European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121345
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Die Beklagte war bei der Klägerin seit vielen Jahren Mieterin einer Wohnung, die sie zumindest die letzten fünf Jahre gemeinsam mit ihrem Sohn bewohnte, sowie eines gesondert in Bestand genommenen PKW-Abstellplatzes. Im Frühjahr 2016 kamen die Beklagte und ihr Sohn überein, dass die Beklagte aufgrund ihres bereits hohen Alters aus der Wohnung ausziehen und in eine ab Oktober 2016 beziehbare barrierefreie Wohnung wechseln, der Sohn jedoch in den Hauptmietvertrag der Wohnung bei der Klägerin eintreten und in der Wohnung bleiben werde. Die Beklagte war als rechtlicher Laie der Meinung, dass sie persönlich aufkündigen müsse, weil sie ja ausziehe und nunmehr der Sohn Mieter sei. Aufgrund dieses Irrtums verfasste sie am 28. 6. 2016 ein Schreiben an die Klägerin, mit dem sie die Wohnung aufkündigte und um Auskunft zwecks „Ausräumung der Wohnung“ ersuchte. Dass der Sohn die Wohnung übernehmen solle, blieb unerwähnt. Die Beklagte bestätigte den Erhalt des Schreibens am 30. 6. 2016 und erklärte, die Kündigung als Auflösung des Bestandverhältnisses zum 30. 9. 2016 anzunehmen. Am 26. 8. 2016 zog die Beklagte aus der Wohnung aus. Am 8. 9. 2016 gaben die Beklagte und ihr Sohn in einem gemeinsamen Schreiben der Klägerin bekannt, dass die Beklagte die Wohnung an den Sohn überlassen möchte. Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 21. 9. 2016, dass der „Abtritt“ nicht möglich, weil die Wohnung bereits gekündigt sei. Mit Schreiben vom 30. 9. 2016 bestätigte die Beklagte in einem Schreiben an die Klägerin, dem Sohn die Schlüssel übergeben zu haben. Der Sohn bewohnt nach wie vor die Wohnung.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Räumung der Wohnung und des PKW-Abstellplatzes und die Zahlung eines Benützungsentgelts in Höhe des bisherigen Mietzinses für die weitere Benützung der Wohnung seit 1. 10. 2016 (9 Monate à 356,87 EUR = 3.211,83 EUR) samt Zinsen.
Die Beklagte wendete unter anderem mangelnde Passivlegitimation ein.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Räumung der Wohnung und zur Bezahlung des von der Klägerin begehrten Benützungsentgelts von 3.211,83 EUR samt 4 % Zinsen. Ein darüber hinausgehendes Zinsenbegehren sowie das Begehren auf Räumung des PKW-Abstellplatzes wies es unangefochten geblieben ab.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im gänzlichen klagsabweisenden Sinne ab. Der Sohn sei in das aufgekündigte Mietverhältnis als Hauptmieter nach § 12 Abs 1 MRG eingetreten, weshalb im Bezug auf den Räumungsanspruch der Einwand der mangelnden Passivlegitimation berechtigt sei. Aufgrund der Verständigung der Klägerin mit Schreiben vom 8. 9. 2016 könne von ihr auch für die Zeit ab Oktober 2016 zufolge § 12 Abs 2 MRG kein Benützungsentgelt verlangt werden. Die Revision sei mangels Rechtsfrage von erheblicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision ist nicht zulässig. Die als erhebliche Rechtsfrage von der Klägerin relevierte Abweichung des Berufungsgerichts von der Entscheidung 3 Ob 215/08a liegt nicht vor.
1.1. Die Wirksamkeit einer Mietrechtsabtretung nach § 12 Abs 1 MRG setzt voraus,
- dass der bisherige Hauptmieter die Wohnung verlässt und ein naher Angehöriger, der mit ihm im gemeinsamen Haushalt eine gewisse Zeit gelebt hat, die Wohnung weiter benützt (RIS‑Justiz RS0069478 [T3]; 3 Ob 225/14f) und
- dass eine – wenigstens konkludente (RIS‑Justiz RS0068541 [T4]) – Willensübereinstimmung zwischen dem Hauptmieter und dem zurückbleibenden Angehörigen über den Übergang der Mietrechte besteht (RIS‑Justiz RS0070988 [T1]).
1.2. Das „Verlassen“ und das „Überlassen“ der Wohnung können zeitlich auseinanderfallen (RIS‑Justiz RS0068962). Die Willensübereinstimmung über den Mietrechtsübergang kann dem Verlassen der Wohnung zeitlich nachfolgen (RIS-Justiz RS0069502), ihm aber auch vorangehen (RIS‑Justiz RS0069462; RS0069502 [T3]).
1.3. Die in § 12 Abs 2 Satz 1 MRG vorgesehene Verpflichtung sowohl des alten als auch des neuen Mieters, dem Vermieter den Mieterwechsel unverzüglich anzuzeigen, ist für den Übergang der Mietrechte bedeutungslos (RIS‑Justiz RS0079159); die Anzeige ist bloß deklarativ (RIS‑Justiz RS0069526 [T2]). Es handelt sich bei § 12 Abs 2 MRG nur um eine Ordnungsvorschrift (RIS‑Justiz RS0069122 [T1]), deren Verletzung lediglich Schadenersatzansprüche des Vermieters begründen könnte (RIS‑Justiz RS0069526; RS0079159 [T1]).
1.4. § 12 Abs 1 MRG bewirkt eine Vertragsübernahme, die ohne Einwilligung des Vertragspartners (= Vermieter) verwirklicht werden kann (RIS‑Justiz RS0069526 [T4]). Die Vertragsübernahme bewirkt, dass der Vertragsübernehmer an die Stelle der aus dem Schuldverhältnis ausscheidenden Partei tritt und deren gesamte vertragliche Rechtsstellung übernimmt, ohne dass dadurch der Inhalt oder die rechtliche Identität des bisherigen Schuldverhältnisses verändert werden (RIS‑Justiz RS0032623 [T1]).
2. Im vorliegenden Fall waren sich die Beklagte und ihr Sohn bereits im Frühjahr 2016 einig, dass der Sohn die Wohnung übernehmen solle. Es lag ein natürlicher Konsens über die „Abtretung“ im Sinne des § 12 Abs 1 MRG vor. Dass diese Willensübereinstimmung dem Auszug der Beklagten zeitlich voranging, schadet nach der referierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht. Der Anzeige nach § 12 Abs 2 MRG an den Vermieter kommt keine konstitutive Bedeutung zu. Die Verletzung der Anzeigepflicht kann bloß schadenersatzrechtlich von Relevanz sein. Damit wurde die „Abtretung“ mit dem Auszug der Beklagten aus der Wohnung, somit am 26. 8. 2016 wirksam. Ab diesem Zeitpunkt war kraft Vertragsübernahme der Sohn Vertragspartner der Klägerin. Die Beklagte war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr für die Räumungsklage passivlegitimiert (vgl RIS‑Justiz RS0069122; RS0032623 [T1]).
3. Die Klägerin wendet gegen die Klagsabweisung in der außerordentlichen Revision unter Bezugnahme auf 3 Ob 215/08a im Wesentlichen ein, es sei keine Vertragsübernahme nach § 12 MRG mehr möglich gewesen, weil die Beklagte die Wohnung bereits vor ihrem Auszug aufgekündigt habe. Für diese Schlussfolgerung gibt die Entscheidung des 3. Senats bei richtiger Lesart aber keinen Anlass:
3.1. Mit jener Entscheidung wies der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision zurück. Der Entscheidung ist keine abschließende Beurteilung des damaligen Falles zu entnehmen, sondern allein die Ansicht des 3. Senats, dass die Beendigung des Mietverhältnisses durch die Hauptmieterin vor deren Auszug aus der Wohnung die Abtretung von über den Ablauf des Bestandverhältnisses hinausreichenden Mietrechten verhindere und daher die von den damaligen Beklagten beabsichtigte Vertragsübernahme nach § 12 Abs 1 MRG nicht wirksam werden habe können.
Der 3. Senat lehnte in der Entscheidung die Annahme einer Vertragsübernahme nicht generell ab, sondern lediglich die Annahme einer solchen, wie sie die damaligen Beklagten beabsichtigten. Damit lehnte der 3. Senat lediglich ab, trotz der bereits erfolgten Aufkündigung dem Vertragsübernehmer ein ungekündigtes Mietverhältnis zu gewähren. In Bezug auf über den Ablauf des Bestandverhältnisses nicht hinausreichender Mietrechte geht auch diese Entscheidung offensichtlich von der Zulässigkeit einer Abtretung im Sinne des § 12 Abs 1 MRG aus. Es wäre auch nicht einzusehen, warum ein von vornherein befristetes Mietverhältnis anders behandelt werden sollte als ein unbefristetes, jedoch sodann aufgekündigtes Mietverhältnis. Ab der Aufkündigung haben beide Mietverhältnisse einen Endigungszeitpunkt. Dass es bei einem von vornherein befristeten Mietverhältnis nicht zulässig wäre, dieses nach § 12 MRG an Angehörige abzutreten, ist zu dem Gesetz nicht zu entnehmen. Folglich muss es aber auch zulässig sein, nach Aufkündigung eines Mietverhältnisses dasselbe beschränkt auf die Mietrechte bis zum Endigungszeitpunkt im Sinne des § 12 MRG abzutreten. Dagegen spricht auch nicht der Zweck des § 12 MRG, der darin zu erblicken ist, dass der in der Wohnung zurückbleibende Teil der Familie vor Obdachlosigkeit geschützt, mit anderen Worten ihm die Wohnung erhalten wird (1 Ob 557/89; 7 Ob 202/99b = wobl 2001/47 [Vonkilch]; RIS‑Justiz RS0068222). Durch den Eintritt in das wenngleich aufgekündigte (oder von vornherein befristete) Mietverhältnis hat der eintretende Angehörige zumindest vorläufig ein rechtlich abgesichertes Obdach (aA Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 12 MRG Rz 27).
3.2. In diesem Sinne wird die Entscheidung 3 Ob 215/08a auch in der Literatur behandelt:
3.2.1. Prader vertritt in seiner Glosse zu 3 Ob 215/08a in immolex 2009, 275 die Ansicht, dass die bloße Kündigung oder auch einvernehmliche Vertragsauflösung nicht generell dazu führen könne, einen Eintritt nicht mehr zuzulassen. Die Wirkung der Kündigung trete mit dem Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigung ein. Bis dorthin sei der Vertrag aufrecht, sodass auch eine Abtretung insoweit noch möglich sein müsse, als die übrigen Voraussetzungen des § 12 Abs 1 MRG vorliegen. Dies könne freilich an der Beendigung des Vertrags letztlich nichts mehr ändern, da der Eintretende selbstredend auch an ausgesprochene oder vereinbarte Endtermine/Kündigungen gebunden bleibe.
3.2.2. Höllwerth (in Gitschthaler/Höllwerth, Kommentar zum Ehe- und Partnerschaftsrecht [2011] § 12 MRG Rz 31) führt unter Bezugnahme auf die Entscheidung 3 Ob 215/08a aus, dass wenn der bisherige Mieter vor seinem Auszug aus der Wohnung das Mietverhältnis durch eine vom Vermieter angenommene Aufkündigung beende, danach eine Vertragsübernahme gemäß § 12 Abs 1 MRG ausgeschlossen und mangels über das Ende des Bestandverhältnisses hinausreichender Mietrechte diese nicht mehr wirksam abgetreten werden können. Damit nimmt wohl auch Höllwerth an, dass trotz der Aufkündigung immerhin die bis zum Ende des Mietverhältnisses reichenden Mietrechte abgetreten werden können.
3.2.3. Schließlich vertritt jüngst auch Schinnagl (in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, Gesamtkommentar Wohnrecht I [2018] § 12 MRG Rz 5) die Auffassung, dass eine Abtretung auch bei einem zwischenzeitig aufgelösten oder aufgekündigten Mietverhältnis möglich sein müsse, sofern die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen sei. Der übernehmende Mieter trete in diesem Fall – ähnlich sei die Lage bei einem befristeten Mietverhältnis – für die noch fortbestehende Laufzeit in das Mietverhältnis ein.
3.2.4. Dass auch nach Aufkündigung des Mietverhältnisses begrenzt auf die Mietrechte bis zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufkündigung eine Vertragsübernahme nach § 12 Abs 1 MRG noch möglich ist, entspricht inhaltlich der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Präsentationsrecht. Zwingende Voraussetzung eines solchen ist, dass das Bestandverhältnis zum Zeitpunkt der Namhaftmachung des Nachmieters noch aufrecht besteht; die Namhaftmachung eines Nachmieters im Zeitraum zwischen Zustellung der Aufkündigung und dem Zeitpunkt der letztlich wirksam gewordenen Auflösung des Bestandverhältnisses steht demgegenüber grundsätzlich offen (vgl 1 Ob 28/10i und dazu RIS‑Justiz RS0032882 [T2]). Auch bei einer Unternehmensveräußerung wird nur davon ausgegangen, dass aus einer solchen Mietrechte dann nicht abgeleitet werden können, wenn das Bestandverhältnis im Zeitpunkt der Unternehmensveräußerung bereits beendet war (7 Ob 538/89), also im Falle einer Kündigung der Kündigungstermin bereits verstrichen ist (5 Ob 2374/96w).
3.3. Das Berufungsgericht hat die Entscheidung 3 Ob 215/08a also zutreffend verstanden: Kündigt der Hauptmieter das Mietverhältnis auf, bevor er die Wohnung verlässt, so übernimmt der Angehörige das Bestandverhältnis nur in dem aufgekündigten Zustand, er übernimmt es aber. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist der Angehörige daher kraft Vertragsübernahme nach § 12 Abs 1 MRG Hauptmieter. Die Räumungsklage ist gegen ihn zu richten.
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