Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger schloss bei der Beklagten einen Kaskoversicherungsvertrag ab, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung (ABK 2002) zugrunde liegen.
Art 7 lautet:
„Was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?
(Obliegenheiten)
...
3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 3 VersVG), werden bestimmt,
3.1. dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche ab Kenntnis - den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes...schriftlich mitzuteilen;
3.2. Nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen;
..."
Am 5. 4. 2003 hielten sich der Kläger und seine Lebensgefährtin bei deren Tante in S***** auf. In der Nacht auf Sonntag, den 6. 4. 2003, traten sie bei Regen die Heimfahrt nach H***** an, wobei der Kläger seine Lebensgefährtin, die ebenfalls eine Lenkerberechtigung hat, den Wagen fahren ließ. Das Fahrzeug kollidierte bei dieser Fahrt mit einer Leitschiene. Sowohl das Fahrzeug als auch die Leitschiene wurden beschädigt.
Der Kläger begehrt nun die Leistung aus dem Kaskoversicherungsvertrag.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung mit der Begründung, dass der Kläger es verabsäumt habe, sie über den exakten Unfallort und die näheren Umstände des Unfalles aufzuklären. Er habe gegen seine Obliegenheiten nach Art 7 Abs 3.1. und 3.2. ABK 2002 verstoßen. Insbesondere habe er die gebotene Verständigung nach § 4 Abs 5 StVO unterlassen. Bei unverzüglicher Meldung des Unfalls hätte die Gendarmerie die Person des Unfalllenkers und dessen Zustand (allfällige Alkoholbeeinträchtigung im Unfallszeitpunkt um 1.30 Uhr) feststellen können. Auch hätten noch Spuren aufgefunden werden können, die Aufschluss über das Unfallgeschehen hätten geben können. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der Kläger und seine Lebensgefährtin haben an diesem Abend keinen Alkohol konsumiert. Sie traten bei Regen die Heimreise an. Nach Abzweigung von der Bundesstraße ***** auf die G***** Landesstraße ging der Regen allmählich in starken Schneefall über und verursachte eine ca 10 cm dicke Matschschicht auf der Fahrbahn, wodurch der Wagen gegen 1.30 Uhr auf einem weitgehend geraden Straßenstück ohne vorangegangenes Bremsmanöver ins Schleudern geriet und gegen eine am linken Straßenrand aufgestellte Leitschiene prallte. An der Leitschiene entstand eine Delle, am Fahrzeug brach der linke Scheinwerfer und der linke Kotflügel wurde beschädigt, was sowohl der Kläger als auch seine Lebensgefährtin beim Aussteigen erkennen konnten. Weil der Wagen fahrbereit war, beschlossen sie die Fahrt von noch wenigen Kilometern zu ihrem Ziel fortzusetzen. Nach ca 1 km leuchtete aber die rote Ölkontrollleuchte auf, worauf der Kläger und seine Lebensgefährtin zur Vermeidung eines Motorschadens beschlossen, das Fahrzeug bei der nächsten Gelegenheit abzustellen, die sich dann auch gleich auf dem zu Geschäftszeiten stark frequentierten Parkplatz zwischen zwei Geschäften bot. Sie parkten den Wagen auf dem hinteren von der öffentlichen Straße nur in der Gegenrichtung einsehbaren Teil des Parkplatzes. Würde man die Absicht haben, den Wagen zu verstecken, würden sich für einen nicht ortsansässigen Dritten günstigere Gelegenheiten bieten. Der Kläger und seine Lebensgefährtin dachten nicht daran, den Vorfall der Gendarmerie zu melden. Der nächstgelegene Gendarmerieposten wäre um diese Zeit geschlossen gewesen, der Anruf wäre aber zur Bezirksleitzentrale Z***** weitergeleitet worden. Am nächsten Werktag, dem 7. 4. 2003, informierte die Lebensgefährtin des Klägers die Gemeinde S***** von der beschädigten Leitschiene. Man verwies sie an die Straßenmeisterei B*****. Hier hinterließ die Lebensgefährtin ihren Namen, ihre Telefonnummer, das Kennzeichen des Fahrzeuges, gab den Unfallsort und die Beschädigung an der Leitschiene bekannt.
Am darauffolgenden Werktag suchte der Kläger den Gebietsvertreter der Beklagten auf und schilderte ihm den Vorfall, worauf dieser das von der Beklagten aufgelegte Schadensmeldungsformular nach den Angaben des Klägers ausfüllte. Den Unfallsort gab er mit „G***** Landesstr., J*****" an. In der Rubrik, in der der Lenker seine Unfallschilderung einzutragen hat, vermerkte der Gebietsvertreter: „Bei der Fahrt von S***** Richtung H***** kam ich auf der schneeglatten Fahrbahn ins Schleudern und stieß gegen die Leitschiene".
Am 15. 4. 2003 schickte die Beklagte dem Kläger einen ergänzenden Kaskofragebogen mit der Aufforderung, dass dieser durch die Lenkerin ausgefüllt werden solle, was auch geschehen ist. Ca eine Woche nach dem Unfall ließ der Kläger den Wagen vom Parkplatz in eine Reparaturfachwerkstätte schleppen.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass der Kläger seiner Obliegenheitsverpflichtung nach Artikel 7.3.1 ABK 2002 jedenfalls nachgekommen sei. Nicht jede Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich allein stelle eine Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers nach Art 7.3.2 ABK 2002 dar. Vielmehr müsse ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung dadurch, dass ein Beweismittel infolge der unterlassenen Anzeige objektiv unbenutzbar oder beseitigt worden sei, im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden können. Für den konkreten Verdacht treffe die Beklagte die Beweispflicht. Die Beklagte habe zwar die Möglichkeit einer Alkoholisierung behauptet, aber nicht einmal einen konkreten Verdacht dargelegt. Eine Fahrt eineinhalb Stunden nach Mitternacht für sich allein rechtfertige noch keinen konkreten Verdacht einer Alkoholisierung. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus dem Unfallgeschehen. Das Abstellen des Fahrzeuges am nahegelegenen Parkplatz sei durch das Aufleuchten der Ölkontrolllampe plausibel erklärt. Das Abstellen des Fahrzeuges auf dem Parkplatz und nicht am Fahrbahnrand könne dem Kläger auch nicht unter dem Aspekt einer versuchten Verschleierung vorgeworfen werden, da doch ein auf dem Parkplatz stehendes Fahrzeug im Gegensatz zu einem am Fahrbahnrand extrem gefährlich abgestellten Fahrzeug kein Gefahrenmoment darstelle. Der Parkplatz sei nicht geeignet, irgend etwas zu verbergen. Auch aus der Unfallmeldung der Beklagten gegenüber lasse sich keine unterlassene Mitwirkung an der Sachverhaltsklärung ableiten.
Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil über Berufung der Beklagten in eine Klagsabweisung aus rechtlichen Gründe ab, ohne über die Beweisrüge zu entscheiden. Es vertrat die Ansicht, dass dem Kläger eine Übertretung des § 4 Abs 5 StVO vorzuwerfen sei. Aufgrund des Umstandes, dass es weder der Kläger noch seine Lebensgefährtin in Erwägung gezogen hätten, trotz eines erheblichen Sachschadens nicht nur am eigenen Fahrzeug (unstrittige Gesamtschadenssumme EUR 9.536,92), sondern auch an der Leitschiene, eine Gendarmerieanzeige zu erstatten, sie vielmehr mitten in der Nacht die Fahrt fortsetzten und das Fahrzeug an einem Sonntag auf einem von der öffentlichen Straße nur in der Gegenrichtung einsehbaren Teil eines zu Geschäftszwecken stark frequentierten Parkplatzes zwischen zwei Geschäften abstellten, liege der Verdacht nahe, dass der Unfallhergang verschleiert habe werden sollen, zumal nach den Angaben des Klägers und seiner Lebensgefährtin zum Unfallszeitpunkt starker Schneefall geherrscht und eine ca 10 cm dicke Matschschicht auf der Fahrbahn gewesen sein solle. Wäre der Unfall in Entsprechung des § 4 Abs 5 StVO unverzüglich gemeldet worden, so hätten insbesondere die vorhandenen Spuren sichergestellt und der körperliche Zustand der Fahrzeuginsassen objektiviert werden können. Die unterlassenen Meldung habe den Verlust sämtlicher objektiver Anhaltspunkte zur Folge. Das festgestellte Gesamtverhalten lege den Schluss nahe, dass der Kläger bewusst die Meldung nach § 4 Abs 5 StVO unterlassen habe, damit eine verlässliche Klärung des Unfallablaufes mangels zureichender objektiver Anhaltspunkte nicht mehr möglich sei. Damit verstoße der Kläger gegen die Aufklärungspflicht nach Art 7 Abs 3.2. ABK 2002.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, da eine hinreichende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 6 Abs 3 VersVG zu einer gleichgelagerten Fallgestaltung fehle.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung zu den im wesentlichen gleich ausgestalteten Aufklärungsobliegenheiten (z.B.: Art 5.3.1 AFIB 1993, § 8 Abs 2 Z 2 AKHB) soll die Aufklärungsobliegenheit auch nach Art 7.3.3.2 ABK 2002 nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung all jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können (7 Ob 79/02x, 7 Ob 276/01s, RIS-Justiz RS0080972, RS0081010, RS0081054). Insbesondere fällt darunter die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten Versicherungsnehmers und seiner allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung (7 Ob 79/02x, 7 Ob 240/99s, RIS-Justiz RS0081010). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt dann vor, wenn etwas versäumt wurde, das der Aufklärung des Schadensereignisses im Sinne dieser Ausführungen dienlich gewesen wäre, so wenn ein konkreter Verdacht in bestimmte Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der Verletzung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (7 Ob 79/02x, 7 Ob 276/01s, 7 Ob 170/99x, RIS-Justiz RS0043520). Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ist von einem Versicherungsnehmer im Hinblick auf § 4 Abs 5 StVO nach einem Unfall bei Verletzung von Personen oder bei Schädigung von fremden Sachgütern eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten, und zwar ohne Rücksicht auf eine anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens (7 Ob 79/02x, 7 Ob 276/01s). Eine Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich alleine ist aber noch nicht unbedingt der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in eine bestimmte Richtung dadurch, dass ein Beweismittel infolge der unterlassenen Anzeige objektiv unbenützbar bzw beseitigt wird, im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (7 Ob 79/02x, 7 Ob 2068/96k). Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhaltes nach besten Kräften aktiv mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist mangels besonderer Entschuldungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, in der Regel bis zum Beweis des Gegenteiles vorauszusetzen (7 Ob 79/02x, 7 Ob 170/99x). Ist also dem Versicherungsnehmer eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, so obliegt ihm ein strikt zu führender Kausalitätsgegenbeweis, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (7 Ob 79/02x, 7 Ob 240/99s). Dass dem Kläger eine Verletzung des § 4 Abs 5 StVO vorzuwerfen ist, ergibt sich aus dem unstrittigen Sachverhalt, da ja feststeht, dass die Leitschiene beschädigt wurde und er nicht unverzüglich eine Anzeige bei dem nächstgelegenen Gendarmerieposten erstattet hat. Da aber nicht jede Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich alleine schon eine Verletzung der Aufklärungspflicht darstellt, muss die Beklagte eine konkrete Verdachtslage beweisen, die nunmehr infolge Unterlassen der Anzeige objektiv im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Das primär vom Berufungsgericht gebrauchte Argument, dass schon aus dem Nichterstatten der Gendarmerieanzeige ein Verdacht naheliegt, dass der Unfallhergang verschleiert werden sollte, widerspricht daher der dargelegten Rechtsprechung. Der vom Berufungsgericht gehegte Verdacht kann sich auch nicht daraus ergeben, dass jemand sein Fahrzeug nicht auf der öffentlichen Straße stehen lässt, sondern auf einen - immerhin stark - frequentierten Parkplatz zwischen zwei Geschäften abstellt, und dieses dort eine Woche lang stehen lässt, bleibt doch unklar, was damit im Hinblick auf die ohnehin gegebene Publizität verschleiert werden sollte. Die von der Beklagten bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes zum vom Erstgericht nicht festgestellten Alkoholkonsum und zu den Umständen des Unfalls wurden vom Berufungsgericht bisher nicht geprüft. Es kann daher noch nicht beurteilt werden, ob sich daraus eine Verdachtslage im oben dargelegten Sinn ergeben könnte oder nicht. Es wird daher das Berufungsgericht die Erledigung der Beweisrüge nachtragen müssen, bevor abschließend beurteilt werden kann, ob dem Kläger eine Obliegenheitsverletzung vorgeworfen werden kann oder nicht.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)