European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00079.23T.0124.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte war bei der Klägerin von 13. 7. 2015 bis 15. 3. 2016 als Angestellte beschäftigt.
[2] Im Verfahren 21 Cga 41/16a des Arbeits- und Sozialgerichts Wien begehrte die Beklagte von der Klägerin infolge einer erlittenen sexuellen Belästigung durch den „Seniorchef“ F*, gestützt auf §§ 6, 12 GlBG, ua Schadenersatz von 10.000 EUR. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 30. 9. 2019 statt. Nach den § 12 Abs 11, § 6 GlBG, § 1325 ABGB stünde der Beklagtendieser Betrag an immateriellem Schadenersatz aufgrund der durch die Belästigungshandlungen des F* erlittenen psychischen Beeinträchtigung mit Krankheitswert zu. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der Oberste Gerichtshof stellte mit Urteil vom 29. 4. 2021 (9 ObA 19/21s) das Ersturteil wieder her. Die Haftung der Klägerin für das Verhalten des F* gründe sich auf § 12 Abs 11 iVm § 6 Abs 1 Z 1 GlBG.
[3] Im Verfahren 17 Cg 43/16t des Landesgerichts für Zivilrechtsachen Wien begehrte die Beklagte aufgrund der sexuellen Belästigungen durch F* von diesem persönlich einen immateriellen Schadenersatz von 15.000 EUR. Mit Urteil vom 26. 8. 2019 wurde der Beklagten in erster Instanz ein Schadenersatzbetrag von 7.500 EUR zugesprochen. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte diese Entscheidung mit Urteil vom 18. 12. 2019 (11 R 182/19v).
[4] Am 21. 2. 2020 zahlte F* der Beklagten den Kapitalbetrag samt Zinsen und Kosten.
[5] Am 7. 6. 2021 zahlte die Klägerin der Beklagten 5.939,06 EUR, bestehend aus dem Kapitalbetrag von 2.500 EUR samt Zinsen und Kosten. In einem Schreiben vom selben Tag wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass diese für denselben Schaden von F* bereits 7.500 EUR erhalten habe.
[6] Am 21. 6. 2021 überwies die Klägerin weitere 2.500 EUR an die Beklagte.
[7] Am 7. 7. 2022 bewilligte das Bezirksgericht Donaustadt zu 12 E 2415/22d eine von der Beklagten gegen die Klägerin beantragte Fahrnis- und Forderungsexekution zur Hereinbringung einer Kapitalforderung von 7.498,17 EUR samt Zinsen aus dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 30. 9. 2019 (21 Cga 41/16a) sowie einer Kostenforderung von 9,77 EUR samt Zinsen aus dem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. 4. 2021 (9 ObA 19/21s).
[8] Am 21. 7. 2022 brachte die Klägerin die gegenständliche Klage als Oppositionsklage ein.
[9] Daraufhin überwies die Klägerin der Beklagten am 31. 8. 2022 einen Betrag von 10.227,40 EUR (darin enthalten ein Kapital von 7.498,17 EUR, Zinsen, Prozesskosten und Exekutionskosten von 609,01 EUR und 280,54 EUR) unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Rückforderung und mit dem Hinweis, dass die Zahlung unter dem Druck der Exekution geleistet werde.
[10] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 13. 9. 2022 wurde das Exekutionsverfahren über Antrag der Beklagten gemäß § 39 Abs 1 Z 6 EO eingestellt.
[11] Mit einem im gegenständlichen Verfahren am 14. 9. 2022 eingebrachten Schriftsatz änderte die Klägerin ihr Oppositionsklagebegehren auf ein Leistungsbegehren von 10.823 EUR sA. Dazu brachte sie vor, dass ihre Verbindlichkeit aus dem Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 30. 9. 2019 gegenüber der Beklagten hinsichtlich des Kapitalbetrags von 10.000 EUR durch die von F* am 21. 2. 2020 geleistete Zahlung im Umfang von 7.500 EUR erloschen sei. Aufgrund des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29. 4. 2021 habe sie mit der Zahlung von 2.500 EUR an Kapital samt Zinsen und Kosten die gesamte gegenüber der Beklagten titulierte Forderung zur Gänze getilgt.
[12] Den darüber hinausgehenden Kapitalbetrag von 2.500 EUR habe sie über Aufforderung der Beklagten nur gezahlt, um einen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden. Die Beklagte habe den – unrichtigen – Standpunkt vertreten, die Klägerin und F* hafteten nicht solidarisch für ein und denselben Schaden der Beklagten. In Summe habe die Beklagte daher sogar 12.500 EUR an Kapital erhalten.
[13] Den weiteren Betrag von 10.227,40 EUR habe sie unter dem Druck des von der Beklagten eingeleiteten Exekutionsverfahrens unter dem Vorbehalt der Rückforderung an die Beklagte gezahlt. Die damit geleistete Nichtschuld fordere sie nunmehr von der Beklagten zurück. Weiters begehre sie den Ersatz der ihr im Exekutionsverfahren entstandenen Kosten von 615,60 EUR. Da die Klägerin mit der Oppositionsklage durchgedrungen wäre, hätte die Beklagte gemäß § 75 EO keinen Anspruch auf Ersatz von Exekutionskosten gehabt.
[14] Die Beklagte sprach sich gegen die Klagsänderung aus, bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Sie wandte zusammengefasst ein, dass die Verbindlichkeiten der Klägerin und des F* aus beiden Titelverfahren kumulativ nebeneinander bestünden. Bei den von der Beklagten in zwei getrennten Verfahren geltend gemachten Ansprüchen handle es sich um zwei unterschiedliche Ansprüche gegen zwei verschiedene beklagte Parteien. F* habe daher keine Solidarschuld beglichen. Keiner der beiden Exekutionstitel enthalte einen Hinweis auf eine Solidarschuld. Die Klägerin hätte ein entsprechendes Vorbringen bereits im Titelverfahren erstatten müssen. Der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch bestehe nicht zu Recht, weil die Klägerin keine Nichtschuld beglichen, sondern aufgrund eines rechtskräftigen Titels gezahlt habe.
[15] Das Erstgericht ließ die Klagsänderung zu und wies das Klagebegehren ab.
[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte in Abänderung des Ersturteils zur Rückzahlung von 9.337,85 EUR sA. Das Mehrbegehren wies es ab. Dazu führte es aus, dass die Zahlung einer Nichtschuld unter dem Druck der Vollstreckung ohne Rücksicht auf einen Irrtum des Leistenden den Kondiktionsanspruch gemäß § 1431 ABGB gewähre. Der Ausspruch im Urteil, dass mehrere Schuldner für eine zugesprochene Forderung solidarisch hafteten, sei nur dann von Bedeutung, wenn mehrere Schuldner mit derselben Klage belangt worden seien. Bei getrennten Exekutionstiteln über dieselbe Forderung schließe der Umstand, dass im Spruch nicht auf eine Solidarhaftung Bezug genommen worden sei, das Bestehen einer Gesamtschuld der aus den beiden Titeln verpflichteten Personen nicht aus. Da das gegen F* ergangene Urteil erst am 18. 12. 2019 rechtskräftig geworden sei, hätte die Klägerin im Übrigen gar keine Möglichkeit gehabt, in dem gegen sie geführten Titelverfahren auf die Solidarverpflichtung hinzuweisen.
[17] Für die in den beiden Schadenersatzprozessen zugesprochenen Kapitalbeträge hafteten die Klägerin und F* bis zur Höhe von 7.500 EUR solidarisch. Die Beklagte habe in beiden Titelverfahren einen identen Anspruch auf Schadenersatz für dieselben erlittenen Beeinträchtigungen geltend gemacht. Um eine Gesamtschuld annehmen zu können, bedürfe es bloß einer Identität der geschuldeten Leistung, der Rechtsgrund der einzelnen Pflichten könne hingegen unterschiedlich sein. Hier hafte die Klägerin der Beklagten als Arbeitgeberin für die sexuellen Belästigungen des F* nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG und F* hafte persönlich als belästigender Dritter nach § 6 Abs 1 Z 3 GlBG, jeweils iVm § 12 Abs 11 GlBG.
[18] Die der Beklagten mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 29. 4. 2021 zugesprochene Kapitalforderung von 10.000 EUR sei daher durch die von F* am 21. 2. 2020 geleistete Zahlung im Umfang von 7.500 EUR getilgt worden. Weiters habe F* am 21. 2. 2020 die sich aus dem Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. 8. 2019 ergebende Zinsenforderung mit einer Zahlung von 1.146,58 EUR beglichen. Vor dem 7. 6. 2021 sei noch eine Kapitalforderung der Beklagten gegen die Klägerin von 2.500 EUR zuzüglich Zinsen und Kosten des Revisionsverfahrens (gesamt 7.006,29 EUR) offen gewesen, nach der Zahlung der Klägerin vom 7. 6. 2021 noch eine Forderung von 1.067,23 EUR. Mit der weiteren Zahlung der Klägerin vom 21. 6. 2021 seien sämtliche Forderungen der Beklagten gegenüber der Klägerin getilgt worden und damit auch die von der Beklagten mit Exekutionsantrag vom 30. 6. 2022 betriebene Forderung mit der Zahlung vom 21. 6. 2021 zur Gänze.
[19] Da die Klägerin in der Folge die betriebene Forderung am 31. 8. 2022 unter dem Druck der von der Beklagten eingeleiteten Exekution bezahlt habe, obwohl die Forderungen aus beiden Exekutionstiteln bereits getilgt gewesen seien, habe die Klägerin hinsichtlich der titulierten Forderungen eine Nichtschuld bezahlt, die sie in diesem Umfang aus dem Titel der ungerechtfertigten Bereicherung von der Beklagten zurückfordern könne. Die Klägerin könne daher die am 31. 8. 2022 geleistete Zahlung mit Ausnahme der im Exekutionsverfahren bestimmten Kosten aus dem Titel der ungerechtfertigten Bereicherung, daher im Umfang von 9.337,85 EUR, von der Beklagten zurückverlangen.
[20] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
[21] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[22] Die Klägerin beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[23] Die Revision der Beklagten ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
[24] 1.1. In ihrer Mängelrüge macht die Revisionswerberin geltend, dass das Berufungsgericht ihren in der Berufungsbeantwortung gerügten Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, über ihren Einwand der Unzulässigkeit der Klagsänderung sei nicht entschieden worden und es liege ein Verstoß gegen die Eventualmaxime vor, nicht behandelt habe.
[25] 1.2. Diesen Ausführungen kommt keine Berechtigung zu. Über die Zulässigkeit der Klagsänderung hat das Erstgericht mit dem im Urteil enthaltenen Beschluss entschieden. Diesen Beschluss ließ die Beklagte unbekämpft. Im Übrigen ist die Geltendmachung des neuen Tatumstands, dass eine der mit Klage nach § 35 EO bekämpften Exekutionen inzwischen beendet wurde und Änderung des Klagebegehrens auf einen Kondiktionsanspruch, auch im Bereich der Oppositionsklage kein Verstoß gegen die Eventualmaxime, weil es sich um einen erst nach der Klagseinbringung entstandenen Sachverhalt handelt (RS0001292).
[26] 2. § 1431 ABGB setzt voraus, dass irrtümlich eine Nichtschuld gezahlt wurde (RS0033765). Nach der Rechtsprechung kann die Rückforderung einer Leistung aber auch trotz des Bewusstseins, zu dieser nicht verpflichtet zu sein, gerechtfertigt sein, wenn an die Stelle des Irrtums über den Bestand der Schuld im Sinne des § 1431 ABGB gleich zu gewichtende andere Umstände treten (2 Ob 219/11m Pkt. 5.). So kann die Leistung auch dann zurückgefordert werden, wenn sie unter dem Druck einer Vollstreckung geleistet wurde (RS0033569). Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, weil keine den Rückforderungsanspruch verneinende rechtskräftige Entscheidung vorliegt (vgl RS0033569 [T2]), wird in der Revision – zu Recht – nicht weiter in Frage gestellt.
[27] 3. Die Revisionswerberin steht auf dem Standpunkt, ihre titelmäßigen Schadenersatzansprüche gegen die Klägerin einerseits und gegen F* andererseits seien nicht ident. Jedenfalls führe eine richtlinienkonforme Auslegung der Gleichbehandlungs‑RL zum Ergebnis, dass der Arbeitgeber, der nicht Abhilfe geschaffen hat, nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG unabhängig vom Belästiger nach § 6 Abs 1 Z 3 GlBG für eigenes schuldhaftes Verhalten hafte.
Dazu hat der Senat erwogen:
[28] 3.1.1. Nach § 6 Abs 1 GlBG liegt eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes auch vor, wenn eine Person
1. vom/von der Arbeitgeber/in selbst sexuell belästigt wird,
2. durch den/die Arbeitgeber/in dadurch diskriminiert wird, indem er/sie es schuldhaft unterlässt, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (Z 3) eine auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, Normen der kollektiven Rechtsgestaltung oder des Arbeitsvertrages angemessene Abhilfe zu schaffen,
3. durch Dritte in Zusammenhang mit seinem/ihrem Arbeitsverhältnis belästigt wird oder
4. durch Dritte außerhalb eines Arbeitsverhältnisses (§ 4) belästigt wird.
[29] 3.1.2. Bei einer sexuellen Belästigung nach § 6 oder einer geschlechtsbezogenen Belästigung nach § 7 GlBG hat die betroffene Person gegenüber dem/der Belästiger/in und im Fall des § 6 Abs 1 Z 2 oder § 7 Abs 1 Z 2 auch gegenüber dem/der Arbeitgeber/in Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens. Soweit der Nachteil nicht nur in einer Vermögenseinbuße besteht, hat die betroffene Person zum Ausgleich der erlittenen persönlichen Beeinträchtigung Anspruch auf angemessenen, mindestens jedoch auf 1.000 EUR Schadenersatz (§ 12 Abs 11 GlBG).
[30] 3.2. Nach dieser Gesetzeslage hat die betroffene Person bei einer sexuellen Belästigung nach (dem hier relevanten) § 6 GlBG gegenüber dem Belästiger (dies kann der Arbeitgeber [§ 6 Abs 1 Z 1 GlBG] oder ein Dritter [§ 6 Abs 1 Z 3 und 4 GlBG] sein) und im Fall des § 6 Abs 1 Z 2 GlBG (schuldhaftes Unterlassen der Abhilfe im Fall einer sexuellen Belästigung durch Dritte [§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG]) gegenüber dem Arbeitgeber Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens (vgl 8 ObA 132/00w zu § 2a Abs 7 GlBG 1979 idF BGBl I 1998/44). Dazu wird im Schrifttum vertreten, dass es zu einer Kumulation der Schadenersatzbeträge kommt, wenn (Mehrfachtäterschaft) auch der Arbeitgeber der belästigten Person nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG – unabhängig vom Belästiger – haftet, weil er es schuldhaft unterlassen hat, im Falle einer sexuellen Belästigung durch Dritte (§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG) angemessene Abhilfe geschaffen zu haben (vgl Hopf/Mayr/Eichinger/Erler, GlBG2 (2021) § 12 Rz 113; vgl Smutny/Mayr, GlBG [2001] 329 zu den Vorgängerbestimmungen §§ 2, 2a GlBG 1979; Eichinger, Rechtsfragen zum GlBG [1993] 106 f; Mazal in Windisch‑Graetz, GlBG² [2022] § 7 Rz 62d). Der Oberste Gerichtshof hat dazu bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen. Dies ist auch im Anlassfall nicht notwendig.
[31] 3.3. Der genannte Fall (Haftung des Belästigers und Haftung des Arbeitgebers nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG) liegt – entgegen der Ansicht der Revisionswerberin, die sich (nur) im Zusammenhang mit der vom Belästiger gesonderten Haftung des Arbeitgebers nach § 6 Abs 1 Z 2 GlBG auf eine richtlinienkonforme Auslegung beruft – hier nicht vor. Die Schadenersatzpflicht der Klägerin für die Belästigung der Beklagten durch F* gründet nicht darauf, dass sie es schuldhaft unterlassen hat, angemessene Abhilfe gegen die sexuellen Belästigungen durch Dritte (§ 6 Abs 1 Z 3 GlBG) geschaffen zu haben (§ 6 Abs 1 Z 2 GlBG), sondern weil sie als Arbeitgeberin für die Belästigung des „Seniorchefs“ F* nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG einzustehen hat (9 ObA 19/21s). Unrichtig ist auch, dass der Täter nicht gleichzeitig Dritter und Repräsentant sein kann. Auch Organmitglieder einer juristischen Person sind – soweit es um deren Eigenhaftung geht – im Verhältnis zur belästigten Person Dritte (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 25).
[32] 3.4. Im Schrifttum wird vertreten, dass im Fall einer solchen „Repräsentantenhaftung“ die juristische Person (die Arbeitgeberin) und die natürliche Person, welche die Belästigung ausgeübt hat (und der Arbeitgeberin zuzurechnen ist), solidarisch haften (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 25; Apostol/Hofbauer, Sexuelle Integrität 3. Kapitel Rz 3.21; Tinhofer, Sexuelle Belästigung durch den Geschäftsführer einer GmbH – zugleich eine Besprechung von ASG Wien 25. 2. 1994, 25 Cga 461/93, RdW 1994, 248 [250]; Bollenberger in Bollenberger [Hrsg], Geschäftsführerhaftung6 [2017] Haftung der Gesellschaft, 70). Diese Rechtsauffassung überzeugt.
[33] 3.5. Ist der Arbeitgeber eine natürliche Person, die belästigt, kann er gemäß § 6 Abs 1 Z 1 iVm § 12 Abs 11 GlBG in Anspruch genommen werden; es besteht in diesem Fall ein Schaden, der gegen eine Person (nur) einmal geltend gemacht werden kann. Nichts anderes kann gelten, wenn der Arbeitgeber eine juristische Person ist. Die juristische Person kann jedoch nicht selbst handeln, weshalb es hier der Zurechnung bedarf. Die Höhe des Anspruchs auf Ersatz des durch die Belästigung erlittenen Schadens und die erlittene Beeinträchtigung kann jedoch nicht davon abhängen, ob der Arbeitgeber eine juristische Person ist oder eine natürliche. Die von der Belästigung betroffene Person kann daher auch in dem Fall, dass der Arbeitgeber eine juristische Person ist, ihren Schaden nur einmal ersetzt erhalten, auch wenn der Belästiger als natürliche Person (darüber hinaus) für diesen Schaden deliktisch haftet.
[34] 3.6. Auch im allgemeinen Schadenersatzrecht gilt der Grundsatz, dass es nicht zu einer Doppelliquidation des Schadens (auch § 12 Abs 11 GlBG spricht in der Einzahl vom „erlittenen Schaden“) kommen darf (Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1328 ABGB Rz 31 mwN; Danzl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], ABGB: Großkommentar zum ABGB – Klang-Kommentar – §§ 1328–1329 ABGB, Schadenersatz3 [2022] § 1328 ABGB Rz 103). Auch der Geschäftsherr und der ihm nach § 1313a ABGB zurechenbare Gehilfe haften nach allgemeinem Schadenersatzrecht solidarisch (RS0017495 [T9]). Haftet der Geschäftsherr aufgrund der Zurechnung fremden Verschuldens solidarisch mit dem deliktisch Haftenden, muss dies umso mehr gelten, wenn der Arbeitgeber (wie hier) für sein eigenes Verschulden aufgrund der Zurechnung seines Repräsentanten haftet.
[35] 4.1. Liegt ein Titel vor, nach dem mehrere Schuldner eine Forderung zu begleichen haben und ergibt sich aus diesem Titel keine Gesamtforderung, haftet jeder der Schuldner (zu seinen Gunsten) nur anteilig, also nach Kopfanteil (RS0000451). Diese Rechtsprechung ist bei getrennten Exekutionstiteln über dieselbe Forderung nicht anzuwenden. Die Exekutionstitel sind in diesem Fall daher im jeweiligen Spruch dem Wortsinn nach auslegungsbedürftig, wozu ausnahmsweise auch die den Entscheidungen beigegebene Begründung herangezogen werden darf (3 Ob 50/21f Rz 14). In der genannten Entscheidung wurde die Auffassung vertreten, dass „allein die im Spruch des gegen den Sohn ergangenen Bescheids fehlende ausdrückliche Bezugnahme auf die Solidarhaftung daher nicht gegen die behauptete Gesamtschuld spricht, wenn (sonst) unzweifelhaft ist, dass der Sohn als Gesamtschuldner haftet“ (3 Ob 50/21f Rz 15).
[36] 4.2. Zutreffend weist die Revisionswerberin zwar darauf hin, dass der Spruch der gegen die Klägerin ergangenen Entscheidung 9 Ob 19/21f eindeutig ist und nicht im Sinne einer Solidarhaftung gemeinsam mit F* ausgelegt werden kann. Grundsätzlich kann daher aufgrund beider von der Beklagten gegen die Klägerin und F* erwirkten Urteile Exekution auf den gesamten jeweils zugesprochenen Klagsbetrag geführt werden (vgl 3 Ob 255/06f). Der Vorwurf der Revisionswerberin, die Klägerin hätte im Titelverfahren den Einwand der Solidarhaftung erheben müssen, übersieht, dass ein gegen einen Solidarschuldner ergangenes Urteil nicht auch gegen die Übrigen, nicht am Verfahren beteiligten Solidarschuldner wirkt (vgl RS0017421).
[37] 4.3. Die in der Revision aufgeworfene Frage, ob zum Zeitpunkt des Einbringens der Oppositionsklage durch die Klägerin die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Einwendung nach § 35 EO erfüllt waren, ist für die Beurteilung des von der Klägerin nach Klagsänderung geltend gemachten Bereicherungsanspruchs nicht mehr relevant. Entscheidend ist dafür, dass jeder Mitschuldner zwar zur ungeteilten Hand dem Gläubiger „für das Ganze“, das ist der dem Gläubiger aus der Forderung insgesamt zustehende Betrag, haftet. Diesen Betrag kann der Gläubiger nach seiner freien Wahl bis zu seiner vollen Befriedigung auch von jedem beliebigen Mitschuldner verlangen, er kann aber auch einzelne oder alle Mitschuldner anteilig in Anspruch nehmen. Wurde der Gläubiger allerdings anteilig befriedigt, werden insofern auch die übrigen Mitschuldner von ihrer Schuld befreit (Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch [Hrsg], Großkommentar zum ABGB – Klang-Kommentar – §§ 888–896 ABGB Gemeinschaft Gläubiger-Schuldner3 [2008] § 891 ABGB Rz 42). Die Verpflichtung der Mitschuldner bleibt daher zwar auch dann aufrecht, wenn bereits einer der Solidarschuldner zur Zahlung des Ganzen verurteilt wurde, weil nicht das Urteil, sondern erst die Erfüllung objektive Wirkung entfaltet (7 Ob 17/10s Pkt 6.2. mwN). Zutreffend führt die Revisionsbeantwortung aus, dass der Gläubiger die Solidarschuld aber nur einmal tatsächlich erhalten kann (RS0017435).
[38] 4.4. Dem steht auch der Umstand, dass die beiden solidarisch Haftenden in getrennten Verfahren belangt wurden und demnach zwei (rechtskräftige) Urteile vorliegen, nicht entgegen. Solidarisch Haftende müssen nicht gemeinsam geklagt werden, da sie keine einheitliche Streitpartei sind (vgl RS0035606), sondern bloß eine materielle Streitgenossenschaft bilden: Einerseits besteht nach materiellem Recht gerade keine Notwendigkeit, alle Gesamtschuldner gemeinschaftlich zu klagen und das Urteil muss nach rechtlichen Gesichtspunkten auch nicht gegenüber allen Solidarschuldnern gleich lauten. Die Entscheidung in einem Prozess zwischen Gläubiger und Solidarschuldner entfaltet zudem keine Rechtskraft zugunsten oder zu Lasten der am Prozess nicht Beteiligten (Perner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 891 ABGB Rz 45; RS0017421).
5. Die die Entscheidung tragenden Gründe lassen sich wie folgt zusammenfassen:
[39] Der deliktisch haftende Belästiger, der der belästigten Person für den durch seine sexuelle Belästigung erlittenen Schaden und die erlittene persönliche Beeinträchtigung Ersatz nach § 6 Abs 1 Z 3 iVm § 12 Abs 11 GlBG zu leisten hat, haftet mit seinem Arbeitgeber, der aufgrund der Zurechnung der Belästigung seines Repräsentanten nach § 6 Abs 1 Z 1 GlBG für denselben Schaden einzustehen hat, solidarisch. Die belästigte Person kann ihren Schaden nur einmal ersetzt erhalten.
[40] Leistet einer von mehreren mit gesonderten Klagen vom Geschädigten in Anspruch genommenen Solidarschuldnern unter dem Druck der Exekution nach Tilgung der Schuld durch einen anderen Solidarschuldner, dann kann er seine Leistung vom Gläubiger mit Bereicherungsklage zurückfordern.
[41] Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.
[42] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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