European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00050.23B.0919.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Beim Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO zur (verneinten) Verjährung wird nur die allfällige Verjährung des Klagsanspruchs beurteilt und selbstständig im Instanzenzug überprüfbar, bevor ein unter Umständen umfangreiches (Beweis-)Verfahren über die übrigen Anspruchsgrundlagen des Klagsanspruchs durchgeführt werden muss (RS0127852 [T2]). Ein solches Urteil hat nur zu ergehen, wenn auch ein schlüssiges Tatsachenvorbringen des Klägers zum Anspruchsgrund vorliegt; sonst wäre die Klage – wie auch sonst erst nach Erörterung der Unschlüssigkeit (RS0117576) – abzuweisen (RS0129001). Das heißt, nur die Verjährung eines schlüssigen Anspruchs kann verneint werden. Ein Klagebegehren ist rechtlich schlüssig, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den von ihm zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann (RS0037516).
[2] 1.2. Der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, kommt im Allgemeinen – abgesehen von Fällen auffallender Fehlbeurteilung – keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0116144).
[3] 1.3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die Mehrkosten nach Zeiträumen und Stundenanzahl im Hinblick auf durch die Bauverzögerung entstandene „Nachverfolgungsleistungen“ aufgeschlüsselt. Diese „Nachverfolgungsleistungen“ wurden inhaltlich auch konkretisiert (Kontroll-, Koordinierungs- und Organisationsverpflichtungen, Einsicht in die Projektmanagementplattform etc). Der Sachverhalt ist mit dem der in der Revision zitierten Entscheidung 6 Ob 136/22a zugrunde liegenden nicht vergleichbar, da dort die geltend gemachten Mehrkosten nicht baustellenspezifisch, sondern lediglich anhand einer abstrakten Kalkulation berechnet wurden. Dass von den Vorinstanzen das vorliegende Begehren noch als ausreichend schlüssig angesehen wurde, wogegen sich die Beklagte im Übrigen in der Berufung auch nicht substantiiert gewendet hat, ist nicht zu beanstanden.
[4] 2.1. Gegenstand des Zwischenurteils nach § 393a ZPO ist der Einwand bzw die Frage der Verjährung des mit der Klage prozessual geltend gemachten Anspruchs oder eines von mehreren Ansprüchen. Der prozessuale Anspruch wird durch das Begehren und die diesem zugrundeliegenden rechtserzeugenden Tatsachen bestimmt (vgl 5 Ob 133/15t).
[5] 2.2. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Klagsanspruch primär auf Entgelt nach § 1168 ABGB gestützt wird. Diesen Anspruch sah es in Bezug auf die Mehrkosten als nicht verjährt an. Soweit das Klagebegehren hilfsweise auch auf Schadenersatz gestützt wurde, ging das Berufungsgericht – wie sich aus dem aufhebenden Teil der Entscheidung ergibt – allerdings sowohl von einer Unschlüssigkeit dem Grunde nach als auch einer Ergänzungsbedürftigkeit im Hinblick auf das Vorbringen der Verjährung aus. Über eine Verjährung eines allfälligen Schadenersatzanspruchs konnte vom Berufungsgericht daher nicht entschieden werden.
[6] 3.1. Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 regelt – insoweit ist der Revision zuzustimmen – zwei unterschiedliche Sachverhalte. Zum einen den hier nicht vorliegenden Fall, dass Forderungen nicht in die Schlussrechnung aufgenommen, aber nachträglich geltend gemacht werden, zum anderen den, dass die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag abweicht.
[7] 3.2. Punkt 8.4.2 der ÖNORM B 2110 dient im Wesentlichen dazu, möglichst rasch Klarheit über die Abrechnung zu schaffen, sodass der Auftraggeber zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das Ausmaß seiner Verpflichtungen erfahren und überschauen kann (RS0122419 [T7]; zuletzt 8 Ob 20/23h).
[8] 3.3. Das Unterbleiben eines nachträglichen Vorbehalts ist als nachträgliche Abstandnahme von früher erklärten Vorbehalten zu werten (RS0122419 [T5]). Bereits vor Legung der Schlussrechnung beziehungsweise vor Annahme der davon abweichenden Schlusszahlung abgegebene Erklärungen können nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht ausreichend sein (RS0122419 [T4]). Die Bestimmung könnte ihre Zielsetzung nicht erreichen, wenn jeder irgendwann im Zuge des Bauvorhabens erklärte Vorbehalt geprüft werden müsste (1 Ob 67/08x).
[9] 3.4. Bei der Verpflichtung, den Vorbehalt schriftlich zu begründen, dürfen aber keine unnötigen, vom Normzweck nicht verlangten Hürden aufgebaut und die Anforderungen an den Werkunternehmer nicht überspannt werden, zumal der Grund seiner Forderung schon aus der gelegten Rechnung hervorgeht. Es reicht, wenn der Vorbehalt die vorbehaltenen Ansprüche in erkennbarer Weise individualisiert und – zumindest durch schlagwortartigen Hinweis – den Standpunkt des Werkunternehmers erkennen lässt. Daher kann auch im schriftlichen Vorbehalt auf frühere, dem Erklärungsempfänger bekannte schriftliche Unterlagen Bezug genommen werden (9 Ob 111/06y). Der Oberste Gerichtshof hat auch schon wiederholt, ausgesprochen, dass eine fehlende schriftliche Begründung des Vorbehalts nicht in jedem Fall zur „Ö‑Norm‑Verfristung“ des Werklohns führt. Demnach bewirkt eine fehlende schriftliche Begründung des Vorbehalts dann keine Verfristung des Werklohnanspruchs, wenn dem Werkbesteller klar ist, dass und warum der Werkunternehmer auf seiner Restforderung besteht, etwa weil Gespräche über die Abstriche geführt wurden (vgl 8 Ob 60/21p; 3 Ob 157/13d; 8 Ob 164/08p).
[10] 3.5. Allein durch eine schriftliche Erklärung, dass der Werkunternehmer „die Abstriche beeinspruche“ und dass „die Korrekturen falsch seien“, wird in der Regel noch kein begründeter Vorbehalt abgegeben (9 Ob 76/21y). Ein nicht näher spezifizierter Hinweis auf „den geführten Schriftverkehr betreffend der von uns nicht anerkannten Abrechnungsdifferenzen bei obigem Bauvorhaben" wurde als unzureichende Individualisierung und Konkretisierung der vorbehaltenen Ansprüche angesehen (9 Ob 81/14y; vgl auch 9 Ob 4/16b). Dagegen wurde die Bezugnahme auf ein datumsmäßig individualisiertes Schreiben als ausreichend angesehen (9 Ob 111/06y). Auch eine Abklärung der strittigen Positionen in einer Besprechung nach einem zunächst unbegründeten Vorbehalt wurde als ausreichend erachtet: „Die Positionierung der Klägerin bezüglich der vorbehaltenen Ansprüche konnte von der Beklagten danach nicht verkannt werden“ (9 Ob 76/21y).
[11] 3.6. Die Frage, ob der Auftragnehmer bzw Werkunternehmer einen ausreichenden Vorbehalt im Sinn der genannten Bestimmung erhoben hat, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (9 Ob 76/21y mwN).
[12] 4. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass neben der nicht revisionsgegenständlichen Position „Innenrollo“ – zwischen den Parteien die von der Klägerin beanspruchten Mehrkosten aus einer von ihr der Beklagten zur Last gelegten Baustellenverzögerung strittig waren. Diese waren von der Klägerin im Vorfeld mehrfach angekündigt und letztlich in die Schlussrechnung aufgenommen worden. Nach Legung der Schlussrechnung wurde in der Korrespondenz über diese Position, deren Zahlung von der Beklagten abgelehnt wurde, von der Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie diese Kosten vorsorglich angemeldet habe und das entsprechende Schreiben auch mit der Schlussrechnung übermittelt worden sei. Die Beklagte verfasste eine Korrektur der Schlussrechnung der Klägerin und strich darin genau diese Position (sowie jene der Innenrollos). Sie überwies in weiterer Folge den verringerten Betrag. Daraufhin erklärte der Geschäftsführer der Klägerin, dass die Nichtfreigabe wesentlicher Rechnungspositionen nicht akzeptiert würde und gegen die Nichtzahlung rechtliche Schritte eingeleitet würden.
[13] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass sich aufgrund der eingeschränkten Streitpunkte (Mehrkosten wegen Verzögerung und Innenrollos) für die Beklagte aus diesem letzten Schreiben ausreichend deutlich ergibt, dass die Klägerin gegen den Rechnungsabzug bezüglich genau dieser Positionen einen Vorbehalt erklärt, ist im konkreten Fall nicht zu beanstanden. Der Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass die Erklärungen vor der Zahlung für sich allein keinen der Ö-Norm entsprechenden Vorbehalt darstellen. Im Zusammenhalt mit dem von der Klägerin nach der Zahlung ausdrücklich erklärten Vorbehalt konnte für die Beklagte schon deshalb kein Zweifel bestehen, aus welchem Grund die Klägerin auf der Zahlung beharrt, weil sie selbst die Schlussrechnung der Klägerin in Bezug auf diese wesentliche, strittige Position korrigierte. Damit ist aber dem Zweck der Bestimmung, Klarheit über die Abrechnung zu schaffen, entsprochen. Die Begründung des Vorbehalts muss, wie ausgeführt nicht im Vorbehalt selbst erfolgen. Vergleichbar wurde in der Entscheidung 8 Ob 164/08p unter Bezugnahme auf P. Bydlinski (Die Auslegung und Anwendung von Ö‑Normen, insbesondere in Bezug auf Schlussrechnung und Schlusszahlung, wbl 2008, 215 ff) darauf hingewiesen, dass die durch eine dreimonatige Verfallsfrist bewirkte erhebliche Verschlechterung der Rechtsposition des Werkunternehmers, um ein iSd § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligendes Auslegungsergebnis zu vermeiden, jedenfalls zugunsten des Werkunternehmers dazu führen muss, dass eine fehlende schriftliche Begründung des Vorbehalts dann keine „ÖNORM‑Verfristung“ des Werklohnanspruchs bewirkt, wenn dem Werkbesteller klar ist, dass und warum der Werkunternehmer auf seiner Restforderung besteht. Wenn daher das Berufungsgericht davon ausgeht, dass im Zusammenhalt der E‑Mails ./M, ./U und ./K, ein ausreichend begründeter Vorbehalt erfolgt ist, liegt darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
[14] 6. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht das Vorliegen einer über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
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