VwGH 99/08/0116

VwGH99/08/011618.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der D in A, vertreten durch Dr. Gert Üblacker-Risenfels, Rechtsanwalt in Amstetten, Villenstraße 25, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 14. April 1999, Zl. LGS NÖ/JUR/12181/1999, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe gemäß §§ 10 und 38 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §10 Abs2;
AlVG 1977 §36 Abs5;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §10 Abs2;
AlVG 1977 §36 Abs5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 9. September 1998 nahm die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Amstetten mit der im Bezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführerin eine Niederschrift über das Nichtzustandekommen einer ihr zugewiesenen Beschäftigung beim Beschäftigungsprojekt "Frau + Arbeit" auf.

Die Beschwerdeführerin gab an, es sei ursprünglich der Arbeitsantritt für den 1. September 1998 vereinbart gewesen, die Beschwerdeführerin sei aber Ende August erkrankt. Nach ihrem Krankenstand habe sie sich am 4. September 1998 beim Arbeitsmarktservice gemeldet und bei "Frau + Arbeit" eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, wonach sie ab Montag (7. September 1998) zur Arbeit kommen würde. Da die Beschwerdeführerin erst am Sonntag Abend bemerkt habe, dass der Schulanfang schon am Montag und nicht erst am Dienstag sei, und sie für den Montag keine Betreuungsperson für ihre Tochter gehabt habe, sei sie erst gegen 10 Uhr zu "Frau + Arbeit" gekommen. Dort sei ihr gesagt worden, es müsse erst mit dem Arbeitsmarktservice abgeklärt werden und die Beschwerdeführerin werde verständigt.

Mit Bescheid vom 17. September 1998 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Amstetten aus, die Beschwerdeführerin habe den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 9. September 1998 bis zum 20. Oktober 1998 verloren und eine Nachsicht werde nicht erteilt. Diese Entscheidung gründete sich auf folgenden als erwiesen angenommenen Sachverhalt:

"Sie haben die Annahme einer Ihnen vom Arbeitsmarktservice Amstetten zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung beim Beschäftigungsprojekt Frau u. Arbeit vereitelt.

Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht liegen nicht vor."

In ihrer Berufung vom 5. Oktober 1998 brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe die mit Beginn 1. September 1998 zugewiesene Beschäftigung nicht termingerecht antreten können, weil sie am 28. August 1998 erkrankt und erst ab 7. September 1998 wieder arbeitsfähig gewesen sei, was sie dem Arbeitgeber auch unverzüglich mitgeteilt habe. Am 8. September 1998 (Dienstag) habe für die 8-jährige Tochter der Beschwerdeführerin die Schule beginnen sollen, weshalb die Mutter der Beschwerdeführerin, die selbst noch berufstätig sei, am Abend des 7. September 1998 aus Baden bei Wien habe anreisen sollen, um die ersten Schultage mit der Tochter der Beschwerdeführerin zu verbringen. Durch einen "glücklichen Zufall" habe die Beschwerdeführerin am Abend des 6. September 1998 in Erfahrung bringen können, dass die Schule für ihre Tochter nicht wie angenommen am 8. September, sondern bereits am 7. September 1998 um 7,30 Uhr beginnen werde. Da die Beschwerdeführerin alleinstehend sei und außer ihrer Mutter niemanden habe, der ihr bei der Betreuung und Beaufsichtigung ihrer Tochter behilflich sei, sei ihr keine andere Möglichkeit geblieben, als am Morgen des 7. September 1998 mit ihrer Tochter zur Schule zu gehen und sofort nach Schulschluss gemeinsam mit ihrer Tochter beim Arbeitgeber vorzusprechen und die Problematik zu erklären. Da das Ende dieses Schultages nicht genau festzustellen gewesen sei, habe es die Beschwerdeführerin nicht riskieren können, beim Arbeitgeber vorzusprechen, während ihre Tochter in der Schule war. Beim anschließenden Gespräch mit dem Arbeitgeber sei sie allerdings auf absolute Verständnislosigkeit und Intoleranz gestoßen. Die Beschwerdeführerin habe nicht die Annahme der ihr zugewiesenen Beschäftigung vereitelt, sondern sei lediglich ihrer Verpflichtung zur Beaufsichtigung ihrer minderjährigen Tochter nachgekommen. Sie könne sich auch nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber in einem solchen Fall keine andere Möglichkeit als den Verlust des Leistungsanspruches, der noch dazu das einzige Einkommen der Beschwerdeführerin darstelle, vorsehe. Die Beschwerdeführerin sei bisher in keiner Weise aufgefallen und ihren Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitsmarktservice immer nachgekommen. Sie habe außerdem keine ausreichende Gelegenheit gehabt, zu den Vorwürfen des Arbeitgebers Stellung zu nehmen.

Zu dieser Berufung verfasste die Sachbearbeiterin bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Amstetten eine "Stellungnahme" vom 12. Oktober, in der im Besonderen auch die Vorgeschichte des Nichtzustandekommens der zugewiesenen Beschäftigung aus der Sicht der regionalen Geschäftsstelle beschrieben wurde.

Am 16. November 1998 langte bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Amstetten eine Stellungnahme der "Arbeitsmarktpolitischen Betreuungseinrichtung Frau + Arbeit" ein, in der gleichfalls auf Einzelheiten des - aus der Sicht der Einrichtung - unverlässlichen Verhaltens der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem zunächst für den 1. und schließlich für den 7. September 1998 vorgesehenen Arbeitsantritt eingegangen wurde.

Am 30. November 1998 legte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Akt "ohne Ermittlungsverfahren" der belangten Behörde vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Nach einer Darstellung des Inhalts anzuwendender Rechtsvorschriften sowie des erstinstanzlichen Bescheides und des Vorbringens in der Berufung stellte die belangte Behörde "nach Erörterung der Sach- und Rechtslage" folgenden Sachverhalt fest:

"Aus der Aktenlage ist ersichtlich, dass die Berufungswerberin bereits im Juni 1998 die Zusage erhalten hat mit 01.09.1998 beim Beschäftigungsprojekt Frau und Arbeit anfangen zu können.

Da sich die Berufungswerberin in der Zeit vom 28.08.1998 bis 04.09.1998 im Krankenstand befand, wurde mir ihr am 04.09.1998 ein Arbeitsbeginn für 07.09.1998 vereinbart.

Am 07.09.1998 musste die Berufungswerberin sodann ihre Tochter zum Schulbeginn begleiten, weil sie für diesen Tag keine Betreuung organisiert hatte.

Die Berufungswerberin hat es jedoch unterlassen beim Beschäftigungsprojekt Frau und Arbeit anzurufen und ist erst um 10.00 Uhr in Begleitung ihrer Tochter erschienen.

Aufgrund dieses unverlässlichen Verhaltens der Berufungswerberin hat das Beschäftigungsprojekt sodann Abstand von einer Einstellung der Berufungswerberin genommen.

Weiters steht fest, dass sich die angebotene Beschäftigung am Wohnort der Berufungswerberin befunden hätte."

Diesen Sachverhalt würdigte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht zunächst wie folgt:

"Aufgrund des Umstandes, dass der Berufungswerberin bereits im Juni 1998 eine Arbeitszusage für September 1998 gemacht wurde, hätte die Berufungswerberin genügend Zeit für die Regelung der Betreuung ihrer Tochter gehabt.

Der Einwand der Berufungswerberin, dass sie zum vereinbarten Arbeitsbeginn daher nicht habe pünktlich erscheinen können ist somit unerheblich.

Wie weiters unbestritten feststeht, hätte sich die angebotene Beschäftigung am Wohnort der Berufungswerberin befunden."

Dem folgten im angefochtenen Bescheid noch Ausführungen darüber, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Beschäftigungen am Wohnort "auf die Versorgung von Familienangehörigen keinerlei Bedacht zu nehmen" sei. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht im Sinne des § 10 Abs. 2 AlVG (z.B. Arbeitsaufnahme binnen angemessener Frist) lägen nicht vor.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter näher umschriebenen Voraussetzungen: acht) Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. in diesem Sinn schon das Erkenntnis vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (so - ausgehend von dem hg. Erkenntnis vom 24. November 1992, Zl. 92/08/0132 - etwa das Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0219, und zahlreiche weitere Erkenntnisse).

Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG als Vereitelung zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich behandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. dazu schon die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042, Slg. Nr. 13.722/A, und vom 5. September 1995, Zl. 94/08/0050).

Gemäß § 10 Abs. 2 AlVG ist - u.a. bei Verweigerung oder Vereitelung der Annahme einer von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung - der Ausschluss vom Bezug des Arbeitslosengeldes "in berücksichtigungswürdigen Fällen, wie z. B. Aufnahme einer anderen Beschäftigung, ganz oder teilweise nachzusehen". Vor dieser Nachsicht sowie vor Erlassung einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 AlVG ist der Regionalbeirat anzuhören.

Berücksichtigungswürdig im Sinne dieser Bestimmung sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Gründe, die dazu führen, dass der Ausschluss vom Bezug der Leistung den Arbeitslosen aus bestimmten Gründen unverhältnismäßig härter trifft, als dies sonst ganz allgemein der Fall ist (vgl. in diesem Sinn das der ständigen Rechtsprechung zu § 10 Abs. 2 AlVG zugrunde liegende Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, Slg. Nr. 13.227/A). Der Verwaltungsgerichtshof hat bei der Formulierung dieser Rechtsansicht auf die bei Dirschmied, AlVG2, 85 und 223, gegebenen Hinweise verwiesen, wonach ein berücksichtigungswürdiger Grund auch vorliege, wenn der Ausschluss von der Leistung zu einer Gefährdung des notdürftigen Lebensunterhaltes des Arbeitslosen und seiner Familie führen würde, und im Übrigen die in der Notstandshilfeverordnung im Zusammenhang mit der individuellen Freigrenzenerhöhung demonstrativ umschriebenen "berücksichtigungswürdigen Fälle" auch bei der Nachsicht gemäß § 10 Abs. 2 AlVG zu beachten seien (vgl. in diesem Sinne das erwähnte Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, Slg. Nr. 13.227/A, und das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zlen. 94/08/0252, 95/08/0001; nunmehr Dirschmied, AlVG3, 104 und 267). Demnach wäre - unter Berücksichtigung der inzwischen eingetretenen Rechtsänderungen - abgesehen von dem in § 10 Abs. 2 AlVG erwähnten Beispielsfall der Aufnahme einer anderen Beschäftigung etwa auch auf die in § 36 Abs. 5 AlVG genannten berücksichtigungswürdigen Fälle "wie z.B. Krankheit, Schwangerschaft, Niederkunft, Todesfall, Hausstandsgründung und dgl." Bedacht zu nehmen (vgl. in diesem Zusammenhang nun im Einzelnen die bei Dirschmied, AlVG3, 487 ff, wiedergegebene Freigrenzenerhöhungsrichtlinie).

Außer Betracht zu bleiben haben nach dem zitierten Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, Slg. Nr. 13.227/A, die für die Prüfung der Zumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung maßgeblichen Umstände. In der weiteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurden - jeweils fallbezogen - u.a. die bloße Behauptung des Fehlens sonstiger Mittel (Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0042), der Bestand einer Einstellungszusage (Erkenntnisse vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0147, und vom 16. November 1993, Zl. 93/08/0233; vgl. auch das Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, Zl. 98/08/0035), das Bemühen um eine Beendigung der Arbeitslosigkeit (Erkenntnisse vom 8. Juni 1993, Zl. 93/08/0111, vom 4. Juli 1995, Zl. 95/08/0159, und vom 22. Dezember 1998, Zl. 98/08/0163), die finanzielle Belastung durch eine monatliche Leasingrate und sonstige Schulden in näher genannter Höhe (Erkenntnis vom 17. Jänner 1995, Zl. 94/08/0292), Sorgepflichten für jeweils ein Kind und/oder einen Ehegatten (Erkenntnisse vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0150, vom 27. Februar 1996, Zl. 95/08/0080, vom 20. Oktober 1998, Zl. 97/08/0585, vom 26. Jänner 2000, Zl. 95/08/0030, und vom 26. Jänner 2000, Zl. 98/08/0242) und zuletzt in einem Fall auch für fünf Kinder (Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/08/0137), die Gefährdung des eigenen Unterhalts (Erkenntnisse vom 20. Oktober 1998, Zl. 97/08/0585, und vom 22. Dezember 1998, Zl. 98/08/0163) sowie - im Zusammenhang mit § 122 Abs. 2 Z 2 ASVG - eine Zuckerkrankheit des Arbeitslosen (Erkenntnis vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0150) nicht als ausreichend erkannt, um die Nichtgewährung der Nachsicht als rechtswidrig erscheinen zu lassen. In Bezug auf Betreuungspflichten wurde ausgeführt, sie müssten zu einer gegenüber anderen Arbeitslosen unverhältnismäßigeren finanziellen Belastung führen (so das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zlen. 94/08/0252, 95/08/0001; vgl. hiezu den Hinweis auf die als Regelfall anzusehenden Sorgepflichten im Erkenntnis vom 16. Mai 1995, Zl. 94/08/0150).

Die - grundsätzlich gebotene - amtswegige Prüfung des Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 2 AlVG hat die Erörterung mit dem Arbeitslosen zu umfassen und sich auf die Gründe zu beziehen, die der Arbeitslose bekannt gibt oder für die es sonstige Hinweise in den Akten gibt. Fehlt es an Anhaltspunkten für allenfalls berücksichtigungswürdige Gründe, so führt auch der Verstoß gegen die Verpflichtung zur Anhörung des Regionalbeirates nicht zur Aufhebung des Bescheides (vgl. zu diesen Gesichtspunkten etwa die Erkenntnisse vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, Slg. Nr. 13.227/A, vom 16. Oktober 1990, Zl. 89/08/0141, Slg. Nr. 13.286/A, vom 4. Juli 1995, Zl. 95/08/0159, vom 21. September 1999, Zl. 96/08/0256, und vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0226).

§§ 9 und 10 AlVG sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde in mehrfacher Hinsicht gegen grundlegende Vorschriften des Verfahrensrechtes verstoßen, indem sie zunächst der Beschwerdeführerin weder zu dem am 16. November 1998 eingelangten Schreiben von "Frau + Arbeit" noch zur Stellungnahme der Behörde erster Instanz und den darin enthaltenen Vorwürfen das ihr gemäß § 45 Abs. 3 AVG zustehende Parteiengehör gewährte, und in weiterer Folge im angefochtenen Bescheid unter Verstoß gegen ihre Begründungspflichten gemäß §§ 60 und 67 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen nicht darstellte. Eine Beweiswürdigung enthält der angefochtene Bescheid nicht einmal ansatzweise.

Die Beschwerde greift diese Verfahrensfehler jedoch nicht auf und stellt den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt nicht in Frage. Behauptet wird die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides mit der Begründung, gemäß § 10 Abs. 2 AlVG sei der Ausschluss vom Bezug der Leistung in berücksichtigungswürdigen Fällen nachzusehen und im gegenständlichen Fall sei zweifelsfrei davon auszugehen, dass ein berücksichtigungswürdiger Fall vorliege. Hiezu wird im Wesentlichen wiederholt, die Beschwerdeführerin habe am Abend des 6. September 1998 (Sonntag), als sie - auf nicht näher beschriebene Weise - davon Kenntnis erlangt habe, dass die Schule für ihre Tochter am nächsten Tag beginne, niemanden mehr verständigen können und am Morgen des nächsten Tages ihre mütterliche Pflicht erfüllt. Hätte die Beschwerdeführerin die Absicht gehabt, die Annahme der Arbeit zu verweigern, so wäre sie - so das Vorbringen in der Beschwerde - beim zugewiesenen Arbeitgeber "überhaupt nicht erschienen". Die Beschwerdeführerin habe abzuwägen gehabt, ob die Bedürfnisse ihres minderjährigen Kindes wichtiger seien "als ca. zwei Stunden nach dem vereinbarten Arbeitsbeginn an der Arbeitsstelle zu erscheinen". Zweifelsfrei liege daher ein berücksichtigungswürdiger Grund im Sinne des § 10 Abs. 2 AlVG vor.

Diesen Ausführungen ist insofern, als sie sich (im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes, die Beschwerdeführerin sei in ihrem Recht auf Notstandshilfegewährung verletzt) auf § 10 Abs. 2 AlVG berufen, von vornherein nicht zu folgen. Sie stehen in keinem sachlichen Zusammenhang mit den Gründen, aus denen nach der dargestellten Judikatur eine Nachsicht im Sinne der erwähnten Bestimmung zu gewähren sein kann.

Im Rahmen des erwähnten Beschwerdepunktes hat der Verwaltungsgerichtshof aber auch zu prüfen, ob die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 AlVG ohne einen vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen aufzugreifenden Rechtsirrtum bejaht hat.

In diesem Zusammenhang ist angesichts der Ausführungen in der Beschwerde zunächst an die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu erinnern, wonach die Gesetzeslage bei der Zuweisung einer Beschäftigung am Wohnort des Arbeitslosen die rechtspolitisch - nach Stimmen in der Literatur und auch einem schon vor Jahrzehnten erstatteten Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes - erwartbare Bedachtnahme auf Versorgungspflichten des Arbeitslosen nicht zulässt (vgl. zuletzt etwa das Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0226, mit weiteren Nachweisen).

Diese Gesetzeslage ist im vorliegenden Fall aber nicht ausschlaggebend. Das der Beschwerdeführerin zugewiesene Beschäftigungsverhältnis ist nicht deshalb nicht zustande gekommen, weil es mit ihren Betreuungspflichten nicht vereinbar war. Was der Beschwerdeführerin nach den Feststellungen der belangten Behörde zur Last liegt, ist die Nichteinhaltung des erst am Freitag zuvor vereinbarten Termins für den Arbeitsantritt ohne jede - termingerechte - Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber, wobei von diesem schon aufgrund der mit der Beschwerdeführerin selbst aufgenommenen Niederschrift feststeht, dass er über einen Anrufbeantworter verfügt. Nach den Feststellungen der belangten Behörde hat dieses Verhalten der Beschwerdeführerin den potentiellen Dienstgeber wegen der darin zutage getretenen Unverlässlichkeit von einer Einstellung der Beschwerdeführerin abgehalten. Das mag - nicht nur dann, wenn die Beschwerdeführerin keine guten Gründe dafür nennen konnte, bis zuletzt an einen späteren Schulbeginn ihrer Tochter geglaubt zu haben - aus der Sicht des Dienstgebers eine dessen Interessen wahrende, erwartbare Reaktion gewesen sein, lässt den zumindest bedingten Vorsatz der Beschwerdeführerin, diese Reaktion durch ihr Verhalten herbeizuführen, aber nicht als so selbstverständlich erscheinen, dass sich Feststellungen darüber erübrigten. Die belangte Behörde hätte daher unter Einbeziehung der Vorgeschichte der schließlich nicht eingehaltenen Terminvereinbarung das Gesamtverhalten der Beschwerdeführerin würdigen und nachvollziehbar begründen müssen, dass der Beschwerdeführerin nicht nur - sei es auch grobe - Nachlässigkeit, sondern zumindest bedingter Vorsatz in Bezug auf das Nichtzustandekommen dieser Beschäftigung vorzuwerfen sei.

Die belangte Behörde hat dieses Erfordernis nicht erkannt und Feststellungen dazu unterlassen, weshalb ihr Bescheid - abgesehen von den zuvor aufgezeigten, sowohl die Begründung des angefochtenen Bescheides als auch das Ermittlungsverfahren betreffenden Verstößen gegen Verfahrensrecht - auch mit einem auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhenden Feststellungsmangel belastet ist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Oktober 2000

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