VwGH Ro 2016/22/0009

VwGHRo 2016/22/000917.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, in der Revisionssache der XD in Wien, vertreten durch Dr. Irene Binder, Rechtsanwältin in 1210 Wien, Ignaz Köck Straße 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 3. November 2015, VGW- 151/080/2213/2015-19, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
BFA-VG 2014 §9 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. Jänner 2015 wurde der Antrag der Revisionswerberin, einer chinesischen Staatsangehörigen, vom 12. Juli 2012 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 87/2012 abgewiesen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 3. November 2015 wurde die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet abgewiesen und der Revisionswerberin der Ersatz näher bestimmter Barauslagen für den zur mündlichen Verhandlung beigezogenen Dolmetscher auferlegt.

3 Das Verwaltungsgericht traf dabei folgende Feststellungen:

Die Revisionswerberin sei am 15. Mai 2005 in Österreich eingereist. Ihr Asylantrag vom 13. September 2005 sei erstinstanzlich mit Bescheid vom 28. Oktober 2006 und rechtskräftig in Verbindung mit einer Ausweisung mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 19. September 2011 abgewiesen worden. Zwischen Februar 2007 und Jänner 2009 sei sie wegen acht Übertretungen des Wiener Prostitutionsgesetzes mehrmals zu Geldstrafen verurteilt worden. Mit Urteil vom 21. Februar 2008 sei sie wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Mai 2009 sei gegen die Revisionswerberin ein auf fünf Jahre befristetes Rückkehrverbot verhängt worden, das mit Bescheid vom 23. September 2013 aufgehoben worden sei.

Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass das Bestehen einer eheähnlichen Beziehung mit dem in der mündlichen Verhandlung vernommenen österreichischen Staatsbürger E F nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden sei. Dies begründete das Verwaltungsgericht mit den sehr allgemein gehaltenen und teilweise voneinander abweichenden Aussagen der Revisionswerberin und des E F in der mündlichen Verhandlung sowie mit dem Umstand, dass die Revisionswerberin zwei Monate nach der Verhandlung offenbar in einem Frauenhaus aufhältig gewesen sei. Weiters ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Revisionswerberin über ihr Geburtsdatum wiederholt falsche Angaben gemacht und auf diese Weise die Ausstellung eines Heimreisezertifikates verhindert habe. Seitens der chinesischen Botschaft sei im Hinblick auf die Ausstellung eines Heimreisezertifikates mitgeteilt worden, dass nach Überprüfung die genannte Person (Revisionswerberin mit unrichtigem Geburtsdatum) an der angegebenen Adresse nicht existiere, sodass nicht bewiesen werden könne, dass sie chinesische Staatsangehörige sei.

Der Verhandlung habe sie ohne Beiziehung eines Dolmetschers nicht folgen können, eine Kommunikation in deutscher Sprache sei nicht möglich gewesen. Die Revisionswerberin sei in Österreich bisher keiner Beschäftigung nachgegangen, sie habe eine Einstellungszusage vom 31. März 2014 vorgelegt. Laut ihren Angaben werde ihr Lebensunterhalt von ihrem Lebensgefährten finanziert.

4 In seinen rechtlichen Erwägungen verwies das Verwaltungsgericht zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden. Die vorliegend lange Aufenthaltsdauer werde durch die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen (auf Grund einer illegalen Tätigkeit als Prostituierte), die gerichtliche Vorstrafe und das Rückkehrverbot relativiert. Zudem sei sie nach rechtskräftiger - in Verbindung mit einer Ausweisung ergangener - Abweisung ihres Asylantrages in Kenntnis des aufrechten Rückkehrverbotes im Inland verblieben und habe anlässlich von Befragungen zwecks Beschaffung eines Heimreisezertifikates offensichtlich falsche Angaben über ihr Geburtsdatum und ihre Heimatadresse gemacht. Sie habe daher ihren illegalen Aufenthalt bewusst prolongiert. Das Sprachzertifikat habe sie erst im Jahr 2014 beigebracht, zudem seien nur marginale Deutschkenntnisse wahrnehmbar gewesen. Unter Zugrundelegung dieser Umstände sei die Integration der Revisionswerberin als gering einzustufen. Das Verwaltungsgericht sah es nicht als gerechtfertigt an, daraus maßgebliche Gründe für einen Verbleib der Revisionswerberin in Österreich abzuleiten.

5 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit einem Abweichen von - näher zitierter - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weil es die Auffassung vertrete, dass die gegenständliche Sachverhaltskonstellation ungeachtet der mehr als zehnjährigen Aufenthaltsdauer nicht zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen führe.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

7 Die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht erstattete eine Revisionsbeantwortung.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision erweist sich aus den nachstehenden Gründen als unzulässig.

10 Die Revisionswerberin rügt in ihrer Revision, das Verwaltungsgericht habe es verabsäumt, "etwaige Unklarheiten" aufzuklären und die Revisionswerberin zu allen relevanten Themen zu befragen bzw. Feststellungen zu allen maßgeblichen Kriterien zu treffen. Dem ist zu entgegnen, dass eine Relevanz des damit behaupteten Verfahrensfehlers nicht aufgezeigt wird.

Soweit die Revisionswerberin - im Hinblick auf das (Nicht)Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft bzw. die unrichtige Angabe des Geburtsdatums - die Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht rügt, genügt der Hinweis, dass die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes nur in beschränktem Maße, nämlich nur hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit, nicht aber hinsichtlich ihrer Richtigkeit, einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof unterliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2016, Ra 2015/03/0068, mwN). Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes vermag die Revisionswerberin mit ihrem diesbezüglichen Vorbringen nicht aufzuzeigen. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung keine Lebensgemeinschaft der Revisionswerberin mit E F zugrunde gelegt hat und davon ausging, dass die Revisionswerberin im Verfahren zur Beschaffung eines Heimreisezertifikates falsche Angaben gemacht hat.

11 Ein Abweichen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von den von ihm diesbezüglich ins Treffen geführten hg. Erkenntnissen liegt schon deshalb nicht vor, weil hinsichtlich des Erkenntnisses vom 20. März 2012, 2011/18/0256, die jeweils zugrunde liegenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind und mit dem Erkenntnis vom 10. Mai 2011, 2011/18/0100, die Beschwerde gegen eine trotz elfeinhalbjähriger Aufenthaltsdauer ergangene Ausweisung abgewiesen wurde.

12 Zur Beurteilung, ob die Abwägung des Verwaltungsgerichtes gemessen an den vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Grundsätzen zur Interessenabwägung bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt vertretbar ist, ist gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2016/22/0005, Rz. 10 bis 16, hinzuweisen.

13 Ausgehend davon ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

14 Dem Verwaltungsgericht kann nicht entgegengetreten werden, wenn es die gegen die Revisionswerberin mehrfach verhängten Verwaltungsstrafen sowie die gerichtliche Verurteilung bei der Abwägung dem Grunde nach berücksichtigte. Weiters ist zu beachten, dass der Revisionswerberin mit Verhängung des Rückkehrverbotes kein Aufenthaltsrecht mehr zukam. Der Aufenthalt der Revisionswerberin war somit nur zu einem geringeren Teil (im Ausmaß von ca. vier Jahren) rechtmäßig. Zudem kann dem Verstoß gegen fremdenrechtliche Bestimmungen infolge der Nichtbeachtung des Rückkehrverbotes nach Erlassung der Ausweisung ein größeres Gewicht beigemessen werden (vgl. - im Zusammenhang mit der Missachtung eines Aufenthaltsverbotes - das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 2010, 2009/18/0429).

15 Vor allem aber hat das Verwaltungsgericht - gestützt auf die nicht zu beanstandenden diesbezüglichen Feststellungen - zu Recht berücksichtigt, dass die Revisionswerberin die Beschaffung eines Heimreisezertifikates durch unrichtige Angaben erschwert bzw. behindert hat und damit die Länge ihrer Aufenthaltsdauer zum Teil selbst herbeigeführt hat (vgl. zur Maßgeblichkeit unrichtiger Identitätsangaben, wenn sie für die Länge der Aufenthaltsdauer kausal waren, das hg. Erkenntnis vom 4. August 2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253, mwN).

16 Weiters durfte das Verwaltungsgericht die von ihm festgestellten mangelnden Deutschkenntnisse, die fehlenden familiären Bindungen und die fehlende berufliche Integration berücksichtigen. Soweit die Revisionswerberin in der Revision ins Treffen führt, nunmehr eine Beziehung mit Herrn P zu haben, steht einer Berücksichtigung dieses Umstandes das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot entgegen. Dem Vorbringen der Revisionswerberin über ihren engen Freundeskreis in Wien sowie ihre Teilnahme am sozialen Leben mangelt es an näherer Konkretisierung.

Angesichts der vorliegenden Sachverhaltskonstellation steht auch die Vorlage einer Einstellungszusage der Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für sich genommen nicht entgegen.

17 Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, dass ungeachtet der langen Aufenthaltsdauer der Fremden im Inland im vorliegenden Fall nicht von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen sei, erweist sich unter Berücksichtigung der dargestellten Parameter nicht als unvertretbar.

18 Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 17. Oktober 2016

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