OGH 7Ob177/14a

OGH7Ob177/14a5.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** D*****, vertreten durch Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier & Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte & Strafverteidiger OG in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei S*****Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Josef Dengg und andere Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen 5.900 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 28. Mai 2014, GZ 22 R 78/14w‑14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 31. Dezember 2013, GZ 2 C 394/13x‑10, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00177.14A.1105.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss mit der Beklagten für sein Kraftfahrzeug einen Vollkaskoversicherungsvertrag ab, dem die „Allgemeinen Bedingungen für die Bonus‑Kaskoversicherung mit Umreihung“ (ABBKU 2009) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

„Artikel 7

Was ist vor bzw. nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?

(Obliegenheiten)

...

3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs. 3 VersVG), werden bestimmt,

3.1. dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche ab Kenntnis

‑ den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes,

sowie

‑ die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens

schriftlich mitzuteilen;

3.2. Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen;

...“

 

Der Kläger, der sich zu Hause befand, erhielt am Sonntag, den 2. 12. 2012, zwischen 02:00 Uhr und 03:00 Uhr einen Anruf seines Bruders, der ersuchte, ihn von einem Lokal abzuholen. Der Kläger fuhr daraufhin mit seinem Fahrzeug in Richtung des Lokals. Die Fahrbahnoberfläche war infolge Minusgraden rutschig. Weil der Kläger das Gefühl hatte, „etwas zu schnell gefahren zu sein“, führte er bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h eine Vollbremsung durch. Aufgrund der für die rutschigen Straßenverhältnisse überhöhten Fahrgeschwindigkeit konnte er bei einer Kreuzung nicht einbiegen, sondern fuhr geradeaus weiter, sodass sein Fahrzeug mit einer (Mauer‑)Säule eines Bankgebäudes kollidierte. Der Kläger erlitt keine Verletzungen und war auch nicht geschockt oder psychisch beeinträchtigt. Er besichtigte den Schaden an seinem Fahrzeug und am Gebäude der Bank, deren mit Naturstein verkleidete Säule beschädigt war. Das Fahrzeug war noch fahrbereit. Der Kläger fuhr wieder nach Hause und verständigte seinen Bruder, dass er ihn nicht abholen werde. Da das Fahrzeug keine größeren Schäden aufwies, unterließ er die Verständigung der Polizei. Er ging aufgrund der Mitteilung seines Versicherungsvertreters anlässlich eines früheren Unfallereignisses davon aus, dass bei einem Unfall ohne Personenschaden die Polizei nicht verständigt werden muss. Ihm „sind die Bestimmungen der StVO bekannt“. Der genannte Versicherungsagent wickelte für den Kläger bereits früher Verkehrsunfälle ab, wobei Alkoholeinfluss jeweils kein Thema war.

Am Montag (3. 12. 2012) erkundigte sich der Kläger telefonisch bei seinem Versicherungsvertreter, was er machen solle und fragte, ob er den Schaden bei der Polizei melden müsse oder nicht. Der Versicherungsvertreter teilte ihm mit, dass die Meldung bei der Polizei nicht erforderlich sei, weil kein Personenschaden vorliege. Er müsse jedoch unbedingt zur Bank gehen und den Unfall melden. Dies tat der Kläger in der Folge. Der Schaden an der (Mauer‑)Säule des Gebäudes wurde später durch den Haftpflichtversicherer seines Fahrzeugs bezahlt.

Beim vereinbarten Besprechungstermin am nächsten Tag fragte der Kläger, ob eine polizeiliche Anzeige erstattet werden müsse, was der Versicherungsagent für nicht erforderlich erachtete. Der Kläger füllte nun gemeinsam mit diesem die Schadensmeldung aus. Die Frage nach „Beschädigungen an fremden Sachen (nicht an Fahrzeugen)“ wurde nicht ausgefüllt. Zum Unfallhergang wurde festgehalten: „Ich geriet auf der glatten Fahrbahn ins Schleudern und prallte frontal gegen eine Mauer. Dabei wurde die Frontpartie des Fahrzeuges beschädigt.“ Die im Formular vorgesehenen Unfalldaten (Tag des Unfalls, Uhrzeit, Unfallstelle) und die Frage, ob eine behördliche Unfallaufnahme stattgefunden hat oder nicht, wurden nicht ausgefüllt. Die Schadensmeldung unterzeichnete der Kläger am 4. 12. 2012.

Ein von der Beklagten beigezogener Sachverständiger erhob einen wirtschaftlichen Totalschaden am Fahrzeug. Zunächst teilte eine Sachbearbeiterin der Beklagten dem Versicherungsagenten mit, dass die Entschädigungsleistung 5.850 EUR ausmache. In der Folge berief sich die Beklagte aber auf Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 5.900 EUR sA (Fahrzeugschaden von 5.850 EUR zuzüglich Spesenpauschale von 50 EUR). Da er in der Nacht niemanden finden habe können, habe er sich vorgenommen, gleich am Montag die Bank vom Unfall zu verständigen. Er sei aufgrund einer früheren Mitteilung seines Versicherungsvertreters der Ansicht gewesen, dass er die Polizei nur dann verständigen müsse, wenn ein Personenschaden vorliege. Am Montag habe er die Bank aufgesucht und den Schadensfall gemeldet. Sein Versicherungsbetreuer habe ihm nach dem Schadensfall mitgeteilt, dass er nicht zur Polizei gehen müsse. Am Dienstag habe er wie vereinbart mit seinem Versicherungsbetreuer die Versicherungsmeldung ausgefüllt und die weitere Abwicklung diesem überlassen. Eine Obliegenheitsverletzung nach Art 7.3.1. ABBKU 2009 liege nicht vor, weil er seiner Meldepflicht grundsätzlich nachgekommen sei, nachdem er einen Tag nach dem Unfall den Versicherungsfall der Geschädigten gemeldet sowie seinen Versicherungsbetreuer angerufen habe. Auch eine Verletzung der (polizeilichen) Meldepflicht könne zu keiner Leistungsfreiheit führen. Der Sachverhalt könne nach wie vor genauestens aufgeklärt werden. Durch die unterlassene Meldung sei kein Nachteil für die Beklagte entstanden und keine Beeinträchtigung bei der Schadensregulierung gegeben. Eine allfällige Versäumnis könne ihm nicht als schuldhafte Pflichtverletzung angelastet werden.

Die Beklagte wendete ein, der Kläger habe sich von der Unfallstelle entfernt und es unterlassen, die Polizei zu verständigen. Ihr sei es im Nachhinein nicht möglich, eine Prüfung über eine eventuelle Alkoholisierung oder Übermüdung des Klägers durchzuführen. Bereits im Jahr 2010 habe der Kläger unter Einwirkung von Alkohol einen Verkehrsunfall verursacht. Er habe bewusst sein Verhalten daraufhin gerichtet, die Beweislage nach dem Verkehrsunfall zu ihren Lasten zu manipulieren und zu seinen Gunsten zu „schönen“. In der Schadensmeldung habe er wichtige Details zum Schadenshergang, insbesondere zum Punkt „Beschädigung an fremden Sachen“, verschwiegen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger habe die Aufklärungsobliegenheit verletzt, unmittelbar nach dem Unfallgeschehen die Polizei zu verständigen. Dazu wäre er nach § 4 Abs 5 StVO verpflichtet gewesen, nachdem er keinen Ansprechpartner der geschädigten Bank angetroffen hatte. Zudem habe er in der schriftlichen Schadensmeldung vom 4. 12. 2012 weder den Unfalltag, den Unfallort sowie den Punkt „behördliche Unfallaufnahme“ ausgefüllt, insbesondere habe er auch nicht angegeben, dass eine Beschädigung an einer fremden Sache durch das Unfallgeschehen erfolgt sei. Damit liege keine vollständige Schilderung des Versicherungsfalls vor. Zwar sei dem Kläger nicht zu unterstellen, dass er geradezu und ausschließlich mit dem Ziel gehandelt habe, den Versicherer zu täuschen. Die unvollständig angegebenen Umstände beeinträchtigten die Beurteilung der Leistungspflicht der Beklagten maßgeblich. Diese Obliegenheitsverletzungen führten zur Leistungsfreiheit der Beklagten gemäß § 6 Abs 3 VersVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es die Beklagte verpflichtete, dem Kläger 5.850 EUR sA zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 50 EUR sA (Spesenpauschale) wies es rechtskräftig ab. Nicht jede Übertretung des § 4 Abs 5 StVO iVm Art 7.3.2. ABBKU 2009 sei für sich alleine schon der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Zwar sei dem Kläger eine Verletzung des § 4 Abs 5 StVO vorzuwerfen, weil er die mit Naturstein verkleidete Säule der Bank beschädigt habe und nicht unverzüglich eine Anzeige bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle erstattet habe. Die Beklagte müsse aber eine konkrete Verdachtslage beweisen, die nunmehr infolge Unterlassens der Anzeige objektiv im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Aus den getroffenen Feststellungen ergäben sich keine Indizien in Richtung eines konkreten Verdachts, dass der Kläger im Unfallszeitpunkt unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Der Unfall habe sich infolge der für die rutschigen Straßenverhältnisse erhöhten Fahrgeschwindigkeit ereignet. Das Erstgericht habe disloziert in der Beweiswürdigung zu einer allfälligen Alkoholisierung des Klägers eine „non‑liquet‑Feststellung“ getroffen. Gegen eine konkrete Verdachtslage spreche auch der Umstand, dass der Kläger deshalb nicht die Polizeidienststelle informiert habe, weil er davon ausgegangen sei, diese bei einem Unfall mit bloßem Sachschaden nicht informieren zu müssen. Bei früheren Verkehrsunfällen habe es ‑ entgegen den Behauptungen der Beklagten ‑ keine Alkoholeinwirkung des Klägers gegeben.

Das unvollständige Ausfüllen der Schadensmeldung stelle keine Obliegenheitsverletzung dar. Das Offenlassen von Fragen in der Schadensanzeige begründe nur dann eine Obliegenheitsverletzung, wenn sich der Versicherungsnehmer auch auf Nachfrage des Versicherers hierzu nicht erkläre. Die Beklagte habe beim Kläger nicht rückgefragt. Auch fänden sich keine Hinweise, dass dieser trotz Aufforderung in weiterer Folge keine Stellungnahme abgegeben hätte. Zudem sei erforderlich, dass durch die Unterlassung der Unfallmeldung ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe „offensichtlich etwas verschwiegen“, reiche für einen konkreten Verdacht nicht aus. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob nicht überhaupt eine vollständige Schadensmeldung dadurch erstattet worden sei, dass der Kläger den Unfallhergang der Beklagten mitgeteilt habe, indem er sich an den „Versicherungsrepräsentanten“ gewandt habe.

Das Berufungsgericht ließ nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zu, weil sich seine Beurteilung von der Judikaturlinie unterscheide, dass der Versicherer diejenigen Auskünfte verlangen könne, die er für notwendig halte, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung bedeutsam sein könnten, wobei der Umstand, dass sich der Versicherer diese Auskünfte auch auf andere Weise verschaffen könne, von untergeordneter Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Beweisbelastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313 [T32]). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728 [T4]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitäts-gegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS‑Justiz RS0081253 [T10]; RS0109766). Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will (RIS‑Justiz RS0109766). Absichtlich unvollständig gemachte Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, die sich erkennbar nicht darauf bezogen, diesen zu täuschen, sind nicht als „dolus coloratus“ zu werten und erlauben dem Versicherungsnehmer den Kausalitäts-gegenbeweis (RIS‑Justiz RS0109767). Eine „Manipulation“ ist nur dann als Täuschung im Sinn der zitierten Bestimmung zu qualifizieren, wenn feststeht, dass damit der Versicherer in die Irre geführt werden sollte. „Manipulationen“, die sich schon von vornherein oder nach ihrer Richtigstellung (Aufklärung) als gar nicht „täuschungsgeeignet“ herausstellen, sollen von der Sanktion des Ausschlusses des Kausalitätsgegenbeweises ausgenommen sein (7 Ob 150/13d mwN = RIS‑Justiz RS0109767 [T2] = ZVR 2014/90, 164 [Ch. Huber]). Die Frage, ob dem Versicherungsnehmer „dolus coloratus“ vorzuwerfen ist, ist primär eine Tatfrage (7 Ob 97/09d; 7 Ob 34/12v; RIS‑Justiz RS0109766 [T10]).

2.1 Zur Aufklärungsobliegenheit gemäß Art 7.3.2. ABBKU 2009 („Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen“) gibt es eine ständige oberstgerichtliche Judikatur. Danach verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht dann, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle nicht meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 StVO verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas versäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung durch objektives „Unbenützbarwerden“ (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels muss der Versicherer behaupten und beweisen (RIS‑Justiz RS0043520; zuletzt 1 Ob 197/13x). Vom Versicherungsnehmer ist in Entsprechung der Versicherungsbedingungen und § 4 Abs 2 sowie 5 StVO zu verlangen, nach einem Unfall in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Polizeianzeige zu erstatten (vgl RIS‑Justiz RS0074495). Eine Unfallmeldung kann nur unterlassen werden, wenn ausschließlich der den Unfall verursachende Lenker, der zugleich Versicherungsnehmer ist, verletzt oder sein eigenes Fahrzeug beschädigt wurde (RIS‑Justiz RS0074483). Die Höhe des Schadens selbst ist ohne Bedeutung. Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv werden muss (RIS‑Justiz RS0080477). Dieses Bewusstsein ist mangels besonderer Entschuldigungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, bis zum Beweis des Gegenteils vorauszusetzen (7 Ob 109/12y mwN).

2.2 Dass das Unterlassen der Anzeige bei der Polizeidienststelle und damit eine Obliegenheitsverletzung vom Kläger vorsätzlich oder ‑ wie von der Beklagten argumentiert ‑ mit „dolus coloratus“ begangen worden sein soll, ergibt sich aus den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts nicht. Zwar sind ihm „die Bestimmungen der StVO“ bekannt, jedoch ging er aufgrund der früheren Mitteilung des der Beklagten zuzurechnenden Versicherungsagenten (§ 43 Abs 1 VersVG) anlässlich eines damaligen Unfallereignisses davon aus, dass er bei einem Unfall ohne Personenschaden die Polizei nicht verständigen muss. Das bestätigte ihm der Versicherungsagent auch nachfolgend. Da der Kläger beim Verkehrsunfall am Sonntag früh die verkleidete Säule der Bank beschädigte und keinen Mitarbeiter antraf, hätte er gemäß § 4 Abs 5 StVO die nächste Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub vom Verkehrsunfall verständigen müssen. Die Mitarbeiter der Bank verständigte er umfassend am darauffolgenden Montag, dem ersten Werktag nach dem Unfall. Damit hat er zwar seiner gesetzlichen Verpflichtung nach § 4 Abs 5 StVO nicht Genüge getan, jedoch ist den Feststellungen in keiner Weise ein Vorsatz zu entnehmen, dass er die Polizeidienststelle deshalb nicht verständigte, um die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des beklagten Versicherers zu manipulieren. Ein sogenannter „dolus coloratus“ liegt nicht vor.

2.3 Wie dargelegt ist nicht jede Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich allein schon eine Verletzung der Aufklärungspflicht. Der Versicherer muss eine konkrete Verdachtslage beweisen, die infolge Unterlassens der Anzeige objektiv im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0043520; 7 Ob 299/04b = RS0119960). Ein entsprechender Hinweis auf eine konkrete Verdachtslage fehlt im vorliegenden Fall. Der Unfall ereignete sich infolge der für die rutschigen Straßenverhältnisse überhöhten Fahrtgeschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Dass sich der Unfall in der Nacht ereignete, indiziert für sich noch keine Übermüdung oder Alkoholisierung des Klägers. Der Kläger fuhr von zu Hause aus los, um seinen Bruder aus einem Lokal abzuholen. Eine konkrete Verdachtslage zum Vorliegen einer Alkoholisierung oder einer sonstigen Beeinträchtigung des Klägers konnte die Beklagte nicht beweisen. Das „non liquet“ ‑ disloziert festgestellt in der Beweiswürdigung des Erstgerichts ‑ geht zu ihren Lasten (vgl 7 Ob 276/01s). Entgegen der erstinstanzlichen Behauptung der Beklagten bestand auch bei früheren Verkehrsunfällen des Klägers kein Alkoholeinfluss. Aufgrund der unterlassenen polizeilichen Anzeige liegt daher keine Obliegenheitsverletzung des Klägers vor.

3.1 Nach Art 7.3.1. ABBKU 2009 ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, dem Versicherer den Versicherungsfall „unter möglichst genauer Angabe des Sachverhalts“ schriftlich mitzuteilen. Diese nachvertragliche Obliegenheit erfordert ‑ über die Anzeige‑(Melde‑)pflicht hinausgehend ‑ genauere Angaben des Versicherungsnehmers. Anders als bei der reinen Anzeigepflicht, bei der sich aus dem Inhalt der Anzeige lediglich ergeben muss, dass ein Versicherungsfall eingetreten ist, durch den der Versicherer nach Auffassung des Anzeigenden leistungspflichtig wird und bei der als objektiver Verletzungstatbestand praktisch nur die Nichtanzeige des Versicherungsfalls in Frage kommt, kommt für Art 7.3.1. ABBKU 2009 auch eine Schlechterfüllung der Anzeigepflicht in Betracht, die der Nichterfüllung gleichzustellen ist. Insofern ist auch die Grenze zwischen der Anzeigepflicht des § 33 Abs 1 VersVG und der Auskunftspflicht des § 34 Abs 1 VersVG fließend, weil eine inhaltlich erweiterte Anzeige das Verlangen nach Auskünften unnötig macht (7 Ob 26/86 mwN = SZ 59/115 [zu Art 8 Abs 2 Z 1 AKHB]; vgl zur Abbedingung des § 33 Abs 1 VersVG durch den inhaltsgleichen Art 7.3.1 AKKB 2012: Ramharter in Fenyves/Schauer, VersVG § 33 Rz 41).

Der Oberste Gerichtshof hat in einer nachfolgenden Entscheidung (7 Ob 44/03a [zu Art 9 Z 3.3.1 AKHB]) eine inhaltsgleiche Klausel wie die hier zu beurteilende als Aufklärungsobliegenheit angesehen. Zweck dieser Aufklärungsobliegenheit sei es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, eine sachgemäße Entscheidung über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen, und alle Umstände klarzustellen, die für eine allfällige Ablehnung der Deckung oder für künftige Regressansprüche durch den Versicherer von Bedeutung sein könnten. Der Versicherungsnehmer sei daher gehalten, allenfalls auch gegen seine eigenen Interessen zu handeln.

3.2 Die strittige Frage des allfälligen Vorliegens einer Obliegenheitsverletzung, wenn der Versicherungsnehmer in der Schadensanzeige eine Formularfrage offen lässt (vgl Schwintowski [in BK § 6 VVG Rn 43]; Römer [in Römer/Langheid, VVG² § 6 Rn 23]; Fenyves [in Fenyves/Schauer, VersVG § 6 Rz 104]; Knappmann [in Prölss/Martin, VVG28 E.1 AKB 2008 Rn 15]; Marlow [in Beckmann/Matusche‑Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch² § 13. Grundlagen zu den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers Rn 35 f]; Langheid in VersR 2007, 629 [Anm zu BGH IV ZR 106/06 = VersR 2007, 481]; Ramharter [in Fenyves/Schauer, VersVG § 34 Rz 80]; vgl auch die jüngere deutsche zweitinstanzliche Rechtsprechung [zB OLG Köln 9 U 189/96 = r + s 1998, 102; OLG Brandenburg 14 U 64/00 = BeckRS 2001, 30175343; OLG Nürnberg 8 U 2485/02 = NJOZ 2003, 2959; OLG Bremen 3 U 27/07 = VersR 2007, 1692]; 7 Ob 2362/96w; 7 Ob 72/03v), muss hier nicht geklärt werden, weil selbst bei einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nur eine leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Nach den Feststellungen wurde der Versicherungsagent (§ 43 Abs 1 VersVG) am Montag (3. 12. 2012) vom Kläger über das Unfallgeschehen telefonisch verständigt. Der der Beklagten zuzurechnende Versicherungsagent wusste auch, dass der Kläger keine Meldung bei der Polizeidienststelle erstattete, hielt er diese ihm gegenüber doch nicht für erforderlich. Am nächsten Tag füllte der Kläger gemeinsam mit dem Versicherungsagenten die Schadensmeldung aus. Dabei ließ er im Formular die Fragen zu „Beschädigungen an fremden Sachen“ und, ob eine behördliche Unfallaufnahme stattgefunden hat oder nicht, sowie die Unfalldaten unausgefüllt. Zwar erfordert Art 7.3.1. ABBKU 2009 ausdrücklich Schriftlichkeit, sodass es auf den vom Kläger dem Versicherungsagenten mitgeteilten Kenntnisstand grundsätzlich nicht ankommt, jedoch drängte der beim Ausfüllen behilfliche Versicherungsagent nicht auf die Beantwortung der offen gelassenen Fragen (vgl Knappmann aaO). Auch wenn der Kläger seine Obliegenheit nach Art 7.3.1. ABBKU 2009 verletzt haben sollte, ist ihm der Beweis gelungen, dass ihm nur eine leichte Fahrlässigkeit anzulasten ist, die nach § 6 Abs 3 erster Satz VersVG ohne Sanktion bleibt. Da den Versicherungsagenten, der nach den erstinstanzlichen Feststellungen als „Repräsentant der Beklagten“ bezeichnet wird, Beratungspflichten beim Ausfüllen der Schadensmeldung treffen, kann dem Kläger nur als leichte Fahrlässigkeit angelastet werden, dass er in der Schadensmeldung keine vollständige Schilderung des Unfalls vornahm. Er konnte davon ausgehen, dass er im Hinblick auf die Anleitungspflicht des Versicherungsagenten durch die ‑ wenn auch unvollständige ‑ schriftliche Schadens-mitteilung dem beklagten Versicherer ausreichende Informationen über das Unfallgeschehen gab. Selbst bei Bejahung der Obliegenheitsverletzung ist ihm daher der angetretene Beweis der leichten Fahrlässigkeit gelungen.

Damit steht ihm der der Höhe nach unstrittige Ersatz für seinen Fahrzeugschaden von 5.850 EUR sA zu.

4. Der Revision der Beklagten ist daher im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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