Normen
VwGG §42 Abs2 Z1;
ZustG §13 Abs1;
ZustG §17;
ZustG §2 Z4;
ZustG §20;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Mandatsbescheid vom 20. Jänner 2015 entzog die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf dem Revisionswerber die Lenkberechtigung auf die Dauer von sechs Monaten ab Zustellung des Bescheids. Die dagegen am 20. März 2015 vom Revisionswerber erhobene Vorstellung wurde als verspätet zurückgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich, im Wesentlichen mit dem Argument, der Entziehungsbescheid sei ihm nicht, wie von der Bezirkshauptmannschaft angenommen, am 5. März 2015, sondern erst am 20. März 2015 zugestellt worden.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab und erklärte die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, nach mehreren erfolglosen Versuchen, den Entziehungsbescheid dem Revisionswerber an dessen Wohnadresse auszufolgen, sei ihm bei einer Verkehrskontrolle am 5. März 2015 der Führerschein abgenommen worden. Auf Hinweis des zuständigen Polizeibeamten, dass ein Entziehungsbescheid vorliege, habe der Revisionswerber umgehend den Ort der Amtshandlung in seinem PKW verlassen. Er sei kurz darauf von zwei Polizeibeamten vor dem Wirtschaftsgebäude seines landwirtschaftlichen Betriebes angetroffen worden, nach einem kurzen Gespräch mit den Polizeibeamten in das Gebäude gegangen und habe das Tor verschlossen. In weiterer Folge seien zwei weitere Polizeibeamte eingetroffen, die den Entziehungsbescheid mitgeführt hätten. Ihr Versuch, mit dem Revisionswerber durch Klopfen und Rufen Kontakt aufzunehmen, um ihm den Bescheid zu übergeben, sei jedoch erfolglos geblieben. Schließlich sei der Bescheid von einem Polizeibeamten auf dem Fahrersitz des unmittelbar vor dem Wirtschaftsgebäude abgestellten PKWs des Revisionswerbers abgelegt worden (dies, indem die geschlossene, jedoch nicht verschlossene Fahrertür geöffnet und hierauf wieder geschlossen worden sei). Die Beamten seien daraufhin weggefahren; eine knappe Stunde später habe sich der PKW nicht mehr dort befunden. Die Aussage des Revisionswerbers, er habe keinen Bescheid in seinem Wagen vorgefunden, müsse als völlig unglaubwürdig angesehen werden.
4 Zum Ort der Zustellung vertrat das Verwaltungsgericht die Ansicht, der Bescheid sei sowohl am Ort einer Amtshandlung (da unzweifelhaft gegen den Revisionswerber eine polizeiliche Amtshandlung geführt worden sei) als auch an der Betriebsstätte des Empfängers zugestellt worden, da die Amtshandlung unmittelbar vor einem Wirtschaftsgebäude erfolgt sei, das zum landwirtschaftlichen Betrieb des Revisionswerbers gehöre und in welchem er regelmäßig Tätigkeiten im Rahmen seines Betriebes durchführe.
5 Überdies habe der an der Abgabestelle anwesende Revisionswerber die Annahme des Bescheides ohne gesetzlichen Grund verweigert, sodass die Polizeibeamten im Sinne des § 20 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustellG) berechtigt gewesen seien, das Dokument an der Abgabestelle zurückzulassen. Im Hinblick auf das Fehlen eines Briefkastens am Wirtschaftsgebäude sei das Ablegen des Schriftstückes auf dem Fahrersitz des unmittelbar vor dem Gebäude abgestellten PKWs des Revisionswerbers als zulässige Art des Zurücklassens an der Abgabestelle anzusehen.
6 Selbst wenn jedoch in diesem Vorgang ein Zustellmangel erblickt werden könne, was nach Auffassung des Gerichts allerdings nicht zutreffe, so wäre spätestens mit der Rückkehr des Revisionswerbers zu seinem PKW eine Heilung des Mangels erfolgt, da damit der auf dem Fahrersitz abgelegte Bescheid in den Besitz des Revisionswerbers gelangt und somit dem Empfänger im Sinne des § 7 ZustellG tatsächlich zugekommen sei.
7 Somit sei jedenfalls am 5. März 2015 eine rechtswirksame Zustellung des Bescheides vom 20. Jänner 2015 an den Revisionswerber erfolgt, sodass die Rechtsmittelfrist am Donnerstag, 19. März 2015 geendet habe und die am 20. März 2015 eingebrachte Vorstellung verspätet erfolgt sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichts richtet sich die vorliegende, unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet hat, die Revision kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 1. Die hier relevanten Bestimmungen des ZustellG, BGBl. Nr. 200/1982, i.d.F. BGBl. I Nr. 10/2004, lauten auszugsweise wie folgt:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:
(...)
4. "Abgabestelle": die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort;
(...)".
"Heilung von Zustellmängeln
§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist."
"Zustellung an den Empfänger
§ 13. (1) Das Dokument ist dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen. (...)".
"Verweigerung der Annahme
§ 20. (1) Verweigert der Empfänger oder ein im gemeinsamen Haushalt mit dem Empfänger lebender Ersatzempfänger die Annahme ohne Vorliegen eines gesetzlichen Grundes, so ist das Dokument an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, nach § 17 ohne die dort vorgesehene schriftliche Verständigung zu hinterlegen.
(2) Zurückgelassene Dokumente gelten damit als zugestellt.
(3) Wird dem Zusteller der Zugang zur Abgabestelle verwehrt, verleugnet der Empfänger seine Anwesenheit, oder läßt er sich verleugnen, so gilt dies als Verweigerung der Annahme."
10 2. Die vorliegende Revision ist zulässig, weil es entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtes zur hier relevanten, vom Revisionswerber angesprochenen Frage, ob ein Kraftfahrzeug eine zulässige Abgabestelle im Sinne des § 2 Z 4 ZustellG darstellt, keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gibt.
11 3. Die Revision ist auch begründet.
12 3.1. Das Verwaltungsgericht hält im angefochtenen Erkenntnis zunächst fest, dass jedenfalls eine Zustellung des Bescheides am Ort der Amtshandlung (§ 2 Z 4 ZustellG) stattgefunden habe, da unzweifelhaft gegen den Revisionswerber eine polizeiliche Amtshandlung geführt worden sei.
13 Diese Art der Zustellung setzt voraus, dass es sich zum einen um eine hoheitliche Amtshandlung handelt, in deren Verlauf zugestellt werden soll, und zum anderen, dass der Empfänger bei dieser Amtshandlung anwesend ist (vgl. hierzu etwa Larcher, Zustellrecht (2010), Rz 164; sowie Raschauer, in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 (2011), § 2 Rz 7i mwN.; vgl. in diesem Sinne auch Stumvoll in Fasching/Konecny2 ErgBd § 2 ZustG Rz 35).
14 Wie das Verwaltungsgericht festgestellt hat, ist der Revisionswerber kurz nach Erscheinen der Polizeibeamten vor seinem Wirtschaftsgebäude in dieses hineingegangen und hat das Tor verschlossen. Das Verwaltungsgericht stellte weiters fest, dass von den Polizeibeamten erfolglos versucht worden sei, mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufzunehmen. Unabhängig davon, ob es sich im vorliegenden Fall bei dem Erscheinen der Polizeibeamten um eine (fortdauernde) Amtshandlung gehandelt hat- die Führerscheinabnahme war bereits abgeschlossen, eine weitere Amtshandlung wurde den Feststellungen nach nicht geführt -, war der Revisionswerber nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei der Ablage des Bescheides in sein Fahrzeug nicht (mehr) tatsächlich anwesend. Aus diesem Grund kommt eine wirksame Zustellung "anlässlich einer Amtshandlung" an deren Ort am 5. März 2015 nicht in Betracht.
15 3.2. Aber auch die vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis angeführte Eventualbegründung, es sei jedenfalls auch eine Zustellung an der Betriebsstätte des Revisionswerbers erfolgt, vermag das angefochtene Erkenntnis nicht zu tragen.
16 Gemäß § 2 Z 4 ZustellG kommt als Abgabestelle auch die Betriebsstätte in Betracht. Darunter ist der Ort zu verstehen, an dem der Inhaber sein Unternehmen betreibt und an dem er sich daher auch regelmäßig aufhält. Ob der Empfänger zum Zeitpunkt der Zustellung dort anwesend war, ist rechtlich ohne Bedeutung (siehe das hg. Erkenntnis vom 15. September 1997, Zl. 97/10/0071). Es handelt sich bei einer Betriebsstätte um jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, in der regelmäßig und andauernd betriebliche Tätigkeiten ausgeführt werden (Stumvoll, aaO., Rz 28; siehe in diesem Sinne auch Raschauer, aaO., § 2 Rz 7d).
17 Da eine Betriebsstätte gemäß § 2 Z 4 ZustellG somit unter anderem durch eine feste, örtliche Einrichtung gekennzeichnet ist, an der der Inhaber sein Unternehmen betreibt, kommt ein solcher vor einem landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude abgestellter PKW als Abgabestelle im Sinne einer Betriebsstätte nicht in Betracht. Ebensowenig fällt der abgestellte Pkw unter eine der sonstigen Formen einer Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG. Auch auf einem solchen Weg konnte eine wirksame Zustellung des Bescheides vom 20. Jänner 2015 an den Revisionswerber nicht erfolgen.
18 3.3. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ist der besagte Bescheid jedenfalls auch gemäß § 20 ZustellG durch die Annahmeverweigerung des Revisionswerbers zugestellt worden.
19 § 20 ZustellG normiert, dass im Falle der Verweigerung der Annahme das Dokument entweder an der Abgabestelle zurückzulassen oder, soweit dies nicht möglich ist, nach § 17 ZustellG ohne schriftliche Verständigung zu hinterlegen ist. Unterbleibt die Zurücklassung bzw. Hinterlegung, treten die Zustellwirkungen nicht ein (siehe Wessely in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Österreichisches Zustellrecht2 (2011), § 20 Rz 5 unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 12. November 1991, Zl. 91/05/0137).
20 Wie bereits erörtert, handelte es sich bei dem vor dem Wirtschaftsgebäude abgestellten PKW nicht um eine Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustellG. Da der Bescheid vom 20. Jänner 2015 somit weder "an einer Abgabestelle" zurückgelassen noch hinterlegt wurde, waren die Voraussetzungen des § 20 ZustellG nicht erfüllt, weshalb auch eine Zustellung nach dieser Gesetzesstelle nicht in Betracht kam.
21 3.4. Der hilfsweisen Begründung des Verwaltungsgerichts, es sei eine Heilung allfälliger Zustellmängel durch tatsächliches Zukommen des Schriftstückes iS des § 7 ZustellG eingetreten, ist lediglich zu entgegnen, dass für diese Annahme eine Basis in den Feststellungen des Erkenntnisses fehlt.
22 4. Das angefochtene Erkenntnis war somit, schon weil das Verwaltungsgericht bei Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung die Rechtslage verkannt hat, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigte sich daher.
23 5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 1. März 2016
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