European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E124336
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 833,80 EUR (darin 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin erhob gegen die beklagte Partei „* Privatkindergarten * Inh. D* K*, M* Straße *, * Wien“ gegenständliche Klage. Der am 23. 4. 2018 erlassene Zahlungsbefehl wurde am 25. 4. 2018 an diese Adresse zugestellt. Das Schriftstück wurde von einer im Kindergarten tätigen Arbeitnehmerin übernommen.
Der Beklagte ist „Träger“ des * Privatkindergartens * in * Wien, M* Straße *. Er wohnt weder dort, noch arbeitet er dort. Da er sich selbst auch nicht um das Tagesgeschäft des Kindergartens kümmert, hält er sich üblicherweise auch nicht dort auf.
Die Zustellung der aufgrund dieses Zahlungsbefehls erlassenen Exekutionsbewilligung des Bezirksgerichts Josefstadt erfolgte am 20. 6. 2018 auf die gleiche Art. Einige Tage später wurde dem Beklagten die Exekutionsbewilligung ausgehändigt.
Am 4. 7. 2018 beantragte der Beklagte die Zustellung des Zahlungsbefehls und Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung, erhob Einspruch gegen den Zahlungsbefehl und beantragte in eventu, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist (unter Erhebung eines Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl) zu bewilligen.
Das Erstgericht wies alle Anträge ab und die Einsprüche zurück.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Rekursgericht dem dagegen gerichteten Rekurs des Beklagten Folge. Es änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es den Antrag auf Zustellung des Zahlungsbefehls vom 23. 4. 2018 bewilligte, die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls aufhob, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Zahlungsbefehl zurückwies und die Zurückweisung der Einsprüche vom 4. 7. 2018 ersatzlos behob. Dem Erstgericht trug es die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens auf.
Das Rekursgericht begründete seine Entscheidung zusammengefasst damit, dass es für die Tauglichkeit einer Abgabestelle nach § 2 Z 4 ZustG der regelmäßigen– wenngleich nicht täglichen – Anwesenheit des Empfängers an der Abgabestelle bedürfe, was hier aber nicht der Fall gewesen sei. Die Zustellung des Zahlungsbefehls sei daher nichtig und die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden. Auch wenn der Beklagte bereits Einspruch erhoben habe, habe er ein Recht auf Zustellung des Zahlungsbefehls, die allerdings wegen des bereits erhobenen Einspruchs keine Wirkungen mehr habe. Der Wiedereinsetzungsantrag sei zurückzuweisen, weil mangels rechtswirksamer Zustellung keine Versäumung vorliege.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es zur Frage der Anwesenheit des Empfängers an einer Betriebsstätte divergierende Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs gebe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.
1. Voraussetzung für den Beginn des Laufs der Einspruchsfrist ist die wirksame Zustellung des Zahlungsbefehls (§ 248 Abs 2 ZPO). Eine mangelhafte Zustellung setzt die Rechtsmittelfrist nicht in Gang (vgl RIS‑Justiz RS0006997).
2. Nach § 13 Abs 1 ZustG ist das Dokument dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. Unter Abgabestelle versteht man jenen Ort, an dem eine konkrete „postalische“ Zustellung stattfinden darf (10 Ob 42/12t Pkt 2; Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 § 87 [§ 2 ZustG] Rz 7/1).
3. Abgabestelle ist die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort (§ 2 Z 4 ZustG).
4. Es ist herrschende Auffassung in Lehre und Rechtsprechung, dass die Wirksamkeit der Zustellung an jeder der möglichen Abgabestellen voraussetzt, dass sich der Empfänger dort tatsächlich auch regelmäßig aufhält (Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 [2014]§ 87 [§ 2 ZustG] Rz 7/1; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht9 [2017] Rz 518; Raschauer in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/ Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 [2011] § 2 Rz 7a mwN; Thienel/Zeleny, Verwaltungsverfahren20 [2017] § 2 ZustG Anm 4; Larcher, Zustellrecht [2010] Rz 151 mwN; VwGH Ra 2015/11/0079 Pkt 16 zur Betriebsstätte; VwGH Ra 2018/21/0064 Pkt 10 zur Wohnung; 10 Ob 69/15t Pkt 3; RIS‑Justiz RS0083915). Auf die Dauer des jeweiligen Aufenthalts an der Abgabestelle kommt es dabei nicht an. Ein regelmäßiger Aufenthalt des Empfängers liegt demnach selbst dann vor, wenn dieser am Tag der Zustellung an der Abgabestelle nicht anwesend war, wenn er etwa lediglich jeden zweiten Tag die Abgabestelle aufsucht oder wenn er berufsbedingt tagsüber von der Abgabestelle abwesend ist. Voraussetzung ist allerdings, dass der Empfänger immer wieder an die Abgabestelle zurückkehrt (10 Ob 42/12t mwN). Die Eigenschaft eines Ortes als Abgabestelle geht verloren, wenn die Nahebeziehung des Empfängers dazu auf Dauer oder doch für einen so langen Zeitraum erlischt, dass nach den Gepflogenheiten des Lebens das Warten auf eine Rückkehr in angemessener Zeit nicht zumutbar ist (Gitschthaler in Rechberger, ZPO4 [2014]§ 87 [§ 2 ZustG] Rz 7/1).
5. Das Revisionsrekursgericht schließt sich dieser herrschenden Rechtsauffassung an. Die gegenteilige, in der– vereinzelt gebliebenen – Entscheidung 6 Ob 99/07p vertretene Rechtsansicht, die die Ansicht von Stumvoll in Fasching/Konecny 3 II/2 § 2 ZustG Rz 24 f teilt, wurde bereits in 10 Ob 42/12t ausdrücklich abgelehnt. Die Überlegungen von Frauenberger-Pfeiler/Hofstätter (Anm zu 10 Ob 42/12t [EvBl 2013/61]), mit denen die Wertungen besonderer jüngerer Entwicklungen im Zustellrecht (Abschaffung der Eigenhandzustellung, Erweiterung des Publizitätsgedankens) auf die allgemeine Begriffsdefinition der Abgabestelle übertragen werden, bieten keinen Anlass, von der herrschenden Rechtsprechung abzugehen. Letztlich würde ohne des Merkmals des regelmäßigen Aufenthalts des Empfängers an der Abgabestelle nur eine „fiktive“ und damit untaugliche Abgabestelle begründet werden.
6. Auch die weiteren Argumente der Revisionsrekurswerberin sind nicht stichhältig. Eine Pflicht des Unternehmers, dafür Sorge zu tragen, dass an der „angegebenen Abgabestelle“ Schriftstücke zugestellt werden können, gibt es in dieser Allgemeinheit nicht (vgl RIS‑Justiz RS0071470; RS0116283). Erwägungen zur Ersatzzustellung nach § 16 Abs 1 und 2 ZustG kommen schon mangels Vorliegens einer Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG nicht zum Tragen. Ob eine Abgabestelle vorliegt, ist ex post nach objektiven Gesichtspunkten, dh ohne Rücksicht auf die Verhältnisse, wie sie sich dem Zusteller subjektiv boten, und ohne Rücksicht auf eine entsprechende Absicht des Empfängers zu ermitteln und zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0108133). Fragen zur in eventu beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen sich mangels rechtswirksamer Zustellung des Zahlungsbefehls nicht.
Dem Revisionsrekurs der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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