OGH 7Ob150/13d

OGH7Ob150/13d2.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** P*****, vertreten durch Mag. Gerald Leitgeb, Rechtsanwalt in Stallhofen, gegen die beklagte Partei A*****AG, *****, vertreten durch Dr. Karin Prutsch, Rechtsanwältin in Graz, wegen 9.090 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 10. April 2013, GZ 6 R 74/13s‑16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Voitsberg vom 7. Februar 2013, GZ 3 C 196/12a‑10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.121,20 EUR (darin enthalten 1.296 EUR an Barauslagen und 304,20 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat für ihren Pkw bei der Beklagten einen Kfz‑Vollkaskoversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die „Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug‑Kaskoversicherung und die Fahrzeuginsassen‑Unfallversicherung (AFIB 2007)“ zu Grunde liegen.

Art 5 lautet:

(...)

3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs 3 VersVG), werden bestimmt

3.1 dem Versicherer längstens innerhalb einer Woche ab Kenntnis

‑ den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes sowie

‑ die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen;

3.2 nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen.

Am 4. 11. 2011 kam die Klägerin gegen 19:45 Uhr im Zuge eines Ausweichmanövers von der Straße ab, ihr Fahrzeug überschlug sich, es kam zu einem Totalschaden. Sie selbst wurde nicht verletzt. An fremden Sachen trat kein Schaden auf.

Die beim Unfall nicht alkoholisierte Klägerin nahm danach Alkohol zu sich. Der in der Folge durch die Polizei vorgenommene Alkotest fiel positiv aus.

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde die Klägerin wegen des Verdachts der Übertretung nach § 5 StVO bei der Bezirkshauptmannschaft angezeigt. Dieses Verwaltungsstrafverfahren und das ebenfalls eingeleitete Führerscheinentzugsverfahren wurden letztlich eingestellt.

Der Klägerin war bewusst, dass es besser sei, gegenüber der Beklagten die Polizeiintervention und die festgestellte Alkoholisierung zu verschweigen, um Schwierigkeiten bei der Schadensabwicklung zu vermeiden. Eine Beeinträchtigung der Interessen der Beklagten durch die unwahren bzw unvollständigen Angaben der Klägerin war nicht ausgeschlossen, zumal erst geklärt werden musste, ob die Klägerin bereits zum Unfallszeitpunkt alkoholisiert war.

Die Klägerin begehrte zuletzt die Zahlung von 9.090 EUR sA. Sie sei nicht alkoholisiert gewesen, sie habe erst nach dem Unfall Alkohol konsumiert. Zu keiner Zeit habe sie die Absicht gehabt, die Beklagte im Zuge der Schadensmeldung bzw bei weiteren Erhebungen zu täuschen oder etwas zu verschleiern, um sich die Versicherungsleistung zu erschwindeln oder die Abwicklung zu erleichtern. Vielmehr habe die Klägerin sämtliche Anfragen der Beklagten wahrheitsgemäß beantwortet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe das Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt in alkoholisiertem Zustand gelenkt. Weiters habe sie im Zuge der Schadensmeldung und der Schadensbearbeitung vorsätzlich ihre Aufklärungsobliegenheiten durch das Verschweigen der Polizeiintervention, des positiven Alkoholtests und der Einleitung eines Führerscheinentzugsverfahrens verletzt, sodass die Beklagte leistungsfrei sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen. Sie habe aber gegenüber der Beklagten vorsätzlich verschwiegen, dass einige Zeit nach dem Unfall eine Polizeiintervention erfolgte und eine Alkoholisierung der Klägerin festgestellt worden sei und Verwaltungsverfahren eingeleitet worden seien. Sie habe damit ihre Aufklärungspflichten nach Art 5.3.1 und 5.3.2 der AFIB 2007 vorsätzlich verletzt. Da sie dabei im Bewusstsein gehandelt habe, es sei für sie günstiger, der Beklagten hievon keine Mitteilung zu machen, weil sie ansonsten Schwierigkeiten bei der Auszahlung der Kaskoversicherungsleistung befürchtet habe, sei ihr „dolus coloratus“ vorzuwerfen. Daraus folge, dass ihr der Kausalitätsgegenbeweis nicht offen stehe und die Beklagte aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag leistungsfrei sei.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil ab und gab dem Klagebegehren statt. § 6 Abs 3 VersVG begnüge sich für den Ausschluss des Kausalitätsgegenbeweises nicht mit dem schlichten Vorsatz in dem Sinn, dass der Versicherungsnehmer die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kenne und die Obliegenheitsverletzung bewusst und gewollt begehe. Hinzukommen müsse vielmehr, dass sich der Vorsatz auf die Verschlechterung der Beweislage zum Nachteil des Versicherers erstrecke. Eine Manipulation des Versicherungsnehmers sei nur dann als Täuschung im Sinn der zitierten Bestimmung zu qualifizieren, wenn feststehe, dass damit der Versicherer in die Irre geführt werden sollte. Manipulationen, die sich schon von vornherein oder nach ihrer Richtigstellung (Aufklärung) als gar nicht als „täuschungsgeeignet“ herausstellen, sollten von der Sanktion, keinen Kausalitätsgegenbeweis führen zu dürfen, ausgenommen sein. Es stehe fest, dass die Klägerin zum Unfallszeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen sei, sondern der positive Alkotest durch die Polizei auf einen „Nachtrunk“ zurückzuführen sei. In Anwendung der aufgezeigten Rechtslage wäre daher die Sachlage zum Unfallszeitpunkt gar nicht geeignet gewesen, eine Manipulation der Umstände durch die Klägerin im Sinn einer Täuschung der Beklagten vorzunehmen. Schließlich habe sich nach Richtigstellung und Aufklärung des Sachverhalts herausgestellt, dass die Klägerin zum Unfallszeitpunkt tatsächlich nicht alkoholisiert gewesen sei, sodass weder das Verschweigen des Alkotests noch des Führerscheinentzugsverfahrens „täuschungsgeeignet“ gewesen sei. Damit habe die Klägerin den Nachweis erbracht, es habe ihr am Täuschungsvorsatz gefehlt. Sie mache daher zu Recht geltend, dass sie keine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung begangen habe oder eine solche folgenlos geblieben sei.

Das Berufungsgericht erklärte nachträglich die Revision doch für zulässig, „weil es im Fall einer tatsächlichen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zu einer ungerechten Entscheidung im Einzelfall kommen würde“ und darüber hinaus die Frage, wann dolus coloratus „konkret“ vorliege, von erheblicher Bedeutung sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Beweisbelastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS‑Justiz RS0081253, RS0109766). Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will (RIS‑Justiz RS0109766). Absichtlich unvollständig gemachte Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, die sich erkennbar nicht darauf bezogen, diesen zu täuschen, sind nicht als dolus coloratus zu werten und erlauben dem Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis (RIS‑Justiz RS0109767). Eine „Manipulation“ ist nur dann als Täuschung im Sinn der zitierten Bestimmung zu qualifizieren, wenn feststeht, dass damit der Versicherer in die Irre geführt werden sollte. „Manipulationen“, die sich schon von vornherein oder nach ihrer Richtigstellung (Aufklärung) als gar nicht „täuschungsgeeignet“ herausstellen, sollen von der Sanktion des Ausschlusses des Kausalitätsgegenbeweises ausgenommen sein (7 Ob 43/98v, 7 Ob 262/99a, 7 Ob 74/00h).

2. Die Aufklärungsobliegenheit verpflichtet den Versicherten, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadensereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte (RIS‑Justiz RS0080972). Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Ablauf, die Verantwortung der Beteiligten und den Umfang des erlittenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung aller Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können (RIS‑Justiz RS0081010). Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung bedeutsam sein können. Dass er sich diese Auskünfte auch auf andere Weise verschaffen könnte, ist ohne Belang (7 Ob 34/12v).

3. Für eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt bereits das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist heute bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen (RIS‑Justiz RS0080477). Er kann daher nur den Nachweis besonderer entschuldigender Umstände den Vorsatz in Frage stellen (7 Ob 14/03i, 7 Ob 34/12v mwN).

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin dadurch, dass sie der Beklagten die Einleitung der verwaltungsbehördlichen Verfahren und die Vornahme eines positiven Alkotests durch die Polizei nicht bekanntgab, vorsätzlich die sie nach Art 5.3.1 und 5.3.2 AFIB 2007 treffenden Obliegenheiten verletzt.

4. Ausgehend von den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen, wonach die Klägerin diese Umstände gegenüber der Beklagten verschwieg, um Schwierigkeiten bei der Schadensabwicklung hintanzuhalten, ist ihr dolus coloratus vorzuwerfen.

Zu prüfen ist daher, ob dem Verschweigen des positiven Alkotests und der Einleitung der Verwaltungsstrafverfahren „Täuschungseignung“ zukommt. Von Bedeutung ist dabei nicht, ob die „Manipulationen“ auf die Feststellung des Versicherungsfalls und auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers Einfluss hatten, weil damit eine inhaltliche Prüfung des Kausalitätsgegenbeweises vor Feststellung seiner Zulässigkeit vorgenommen würde. Das heißt, allein daraus, dass letztlich keine Alkoholisierung der Klägerin zum Unfallszeitpunkt vorlag, kann das Fehlen der Täuschungseignung der von der Klägerin unterlassenen Aufklärungen nicht abgeleitet werden.

Entscheidend ist vielmehr, ob dem Verhalten der Klägerin, nämlich den positiven Alkotest und die Einleitung der Verwaltungsverfahren nicht bekannt zu geben, eine abstrakte Eignung zur Irreführung des Versicherers zukommt. Dies ist hier zu bejahen. Das Vorgehen der Klägerin war jedenfalls abstrakt geeignet, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten der Beklagten zu verschleiern, da sie wesentliche Umstände verschwieg, die durchaus den Verdacht einer Alkoholisierung bereits zum Unfallszeitpunkt nahelegen konnten.

5. Da der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem täuschungsgeeigneten Verhalten dolus coloratus vorzuwerfen ist, ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Einwand der Beklagten, auf Grund der Verletzung der Obliegenheiten nach Art 5.3. AFIB 2007 leistungsfrei zu sein, zutreffend.

In Stattgebung der Revision war das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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