European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018190169.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er stellte am 28. Februar 2008 - nach eigenen Angaben zwei Tage nach seiner Einreise in Österreich - erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 zur Gänze ab und sprach aus, dass der Revisionswerber nach Nigeria ausgewiesen werde. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 28. Oktober 2008 als unbegründet ab.
2 Ein vom Revisionswerber im Jahr 2009 gestellter neuerlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen und der Revisionswerber neuerlich nach Nigeria ausgewiesen. Mit Bescheid vom 28. August 2009 erließ die Bundespolizeidirektion Linz ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gegen den Revisionswerber.
3 Am 29. Juni 2016 stellte der Revisionswerber, der das Bundesgebiet nicht verlassen hatte, einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz, den er nunmehr erstmals damit begründete, dass er homosexuell sei und deshalb bei einer Rückkehr nach Nigeria verfolgt würde. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - nach Zulassung des Verfahrens - den Antrag des Revisionswerbers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten ab. Unter einem erteilte das BFA keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt werde und gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen werde.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit zunächst geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob das BVwG verpflichtet gewesen sei, den Revisionswerber über die Möglichkeit zu belehren, die Einvernahme seines Lebensgefährten als Zeugen zu beantragen.
9 Mit diesen Ausführungen zeigt der Revisionswerber keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der nach § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anzuwendende § 13a AVG nicht dazu verpflichtet, die Partei zur Stellung bestimmter Beweisanträge anzuleiten (vgl. VwGH 31.3.2016, Ra 2016/07/0020, mwN).
10 Der Revisionswerber wendet sich unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit seiner Revision weiters gegen die Rückkehrentscheidung und die Erlassung des Einreiseverbotes und bringt dazu vor, in Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes des Revisionswerbers in Österreich "von über zehn Jahren" sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einem Überwiegen seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib im Inland auszugehen. Bei einer so langen Dauer des Aufenthaltes hätte auch der "unsichere Aufenthaltsstatus" nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Hinsichtlich der strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers habe es das BVwG unterlassen, "nähere Feststellungen" zu den Tathandlungen zu treffen und sein Wohlverhalten in den Jahren seit der letzten Verurteilung außer Acht gelassen.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel; das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. etwa VwGH 29.6.2017, Ra 2017/21/0075; 20.9.2017, Ra 2017/19/0276, jeweils mwN). Im vorliegenden Fall gelingt es dem Revisionswerber nicht, eine Unvertretbarkeit der vom BVwG vorgenommenen Interessenabwägung bzw. Gefährdungsprognose aufzuzeigen.
12 Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist und grundsätzlich nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, eine Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen werden kann (vgl. etwa VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0340, mwN). Diese zu mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalten entwickelte Judikatur wurde vom Verwaltungsgerichtshof - bei stärkerem Integrationserfolg - auch auf Fälle übertragen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mwN).
13 Der Revisionswerber übersieht aber, dass diese Rechtsprechungslinie nur Konstellationen betraf, in denen der Inlandsaufenthalt bereits über zehn Jahre dauerte und sich aus dem Verhalten des Fremden - abgesehen vom unrechtmäßigen Verbleib in Österreich - sonst keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ergab (VwGH 25.4.2014, Ro 2014/21/0054; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerber bereits viermal rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG - somit wegen des gewerbsmäßigen Überlassens von Suchtgiften - verurteilt; und zwar zunächst zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten, wobei die bedingte Strafnachsicht in der Folge widerrufen wurde, sowie in der Folge zu unbedingten Freiheitsstrafen in der Dauer von fünf Monaten, acht Monaten und vierzehn Monaten. Nach den Feststellungen des BVwG wurden diese Freiheitsstrafen zur Gänze verbüßt und verbrachte der Revisionswerber daher insgesamt 32 Monate in Strafhaft. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 23.2.2016, Ra 2015/01/0249, mwN).
14 Zudem durfte das BVwG - entgegen der Revision auch trotz der Dauer des Inlandsaufenthaltes - berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers im Inland zum ganz überwiegenden Teil unrechtmäßig war. Ein größeres Gewicht kann auch dem Verstoß gegen fremdenrechtliche Bestimmungen - hier der Nichtbeachtung des Aufenthaltsverbotes - beigemessen werden (vgl. VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0009, mwN). Im Übrigen tritt die Revision auch den Ausführungen des BVwG, der Revisionswerber habe in Österreich keine familiären oder sonstigen Bindungen und habe sich - mit der Ausnahme des Erwerbs eines Sprachzertifikats (Deutsch A1 Grundstufe Deutsch 1) - trotz seines langen Aufenthaltes im Inland sozial und beruflich nicht integriert (vgl. zu den in diesem Zusammenhang maßgeblichen Umständen VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005), nicht substantiiert entgegen.
15 Soweit der Revisionswerber sich auf sein Wohlverhalten in den Jahren seit seiner letzten Verurteilung beruft, ist dem zu entgegnen, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (vgl. zum Ganzen VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, mwN). Im vorliegenden Fall durfte das BVwG zu Lasten des Revisionswerbers insbesondere die massive Suchtgiftdelinquenz und den dreimaligen raschen Rückfall berücksichtigen.
16 Der Revision ist zuzugestehen, dass die Feststellungen des BVwG zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Revisionswerbers ausführlicher hätten ausfallen können. Dennoch kann dem Erkenntnis mit hinreichender Deutlichkeit entnommen werden, welche strafbaren Handlungen des Revisionswerbers der Beurteilung zugrunde gelegt wurden. Unter Beachtung, dass es die Revision in diesem Zusammenhang auch unterlässt darzulegen, welche ergänzenden Feststellungen das BVwG zu treffen gehabt hätte und weshalb diese zu einem anderen Ergebnis hätten führen können, gelingt es dem Revisionswerber daher nicht, eine Unvertretbarkeit der Gefährdungsprognose darzulegen (vgl. zu einem ähnlichen Fall VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0014, mit weiteren Hinweisen auf die Begründungserfordernisse einer Gefährdungsprognose hinsichtlich der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 10. September 2018
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