OGH 5Ob31/15t

OGH5Ob31/15t28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. L*****, und 2. M*****, beide vertreten durch Mag. Wolfgang Gartner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C***** Ltd., *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 404.932,50 EUR sA, über den Revisionsrekurs der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 19. Dezember 2014, AZ 5 R 177/14g‑38, mit dem infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 8. Oktober 2014, AZ 24 Cg 82/13m‑34, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die mit 2.659,52 EUR (darin 443,25 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 3.190,56 EUR (darin 531,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Begründung

Die Beklagte bot (auch) in Österreich über sogenannte Masterdistributoren Lebensversicherungen an. Die Beklagte schloss mit den Klägern am 25. August 2000 jeweils einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren gegen Zahlung einer Einmalprämie von 1.746.943,13 EUR ab. Diesen Einmalerlag finanzierten die Kläger mit einem endfälligen Fremdwährungskredit der Nebenintervenientin.

Die Kläger begehren von der Beklagten ‑ unter Einräumung eines Mitverschuldens ‑ Schadenersatz in Höhe von404.932,50 EUR sA, hilfsweise die Rechnungslegung über die Veranlagung. Die Beklagte habe ihre Lebensversicherungsverträge in Österreich bewusst mit falschen und irreführenden Angaben verkaufen lassen und die Kläger ‑ über den ihr zuzurechnenden Vertrieb ‑ über die Risiken und die Funktionsweise der Versicherung mangelhaft beraten und ihnen eine unrealistische Wertentwicklung zugesagt.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Die Kläger seien beim Vertragsabschluss umfassend informiert worden, insbesondere sei ihnen keine bestimmte Wertentwicklung zugesagt worden. Bei einer Kombination eines Fremdwährungskredits mit einer kapitalbildenden Lebensversicherung bestünden zwar zweifellos Aufklärungs- und Beratungspflichten über die damit verbundenen Risiken. Diese würden jedoch nicht die Beklagte treffen, sondern denjenigen, der für die Produktkombination verantwortlich sei; das sei hier ausschließlich die Versicherungsmaklerin. Eine allenfalls unzureichende Beratung durch diese Vermittlerin sei der Beklagten nicht zuzurechnen.

Die Beklagte verkündete der Nebenintervenientin den Streit. In ihrer Streitverkündung führt sie aus, dass die Kläger behaupten würden, unzureichend über die Risiken der Produktkombination informiert worden zu sein. Sollte die Beklagte in diesem Rechtsstreit unterliegen, weil die Nebenintervenientin die Kläger nicht ausreichend über die mit der Aufnahme von Fremdwährungskrediten verbundenen Risiken aufgeklärt habe und die Beklagte hierfür einstehen müsse, stünden ihr Schadenersatzansprüche gegenüber der Nebenintervenientin zu.

Die Nebenintervenientin trat dem Verfahren auf Seiten der Beklagten bei. Die Beklagte habe der Nebenintervenientin für den Fall des Unterliegens Rückgriffsansprüche angedroht und das ‑ der Beklagten als einer von mehreren Schädigern unter den Voraussetzungen des § 896 ABGB gegen Mithaftende zustehende ‑ Regressrecht durch die Streitverkündung abzusichern versucht. Die Kläger würden in ihrer Klage behaupten, sie seien von der Nebenintervenientin gezwungen worden, zur Absicherung des Fremdwährungsrisikos einen SWAP aufzunehmen, dessen Kosten von 201.764,18 EUR auch Teil des geltend gemachten Schadens sei. Dadurch würden sie der Nebenintervenientin die Ausübung eines ungerechtfertigten Zwangs und damit ein schadenskausales rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vorwerfen. Die Beklagte wiederum versuche die Nebenintervenientin mit Aufklärungspflichten bezogen auf die Fremdwährungsfinanzierung zu belasten, gehe von einer potentiellen Haftpflicht der Nebenintervenientin aus und bereite Regressansprüche gegen die Nebenintervenientin vor. Bereits die Androhung derartiger Regressansprüche begründe ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin am Obsiegen der Beklagten und berechtige sie zum Streitbeitritt.

Die Kläger beantragten die Zurückweisung der Nebenintervention.

Das Erstgericht wies den Antrag der Kläger auf Zurückweisung der Nebenintervention ab und ließ die Nebenintervention zu. Das rechtliche Interesse der Nebenintervenientin folge daraus, dass die Kläger behaupteten, sie seien von ihr gezwungen worden, zur Absicherung des Fremdwährungsrisikos einen SWAP aufzunehmen. Die Kosten dieses SWAP hätten die Kläger auch klagsweise geltend gemacht. Wenn die Nebenintervenientin hätte erkennen können, dass die Versicherungs- bzw Kreditnehmer unzureichend aufgeklärt worden seien, sei eine Verpflichtung der Bank anzunehmen, mit dem Kunden den als Tilgungsträger über Vermittlung eines Vermögensberaters fertig abgeschlossenen Versicherungsvertrag zu erörtern. Eine derartige Konstellation könnte sich im gegenständlichen Fall ergeben und werde durch das Vorbringen bestärkt, die Kläger seien gezwungen worden, einen SWAP aufzunehmen. Daraus würde die Beklagte im Fall ihres Unterliegens Regressansprüche gegen die Nebenintervenientin ableiten.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts ab und gab dem Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervention statt. Ein rechtliches Interesse an einer Nebenintervention setze voraus, dass das Bestehen des zur Begründung der Nebenintervention behaupteten Regressanspruchs „gut wahrscheinlich“ sei und die Regressmöglichkeit rechtlich plausibel sein könnte. Die Nebenintervenientin habe hier ‑ ausgehend von den den Streitgegenstand definierenden, rechtlich relevanten Tatsachenbehauptungen ‑ kein konkretes rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten aufzuzeigen vermocht. Aus der lapidaren Behauptung der Kläger, sie seien von der Nebenintervenientin „gezwungen worden“, einen SWAP zur Absicherung des Fremdwährungskredits aufzunehmen, könne nicht gefolgert werden, dass die Kläger der Nebenintervenientin die Ausübung eines ungerechten Zwangs im Sinne des § 870 ABGB anlasten würden, aus dem sich plausibel ein Regress der Beklagten gegen die Nebenintervenientin ableiten ließe. Die Kläger hätten auch nie behauptet, sie seien von der Nebenintervenientin nicht ausreichend über die Risiken des Fremdwährungskredits belehrt worden. Die der Klagsführung zugrundeliegende Fehlvorstellung der Kläger beziehe sich vielmehr ausdrücklich auf die mit der Beklagten abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge und nicht auf die mit der Bank abgeschlossenen Kreditverträge und auch nicht auf die Produktkombination als solche. Die aus der Produktkombination resultierenden Aufklärungs- und Beratungspflichten laste die Beklagte nicht der Nebenintervenientin, sondern dem Versicherungsmakler an. Da die Kläger somit keinen entsprechenden rechtserzeugenden Sachverhalt geltend machen würden, sei eine klagsstattgebende Entscheidung wegen einer mangelhaften Aufklärung über die Risiken der Fremdwährungsfinanzierung nicht denkbar und ein anschließender Regress der Beklagten gegen die Nebenintervenientin aus diesem Grund nicht plausibel. Der Revisionsrekurs gegen diese Entscheidung sei zulässig, weil aufgrund der Entscheidung 6 Ob 140/12z der Eindruck entstehen könnte, der Nebenintervenient müsse nur plausibel darstellen, dass eine Anspruchserhebung durch den Streitverkündenden drohe, das Gericht habe aber nicht zu prüfen, ob diese ausgehend von den Prozessbehauptungen schlüssig sei.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise diesen abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Ob ein Nebenintervenient das erforderliche rechtliche Interesse an einem Beitritt hat, kann grundsätzlich nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0035565 [T2], RS0035638 [T7], RS0035724 [T8], RS0106173 [T4]). Im vorliegenden Fall ist der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin aber zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht die Anforderungen an das rechtliche Interesse als Voraussetzung für den Beitritt als Nebenintervenient zu eng gesehen hat und diese Beurteilung einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf.

2. Ein rechtliches Interesse hat ein Nebenintervenient dann, wenn sich die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliches Interesse hinausgeht (RIS‑Justiz RS0035724). Das bloße Interesse an einer bestimmten Beweislage und an der Lösung von Rechtsfragen in einem Musterprozess berührt nur wirtschaftliche Interessen und rechtfertigt daher eine Nebenintervention nicht (RIS‑Justiz RS0035565).

Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS‑Justiz RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse daher gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RIS‑Justiz RS0035724 [T3]). Dies ist nach der Rechtsprechung insbesondere dann der Fall, wenn einem Dritten in einem Folgeprozess Regressansprüche als Folge des Prozessverlusts der Partei im Hauptprozess drohen (RIS‑Justiz RS0106173 [T2]). Dabei reicht aus, wenn der Nebenintervenient einen zu befürchtenden Rückgriff plausibel darstellen kann. Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess sind vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret darzustellen (RIS‑Justiz RS0035724 [T9], RS0106173 [T5, T7]). Eine detaillierte Vorwegprüfung möglicher Regressansprüche hat im Streit um die Zulässigkeit des Beitritts als Nebenintervenient also nicht zu erfolgen (6 Ob 140/12z, 6 Ob 219/12t).

3. Nach diesen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entwickelten Grundsätzen kann hier der Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Seiten der Beklagten nicht abgesprochen werden. Nach dem Vorbringen der Nebenintervenientin besteht die konkrete, auf § 896 ABGB gegründete Möglichkeit ihrer Inanspruchnahme als Mitschädigerin durch die Beklagte. Die Beklagte hat in ihrer Streitverkündung auch ausdrücklich angekündigt, im Fall ihres Unterliegens gegenüber der Nebenintervenientin Schadenersatzansprüche geltend machen zu wollen.Im Hinblick darauf muss die Nebenintervenientin jedenfalls ernsthaft mit ihrer künftigen Inanspruchnahme rechnen. Schon diese ‑ plausibel dargestellte ‑ Gefahr der künftigen Inanspruchnahme im Wege eines Regressprozesses bildet ein ausreichend rechtliches Interesse für den Beitritt als Nebenintervenientin (vgl 7 Ob 203/12x; 6 Ob 219/12t; 6 Ob 140/12z = RIS‑Justiz RS0035724 [T9] und RS0106173 [T5]). Entgegen der Auffassung des Rekursgerichts setzt ein rechtliches Interesse insbesondere nicht voraus, dass der dem angedrohten Regressanspruch zugrunde liegende rechtserzeugende Sachverhalt sich schlüssig aus dem Vorbringen des Prozessgegners der Hauptpartei ergibt und/oder zu den notwendigen Elementen der Entscheidung in diesem Prozess selbst gehört (vgl 5 Ob 130/14z). Die damit verbundene Bindungswirkung der Entscheidung gegenüber dem Nebenintervenienten (vgl RIS‑Justiz RS0107338) ist eine mögliche Folge einer Streitverkündung und/oder Nebenintervention, nicht aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nebenintervention. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient vielmehr bereits dann, wenn die Entscheidung sich auch nur mittelbar auf seine privatrechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt (RIS‑Justiz RS0035724, insbesondere [T10]) und sich daraus ein rechtlich begründeter Anlass ergibt, das Obsiegen einer Partei herbeizuführen (RIS‑Justiz RS0035638 [T5]).

4. Damit erweist sich der Revisionsrekurs als berechtigt; darauf, ob die Behauptung der Kläger, sie seien von der Nebenintervenientin gezwungen worden, zur Absicherung des Fremdwährungsrisikos einen SWAP aufzunehmen, ein rechtliches Interesse zu begründen vermag, kommt es daher nicht mehr an. Die Entscheidung des Erstgerichts war jedenfalls wiederherzustellen.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Es handelt sich um einen Zwischenstreit zwischen dem Beitretenden und den die Zulässigkeit des Beitritts bestreitenden Klägern (5 Ob 130/14z ua).

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