European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00041.24H.0515.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht, Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrte von den beiden Beklagten (einer natürlichen Person und einer GmbH) Zahlung von rund 156 Mio EUR. Die zweitbeklagte Gesellschaft mit Sitz in W* wurde am 22. 7. 2022 von Amts wegen nach § 40 FGB aus dem Firmenbuch gelöscht.
[2] Das Erstgericht wies mit seinem Urteil vom 31. 3. 2023 die Klage gegen beide Beklagten ab.
[3] Das Berufungsgericht erklärte aus Anlass der Berufung der Klägerin das gegen die Zweitbeklagte geführte Verfahren für nichtig und wies die Klage insoweit zurück.
[4] Der dagegen namens der Zweitbeklagten erhobene Rekurs weist als deren Rechtsvertreterin die Petsche‑Demmel Pollak Rechtsanwälte GmbH aus. Allerdings bestehen im vorliegenden Fall konkrete Zweifel an der rechtswirksamen Bevollmächtigung dieser Rechtsvertretung. Da es deswegen – zumal ein Vollmachtsmangel in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen wäre (7 Ob 169/15a [ErwGr. 1.4.]; RS0035627) – zur Prüfung des Vorliegens einer namens der Zweitbeklagten rechtswirksam erteilten Bevollmächtigung zu kommen hat, sind die Akten an das Erstgericht zurückzustellen:
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt nach § 30 Abs 2 ZPO die Berufung auf die ihm erteilte Bevollmächtigung deren urkundlichen Nachweis, nicht aber die tatsächliche Erteilung einer Vollmacht (RS0035830; 6 Ob 265/06y). Aus § 30 Abs 2 ZPO ergibt sich (bloß), dass dem Rechtsanwalt oder Notar, der bei der Berufung auf eine erteilte Prozessvollmacht zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist (RS0089972), grundsätzlich vertraut wird, wenn er ein Vollmachtsverhältnis behauptet. Dieses Vertrauen erstreckt sich im Allgemeinen auch darauf, dass die Bevollmächtigung von einer hiezu befugten Person erteilt wurde. Im Regelfall genügt daher auch bei juristischen Personen der bloße Hinweis auf die erteilte Bevollmächtigung (RS0035835). Bestehen aber aufgrund der Aktenlage oder aus Gerichtsnotorietät heraus konkrete Zweifel, ist das Gericht von der Prüfung, ob tatsächlich Prozessvollmacht erteilt wurde, nicht befreit (RS0035833 [bes T1]).
[6] 2. Solche konkreten Zweifel liegen hier vor.
[7] 2.1. Sie beruhen weniger auf der in der Rekursbeantwortung von der Klägerin relevierten Löschung der Gesellschaft, weil es zwar – wie dort bereits ausgeführt – mit der Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch konstitutiv zum Wegfall der organschaftlichen Vertretung der bisherigen Geschäftsführer oder Liquidatoren kommt (RS0006937 [T2]; 6 Ob 149/10w). Damit muss aber nicht zwangsläufig auch die Beendigung des rechtsanwaltlichen Mandatsverhältnisses verbunden sein. Das Fortbestehen einer Vollmacht und eines Auftrags selbst nach dem Tod des Machthabers kann sich aus der Natur des Geschäfts, aus der Absicht der Parteien oder aus der Übung des redlichen Verkehrs ergeben (RS0019921 [T1]). Auch im Fall der bloß deklarativ wirkenden (RS0050186 [T1, T7]) Löschung der Gesellschaft wird man – solange diese noch (wie im Rekurs behauptet wird) über Aktivvermögen verfügt (6 Ob 120/97h; 7 Ob 91/16g [Pkt 1.2]) – nicht von einer automatischen Beendigung des Mandatsverhältnisses ausgehen können.
[8] 2.2. Die Petsche‑Demmel Pollak Rechtsanwälte GmbH schritt seit der Vollmachtsbekanntgabe am 1. 7. 2022 vorerst nur für den Erstbeklagten ein. Der für die Petsche‑Demmel Pollak Rechtsanwälte GmbH einschreitende Anwalt erklärte in der Tatsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 5. 7. 2022, und damit noch – wenn auch nur ungefähr 2 Wochen – vor der Löschung der Gesellschaft, er (erkennbar gemeint: die Rechtsanwaltsgesellschaft) schreite nunmehr auch für die Zweitbeklagte ein. Dafür berief er sich „auf die erteilte Vollmacht“ (ON 408).
[9] 2.3. Fraglich ist aufgrund des Firmenbuch‑ und Aktenstands dennoch, ob bzw wann und von welcher namens der Gesellschaft vertretungsbefugten Person diese Vollmacht erteilt wurde. Insoweit weist die Klägerin zutreffend auf die Rücktrittserklärung der (einzigen) Geschäftsführerin der Zweitbeklagten am 14. 1. 2021 hin.
[10] Die Petsche‑Demmel Pollack Rechtsanwälte GmbH war zwar schon einmal für die Zweitbeklagte eingeschritten (Vollmachtsbekanntgabe vom 3. 11. 2016, ON 261). Auf die ihr damals erteilte Prozessvollmacht kann sie sich aber nicht mehr berufen. Sie selbst gab nämlich die Auflösung dieses Vollmachtsverhältnisses am 19. 6. 2019 bekannt (ON 319), welche Aufhebung der Prozessvollmacht im hier vorliegenden Prozess mit Anwaltspflicht gegenüber dem Gegner und dem Gericht durch die Anzeige der Bestellung einer anderen Rechtsanwältin (mit deren Bekanntgabe vom 19. 1. 2020, ON 345) wirksam wurde (§ 36 Abs 1 ZPO).
[11] Als sich in der Tagsatzung am 5. 7. 2022 ein Anwalt der Petsche‑Demmel Pollak Rechtsanwälte GmbH auf die von der Zweitbeklagten erteilte Vollmacht berief, verfügte diese Gesellschaft nach dem Firmenbuch seit etlichen Monaten über keine Vertretung mehr. Die Vertretungsbefugnis der im Firmenbuch seit 6. 11. 2019 zuletzt als einzige Geschäftsführerin eingetragenen Person war über deren Antrag schon längst – weit vor der Löschung der Gesellschaft und unter Hinweis auf den von ihr der (alleinigen) Gesellschafterin gegenüber erklärten Rücktritt im Jänner 2021 (s RS0059804) – am 19. 10. 2021 (mit deklarativer Wirkung: 6 Ob 99/23m [Rz 7]) gelöscht worden. Es war am 5. 7. 2022 seit vielen Monaten weder ein Geschäftsführer noch bis zur Löschung der Gesellschaft ein Notgeschäftsführer eingetragen (vgl zum Rücktritt des einzigen Geschäftsführers Verweijen in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 17 Rz 35 [Stand 1. 8. 2020, rdb.at]). Seit der Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung der letzten (vorhergegangenen) Rechtsvertretung am 25. 3. 2021 erschien bis zu diesem Zeitpunkt für die Zweitbeklagte niemand zu den Tagsatzungen: Auch der in der Tagsatzung vom 5. 7. 2022 als informierter Vertreter für die Zweitbeklagte stellig gemachten Person kann keine Vertretungsbefugnis namens der Zweitbeklagten zugeordnet werden (und zwar weder nach dem Firmenbuch noch nach dem Protokoll).
[12] Diese Umstände wecken konkrete Zweifel an einer wirksamen Bevollmächtigung.
[13] 3. Angesichts der Amtswegigkeit des § 37 Abs 1 ZPO ist es angezeigt, die Rechtsvertretung der Zweitbeklagten zur Vorlage einer entsprechenden Bevollmächtigung seitens einer für die Zweitbeklagte vertretungsbefugten Person aufzufordern.
[14] Die Akten sind daher dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückzustellen, der für die Zweitbeklagte einschreitenden Rechtsvertretung unter Fristsetzung die erforderlichen Aufträge zum Nachweis der Bevollmächtigung erteilen.
[15] Erst wenn die Zweifel an der Bevollmächtigung ausgeräumt sind, wird über das vorliegende Rechtsmittel abgesprochen werden können.
[16] 4. Gelingt der Rechtsvertretung der Nachweis einer hinreichenden Bevollmächtigung nicht, wäre auf eine Sanierung des Vollmachtsmangels durch Genehmigung von deren Prozessführung durch die Zweitbeklagte (nach § 38 ZPO analog [vgl 5 Ob 237/09b]) zu dringen. Ansonsten wäre der vorliegende Rekurs mangels Vollmacht der Einschreiterin zurückzuweisen.
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