European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2022:G193.2022
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Bundesverwaltungsgericht, "in §1 Abs2 litd des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl Nr 609, in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2016, BGBl I Nr 144/2015, den Ausdruck 'Dienstnehmer,' als verfassungswidrig aufzuheben."
II. Rechtslage
1. §1 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (im Folgenden: AlVG), BGBl 609/1977, idF BGBl I 144/2015 lautet wie folgt (die angefochtene Wort- und Zeichenfolge ist hervorgehoben):
"§1. (1) Für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) sind
a) Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind,
b) Lehrlinge,
c) Heimarbeiter,
d) Personen, die zum Zwecke der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, abgeschlossene Hochschulbildung erfordernden Beruf nach Abschluß dieser Hochschulbildung beschäftigt sind, wenn die Ausbildung nicht im Rahmen eines Dienst- oder Lehrverhältnisses erfolgt, jedoch mit Ausnahme der Volontäre, die kein Entgelt beziehen,
e) Personen, die österreichische Staatsbürger oder diesen gleichzustellen sind (wie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz) und gemäß dem Entwicklungshelfergesetz, BGBl Nr 574/1983, von einer Entwicklungshilfeorganisation im Rahmen der Entwicklungshilfe als Entwicklungshelfer oder Experten beschäftigt oder ausgebildet werden,
f) selbständige Pecher, das sind Personen, die, ohne auf Grund eines Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt zu sein, durch Gewinnung von Harzprodukten in fremden Wäldern eine saisonmäßig wiederkehrende Erwerbstätigkeit ausüben, sofern sie dieser Erwerbstätigkeit in der Regel ohne Zuhilfenahme familienfremder Arbeitskräfte nachgehen,
g) Personen, die an einem Verwaltungspraktikum im Sinne des Abschnittes Ia des Vertragsbedienstetengesetzes 1948, BGBl Nr 86, teilnehmen,
h) Personen, die in einem Ausbildungsverhältnis zur Evangelischen Kirche A. B. oder zur Evangelischen Kirche H. B. stehen (Lehrvikare und Pfarramtskandidaten), sowie nicht definitiv bestellt geistliche Amtsträger dieser Kirchen,
soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert sind oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben und nicht nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen versicherungsfrei sind.
(2) Ausgenommen von der Arbeitslosenversicherungspflicht sind
a) Personen, die die allgemeine Schulpflicht noch nicht beendet haben, sowie Personen, die der allgemeinen Schulpflicht nicht unterliegen oder von ihr befreit sind, bis zum 1. Juli des Kalenderjahres, in dem sie das 15. Lebensjahr vollenden;
b) Dienstnehmer, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund, zu einem Land, einem Gemeindeverband oder einer Gemeinde sowie zu einem von diesen Körperschaften verwalteten Betrieb, einer solchen Unternehmung, Anstalt, Stiftung oder einem solchen Fonds stehen, sofern sie gemäß §5 Abs1 Z3, 3a litb, 3b litb, 4 und 12 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes von der Vollversicherung nach §4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ausgenommen sind;
c) Personen, die nach §2 Abs1 Z2 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes, BGBl Nr 559/1978, pflichtversichert sind;
d) Dienstnehmer, Heimarbeiter und selbständige Pecher, die nach der Höhe des Entgelts geringfügig beschäftigt sind;
e) Personen, denen eine im §22 Abs1 genannte Leistung zuerkannt wurde oder welche die Anspruchsvoraussetzungen für eine im §22 Abs1 genannte Leistung, ausgenommen die Korridorpension, erfüllen, oder die jenes Lebensalter, das ein Jahr nach dem gesetzlichen Mindestalter für eine Korridorpension liegt, vollendet haben, ab dem Beginn des folgenden Kalendermonats;
f) Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Freiwilligen Sozialjahr, am Freiwilligen Umweltschutzjahr, am Gedenkdienst oder am Friedens- und Sozialdienst im Ausland nach dem Freiwilligengesetz, BGBl I Nr 17/2012, hinsichtlich dieser gemäß §4 Abs1 Z11 ASVG versicherten Tätigkeit;
g) Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Integrationsjahr nach dem Freiwilligengesetz, BGBl I Nr 17/2012, hinsichtlich dieser gemäß §8 Abs1 Z4a ASVG versicherten Tätigkeit.
(3) Die Versicherungsfreiheit nach Abs2 ist bei Dienstnehmern, die bei demselben Dienstgeber zu versicherungspflichtiger und versicherungsfreier Beschäftigung herangezogen werden, nur dann gegeben, wenn sie überwiegend in versicherungsfreier Beschäftigung tätig sind.
(4) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, ist §5 Abs2 ASVG sinngemäß anzuwenden. Eine Beschäftigung als Hausbesorger im Sinne des Hausbesorgergesetzes, BGBl Nr 16/1970, gilt jedoch dann als geringfügig, wenn das Entgelt die im §5 Abs2 ASVG angeführten Beträge nicht überschreitet.
(5) Abs4 erster Satz gilt sinngemäß für Heimarbeiter und selbständige Pecher.
(6) Für Beginn und Ende der Arbeitslosenversicherungspflicht gelten die §§10 und 11 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes.
(7) Abs1 (Arbeitslosenversicherungspflicht) ist auf Eisenbahnbedienstete, für deren arbeitsrechtliche Ansprüche der Bund haftet und die unkündbar sind, ab 1. Jänner 2000 anzuwenden.
(8) Freie Dienstnehmer im Sinne des §4 Abs4 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, sind Dienstnehmern gleich gestellt."
2. §§4 und 5 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes – ASVG, BGBl 189/1955, §4 idF BGBl I 75/2016, §5 idF BGBl I 125/2017 lauten auszugsweise wie folgt:
"§4. (1) In der Kranken‑, Unfall- und Pensionsversicherung sind auf Grund dieses Bundesgesetzes versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß den §§5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach §7 nur eine Teilversicherung begründet:
1. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer;
2. – 4. […]
(2) – (6) […]
§5. (1) Von der Vollversicherung nach §4 sind – unbeschadet einer nach §7 oder nach §8 eintretenden Teilversicherung – ausgenommen:
1. […]
2. Dienstnehmer und ihnen gemäß §4 Abs4 gleichgestellte Personen, ferner Heimarbeiter und ihnen gleichgestellte Personen sowie die im §4 Abs1 Z6 genannten Personen, wenn das ihnen aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Kalendermonat gebührende Entgelt den Betrag gemäß Abs2 nicht übersteigt (geringfügig beschäftigte Personen);
3. – 16. […]
(2) Ein Beschäftigungsverhältnis gilt als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 425,70 € gebührt. An die Stelle dieses Betrages tritt ab Beginn jedes Beitragsjahres (§242 Abs10) der unter Bedachtnahme auf §108 Abs6 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1) vervielfachte Betrag.
(3) […]."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
1.1. Beim Bundesverwaltungsgericht ist eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, vom 9. Juli 2021 anhängig. In Spruchpunkt 1.) des angefochtenen Bescheides stellte die Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin auf Grund mehrerer geringfügiger Beschäftigungen bei jeweils derselben Dienstgeberin in der Zeit von 14. April 2018 bis 30. April 2018 im Ausmaß von neun Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 685,78, von 3. Mai 2018 bis 31. Mai 2018 im Ausmaß von neun Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 509,75, von 4. Juni 2018 bis 30. Juni 2018 im Ausmaß von acht Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 592,16, von 3. Juli 2018 bis 31. Juli 2018 im Ausmaß von sieben Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 539,59, von 16. August 2018 bis 31. August 2018 im Ausmaß von acht Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 500,37 und von 5. September 2018 bis 30. September 2018 im Ausmaß von elf Tagen mit einer allgemeinen Beitragsgrundlage von insgesamt € 734,88 der Pflichtversicherung in der Kranken‑, Unfall- und Pensionsversicherung gemäß §4 Abs1 Z1 iVm Abs2 und §5 Abs1 Z2 iVm §§471f ff. ASVG unterliegt. In Spruchpunkt 2.) stellte die Behörde fest, dass die Beschwerdeführerin auf Grund dieser geringfügigen Beschäftigungen nicht der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung gemäß §1 Abs1 lita AlVG unterliegt.
1.2. In ihrer ausschließlich gegen Spruchpunkt 2.) dieses Bescheides erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht bringt die Beschwerdeführerin zunächst vor, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Vollversicherung immer dann eintrete, wenn in einem Kalendermonat aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen das Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreite. Personen, die die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nur durch das Einkommen aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen überschreiten, seien mit jenen Personen gleichgestellt, die die monatliche Geringfügigkeitsgrenze durch das Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis überschreiten. Dass der Gesetzgeber anlässlich der Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze durch das Meldepflicht-Änderungsgesetz, BGBl I 79/2015, mehrfach geringfügig Beschäftigte mit einem Einkommen über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze nicht ausdrücklich in die Arbeitslosenversicherungspflicht einbezogen habe, sei offenbar nur auf ein Versehen zurückzuführen. Denn nach der alten Rechtslage seien vom Ausschlusstatbestand des §1 Abs2 litd AlVG nur jene fallweise beschäftigten Personen umfasst gewesen, deren Einkommen unter der täglichen Geringfügigkeitsgrenze gelegen sei bzw in Summe die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten habe. Auf Grund der Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze liege eine planwidrige Lücke vor.
Weiters bringt die Beschwerdeführerin vor, dass der angefochtene Bescheid auf einer verfassungswidrigen Norm beruhe, weil sie durch den Ausschlusstatbestand des §1 Abs2 litd AlVG in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B‑VG) verletzt werde. Die Beschwerdeführerin sei an insgesamt 52 Tagen ausschließlich bei einer Dienstgeberin fallweise geringfügig beschäftigt gewesen und unterliege auf Grund dieser mehrfachen geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in den betreffenden Zeiträumen der Pflichtversicherung in der Kranken‑, Unfall- und Pensionsversicherung. Mit dem Meldepflicht-Änderungsgesetz sei ab 1. Jänner 2017 die tägliche Geringfügigkeitsgrenze abgeschafft worden. Unter Beibehaltung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze hätte die Beschwerdeführerin an allen diesen 52 Beschäftigungstagen auf Grund der Höhe des durchschnittlichen Tagesverdienstes die tägliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten und wäre an diesen Tagen der Vollversicherung und damit auch der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §1 Abs1 lita AlVG unterlegen. Im Jahr 2019 hätten bei insgesamt 232.325 Personen die ausgeübten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zu einer Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß §471f bzw §53a ASVG geführt. Von diesen seien 31.090 Personen als mehrfach geringfügig Beschäftigte mit einer monatlichen Beitragsgrundlage über der Geringfügigkeitsgrenze und somit nach §471f ASVG versichert. Für die ausschließlich nach §471f ASVG Versicherten führe die Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze zu niedrigeren Geldleistungen, weil die Beitragsgrundlagen aus den geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen nicht bei der Berechnung eines allfälligen Anspruchs auf Arbeitslosengeld berücksichtigt würden. Obwohl das Entgelt der Beschwerdeführerin in den betreffenden Kalendermonaten in Summe deutlich über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liege und damit der Krankenversicherungspflicht unterliege, sei sie nicht von der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §1 Abs1 lita AlVG erfasst.
Das Schutzbedürfnis einer Person, deren monatliches Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze auf Grund eines "normalen" Beschäftigungsverhältnisses überschreite, gleiche aber dem Schutzbedürfnis einer Person, deren monatliches Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze auf Grund mehrerer geringfügiger Beschäftigungen übersteige. Für beide bedeute Arbeitslosigkeit einen Einkommensausfall. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Differenzierung zwischen diesen Personengruppen liege nicht vor. Es sei im Hinblick auf die hohe Zahl von 230.000 Betroffenen auch nicht von einem bloßen Härtefall auszugehen.
2. Das Bundesverwaltungsgericht legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:
"II. Zur Zulässigkeit des Antrages
[…]
3. Zur Präjudizialität
§1 Abs2 litd AIVG in der im Spruch dieses Beschlusses bezeichneten Fassung wurde im Verfahren vor der ÖGK als Grundlage für den Ausspruch herangezogen, dass die Beschwerdeführerin in den im Spruch des angefochtenen Bescheides angeführten Zeiträumen nicht der Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung gemäß §1 Abs1 lita AIVG unterliegt.
Die ÖGK hatte die Norm auch anzuwenden, weil Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §45 Abs1 AIVG in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden sind.
[…]
IV. Zum Umfang der Anfechtung
[…]
Die Verfassungswidrigkeit ist vorliegend durch die Aufhebung des die Ausnahme von der Arbeitslosenversicherung bewirkenden präjudiziellen Ausdruckes "Dienstnehmer," in §1 Abs2 litd AIVG zu beseitigen, weil durch dessen Aufhebung der Inhalt des Gesetzes insgesamt in wesentlich geringerem Maße verändert wird, als dies im Falle der Aufhebung der die Arbeitslosenversicherung für Dienstnehmer begründenden Bestimmung des §1 Abs1 lita AIVG der Fall wäre.
Die in §1 Abs2 litd AIVG normierte Ausnahme von Heimarbeitern und selbständigen Pechern, die nach der Höhe des Entgelts geringfügig beschäftigt sind, von der Arbeitslosenversicherung, steht nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, der es erfordert, §1 Abs2 litd AIVG zur Gänze aufzuheben (vgl VfSlg 20.356/2019, 20.361/2019, 20.395/2020; VfGH 6.10.2020, G166/2020 ua; 7.10.2020, G164/2020 ua). Im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Ausnahme einer geringfügig beschäftigten Dienstnehmerin geht, kommt ihr keine Präjudizialität zu. Schließlich verbliebe damit auch kein Rest einer Gesetzesstelle, die als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015)
V. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken
[…]
Die Beschwerdeführerin war in den im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Zeiträumen bei der mitbeteiligten Dienstgeberin als fallweise geringfügige Dienstnehmerin zur Sozialversicherung gemeldet.
Unter fallweise Beschäftigten versteht man Personen, die in unregelmäßiger Folge tageweise beim selben Dienstgeber beschäftigt werden, wenn die Beschäftigung für eine kürzere Zeit als eine Woche vereinbart ist (vgl §471b ASVG idF BGBl I Nr 79/2015 bzw §33 Abs3 ASVG idF BGBl I Nr 44/2016).
Bei der fallweisen bzw tageweisen Beschäftigung ist zu beachten, dass jeder Tag als eigenständiges Dienstverhältnis zu betrachten ist. Eine Zusammenrechnung hat nicht zu erfolgen. Daher ist stets jenes Entgelt heranzuziehen, das für den jeweiligen Kalendertag (00.00 Uhr bis 24.00 Uhr) tatsächlich auszuzahlen ist. Dieses ist dann der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze gegenüber zu stellen (www.gesundheitskasse.at ).
§1 Abs2 litd AIVG nimmt Dienstnehmer, die nach der Höhe des Entgelts geringfügig beschäftigt sind, von der Arbeitslosenversicherungspflicht von Dienstnehmer aus.
Gemäß §1 Abs4 AIVG ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, §5 Abs2 ASVG sinngemäß anzuwenden.
Gemäß §5 Abs2 ASVG gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein die Geringfügigkeitsgrenze überschreitendes Entgelt gebührt.
§1 Abs2 litd und Abs4 AIVG blieben zwar seit ihrer Schaffung im Wesentlichen unverändert. Mit dem Meldepflicht‑Änderungsgesetz, BGBl I Nr 79/2015, erhielten sie aber eine wesentlich andere Bedeutung. Im Rahmen dieser Novelle wurde ab 1. Jänner 2017 die tägliche Geringfügigkeitsgrenze des §5 Abs2 ASVG abgeschafft. Dies hat zur Folge, dass nunmehr tageweise fallweise Beschäftigte – wie die Beschwerdeführerin –, die nur bei Bedarf und daher in der Regel über den gesamten Arbeitstag hindurch mit einer die bislang geltende tägliche Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden Entlohnung beschäftigt werden, nicht mehr der Arbeitslosenversicherung unterliegen, weil ihr (tägliches) Einkommen aus den tageweisen Beschäftigungsverhältnissen jeweils die monatliche Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigt.
Vor der Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze bestand nur dann keine Arbeitslosenversicherungspflicht, wenn auch die tägliche Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wurde, was aber damit sachlich gerechtfertigt werden konnte, dass das aus einer solchen Beschäftigung erzielte Einkommen in der Regel nicht der Existenzsicherung diente und daher eine Versicherung gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit nicht erforderlich war.
§5 Abs1 Z2 ASVG, der Geringfügigkeit ausschließt, wenn aus mehreren Beschäftigungsverhältnissen die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, findet für den Bereich der Arbeitslosenversicherung keine Anwendung (vgl Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz: Praxiskommentar §1 Rz 106 sowie Pfeil in AIV‑Komm §3 AIVG Rz 5).
Die Geringfügigkeitsgrenze des §5 Abs2 ASVG definiert nicht nur, ab welchem Einkommen eine Einbeziehung in die Sozialversicherung erfolgt, sondern auch, ab welchem Einkommen ein Schutz durch die Einbeziehung in die Sozialversicherung gewährt wird. Anders formuliert: Mit der Festlegung auf eine Einkommensgrenze, ab der Versicherungsschutz besteht, anerkennt der Gesetzgeber, dass ab Überschreiten dieser Grenze generell ein Schutzbedürfnis besteht.
Nun unterscheidet sich aber das Schutzbedürfnis einer Person, deren monatliches Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses übersteigt, nicht vom Schutzbedürfnis einer Person, deren monatliches Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze auf Grund von mehreren geringfügigen Beschäftigungen übersteigt.
So bedeutet für beide Personengruppen Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit einen Einkommensausfall. Für beide Personengruppen hat der Gesetzgeber durch die Einbeziehung in die Krankenversicherung das Vorliegen eines Schutzbedürfnisses anerkannt (§5 Abs1 Z2 ASVG und §471f ASVG). Beide Personengruppen haben bei Eintritt des Risikos der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit Anspruch auf einen vom Schutzzweck der Krankenversicherung umfassten Anspruch auf Einkommensersatzleistung.
Für beide Personengruppen bedeutet aber auch Arbeitslosigkeit einen Einkommensausfall. Geschützt vor Eintritt dieses Risikos wurde jedoch, obwohl beide Personengruppen auf Grund der Höhe ihres Einkommens krankenversichert sind, nur die Personengruppe, deren monatliches Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze aufgrund eines die Geringfügigkeit übersteigenden Beschäftigungsverhältnisses übersteigt, nicht aber jene, deren monatliches Einkommen aufgrund von mehreren geringfügigen Beschäftigungen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt.
Eine sachliche Rechtfertigung dafür, warum bei gleichem Schutzbedürfnis den geringfügig Beschäftigten, deren Einkommen aufgrund von mehreren geringfügigen Beschäftigungen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, kein Schutz vor dem Risiko der Arbeitslosigkeit eingeräumt wird, liegt nicht vor.
Nach einer dem antragstellenden Gericht vorliegenden Auswertung des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger führten im Jahr 2019 bei insgesamt 232.325 Personen die ausgeübten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zu einer Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung gemäß §471f ASVG bzw wurden diesen 232.325 Personen gemäß §53a ASVG Beiträge zur Kranken- und Pensionsversicherung vorgeschrieben.
Von diesen 232.325 Personen waren im Jahr 2019 insgesamt 31.090 Personen als mehrfach geringfügig Beschäftigte mit einer monatlichen Beitragsgrundlage über der Geringfügigkeitsgrenze und somit nach §471f ASVG versichert. 182.021 Personen übten neben einem vollversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis eine geringfügige Beschäftigung aus und waren als geringfügig Beschäftigte nach §53a ASVG versichert. 16.441 Personen haben beide Tatbestände erfüllt und waren somit nach §471f ASVG und §53a ASVG versichert. Bei weiteren 2.773 Fällen (sog Fehlerfälle), bei denen eine exakte Auswertung nicht möglich war, liegen die Voraussetzungen entweder nach §471f ASVG und/oder §53a ASVG vor.
Im Hinblick auf die hohe Zahl der potentiell Betroffenen ist somit auch nicht von einem bloßen Härtefall auszugehen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:
"I. Zur Rechtslage:
[…]
4. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§1 AlVG regelt, wer arbeitslosenversichert ist.
Gemäß §1 Abs1 lita AlVG sind Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, arbeitslosenversichert.
Ausgenommen von der Arbeitslosenversicherung sind Dienstnehmer gemäß §1 Abs2 litd AlVG dann, wenn sie nach der Höhe des Entgelts geringfügig beschäftigt sind.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, ist §5 Abs2 ASVG sinngemäß anzuwenden (§1 Abs4 erster Satz AlVG). Gemäß §5 Abs2 ASVG gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als 425,70 Euro gebührt. An die Stelle dieses Betrags tritt ab Beginn jedes Beitragsjahres (§242 Abs10 ASVG) der unter Bedachtnahme auf §108 Abs6 ASVG mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§108a Abs1 ASVG) vervielfachte Betrag. Für das (im Anlassverfahren relevante) Jahr 2018 galt eine Geringfügigkeitsgrenze von 438,05 Euro (vgl Art1 §2 Z1 der Kundmachung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und der Bundesministerin für Gesundheit und Frauen über die Aufwertung und Anpassung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz und dem Beamten‑Kranken- und Unfallversicherungsgesetz für das Kalenderjahr 2018, BGBl II Nr 339/2017).
Die Ausnahme geringfügig beschäftigter Dienstnehmer von der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß §1 Abs2 litd AlVG hat folgenden Hintergrund: Die Arbeitslosenversicherung soll vor Existenzproblemen des Versicherten schützen, die aus dem Risiko des Verlustes des Arbeitsplatzes resultieren. Für das Entstehen der Versicherungspflicht soll es daher grundsätzlich auf den existenzsichernden Charakter des zuvor verdienten Entgelts ankommen. Denn nur in diesem Fall erscheint die Unterhaltssicherung sozialpolitisch erforderlich. Zweck der Arbeitslosenversicherung ist es hingegen nicht, auch ein Erwerbseinkommen, das von vornherein nicht für die Existenzsicherung reicht, bei Wegfall teilweise zu ersetzen. Personen, die lediglich geringfügig beschäftigt sind, sind daher von der Versicherungspflicht ausgenommen.
Auch wenn das Entgelt aus mehreren geringfügigen Beschäftigungen in Summe die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitet, wird eine Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung – anders als in der Kranken- und Pensionsversicherung (vgl §5 Abs1 Z2 ASVG) – nicht begründet (vgl Zechner, §1 AlVG, in: Sdoutz/Zechner [Hrsg.], Arbeitslosenversicherungsgesetz. Praxiskommentar, 19. Lfg. 2022, Rz 106).
II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit
[…]
2. Der Bundesregierung sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die gegen die Zulässigkeit des Antrages und die Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung sprächen.
III. In der Sache:
[…]
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes steht der Gesetzgebung bei der Beurteilung sozialer Bedarfslagen und bei der Ausgestaltung der an diese Bedarfslagen anknüpfenden sozialen Maßnahmen sowohl ein weiter Beurteilungsspielraum als auch ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (vgl zB VfSlg 18.885/2009). Im Rahmen dieser rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit steht es der Gesetzgebung frei, Grenzen für die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen in eine Sozialversicherungspflicht zu ziehen und zu entscheiden, welche bisher nicht versicherten Berufsgruppen in die Sozialversicherungspflicht einbezogen werden (VfSlg 9551/1982, 14.842/1997). Die Gesetzgebung darf sich hiebei ua von der sozialen Schutzbedürftigkeit der betreffenden Personen- oder Berufsgruppe leiten lassen, wobei nicht die Ausnahme, sondern die typischen Fälle den Ausschlag geben sollen (vgl VfSlg 4688/1964, 11.469/1987, 16.007/2000). Der Verfassungsgerichtshof hat angenommen, dass diese Grundsätze auch für die Ausnahme einer Personengruppe von der Sozial- einschließlich der Arbeitslosenversicherungspflicht gelten (vgl den in VfSlg 17.070/2003 zitierten Prüfungsbeschluss).
4. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung geht die Bundesregierung davon aus, dass es in der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit der Gesetzgebung liegt, darüber zu entscheiden, ob Personen, die eine oder mehrere geringfügige Beschäftigungen ausüben, in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert sind. Der Gesetzgebung kann daher nach Ansicht der Bundesregierung von vornherein gleichheitsrechtlich nicht entgegengetreten werden, wenn sie sich entscheidet, geringfügig beschäftigte Dienstnehmer auch dann nicht in die Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung miteinzubeziehen, wenn ihr Einkommen aus mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt.
5. Entgegen der Auffassung des antragstellenden Gerichts unterscheidet sich auch die typische Schutzbedürftigkeit mehrfach geringfügig beschäftigter Dienstnehmer im Hinblick auf das Risiko der Arbeitslosigkeit von der typischen Schutzbedürftigkeit von Dienstnehmern, die nur in einem nicht geringfügigen Dienstverhältnis stehen:
Der sozialpolitische Zweck der Arbeitslosenversicherung besteht darin, ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen bei Wegfall teilweise zu ersetzen (siehe oben unter Punkt I.4). Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse werden aber typischerweise nicht eingegangen, um ein existenzsicherndes Erwerbseinkommen zu verdienen, sondern um zusätzliche Einkünfte neben der bereits anderweitig (etwa durch ein anderes Einkommen oder einen Unterhaltsanspruch) sichergestellten Existenzsicherung zu erzielen, dies auch dann, wenn eine Person in mehreren geringfügigen Dienstverhältnissen steht. Demgegenüber werden nicht geringfügige Beschäftigungsverhältnisse typischerweise eingegangen, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen.
Zumal nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit einer Personengruppe die typischen Fälle, nicht jedoch die Ausnahmen den Ausschlag geben sollen (siehe oben unter Punkt III.3.), erscheint es daher sachlich gerechtfertigt, Personen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen auch dann nicht in die Arbeitslosenversicherung einzubeziehen, wenn die daraus erzielten Entgelte zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze überschreiten.
6. Das antragstellende Gericht ist demgegenüber der Ansicht, dass die Gesetzgebung die Schutzbedürftigkeit von mehrfach geringfügig beschäftigten Personen, deren Einkommen zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet, durch ihre Einbeziehung in die Krankenversicherung gemäß §5 Abs1 Z2 ASVG anerkannt habe (vgl Seite 9 f des Antrags).
Dieses Argument geht nach Ansicht der Bundesregierung von vornherein ins Leere: Bei der Kranken- und Arbeitslosenversicherung handelt es sich um unterschiedliche Versicherungssysteme, die auch keinen identen Versicherungskreis haben (vgl Müller in Pfeil [Hrsg.], Der AlV‑Komm, 67. Lfg 2020, §1 Rz. 1). Aus dem Umstand, dass die Gesetzgebung eine bestimmte Personengruppe in die Krankenversicherung miteinbezogen hat, kann daher nicht abgeleitet werden, dass diese Personengruppe im Hinblick auf das Risiko der Arbeitslosigkeit ebenso schutzwürdig wäre. Auch gebietet der Gleichheitsgrundsatz keine einheitliche Regelung der Sozialversicherungssysteme (vgl VfSlg 13.634/1993).
Insoweit das antragstellende Gericht in diesem Zusammenhang den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Einkommensersatzleistung (gemeint ist wohl primär der Anspruch auf Krankengeld nach den §§138 bis 143 ASVG) ins Treffen führt, begnügt sich die Bundesregierung mit dem Hinweis, dass dieser Anspruch lediglich eine von vielen Leistungen (insbesondere der Sachleistungen) der Krankenversicherung ist, deren Anspruchsvoraussetzungen auch nicht jenen der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung entspricht.
7. Die Ausnahme mehrfach geringfügig Beschäftigter von der Arbeitslosenversicherung dient auch verwaltungsökonomischen Zwecken, da andernfalls bei jedem geringfügigen Einkommen von der Behörde geprüft werden müsste, ob dieses in der Arbeitslosenversicherung zu berücksichtigen ist.
Allenfalls müssten (nachträglich) Beitragszahlungen angeordnet werden, wobei aber fraglich wäre, wer diese Beiträge zu tragen hätte. Sollte die (nachträgliche) Beitragspflicht den Arbeitgeber treffen, wäre für diesen bei Abschluss eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses nicht vorhersehbar, ob er im Hinblick auf dieses Beschäftigungsverhältnis beitragspflichtig ist (genauer: gewesen sein wird), was unzumutbar erschiene.
8. Die Bundesregierung gibt ferner Folgendes zu bedenken:
In der Arbeitslosenversicherung werden Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit gewährt. Arbeitslos ist, wer – vereinfacht gesagt – eine Erwerbstätigkeit beendet hat und keine neue oder weitere Erwerbstätigkeit ausübt (vgl §12 Abs1 AlVG). Nicht als weitere Erwerbstätigkeit gilt eine geringfügige Beschäftigung (vgl §12 Abs6 lita AlVG).
Wenn Personen, die in mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen stehen und deren Einkommen insgesamt die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt, arbeitslosenversichert sein sollten, wäre fraglich, unter welchen Voraussetzungen in diesen Fällen der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit eintreten soll. Sollte dies dann der Fall sein, wenn ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis wegfällt und das Einkommen der Person aus diesem Grund insgesamt unter die Geringfügigkeitsgrenze sinkt? Oder sollte der Versicherungsfall dann eintreten, wenn die Person alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse verliert?
Die erste Lösung würde Fragen im Hinblick auf die Berechnung des Arbeitslosengeldes aufwerfen: Offenkundig nicht sachgerecht wäre es, wenn das Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Einkommens berechnet werden würde, das der Arbeitslose teilweise weiterhin bezieht. Es müssten daher Regelungen getroffen werden, die sicherstellen, dass das Arbeitslosengeld ausschließlich auf der Grundlage jenes geringfügigen Einkommens berechnet wird, das tatsächlich weggefallen ist. Dies hätte aber zur Folge, dass in solchen Fällen niedrige (jedenfalls nicht existenzsichernde) Beträge als Arbeitslosengeld ausgezahlt werden, was nicht dem Zweck der Arbeitslosenversicherung entspräche. Da sich außerdem das Einkommen des (mehrfach) geringfügig Beschäftigten auch während der Zeit der Arbeitslosigkeit ändern kann, müsste die Höhe des Anspruchs auf Arbeitslosengeld während dieser Zeit gegebenenfalls (und allenfalls auch wiederholt) angepasst werden, was zu großem Verwaltungsaufwand führen würde.
Die zweite Lösung wiederum (der zufolge der Versicherungsfall erst dann eintritt, wenn alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wegfallen) wäre mit dem Grundsatz des §12 Abs6 lita AlVG nicht vereinbar, wonach eine geringfügige Beschäftigung der Arbeitslosigkeit nicht schadet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nach Ansicht der Bundesregierung systemkonform, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse generell von der Arbeitslosenversicherung auszunehmen.
9. Das antragstellende Gericht ist der Auffassung, dass von der fraglichen Ausnahme Dienstnehmer in hoher Zahl potentiell benachteiligt seien und daher kein bloßer Härtefall vorliege (vgl Seite 10 des Antrags). Nach den Angaben im Antrag standen im Jahr 2019 insgesamt 31.090 Personen in mehrfach geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen mit einer monatlichen Beitragsgrundlage über der Geringfügigkeitsgrenze.
Das antragstellende Gericht zeigt damit aber nicht auf, dass es sich bei diesen Personen um Härtefälle handle. Denn die Nichteinbeziehung in die Arbeitslosenversicherung muss nicht zwangsläufig einen Nachteil bedeuten, sondern kann zur Vermeidung der Beitragspflicht gerade von Personen mit geringerem Einkommen auch erwünscht sein (dies auch dann, wenn der vom Arbeitnehmer zu tragende Arbeitslosenversicherungsbeitrag gemäß §2a des Arbeitsmarktpolitik‑Finanzierungsgesetzes, BGBl I Nr 315/1994, entfällt). Aufgrund den vom antragstellenden Gericht genannten Daten kann daher von vornherein nicht auf eine hohe Zahl von Härtefällen geschlossen werden.
Zudem weist die Bundesregierung darauf hin, dass im Jahr 2019 in Österreich insgesamt 3.729.439 Personen in Beschäftigungsverhältnissen standen (vgl Korn/Firzinger, Personenbezogene Statistiken 2019, SozSi 2020, 47 [48]). Jene 31.090 Personen, die in diesem Jahr mehrfach geringfügig beschäftigt waren und deren Einkommen zusammengerechnet die Geringfügigkeitsgrenze überschritten, machten also lediglich rund 0,83 % der Gesamtbeschäftigten aus. Entgegen der Ansicht des antragstellenden Gerichts ist daher auch nicht von einer hohen Zahl von Betroffenen auszugehen." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
4. Die Partei des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes anschließt und ihre in der Beschwerde aufgeworfenen Bedenken wiederholt.
IV. Zur Zulässigkeit
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
2.1. Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).
2.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.
2.3. Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).
2.4. Eine zu weite Fassung des Antrages macht diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Zunächst ist ein Antrag nicht zu weit gefasst, soweit das Gericht solche Normen anficht, die denkmöglich eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bilden und damit präjudiziell sind; dabei darf aber nach §62 Abs1 VfGG nicht offen bleiben, welche Gesetzesvorschrift oder welcher Teil einer Vorschrift nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes aus welchem Grund aufgehoben werden soll (siehe mwN VfGH 2.3.2015, G140/2014 ua; vgl auch VfGH 10.12.2015, G639/2015; 15.10.2016, G103‑104/2016 ua). Ist ein solcher Antrag in der Sache begründet, hebt der Verfassungsgerichtshof aber nur einen Teil der angefochtenen Bestimmungen als verfassungswidrig auf, so führt dies — wenn die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen — im Übrigen zur teilweisen Abweisung des Antrages (VfSlg 19.746/2013; VfGH 5.3.2014, G79/2013 ua).
2.5. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die für das antragstellende Gericht offenkundig keine Voraussetzung seiner Entscheidung im Anlassfall bilden und die somit nicht präjudiziell sind (insofern ist der Antrag zu weit gefasst), die mit den präjudiziellen (und nach Auffassung des antragstellenden Gerichtes den Sitz der Verfassungswidrigkeit bildenden) Bestimmungen aber vor dem Hintergrund der Bedenken in einem Regelungszusammenhang stehen, so ist zu differenzieren: Sind diese Bestimmungen von den den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden präjudiziellen Bestimmungen offensichtlich trennbar, so führt dies zur teilweisen Zurückweisung des Antrages. Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die mit den präjudiziellen, den Sitz der verfassungsrechtlichen Bedenken des antragstellenden Gerichtes bildenden Bestimmungen in einem so konkreten Regelungszusammenhang stehen, dass es nicht von vornherein auszuschließen ist, dass ihre Aufhebung im Fall des Zutreffens der Bedenken erforderlich sein könnte (sind diese Bestimmungen also nicht offensichtlich trennbar), so ist der Antrag insgesamt zulässig (VfSlg 20.111/2016). Dies gilt nach dem vorhin Gesagten aber keinesfalls dann, wenn Bestimmungen mitangefochten werden (etwa alle eines ganzen Gesetzes), gegen die gar keine konkreten Bedenken vorgebracht werden und zu denen auch kein konkreter Regelungszusammenhang dargelegt wird (VfSlg 19.894/2014; VfGH 29.9.2015, G324/2015; 15.10.2016, G183/2016 ua).
2.6. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet daher – vor dem Hintergrund der Bedenken und der Erforderlichkeit, die den Sitz der Bedenken bildenden Bestimmungen (bei geringstmöglichem Eingriff in den Gehalt der Rechtsordnung) zu ermitteln – über die Frage, ob gegebenenfalls auch Bestimmungen aufzuheben sind, die nicht präjudiziell sind, aber mit präjudiziellen Bestimmungen in einem untrennbaren Zusammenhang stehen (vgl zB VfSlg 19.939/2014, 20.086/2016), nicht im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrages, sondern im Einzelnen erst dann, wenn der Verfassungsgerichtshof, erweist sich der Antrag als begründet, den Umfang der aufzuhebenden Bestimmungen abzugrenzen hat.
3. Die einfachgesetzliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
3.1. §1 Abs1 lita AlVG bestimmt, dass Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind, grundsätzlich arbeitslosenversichert sind, soweit sie in der Krankenversicherung pflichtversichert sind oder Anspruch auf Leistungen einer Krankenfürsorgeanstalt haben.
3.2. Welche Dienstnehmer in der Krankenversicherung pflichtversichert sind, ergibt sich aus §§4 ff. ASVG: Gemäß §4 Abs1 Z1 ASVG sind die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer grundsätzlich vollversichert, sofern die betreffende Beschäftigung weder den Ausnahmen nach §§5 und 6 ASVG noch einer bloßen Teilversicherung nach §7 ASVG unterliegt.
3.3. Gemäß §5 Abs1 Z2 ASVG sind geringfügig beschäftigte Dienstnehmer nur dann von der Vollversicherungspflicht ausgenommen, wenn das im Kalendermonat bezogene Entgelt aus einem oder mehreren Beschäftigungsverhältnissen die Geringfügigkeitsgrenze des §5 Abs2 ASVG nicht übersteigt. Überschreitet das Entgelt aus zwei oder mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen die Geringfügigkeitsgrenze, so tritt Vollversicherungspflicht für alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ein (siehe VwSlg 15.995 A/2003).
3.4. Die nach §5 Abs1 Z2 ASVG von der Vollversicherung ausgenommenen geringfügig Beschäftigten sind gemäß §7 Z3 ASVG in der Unfallversicherung teilversichert.
3.5. Wer von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen ist, bestimmt §1 Abs2 AlVG. Gemäß §1 Abs2 litd AlVG sind jene Dienstnehmer von der Arbeitslosenversicherungspflicht befreit, die nach der Höhe des Entgelts geringfügig beschäftigt sind.
3.6. Gemäß §1 Abs4 Satz 1 AlVG ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, §5 Abs2 ASVG sinngemäß anzuwenden. Ausweislich der Materialien (Erläut zur RV der Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1958, 146 BlgNR 14. GP , 13 f.) hat dieser Verweis den Zweck, "die automatische Anpassung der Geringfügigkeitsgrenzen in der Arbeitslosenversicherung an die Geringfügigkeitsgrenzen in der Krankenversicherung sicherzustellen und somit eine jeweils gesonderte Novellierung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes in diesem Punkt zu vermeiden" (vgl auch R. Müller, §§1, 2 AlVG, in: Pfeil [Hrsg.], Der AlV‑Komm, 67. Lfg. 2020, Rz 47).
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Anfechtungsumfang zu eng gefasst:
4.1. Die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes sind von der Überlegung getragen, dass §1 Abs4 Satz 1 AlVG hinsichtlich der Geringfügigkeit nur auf §5 Abs2 ASVG verweist. Aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Verweises auf §5 Abs1 Z2 ASVG folgert das Bundesverwaltungsgericht, dass bei geringfügig Beschäftigten selbst dann keine Arbeitslosenversicherungspflicht eintritt, wenn das Entgelt aus mehreren geringfügigen Beschäftigungen in Summe die monatliche Geringfügigkeitsgrenze überschreitet und insofern eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach dem ASVG begründet wird (vgl idS auch Zechner, §1 AlVG, in: Sdoutz/Zechner [Hrsg.], Arbeitslosenversicherungsgesetz. Praxiskommentar, Bd. 1, 19. Lfg. 2022, Rz 106; Resch, Sozialrecht8, 2020, 154).
4.2. Die Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes beruhen somit auf der Auffassung, dass die durch §1 Abs1 AlVG hergestellte Verknüpfung von Arbeitslosen‑ und Krankenversicherungspflicht (arg. "soweit sie in der Krankenversicherung auf Grund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert sind"; vgl Tomandl, Arbeitslosenversicherung, 2019, Rz 3 f., 8, 31; R. Müller, aaO, Rz 1 und 49) bei mehrfach geringfügig Beschäftigten, die nach dem ASVG krankenversicherungspflichtig sind, durch §1 Abs4 Satz 1 AlVG durchbrochen wird.
5. Vor dem Hintergrund der formulierten Bedenken hätte das Bundesverwaltungsgericht daher §1 Abs4 Satz 1 AlVG mitanfechten müssen, um den Verfassungsgerichtshof – im Falle des Zutreffens der Bedenken – in die Lage zu versetzen, darüber zu befinden, auf welche Weise die Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann (vgl zB VfGH 17.6.2021, G251/2019 ua, mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hat aber ausschließlich die Wort- und Zeichenfolge "Dienstnehmer," in §1 Abs2 litd AlVG angefochten und damit den Anfechtungsumfang zu eng gewählt.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)