OGH 5Ob130/14z

OGH5Ob130/14z4.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Lovrek, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** G*****, 2. mj A***** G*****, und 3. mj F***** G*****, alle *****, alle vertreten durch Wetzl & Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei Dr. G***** Sch*****, Facharzt, *****, vertreten durch Dr. Klaus Fürlinger und Dr. Christoph Arbeithuber, Rechtsanwälte in Linz, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei O*****‑AG, *****, vertreten durch Dr. Eckhart Pitzl und Dr. Gerhard W. Huber, Rechtsanwälte in Linz, wegen 52.434,92 EUR und 8.666,67 EUR sowie Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. Juni 2014, GZ 4 R 90/14d‑19, mit dem infolge Rekurses der klagenden Parteien der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 25. März 2014, GZ 4 Cg 163/13y‑12, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0050OB00130.14Z.0904.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der Nebenintervenientin folgende Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen:

Erstkläger: 3.039,06 EUR (darin enthalten 506,51 EUR USt)

Zweitkläger: 729,37 EUR (darin enthalten 121,56 EUR USt)

Drittkläger: 283,65 EUR (darin enthalten 47,28 EUR USt).

Begründung

Die Kläger sind die Angehörigen einer im Februar 2011 verstorbenen Patientin des beklagten Gynäkologen. Sie werfen dem Beklagten in ihrer auf Schadenersatzleistung und Feststellung gerichteten Klage vor, eine zum Tod der Patientin führende Krebserkrankung deshalb viel zu spät erkannt zu haben, weil er sich bei Vorsorgeuntersuchungen auf eine seit Jahren nicht mehr als lege artis anerkannte Methode beschränkt habe.

Der Beklagte berief sich auf eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte Behandlung. Die Patientin habe nach Diagnose der Krebserkrankung die empfohlene medizinische Behandlung im Hinblick auf ihre Schwangerschaft abgelehnt. Im Nachhinein habe es sich herausgestellt, dass die zytologische Befundung durch ein Landeskrankenhaus falsch gewesen sei. Bei richtiger Befundung wäre die Erkrankung früher erkannt und die Patientin drei Jahre vor Beginn der Schwangerschaft zur Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen worden.

Der Beklagte verkündete der Rechtsträgerin des betroffenen Landeskrankenhauses den Streit. Diese trat dem Prozess auf Seiten des Beklagten als Nebenintervenientin bei. Zur Frage des rechtlichen Interesses brachte sie vor, dass eine angebliche, ausdrücklich bestrittene Unrichtigkeit von Befunden dem Beklagten in diesem Verfahren zwar nichts nütze, der Streitbeitritt aber jedenfalls deshalb erforderlich sei, weil der Beklagte bereits Regressforderungen gegen die Nebenintervenientin geltend gemacht habe.

Die Kläger beantragten die Zurückweisung der Nebenintervention. Der beitretenden Nebenintervenientin fehle aus den von ihr selbst vorgebrachten Gründen das rechtliche Interesse am Ausgang des Prozesses.

Das Erstgericht ließ die Nebenintervenientin zu und bejahte ihr rechtliches Interesse am Obsiegen des Beklagten.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss ab, gab dem Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervenientin statt, und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich jedes Klägers insgesamt 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Frage, ob die vom Landeskrankenhaus gelieferten Befunde falsch gewesen seien, sei in diesem Prozess von nur ganz untergeordneter Bedeutung. Die Nebenintervenientin habe selbst erkannt, dass der Beklagte in Bezug auf seine Haftung gegenüber den Klägern aus einer unrichtigen Befundung nichts gewinnen könne. Ihr nütze zwar der Prozesserfolg des Beklagten, weil es dann schon an einem Schaden fehle, für den sie mithaften würde. Dies sei aber kein rechtliches, sondern ein für die Nebenintervention nicht ausreichendes bloß wirtschaftliches Interesse.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Nebenintervenientin ist zulässig und berechtigt. Die klagende Partei hat nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet, in der sie die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels, in eventu diesem keine Folge zu geben, beantragt.

1.1 Seit der Aufhebung des § 18 Abs 4 ZPO durch die ZVN 2009 BGBl I 2009/30 ist die Entscheidung über die Zulassung des Nebenintervenienten abgesondert anfechtbar. Die frühere gegenteilige Judikatur (RIS‑Justiz RS0035514) ist damit nicht mehr anwendbar (6 Ob 140/12z).

1.2 Ob ein Nebenintervenient das erforderliche rechtliche Interesse an einem Beitritt hat, kann grundsätzlich nur an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO:

1.3 Der Revisionsrekurs der Nebenintervenientin ist aber im vorliegenden Fall zulässig und berechtigt, weil das Rekursgericht die Anforderungen an die Darlegung des rechtlichen Interesses als Voraussetzung für den Beitritt als Nebenintervenient zu eng gesehen hat und diese Beurteilung einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf.

2.1 Ein rechtliches Interesse hat ein Nebenintervenient dann, wenn sich die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat‑ oder öffentlich‑rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig auswirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über ein bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RIS‑Justiz RS0035724).

2.2 Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS‑Justiz RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse dann gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RIS‑Justiz RS0035724 [T3]).

2.3 Dies ist nach der Rechtsprechung auch dann der Fall, wenn einem Dritten in einem Folgeprozess Regressansprüche als Folge des Prozessverlusts der Partei im Hauptprozess drohen (RIS‑Justiz RS0106173 [T2]).

2.4 Nach diesen Kriterien kann der Nebenintervenientin ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Seiten des beklagten Facharztes, dem die Angehörigen einer verstorbenen Patientin im Schadenersatzprozess Behandlungsfehler vorwerfen, nicht abgesprochen werden. Der Beklagte selbst bestritt, nicht lege artis gehandelt zu haben, und kündigte an, gegen die Nebenintervenientin als Rechtsträgerin jenes Krankenhauses, in dem angeblich falsche Befunde erstellt wurden, Regressforderungen zu erheben (ON 2). Ob seine Verteidigungslinie angesichts des Ergebnisses eines rechtskräftig gegen die Verlassenschaft der Patientin erledigten Schadenersatzprozesses, in dem seine Haftung zu zwei Drittel bejaht wurde, erfolgreich sein wird, mag - wie die Kläger meinen - zu bezweifeln sein. Unterliegt der Beklagte im nunmehr vorliegenden Schadenersatzprozess, in dem die Angehörigen eigene und nicht im Erbweg auf sie übergegangene Schäden (Haushaltshilfekosten, Schmerzengeld etc) geltend machen, belastet ihn aber eine zusätzliche Zahlungsverpflichtung, hinsichtlich derer er (oder sein Haftpflichtversicherer über § 67 VersVG) sich bei der Nebenintervenientin regressieren will. Hinsichtlich des rechtskräftig der Verlassenschaft zugesprochenen Schadens ist bereits ein Regressprozess zwischen dem Haftpflichtversicherer des Beklagten und der Nebenintervenientin anhängig. Schon die Gefahr der künftigen Inanspruchnahme im Wege eines weiteren Regressprozesses bildet ein ausreichend rechtliches Interesse für den Beitritt als Nebenintervenientin, die einen möglichen Rückgriff hinreichend plausibel darstellen konnte (6 Ob 140/12z; RIS‑Justiz RS0035724 [T9], RS0106173 [T5]).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO: Es handelt sich um einen Zwischenstreit zwischen dem Beitretenden und den die Zulässigkeit des Beitritts bestreitenden Klägern (Obermaier, Kostenhandbuch² Rz 351; 6 Ob 140/12z mwN).

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