OGH 6Ob140/12z

OGH6Ob140/12z13.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Richard P*****, Rechtsanwalt *****, als Insolvenzverwalter der E***** GmbH, vertreten durch Proksch & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei U***** GmbH, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Steflitsch OG in Oberwart, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei E*****GmbH, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 391.278 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Nebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 11. Mai 2012, GZ 5 R 18/12x-18, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. Dezember 2011, GZ 27 Cg 53/11s-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin binnen 14 Tagen die mit 2.400,37 EUR (darin 400,06 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 2.880,18EUR (darin 480,03 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Gemeinschuldnerin und die beklagte Partei bildeten eine ARGE, welche im Auftrag der Nebenintervenientin eine Rauchgasreinigungsanlage in Moskau errichtete.

Die beklagte Partei legte gegenüber der Nebenintervenientin Rechnung, wobei sie Abzüge wegen angeblich mangelhafter Leistung der Gemeinschuldnerin vornahm. Auf die Höhe der Abzüge hatte sich die beklagte Partei mit der Nebenintervenientin durch einen Vergleich geeinigt.

Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter nunmehr von der Beklagten die Zahlung von 391.278 EUR sA. Die vorgenommene Forderungsreduktion gegenüber der Nebenintervenientin sei unberechtigt gewesen. Vielmehr habe die Nebenintervenientin den Schaden durch Beistellung einer schadhaften Immissionsanlage selbst verursacht. Sollte die beklagte Partei einen Forderungsverzicht gegenüber der Nebenintervenientin abgegeben haben, sei dieser für die Gemeinschuldnerin nicht wirksam. Sie schulde dem Kläger daher den berechtigten Anteil aus der von der Gemeinschuldnerin erbrachten Leistung an der Errichtung der Anlage.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren. Die Anlage sei zum Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gemeinschuldnerin noch nicht fertig gestellt gewesen. Die Gemeinschuldnerin habe an der Fertigstellung nicht mehr mitgewirkt. Sie habe auch nach außen keine gewährleistungs- oder schadenersatzrechtliche Haftungen zu tragen. Die Lieferung des fehlerhaften Katalysators sei in den Verantwortungsbereich der Gemeinschuldnerin gefallen. Dieser Bestandteil sei schon von der Planung her mangelhaft gewesen, weshalb die beklagte Partei von der Nebenintervenientin in die Pflicht genommen worden sei.

Die beklagte Partei verkündete der Nebenintervenientin den Streit mit der Behauptung, sollte das Klagsvorbringen zutreffen, würden für sie daraus Regress- bzw Schadenersatzforderungen gegen die Nebenintervenientin resultieren.

Daraufhin trat mit Schriftsatz vom 21. 6. 2011 die Nebenintervenientin dem Verfahren auf Seiten der beklagten Partei bei. Ihr rechtliches Interesse am Beitritt bestehe darin, dass die beklagte Partei angekündigt habe, sich an ihr für den Fall des Unterliegens regressieren zu wollen. Es könne nicht vorhergesagt werden, mit welchen zivilrechtlichen Mitteln die beklagte Partei bei Prozessverlust versuchen werde, vom Vergleich abzugehen.

Der Kläger sprach sich gegen die Zulassung der Nebenintervenientin aus.

Das Erstgericht ließ daraufhin die Nebenintervenientin zu. Der Rechtsstreit berühre die Sphäre der Nebenintervenientin. Die beklagte Partei drohe damit, bei Unterliegen den Vergleich mit der Nebenintervenientin wegen List und Irrtums anzufechten.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss ab und gab dem Antrag auf Zurückweisung der Nebenintervenient statt. Die Nebenintervenientin habe kein konkretes Beitrittsinteresse dargetan. Weder die beklagte Partei noch die Nebenintervenientin hätten ein Vorbringen erstattet, das die Anfechtung des Vergleichs möglich erscheinen lasse. Bloß denkmögliche Schadenersatzansprüche reichten nicht aus.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig; die rechtliche Beurteilung folge der herrschenden Rechtsprechung.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

1.1. Seit der Aufhebung des § 18 Abs 4 ZPO durch die ZVN 2009 ist die Entscheidung über die Zulassung des Nebenintervenienten abgesondert anfechtbar. Die frühere gegenteilige Judikatur (RIS-Justiz RS0035514) ist damit überholt.

1.2. Ob ein Nebenintervenient das erforderliche rechtliche Interesse an einem Beitritt hat, kann grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO.

1.3. Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs im vorliegenden Fall jedoch zulässig, weil die bisherige Judikatur zur Bindungswirkung der Streitverkündung im Fall einer Zurückweisung des Beitritts als Nebenintervenient sowie zu den Anforderungen an die Darlegung des rechtlichen Interesses als Voraussetzung für den Beitritt als Nebenintervenient zu präzisieren ist.

Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

2.1. Die Grundsätze des Umfangs der Bindungswirkung einer Entscheidung gegenüber dem Nebenintervenienten sind durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt (1 Ob 2123/96d; RIS-Justiz RS0107338; s auch RS0038096, RS0018558). Demnach erstrecken sich die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils so weit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses im Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren so weit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand. Dies gilt jedoch nicht auch für denjenigen, der sich am Vorprozess nicht beteiligte, dem aber auch gar nicht der Streit verkündet war (1 Ob 2123/96d). An dieser Auffassung des verstärkten Senats hat der Oberste Gerichtshof in der Folge festgehalten (6 Ob 324/97h = SZ 70/241). Nach dieser Entscheidung umfasst die Interventionswirkung der Streitverkündung nicht nur Regressansprüche, sondern auch materiell-rechtliche Alternativverhältnisse.

2.2. Eine Bindungswirkung ist allerdings nur eine mögliche Folge einer Nebenintervention bzw der Streitverkündung, nicht aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nebenintervention (5 Ob 67/10d).

3.1. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RIS-Justiz RS0035724).

3.2. Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS-Justiz RS0035638). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse dann gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RIS-Justiz RS0035724 [T3]).

3.3. Dies ist nach der Rechtsprechung etwa dann der Fall, wenn dem Dritten in einem Folgeprozess Regressansprüche als Folge des Prozessverlusts der Partei im Hauptprozess drohen (5 Ob 67/10d; RIS-Justiz RS0106173 [T2]). Das bloße Interesse an einer bestimmten Beweislage und an der Lösung von Rechtsfragen in einem Musterprozess berührt demgegenüber nur wirtschaftliche Interessen und rechtfertigt daher nicht eine Nebenintervention (3 Ob 73/10x; RIS-Justiz RS0035565).

4.1. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so kann der Auffassung des Rekursgerichts nicht beigetreten werden. Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess sind vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret darzustellen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Nebenintervenient einen zu befürchtenden Rückgriff plausibel darstellen kann. Eine detaillierte Vorwegprüfung möglicher Regressansprüche im Streit um die Zulässigkeit des Beitritts als Nebenintervenient hat demgegenüber nicht zu erfolgen. Die beklagte Partei hat im vorliegenden Fall ausdrücklich angekündigt, sich bei der Nebenintervenientin im Fall ihres Unterliegens regressieren zu wollen. Ausdrücklich hat sie auch angekündigt, den mit der Nebenintervenientin abgeschlossenen Vergleich wegen List und Irrtums anzufechten.

4.2. Damit kann der Nebenintervenientin aber ein rechtliches Interesse am Beitritt nicht abgesprochen werden. Schon die Gefahr der künftigen Inanspruchnahme im Wege eines Regressprozesses oder einer Anfechtung des Vergleichs bildet ein ausreichendes rechtliches Interesse für den Beitritt als Nebenintervenient. Im Hinblick auf die ausdrückliche Ankündigung der beklagten Partei muss die Nebenintervenientin jedenfalls mit der ernsthaften Möglichkeit ihrer künftigen Inanspruchnahme rechnen. Hingegen kann von einem Beitretenden nicht erwartet werden, dass er in seinem Beitrittsschriftsatz auch die rechtlichen Grundlagen für die Geltendmachung von Regressansprüchen gegen ihn substantiiert darlegt. Es genügt die ernsthafte Möglichkeit, dass solche Ansprüche erhoben werden. Daran kann aber im Hinblick auf die mehrfachen diesbezüglichen Ankündigungen der beklagten Partei kein Zweifel bestehen.

4.3. Zutreffend verweist auch schon das Erstgericht darauf, dass der Einwand der klagenden Partei, die Gewährleistungsfrist sei bereits abgelaufen, nicht überzeugend ist, weil sich im derzeitigen Verfahrensstadium nicht abschätzen lässt, ob allenfalls die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen möglich ist oder aufgrund wiederholter Mängelbehebungen, wie sie die beklagte Partei behauptet, die Gewährleistungsfristen sogar aufgrund eines neuen Fristenlaufs noch offen sind. Außerdem hat die beklagte Partei ausdrücklich angekündigt, den Vergleich wegen Irrtums oder List anzufechten. Im letzteren Fall betrüge die Verjährungsfrist aber sogar 30 Jahre (§ 1487 ABGB iVm § 1478 ABGB; Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch/Klang³ § 1487 Rz 25 mwN).

5.1. Hinzu kommt im vorliegenden Fall jedoch, worauf die Nebenintervenientin in ihrem Revisionsrekurs zutreffend verweist, die Gefahr der Annahme einer Bindungswirkung: Nach der zitierten Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d entfaltet der Vorprozess auch gegenüber derjenigen Partei Bindungswirkung, der der Streit verkündet wurde, die sich aber am Verfahren nicht beteiligte. Dabei hatte der verstärkte Senat nicht die Frage zu beantworten, ob diese Bindungswirkung auch gegenüber demjenigen besteht, der zwar seinen Beitritt erklärte, in der Folge aber die Zurückweisung seines Beitritts unbekämpft lässt. Auch im Schrifttum ist diese Frage zwar angesprochen, aber nicht abschließend beantwortet worden (vgl G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens - Überlegungen aus Anlass der Entscheidung Beer gegen Österreich, ÖJZ 2004, 534, 589 [592]).

5.2. Könnte der Adressat einer Streitverkündung eine Bindungswirkung bereits durch einen in der Folge zurückgewiesenen Beitritt vermeiden, so wäre das Institut der Streitverkündung als Schutz der Interessen der streitverkündenden Partei deutlich entwertet. Auch der Gedanke der Prozessökonomie spricht gegen diese Lösung: Ohne Bindungswirkung wäre der bisherige Prozessaufwand verloren und könnte für den Folgeprozess nicht fruchtbar gemacht werden. Auch bestünde die Gefahr, dass der Adressat der Streitverkündung auf den Beitrittsschriftsatz und die Darlegung seines Beitrittsinteresses nur geringe Sorgfalt aufwendet, wenn ohnedies jede Zurückweisung des Beitritts zum Entfall der Bindungswirkung führte. Dies würde zu einer Reihe von Abgrenzungsproblemen führen, ob der Adressat der Streitverkündung mit der konkreten Formulierung einer Beitrittserklärung seinen diesbezüglichen Obliegenheiten Genüge getan hat oder nicht.

5.3. Daher ist der Auffassung, dass eine Streitverkündung auch dann Bindungswirkung entfaltet, wenn der Beitritt des Nebenintervenienten zu Unrecht zurückgewiesen wird, der Vorzug zu geben. Diesen trifft daher die Obliegenheit, eine zu Unrecht erfolgte Zurückweisung seines Beitritts mit den zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln zu bekämpfen. Erst die rechtskräftige Zurückweisung der Nebenintervention nach ordnungsgemäßer Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ließe die Bindungswirkung entfallen.

6. Damit erweist sich der Revisionsrekurs aber als berechtigt, sodass die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen war.

7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Es handelt sich um einen Zwischenstreit zwischen dem Beitretenden und der die Zulässigkeit des Beitritts bestreitenden klagenden Partei (Fucik in Rechberger, ZPO3 § 18 Rz 3 mwN; Schubert in Fasching/Konecny 2 § 18 ZPO Rz 9 mwN).

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