VfGH G219/2020 ua

VfGHG219/2020 ua1.10.2020

Gesetzwidrigkeit einer Bestimmung der COVID-19-Maßnahmenverordnung betreffend Betretungsverbote für Gastgewerbebetriebe mangels ausreichender Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen; Ablehnung eines auf Aufhebung gerichteten Antrags gegen eine Bestimmung des COVID-19-MaßnahmenG

Normen

B-VG Art18
B-VG Art139 Abs1 Z3
B-VG Art140 Abs1 Z1 litc
COVID-19-MaßnahmenG §1
COVID-19-MaßnahmenV BGBl II 96/2020 idF BGBl II 130/2020 §3
VfGG §7 Abs1, §57 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:G219.2020

 

Spruch:

I. 1. §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II Nr 96/2020, idF BGBl II Nr 130/2020 war gesetzwidrig.

2. Die als gesetzwidrig festgestellte Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.

II. Die Behandlung des Antrages auf Aufhebung des §1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz), BGBl I Nr 12/2020, idF BGBl I Nr 23/2020 wird abgelehnt.

III. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, der antragstellenden Partei zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG und Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG gestützten, zu G219/2020 und V417/2020 protokollierten Antrag begehrt die antragstellende Partei, §1 Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 als verfassungswidrig und §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (in der Folge: COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96), BGBl II 96/2020, idF BGBl II 162/2020 als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Der angefochtene §1 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 lautet:

"Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte

§1. Beim Auftreten von COVID-19 kann der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz untersagen, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. In der Verordnung kann geregelt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit jene Betriebsstätten betreten werden dürfen, die vom Betretungsverbot ausgenommen sind. Darüber hinaus kann geregelt werden, unter welchen bestimmten Voraussetzungen oder Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten werden dürfen."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 162/2020 lauten (der angefochtene §3 der Verordnung ist hervorgehoben):

"§1. Das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben ist untersagt.

 

§2. (1) §1 gilt nicht für folgende Bereiche:

1. öffentliche Apotheken

2. Lebensmittelhandel (einschließlich Verkaufsstellen von Lebensmittelproduzenten) und bäuerlichen Direktvermarktern

3.. Drogerien und Drogeriemärkte

4. Verkauf von Medizinprodukten und Sanitärartikeln, Heilbehelfen und Hilfsmitteln

5. Gesundheits- und Pflegedienstleistungen

6. Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen die von den Ländern im Rahmen der Behindertenhilfe–, Sozialhilfe–, Teilhabe– bzw Chancengleichheitsgesetze erbracht werden

7. veterinärmedizinische Dienstleistungen

8. Verkauf von Tierfutter

9. Verkauf und Wartung von Sicherheits- und Notfallprodukten

10. Notfall-Dienstleistungen

11. Agrarhandel einschließlich Schlachttierversteigerungen sowie der Gartenbaubetrieb und der Landesproduktenhandel mit Saatgut, Futter und Düngemittel

12. Tankstellen und angeschlossene Waschstraßen

13. Banken

14. Postdiensteanbieter einschließlich deren Postpartner, soweit diese Postpartner unter die Ausnahmen des §2 fallen sowie Postgeschäftsstellen iSd §3 Z7 PMG, welche von einer Gemeinde betrieben werden oder in Gemeinden liegen, in denen die Versorgung durch keine andere unter §2 fallende Postgeschäftsstelle erfolgen kann, jedoch ausschließlich für die Erbringung von Postdienstleistungen und die unter §2 erlaubten Tätigkeiten, und Telekommunikation.

15. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege

16. Lieferdienste

17. Öffentlicher Verkehr

18. Tabakfachgeschäfte und Zeitungskioske

19. Hygiene und Reinigungsdienstleistungen

20. Abfallentsorgungsbetriebe

21. KFZ- und Fahrradwerkstätten

22. Baustoff-, Eisen- und Holzhandel, Bau- und Gartenmärkte

23. Pfandleihanstalten und Handel mit Edelmetallen

24. Sportbetriebe zum Zweck der Nutzung nicht öffentlicher Sportstätten im Sinn des §5 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß §2 Z1 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes, BGBl II Nr 98/2020, in der jeweils geltenden Fassung.

(2) Die Ausnahmen nach Abs1 Z3, 4, 8, 9, 11, 22 und 23 sowie Abs4 gelten an Werktagen von 07.40 Uhr bis längstens 19.00 Uhr. Restriktivere Öffnungszeitenregeln aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

(3) Die Ausnahmen nach Abs1 Z2 gilt an Werktagen von 07.40 Uhr bis längstens 19.00 Uhr, sofern es sich nicht um eine Verkaufsstelle von Lebensmittelproduzenten handelt. Restriktivere Öffnungszeitenregeln aufgrund anderer Rechtsvorschriften bleiben unberührt.

(4) §1 gilt unbeschadet Abs1 nicht für den Kundenbereich von sonstigen Betriebsstätten des Handels, wenn der Kundenbereich im Inneren maximal 400 m² beträgt. Als sonstige Betriebsstätten des Handels sind Betriebstätten zu verstehen, die dem Verkauf, der Herstellung, der Reparatur oder der Bearbeitung von Waren dienen. Sind sonstige Betriebsstätten baulich verbunden (z. B. Einkaufszentren), ist der Kundenbereich der Betriebsstätten zusammenzuzählen, wenn der Kundenbereich über das Verbindungsbauwerk betreten wird. Veränderungen der Größe des Kundenbereichs, die nach dem 7. April 2020 vorgenommen wurden, haben bei der Ermittlung der Größe des Kundenbereichs außer Betracht zu bleiben.

(5) Abs1 gilt nur, wenn folgende Voraussetzungen eingehalten werden:

1. Mitarbeiter mit Kundenkontakt sowie Kunden eine den Mund- und Nasenbereich gut abdeckende mechanische Schutzvorrichtung als Barriere gegen Tröpfcheninfektion tragen; dies gilt nicht für Kinder bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr.

2. ein Abstand von mindestens einem Meter gegenüber anderen Personen eingehalten wird.

(6) Abs4 gilt nur, wenn zusätzlich zu den Voraussetzungen nach Abs5 der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sich maximal so viele Kunden gleichzeitig im Kundenbereich aufhalten, dass pro Kunde 20 m² der Gesamtverkaufsfläche zur Verfügung stehen; ist der Kundenbereich kleiner als 20 m², so darf jeweils nur ein Kunde die Betriebsstätte betreten.

(7) In den Bereichen nach Abs1 Z5 und 6 gelten

1. abweichend von Abs5 Z1 die einschlägigen berufs- und einrichtungsspezifischen Vorgaben und Empfehlungen, und

2. Abs5 Z2 und 3 nicht.

§3. (1) Das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe ist untersagt.

(2) Abs1 gilt nicht für Gastgewerbetriebe, welche innerhalb folgender Einrichtungen betrieben werden:

1. Kranken-und Kuranstalten;

2. Pflegeanstalten und Seniorenheime;

3. Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen einschließlich Schulen und Kindergärten;

4. Betrieben, wenn diese ausschließlich durch Betriebsangehörige genützt werden dürfen.

(3) Abs1 gilt nicht für Beherbergungsbetriebe, wenn in der Betriebsstätte Speisen und Getränke ausschließlich an Beherbergungsgäste verabreicht und ausgeschenkt werden.

(4) Abs1 gilt nicht für Campingplätze und öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn dort Speisen und Getränke ausschließlich an Gäste des Campingplatzes bzw öffentlicher Verkehrsmitteln verabreicht und ausgeschenkt werden.

(5) Abs1 gilt nicht für Lieferservice.

(6) Die Abholung vorbestellter Speisen ist zulässig, sofern diese nicht vor Ort konsumiert werden und sichergestellt ist, dass gegenüber anderen Personen dabei ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten wird."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die antragstellende Partei betreibe einen Gastronomiebetrieb (Restaurant) und sei sohin unmittelbar von dem in den angefochtenen Bestimmungen festgelegten Betretungsverbot für Betriebe des Gastgewerbes betroffen. Dieses greife in ihre verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsfreiheit, Unversehrtheit des Eigentums und Gleichheit vor dem Gesetz ein. Im angefochtenen §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 werde in Absatz 1 das Betreten von Gastgewerbebetrieben untersagt. In den Absätzen 2 bis 6 seien Ausnahmen für spezifische Gastgewerbe – wobei die antragstellende Partei von keiner dieser Ausnahmen erfasst werde – sowie für Fälle, in denen Speisen nicht am Ort des Gastgewerbes konsumiert werden, festgelegt. Ein anderer zumutbarer Weg, die Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, sei nicht gegeben.

In der Sache macht die antragstellende Partei geltend, die COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 normiere zwar in §1 ein Verbot, den Kundenbereich von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben zu betreten, sehe aber in §2 weitreichende Ausnahmen für gewisse Betriebsarten sowie für Betriebe, deren Kundenbereich im Inneren maximal 400 m2 betrage, vor und normiere diverse Hygienevorschriften, deren Einhaltung zum Betreten des Kundenbereiches berechtige. Für Gastronomiebetriebe gebe es hingegen solche Ausnahmen nicht. Dem Verordnungsgeber (sowie dem Gesetzgeber) sei zwar ein Spielraum dahingehend zuzugestehen, dynamisch auf aktuelle epidemiologische Entwicklungen zu reagieren, allerdings sei angesichts der Entwicklung – seit Mitte April 2020 sei das Niveau der Neuinfektionen konstant niedrig – kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass nach Maßgabe des §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 die dort genannten Betriebe bereits betreten werden dürften, während mit der Lockerung des generellen Betretungsverbotes im Bereich der Gastronomie bis Mitte Mai 2020 zugewartet werde. Es sei überschießend, mit der Lockerung zuzuwarten und das Betreten nicht wie bei anderen Betrieben unter Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsvorschriften, ähnlich denjenigen in §2 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96, zu gestatten. Die Beschränkung stelle zudem eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.

Eine unverhältnismäßige Beschränkung der Unverletzlichkeit des Eigentums resultiere ferner aus der fehlenden Entschädigung. Selbst unter der Annahme, dass im Falle umfassender Betriebsschließungen eine Entschädigungsleistung nicht geboten erscheine, sei sie jedenfalls dann geboten, wenn lediglich einzelne Betriebe zum Wohl der Allgemeinheit beschränkt würden und von diesen sohin ein "Sonderopfer" abverlangt werde. Das sei vorliegend hinsichtlich der Gastronomiebetriebe der Fall.

§1 COVID-19-Maßnahmengesetz ermächtige den Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (in der Folge: BMSGPK) "in bisher beispielloser Weise, das wirtschaftliche Leben zu regulieren und zu beschränken." Diese Verordnungsermächtigung sei zu unbestimmt und enthalte keine Ermessensdeterminanten. Ferner sehe das COVID-19-Maßnahmengesetz keine verpflichtenden Entschädigungsleistungen im Falle eines "Sonderopfers" vor.

Zudem liege ein Verstoß gegen den Vertrauensgrundsatz vor. §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 habe über 45 Jahre für den Fall, dass beim Auftreten übertragbarer Krankheiten einzelne Betriebe behördlich beschränkt oder Betriebsstätten geschlossen werden müssten, eine Entschädigung vorgesehen. Mit Erlass des COVID‑19-Maßnahmengesetzes sei schließlich die im Epidemiegesetz 1950 vorgesehene Entschädigungspflicht insbesondere durch §4 Abs2 COVID‑19-Maßnahmengesetz ausgehebelt worden. Hätte die antragstellende Partei gewusst, dass in dem Moment, in dem die gesetzlich vorgesehene Entschädigungspflicht schlagend werden würde, der Gesetzgeber dieser Bestimmung den Anwendungsbereich entziehen würde, hätte sie eine einschlägige Versicherung abgeschlossen.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie, teilweise unter Verweis auf die im Verfahren zu G180/2020 und G195/2020 erstatteten Äußerungen, die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den Bedenken der antragstellenden Partei auszugsweise wie folgt entgegentritt (ohne Hervorhebungen im Original):

"[…] In der Sache:

 

[…] Die Antragstellerin behauptet einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und bringt dazu im Wesentlichen vor, dass durch die §§1 und 2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes eine unsachliche Ungleichbehandlung von gleichen Tatbeständen bewirkt werde, da nach dem Epidemiegesetz 1950 für Verkehrsbeschränkungen eine Vergütung für den Verdienstentgang gebühre, nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz eine entsprechende Vergütung aufgrund der Betretungsverbote jedoch nicht vorgesehen sei. […]

 

Bei den §§1 und 2 COVID-19-Maßnahmengesetz handelt sich gegenüber den Anordnungen des Epidemiegesetzes 1950 um inhaltlich neue Regelungen, die auf die besondere Natur des Virus SARS-CoV-2 und auf die sich daraus ergebenden besonderen Herausforderungen abgestimmt sind. Zu diesem Zweck sind sie – im Gegensatz zu den Regelungen des Epidemiegesetzes 1950 – nur befristet bis zum Ende des Jahres 2020 in Kraft und nur insoweit anwendbar, als dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Insoweit gehen die Regelungsinhalte des COVID-19-Maßnahmengesetzes aber über jene des Epidemiegesetzes 1950 wesentlich hinaus:

 

[…] Im Besonderen ermöglicht §1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes bundesweite Verbote für das Betreten von Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen sowie Arbeitsorte, die unabhängig von der Gefährlichkeit des einzelnen Betriebes angeordnet werden können. Demgegenüber können aufgrund des §20 des Epidemiegesetzes 1950 (bloß) für bestimmte Gebiete Betriebsbeschränkungen oder Schließungen von Betriebsstätten angeordnet werden. Darüber hinaus setzt letztere Bestimmung voraus, dass in der betreffenden Betriebsstätte ein Gewerbe ausgeübt werden muss, das eine besondere Gefahr für die Ausbreitung von COVID-19 mit sich bringt, und dass durch die Aufrechterhaltung des Betriebs eine dringende und schwere Gefährdung der Betriebsangestellten selbst sowie der Öffentlichkeit überhaupt durch die Weiterverbreitung der Krankheit begründen würde. […]

 

Daneben wurden mit dem 'Corona-Hilfspaket' zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen getroffen, um die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bei den betroffenen Unternehmen auszugleichen, wie etwa die Ausweitung der Kurzarbeit, finanzielle Maßnahmen zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen, Zuschüsse aus dem Härtefallfonds sowie Entlastungen und Erleichterungen für Unternehmen aus abgaben- und steuerlicher Sicht. […]

 

Nach Auffassung der Bundesregierung erweisen sich daher die angefochtenen Bestimmungen insgesamt als sachlich gerechtfertigt.

 

[…] Die Antragstellerin behauptet, dass die §§1 und 2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes eine Verletzung des Vertrauensschutzes darstellen würden, da sie auf das Bestehen der Möglichkeit auf eine Vergütung für den Verdienstentgang nach dem Epidemiegesetz 1950 im Falle einer Epidemie und die dafür erforderliche Rücklagenbildung durch den Staat vertrauen durfte. […]

 

In den Erkenntnissen VfSlg 12.944/1991 und 13.655/1993 waren es jeweils besondere Umstände, die zu einer Gleichheitswidrigkeit der in Prüfung gezogenen generellen Normen geführt haben: Nicht schon der bloße Anreiz zu Dispositionen vermag ein vertrauensbildendes Moment zu sein, sondern erst der Anreiz zu konkreten Investitionen wie etwa zur Anschaffung lärmarmer LKW (VfSlg 12.944/1991) oder zur Bildung von Rücklagen (VfSlg 13.655/1993).

 

[…] Ein vergleichbarer Anreiz wurde mit dem Epidemiegesetzes 1950, dessen Nichtanwendbarkeit die Antragstellerin moniert, aber nicht geschaffen. Nach Auffassung der Bundesregierung erscheint es geradezu undenkbar, die Anordnungen des Epidemiegesetzes 1950 dahingehend zu verstehen: Der 'Anreiz' der damit geschaffen worden wäre, wäre nämlich jener, einen Gewerbebetrieb zu führen, der eine besondere Gefahr für die Ausbreitung einer Krankheit mit sich bringt, und sich dabei in Sicherheit zu wiegen, dass im Fall der Betriebsschließung der Verdienstentgang vergütet werde.

 

Dies zeigt deutlich, dass in solche Regelungen von vornherein kein Vertrauen besteht, wie im Allgemeinen in Regelungen, die sich auf unvorhersehbare Ereignisse beziehen, kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen besteht.

[…] Soweit sich die Antragstellerin gegen §4 Abs2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes wendet, übersieht sie, dass eine Vergütung des Verdienstentgangs gemäß §32 des Epidemiegesetzes 1950 voraussetzt, dass das Unternehmen 'gemäß §20 [des Epidemiegesetzes 1950] in seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist'. Die Aufhebung des §4 Abs2 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes hätte daher nicht zur Folge, dass die Antragstellerin auf Grund der bereinigten Rechtslage einen Anspruch auf Vergütung jenes Verdienstentgangs hätte, der ihr auf Grund der ebenfalls angefochtenen Verordnungen BGBl II Nr 96/2018 und BGBl II Nr 98/2020 entstanden ist; denn diese Verordnungen sind nicht in Vollziehung des Epidemiegesetzes 1950, sondern in Vollziehung des COVID-19-Maßnahmengesetzes ergangen.

 

[…] Außerdem besteht im gegenständlichen Fall keine Ungleichbehandlung der durch die Betretungsverbote betroffenen Unternehmer im Sinne eines 'Sonderopfers'.

 

[…] Im Übrigen verweist die Bundesregierung zur Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Bestimmungen, insbesondere zum Gewicht des öffentlichen Interesses des Gesundheitsschutzes im Zusammenhang mit COVID-19 und auf das Bestehen umfassender Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen, die mit dem 'Corona-Hilfspaket' getroffen wurden, sinngemäß auf die Ausführungen zur Sachlichkeit […].

 

[…] Zusammenfassend ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die behauptete Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums nicht vorliegt.

 

[…] Die Antragstellerin behauptet, dass §1 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes den Anforderungen des Art18 B‑VG nicht gerecht werde, weil dadurch dem Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz 'eine in keiner Weise an konkrete, nachvollziehbare und nachkontrollierbare Voraussetzungen gebundene Ermächtigung zu Betriebsschließungen in unbegrenztem Umfang erteilt' werde. Damit werde de facto ein Regieren mittels Notverordnungen ermöglicht.

 

[…] Es ist jedoch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfassungsgesetzlich zulässig, dass die Gesetzgebung den Organen der Vollziehung in Bezug auf die von ihnen zu erlassenden Rechtsakte Ermessen einräumt (vgl zB VfSlg 5810/1968, 12.399/1990, 12.497/1990, 16.625/2002). Dass die Gesetzgebung bei der Umschreibung der Kriterien, die für die Vollziehung zu beachten sind, auf unbestimmte Gesetzesbegriffe zurückgreift, wodurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf genommen werden, kann im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich sein, steht aber grundsätzlich im Einklang mit Art18 Abs1 B‑VG.

 

[…] Vor diesem Hintergrund wird §1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes den Anforderungen des Art18 B‑VG gerecht:

 

[…] §1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes zeichnet die wesentlichen Voraussetzungen ('Auftreten von COVID-19') und die zu verhängenden Maßnahmen ('Untersagung des Betretens von Betriebsstätten oder bestimmter Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen oder Arbeitsorte im Sinne des §2 Abs3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz') bestimmt vor. Die Regelung wird damit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu Art18 Abs2 B‑VG gerecht, wonach alle wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung aus dem Gesetze ersehen werden können müssen (vgl VfSlg 19.530/2011 mwN).

 

[…] Die Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ermöglicht dem zuständigen Bundesminister jeweils ein Vorgehen entsprechend den medizinisch-epidemiologischen Notwendigkeiten (dies auch unter Berücksichtigung etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit) und eine Abwägung mit entgegenstehenden Grundrechtspositionen. Zu Beginn der pandemischen Ausbreitung einer neuen Krankheit ist es unmöglich, alle denkbaren Entwicklungsmöglichkeiten und Fallvarianten präzise vorherzubestimmen. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Materie belässt §1 des COVID‑19-Maßnahmengesetzes dem zuständigen Bundesminister die notwendige Flexibilität zur bestmöglichen Beherrschung der tatsächlichen Herausforderungen, was sich auch daran erkennen lässt, dass §1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes den Bundesminister dazu ermächtigt, das Betreten von Betriebsstätten an Voraussetzungen und Auflagen zu binden, also gelindere Mittel im Vergleich zu Betriebsschließungen zu ergreifen. […]"

3. Der BMSGPK hat eine Äußerung erstattet, in der er die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den Bedenken der antragstellenden Partei insbesondere Folgendes entgegenhält (ohne Hervorhebungen im Original):

"Die Antragstellerin behauptet eine unsachliche Ungleichbehandlung von Betriebsstätten des Handels und Gaststätten im Sinne des §3 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020. Während für erstere in §2 Abs1 und §2 Abs4 (unter Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen, vgl §2 Abs5 und Abs6 leg.cit.) Ausnahmen vom generellen Betretungsverbot des §1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 vorgesehen seien, sei dies für letztere nicht der Fall. […]

 

Die Differenzierung zwischen den Betriebsstätten des Handels und solchen des Gastgewerbes ist vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Rechtslage seit Erlassung der Stammfassung der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 zu beurteilen: Aufgrund der epidemiologischen Situation und Risikobewertung […] war es zum Schutz der Gesundheit und des Lebens notwendig, flächendeckende Maßnahmen zur größtmöglichen Reduktion der sozialen Kontakte zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund normierte die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 weitreichende Betretungsverbote auf der Grundlage des §1 COVID-19-Maßnahmengesetz. Gemäß §2 Abs1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 waren vom allgemeinen Betretungsverbot des §1 leg. cit. Bereiche ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung dienen. §3 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 untersagte das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe, wobei §3 Abs2 bis Abs5 (mit BGBl II Nr 130/2020 auch Abs6) Ausnahmen vorsah.

 

[…] Die gewählte Regelungstechnik eines zeitlich befristeten, umfassenden Verbots mit Ausnahmen gewährleistete dabei unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit eine kontinuierliche Überprüfung der Erforderlichkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung der epidemiologischen Entwicklungen und etwaiger neuer Erkenntnisse über die Krankheit: So wurde die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 zunächst mit einer Woche befristet (§4 Abs3), mit der Verordnung BGBl II Nr 110/2020 wurde die Geltungsdauer unter Berücksichtigung des weiteren Infektionsanstiegs bis 13.4.2020 verlängert. Mit BGBl II Nr 151/2020 wurde die Befristung bis 30.4.2020 verlängert, wobei erste Lockerungen der Betretungsverbote mit 14.4.2020 erfolgten. Die Beschränkungen durch die Verordnung BGBl II Nr 96/2020 dienen dem Ziel der Verhinderung aller nicht unbedingt notwendigen sozialen Kontakte und liegen im gewichtigen öffentlichen Interesse des Gesundheitsschutzes.

 

[…] Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit von Maßnahmen im Sinne des §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz kommt es (sowohl bei der erstmaligen Verhängung als auch bei der Überprüfung ihrer Verlängerung) notwendiger Weise auf eine Beurteilung ex ante an. Im Rahmen der Gefährdungsprognose (vgl auch Kopetzki, Der Rechtsstaat funktioniert sehr gut, CuRe 2020/21) unterstützt das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) die Mitgliedstaaten bei ihrer Risikoeinschätzung und damit einhergehenden Maßnahmenplanung. In die Risikobewertung des ECDC fließen verschiedene zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbare internationale Quellen mit ein; diese geben einen Überblick zum jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft hinsichtlich der Erforschung der Erkrankung als auch hinsichtlich der Optionen zur Maßnahmensetzung, wobei zu betonen ist, dass die Situation eine dynamische ist und auf nationaler und internationaler Ebene ständig neu bewertet werden muss. Neben Empfehlungen der WHO und der ECDC fließen auch die Einschätzungen und Erkenntnisse der nationalen Expertinnen und Experten sowie die jeweils aktuelle Datenlage und Prognosen als Entscheidungsgrundlagen ein.

 

[…] Die 'Lockerungen' in Form von Ausnahmen zum allgemeinen Betretungsverbot nach §1 der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 wurden demgemäß stets unter Berücksichtigung der epidemiologischen Situation und Risikobewertung vorgenommen. Auch im Zeitpunkt der letzten Novellierung der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 durch BGBl II Nr 162/2020 (kundgemacht am 18.4.2020) erlaubte die epidemiologische Situation noch keine weitreichende 'Öffnung' des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Zum Zeitpunkt der Verordnungserlassung gab es 14.637 bestätigte Fälle (gemäß Einlangedatum) und 384 Todesfälle (ohne bestätigte Fälle mit anderer Todesursache, gemäß Einlangedatum). Auch wenn sich der Erfolg der bisher gesetzten Maßnahmen an rückläufigen neuen bestätigten Fällen pro Tag zeigte […], wurden zu rasche Lockerung der Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt als zu früh eingestuft. Im Zeitpunkt der letzten Novellierung war noch die Risikobewertung des ECDC vom 8.4.2020 aufrecht:

 

In der Risikobewertung des ECDC vom 8. April 2020 […] werden Fieber, Husten, Halsweh Abgeschlagenheit als häufigste Symptome genannt. Darüber hinaus mehrten sich weiterhin die Berichte über asymptomatische Fälle. Erste Schätzungen zur Schwere der Erkrankungen basierend auf damals vorhandenen epidemiologischen Daten aus EU/EWR-Staaten und UK ergaben:

 

 32 % aller Fälle wurden hospitalisiert (Daten von 26 Ländern)

 2,4 % aller Fälle verliefen kritisch (Daten von 16 Ländern)

 11 % der hospitalisierten Fälle (Daten von 21 Ländern) verliefen tödlich

 Die vorhandenen Daten zeigten ein erhöhtes Risiko der Hospitalisierung für über Sechzigjährige

 Die Anzahl der Todesfälle bei der Altersgruppe 65-79 Jahre lag bei 44 % und bei der Altersgruppe ab 80 bei 46%

 

Aufgrund der ECDC Risikobewertung vom 8.4.2020 ergab sich folgende Ausgangssituation:

 

 Das Risiko einer schweren Erkrankung im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion für Menschen in der EU / im EWR und im Vereinigten Königreich wurde für die allgemeine Bevölkerung als moderat und für ältere Erwachsene und Personen mit definierten Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, chronische respiratorische Erkrankungen, Übergewicht) als sehr hoch angesehen.

 Das Risiko des zunehmenden Auftretens einer 'Community Transmission' von COVID-19 in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als moderat, jedoch ohne Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

 Das Risiko einer Überlastung der Gesundheits- und Sozialsysteme in der EU/EWR und UK wurde mit gesetzten Eindämmungsmaßnahmen als hoch und ohne ausreichende Implementierung von Eindämmungsmaßnahmen als sehr hoch angesehen.

 

Die Implementierung von strengen Maßnahmen konnte in mehreren Ländern (darunter auch Österreich) beobachtet werden, was zu einer wesentlichen Reduktion der Transmission von Covid-19 geführt hat. In der damaligen Situation sollte weiterhin ein starker Fokus auf konsequentes Testen, Überwachungsstrategien (inkl. Kontaktpersonennachverfolgung), allgemeine Maßnahmen in der Bevölkerung (physical distancing), Stärkung des Gesundheitssystems und Information der Öffentlichkeit sowie des Gesundheitspersonales gesetzt werden.

 

Des Weiteren wurde festgehalten, dass solch strenge Maßnahmen gravierende gesellschaftliche Auswirkungen (ökonomisch und sozial) mit sich bringen. Laut dem Rapid Risk Assessment vom 8.4.2020 hätte aber eine frühzeitige Lockerung der Maßnahmen eine anhaltende Übertragung zur Folge gehabt. Bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs sind gewisse Maßnahmen im Bereich physical distancing für mehrere Monate notwendig, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Etwaige Lockerungen müssten behutsam und evidenzbasiert geplant werden. Die Lockerung aller Maßnahmen wurde zum damaligen Zeitpunkt als zu früh eingestuft. Aus diesem Grund sollten – unter Berücksichtigung der Besonderheiten von COVID-19 (insbesondere im Hinblick auf die Inkubationszeit) – bis Ende April 2020 zunächst allfällige Auswirkungen vor allem der Lockerungen durch BGBl II Nr 151/2020 evaluiert werden, bevor weitere größere Öffnungsschritte folgen konnten.

 

[…] Angesichts der weiterbestehenden Gefährdungslage galt es somit, die sozialen Kontakte zum Schutz der Gesundheit einerseits nicht zu schnell ansteigen zu lassen, andererseits einen Ausgleich mit den entgegenstehenden Grundrechten insbesondere der Erwerbsfreiheit zu schaffen.

 

[…] Vor diesem Hintergrund ist die Differenzierung zwischen Betriebsstätten des Handels und solchen der Gastgewerbe aufgrund von Unterschieden im Tatsächlichen gerechtfertigt:

 

Der Unterschied im Tatsächlichen zwischen Betriebsstätten des Handels und solchen des Gastgewerbes liegt im ungleich höheren Infektionsrisiko: So verweilen Gäste in Betriebsstätten des Gastgewerbes insbesondere länger als in einem Geschäft des Einzelhandels. Auch die mit dem Restaurantbesuch verbundenen Umstände (geselliges Beisammensein, verbale Interaktion) fördern die Verbreitung von Tröpfchen (vgl hierzu etwa die Ausführungen des VwG Hamburg vom 8. 5. 2020, 9 E1912/20). Dieser Unterschied ist im Hinblick auf das mit den Regelungen verfolgte Ziel der Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 ein wesentlicher. Anders als von der Antragstellerin behauptet, können auch gleichartige Schutzmaßnahmen wie in Betriebsstätten des Handels (vgl §2 Abs5 und §2 Abs6) in solchen des Gastgewerbes nicht sinnvoll eingehalten werden. Insbesondere scheitert das durchgehende Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes an der Unvereinbarkeit mit dem Hauptzweck des Restaurantbesuchs, dort Speisen und Getränke zu konsumieren. Zum einschlägigen Zeitpunkt gab es somit keine tauglichen gelinderen Mittel zur Erreichung des Ziels der Verhinderung der Verbreitung von COVID-19. Aufgrund des mit der Regelung verfolgten gewichtigen öffentlichen Interesses des Gesundheitsschutzes, und der engen zeitlichen Befristung wiegt im Ergebnis die Ungleichbehandlung der Betriebsstätten des Gastgewerbes mit jenen des Handels im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung weniger schwer als das damit verfolgte Ziel des Gesundheitsschutzes. […]"

IV. Erwägungen

A. Zum Antrag auf Aufhebung des §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96:

1. Der Antrag ist zulässig:

1.1. Mit ihrem auf Art139 Abs1 Z3 B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 162/2020 als gesetzwidrig aufzuheben. Im Zeitpunkt der Einbringung des Antrages beim Verfassungsgerichtshof, am 30. April 2020, stand die COVID-19-Maßnahmenverordnung-96 idF BGBl II 162/2020 in Kraft. Sie ist mit Ablauf des 30. April 2020 – gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Lockerungen der Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Verbreitung von COVID‑19 ergriffen wurden (COVID-19-Lockerungsverordnung), BGBl II 197/2020 – außer Kraft getreten (s §13 Abs2 Z1 COVID-19-Lockerungsverordnung).

1.2. Dass die antragstellende Partei §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung-96, dessen Absätze 1 bis 5 seit der Stammfassung, BGBl II 96/2020, und dessen Absatz 6 seit BGBl II 130/2020 nicht mehr geändert wurden, mit der zum Zeitpunkt der Antragstellung aktuellsten Fassung der COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 162/2020 bezeichnet, führt für sich allein nicht zur Unzulässigkeit des Antrages (vgl VfSlg 19.616/2012, 20.038/2016). Aus dem Antragsvorbringen ergibt sich offenkundig, welche Fassung angefochten wurde, sodass dem in §57 Abs1 erster Satz VfGG festgelegten Erfordernis einer genauen und eindeutigen Bezeichnung der als gesetzwidrig aufzuhebenden Verordnungsbestimmung Genüge getan ist.

1.3. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung der Antragslegitimation ist daher, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt.

Ein derartiger Eingriff ist nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen der antragstellenden Partei nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn der antragstellenden Partei kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg 13.944/1994, 15.234/1998, 15.947/2000).

Das Verbot des §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 greift unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre der antragstellenden Partei ein und es steht ihr – im Hinblick darauf, dass §3 Abs2 COVID‑19‑Maßnahmengesetz idF BGBl I 12/2020 Inhaber einer Betriebsstätte, die eine verbotene Betretung nicht untersagen, mit Verwaltungsstrafe bis zu € 30.000,– bedroht – kein anderer zumutbarer Weg offen, die behauptete Rechtswidrigkeit des Eingriffes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

Mit Blick auf die mit V411/2020 beginnende Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Juli 2020 schadet es auch nicht, dass §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten ist (vgl VfGH 14.7.2020, V411/2020; 14.7.2020, G202/2020 ua).

1.4. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfenden Verordnungsbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof schon wiederholt dargelegt hat (siehe nur VfSlg 20.161/2017 mwN) notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Verordnungsteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Verordnungsstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Normenprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl zB VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Die antragstellende Partei hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Die Bedenken der antragstellenden Partei richten sich gegen §3 Abs1 COVID‑19‑Maßnahmenverordnung-96. §3 Abs6 der Verordnung gestaltet dieses Verbot näher aus und steht damit mit §3 Abs1 der Verordnung ebenso in einem untrennbaren Zusammenhang wie die übrigen Absätze des §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96, die ausdrücklich an das Verbot des Absatz 1 anknüpfen.

Der Antrag ist auch nicht deswegen zu eng gefasst, weil das Bedenken, dass §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96 ein unsachliches bzw unverhältnismäßiges Betretungsverbot anordne, weil dieser, anders als das Epidemiegesetz 1950 für vergleichbare Maßnahmen, keine Entschädigung vorsehe, gegebenenfalls nur durch Aufhebung (auch) des §2 Abs4 COVID‑19-Maßnahmengesetz beseitigt werden könne. Denn, sollte der Verfassungsgerichtshof diese Bedenken gegen §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96 teilen, wäre er verhalten, von Amts wegen ein entsprechendes Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten (vgl VfSlg 17.782/2006; VfGH 14.7.2020, G202/2020 ua).

1.5. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag auf Aufhebung des §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung‑96 idF BGBl II 130/2020 als zulässig.

2. In der Sache:

Die antragstellende Partei bringt gegen §3 COVID-19-Maßnahmenverordnung‑96 zunächst im Wesentlichen dieselben Bedenken vor, wie sie die antragstellende Partei in dem beim Verfassungsgerichtshof zu V405/2020 protokollierten Verfahren dargelegt hat.

Der Verfassungsgerichtshof kann daher auf die diesbezüglichen Erwägungen zur Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Bestimmung im heutigen Erkenntnis zu dieser Zahl verweisen (siehe VfGH 1.10.2020, V405/2020). Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren, von der antragstellenden Partei gegen §3 COVID‑19-Maßnahmenverordnung-96 vorgebrachten Bedenken einzugehen.

B. Die Behandlung des Antrages, §1 COVID‑19‑Maßnahmengesetz idF BGBl I 23/2020 aufzuheben, wird abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B‑VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art140 Abs1b B‑VG vgl VfGH 14.7.2020, G180/2020 ua).

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2. Die antragstellende Partei behauptet, durch das in §1  COVID‑19-Maßnahmengesetz entschädigungslos vorgesehene Betretungsverbot unverhältnismäßig in ihren Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK) und Freiheit der Erwerbsausübung (Art6 StGG) beschränkt zu sein und ein "Sonderopfer" für die Allgemeinheit zu erbringen, das ohne Entschädigung nicht sachlich gerechtfertigt sei. Auch würde der Ausschluss der Entschädigungspflicht durch §1 COVID‑19-Maßnahmengesetz dem Vertrauensschutz widersprechen. Schließlich sei §1 COVID-19-Maßnahmengesetz zu unbestimmt und gebe dem Verordnungsgeber keine Ermessensdeterminanten für eine Interessenabwägung vor, wie sie für eine derart weitreichende Grundrechtsbeschränkung erforderlich wären.

3. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 14.7.2020, G202/2020 ua; 14.7.2020, V411/2020) lässt das Vorbringen der antragstellenden Partei die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat:

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits mit Erkenntnis vom 14. Juli 2020, G202/2020 ua, festgestellt hat, kommt dem Gesetzgeber in der Frage der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Wenn sich der Gesetzgeber – statt dem bestehenden Regime des §20 iVm §32 Epidemiegesetz 1950 – für ein alternatives Maßnahmen- und Rettungspaket entscheidet, so ist ihm aus der Perspektive des Gleichheitsgrundsatzes gemäß Art2 StGG sowie Art7 B‑VG nicht entgegenzutreten. Der Umstand, dass auf Grundlage des §20 Epidemiegesetz 1950 wegen COVID-19 geschlossene Betriebe vor Inkrafttreten des COVID‑19-Maßnahmengesetzes allenfalls einen Anspruch auf Vergütung des Verdienstentganges gemäß §32 Epidemiegesetz 1950 hatten, vermag eine unsachliche Differenzierung nicht aufzuzeigen.

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mit seiner Entscheidung vom 14. Juli 2020, V411/2020, ausgesprochen, dass er gegen §1 COVID-19-Maßnahmengesetz keine Bedenken im Hinblick auf Art18 Abs2 B‑VG hegt.

4. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung des – nicht auf das Vorliegen sämtlicher Prozessvoraussetzungen (siehe insbesondere die mit Entscheidung des VfGH jeweils vom 14.7.2020, G197/2020 ua; G180/2020 ua; G202/2020 ua; V411/2020; V396/2020 ua entschiedenen Sachen) geprüften – Antrages auf Aufhebung von §1 COVID-19-Maßnahmengesetz idF BGBl I 23/2020 abzusehen.

V. Ergebnis

1. §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 ist durch §13 Abs2 Z1 COVID-19-Lockerungsverordnung, BGBl II 197/2020, mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft getreten. Der Verfassungsgerichtshof hat sich daher gemäß Art139 Abs4 B‑VG auf die Feststellung zu beschränken, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 130/2020 gesetzwidrig war.

2. Die Behandlung des Antrages, §1 des Bundesgesetzes betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19 (COVID‑19-Maßnahmengesetz), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 23/2020 als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgelehnt.

3. Der Ausspruch, dass §3 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID‑19, BGBl II 96/2020, idF BGBl II 130/2020 nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 zweiter Satz B‑VG.

4. Der Ausspruch, dass der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur unverzüglichen Kundmachung der Gesetzwidrigkeit und des damit in Zusammenhang stehenden Ausspruches verpflichtet ist, kann hier entfallen, weil diese Verpflichtung bereits im heutigen Erkenntnis zu V405/2020 enthalten ist.

5. Diese Entscheidungen konnten gemäß §19 Abs4 VfGG bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

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