OGH 7Ob43/98v

OGH7Ob43/98v10.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter, Dr. Schalich, Dr. Tittel und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. Vlasta D*****, vertreten durch Dr. Gert Seeber, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei W*****Versicherungs AG, W*****, vertreten durch Dr. Helmut Sommer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 147.000,-- s.A. (Revisionsstreitwert S 140.000,-- s.A.), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 17. Oktober 1997, GZ 3 R 192/97y-11, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26. Mai 1997, GZ 25 Cg 274/96z-6, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit S 7.605 (darin S 1.267,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Außer Streit steht, daß der PKW der Klägerin Marke VW Golf TD, Baujahr 1992 mit der Fahrgestellnummer *****mit dem amtlichen Kennzeichen *****im Zeitpunkt seines Diebstahles in der Nacht vom 29. auf den 30.9.1995 in Bratislava in der Slovakei bei der beklagten Partei zur Polizzennummer M 280.091-7 haftpflicht- und parkschadenkaskoversichert war. Am 29.9.1995 besuchte die Klägerin mit ihrem Lebensgefährten ihre Eltern in der Slowakei. Sie hat vor dieser Fahrt keine weiteren Schlüssel vom PKW herstellen lassen. Das Fahrzeug wurde gestohlen, obwohl es der Lebensgefährte sowohl mit einer Absperrvorrichtung für Lenkrad und Kupplungspedal als auch für Gangschaltung und Handbremse ausgestattet hatte. Die Klägerin hat den Diebstahl am 30.9.1995 angezeigt. Sie hat dieses Fahrzeug am 4.9.1995 in München um 18.000 DM im tadellosen Zustand bis auf einen kleinen Parkschaden, dessen Behebung 200-300 DM erfordert hätte, gekauft. Der verkaufende Autohändler sicherte der Klägerin über ihr Befragen zu, daß das Fahrzeug vorschadensfrei ist. Er schlug der Klägerin vor, in den Kaufvertrag einen niedrigeren Kaufpreis einzusetzen, damit sie weniger an NOVA bezahlen müsse sowie dazu einen Frontschaden im Vertrag anzugeben, damit der Preis von DM 11.000,-- plausibel erscheine. Die Klägerin erhielt zu diesem Fahrzeug zwei Fahrzeugschlüssel. Sie teilte, nach K***** zurückgekehrt, ihrem Versicherungsvertreter von der beklagten Partei mit, daß sie das Fahrzeug bei ihm versichern und eine Einzelgenehmigung erreichen wolle. Der Versicherungsantrag wurde am 19.9.1995 aufgenommen. Die Klägerin erhielt dabei keine Versicherungsbedingungen ausgehändigt. Das Fahrzeug wurde - wie andere Fahrzeuge auch - nach einer eigenen Bewertungsliste der beklagten Partei für die Prämienberechnung eingestuft. Der bezahlte Kaufpreis war dafür nicht maßgeblich. Die Versicherungspolizze wurde der Klägerin etwa 2 Wochen nach dem Diebstahl ohne die AFIB 1986 zugesandt. Die Einzelgenehmigung für dieses Fahrzeug wurde erteilt.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Versicherung unter Berufung auf die mit ihr abgeschlossene Teilkaskoversicherung, in der auch das Diebstahlsrisiko inkludiert sei, die Refundierung des Wiederbeschaffungswertes des gestohlenen Fahrzeuges. Im Kaufvertrag sei nur aus steuerlichen Gründen ein niedriger als der tatsächlich mit DM 18.000 bezahlte Kaufpreis ausgewiesen worden. Sie habe keine Kenntnis von einem Vorschaden des Fahrzeuges gehabt.

Die beklagte Versicherung beantragte die Klagsabweisung. Sie wendete Leistungsfreiheit zufolge von Obliegenheitsverletzungen der Klägerin ein. Diese habe den beim Ankauf bestehenden Frontschaden, dessen Reperaturaufwand DM 12.000,-- erfordert habe, verschwiegen. Aus dem von ihr bekanntgegebenen Kaufpreis von DM 11.000,-- ergebe sich, daß sie das Fahrzeug in tadellosem Zustand um DM 1.000 billiger gekauft haben wolle, als der Vorbesitzer für den Verkauf des beschädigten Fahrzeuges erhalten habe. Im Hinblick auf den damaligen Wert des Fahrzeuges von DM 24.000,-- könne dies nicht stimmen. Auch daraus ergebe sich eine Obliegenheitsverletzung im Sinne des Art 5 Z 3 der AFIB 1993.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 140.000,-- zu und wies (unbekämpft) das Mehrbegehren ab. Der Klägerin sei keine Obliegenheitsverletzung anzulasten, da die AFIB 1986 mangels Zusendung nicht Vertragsbestandteil geworden seien. Die Klägerin habe nicht gewußt, daß das von ihr gekaufte Fahrzeug einen Frontschaden aufgewiesen habe. Der Klägerin könne kein wie immer geartetes Verschulden am Zustandekommen des Fahrzeugdiebstahles angelastet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung den klagsstattgebenden Teil dieses Urteiles. Es erklärte die Erhebung der Revision für zulässig. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen stehe kein die Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß Art 4 Z 2 AFIB 1993 begründender Sachverhalt fest. Soweit die Klägerin nach Eintritt des Versicherungsfalles subjektiv wahrheitswidrig auf einen Frontschaden des versicherten Fahrzeuges hingewiesen habe, mache ihr die Beklagte daraus keinen Vorwurf. Vielmehr habe es diese Angabe der beklagten Versicherung ermöglicht, den Sachverhalt vor Abschluß des Versicherungsvertrages zu ermitteln und die der Klägerin vertragsgemäß gebührende Versicherungsleistung (Wiederbeschaffungswert) unter Zugrundelegung dieses Vorschadens und einer eingetretenen Wertminderung festzusetzen. Dennoch sei der Klägerin eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung nach Art 5 Z 3.3.1 der AFIB 1993 durch die Übersendung eines Kaufvertrages, von dem sie wußte, daß die dort ausgewiesenen Werte nicht den Tatsachen entsprechen, vorzuwerfen. Den eine Aufklärungspflicht verletzenden Versicherungsnehmer entschuldige nicht der Umstand, daß der wahre (unterschlagene) Sachverhalt eine Leistungspflicht des Versicherers auslöse und daß gerade unwahre Angaben, wären sie wahr gewesen, seine Stellung sogar verbessert hätten. Gemäß dem hier anzuwendenden § 6 Abs 3 VersVG idF des BGBl 1994/509 stehe dem Versicherungsnehmer aber auch bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis dann zu, wenn dem Versicherungsnehmer weder eine Schädigungs- noch Verschleierungsabsicht, also eine Handlung mit dem Vorsatz, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflußen oder die Feststellung von Umständen zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers von Bedeutung sind, zur Last falle.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist zulässig aber nicht berechtigt.

Soweit darin aufgrund von (von den Vorinstanzen nicht festgestellten aber offensichtlich unstrittigen) Kopierspuren auf den PKW-Schlüsseln vom Verdacht ausgegangen wird, daß dem Kaskoversicherer mit dem vorliegenden Versicherungsfall von der Klägerin vorsätzlich Schaden zugefügt werden sollte, geht die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Der erkennende Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem festgestellten Kopieren der Orginalschlüssel und dem dann später erfolgten Diebstahl des Fahrzeuges der Tatfrage zuzurechnen ist. In diesem Zusammenhang von der Revisionswerberin wiederholte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Berufungsgericht als nicht bestehend erachtete, sind nicht Gegenstand der Revision (vgl Kodek in Rechberger ZPO § 503 Rz 3 mwN).

Seit Inkrafttreten der VersVG Novelle 1994 (BGBl 1994/509) steht es den Versicherern grundsätzlich frei, von den bisherigen Bedingungen abweichende neue Vertragsbedingungen zum Gegenstand ihrer Versicherungsverträge zu machen.

Soweit die Revisionswerberin dem Berufungsgericht beipflichtet, daß die AFIB 1993 Gegenstand des vorliegenden Versicherungsvertrages geworden seien, ist ihr allerdings entgegenzuhalten, daß es dafür an den entsprechenden Tatsachenfeststellungen mangelt und dem Versicherungsantrag Beilage ./H nur zu entnehmen ist, daß dieser "auf KFZ- und Rechtsschutzversicherung nach den derzeit dafür geltenden Allgemeinen und allfälligen Besonderen Versicherungsbedingungen sowie Tarifen" erfolgte. Ein Hinweis auf Versicherungsbedingungen für eine Parkschadenkasko mit Großschadenplus ist ihm nicht zu entnehmen. Beide Streitteile haben es außerdem unterlassen, die Versicherungspolizze entweder im Original oder in Kopie aus der die dieser zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen zu entnehmen gewesen wären, vorzulegen. Dem Berufungsgericht und der Revisionswerberin ist aber insofern beizupflichten, daß einschlägige Versicherungsbedingungen Gegenstand des Versicherungsvertrages mit der Klägerin geworden sein müssen, da sich letztere auf ein aufrechtes Vertragsverhältnis beruft und bei alleiniger Zugrundelegung des Versicherungsantrages ./H es mangels Bestimmbarkeit der Leistungen aus dem Vertrag zu keinem Versicherungsvertragsabschluß gekommen wäre (vgl Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 69 f, 77 mwN). Darüberhinaus hat die Klägerin schon in ihrem Klagsvorbringen darauf hingewiesen, keine Obliegenheitsverletzung nach Art 4 Z 2 AFIB 1986 begangen zu haben. Sie hat damit das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages nach den AFIB 1986 hinlänglich zugestanden. Darüberhinaus handelt es sich bei der Aufklärungsobliegenheit um einen tragenden Grundsatz des Vertragsversicherungsrechtes, der zufolge des zum täglichen Leben gehörenden Umgangs mit Versicherungen verschiedener Art als allgemein bekannt vorauszusetzen ist. Zumindest zählt zum Allgemeinwissen, daß falschen Angaben gegenüber dem Versicherer Folgen nach sich ziehen.

Gerichtsbekannt ist (vgl Fenyves/Koban, Österreichisches Versicherungsrecht allg Versbed Bd 2 - 1990, 235), daß Art 5.3.1 der AFIB 1986 wie folgt lautet: Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs 3 VersVG 1958) werden bestimmt, "nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen; ....". Gerichtsbekannt ist weiters, daß die AFIB 1993 und die AKKB 1995 gleichlautende Bestimmungen enthalten. Geht man von der so umschriebenen Obliegenheitsverletzung aus, so hat die Klägerin tatsächlich durch die bloße Übersendung des nicht die Tatsachen wahrheitsgetreu wiedergebenden Kaufvertrages eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung begangen. Zufolge vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung kommt dem Umstand, daß die Versicherungsbedingungen (im Zeitpunkt des Versicherungsfalles) der Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalles (noch) nicht zugegangen sind, keine Bedeutung zu (vgl Schauer aaO, 249).

Die Beweislast für das Vorliegen der Obliegenheitsverletzung trifft den Versicherer. Der Versicherungsnehmer kann dann beweisen, daß es ihm bei der Obliegenheitsverletzung am Täuschungsvorsatz mangelte (vgl Fenyves Zum Ministerialentwurf einer VersVG 1994 in VR 1994 33 ff [45 FN 39]).

Der Kausalitätsgegenbeweis ist nach der Fassung des § 6 Abs 3 VersVG in der Fassung des BGBl 1994/509 weiterhin dann ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer bei der Obliegenheitsverletzung mit dem Vorsatz handelte, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflußen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (Täuschungsvorsatz). Jener Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sog. "dolus coloratus"), soll daher den Anspruch verwirkt haben. § 6 Abs 3 VersVG in der novellierten Fassung begnügt sich für den Ausschluß des Kausalitätsgegenbeweises also nicht mit dem schlichten Vorsatz in dem Sinn, daß der Versicherungsnehmer die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kennt und die Obliegenheitsverletzung bewußt und gewollt begeht, hinzukommen muß vielmehr, daß der Vorsatz sich auf die Verschlechterung der Beweislage zum Nachteil des Versicherers erstreckt. Nicht erforderlich ist es, daß der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn der Versicherungsnehmer die Möglichkeit erkennt, daß die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letztere beeinträchtigen oder fehlleiten kann und er sich damit abfindet. Täuschung liegt nicht nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, sondern auch dann, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach "Schwierigkeiten" bei der Schadensfeststellung verhindern will (vgl Schauer aaO, 260 ff mwN). Aber auch eine derartige "Manipulation" ist nur dann als Täuschung im Sinne der zitierten Bestimmung zu qualifizieren, wenn feststeht, daß damit der Versicherer in die Irre geführt werden sollte. "Manipulationen" die sich schon von vornherein oder nach ihrer Richtigstellung (Aufklärung) als gar nicht "täuschungsgeeignet" herausstellen, sollen von der Sanktion, keinen Kausalitätsgegenbeweis führen zu dürfen, ausgenommen sein.

Die Klägerin hat zwar erst im vorliegenden Verfahren aufgeklärt, daß sie den Kaufvertragstext in der vorliegenden Form aus "steuerschonenden" Gründen so gewollt hat. Sie hat es allerdings unterlassen, aufzuklären, warum sie nicht von allem Anfang an der beklagten Versicherung dies so eingestanden hat. Die nach den Feststellungen ohne weitere Ausführungen (offenbar über Verlangen der beklagten Versicherung) erfolgte Vorlage (eine Schadensmeldung liegt nicht vor) einer einen niedrigeren Wert als dem tatsächlichen Wiederbeschaffungswert ausweisende Kaufvertragsurkunde unter gleichzeitiger Bekanntgabe eines den Wert mindernden tatsächlich aber behobenen Vorschadens, war aber von vornherein weder geeignet, dem Versicherer eine höhere als tatsächlich zustehende Leistung herauszulocken, noch sich "Schwierigkeiten" zu ersparen. Die "Manipulation" der Klägerin war daher von vornherein nicht gegen schützenswerte Interessen der Versicherung gerichtet und auch nicht "täuschungsgeeignet". Diese Fälle wollte der Gesetzgeber von der erwähnten Sanktion, vom Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen zu sein, ausnehmen um unbillige Härten zu vermeiden (vgl Fenyves aaO).

Der Klägerin ist somit der ihr zustehende Kausalitätsgegenbeweis gelungen, der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten erster Instanz gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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