Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 499,39 (darin enthalten EUR 83,23 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen der Klägerin und der R***** Bank AG besteht hinsichtlich des PKW Renault Espace, der an die E***** GmbH geleast ist, ein Kaskoversicherungsvertrag. Diesem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Kasko- und Fahrzeuginsassen-Unfallversicherung (AFIB 1993) und die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug- Kollisionskaskoversicherung (KKB 1993) zugrunde.
Art 6 KKB lautet:
"§ 67 VersVG findet gegen den berechtigten Lenker bzw berechtigten Insassen nur dann Anwendung, wenn auch einem Versicherungsnehmer (als Fahrzeuglenker oder Insassen) bei gleichem Sachverhalt Leistungsfreiheit einzuwenden gewesen wäre."
Art 5.3.1. AFIB 1993 regelt:
"Obliegenheiten
...
3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs 3 VersVG), werden bestimmt,
3.1. nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen;..."
Der Beklagte war freier Mitarbeiter der E***** GmbH, für die er im Rahmen eines Werkvertrages ein Filmprojekt auf Honorarbasis betreute. Er hatte unregelmäßige, den Anforderungen des Projektes angepasste Arbeitszeiten. Der Beklagte verweilte eine Woche lang für Dreharbeiten in den Bergen, wo innerhalb kürzerer Zeit ein großes Arbeitspensum bewältigt werden musste. Nach Wien zurückgekehrt arbeitete er weiter sehr intensiv an der Fertigstellung des Werbefilms und war zumeist von der Früh bis in die Nachtstunden im Büro. Auch am 22. 4. 1999 war der Beklagte schon am Vormittag im Büro und arbeitete zumindest einige Stunden am Computer, bevor er berechtigterweise mit dem bei der Klägerin kaskoversicherten Fahrzeug nach Hause fuhr. Auf dem Heimweg hielt er noch bei einem Drive-In-Restaurant. Als er weiterfuhr, geriet er mit dem Fahrzeug zu weit nach rechts und kollidierte während des Vorbeifahrens mit drei abgestellten Fahrzeugen. Die Klägerin bezahlte als Kaskoversicherer der Eigentümerin des vom Beklagten gelenkten Fahrzeuges die Nettoreparaturkosten abzüglich Selbstbehalt.
Die Klägerin begehrt nun vom Beklagten Regress. Er habe das Fahrzeug in einem fahruntauglichen, nämlich völlig übermüdeten Zustand gelenkt, sei erheblich alkoholisiert gewesen und habe trotz seines Zustandes unmittelbar vor der Beschädigung der abgestellten Fahrzeuge nach einem Getränkebecher gegriffen, was den Verlust der Herrschaft über das von ihm gelenkte Fahrzeug begünstigt habe. Der Beklagte habe es unterlassen, nach dem Unfall ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle zu verständigen, wodurch der konkrete Verdacht der zur Fahruntüchtigkeit führenden Übermüdung bzw Alkoholisierung nicht mit Sicherheit habe ausgeschlossen werden können. Der Beklagte beantragt die Klagsabweisung im Wesentlichen mit der Begründung, dass er weder alkoholisiert noch übermüdet gewesen sei, er habe auch während der Fahrt nicht nach einem Getränkebecher gegriffen. Er habe die Beschädigung der anderen Fahrzeuge zunächst nicht bemerkt und habe gedacht, er sei nur an den Randstein angefahren. Am nächsten Morgen, somit einige Stunden nach dem Unfall, habe er den Verkehrsunfall bei der zuständigen Polizeidienststelle angezeigt. Ein allfälliger Regress gegen ihn, der im Unfallszeitpunkt freier Mitarbeiter der E***** GmbH gewesen sei, sei aufgrund des DHG zu mindern oder gänzlich zu erlassen, da der Beklagte ohne Vermögen sei und auch nur ein geringes Einkommen beziehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren vollinhaltlich statt. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass das Regressrecht des Versicherers nach § 67 VersVG gemäß Art 6 KKB 1993 gegenüber dem berechtigten Lenker auf jene Fälle eingeschränkt sei, in denen bei gleichem Sachverhalt auch einem Versicherungsnehmer als Lenker Leistungsfreiheit einzuwenden gewesen wäre. Die Klägerin könne demnach den auf sie übergegangenen Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten nur dann geltend machen, wenn sie gegen den Lenker - wäre er selbst der Versicherungsnehmer - leistungsfrei wäre. Den Beklagten treffe im Gegenzug als Lenker die gleichen Obliegenheiten wie den Versicherungsnehmer. Es habe ein konkreter Verdacht einer die Fahruntüchtigkeit bewirkenden Übermüdung des Beklagten insofern bestanden, als der Unfall unmittelbar nach Beendigung der freiberuflichen Tätigkeit des Beklagten passiert sei. Er sei seit der Früh tätig gewesen und habe zum damaligen Zeitpunkt generell sehr viel gearbeitet, regelmäßig auch spät am Abend. Es sei daher von einer Belastung durch das laufende Filmprojekt auszugehen. Er habe eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gemäß Art 5.3.1. AFIB 1993 dadurch begangen, dass er erst eine verspätete Meldung bei der Polizei erstattet habe und so der konkrete Verdacht der Übermüdung des Beklagten zum Unfallszeitpunkt nicht mehr habe überprüft werden können. Überdies sei dem Beklagten der Griff zum Getränkebecher, der am Beifahrersitz gestanden sei, zur Last zu legen. Das DHG komme insofern nicht zur Anwendung, als der Beklagte auf Werkvertragsbasis für die Leasingnehmerin tätig gewesen sei und nicht als Dienstnehmer iSd § 1 DHG zu qualifizieren sei. Es sei kein Vorbringen dazu erstattet worden, dass der Beklagte wegen wirtschaftlicher Abhängigkeit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sei. Es seien dazu auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen. Die Obliegenheitsverletzung sei Rechtsgrundlage des Klagsanspruches, sodass es sich hier nicht um eine Schädigung bei Erbringung einer Dienstleistung handle. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass es im Falle einer Übermüdung noch wichtiger sei, dass der Unfall bei der Polizei sofort gemeldet werde, um den konkreten Zustand des Lenkers beurteilen zu können, da im Gegensatz zur Alkoholisierung keine Möglichkeit der Hochrechnung des Restalkohols noch einige Stunden nach dem Unfall bestehe. Aufgrund der Arbeitsbelastung des Beklagten bestehe der Verdacht der Übermüdung, da der Körper von Zeit zu Zeit sein Recht verlange. Ein weiteres Indiz dafür sei auch, dass der Beklagte vom Unfall nichts bemerkt haben wolle. Er habe auf einer Strecke von etwa 12 bis 15 Meter drei Fahrzeuge hintereinander ohne Unterbrechung touchiert. Dies wäre ein weiterer Hinweis auf den sogenannten Sekundenschlaf und Indiz für seine Übermüdung im konkreten Fall. Dem Beklagten sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen. Der Beklagte sei nicht Dienstnehmer im Sinne des § 1 DHG und es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte als arbeitnehmerähnlich anzusehen sei. Die Verletzung einer Obliegenheit sei außerdem keine Erbringung einer Dienstleistung, auf die das DHG anzuwenden wäre.
Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass hinsichtlich einer Gleichbehandlung von Alkoholisierung und Übermüdung als Obliegenheitsverletzung keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt. Im Revisionsverfahren ist nur strittig, ob dem Beklagten als berechtigtem Lenker des Fahrzeuges eine Obliegenheitsverletzung, die die Leistungsfreiheit des Versicherers bewirken würde, vorzuwerfen ist.
Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung zu Art 5.3.1. AFIB 1993 verpflichtet diese Obliegenheit den Versicherten, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen und alles zweckdienliche zur Aufklärung des Unfallereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte. Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung all jener Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können (7 Ob 276/01s, 7 Ob 170/99x, RIS-Justiz RS0080972, RS0081010, RS0081054). Insbesondere fällt darunter die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des am Unfall beteiligten Versicherungsnehmers und seiner allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung (7 Ob 240/99s, RIS-Justiz RS0081010). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt dann vor, wenn etwas versäumt wurde, das der Aufklärung des Schadensereignisses im Sinne dieser Ausführungen dienlich gewesen wäre, so wenn ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der Verletzung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (7 Ob 276/01s, 7 Ob 170/99x, RIS-Justiz RS0043520). Nach ständiger Rechtsprechung ist von einem Versicherungsnehmer im Hinblick auf § 4 Abs 5 StVO nach einem Unfall bei Verletzung weiterer Personen oder bei Schädigung von fremden Sachgütern eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten, und zwar ohne Rücksicht auf eine anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens (7 Ob 276/01s). Eine Übertretung des § 4 Abs 5 StVO für sich alleine ist aber noch nicht unbedingt der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung dadurch, dass ein Beweismittel infolge der unterlassenen Anzeige objektiv unbenützbar bzw beseitigt wird, im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (7Ob 2068/96k). Für die vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach Art 5.3.1. AFIB 1993 genügt das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhaltes nach besten Kräften aktiv mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist mangels besonderer Entschuldigungsumstände bei einem Versicherungsnehmer, der selbst Kraftfahrer ist, in der Regel bis zum Beweis des Gegenteils vorauszusetzen (7 Ob 170/99x). Ist also dem Versicherungsnehmer eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, so obliegt ihm ein strikt zu führender Kausalitätsgegenbeweis, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (7 Ob 240/99s mwN).
Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass der Klägerin der Beweis des konkreten Verdachtes eines fahruntüchtigen Zustandes des Beklagten infolge Übermüdung gelungen ist. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war die Arbeitsbelastung des Beklagten auf Dauer außergewöhnlich. Dazu kommt, dass er auch noch in seinem gerichtlichen Vorbringen darauf beharrt, die doch sehr beachtlichen Beschädigungen an drei parkenden Fahrzeugen nicht bemerkt zu haben, was nur damit erklärbar wäre, dass der Beklagte beim Lenken des Fahrzeuges kurzfristig eingeschlafen wäre.
Der Beklagte verstieß gegen seine Obliegenheit, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, dadurch, dass er durch Unterlassen der Anzeigenerstattung, wozu er auf Grund des Schadens an fremden Sachen nach § 4 Abs 5 StVO verpflichtet gewesen wäre, die einzige Möglichkeit, seinen körperlichen Zustand unmittelbar nach der Kollision einer objektiven Überprüfung zu unterziehen, zunichte gemacht hat. Auch wenn sich durch den Unfallschock der körperliche Zustand durch Ausschüttung von Adrenalin kurzfristig verändert, so können aber doch auch im Falle einer Übermüdung aus der objektiven Beobachtung des körperlichen Zustandes des Lenkers unmittelbar nach dem Unfall Rückschlüsse auf dessen Zustand zum Zeitpunkt des Unfalles gezogen werden, die der Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wären, um den Verdacht der Übermüdung ausschließen zu können. Dem Beklagten ist auch der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen. Er hat nicht einmal eine nachvollziehbare Erklärung dafür gegeben, was ihn dazu veranlasst hat, auf der Fahrbahn soweit nach rechts abzukommen. Nach seinem Vorbringen will er vom Unfallgeschehen (außer einem Ruck) überhaupt nichts bemerkt haben, nicht übermüdet gewesen sein und auch nicht durch den Griff nach einem Getränkebecher abgelenkt gewesen sein. Das Fahrverhalten ist danach unerklärlich. Die Vorinstanzen haben zutreffend erkannt, dass der Regressanspruch der Klägerin zu Recht besteht. Der Beklagte hat es im erstinstanzlichen Verfahren unterlassen, geeignetes Vorbringen zu erstatten, das eine Beurteilung in Richtung Arbeitnehmerähnlichkeit zuließe. Da Ausführungen dazu im Rechtsmittelverfahren gegen das Neuerungsverbot verstoßen (§ 504 ZPO), ist der auf nicht weiter einzugehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
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