European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0639:2025:0060RA00061.24Y.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert, sodass er lautet:
„Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des bedingten Zahlungsbefehls des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. April 2024, GZ **, wird aufgehoben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.445,22 (darin enthalten EUR 240,87 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Zwischenstreits zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 1.805,46 (darin enthalten EUR 300,91 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Der ordentliche Revisionsrekurs nach § 528 Abs 1 ZPO ist nicht zulässig.
BEGRÜNDUNG:
Mit Mahnklage vom 4. April 2024 begehrte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von EUR 27.852,13 (brutto) samt Anhang an ausstehenden Entgelt, Überstundenentlohnung, Zuschlägen, anteiligen Sonderzahlungen, Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung. Begründend brachte er vor, vom 3. Juli bis 10. November 2023 bei der Beklagten als Küchenchef beschäftigt gewesen zu sein. Als kollektivvertragliches Mindestentgelt gebührten ihm monatlich EUR 2.350,00 brutto. Die Beklagte habe ihm am 15. Oktober 2023 überraschend mitgeteilt, dass sie ihren Betrieb mit Ende Oktober 2023 schließen werde und habe ihn mit 10. November (richtig) 2023 bei der ÖGK abgemeldet. Dem Kläger gebühre eine Kündigungsentschädigung bis zum 31. Dezember 2023. Er habe nur EUR 1.600,00 netto ausbezahlt bekommen. Am 8. April 2024 wurde der bedingte Zahlungsbefehl antragsgemäß erlassen. Die Zustellung ist durch Hinterlegung zur Abholung ab 17. April 2024 ausgewiesen.
Mit dem am 3. Juni 2024 zur Post gegebenen Einspruch brachte die – nicht qualifiziert vertretene – Beklagte vor, dass der Kläger sein Entgelt vollständig – teilweise in bar – bekommen habe. Die Beklagte sei ein reiner Sommerbetrieb, sodass der Geschäftsführerin die Hinterlegungsanzeige wegen Ortsabwesenheit erst am 6. Mai 2024 zugekommen sei.
Mit Beschluss vom 10. Juni 2024 beraumte das Erstgericht die vorbereitende Tagsatzung für den 4. September 2024 an. Mit Beschluss vom 13. Juni 2024 trug es der Beklagten auf, ihren als Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit zu qualifizierenden Antrag durch Vorbringen, ob ihre Geschäftsführerin C* ortsabwesend gewesen sei, zu verbessern und für diesen Fall einen entsprechenden Nachweis vorzulegen. Vor Entscheidung über den Antrag der Beklagten auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls sei zu prüfen, ob die Geschäftsführerin ortsabwesend gewesen sei und, ob sie allenfalls ein Organisationsverschulden hinsichtlich der Zustellung des Zahlungsbefehls zu verantworten habe. Weiters sei zu prüfen, ob das Zustellorgan von der Ortsanwesenheit im Sinne des § 16 Abs 1 ZustG habe ausgehen dürfen. Mit Beschluss ebenfalls vom 13. Juni 2024 wurde die vorbereitende Tagsatzung vom 4. September 2024 abberaumt. Die Erstrichterin habe übersehen, dass der Zahlungsbefehl der Beklagten bereits am 16. April 2024 durch Hinterlegung zugestellt worden sei.
Die Beklagte brachte vor, dass der Seewirt über den Winter geschlossen sei. Üblicherweise erfolge die Saisoneröffnung mit Mai. Der Betrieb habe 2024 aber aufgrund einer Anordnung der Bezirkshauptmannschaft nicht geöffnet werden dürfen. Von der Behörde sei für den 7. Mai 2024 ein Überprüfungstermin angesetzt worden. Die Geschäftsführerin der Beklagten sei am Tag zuvor zum Betrieb gefahren, um Vorbereitungen für den Termin zu treffen. Dabei habe sie den „gelben Zettel“ vorgefunden und den bedingten Zahlungsbefehl noch am selben Tag bei der Post abgeholt. Zuvor sei sie zuletzt am Osterwochenende Anfang April auf der Seewirtliegenschaft gewesen. Außerhalb des Saisonbetriebs halte sich auch sonst niemand auf der Liegenschaft auf. Die Geschäftsführerin der Beklagten habe ihren Wohnsitz in **.
Mit Beschluss vom 20. Juli 2024 beraumte das Erstgericht eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung zum Thema der gesetzmäßigen Zustellung des Zahlungsbefehls für 13. September 2024 an. In dieser beantragte der Kläger – erkennbar – die Abweisung des Antrags auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit. Sollte die Zustellung wegen Ortsabwesenheit der Geschäftsführerin der Beklagten tatsächlich unwirksam gewesen sein, so liege jedenfalls ein Organisationsverschulden auf Seiten der Beklagten vor. Die Beklagte sei nämlich bereits am 14. November 2023 von der Arbeiterkammer über die gegenständlichen Ansprüche informiert worden. Auch dieses Schreiben sei an die im Firmenbuch eingetragene Adresse der Beklagten zugestellt worden. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2023 habe die Geschäftsführerin der Beklagten die Ansprüche nicht anerkannt und um Fristerstreckung ersucht. In einem weiteren Schreiben der Arbeiterkammer vom 8. Jänner 2024 sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass nach Ablauf der erstreckten Frist Klage eingebracht werde. Die Beklagte habe daher mit dem Zugang der Klage rechnen müssen. Außerdem habe auch in den Wintermonaten keine Ortsabwesenheit vorgelegen. Aus der Homepage der Beklagten sei nämlich ersichtlich, dass die Appartements auch in den Wintermonaten gemietet werden könnten, sodass auch in diesen Monaten ein Geschäftsbetrieb vorliege.
Mit dem angefochtenen Beschluss weist das Erstgericht den Antrag der Beklagten auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls vom 8. April 2024 ab und verpflichtet die Beklagte zum Kostenersatz an den Kläger in Höhe von EUR 1.445,22.
Dazu trifft es nach Einvernahme der Geschäftsführerin der Beklagten und des Zustellorgans folgende Feststellungen:
„Der Betrieb der Beklagten ist im Winter geschlossen. Der Post ist als Zustelladresse nur „**“ bekannt. Die Beklagte hat gegenüber der Post keine Veranlassung für die Zustellung an eine andere Adresse für die Zeiten, währenddessen der Betrieb geschlossen ist (Nachsendeauftrag) getroffen bzw wurde der Post auch nicht mitgeteilt, dass im Winter nicht zugestellt werden darf.
Der zuständige Zusteller stellt seit drei Jahren die Post bei der Beklagten zu, indem er die Post in den Briefkasten an der Adresse der Beklagten einlegt; dies ungeachtet der Kenntnis, dass diese nur im Sommer geöffnet hat. Der Briefkasten wird immer wieder entleert und war es nie der Fall, dass der Briefkasten überfüllt gewesen ist. Die Beklagte erhält keine Werbebroschüren. Im Winter erhält die Beklagte wenig Post, weshalb die Geschäftsführerin der Beklagten den Briefkasten nicht in regelmäßigen Abständen entleert.
Der Beklagten wurde am 14. November 2023 ein Schreiben der Arbeiterkammer Kärnten über die gegenständlichen Ansprüche übermittelt, welches die Geschäftsführerin der Beklagten erhielt und am 5. Dezember 2023 darauf antwortete. Zuletzt übermittelte die Arbeiterkammer Kärnten der Beklagten am 8. Jänner 2024 wieder ein Schreiben, in dem im Falle der Nichtzahlung ausdrücklich auf die klageweise Geltendmachung der Ansprüche beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht hingewiesen wurde.“
Rechtlich führt das Erstgericht aus, dass gemäß § 13 Abs 1 ZustG dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen sei. Sei der Empfänger keine natürliche Person, so sei das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung sei dies jeder Geschäftsführer, der für die Gesellschaft zu zeichnen berechtigt sei. Könne das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und habe der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte, so sei das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle zu hinterlegen. Von der Hinterlegung sei der Empfänger schriftlich zu verständigen. Dokumente würden als nicht zugestellt gelten, wenn sich ergebe, dass der Empfänger oder dessen Vertreter wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis habe erlangen können, doch werde die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben hätte werden können. Zwar habe der Zusteller gewusst, dass der Betrieb der Beklagten im Winter geschlossen sei, doch habe er aus dem Umstand, dass die Post immer wieder aus dem Briefkasten entnommen worden sei, abgeleitet, dass die Geschäftsführerin der Beklagten sich regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Er habe sohin von der Ortsanwesenheit der Vertreterin der Empfängerin ausgehen können.
Nach der Rechtsprechung sei aber davon auszugehen, dass für die Zulässigkeit der Hinterlegung nicht der subjektive Eindruck des Zustellers entscheidend sei. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob sich der Empfänger tatsächlich regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte.
Der Betrieb der Beklagten sei zum Zeitpunkt der Zustellung am 15. April 2024 geschlossen gewesen. Die Geschäftsführerin der Beklagten sei ortsabwesend gewesen.
Sie habe dennoch ein Organisationsverschulden zu verantworten, weil sie trotz ihrer Abwesenheit über einen langen Zeitraum (den ganzen Winter) nicht sichergestellt habe, was mit der an die Beklagte adressierten Post passiere. Es wäre der Geschäftsführerin der Beklagten zumutbar gewesen, einen Nachsendeauftrag bei der Post einzurichten; dies auch vor dem Hintergrund, dass sie vor Jahren die Post angewiesen habe, die Zustellung von Werbematerial einzustellen. Die Geschäftsführerin der Beklagten habe selbst mehrmals betont, dass sie nicht im Betrieb wohne und daher nicht in regelmäßigen Abständen den Briefkasten entleere. Leitungsorgane eines Unternehmens seien verpflichtet, Betriebsvorgänge so einzurichten, dass rechtliche Vorschriften und Sorgfaltspflichten eingehalten und Rechtsgüter Dritter möglichst nicht beeinträchtigt würden. Fehlende Vorkehrungen für die Zustellung der Post während der Zeiten, in denen der Betrieb geschlossen sei, seien eine Verletzung der Sorgfaltspflicht und stellten weiters einen Mangel bei der Organisation des Betriebs dar. Daran treffe die Geschäftsführerin der Beklagten ein Verschulden. Aufgrund der Schreiben der Arbeiterkammer habe sie gewusst, dass eine Klage bevorstehe. Diesem Umstand hätte sie Rechnung tragen müssen, indem sie den Briefkasten in regelmäßigen Abständen entleeren oder einen Nachsendeauftrag bei der Post erteilen hätte müssen. Die Berufung auf eine Ortsabwesenheit des Empfängers für eine nicht nur vorübergehende Ortsabwesenheit, ohne Vorkehrungen, wie beispielsweise einen Nachsendeauftrag zu erteilen, zu treffen, würde dazu führen, dass sich ein Empfänger bzw ein Unternehmensträger seiner Sorgfaltspflicht entziehen könne, ohne mit widrigen Folgen rechnen zu müssen. Sohin könnte sich jeder Saisonbetrieb darauf berufen, was die Verfahrensökonomie und die Effektivität des Rechtsschutzsystems erheblich schwächen würde. Die Beklagte müsse sich das Organisationsverschulden anrechnen lassen und trage die Folgen der abgelaufenen Einspruchsfrist. Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit sei gesetzmäßig erteilt worden, weshalb der Antrag der Beklagten abzuweisen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten aus den Rechtsmittelgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
In ihrer Beweisrüge wendet sich die Beklagte gegen folgende in der rechtlichen Beurteilung enthaltene Ausführung des Erstgerichts:
„Zwar wusste der Zusteller, dass der Betrieb der beklagten Partei im Winter geschlossen ist, doch leitete er aus dem Umstand, dass die Post immer wieder aus dem Briefkasten entnommen wurde, ab, dass die Geschäftsführerin der beklagten Partei sich regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.“
Ersatzweise will sie zusammengefasst festgestellt wissen, dass der Zusteller an die tatsächliche Situation vor Ort keine Erinnerung mehr habe und für ihn nicht feststellbar gewesen sei, ob der Briefkasten während der Betriebsschließung im Winter entleert werde.
Entgegen der Annahme der Beklagten fehlt den dieser Art bekämpften Ausführungen des Erstgerichts erkennbar der Feststellungscharakter. Es handelt sich vielmehr um Schlussfolgerungen, die auf den eigentlichen Tatsachenfeststellungen aufbauen.
Davon abgesehen ist darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung der Tatfrage im Rekursverfahren auf Feststellungen beschränkt ist, die entweder aufgrund mittelbarer Beweisaufnahme oder aufgrund von Urkunden getroffen wurden. Immer dann, wenn das Erstgericht Parteien oder Zeugen vernommen hat und die Feststellungen auch darauf stützt, der unmittelbare Eindruck aufgenommener Beweise also ausdrücklich oder doch zumindest erkennbar in die Beweiswürdigung eingeflossen ist, ist die Bekämpfung der Tatsachenfeststellung unzulässig (RIS-Justiz RS0041866, RS0044018, Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 526 ZPO Rz 5 mwN).
Hier hat das Erstgericht vor Beschlussfassung in einer mündlichen Verhandlung die Geschäftsführerin der Beklagten und den Zusteller unmittelbar einvernommen. Die auf diesen unmittelbaren Beweisaufnahmen fußenden Feststellungen können durch eine Beweisrüge im Rekursverfahren nicht angefochten werden.
Das Rekursgericht ist daher an die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts gebunden und legt diese seiner Entscheidung zugrunde.
Auch ausgehend vom festgestellten Sachverhalt kommt der Rechtsrüge Berechtigung zu.
Zu den von der Beklagten begehrten Zusatzfeststellungen ist vorweg darauf hinzuweisen, dass sekundäre Feststellungsmängel nur dann vorliegen, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RIS-Justiz RS0053317). Hier reichen die getroffenen Feststellungen zur abschließenden rechtlichen Beurteilung aus.
Dass es sich bei der Beklagten um einen Sommerbetrieb handelt, steht mit hinreichender Deutlichkeit fest („der Betrieb der Beklagten ist im Winter geschlossen“). Dass der Beklagten die Hinterlegungsanzeige am 6. Mai 2024 zugekommen ist, wurde vom Kläger nicht bestritten. Dass die Geschäftsführerin der Beklagten den bedingten Zahlungsbefehl am 6. Mai 2024 ausgefolgt erhielt, ist aktenkundig. Das Erstgericht stellt dazu – formell zwar im Rahmen der rechtlichen Beurteilung – aber eindeutig als Sachverhaltswiedergabe erkennbar (was auch der Kläger erkennt [Seite 2 der Rekursbeantwortung]) – fest, dass die Geschäftsführerin der Beklagten am 15. April 2024 (Tag der Zustellung) und über einen langen Zeitraum (den ganzen Winter) ortsabwesend war ( Seite 4 vorletzter Absatz des Beschlusses). Ob das (zweite) Schreiben der Arbeiterkammer vom 8. Jänner 2024 der Geschäftsführerin der Beklagten vor dem 6. Mai 2024 zugekommen ist oder nicht (die Beklagte beantragt diesbezüglich eine Negativfeststellung), ist nicht von Relevanz.
Abgesehen davon vertritt die Beklagte in ihrer Rechtsrüge den Standpunkt, dass für die Zulässigkeit der Hinterlegung nicht der subjektive Eindruck des Zustellers entscheidend sei. Maßgeblich sei vielmehr, ob sich der Empfänger tatsächlich regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Wenn das Erstgericht von einem Organisationsverschulden der Beklagten ausgehe, weiche es zum einen von der Judikatur ab, zum anderen gebe es dafür auch keine Feststellungen.
Die Kritik der Beklagten ist berechtigt.
Gegen die im gerichtlichen Verfahren erteilte Bestätigung der Vollstreckbarkeit steht der Rechtsbehelf des § 7 Abs 3 EO offen. Zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung hat es dann zu kommen, wenn diese „gesetzwidrig oder irrtümlich“ erteilt wurde, die Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels also zu Unrecht angenommen wurde. Gesetzwidrig wurde sie erteilt, wenn sie schon nach der Aktenlage, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Erteilung vorlag, nicht hätte erteilt werden dürfen. Irrtümlich wurde sie erteilt, wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung des Gerichts zugrunde lag, als unrichtig erweist (Jakusch in Angst/Oberhammer, EO3 § 7 EO Rz 101). Eine irrtümlich erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung liegt insbesondere dann vor, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt wurde und daher die Vollstreckbarkeit des Titels nicht eingetreten ist. Bei einem Zustellmangel, der den verfahrenseinleitenden Schriftsatz und die den Exekutionstitel bildende Entscheidung betrifft, ist mit einem Antrag nach § 7 Abs 3 EO vorzugehen. Dies gilt etwa für den Einwand, die Zustellung sei wegen Verletzung der im Zustellgesetz normierten Formvorschriften (zum Beispiel wegen Ortsabwesenheit) unwirksam (RIS-Justiz RS0078895 [T7], RS0110275). Das Verfahren zur Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung ist, so wie das Verfahren zu seiner Erteilung, Teil des Titelverfahrens und richtet sich nach den Bestimmungen, die für das Titelverfahren gelten (RIS-Justiz RS0001596).
Nach § 13 Abs 1 ZustG ist ein Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Unter Abgabestelle versteht man jenen Ort, an dem eine konkrete „postalische“ Zustellung stattfinden darf. Als „Abgabestelle“ bestimmt § 2 Z 4 ZustG die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, den Sitz, den Geschäftsraum, die Kanzlei oder den Arbeitsplatz des Empfängers, im Fall einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder einen vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebenen Ort. Alle Abgabenstellen sind untereinander gleichwertig. Die Auswahl der geeigneten Abgabestelle obliegt der Zustellbehörde. Maßgebend für die Beurteilung des Umstands, ob im konkreten Fall eine Abgabestelle vorliegt oder vorlag, ist dabei nicht allein der Zeitpunkt der „Zustellung“. Vielmehr sind die berücksichtigungswürdigen Tatsachen ex post nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt ohne Rücksicht darauf, wie sich dem Zustellorgan die Verhältnisse subjektiv dargeboten haben und ohne Rücksicht auf eine entsprechende Absicht des Empfängers zu ermitteln und zu beurteilen (RIS-Justiz RS0108133). Eine postalische Zustellung, die nicht an einer Abgabestelle erfolgt ist, sofern nicht andere Vorschriften Abweichendes bestimmen, gesetzwidrig, gilt als nicht erfolgt und ist daher rechtsunwirksam (10 Ob 42/12t mwN). Nach der in Lehre und Rechtsprechung allgemein herrschenden Auffassung ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung an jeder der möglichen Abgabestellen, dass sich der Empfänger dort tatsächlich regelmäßig aufhält (RIS-Justiz RS0083915, RS0083950, RS0083956). Das ist nicht der Fall, wenn der Empfänger den Schwerpunkt seiner Tätigkeit und seinen regelmäßigen Aufenthaltsort an einem anderen, weit entfernten Ort hat und die Betriebsstätte nur gelegentlich aufsucht (RIS-Justiz RS0083662).
„Regelmäßiger Aufenthalt“ an der Abgabestelle liegt vor, wenn der Empfänger, von kurzfristigen – in vielen Fällen auch periodischen – Abwesenheiten abgesehen, immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Nur wenn der Empfänger längere Zeit (etwa infolge Urlaubs) von der Abgabestelle abwesend ist, darf auch eine Ersatzzustellung an einen Ersatzempfänger nicht erfolgen (RIS-Justiz RS0083895). § 17 ZustG macht die Wirksamkeit der Zustellung nämlich davon abhängig, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Vertreter nach § 13 Abs 3 ZustG ist aber nur, wer nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften vertretungsbefugt ist (RIS-Justiz RS0083868). Hier hätte das die regelmäßige Anwesenheit der Geschäftsführerin der Beklagten im Betrieb erfordert. Die regelmäßige Anwesenheit einer nach § 13 Abs 2 ZustG bevollmächtigten Person hätte nicht ausgereicht, um eine Abgabestelle zu begründen, an der durch Hinterlegung zugestellt hätte werden können (vgl 8 Ob 139/22g). Im Zusammenhang mit dem „regelmäßigen Aufenthalt“ wurde in der Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass es dabei auf die Dauer des jeweiligen Aufenthalts an der Abgabestelle nicht ankommt. Ein regelmäßiger Aufenthalt des Empfängers liegt demnach selbst dann vor, wenn dieser am Tag der Zustellung an der Abgabestelle nicht anwesend war, wenn er etwa lediglich jeden zweiten Tag die Abgabestelle aufsucht oder wenn er berufsbedingt tagsüber von der Abgabestelle abwesend ist. Voraussetzung ist allerdings, dass der Empfänger immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt. Ein regelmäßiger Aufenthalt wurde in der Rechtsprechung bei der Nutzung der Betriebsstätte an zwei Tagen pro Woche als Veranstaltungsraum als gegeben angenommen (8 ObA 41/06x), hingegen bei einem bloß einmaligen Aufenthalt im Monat am Arbeitsplatz verneint (VwGH, 97/17/0117). In der Entscheidung 10 Ob 42/12t wertete der Oberste Gerichtshof einen ein- oder höchstens zweimaligen Aufenthalt pro Monat nicht als regelmäßig. Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht nämlich verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers dazu auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (9 ObA 138/18m mwN, vgl auch 9 ObA 144/21y). Hält sich nämlich ein Empfänger nur gelegentlich am Ort der versuchten Zustellung auf, dann liegt selbst dann keine Abgabestelle vor, wenn er dafür Vorsorge getroffen hat, dass für ihn einlangende Post gesammelt wird, er sie abholen kann und er auch vom Einlangen wichtiger Poststücke verständigt wird (10 Ob 42/12t).
Hier steht fest, dass die Geschäftsführerin zum Zeitpunkt der Zustellung und darüber hinaus über einen langen Zeitraum (den ganzen Winter) (orts)abwesend war. Mangels regelmäßigen Aufenthalts der Geschäftsführerin der Beklagten erweist sich die Zustellung als nicht gesetzmäßig.
Auch das in erster Linie vom Erstgericht herangezogene Argument, die Geschäftsführerin der Beklagten habe ein Organisationsverschulden zu verantworten, ist nicht stichhältig.
Nach ständiger Rechtsprechung bewirkt die Verletzung der Pflicht, Änderungen der Geschäftsanschrift einer GmbH dem Firmenbuchgericht bekanntzugeben, nicht, dass an die noch im Firmenbuch eingetragene Adresse durch Hinterlegung in analoger Anwendung des § 8 Abs 2 ZustG ein ein Verfahren einleitender Schriftsatz wirksam zugestellt werden könnte. Das Gesetz normiert als Sanktion der Nichteinhaltung dieser Verpflichtung nur Schadenersatzansprüche gegen den Geschäftsführer für die schuldhaft verzögerte oder unterlassene Einreichung dieser Angaben, nicht aber, dass die Hinterlegung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes in analoger Anwendung des § 8 Abs 2 ZustG an die im Firmenbuch zuletzt bekannt gegebene Adresse mit den Wirkungen einer gültigen Zustellung vorgenommen werden könnte (RIS-Justiz RS0110249). Die Rechtswirkung unrichtig gewordener Firmenbucheintragungen besteht demnach nicht in einer Zustellmöglichkeit, vielmehr bleibt die Unterlassung einer Änderung des Sitzes beim Firmenbuch für die Frage der Wirksamkeit der Zustellung unerheblich (8 ObA 132/98i, 8 Ob 613/89).
Entgegen dem Standpunkt des Erstgerichts finden sich aber auch keine gesetzlichen Grundlagen, aus denen sich ein allgemeiner Grundsatz ableiten ließe, es sei im geschäftlichen Verkehr generell von jedem Empfänger zu verlangen, stets auf behördliche Zustellungen gefasst zu sein und für eine Nachsendung oder Vertretung Vorsorge zu treffen, widrigenfalls die Wirkungen einer wirksamen Zustellung eintreten würden. Das Bestehen einer aus dem Gesetz abzuleitenden allgemeinen Sorgfaltspflicht des abwesenden Empfängers bzw seines Vertreters, für mögliche Zustellungen unter der bisherigen und jetzt verlassenen Abgabestelle Vorsorge zu treffen, wurde vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung 1 Ob 23/97g verneint: Eine solche Verpflichtung ergebe sich nicht aus § 17 Abs 3 ZustG, weil der Eintritt der Zustellwirkungen an die objektive Bedingung der tatsächlichen Rückkehr an die Abgabestelle knüpfe und nicht an die (bloße) Möglichkeit, von dem zugestellten Schriftstück Kenntnis zu erlangen. Nach einhelliger Rechtsprechung lässt sich daraus, dass der Empfänger bei seinem bisherigen Abgabepostamt die Nachsendung der für ihn einlangenden Postsendungen verlangen kann, kein Schluss auf eine Pflicht zur Vorsorge ziehen. Schon gar nicht lässt sich ableiten, dass trotz der längere Zeit andauernden Abwesenheit des Empfängers dort eine Zustellung wirksam erfolgen könnte (3 Ob 149/08w mwN). In seiner Entscheidung 4 Ob 91/02i führte der Oberste Gerichtshof aus, dass auch Unternehmer keine generelle Vorsorgepflicht für den Fall ihrer Abwesenheit trifft (vgl auch 9 ObA 138/18m, RIS-Justiz RS0108134, RS0071470).
Zusammenfassend ergibt sich, dass in Stattgebung des Rekurses die Vollstreckbarkeitsbestätigung hinsichtlich des Zahlungsbefehls vom 8. April 2024 aufzuheben ist.
Der Kostenausspruch hinsichtlich des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 41 Abs 1 ZPO. Der Kläger ist mit seinem Vorbringen in der Verhandlung vom 13. September 2024 (ON 14) dem Antrag der Beklagten entgegengetreten, sodass ein selbständiger Zwischenstreit vorliegt (1 Ob 22/14p, RIS-Justiz RS0016629, RS0001596 [T11]). Dabei ist der Ausgang im Zwischenstreit und nicht jener in der Hauptsache entscheidend, wobei als Kosten des Zwischenstreits nur die vom allgemeinen Verfahrensaufwand klar abgrenzbaren Kosten anzusehen sind (Obermaier, Kostenhandbuch4 Rz 1.317). Das sind hier die Kosten der Verhandlung vom 13. September 2024, die auf die Frage, ob der bedingte Zahlungsbefehl wirksam zugestellt wurde, eingeschränkt war.
Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Zu berücksichtigen war jedoch, dass eine Pauschalgebühr nicht zu entrichten war und der ERV-Zuschlag nur EUR 2,60 beträgt.
Der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung vorliegt.
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