di Tor Vergata - Roma ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
CRS - Congressional Research Service (12.1.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
DW - Deutsche Welle (29.9.2016): Friedensabkommen in Afghanistan unterzeichnet ...;
DW - Deutsche Welle (30.9.2014): Understanding Afghanistan's Chief Executive Officer ...;
DZ - Die Zeit (7.3.2018): Wir sind besiegt ...;
HDN - Hürriyet Daily News (10.6.2018): Taliban agrees to unprecedented Eid ceasefire with Afghan forces ...;
IPU - Inter-Parliamentary Union (27.2.2018): Afghanistan - Meshrano Jirga (House of Elders) ...;
MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ...;
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (28.2.2018): Die afghanische Regierung macht den Taliban ein konkretes Angebot ...;
NYT - The New York Times (11.3.2018): An Unprecedent Peace Offer to the Taliban ...;
Reuters (7.6.2018): Afghanistan announces ceasefire with Taliban, until June 20 ...;
Reuters (5.6.2018): Afghan President backs suicide bomb fatwa after 14 killed ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (5.6.2018): Ghani Says Kabul Attack 'Against Values Of Islam', Backs Suicide Bomb Fatwa
...;
TD - The Diplomat (24.3.2018): Uzbekistan's Afghanistan Peace Conference: What to Expect ...;
TD - The Diplomat (7.3.2018): A Way Forward for Afghanistan After 2nd Kabul Process Conference ...;
TH - The Hindu (10.6.2018): Taliban agrees to ceasefire during Id
...;
Tolonews (9.6.2018): Taliban Orders Three-Day Eid Ceasefire ...;
Tolonews (7.6.2018): Afghan Govt Announces Ceasefire With Taliban
...;
Tolonews (29.4.2018): Six Wounded in Blast Close to Registration Center ...;
Tolonews (16.4.2018): Taliban Rejects Ghani's Call For Them To Take Part In Elections ...;
Tolonews (11.4.2018): Taliban Discussing Peace Offer, Says Former Member ...;
Tolonews (14.3.2018): Hizb-e-Islami Dismisses Three Senior Members
...;
Tolonews (19.12.2017): Special Interview With Arghandiwal - Head of Hizb-e Islami ...;
TS - Der Tagesspiegel (28.2.2018): Präsident Ghani macht den Taliban ein Friedensangebot ...;
USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Afghanistan ...;
USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): International Religious Freedom Report for 2016 - Afghanistan ...;
USIP - United States Institute of Peace (3.2015): Political Parties in Afghanistan ...
Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
...
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
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Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016 ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
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Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und die Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen, gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen, wie der Islamische Staat (IS), verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeitern von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018).
Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u. a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u. a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer und vier Afghanen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017).
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: Landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einen Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018)
Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: Während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).
Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).
Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).
Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).
In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).
Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:
Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).
Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).
Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).
Zivilisten
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Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies bedeutet einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilisten (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilisten fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilisten (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u. a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
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Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozesses in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u. a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).
Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilisten bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilisten bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Haus gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Höchst umstritten ist von Experten die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexperten die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).
Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten, die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt - inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich - eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilisten oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos - greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018) - sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).
Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilisten, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).
Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).
Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen, ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).
Haqqani-Netzwerk
Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte es dem Haqqani-Netzwerk, seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern, und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).
Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt, finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden - inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).
Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban hat das Netzwerk mit mehreren anderen Aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).
Sowohl die afghanische als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren - zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).
Al-Qaida
Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen, sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.-20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).
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Quellen:
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Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).
Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen, in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
Informationen und Beispiele zu öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen (HPA) können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage (allgemeiner Teil)" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
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Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban hin (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilisten und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
Quellen:
AAN - Afghan Analysts Network (5.2.2018): Five Questions to Make Sense of the New Peak in Urban Attacks and a Violent Week in Kabul
...;
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (23.2.2018):
Islamic State in Afghanistan ...;
AJ - Al Jazeera (30.4.2018): Twin ISIL suicide blasts kill 29 in Afghanistan's Kabul ...;
AT - Afghan Times (18.3.2018): US arbitrary house searches divesting freedom of residents ...;
CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (4.2017):
Estimated Population of Afghanistan 2017-2018 ...;
Dawan (31.1.2018): 27 Taliban, Haqqani Network suspects handed over to Afghanistan last year: FO ...;
DW - Deutsche Welle (27.3.2018): Why Central Asian states want peace with the Taliban ...;
EASO - European Asylum Support Office (12.2016): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation ...;
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (22.4.2018): Zahl der Toten steigt auf 48 ...;
Khaaam Press (26.3.2018): Karzai condemn Kabul blast targeting Pashtun Protection Movement supporters ...;
LAT - Los Angeles Times (26.3.2018): As war's toll grows in Kabul, the dead fight for space with the living ...;
MF - Mena FN (18.3.2018): Afghanistan - US arbitrary house searches divesting freedom of residents ...;
NYT - The New York Times (9.3.2018): Hazaras Protest After an ISIS Attack Kills 10 in Kabul ...;
Pajhwok (o.D.z): Kabul province background profile ...;
Reuters (14.3.2018): U.S. looks to protect Afghan capital against Taliban bombings ...;
Reuters (6.8.2017): Kabul 'Green Zone' tightened after attacks in Afghan capital ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (17.3.2018): Suicide Car-Bomb Attack Kills At Least Three In Kabul ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (30.1.2018): Pakistan Says 27 Militants Handed Over To Afghanistan ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (7.2.2018): New Security Plan In Kabul After Deadly Attacks ...;
RS - Resolute Support Afghanistan (28.2.2018): Kabul security:
capital city getting an upgrade ...;
SCR - Security Council Report (3.2018): March 2018 Monthly Forecast
...;
TG - The Guardian (15.3.2018): Pressure builds in 'powderkeg' Kabul as refugees return home ...;
Tolonews (1.3.2018): Senior Military Officers Review Kabul Checkpoints ...;
Tolonews (25.2.2018): Afghanistan Looks to Increase Air Cargo Exports to Kazakhstan ...;
Tolonews (7.2.2018): Security Check Points Stepped Up In Kabul ...;
Tolonews (31.1.2018): Govt Under Fire After Daesh House Found In Kabul ...;
Tolonews (10.9.2017): IDB Lends Kabul $74 Million For Ring Road ...;
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2018):
Afghanistan: Protection of Civilians in Armed Conflict - Annual Report 2017 ...;
UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (27.2.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security ...;
UN OCHA - United Nations office for the Coordination of Humanitarian Response (4.2014): Kabul Province District Atlas ...;
UNODC - United Nations Office on Drugs and Crime (11.2017):
Afghanistan Opium Survey 2017 ...;
VoA - Voice of America (19.3.2018): Nicholson: US Planning Religious, Diplomatic, Military and Social Pressure on Taliban ...;
VoA - Voice of America (1.6.2017): What Is the Haqqani Network? ...
Balkh
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist, geostrategisch gesehen, eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten. Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y).
Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt (CSO 4.2017).
Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.:
Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts¬und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staaatendokumentation 4.2018). In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35).
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017).
Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Reuters 22.3.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.3.2018).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).
Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018) oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).
In der Provinz befindet sich u. a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
...
Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgängern/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Balkh
Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).
Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews
7.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh
Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen, ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen, in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).
Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachte Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).
Quellen:
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (23.2.2018):
Islamic State in Afghanistan ...;
BBC (17.6.2017): Afghan soldier attacks US troops at Camp Sheheen
...;
BBC (22.4.2017): Afghan casualties in Taliban Mazar-e Sharif attack pass 100 ...;
BFA Staatendokumentation (4.2018): FFM Bericht Afghanistan ...;
CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (4.2017):
Estimated Population of Afghanistan 2017-2018 ...;
EASO - European Asylum Support Office (12.2016): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation ...;
IHLS - Israel's Home Land Security (28.3.2018): 3D Printer to Produce Military Spare Parts On Site ...;
Khaama Press (16.1.2018): Clashes in Balkh province leaves over 20 militants dead, wounded ...;
Khaama Press (20.8.2017): Taliban rejects Ata Mohammad Noor's claims during Balkh operations ...;
Pajhwok (21.8.2017): Balkh's Chamtal district cleaned up from rebels
...;
Pajhwok (10.7.2017): 60 rebels killed, 100 wounded in Balkh. Jawzjan operations ...;
Pajhwok (7.6.2017): Poverty alleviation project launched in Balkh
...;
Pajhwok (o.D.y): Background Profile of Balkh ...;
PT - Pakistan Today (6.3.2018): Taliban key commander among 4 killed in Afghan northern Balkh province ...;
Reuters (22.3.2018): Powerful Afghan governor defying President Ghani agrees to go ...;
RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Free Liberty (23.3.2018): Powerful Afghan Governor Resigns, Ending Standoff With Ghani ...;
RFE/RL - Radio Free Europe/ Radio Free Liberty (9.2015):
Afghanistan's New Northern Flash Points ...;
Tolonews (24.3.2018): New Balkh Governor Vows To Fight Corruption. Ensure Security ...;
Tolonews (18.3.2018): Dozens Of Insurgents Killed In ANSF Operations
...;
Tolonews (7.3.2018): Taliban Local Commander Killed In Balkh Clash
...;
Tolonews (22.4.2017): 209 Shaheen Corps: The Base The Taliban Attacked ...;
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2018):
Afghanistan: Protection of Civilians in Armed Conflict - Annual Report 2017 ...
Herat
Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Die Provinz ist in folgende Bezirke eingeteilt, die gleichzeitig auch die administrativen Einheiten bilden: Shindand, Engeel/Injil, Ghorian/Ghoryan, Guzra/Guzara und Pashtoon Zarghoon/Pashtun Zarghun werden als Bezirke der ersten Stufe angesehen, Awba/Obe, Kurkh/Karukh, Kushk, Gulran, Kuhsan/Kohsan, Zinda Jan und Adraskan als Bezirke zweiter Stufe und Kushk-i-Kuhna/Kushki Kohna, Farsi, und Chisht-i-Sharif/Chishti Sharif als Bezirke dritter Stufe (UN OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o. D.). Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (CP 21.9.2017). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35.). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (Pajhwok o.D.; vgl. NPS o.D.).
Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz (AJ 8.3.2012). Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion (AJ 8.3.2012; vgl. EN 9.11.2017). Es sollen Regierungsprogramme und ausländische Programme zur Unterstützung der Safran-Produktion implementiert werden. Safran soll eine Alternative zum Mohnanbau werden (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Anfang Jänner 2018 wurde ein Labor zur Kontrolle der Safran-Qualität in Herat errichtet (Pajhwok 13.1.2018). Die Safran-Produktion garantierte z. B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz (Tolonews 10.11.2017; vgl. EN 9.11.2017). Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. (Tolonews 10.11.2017). Insgesamt wurden 2017 in der Provinz mindestens 8 Tonnen Safran produziert; im Vorjahr 2016 waren es 6.5 Tonnen (Pajhwok 13.1.2018; vgl. EN 9.11.2017). Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (UNODC 11.2017).
Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).
Mitte März 2018 wurde der Bau der TAPI-Leitung in Afghanistan eingeweiht. Dabei handelt es sich um eine 1.800 km lange Pipeline für Erdgas, die Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien 30 Jahre lang mit 33 Billionen m³ turkmenischem Erdgas versorgen soll. Die geplante Leitung wird sich entlang der Herat-Kandahar-Autobahn erstrecken. Somit wird sie durch Gegenden, auf die die Taliban einen starken Einfluss haben, verlaufen. Jedoch erklärten die Taliban, TAPI sei ein "wichtiges Projekt" und sie würden es unterstützen (PPG 26.2.2018; vgl. RFE/RL 23.2.2018). Im Rahmen des TAPI-Projekts haben sich 70 Taliban bereit erklärt, an den Friedensprozessen teilzunehmen (Tolonews 4.3.2018). Um Sicherheit für die Umsetzung des TAPI-Projekts zu gewähren, sind tausende Sicherheitskräfte entsandt worden (Tolonews 14.3.2018).
Allgemeine Informationen zur Sicherheitslage
Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat (Khaama Press 25.10.2017).
Die Provinz ist u. a. als ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (Pajhwok 21.1.2017).
Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u. a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (AN 18.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
...
Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Herat
In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 15.1.2017). Auch werden Luftangriffe verübt (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017); dabei wurden Taliban getötet (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (AJ 25.6.2017; vgl. AAN 11.1.2017). In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitkräfte im Osten Afghanistans unterstützen (MdD o. D.).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Herat
Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018;
vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren (RFE/RL 23.2.2018;
vgl. Gandhara 22.2.2018, IP 13.8.2017, NYT 5.8.2017). Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat, an (FAZ 1.8.2017; vgl. DW 1.8.2017). Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen (AF 14.3.2018; vgl. Tolonews 4.3.2018). Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen (D&S 25.10.2017; vgl. NYT 29.8.2017).
Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (UNAMA 2.2018).
ACLED registrierte für den Zeitraum 1.1.2017-15.7.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (ACLED 23.2.2017).
Quellen:
ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project - Islamic State in Afghanistan ...;
AF - Asia Foundation (14.3.2018): A Pipeline for Landlocked Afghanistan: Can It Help Deliver Peace? ...;
AJ - Al Jazeera (25.6.2017): Taliban attack targets police in Afghanistan's Herat ...;
AJ - Al Jazeera (8.3.2012): Profile: Herat province ...;
AN - Arab News (18.2.2018): Thousands of lives saved as Herat cleared of landmines ...;
CP - Citypopulation (21.9.2017): Afghanistan, Die größten Städte
...;
CSO - Central Statistics Organization (CSO) Afghanistan (4.2017):
Estimated Population of Afghanistan 2017-2018 ...;
D&S - Difesa & Sicurezza (25.10.2017): Afghanistan, raid aereo su maxi riunione di 300 talebani a Herat ...;
DW - Deutsche Welle (1.8.2017): Anschlag auf Moschee in Herat ...;
EASO - European Asylum Support Office (12.2017): EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Security Situation ...;
EN - Euronews (9.11.2017): Afghanistan: Safran bald Alternative zum Mohn-Anbau ...;
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (1.8.2017): Mindestens 50 Tote bei Anschlag in Afghanistan ...;
Gandhara (22.2.2018): Afghan Militants "Trained In Iran" Surrender Before TAPI Attack ...;
IP - Il Post (13.8.2017): L'Iran si sta facendo largo in Afghanistan
...;
Khaama Press (25.10.2017): Airstrike target a gathering of 300 Taliban militants in Herat ...;
MdD - Ministero della Difesa (o.D.): Contributo nazionale ...;
NPS - Naval Postgraduate School (o.D.): Herat Provincial Overview
...;
NYT - New York Times (29.8.2017): Airstrikes in Afghanistan Kill More Than a Dozen Civilians ...;
NYT - New York Times (5.8.2017): In Afghanistan, U.S. Exists, and Iran Comes In ...;
Pajhwok (13.1.2018): First-ever saffron quality control lab opens in Herat ...;
Pajhwok (21.1.2017): Wounded souls of deported Afghan children ...;
Pajhwok (o.D.): Background profile of Herat Province ...;
PPG - Pittsburgh Post-Gazette (26.2.2018): Leaders of Afghanistan and Pakistan have inaugurated the long-awaited TAPI gas pipeline
...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (23.2.2018): Leaders Mark Start Of Work On Afghan Section Of TAPI Pipeline ...;
RFE/RL - Radio Free Europe Radio Liberty (6.12.2017): Uzbekistan, Seeking Sea Access, Signs Railway Deal With Afghanistan ...;
Tolonews (14.3.2018): Seven Die In Kandahar-Herat Highway Accident
...;
Tolonews (4.3.2018): Taliban Group Ready To Join Peace Process ...;
Tolonews (10.11.2017): Saffron Production Makes Dramatic Increase in Herat ...;
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2018):
Afghanistan: Protection of Civilians in Armed Conflict - Annual Report 2017 ...;
UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (27.2.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security ...;
UN OCHA - United Nation Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (4.2014): Hirat Province, District Atlas ...;
UNODC - United Nations Office on Drugs and Crime (11.2017):
Afghanistan Opium Survey 2017 ...
Erreichbarkeit
Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen (TD 5.12.2017). Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (TD 26.1.2018). Investitionen in ein integriertes Verkehrsnetzwerk zählen zu den Projekten, die systematisch geplant und umgesetzt werden. Dies beinhaltet beispielsweise Entwicklungen im Bereich des Schienenverkehrs und im Straßenbau (z. B. Vervollständigung der Kabul Ring Road, des Salang-Tunnels, etc.) (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Verkehrsunfälle sind in Afghanistan keine Seltenheit; jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen im ganzen Land - vor allem durch unbefestigte Straßen, hohe Geschwindigkeiten und Nachlässigkeit der Fahrer während der Fahrt (KT 17.2.2017; vgl. IWPR 26.3.2018). Die Präsenz von Aufständischen sowie Zusammenstöße zwischen letzteren und den Sicherheitskräften entlang einiger Straßenabschnitte gefährden die Sicherheit auf den Straßen. Einige Beispiele dafür sind die Straßenabschnitte Kandahar-Uruzgan (Pajhwok 28.4.2018), Ghazni-Paktika (Reuters 5.5.2018), Kabul-Logar (Tolonews 21.7.2017) und Kunduz-Takhar (Tolonews 12.5.2017).
Ring Road
Straßen wie die "Ring Road", auch bekannt als "Highway One", die das Landesinnere ringförmig umgibt, sind nun asphaltiert und machen das Land für Reisen und die Wirtschaft zugänglicher (HP 9.10.2015; vgl. FES 2015). Die afghanische Ring Road verbindet Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (USAID 2014; vgl. TG 22.10.2014, BFA Staatendokumentation 4.2018). Die Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts von 3.360 km Länge, das 16 Provinzen mit den größten Städten Afghanistans, Kabul, Mazar, Herat, Ghazni und Jalalabad, verbinden soll (Tolonews 9.12.2017). Die asiatische Entwicklungsbank (Asian Development Bank - ADB, Anm.) genehmigte 150 Millionen USD, um die Kabul Ring Road fertigzustellen. Die fehlenden 151 Kilometer sollen künftig den Distrikt Qaisar (Provinz Faryab, Anm.) mit Dar-e Bum (Provinz Badghis, Anm.) verbinden. Dieses Straßenstück ist der letzte Teil der 2.200 km langen Straße, welche die großen Städte Afghanistans miteinander verbindet. Mittlerweile leben mehr als 80% der Afghanen weniger als 50 km von der Ring Road entfernt. Die Fernstraße wird in diesem Projekt außerdem mit einem Entwässerungssystem ausgestattet als auch mit weiteren modernen Sicherheitsfunktionen. Durch das Ring Road Projekt sollen regionale Verbindungen erleichtert und die Qualität der Transportdienste verbessert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
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USAID hat ebenso in die Errichtung und Erhaltung von mehr als 2.000 Kilometern Straße in Afghanistan investiert, um Reise- und Warenbewegung zu fördern - dies gilt insbesondere für die Ring Road (BFA Staatendokumentation 4.2018).
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Transportwesen
Das Transportwesen in Afghanistan gilt als "verhältnismäßig gut". Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans (UB 3.2016; vgl. IE o.D.). Die Kernfrage bleibt nach wie vor die Sicherheit (IWPR 26.3.2018; vgl. Reuters 13.6.2016, UB 3.2016). Es existieren einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan miteinander verbinden; Beispiele dafür sind Bazarak Panjshir, Herat Bus, Khawak Panjshir, Ahmad Shah Baba Abdali (vertrauliche Quelle 14.5.2018; vgl. IWPR 26.3.2018).
Aus Bequemlichkeit bevorzugen Reisende, die es sich leisten können, die Nutzung von Gemeinschaftstaxis nach Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan (vertrauliche Quelle 14.5.2018).
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Flugverbindungen
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In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt (Migrationsverket 23.1.2018). Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (AG 3.11.2017).
Internationaler Flughafen Kabul
Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (Tolonews 18.12.2017; vgl. HKA o.D.). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in "Internationaler Flughafen Hamid Karzai" umbenannt. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benutzt (HKA o. D.). Projekte zum Ausbau des Flughafens sollen gemäß der Afghanistan's Civil Aviation Authority (ACAA) im Jahr 2018 gestartet werden (Tolonews 18.12.2017).
Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif
Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet (Pajhwok 9.6.2013). Nachdem der Flughafen Mazar-e Sharif derzeit die Anforderungen eines erhöhten Personen- und Frachtverkehrsaufkommens nicht erfüllt, ist es notwendig, den Flughafen nach internationalen Standards auszubauen, inklusive entsprechender Einrichtungen der Luftraumüberwachung und der Flugverkehrskontrolle. Die afghanische Regierung will dieses Projekt gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung und finanzieller Unterstützung des ADFD (Abu Dhabi Fund for Development) angehen. Langfristig soll der Flughafen als internationaler Verkehrsknotenpunkt zwischen Europa und Asien die wirtschaftliche Entwicklung der Region entscheidend verbessern. Der im Juni 2017 eröffnete Flugkorridor zwischen Afghanistan und Indien beinhaltet derzeit nur Flüge von Kabul und Kandahar nach Indien; zukünftig sind Frachtflüge von Mazar-e Sharif nach Indien angedacht (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Kam Air, eine private afghanische Fluglinie, führt seit kurzem auch internationale Flüge nach Delhi durch. Diese Flüge werden als nutzbringend für die afghanische Bevölkerung im Norden angesehen - sowohl wirtschaftlich als auch insbesondere für jene, die spezielle medizinische Behandlungen benötigen. Indien (Delhi) ist die fünfte internationale Destination, die vom Flughafen Mazar-e Sharif aus angeflogen wird. Die anderen sind Türkei, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Saudi-Arabien. Die Stadt Herat wird in Zukunft von Kam Air zweimal wöchentlich von Neu-Delhi aus angeflogen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Internationaler Flughafen Kandahar
Der internationale Flughafen Kandahar befindet sich 16 km von Kandahar-Stadt entfernt und ist einer der größten Flughäfen des Landes (MB o.D.). Er hat 37 Stellplätze für insgesamt 250 Flugzeuge (Pajhwok 3.6.2015). Der Flughafen ist Ziel nationaler sowie internationaler Flüge, z. B. aus Indien, Iran, Dubai und anderen Abflugsorten (Pajhwok 3.6.2015; vgl. Pajhwok 16.9.2017). Ein Teil des Flughafens steht den internationalen Streitkräften zur Verfügung. Eine separate Militärbasis für einen Teil des afghanischen Heeres ist dort ebenso zu finden wie Gebäude für Firmen (Pajhwok 3.6.2015; LCA 5.1.2018).
Internationaler Flughafen Herat
Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u. a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet (HIA o.D.). Seit 2012 gilt er als internationaler Flughafen (Telesur 13.7.2017; vgl. TN 15.7.2017, Pajhwok 13.2.2012, DW 10.4.2013), von wo aus Flüge in den Iran, nach Pakistan, Dubai oder Tadschikistan gehen (HIA o.D.).
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Quellen:
AAN - Afghanistan Analysts Network (15.8.2016): Taleban in the
North: Gaining ground along the Ring Road in Baghlan ...;
AD - Analisi Difesa (15.8.2017): Il ritorno della Russia in Afghanistan ...;
AG - Airline Geeks (3.11.2017): Advancing Afghanistan: The Recent Surge in Competition in the Afghan Airline Industry ...;
AZ - Afghan Zariza (26.7.2015): India to provide 1.000 new Millie buses to Afghanistan and develop three workshops in Kabul ...;
BFA Staatendokumentation (8.5.2018): Flughafenkarte, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor;
BFA Staatendokumentation (4.2018): FFM-Bericht Afghanistan ...;
BL - British Library (o.D.): Shadi Bagiar, entrance to Khyber Pass
...;
Doaks - Dumbarton Oaks (o.D.): The Mughal Gardens along the Grand Trunk Road in Pakistan and Afghanistan ...;
DW - Deutsche Welle (10.04.2013) ...;
EB - Encyclopedia Britannica (30.3.2017): Khyber Pass ...;
EIPB - Encyclopedia of India, Pakistan and Bangladesh (2006): Grand Trunk Road ...;
ET - The Express Tribune (27.10.2016): Peshawar-Kabul motorway:
Islamabad clears process of hiring consultants ...;
ET - The Express Tribune (7.3.2016): Landikotal pizzeria offers slice of the West ...;
Farnesina (29.8.2016): Ambasciata d'Italia a Kabul, Inaugurazione della strada Kabul-Bamyan ...;
FES - Foreverstan (2015): The Ring Road ...;
GS - Global Security (o.D.): Grand Trunk Road ...;
HIA (o.D.): About Herat International Airport ...;
HKA - Hamid Karzai Airport (o.D.): About us ...;
HP - Huffington Post (9.10.2015): Afghanistan: The Ring Road May Now Be Paved, But Where Does It Lead? ...;
ID - Iran Daily (11.4.2018): Uzbek official: Khaf-Herat railroad a step toward increased Iran trade ...;
IE - iExplore (o.D.): Afghanistan - Transportation ...;
ISW - Institute Study of War (o.D.): Regional Command South ...;
IWPR - Institute for War & Peace Reporting (26.3.2018): The Perils of Taking an Afghan Bus ...;
JZ - John Zada (3.3.2014): Adnan Khan on The Rickshaw Circus ...;
KT - Kabul Times (17.2.2017): Reckless driving; Six dead, 23 wounded in traffic accident in Kabul-Kandahar highway ...;
Khaama Press (27.11.2017): India pledges $2.87m to repair 350 public buses in Afghanistan ...;
Khaama Press (12.9.2017): Kabul municipality unveils new developments in metro bus project ...;
LCA - Logistics Capacity Assessment (5.1.2018): 2.2.3 Afghanistan Kandahar International Airport ...;
MB - Military Bases (o.D.): Kandahar International Airport in Kandahar, Afghanistan ...;
Migrationsverket - Swedish Migration Board, LIFOS (4.5.2018):
E-Mail-Austausch zu Flugverbindungen in Afghanistan, Antwortschreiben liegt bei der Staatendokumentation auf;
Migrationsverket - Swedish Migration Board (23.1.2018): LIFOS-Report on domestic flights ...;
MoFA - Ministry of Foreign Affairs (o.D.a): Five Nations Railway Corridor ...;
MoFA - Ministry of Foreign Affairs (o.D.b): Afghanistan Rail Network
...;
NG - National Geographic (o.D.): The Khyber Pass ...;
Pajhwok (28.4.2018): Protests demand security on Kandahar-Uruzgan highway ...;
Pajhwok (16.9.2017): Afghanistan-India Air corridor flights resume after month delay ...;
Pajhwok (15.12.2015): Reconstructed Gardez-Khost highway inaugurated
...;
Pajhwok (28.8.2015): Pakistan's president inaugurates Pak-Afghan Highway ...;
Pajhwok (3.6.2015): Kandahar airport gaining international trust
...;
Pajhwok (18.3.2015): Traffic on Kabul-Herat highway down by a half
...;
Pajhwok (9.6.2013): Balkh airport terminal inaugurated ...;
Pajhwok (13.2.2012) ...;
PCQ - Pakistan Construction & Quarry (o.D.): Construction of Pak-Afghan Highway in full swing ...;
Reuters (5.5.2018): Afghan forces, Taliban battle for control of highway in Ghazni province ...;
Reuters (13.6.2016): Facing fewer checkpoints, Taliban make Afghan road trips more risky ...;
Reuters (13.10.2015): Taliban pull back from Kunduz as fighting flares on southern highway ...;
RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (29.11.2016): New Turkmen Railway: First Stop, Aqina, Afghanistan. Next Stop...? ...;
RoA - Railways of Afghanistan (23.2.2018): Serhetabat - Torghundi railway (re)inauguration ...;
RoA - Railways of Afghanistan (23.1.2018): Khaf - Herat railway work stalled? ...;
RoA - Railways of Afghanistan (o.D.a): Railways of Afghanistan ...;
RoA - Railways of Afghanistan (o.D.b): Hairatan to Mazar-i-Sharif railway ...;
RW - Reliefweb (6.7.2017): Resilience in Afghanistan through Mapping and Risk Information ...;
Samaa (9.8.2017): 10 facts you should know about GT Road ...;
SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (4.2018): Private Sector Development and Economic Growth: Lessons from the U.S. Experience in Afghanistan ...;
Scroll (4.5.2018): As Pakistan promotes its ancient Buddhist heritage, silence surrounding its Hindu culture is telling ...;
TD - The Diplomat (12.4.2018): Connecting Asia: Uzbekistan Looks to Capitalize on Central Asia's Transport Potential ...;
TD - The Diplomat (26.1.2018): A Peaceful Afghanistan Key to Regional Connectivity in South and Central Asia ...;
TD - The Diplomat (5.12.2017): Kabul's Plan to Realize Afghanistan's Geographic Dividend ...;
TD - The Diplomat (24.5.2017): Does India's Chabahar Deal Make Sense? ...;
TD - The Diplomat (21.10.2015): Fixing the Salang Pass Tunnel ...;
Telesur (13.7.2017): All-Girl Afghan Robotics Team Finally Allowed to Complete in US ...;
TET - The Economic Times (9.8.2017): India and Iran are critical to connectivity in Afghanistan ...;
TG - The Guardian (22.10.2014): Life along Afghanistan's highway one - in pictures ...;
TKT - The Kabul Times (25.9.2017): Ring-roads effective in Afghanistan ...;
TN - The National (15.7.2017): Afghan girls robotics team arrives in Washington after Trump's intervention ...;
Tolonews (14.3.2018): Seven Die In Kandahar-Herat Highway Accident
...;
Tolonews (14.2.2018): Five Nations Railway Corridor to Power Regional Economies ...;
Tolonews (18.12.2017): Airport To Get Big Terminal and Five-Star Hotel ...;
Tolonews (9.12.2017): ADB Approves $150m To Complete Ring Road ...;
Tolonews (21.7.2017): Logar Soldiers Criticize Lack Of Ammunition
...;
Tolonews (15.6.2017): Kabul Municipality Unveils First Metro Bus System ...;
Tolonews (12.5.2017): Kunduz-Takhar Highway Cleared Of Taliban ...;
TWB - The World Bank (o.D.): Projects: Trans-Hindukush Road Connectivity Project ...;
UB - Uncharted Backpacker (3.2016): Afghanistan Travel Guide ...;
USAID - United States Agency International Development (7.11.2016):
Gardez-Khost National Highway (NH08) ...;
USAID - United States Agency International Development (2014):
Afghanistan ...;
UPI - United Press International (1.11.2015): Afghanistan: Police foil Taliban attempt to block strategic road ...;
Vertrauliche Quelle (16.5.2018): auf u. a. afghanische Eisenbahnen spezialisierter britischer Journalist; Antwortschreiben liegt bei der Staatendokumentation auf;
Vertrauliche Quelle (14.5.2018): ehemaliger lokaler Mitarbeiter einer internationalen Organisation in Kabul, Mazar und Herat;
Antwortschreiben liegt bei der Staatendokumentation auf;
WP - The Washington Post (22.1.2018): Corruption at 13.000 feet:
Afghanistan struggles to maintain a treacherous mountain trade route
...;
Xinhua (1.11.2015): 30 Taliban fighters killed in S. Afghanistan
...;
Xinhua (9.1.2017): Chinese firm signs contract to build road in Afghanistan ...
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Sicherheitsbehörden
In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).
Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC), des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).
Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u. a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).
Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallsquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebiete. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).
Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban-Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats" (AA 5 .2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).
Weiterführende Informationen über Angriffe auf Einrichtungen der Streitkräfte können dem Kapitel 3. "Sicherheitslage" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF
Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).
Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).
Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge, wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat, auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).
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Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)
Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber auf der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist es weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug das ANP-Personal etwa 129.156 Mann. Im Vergleich zu Jänner 2017 hat sich die Anzahl der ANP-Streitkräfte um 24.841 Mann verringert (SIGAR 30.4.2018b).
Quellen zufolge dauert die Grundausbildung für Streifenpolizisten bzw. Wächter acht Wochen. Für höhere Dienste dauern die Ausbildungslehrgänge bis zu drei Jahre (DB 23.3.2010). Lehrgänge für den höheren Polizeidienst finden in der Polizeiakademie in Kabul statt, achtwöchige Lehrgänge für Streifenpolizisten finden in Polizeiausbildungszentren statt, die im gesamten Land verteilt sind (GRIPS 1.2010). Die standardisierte Polizeiausbildung wird nach militärischen Gesichtspunkten durchgeführt, jedoch gibt es Uneinheitlichkeit bei den Ausbildungsstandards. Es gibt Streifenpolizisten, die Dienst verrichten, ohne eine Ausbildung erhalten zu haben (USIP 5.2014). Die Rekrutierungs- und Schulungsprozesse der Polizei konzentrierten sich eher auf die Quantität als auf den Qualitätsausbau und erfolgten hauptsächlich auf Ebene der Streifenpolizisten statt der Führungskräfte. Dies führte zu einem Mangel an Professionalität. Die afghanische Regierung erkannte die Notwendigkeit, die beruflichen Fähigkeiten, die Führungskompetenzen und den Grad an Alphabetisierung innerhalb der Polizei zu verbessern (MoI o.D.).
Die Mitglieder der ALP, auch bekannt als "Beschützer", sind meistens Bürger, die von den Dorfältesten oder den lokalen Anführern zum Schutz ihrer Gemeinschaften vor Angriffen Aufständischer designiert werden (SIGAR 30.4.2018a). Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur lokalen Gemeinschaft wurde angenommen, dass die ALP besser als andere Streitkräfte in der Lage sei, die Sachverhalte innerhalb der Gemeinde zu verstehen und somit gegen den Aufstand vorzugehen (AAN 5.7.2017; vgl. AAN 22.5.2018). Die Einbindung in die örtliche Gemeinschaft ist ein integraler Bestandteil bei der Einrichtung der ALP-Einheiten, jedoch wurde die lokale Gemeinschaft in einigen afghanischen Provinzen diesbezüglich nicht konsultiert, so lokale Quellen (AAN 22.5.2018; vgl. AAN 5.7.2017). Finanziert wird die ALP ausschließlich durch das US-amerikanische Verteidigungsministerium, und die afghanische Regierung verwaltet die Geldmittel (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AAN 31.1.2017).
Die Personalstärke der ALP betrug am 8. Februar 2017 etwa 29.006 Mann, wovon 24.915 ausgebildet waren, 4.091 noch keine Ausbildung genossen hatten und 58 sich gerade in Ausbildung befanden (SIGAR 30.4.2018a). Die Ausbildung besteht in einem vierwöchigen Kurs zur Benutzung von Waffen, Verteidigung an Polizeistützpunkten, Thematik Menschenrechte, Vermeidung von zivilen Opfern usw. (AAN 5.7.2017).
Die monatlichen Ausfälle der ANP im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 ca. 2%. Über die letzten zwölf Monate blieben sie relativ stabil unter 3% (SIGAR 30.4.2018a).
Afghanische Nationalarmee (ANA)
Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte (USDOD 6.2017). Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 20.4.2018).
Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen (SIGAR 30.4.2018b). Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% (SIGAR 30.4.2018a).
Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen (RSIS 1.6.2007; vgl. JCISFA 3.2011). Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (JCISFA 3.2011).
Resolute Support Mission (RS)
Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Rängen der Armee und Polizei. Die Personalstärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 Mann (durch 39 NATO-Mitglieder und andere Partner). NATO-Generalsekräter Jens Stoltenberg verlautbarte am 9. November 2017, dass sie zukünftig auf 16.000 Mann angehoben werden soll (NATO o.D.). Die RS-Mission befasst sich mit zahlreichen Aspekten bzw. Problematiken der afghanischen Sicherheitsbehörden. Involviert ist die Mission z. B. in die Förderung von Transparenz, in den Kampf gegen Korruption, den Ausbau der Streitkräfte, die Verbesserung des Geheimdienstes, usw. (SIGAR 30.4.2018a).
Das Hauptquartier befindet sich in Kabul/Bagram mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif im Norden, Herat im Westen, Kandahar im Süden und Laghman im Osten (NATO o.D.). Die US-amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan (United States Forces-Afghanistan, USFOR-A) und die Resolute Support Mission werden von General John Nicholson koordiniert (SIGAR 30.4.2018a; vgl. AJ 16.5.2018). Korruption, Vetternwirtschaft, schwache Führung, usw. sind einige der Faktoren, welche die Leistungsfähigkeit der ANDSF unterminieren. Einer Quelle zufolge ist der Einsatz von ausländischen Sicherheitskräften ein wirksames Mittel für die Verbesserung von einigen Bereichen, wie die Institutionalisierung einer meritokratischen Anwerbung, Beförderungen im afghanischen Sicherheitsbereich und die Entpolitisierung der ANDSF (TD 24.7.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (22.5.2018): Uprising, ALP and Taleban in Andar: The arc of government failure ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (5.7.2017): War & Peace, Update on the Afghan Local Police: Making sure they are armed, trained paid and exist ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (31.1.2017): Backgrounder:
Literature Review of Local, Community or Sub-State Forces in Afghanistan ...;
AIHRC - Afghanistan Independent Human Rights Commission (9.12.2017):
Situation of Women Employed in Defense and Security Sectors ...;
AJ - Al Jazeera (16.5.2018): Afghanistan: The General ...;
CIA - Central Intelligence Agency (2018): The World Factbook 2018
...;
BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan ...;
BFA Staatendokumentation (3.7.2014): Afghanistan 2014 and beyond
...;
DB - Deutscher Bundestag (23.3.2010): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Omid Nouripour, Agnes Malczak, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen; Drucksache 17/724: Bundeswehreinsatz und Ausbildung im Afghanistan-Konzept der Bundesregierung ...;
E1 - Europe 1 (2.12.2017): Afghanistan: les interprètes de l'armée francaise menacés sur les réseaux sociaux ...;
GRIPS Policy Research Center (1.2010): German Experiences in Police Building in Afghanistan ...;
HDN - Hürriyet Daily News (15.2.2018): Turkish academy trains foreign police forces as part of cooperation agreements ...;
JCISFA - Joint Center for International Security Force Assistance (3.2011): Afghan National Army (ANA) ...;
LAT - Los Angeles Times (3.3.2017): In Afghanistan, an elite female police officer battles cultural taboos as well as the Taliban ...;
MoI - Ministry of Interior Affairs (o.D.): Afghan National Police Strategy ...;
NATO - North Atlantic Treaty Organization (21.7.2017): ANDSF gets new personnel, pay system ...;
NATO - North Atlantic Treaty Organization (o.D.): Resolute Support Afghanistan, About Us, Mission ...;
NDTV (6.12.2017): In A First, Indian Army To Train Afghan Women Military Personnel ...;
RSIS - S.Rajaratnam School of International Studies (1.6.2007): No. 128, Sentinels of Afghan Democracy: The Afghan National Army ...;
SIGAR - Special Inspector General For Afghanistan Reconstruction (30.4.2018a): Quarterly Report to the United States Congress ...;
SIGAR - Special Inspector General For Afghanistan Reconstruction (30.4.2018b): Supplement to Sigar's April 2018 Quarterly Report to the United States Congress ...;
SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2018): Quarterly Report to the United States Congress ...;
TD - The Diplomat (1.4.2018): Inside the Minds of Afghanistan's Commandos ...;
TD - The Diplomat (30.4.2018): A Battle of Several Fronts: Afghan Women in the Security Forces ...;
TD - The Diplomat (24.7.2017): Fixing Afghanistan's Struggling Security Forces ...;
TG - The Guardian (26.5.2018): Afghan interpreters working for UK army 'failed' by government ...;
Tolonews (6.11.2017): Public Protection Forces and Border Police To Fall Under Army ...;
USDOD - U.S. Department of Defense (2.2018): Justification for FY 2019 Overseas Contingency Operations (OCO) Afghanistan Security Forces Fund (ASFF) ...;
USDOD - United States Department of Defense (12.2017): Enhancing Security and Stability in Afghanistan ...;
USDOD - U.S. Department of Defense (6.2017): Enhancing Security and Stability in Afghanistan ...;
USDOD - U.S. Department of Defense (6.2016): Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan ...;
USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 ...;
USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 ...;
USIP - United States Institute of Peace (5.2016): Afghanistan national defense and security forces ...;
USIP - United States Institute of Peace (5.2014): The Afghan National Police in 2015 and Beyond - Special Report 346 ...
...
Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung, Desertion
Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre (CIA 2018; vgl. AA 5 .2018). Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (AA 5 .2018).
Gemäß dem afghanischen militärischen Strafverfahrenskodex von 2008 wird die permanente Desertion mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht. Bei Desertionen während einer Sondermission beträgt die maximale Haftstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren. Eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden wird als unerlaubt definiert [Anm.: Absent without official leave, AWOL]. In der Praxis werden Deserteure jedoch in der Regel nicht rechtlich verfolgt. Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u. a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (SEM 31.3.2017).
2015 musste die afghanische Armee ca. ein Drittel ihrer 170.000 Soldaten wegen Desertion, Verlust bzw. dem niedrigen Anteil an Weiterverpflichtungen ersetzen (Reuters 18.1.2016). Im Jahr 2017 wurde vom Special Inspector General for Afghanistan (SIGAR) festgestellt, dass ca. die Hälfte der afghanischen Soldaten (83 von 152), die in den USA Fortbildungen besuchten, sich während ihres Aufenthalts unerlaubt vom Dienst entfernten; dies könne u. a. negative Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der ANSDF haben (SIGAR 30.10.2017). Dem Kommandanten der US-amerikanischen Truppen in Afghanistan zufolge ist die Zahl der Desertionen im Land gestiegen: Monatlich verlassen mindestens 4.000 Soldaten die ANDSF; diese Aussage wurde am nächsten Tag vom Verteidigungs- und Innenministerium dementiert. Desertionen sind in Afghanistan seit ca. 40 Jahren an der Tagesordnung (SEM 31.3.2017).
Als Gründe für Desertion und unerlaubtes Fernbleiben gelten Korruption, die Angst vor den Taliban, niedrige Gehälter, schlechte Lebensbedingungen (FP 20.10.2017; vgl. SEM 31.3.2017). Das Problem der Abwesenheit in der ANA wird ebenso damit begründet, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienen. Viele von ihnen müssen einen langen Reiseweg auf sich nehmen, um in ihre Heimatdörfer zu gelangen und ihren Familien die Löhne geben zu können (CRS 13.12.2017; vgl. USDOD 6.2016, AA 5 .2018). Diese Deserteure werden schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bezüglich vorübergehender Abwesenheiten nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (AA 5 .2018). Allerdings ist die Zahl der unerlaubt Abwesenden in den letzten Jahren etwas gesunken, da nun fast jede Bezahlung der ANA-Soldaten elektronisch durchgeführt wird (CRS 13.12.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
CIA - Central Intelligence Agency (2018): The World Factbook ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
FP - Foreign Policy (20.10.2017): 'Ghost Soldiers': Too Many U.S.-Trained Afghans Are Going AWOL ...;
Reuters (18.1.2016): Desertion deplete Afghan forces, adding to security worries ...;
SEM - Staatssekretariat für Migration (31.3.2017): Note Afghanistan, Desertion: provisions legales et application ...;
SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan (30.10.2017):
Quarterly Report to the United States Congress ...;
USDOD - US Department of Defense (6.2016): Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan ...
Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (AA 5 .2018).
Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen (USDOS 20.4.2018). Regierungsfreundliche Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (AI 22.2.2018).
Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage (AA 5 .2018). Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 5 .2018). Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen operieren in der Regel ohne staatliche Einschränkungen und veröffentlichen ihre Ergebnisse zu Menschenrechtsfällen. Regierungsbedienstete sind in dieser Hinsicht einigermaßen kooperativ und ansprechbar (USDOS 20.4.2018). Die verfassungsrechtlich vorgeschriebene Afghanistan Independent Human Rights Commission AIHRC bekämpft weiterhin Menschenrechtsverletzungen. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber. Innerhalb der Wolesi Jirga beschäftigen sich drei Arbeitsgruppen mit Menschenrechtsverletzungen: der Ausschuss für Geschlechterfragen, Zivilgesellschaft und Menschenrechte, das Komitee für Drogenbekämpfung, berauschende Drogen und ethischen Missbrauch sowie der Jusitz-, Verwaltungsreform- und Antikorruptionsausschuss (USDOS 20.4.2018).
Im Februar 2016 hat Präsident Ghani den ehemaligen Leiter der afghanischen Menschenrechtskommission, Mohammad Farid Hamidi, zum Generalstaatsanwalt ernannt (USDOD 6.2016; vgl. auch NYT 3.9.2016).
Seit 1.1.2018 ist Afghanistan für drei Jahre Mitglied des Human Rights Council (HRC) der Vereinten Nationen. Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Zuschreibung von Verantwortlichkeit (HRC 21.2.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Afghanistan ...;
HRC - UN Human Rights Council (21.2.2018): Situation of human rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights; Report of the United Nations High Commission on Human Rights ...;
MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ...;
NYT - The New York Times (3.9.2016): New Afghan Attorney General Seeks Justice in System Rife With Graft ...;
USDOD - US Department of Defense (6.2016): Report on Enhancing Security and Stability in Afghanistan ...;
USDOS - U.S. Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Afghanistan ...
Todesstrafe
Die Todesstrafe ist in der Verfassung und im Strafgesetzbuch für besonders schwerwiegende Delikte vorgesehen (AA 5 .2018). Das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, sieht die Todesstrafe für Delikte wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Angriff gegen den Staat, Mord und Zündung von Sprengladungen, Entführungen bzw. Straßenraub mit tödlicher Folge, Gruppenvergewaltigung von Frauen usw. vor (MoJ 15.5.2017: Art. 170). Die Todesstrafe wird vom zuständigen Gericht ausgesprochen und vom Präsidenten genehmigt (MoJ 15.5.2017: Art. 169). Sie wird durch Erhängen ausgeführt (AA 5 .2018).
Die Anzahl der mit Todesstrafe bedrohten Verbrechen wurde durch den neuen Kodex signifikant reduziert (HRC 21.2.2018). So ist bei einigen Straftaten statt der Todesstrafe nunmehr lebenslange Haft vorgesehen (AI 22.2.2018).
Unter dem Einfluss der Scharia hingegen droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z. B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch). Berichten zufolge wurden im Jahr 2017 elf Menschen zu Tode verurteilt (AA 5 .2018). Im November 2017 wurden fünf Männer im Pul-e-Charki-Gefängnis hingerichtet (AI 22.2.2018; vgl. HRC 21.2.2018). Des Weiteren fand am 28.1.2018 die Hinrichtung von drei Menschen statt. Alle wurden aufgrund von Entführungen und Mord zum Tode verurteilt. Zuvor wurden 2016 sechs Terroristen hingerichtet (AA 5 .2018). Im Zeitraum 1.1 - 30.11.2017 befanden sich weiterhin 720 Person im Todestrakt (HRC 21.2.2018).
In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können. Obwohl Präsident Ghani sich zwischenzeitlich positiv zu einem möglichen Moratorium zur Todesstrafe geäußert hat und Gesetzesvorhaben auf dem Weg sind, die die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsehen, ist davon auszugehen, dass weiter Todesurteile vollstreckt werden (AA 5 .2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AI - Amnesty International (22.2.2018): Afghanistan 2017/2018, Todesstrafe ...;
HRC - UN Human Rights Council (21.2.2018): Situation of human rights in Afghanistan and technical assistance achievements in the field of human rights; Report of the United Nations High Commission on Human Rights ...;
MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz ...;
USDOS - U.S. Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Afghanistan ...
Religionsfreiheit
Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5 .2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften, wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen, machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).
Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des Abtrünnigen konfiszieren und dessen Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).
Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5 .2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger unabhängig von ihrer Religion (AA 5 .2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des Inhabers. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).
Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).
Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).
Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).
Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Afghanistan Country Report ...;
MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz ...;
CIA - Central Intelligence Agency (2017): The World Factbook - Afghanistan ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
FH - Freedom House (11.4.2018): Freedom in the World 2018 - Afghanistan ...;
HO U.K. - Home Office United Kingdom (2.2017): Country Policy and Information Note Afghanistan: Hindus and Sikhs ...;
USCIRF - U.S. Commission on International Religious Freedom (2017):
2017 Annual Report: Afghanistan Chapter ...;
USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...;
USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...
...
Quellen:
AB - Afghan Bios (7.6.2017): National Ulema Council Afghanistan AUC
...;
BFA Staatendokumentation (7.2016): AfPak Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur ...;
CIA - Central Intelligence Agency (2017): The World Factbook - Afghanistan ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
FH - Freedom House (11.4.2018): Freedom in the World 2018 - Afghanistan ...;
HRW - Human Rights Watch (2018): Afghanistan, Events of 2017 ...;
USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter ...;
USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...
Christentum und Konversionen zum Christentum
Nichtmuslimische Gruppierungen, wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen, machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5 .2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).
Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).
Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5 .2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9 .2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).
Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5 .2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).
Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).
Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan ...;
AIK - Ambasciata d'Italia Kabul (o.D.): La Cappella ...;
BBC (15.10.2014): Afghanistan first lady Rula Ghani moves into the limelight ...;
CNN (24.4.2014): Afghanistan Violence ...;
CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:
Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy ...;
CURE - CURE International Hospital of Kabul ...;
FT - First Things (27.10.2017): The church in Afghanistan ...;
NPR - National Public Radio (19.2.2015): For The First Time, An Afghan First Lady Steps Into The Spotlight ...;
NYP - The New York Post (24.4.2014):
http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-in-attack-at-afghan-hospital/ , 12.2.2018;
OD - Open Doors (2018): Weltverfolgungsindex, Afghanistan ...;
PBK - Pro Bamibini di Kabul (o.D.): Chi siamo ...;
USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter ...;
USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2017 Report on International Religious Freedom - Afghanistan ...;
Vertrauliche Quelle - Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf.
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z. B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5 .2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5 .2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung] (USDOS 20.4.2018; vgl. MPI 27.1.2004).
In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. Gesellschaftliche Sitten schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
MPI - Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan ...;
USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 ...
Meldewesen
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig "Gelbe Seiten" oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen. Dennoch gibt es Mittel und Wege, um Familienmitglieder ausfindig zu machen. Das Dorf, aus dem jemand stammt, ist der naheliegende Ort, um eine Suche zu starten. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (BFA/EASO 1.2018; vgl. EASO 2.2018).
Das afghanische Bevölkerungsgesetz von 2014 beinhaltet u. a. Regelungen zur Bürgerregistrierung. Gemäß Artikel 9 des Gesetzes sollen nationale Personalausweise [Anm.: auch Tazkira genannt. Eine Tazkira gilt sowohl als Personenstandsregisterauszug als auch als Personalausweis] zum Zwecke des Identitätsnachweises und der Bevölkerungsregistrierung ausgestellt werden (NLB/NA 2014). Das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist jedoch kaum entwickelt. Ein Personenstandsregisterauszug (Tazkira) wird nur afghanischen Staatsangehörigen nach Registrierung und dadurch erfolgtem Nachweis der Abstammung von einem Afghanen ausgestellt. Er gilt sowohl als Nachweis für die Staatsangehörigkeit sowie als Geburtsurkunde. In der Tazkira sind Informationen zu Vater und Großvater, jedoch nicht zur Mutter enthalten. Tazkiras können sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch am jeweiligen Geburtsort, nicht jedoch von afghanischen Auslandsvertretungen ausgestellt werden. Sie können jedoch über eine afghanische Auslandsvertretung beim afghanischen Innenministerium beantragt werden (AA 5 .2018). Allein die Auslandsvertretungen im Iran haben Ausnahmeregeln und können eine Tazkira vor Ort ausstellen. Es gibt Pläne dafür, dieselben Befugnisse auch afghanischen Auslandsvertretungen in Pakistan zu erteilen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018). In der Regel erfolgt der Nachweis der Abstammung durch die Vorlage der Tazkira eines Verwandten 1. Grades oder durch Zeugenerklärungen in Afghanistan (AA 5 .2018). Einer Quelle zufolge können Frauen Tazkiras und Pässe für sich und ihre Kinder ohne die Anwesenheit eines männlichen Zeugen beantragen (vertrauliche Quelle 9.5.2018).
Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von "Alter im Jahr der Beantragung", z. B. "17 Jahre im Jahr 20xx" erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst, und wenn, dann meist geschätzt (AA 5 .2018). Insgesamt sind in Afghanistan im Moment sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Die Vorlage einer Tazkira ist Voraussetzung für die Ausstellung eines Reisepasses. Es sind Fälle bekannt, in denen afghanische Auslandsvertretungen Reisepässe nach nur oberflächlicher Prüfung ausstellten, ohne Vorlage einer Tazkira und ggf. aufgrund der Aussage zweier Zeugen. Ein derart ausgestellter Reisepass stellt daher im Gegensatz zur Tazkira nur bedingt einen Nachweis der Staatsangehörigkeit dar (AA 5 .2018). Nicht jeder afghanische Bürger besitzt eine Tazkira (AAN 27.5.2018).
Über die Einführung von elektronischen Personalausweisen, auch e-Tazkiras genannt, wurde lange Zeit diskutiert. Am 15.2.2018 beantragten Präsident Ghani, seine Ehefrau, Vizepräsident Muhammad Sarwar Danesh und weitere 200 Familien in Afghanistan die ersten elektronischen Personalausweise (AAN 22.2.2018).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan
...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (27.5.2018): The Afghanistan Election Conundrum (8): Controversies over voter registration ...;
AAN - Afghanistan Analysts Network (22.2.2018): The E-Tazkera Rift:
Yet another political crisis looming? ...;
BFA/EASO - BFA Staatendokumentation / European Asylum Support Office (1.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des EASO Berichts "Afghanistan - Networks" ...;
BFA/Migrationsverket - BFA Staatendokumentation / LIFOS Migrationsverket (10.4.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des LIFOS-Berichts "Afghaner i Iran" ...;
DIS - Danish Immigration Service (5.2012): Afghanistan Country of Origin Information for Use in the Asylum Determination Process ...;
DW - Deutsche Welle (9.10.2004): Boykott-Aufruf überschattet Wahl in Afghanistan ...;
EASO - European Asylum Support Office (2.2018): Afghanistan Networks
...;
NLB/NA - National Legislative Bodies / National Authorities (2014):
Afghanistan: Law of 2014 on Registration of Population Records ...;
SZ - Süddeutsche Zeitung (29.5.2013): Abzug ins Ungewisse ...;
Vertrauliche Quelle (9.5.2018): lokaler Rechtsanwalt in Kabul, Antwortschreiben per E-Mail liegt bei der Staatendokumentation auf.
Grundversorgung und Wirtschaft
Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).
Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).
Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit
Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).
In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte, bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).
Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden, eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).
Projekte der afghanischen Regierung
Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.
a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung, usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).
Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).
Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Quellen:
AF - Asia Foundation (14.11.2017) - Afghanistan in 2017, A Survey of the Afghan People ...;
BFA der Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan ...;
CSO - Central Statistics Organization (4.2017): Estimated Population of Afghanistan 2017-2018 ...;
GEC - Global Education Cluster (29.1.2017): Islamic Republic of Afghanistan, Afghanistan National Peace and Development Framework
(ANPDF) ...;
IWF - International Monetary Fund (8.12.2017): Islamic Republic of Afghanistan: 2017 article IV consultation and second review under the extended credit facility arrangement, and request for modification of performance criteria - press release; staff report;
and statement by the executive director for the Islamic Republic of Afghanistan ...;
SCA - Swedish Committee for Afghanistan (22.5.2018): Social Conditions ...;
UNDP - United Nations Development Programme (2016): Human Development Report 2016 ...;
UN GASC - United Nations General Assembly (27.2.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security: report of the Secretary-General ...;
WB - The World Bank (10.4.2018): Afghanistan - Overview ...;
WB - The Worldbank (10.10.2016): Afghanistan Government Inaugurates Citizens' Charter to Target Reform and Accountability ...
Medizinische Versorgung
Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen (MPI 27.1.2004; Casolino 2011). Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (v. a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 5 .2018).
In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen (WHO o.D.). Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht (TWBG 10.2016; vgl. USAID 25.5.2018). Gründe dafür waren u. a. eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen, usw. (TWBG 10.2016). Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (AF 11.2017).
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (WHO o.D.).
Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (TWBG 10.2016). In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten, und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt (AA 5 .2018). Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen, wie Kunduz, Faryab und Baghlan, wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Krankenkassen und Gesundheitsversicherung
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden (MoPH 7.2005; vgl. MedCOI 4.1.2018). Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken (MedCOI 24.2.2017). Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden (IOM 5.2.2018).
Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen (MoPH 7.2005; vgl. AP&C 9.2016). 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 5 .2018).
Beispiele für Behandlung psychischer erkrankter Personen in Afghanistan
In der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat geistige Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt. Jedoch ist der Fortschritt schleppend und die Leistungen außerhalb von Kabul sind dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden genauso wie Kranke und Alte gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gemeinschaftliche Unterstützung sicherstellen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. So existieren z. B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in einigen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Personen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und bei anderen Nichtregierungsorganisationen behandelt werden. Einige dieser NGOs sind die International Psychological Organisation (IPSO) in Kabul, die Medica Afghanistan und die PARSA (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt" oder es wird ihnen durch eine "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben (AA 9 .2016; vgl. AP 18.8.2016). Beispielweise wurde in der Provinz Badakhshan durch internationale Zusammenarbeit ein Projekt durchgeführt, bei dem konventionelle und kostengünstige e-Gesundheitslösungen angewendet werden, um die vier häufigsten psychischen Erkrankungen zu behandeln: Depressionen, Psychosen, posttraumatische Belastungsstörungen und Suchterkrankungen. Erste Evaluierungen deuten darauf hin, dass in abgelegenen Regionen die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessert werden konnte. Auch die gesellschaftliche Stigmatisierung psychisch Erkrankter konnte reduziert werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Trotzdem findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt (AA 5 .2018).
Rückkehr
Als Rückkehrer werden jene afghanischen Staatsbürger bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghanen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015 um 24% erhöht und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer zu verzeichnen hatte (499.194), zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt
98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).
Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiwillige Rückkehr von 58.817 Personen (98% aus Pakistan sowie 2% aus Iran und anderen Ländern) (UNHCR 3.2018).
...
Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (USDOS 20.4.2018). Nichtsdestotrotz versucht die afghanische Regierung, die gebildete Jugend, die aus Pakistan zurückkehrt, aufzunehmen (BTI 2018). Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer. In den informellen Siedlungen von Nangarhar lebt eine Million Menschen, wovon 69% Rückkehrer sind. Die Zustände in diesen Siedlungen sind unterdurchschnittlich und sind besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81% der Menschen in informellen Siedlungen sind Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26% haben keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24% leben in überfüllten Haushalten (UN OCHA 12.2017).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z. B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrern zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak-Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer unterstützend tätig:
IOM (internationale Organisation für Migration) bietet ein Programm zur unterstützten freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an (Assisted Voluntary Return and Reintegration - AVRR). In Österreich wird das Projekt Restart II seit 1.1.2017 vom österreichischen IOM-Landesbüro implementiert, welches vom österreichischen Bundesministerium für Inneres und AMIF (dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU) mitfinanziert wird. Im Zuge dieses Projektes können freiwillige Rückkehrer nach Afghanistan und in den Iran nachhaltig bei der Reintegration in ihr Herkunftsland unterstützt werden. Das Projekt läuft mit 31.12.2019 aus und sieht eine Teilnahme von 490 Personen vor. IOM setzt im Zuge von Restart II unterschiedliche Maßnahmen um, darunter Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung. In Kooperation mit Partnerinstitutionen des European Reintegration Network (ERIN) wird im Rahmen des ERIN Specific Action Program nachhaltige Rückkehr und Reintegration freiwillig bzw. zwangsweise rückgeführter Drittstaatangehöriger in ihr Herkunftsland implementiert. IRARA (International Returns & Reintegration Assistance), eine gemeinnützige Organisation, bietet durch Reintegrationsdienste nachhaltige Rückkehr an. ACE (Afghanistan Centre for Excellence) ist eine afghanische Organisation, die Schulungen und Arbeitsplatzvermittlung anbietet. AKAH (Aga Khan Agency for Habitat) ist in mehreren Bereichen tätig, zu denen auch die Unterstützung von Rückkehrern zählt. Sowohl ACE als auch AKAH sind Organisationen, die im Rahmen von ERIN Specific Action Program in Afghanistan tätig sind. AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation) bietet zwangsweise zurückgekehrten Personen aus Europa und Australien Beratung und Unterstützung an. Unter anderem betreibt AMASO ein Schutzhaus, welches von privaten Spendern finanziert wird (BFA Staatendokumentation 4.2018).
NRC (Norwegian Refugee Council) bietet Rückkehrern aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch hilft NRC Rückkehrern bei Grundstücksstreitigkeiten. Kinder von Binnenvertriebenen und speziell von Rückkehrern aus Pakistan sollen auch die Möglichkeit haben, die Schule zu besuchen. NRC arbeitet mit dem afghanischen Bildungsministerium zusammen, um Schulen mit Unterrichtsmaterialien zu unterstützen und die Kapazitäten in diesen Institutionen zu erweitern. IDPs werden im Rahmen von Notfallprogrammen von NRC mit Sachleistungen, Nahrungsmitteln und Unterkunft versorgt; nach etwa zwei Monaten soll eine permanente Lösung für IDPs gefunden sein.
Auch wird IDPs finanzielle Unterstützung geboten: Pro Familie werden zwischen 5.000 und 14.000 Afghani Förderung ausbezahlt. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer dabei, ihre Familien zu finden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrern anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen, welche einen Rechtsbeistand benötigen, an die AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission). UNHCR und die Weltbank haben im November 2017 ein Abkommen zur gemeinsamen Datennutzung unterzeichnet, um die Reintegration afghanischer Rückkehrer zu stärken. UNHCR leitet Initiativen, um nachhaltige Lösungen in den Provinzen Herat und Nangarhar zu erzielen, indem mit nationalen Behörden/Ministerien und internationalen Organisationen (UNICEF, WHO, IOM, UNDP, UN Habitat, WFP und FAO) zusammengearbeitet wird. Diese Initiativen setzen nationale Pläne in gemeinsame Programme in jenen Regionen um, die eine hohe Anzahl an Rückkehrern und Binnenvertriebenen vorzuweisen haben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Psychologische Unterstützung von Rückkehrern wird über die Organisation IPSO betrieben - alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Unterstützung von Rückkehrern durch die afghanische Regierung
Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak-Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehrer nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (siehe Jangalak-Aufnahmezentrum). Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer aus der Region (Iran und Pakistan) als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind. Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen -, sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Ausführliche Informationen zu den Programmen und Maßnahmen der erwähnten Organisationen sowie weitere Unterstützungsmaßnahmen können dem FFM-Bericht Afghanistan 4.2018 entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer
Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Quellen zufolge haben aber alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Neben der Familie als zentraler Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken (Kollegen, Kommilitonen, etc.) sowie politischen Netzwerken, usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Afghanische Flüchtlinge in Pakistan
Die pakistanische Regierung hat die Gültigkeit der PoR-Cards (Proof of Registration Cards) für die 1.4 Millionen afghanische Flüchtlinge im Land bis 30.6.2018 verlängert - vorbehaltlich der Prüfung nach den bevorstehenden Bundeswahlen in Pakistan und der Ernennung des neuen Kabinetts. Zusätzlich hat NADRA (National Database and Registration Authority) damit begonnen, die sogenannte Afghan Citizen Card (ACC) an 878.000 nicht registrierte Afghanen zu verteilen, die sich seit 16.8.2017 in 21 Registrierungszentren in Pakistan haben registrieren lassen; bis 28.2.2018 wurde der Registrierungsprozess für die ACC abgeschlossen, die Zentren bleiben nach wie vor offen, um die Karten zu verteilen. Die Karten sind bis 30.6.2018 gültig; deren Besitzer sind verpflichtet, bis dahin nach Afghanistan zurückzukehren, um Dokumente zu beantragen (einen afghanischen Pass und ein Visum für Pakistan), bevor sie nach Pakistan zurückkehren. Die restlichen rund 200.000 nicht-registrierten Afghanen könnten möglicherweise einer Deportation ausgesetzt sein. Bis 12.3.2018 erhielten 175.321 ihre ACC (IOM 20.3.2018).
Afghanische Flüchtlinge im Iran
Die letzten zwei bis drei Jahre zeigen doch auf eine progressivere Entwicklung für Afghanen im Iran, wo sich die Maßnahmen der iranischen Behörden auf einen höheren Integrationsgrad der Afghanen zubewegen. Die freiwillige Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge ist immer noch das Hauptziel der iranischen Flüchtlingspolitik, aber man hat eingesehen, dass dies im Moment nicht in größerem Maße geschehen kann. Deshalb versucht man, Maßnahmen zu ergreifen, die die Situation für die Afghanen verbessern, während man darauf wartet, dass eine Rückkehr stattfinden kann. Es gibt heute einen politischen Willen, die Fähigkeit der Afghanen, sich besser selbst zu versorgen und selbstständiger zu werden, zu unterstützen, aber gleichzeitig sind die Ressourcen des Iran begrenzt und dies bedeutet eine große Herausforderung für die iranischen Behörden. Es gibt auch von den iranischen Behörden, nicht zuletzt aus sicherheitsmäßigen Aspekten, Interesse daran, mehr Kenntnisse über die Anzahl der sich illegal im Land aufhaltenden Staatsbürger zu erhalten. Dieses hatte zur Folge, dass die iranischen Behörden im Jahr 2017 mit einer Zählung (headcount) und der Registrierung der Afghanen, die sich illegal im Land aufhalten, begonnen haben. In dieser ersten Runde hat man einige ausgewählte Kategorien priorisiert, beispielsweise nicht-registrierte Afghanen, die mit iranischen Staatsbürgern verheiratet sind und Kinder in der Schule haben (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
Trotz aller Kritik sind sich UNHCR und NGOs einig, dass dem Iran im Umgang mit afghanischen Flüchtlingen mehr Anerkennung zusteht, als ihm zuteilwird (AN 17.3.2018). So haben sich die Zugangsmöglichkeiten für afghanische Flüchtlinge zum Gesundheits- und Bildungswesen sowie zu sozialen Absicherungsmaßnahmen im Iran verbessert (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. AN 17.3.2017, EN 26.10.2017, DW 22.9.2017). Der Iran hat einen Präzedenzfall geschaffen, indem allen Flüchtlingen im Land Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversicherung Salamat Universal Public Health Insurance (UPHI) eröffnet wurde; diese Versicherung ist jenen Versicherungsleistungen ähnlich, zu denen iranische Staatsbürger Zugang haben (UNHCR 17.10.2017; vgl. GV 3.1.2015).
Im Gegensatz zu Pakistan leben nur 3% der afghanischen Flüchtlinge im Iran in Camps (BFA/Migrationsverket 10.4.2018; vgl. UNHCR 17.10.2017). Auch wenn die Flüchtlingslager für Amayesh-registrierte ("Amayesh" ist die Bezeichnung für das iranische Flüchtlingsregistrierungssystem, Anm.) Personen vorgesehen sind, leben dort in der Praxis auch nicht-registrierte Afghanen (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
Die Mehrheit der Afghanen, die sich sowohl legal als auch illegal im Land aufhalten, wohnen in von Afghanen dominierten urbanen und halb-urbanen Gebieten. Schätzungen zufolge leben circa 57% der Afghanen im Iran in der Provinz Teheran, Isfahan sowie Razavi-Chorsan (mit Maschhad als Hauptort). Um die 22% leben in den Provinzen Kerman, Fars und Ghom, während die Übrigen in den anderen Provinzen verteilt sind. Die afghanische Flüchtlingspopulation im Iran besteht aus einer Anzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Schätzungen über die registrierten Afghanen zufolge gehört die Mehrheit von ihnen der Ethnie der Hazara an, gefolgt von Tadschiken, Paschtunen, Belutschen und Usbeken. Es fehlen Zahlen zur nicht-registrierten Gemeinschaft, dennoch stellen auch hier die Hazara und die Tadschiken eine Mehrheit dar (BFA/Migrationsverket 10.4.2018).
Weiterführende Informationen über die Lage afghanischer Flüchtlinge im Iran können dem von der Staatendokumentation des BFA übersetzten LIFOS-Bericht über Afghanen im Iran entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.
Quellen:
AN - Asia News (17.3.2018): For UN, Iran's treatment of Afghan refugees is exemplary ...;
BFA Staatendokumentation (4.2018): Fact Finding Mission Report Afghanistan ...;
BFA/Migrationsverket - BFA Staatendokumentation/Migrationsverket LIFOS (10.4.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des LIFOS-Berichts "Afghaner i Iran" ...;
BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Afghanistan Country Report ...;
DW - Deutsche Welle (22.9.2017): How can Iran educate a million Afghan refugees? ...;
EN - Euro News (26.10.2017): Undocumented Afghan refugees get a chance at school in Iran ...;
GV - Global Voices (3.11.2015): Iran to Provide Universal Public Healthcare to Refugees ...;
IOM/DTM - International Organization for Migration/Displacement Tracking Matrix (26.3.2018): Afghanistan - Baseline Mobility Assessment Summary Results (November - December 2017) ...;
IOM - International Organization for Migration (20.3.2018): Return Of Undocumented Afghans Weekly Situation Report 11 - 17 Mar 2018
...;
IOM - International Organization for Migration (2.2018): Return Of Undocumented Afghans Monthly Situation Report February 2018 ...;
IOM - International Organization for Migration (7.7.2017):
Internally Displaced, Returnees from Abroad Soar to Over 2.4 Million in Nine Afghan Provinces: IOM Survey ...;
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (3.2018). Fact Sheet; Afghanistan; March 2018 ...;
UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (17.10.2017):
Iran set global precedent by opening refugees' access to healthcare:
UNHCR rep ...;
UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (12.2017): 2018 Humanitarian Needs Overview; Afghanistan
...;
USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Afghanistan ..."
Zur den Behandlungsmöglichkeiten bei einer Hepatitis B-Infektion in Afghanistan wird auf die bereits bei der Begründung des angefochtenen Bescheides zitierte Anfragebeantwortung von IOM - International Organization for Migration - vom 08.03.2016 verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Die beschwerdeführende Partei wirkte bei der Aussage in der Verhandlung ernst und konzentriert sowie intelligent und wendig und zeigte insbesondere auch aktiv und passiv sehr gute Deutschkenntnisse.
Hinsichtlich des Anlasses für die Ausreise aus der Heimat konnte er aber das vergleichsweise geringe Beweiskalkül der Glaubhaftmachung nicht erfüllen. Denn der behauptete Angriff der Taliban wurde erst kurz vor der Verhandlung erstmals vorgebracht. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt beantwortete er hingegen die Frage, ob es eine persönlich gegen ihn gerichtete Bedrohung gegeben habe, ausdrücklich mit nein.
Was die - religiöse oder nicht religiöse - Glaubensüberzeugung der beschwerdeführenden Partei angeht, gab er noch bei der Einvernahme am 23.01.2017 "Moslem/Sunnit" an (S. 171), er habe keine weiteren Fluchtgründe (S. 173). Und auch zu dieser Frage, nämlich einer Apostasie vom Islam, wurde erst kurz vor der Verhandlung die Behauptung aufgestellt, dass die beschwerdeführende Partei bereits seit seiner Ausreise aus der Heimat Atheist sei. Dies wird jedoch als unwahre Zweckbehauptung betrachtet, ein überzeugter Atheist hätte seinen Abfall vom Glauben schon früher angegeben. Die beschwerdeführende Partei machte in der Verhandlung den Eindruck eines intelligenten, aufgeklärten und zielstrebigen jungen Mannes, der durchaus die Unsinnigkeit mancher islamischer Glaubenslehren und -rituale erkennt, etwa das passive Warten auf die Hilfe eines Gottes statt einer eigenverantwortlichen Gestaltung des eigenen Lebensweges, der jedoch - gerade wegen seiner Intelligenz - in seiner Heimat die von ihm erwarteten Verhaltensweisen regelmäßig beachtete und auch künftig beachten würde.
Das Vorhandensein einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in mehreren sicheren Provinzen Afghanistans, in denen man einen Kontakt mit Taliban vermeiden kann, ergibt sich aus den Länderfeststellungen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 56/2018 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
§ 3 (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.
(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtigten eine besondere Bedeutung zukommt, zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist.
(4b) In einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung des Familienangehörigen, von dem das Recht abgeleitet wird, richtet.
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
§ 11 (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113; 24.03.2011, 2008/23/1443).
§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinn des Art. 9 Statusrichtlinie 2011/95/EU , worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter.
Dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen muss, ergibt sich schon aus der Definition des Flüchtlingsbegriffs in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wonach als Flüchtling im Sinn dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Auch Art. 9 Abs. 3 der Statusrichtlinie verlangt eine Verknüpfung zwischen den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen einerseits und den Verfolgungsgründen andererseits (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080). Dafür reicht es nach der jüngeren Ansicht des UNHCR aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebend) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (VwGH 13.01.2015, Ra 2014/18/0140).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 11 Abs. 1 AsylG 2005 (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, Rn. 14-24) ist im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung das Kriterium der "Zumutbarkeit" gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen. Die Frage der Zumutbarkeit soll danach beurteilt werden, ob der in einem Teil seines Herkunftslandes verfolgte oder von ernsthaften Schäden (iSd Art. 15 Statusrichtlinie) bedrohte Asylwerber in einem anderen Teil des Herkunftsstaates ein "relativ normales Leben" ohne unangemessene Härte führen kann. Dabei ist gemäß § 11 Abs. 2 AsylG 2005 (Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie) auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände des Asylwerbers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen. Der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates selbstverständlich wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Es muss dem Asylwerber aber auch möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss.
Zu Afghanistan erkannte der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118), dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Es kann zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert ist. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfügt, handelt, ist - auf der Grundlage der jenem Fall zugrunde gelegten allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden kann.
Im vorliegenden Fall ist auf Grund der Sachverhaltsfeststellungen davon auszugehen, dass die beschwerdeführende Partei eine drohende Verfolgung im Sinn der wiedergegebenen Gesetzesbestimmungen nicht glaubhaft machen konnte.
Zwar droht nach den Länderfeststellungen zu Afghanistan Apostaten landesweit Verfolgung. Doch gilt dies nicht bei einer bloßen Scheinapostasie in einem Land der Nicht-Moslems ("Ungläubigen"), wenn man sich in der Folge wieder so wie alle anderen den religiösen Gebräuchen in der betreffenden Region anschließt.
Nach den Länderberichten kann nicht von einer landesweit in allen 34 Provinzen Afghanistans mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr durch die Taliban wegen einer Weigerung zum Beitritt ausgegangen werden.
Gegen eine etwaige Bedrohung in der Heimatprovinz steht der beschwerdeführenden Partei eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, etwa in den Städten Herat, Kabul oder Masa-e Scharif (vgl. VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0125; 18.10.2018, Ra 2018/19/0277; 10.09.2018, Ra 2018/19/0312).
Zwar kommen die UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018 zu der Schlussfolgerung (S. 129), dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist. Diese Aussage stützt sich auf einen Bericht von UNAMA vom Juli 2018 über 993 zivile Opfer (321 Tote und 672 Verletzte) in der Provinz Kabul in den ersten sechs Monaten 2018 und auf einen UNAMA-Bericht vom Februar 2018 über 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) im gesamten Jahr 2017.
UNHCR-Richtlinien stellen weder völkerrechtlich noch nach Unionsrecht oder österreichischem Recht eine verbindliche Norm dar. Aufgrund der großen Sachkenntnis des UNHCR in Flüchtlingsfragen sind diese Richtlinien aber als wichtiges Beweismittel im Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahren heranzuziehen; der Verwaltungsgerichtshof spricht (beginnend mit VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059) von der Indizwirkung solcher Richtlinien in dem Sinn, dass eine Auseinandersetzung mit diesem Beweismittel im Rahmen der Beweiswürdigung notwendig ist (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).
Da die tatsächliche Lage in Afghanistan, etwa Orte und Zahlen von Gewalttaten, im Wesentlichen unstrittig ist und die Länderberichte lediglich hinsichtlich der Schlussfolgerungen daraus divergieren, insbesondere betreffend die Zumutbarkeit der Fluchtalternative in Kabul und anderen Städten, wobei es sich um eine reine Quaestio Iuris handelt, werden die UNHCR-Richtlinien bei der rechtlichen Beurteilung behandelt.
Die Schlussfolgerung der gegenständlichen UNHCR-Richtlinien betreffend ein grundsätzliches (d. h. von den Umständen des Einzelfalles unabhängiges) Fehlen einer internen Schutzalternative in Kabul (seit August 2018) vermag nicht zu überzeugen. So spricht zwar der darin zitierte Bericht von UNAMA vom Juli 2018 von 993 zivilen Opfern (321 Toten und 672 Verletzten) in der Provinz Kabul in den ersten sechs Monaten 2018, doch gab es im ersten Halbjahr 2017 in der Provinz Kabul sogar mehr zivile Opfer, nämlich 1.048 (219 Tote und 829 Verletzte; vgl. UNAMA-Bericht Juli 2017, S. 5), und diese Zahlen sind jeweils im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der Provinz Kabul von rund 4, 6 Mio. Einwohnern zu betrachten, von denen die Regierungsmitarbeiter und Ausländer in besonderem Maß gefährdet sind.
Auch die aktuellen Richtlinien der EASO schließen keineswegs für alle Afghanen eine interne Schutzalternative landesweit aus. Es wird vielmehr eine Einzelfallprüfung empfohlen und ausdrücklich festgehalten, dass die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Scharif über funktionierende Flughäfen mit Inlands- und Auslandsflugverbindungen verfügen; das Ausmaß willkürlicher Gewalt in diesen Städten erreiche nicht ein derart hohes Niveau, dass wesentliche Gründe für die Annahme vorlägen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen. Zusammenfassend wurde eine innerstaatliche Schutzalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Scharif für einzelne Personengruppen, insbesondere für alleinstehende erwachsene Männer und verheiratete kinderlose Paare, welche sonst über keinerlei Merkmale der Schutzbedürftigkeit verfügen, für durchaus zumutbar gehalten, selbst wenn die Betroffenen dort über keinerlei Unterstützungsnetzwerk verfügen (EASO, Country Guidance: Afghanistan, Juni 2018, S. 99-107; zur Relevanz von EASO-Berichten vgl. Art. 10 Abs. 3 lit. b Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU und Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie 2011/95/EU ).
Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Die maßgebliche Bestimmung des Asylgesetzes 2005 lautet:
§ 8 (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
...
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
...
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 21.05.2019, Ro 2019/19/0006; 29.04.2019, Ra 2019/20/0175).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0196).
Soweit es die Beurteilung betrifft, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Das Kriterium der Zumutbarkeit ist im Sinn einer unionsrechtskonformen Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Zudem entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei (VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175).
Im vorliegenden Fall liegen nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keinerlei Umstände vor, welche ein Refoulement der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat als unzulässig erscheinen ließen, zumal weder landesweit eine objektiv extreme Gefahrenlage in dem geschilderten Sinn herrscht noch eine Gefährdung aus subjektiven, in der Person der beschwerdeführenden Partei gelegenen Gründen anzunehmen ist. Auch aus dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei lässt sich insbesondere keineswegs eine reale Gefahr ableiten, dass etwa ein arbeitsfähiger Mann in diesem Staat keinerlei Existenzgrundlage vorfinden oder sonst einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein könnte.
Denn es steht Rückkehrern grundsätzlich eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, etwa in den von der Regierung kontrollierten Städten, wo es ihnen möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (vgl. VfGH 12. 12. 2017, E 2068/2017; VwGH 10.09.2018, Ra 2018/19/0312; vgl. auch EGMR 12.01.2016, 8161/07, S.D.M.). Jedenfalls stellt sich die Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Kabul, Herat und Masa-e Scharif als ausreichend dar (vgl. VwGH 05.12.2018, Ra 2018/20/0125; 18.10.2018, Ra 2018/19/0277; 10.09.2018, Ra 2018/19/0312).
Die beschwerdeführende Partei ist nunmehr 22 Jahre alt und hat jedenfalls wie jeder Rückkehrer auch die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Bekannten sowie bei Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft zu suchen. Die Eltern und vier erwachsene Geschwister leben in Afghanistan. Eine Therapie gegen eine Hepatitis B-Infektion ist in Afghanistan verfügbar, das Medikament Viread 245 mg (Tenofovirdisoproxil) ist in Kabul und in allen anderen Regionen Afghanistans erhältlich. Auch psychische Erkrankungen, wie eine Depression, sind in Afghanistan behandelbar.
Letztlich stellen sich also die Gefahren für Rückkehrer nach Afghanistan in hohem Maße als spekulativ dar, und es kann im Sinn der maßgeblichen Rechtsprechung keineswegs von einer realen Gefahr der Verletzung von Bestimmungen der EMRK für Rückkehrer schlechthin, etwa aufgrund einer landesweiten Bürgerkriegs- oder Hungersnotsituation, ausgegangen werden.
Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 lauten:
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
...
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
...
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
...
§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
...
§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
...
(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
...
Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) idF BGBl. I Nr. 56/2018 lauten:
§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
...
§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
§ 52 (1) ...
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
...
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
...
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
...
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
...
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Zu einer möglichen Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 7 GRC wurde im vorliegenden Fall Folgendes erwogen:
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Das Privatleben ist ein weiter Begriff und einer erschöpfenden Definition nicht zugänglich. So schützt Art. 8 EMRK auch ein Recht auf Identität und persönliche Entwicklung und das Recht, Beziehungen mit anderen Menschen und mit der Außenwelt zu schaffen und zu entwickeln, und kann auch Handlungen beruflichen oder geschäftlichen Charakters einschließen. Es gibt daher einen Bereich der Interaktion einer Person mit anderen, selbst in einem öffentlichen Zusammenhang, der in den Bereich des "Privatlebens" fallen kann (z. B. EGMR 28.01.2003, 44647/98, Peck, Rn. 57).
Im Rahmen der durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Achtung des Privatlebens ist Schutzgut unter anderem auch die psychische und physische Integrität des Einzelnen und damit auch die körperliche Unversehrtheit. Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität, welche nicht die von Art. 3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen, sind folglich an Art. 8 EMRK zu messen (EGMR 13.05.2008, 52515/99, Juhnke, Rn. 71; VfGH 21.09.2015, E 332/2015).
Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in:
Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).
Wenn eine aufenthaltsbeendende Maßnahme in den Schutzbereich des Privatlebens oder des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, ist zu prüfen, ob sie sich auf eine gesetzliche Bestimmung stützt, was im vorliegenden Fall offensichtlich zutrifft, und ob sie Ziele verfolgt, die mit der EMRK in Einklang stehen, wofür hier insbesondere die Verteidigung der Ordnung im Bereich des Fremden- und Asylwesens sowie das wirtschaftliche Wohl des Landes in Betracht kommen.
Es bleibt schließlich noch zu überprüfen, ob diese Maßnahme in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, das heißt durch ein vorrangiges soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere in Bezug auf das verfolgte legitime Ziel verhältnismäßig ist (EGMR 02.08.2001, 54273/00, Boultif, Rn. 46; 18.10.2006, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 57f; 16.04.2013, 12020/09, Udeh, Rn. 45; VfGH 29.09.2007, B 1150/07; vgl. § 9 Abs. 1 BFA-VG).
Nach diesem Regelungssystem ist somit anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles eine Interessenabwägung am Maßstab des Art. 8 EMRK durchzuführen. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme darf nur erlassen werden, wenn die dafür sprechenden öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die persönlichen Interessen des Drittstaatsangehörigen und seiner Familie an dessen weiterem Verbleib in Österreich. Bei dieser Interessenabwägung sind folgende Kriterien nach der Methode des beweglichen Systems in einer Gesamtbetrachtung zu bewerten, indem das unterschiedliche Gewicht der einzelnen Kriterien zueinander in eine Beziehung zu setzen und eine wechselseitige Kompensation der einzelnen Gewichte vorzunehmen ist (vgl. EGMR 18.10.2006, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 57f; VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001):
die Art und Schwere der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten;
die seit der Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das Verhalten des Beschwerdeführers in dieser Zeit;
die Aufenthaltsdauer im ausweisenden Staat;
die Staatsangehörigkeit der einzelnen Betroffenen;
die familiäre Situation des Beschwerdeführers und insbesondere gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe und andere Faktoren, welche die Effektivität eines Familienlebens bei einem Paar belegen;
die Frage, ob der Ehegatte von der Straftat wusste, als die familiäre Beziehung eingegangen wurde;
die Frage, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und welches Alter sie haben;
die Schwierigkeiten, denen der Ehegatte im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers begegnen könnte;
das Wohl der Kinder, insbesondere die Schwierigkeiten, denen die Kinder des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat begegnen könnten;
die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Aufenthaltsstaat und zum Herkunftsstaat.
Der Grad der Integration manifestiert sich nach der Rechtsprechung insbesondere in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben und der Beschäftigung (VfGH 29.09.2007, B 1150/07). Diese sowie einige weitere von der Rechtsprechung einzelfallbezogen herausgearbeiteten Kriterien für die Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK werden auch in § 9 Abs. 2 BFA-VG aufgezählt.
Nach der Rechtsprechung des EGMR (EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u. a.) stellen die Regeln des Einwanderungsrechtes eine ausreichende gesetzliche Grundlage in Hinblick auf die Frage der Rechtfertigung des Eingriffs nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dar. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine aufenthaltsbeendende Maßnahme, welche dem öffentlichen Interesse an der effektiven Durchführung der Einwanderungskontrolle dient, nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kommt der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VfGH 29.09.2007, B 328/07; VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247; 22.01.2013, 2011/18/0012).
Auch bei einem Eingriff in das Privatleben misst die Rechtsprechung im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK dem Umstand wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein. Grundsätzlich ist nach negativem Ausgang des Asylverfahrens - infolge des damit einhergehenden Verlustes des vorläufig während des Verfahrens bestehenden Rechts zum Aufenthalt und sofern kein anderweitiges Aufenthaltsrecht besteht - der rechtmäßige Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wiederherzustellen (VfGH 12.06.2013, U 485/2012; VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).
Im Rahmen der Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit dem persönlichen Interesse des Drittstaatsangehörigen an einem weiteren Verbleib in Österreich nimmt zwar das Gewicht des persönlichen Interesses grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes zu. Doch ist dabei nicht die bloße Aufenthaltsdauer maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Drittstaatsangehörige die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (VwGH 22.01.2013, 2011/18/0036; 22.09.2011, 2007/18/0864 bis 0865).
Im vorliegenden Fall hat die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung die Aufenthaltsbeendigung der beschwerdeführenden Partei zur Folge. Daher liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Privatlebens im Sinn des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor.
Die Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des § 9 BFA-VG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. Art. 52 Abs. 1 GRC, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie des wirtschaftlichen Wohles des Landes, führte zu dem Ergebnis, dass die für die aufenthaltsbeendende Maßnahme sprechenden öffentlichen Interessen schwerer wiegen als die persönlichen Interessen der Beteiligten.
Denn die beschwerdeführende Partei verbrachte den Großteil des Lebens in Afghanistan und reiste erst vor knapp vier Jahren illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein regulärer Aufenthaltstitel in Österreich, sondern lediglich ein vorläufiges Aufenthaltsrecht aufgrund des gegenständlichen unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz. Die beschwerdeführende Partei absolvierte mehrere Sprachkurse und Kurse zur Vorbereitung auf den Pflichtschulabschluss, welchen er bei erfolgreicher Ablegung der letzten Prüfung im September 2019 erlangen könnte. Er spricht und versteht sehr gut Deutsch, auch wenn er darüber noch kein Zertifikat erworben hat. Außerdem belegte er einen Zeichenkurs an der XXXX und hat viele Freunde in Österreich gewonnen. Er stand noch nicht in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis und ist nicht selbsterhaltungsfähig, sondern bezieht laufend Leistungen der Grundversorgung. Die beschwerdeführende Partei wurde mit Strafurteil eines Bezirksgerichtes vom 28.03.2018 wegen § 27 SMG zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je EUR 4,- verurteilt.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen liegen nicht vor.
Zu Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:
§ 55 FPG hat folgenden Wortlaut:
§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich
eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
Im vorliegenden Fall war die Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 30.09.2019 zu verlängern, weil besondere Umstände durch den Schulbesuch der beschwerdeführenden Partei und eine kurz bevorstehende Abschlussprüfung vorliegen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
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