European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00212.13K.0709.000
Spruch:
Der Revision der klagenden Partei wird teilweise, jener der beklagten Partei wird zur Gänze Folge gegeben. Auch dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.
I. Die angefochtene Entscheidung wird im nachstehenden Umfang dahin abgeändert, dass es als Teil- und Zwischenurteil zu lauten hat:
„1. Das Leistungsbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.093,19 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 10. 2011 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu 50 % zu Recht.
2. Das auf 3.546,60 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 10. 2011 lautende Leistungsmehrbegehren wird abgewiesen.
3. Das Begehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für allfällige, heute noch nicht absehbare Spät‑ oder Dauerfolgen aus dem Verkehrsunfall vom 15. 9. 2008 zu haften habe, wird im Umfang von 50 % abgewiesen.“
Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
II. Im Übrigen ‑ hinsichtlich der weiteren Aussprüche über das Feststellungsbegehren ‑ werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben.
Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die hierauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Am 15. 9. 2008 ereignete sich an der Kreuzung der Matthias-Schönerer-Gasse mit der Schanzstraße in Wien 14 ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin und I***** S***** als Lenker ihrer Pkws beteiligt waren.
Die beklagte Partei führte damals im Bereich mehrerer Straßenzüge in Wien 14 nach Kabelarbeiten notwendig gewordene Wiederherstellungsarbeiten auf den betroffenen Fahrbahnen und Gehsteigen durch. Grundlage für diese Bauarbeiten war der Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, MA 46, vom 15. 7. 2008, in dem ein Zeitrahmen vom 1. 8. 2008 bis 19. 12. 2008 vorgesehen war. Als einer der Baustellenorte wurde darin auch die erwähnte Kreuzung genannt. Zu diesem Bereich wurde unter „Bedingungen und Auflagen“ als Punkt 4. festgehalten: „ Außerhalb der Arbeitszeit sind Behinderungen jeglicher Art zu vermeiden. “
Am Freitag, dem 12. 9. 2008, wurden Arbeiten am Gehsteig der Matthias-Schönerer-Gasse unmittelbar vor der Kreuzung mit der Schanzstraße durchgeführt. Da die Arbeiten an diesem Tag nicht beendet werden konnten und in der folgenden Woche fortgesetzt werden sollten, stellten die Arbeiter der beklagten Partei den „mobilen Baucontainer“, der ihnen zum Umziehen und zum Aufenthalt in den Arbeitspausen diente, neben dem letzten Einsatzort am Fahrbahnrand ab. In dieser Position stand der 4,2 m lange, 2,15 m breite und 3,2 m hohe Container so nahe vor dem am Gehsteig angebrachten Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ (§ 52 lit c Z 23 StVO), dass sich das Ende der 2 m langen Deichsel nur ca 50 cm von diesem Verkehrszeichen entfernt befand. Halterin des Containers war die beklagte Partei.
Am Montag, dem 15. 9. 2008, wurde wegen Schlechtwetters nicht gearbeitet. Die Klägerin fuhr gegen Mittag in der Matthias-Schönerer-Gasse auf die Kreuzung mit der Schanzstraße zu. Sie kannte sich dort nicht aus, hatte aber dem Stadtplan entnommen, dass sie nach rechts in die Schanzstraße einbiegen werde müssen. Vor Erreichen des sich aus ihrer Sicht am rechten Fahrbahnrand befindlichen Containers hielt sie zunächst eine Geschwindigkeit von 30 km/h ein, die sie in weiterer Annäherung an die Kreuzung stark reduzierte. Dabei konnte sie das für sie geltende Vorrangzeichen zunächst nicht erkennen, da es durch den Baucontainer vollständig verdeckt war. Sie ging davon aus, dass sie als Rechtskommende gegenüber den in der Schanzstraße von links kommenden Fahrzeugen bevorrangt sei und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf den von rechts kommenden Verkehr. Auf allenfalls hinter dem Baucontainer stehende, durch diesen verdeckte Verkehrszeichen achtete sie nicht. Bei Einfahrt in die Kreuzung kam es zur Kollision mit dem von links kommenden Fahrzeug des I***** S*****, das sie zuvor nicht wahrgenommen hatte.
Die Klägerin hätte das Vorrangzeichen erkennen können, wenn sie den Container in Schrittgeschwindigkeit passiert und unmittelbar nach dem Container zum rechts gelegenen Gehsteig geschaut hätte.
Die Klägerin begehrte mit der am 14. 9. 2011 beim Erstgericht eingebrachten Klage den Ersatz ihres mit 7.093,19 EUR sA bezifferten Schadens sowie (sinngemäß) die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 15. 9. 2008. Sie brachte vor, das Alleinverschulden treffe die beklagte Partei, weil sie den Baustellencontainer nicht ordnungsgemäß abgestellt habe. Der Container habe das Vorrangzeichen verdeckt, weshalb sie von ihrem Rechtsvorrang ausgegangen sei. Sie habe eine schmerzhafte Zerrung der Halswirbelsäule erlitten, woraus sich ein Tinnitus als Dauerfolge entwickelt habe.
Die beklagte Partei wandte ein, die Klägerin hätte bei ausreichender Sorgfalt das Vorrangzeichen erkennen können. Sie wäre beim Vorbeifahren an dem Container zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen, um darauf zu achten, ob danach ein Verkehrszeichen aufgestellt sei. Die beklagte Partei bestritt mit Ausnahme der Reparaturkosten auch die Höhe des Klagebegehrens und behauptete, dass Spät- und Dauerfolgen ausgeschlossen seien.
Das Erstgericht entschied mit Zwischenurteil, dass das Leistungsbegehren dem Grunde nach zu 50 % zu Recht bestehe und gab mit (richtig) Teilurteil in diesem Umfang auch dem Feststellungsbegehren statt.
Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus ua noch fest, dass die Klägerin „ohne anzuhalten“ mit 10 km/h in die Kreuzung eingefahren sei. Bei der Klägerin habe sich als Unfallsfolge ein Tinnitus eingestellt, an dem sie trotz verschiedener Behandlungsmethoden bis heute leide.
In rechtlicher Hinsicht meinte das Erstgericht, die Arbeiter der beklagten Partei, für deren Verhalten sie einzustehen habe, hätten den Container nicht derart knapp vor dem Vorrangzeichen aufstellen dürfen. Darin liege ein Verstoß gegen § 24 Abs 1 lit g StVO. Die Klägerin hätte allerdings damit rechnen müssen, dass sich hinter dem Container ein Verkehrszeichen befinden könnte. Sie hätte daher schon vor dem Erreichen des Containers ihre Geschwindigkeit entsprechend reduzieren müssen, um ein allfälliges Vorrangzeichen noch rechtzeitig erkennen zu können. Unter den gegebenen Umständen sei von gleichteiligem Verschulden auszugehen. Da eine Verschlechterung des chronischen Tinnitus nicht ausgeschlossen werden könne, sei auch das Feststellungsbegehren in diesem Umfang berechtigt.
Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es ‑ in der berichtigten Fassung seiner Entscheidung ‑ mit Teilurteil das Leistungsbegehren im Umfang von 5.319,89 EUR sA und das Feststellungsbegehren im Umfang von 75 % abwies. Dem restlichen Feststellungsbegehren gab es mit Zwischenurteil „dem Grunde nach“ statt. Im Umfang des verbleibenden Leistungsbegehrens von 1.773,30 EUR sA wurde das erstinstanzliche Urteil aufgehoben. Das Berufungsgericht sprach ferner aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und dass sowohl die ordentliche Revision als auch der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig seien.
In rechtlicher Hinsicht teilte es die Ansicht des Erstgerichts, dass der beklagten Partei eine Verletzung des § 24 Abs 1 lit g StVO vorzuwerfen sei. Von einer rechtzeitigen Wahrnehmbarkeit des Vorrangzeichens könne unter den vorliegenden Umständen keine Rede sein. Die Klägerin hätte damit rechnen müssen, dass die von ihr befahrene Fahrbahn gegenüber jener der Schanzstraße mit einem Vorrangzeichen abgesichert sei. Sie hätte sich daher vor dem Einfahren in die Kreuzung durch Beachtung des rechts gelegenen Gehsteigs vergewissern müssen, ob dort ein derartiges Vorschriftszeichen aufgestellt sei oder nicht. Analog zu Verstößen gegen das Halte- und Parkverbot nach § 24 Abs 1 lit d StVO („5 m-Zone“) sei der Verschuldensanteil der beklagten Partei mit einem Viertel zu bemessen, während der Klägerin ein Mitverschulden von drei Viertel anzulasten sei.
Im Umfang des verbleibenden Leistungsbegehrens hielt das Berufungsgericht die Rechtssache dem Grunde nach wegen eines primären Verfahrensmangels für noch nicht spruchreif. Es müsse durch Einvernahme eines von der beklagten Partei zu diesem Beweisthema beantragten, aber nicht vernommenen Zeugen geklärt werden, ob die Klägerin vor dem Einfahren in die Kreuzung angehalten und dadurch auf ihren „allenfalls vorhandenen Rechtsvorrang“ verzichtet habe. In diesem Fall wäre es unerheblich, ob der Klägerin die Sicht auf das Vorrangzeichen durch den Container genommen worden sei.
Hinsichtlich des restlichen Feststellungsbe-gehrens erachtete das Berufungsgericht eine Verfahrensergänzung durch ein medizinisches Sachverständigengutachten für erforderlich (deshalb nur eine Stattgebung „dem Grunde nach“).
Zur Begründung seines Zulassungsausspruchs führte das Berufungsgericht aus, es fehle an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage, inwieweit Personen, die ein Vorrangzeichen „abdecken“, die Haftung für einen Unfall treffe, der sich in der durch das Vorrangzeichen gesicherten Kreuzung ereigne. Es sei auch zu klären, ob ein Verstoß gegen § 24 Abs 1 lit g StVO schwerer wiege als ein solcher nach § 24 Abs 1 lit d StVO.
Gegen diese Berufungsentscheidung richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Aufhebungsbeschluss wird (nur) von der klagenden Partei mit Rekurs bekämpft.
Die Klägerin, aus deren Anfechtungserklärung und Rechtsmittelanträgen erschließbar ist, dass sie die angefochtene Entscheidung in ihrem gesamten abweisenden und aufhebenden Umfang anficht, strebt aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die „vollinhaltliche“ Stattgebung des Klagebegehrens an. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei wendet sich gegen die Stattgebung des Feststellungsbegehrens im Umfang von 25 % aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und stellt einen Aufhebungsantrag.
In ihrer Rechtsmittelbeantwortung beantragt sie, dem Rechtsmittel der Klägerin nicht Folge zu geben. Die Klägerin hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Sämtliche Rechtsmittel sind einerseits aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund, andererseits aber auch deshalb zulässig, weil dem Berufungsericht korrekturbedürftige Fehlbeurteilungen unterlaufen sind. Die Revision der Klägerin ist teilweise, ihr Rekurs ist zur Gänze berechtigt. Die Revision der beklagten Partei ist (im Ergebnis) ebenfalls berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
I. Zur Revision und zum Rekurs der Klägerin:
Die Klägerin vertritt weiterhin den Standpunkt, sie habe mangels Sichtbarkeit des Vorrangzeichens von ihrem Rechtsvorrang ausgehen dürfen. Es sei keineswegs üblich, dass vor jeder Kreuzung ein Vorrangzeichen angebracht sei. Die Forderung, nach einem solchen Vorschriftszeichen „geradezu suchen“ zu müssen, überspanne ihre Sorgfaltspflicht. Der Container könne aufgrund seiner Höhe von 3,2 m nicht mit einem herkömmlichen Kraftfahrzeug verglichen werden. Eine Verletzung des § 24 Abs 1 lit g StVO müsse deshalb schwerer wiegen als eine solche des der Erleichterung des Einbiegens dienenden § 24 Abs 1 lit d StVO. Die beklagte Partei habe auch ihre Verkehrssicherungspflichten und die Bescheidauflagen verletzt. Ein allfälliges Mitverschulden der Klägerin rücke dagegen so weit in den Hintergrund, dass es zu vernachlässigen sei.
Hiezu wurde erwogen:
1. Verschulden der beklagten Partei:
1.1 Wird durch Arbeiten auf oder neben der Straße der Straßenverkehr beeinträchtigt, so ist hiefür unbeschadet sonstiger Rechtsvorschriften eine Bewilligung der Behörde erforderlich. Die Bewilligung ist ‑ unter bestimmten Voraussetzungen ‑ auf Antrag des Bauführers zu erteilen (§ 90 Abs 1 StVO). Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung ist die Bewilligung unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Bauführung und der Verkehrsbedeutung der Straße zur Wahrung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs bedingt, befristet oder mit Auflagen zu erteilen.
Diese Vorschriften sind Schutznormen iSd § 1311 ABGB, deren Schutzzweck auf die Hintanhaltung aller möglichen, von Straßenbauarbeiten ausgehenden Gefahren für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer gerichtet ist. Auch die in einem gemäß § 90 Abs 1 und 3 StVO erlassenen Bescheid enthaltenen Auflagen sind solche Schutznormen (2 Ob 157/09s mwN; RIS‑Justiz RS0027415, RS0027488).
1.2 Im vorliegenden Fall enthielt der Bewilligungsbescheid für die Arbeiten im Unfallbereich die Auflage, dass außerhalb der Arbeitszeit „Behinderungen jeglicher Art“ zu vermeiden sind. Diese weit gefasste Formulierung schließt die Verpflichtung zur Beachtung aller sonstigen der Verkehrssicherheit dienenden Schutznormen der StVO mit ein. Zu diesen gehört auch § 24 Abs 1 lit g StVO, wonach das Halten und Parken verboten ist, wenn durch das haltende und parkende Fahrzeug der Lenker eines anderen Fahrzeugs gehindert wird, Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs, wie etwa Straßenverkehrszeichen (§ 31 Abs 1 StVO), rechtzeitig wahrzunehmen (vgl 1 Ob 33/80 = SZ 54/12).
1.3 Nach den Feststellungen haben die Arbeiter der beklagten Partei den 2,15 m breiten und 3,2 m hohen „mobilen Baucontainer“ (die beklagte Partei bezeichnete ihn als „Bauwohnwagen“; nähere Feststellungen, die eine kraftfahrrechtliche Zuordnung ermöglichen würden, liegen nicht vor) außerhalb der Arbeitszeit ‑ bezogen auf den Aufbau ‑ nur 2,5 m vor dem am Gehsteig der Matthias-Schönerer-Gasse angebrachten Vorrangzeichen abgestellt, sodass es dieses für einen herannahenden Fahrzeuglenker zunächst zur Gänze verdeckte.
Damit hat die beklagte Partei, der das Fehlverhalten ihrer Arbeiter unstrittig zuzurechnen ist, jedenfalls gegen die erwähnte Auflage des Bescheids vom 15. 7. 2008, somit gegen eine die Wahrung der Verkehrssicherheit bezweckende Schutznorm verstoßen, weshalb es auch nicht darauf ankommt, ob § 24 Abs 1 lit g StVO bei Abstellen eines „mobilen Baucontainers“ unmittelbar anzuwenden ist. Dieser Verstoß hinderte die Klägerin an der richtigen Beurteilung der Vorrangsituation, was in weiterer Folge zu einem Verkehrsunfall und den streitgegenständlichen Schadensfolgen führte. Den ihr obliegenden Nachweis, dass dieser Schaden auch im Falle vorschriftsmäßigen Verhaltens eingetreten wäre (vgl RIS‑Justiz RS0112234 [T14]), hat die beklagte Partei nicht erbracht. Denn selbst wenn die Klägerin, wie die beklagte Partei behauptet, vor Einfahrt in die Kreuzung noch angehalten haben sollte, steht dennoch fest, dass sie in der irrigen Annahme ihres Rechtsvorrangs ihre ganze Aufmerksamkeit nach rechts gerichtet und aus diesem Grund das von links kommende bevorrangte Fahrzeug übersehen hat.
2. Mitverschulden der Klägerin:
2.1 Der Lenker eines Fahrzeugs hat seine Aufmerksamkeit auch darauf zu richten, dass er die gesetzmäßig angebrachten Straßenverkehrszeichen wahrnimmt (8 Ob 28/80 = ZVR 1980/343; RIS‑Justiz RS0074863). Straßenverkehrszeichen sind gemäß § 48 Abs 1 StVO in einer solchen Art und Größe anzubringen, dass sie von den Lenkern herannahender Fahrzeuge leicht und rechtzeitig erkannt werden können, wobei sie nach Abs 3 dieser Bestimmung ‑ von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen ‑ auf der rechten Straßenseite oder oberhalb der Fahrbahn anzubringen sind.
Hier ist nicht strittig, dass das Vorrangzeichen nach § 52 lit c Z 23 StVO entsprechend den dafür bestehenden gesetzlichen Bestimmungen angebracht war.
2.2 In Fällen, in denen einem Verkehrsteilnehmer ein Verkehrszeichen überhaupt nicht zur Kenntnis gelangen konnte, weil es etwa infolge äußerer Gewalteinwirkung umgestürzt (8 Ob 218/82 = ZVR 1983/338) oder von Bauarbeitern entfernt worden (2 Ob 13/91) war, bleibt die ordnungsgemäß kundgemachte Verordnung zwar wirksam, deren Übertretung ist dem Verkehrsteilnehmer aber mangels Verschuldens nicht vorwerfbar (RIS‑Justiz RS0075188). Wäre hier ein vergleichbarer Sachverhalt zu beurteilen, würde dies im Verhältnis zwischen den Streitteilen bedeuten, dass die Klägerin an der Fehleinschätzung der Vorrangsituation kein Mitverschulden traf.
2.3 Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Klägerin, als sie sich in der Matthias-Schönerer-Gasse der Kreuzung mit der Schanzstraße näherte, die Sicht auf jenen Teil der rechten Straßenseite, auf dem mit einem gesetzmäßig angebrachten Vorrangzeichen zu rechnen war, durch den „mobilen Baucontainer“ verdeckt. Solange sie diesen Bereich nicht einsehen konnte, durfte sie nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ein solches Vorschriftszeichen nicht vorhanden ist. Dem hätte sie bei der Einschätzung der ‑ für sie insoweit unklaren ‑ Vorrangsituation Rechnung tragen müssen. Hätte sie ihre Geschwindigkeit auf Schritttempo reduziert und ihre Aufmerksamkeit nach Passieren des Containers nach rechts gerichtet, hätte sie das Vorrangzeichen wahrnehmen können. Dies von der Klägerin zu verlangen, bedeutet keine Überspannung der Sorgfaltspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erfordert eine rechtzeitig erkennbare unklare Verkehrslage, wie sie hier infolge des sichtbehindernd abgestellten Containers gegeben war, nicht nur besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit, sondern auch Bremsbereitschaft und die Einhaltung einer entsprechenden Geschwindigkeit (RIS‑Justiz RS0073128). Zu Recht sind die Vorinstanzen demnach davon ausgegangen, dass die Klägerin, die die gebotene Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht obwalten ließ, ein Mitverschulden zu verantworten hat.
3. Verschuldensabwägung:
Bei der Aufteilung des Verschuldens entscheiden vor allem der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen und im konkreten Fall (2 Ob 19/12a mwN; RIS‑Justiz RS0027389, RS0026861).
Bei Gegenüberstellung des beiderseitigen Fehlverhaltens erscheint der vom Berufungsgericht der beklagten Partei zugemessene Verschuldensanteil von einem Viertel doch deutlich zu gering. Nach Auffassung des Senats wiegt dieses Verschulden nicht weniger schwer als die Sorgfaltsverletzung der Klägerin, wurde die Verkehrssicherheit durch den Verstoß gegen die behördliche Auflage doch erheblich beeinträchtigt. Dem ist durch die schon vom Erstgericht für sachgerecht gehaltene Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 Rechnung zu tragen. Eine schematische Heranziehung von Grundsätzen der zu § 24 Abs 1 lit d StVO ergangenen Rechtsprechung kommt schon wegen des Einzelfallcharakters jeder Verschuldensabwägung nicht in Betracht.
4. Aufhebungsbeschluss:
Das Berufungsgericht begründete den von ihm bejahten Verfahrensmangel mit der Rechtserheblichkeit eines möglichen Vorrangverzichts (§ 19 Abs 8 StVO) seitens der Klägerin. In diesem Zusammenhang übersah es jedoch, dass der Klägerin kein Vorrang zukam, auf den sie hätte verzichten können. Die für notwendig gehaltene Verfahrensergänzung zur Klärung der Tatfrage, ob sie vor dem Einfahren in die Kreuzung noch angehalten hat oder nicht, ist daher entbehrlich.
5. In teilweiser Stattgebung der Revision der Klägerin sind daher die Aussprüche des Berufungsgerichts im Sinne eines gleichteiligen Verschuldens abzuändern. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens wird auf die Ausführungen zur Revision der beklagten Partei verwiesen. In Stattgebung des Rekurses war der angefochtene Beschluss aufzuheben und über den davon umfassten Teil des Leistungsbegehrens in der Sache selbst (durch Zwischenurteil) zu entscheiden.
II. Zur Revision der beklagten Partei:
Die beklagte Partei rügt als Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, „aus anwaltlicher Vorsicht“ aber auch als unrichtige rechtliche Beurteilung, dass das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren im Umfang von 25 % stattgab, obwohl es die Entscheidung über das Leistungsbegehren in diesem Umfang aufgehoben hat. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sei ja wegen des möglichen Vorrangverzichts der Klägerin noch abzuklären, ob die beklagte Partei überhaupt ein kausales Fehlverhalten trifft. Das Urteil sei daher in sich widersprüchlich.
Hiezu wurde erwogen:
1. Ein den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO begründender Widerspruch des Urteils mit sich selbst besteht dann, wenn einzelne Aussprüche innerhalb des Spruchs einander logisch ausschließen (1 Ob 169/10z; 3 Ob 218/11x; RIS‑Justiz RS0041306, RS0042171). Es ist demnach nur auf den Spruch der Entscheidung abzustellen. Danach liegt hier aber ‑ anders als etwa in in dem zu 8 Ob 255/98b entschiedenen Fall ‑ die relevierte Nichtigkeit nicht vor, weil divergierende Entscheidungen über ein Leistungs- und ein Feststellungsbegehren aus verschiedenen Gründen denkbar sind. Eine bloß mangelhafte Begründung verwirklicht aber noch nicht den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RIS‑Justiz RS0042133).
2. Der beklagten Partei ist zwar zuzugeben, dass das Berufungsgericht ‑ folgte man seinen dem Aufhebungsbeschluss zugrunde gelegten Erwägungen ‑ konsequenterweise auch über das Feststellungsbegehren nicht stattgebend entscheiden hätte dürfen. Zum einen hat aber die Klägerin den auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhenden Aufhebungsbeschluss ohnedies erfolgreich bekämpft (Punkt I.4); zum anderen ist im Rahmen der allseitigen rechtlichen Prüfung wahrzunehmen, dass der ‑ als Zwischenurteil gefasste ‑ stattgebende Ausspruch über das Feststellungsbegehren aus einem anderen Grund nicht haltbar ist:
2.1 Nach herrschender Rechtsprechung kommt bei einem schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren ein Zwischenurteil nicht in Betracht (6 Ob 187/05a; 8 Ob 138/10t; 2 Ob 181/11y; RIS‑Justiz RS0039037). Entweder das Feststellungsbegehren besteht zu Recht, weil mit künftigen Schäden zu rechnen ist, dann kann ihm schon jetzt stattgegeben werden, oder künftige Schäden sind auszuschließen, dann ist es zur Gänze schon jetzt abzuweisen (6 Ob 187/05a mwN; RIS‑Justiz RS0120248). Bedarf es noch der Klärung, ob mit künftigen Schäden zu rechnen ist, so hat das Rechtsmittelgericht mit Aufhebung einer bereits ergangenen Entscheidung vorzugehen.
2.2 Das Berufungsgericht erachtete das Beweisverfahren für ergänzungsbedürftig, weil das Erstgericht ohne Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens Feststellungen zum Vorliegen eines unfallkausalen Dauerschadens (Tinnitus) traf. Diese ‑ einen primären Verfahrensmangel unterstellende ‑ Ansicht des Berufungsgerichts bleibt im Revisionsverfahren unwidersprochen. Richtigerweise hätte das Berufungsgericht daher im Sinne der soeben erörterten Rechtsprechung nicht mit Zwischenurteil entscheiden dürfen, sondern, soweit nach der gebotenen Verschuldensteilung eine Stattgebung des Feststellungsbegehrens noch in Betracht kommt, die erstinstanzliche Entscheidung aufheben müssen.
2.3 Die Frage der Zulässigkeit eines Zwischenurteils ist zwar grundsätzlich eine prozessuale Frage. Ihre unrichtige Lösung begründet eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (RIS‑Justiz RS0040918), die die beklagte Partei in ihrer Revision nicht geltend gemacht hat. Ein unzulässiges Zwischenurteil über ein schadenersatzrechtliches Feststellungsbegehren bedeutet aber auch die unrichtige Bejahung eines Feststellungsinteresses, was nach ständiger Rechtsprechung auch im Verfahren vor dem Revisionsgericht von Amts wegen aufzugreifen ist (vgl 6 Ob 187/05a; RIS‑Justiz RS0039123).
3. In Stattgebung der Revision der beklagten Partei ist demnach die Entscheidung über das Feststellungsbegehren im angefochtenen Umfang aufzuheben.
III. Ergebnis:
Aufgrund der dargestellten beiderseitigen Rechtsmittelerfolge ist wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Schadenshöhe und die Berechtigung des Feststellungsbegehrens im verbliebenen Umfang zu klären haben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 und 4 ZPO, hinsichtlich des Zwischenurteils iVm § 393 Abs 4 ZPO.
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