European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0280DS00002.21I.0823.000
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
Hingegen wird der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe Folge gegeben und über den Disziplinarbeschuldigten unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 12. Oktober 2020, AZ D 44/19, eine Zusatzgeldbuße von 1.700 Euro verhängt.
Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch des Disziplinarbeschuldigten enthaltenden Erkenntnis wurde *, Rechtsanwalt in *, schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung (2./) und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (1./ und 2./) dadurch begangen zu haben, dass er
1./ im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Hollabrunn einen unsachliche Äußerungen gegenüber der Verhandlungsrichterin und einer weiteren nicht in das Verfahren involvierten Richterin enthaltenden (ES 6) Ablehnungsantrag verspätet (ES 6 f) und sohin nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienend einbrachte;
2./ im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts Mistelbach vorsätzlich falsch vorbrachte, seine Mandantin habe vor Beschlussfassung über die weitere Gewährung der Verfahrenshilfe kein Aufforderungsschreiben des Gerichts erhalten, ein Vermögensbekenntnis samt Belegen zu dessen Bescheinigung vorzulegen (ES 7 f).
[2] Über den Disziplinarbeschuldigten wurde die Disziplinarstrafe der Geldbuße in der Höhe von 2.700 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und b StPO relevierende (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung wegen Schuld des Disziplinarbeschuldigten.
[4] Die gegen Schuldspruch 2./ gerichtete Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 3 StPO) bezeichnet mit dem Umstand, dass sich der Disziplinarbeschuldigte in der am 21. September 2020 (gemäß § 77 Abs 3 DSt iVm § 276a StPO neu durchgeführten [ON 30 S 1]) Disziplinarverhandlung gegen die (wegen ihrer dauernden Verhinderung vorgenommene) Verlesung der von der Zeugin * G* in der Verhandlung vom 24. Juni 2019 getätigten Angaben (ON 19 S 2 f) ausgesprochen hatte (vgl ON 30 S 1 und 5), nicht deutlich und bestimmt (vgl Ratz, WK‑StPO § 285d Rz 10) eine Verletzung oder Missachtung von in § 281 Abs 1 Z 3 StPO genannten, bei sonstiger Nichtigkeit zu beachtenden Bestimmungen.
[5] Unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 4 StPO ist dem Inhalt des Protokolls der vom Berufungswerber behauptete Antrag auf Vernehmung der genannten Zeugin nicht zu entnehmen (ON 30 S 1 sowie ON 47). Der schriftlich gestellte Beweisantrag vom 10. Juni 2020 (ON 21) wurde in der Verhandlung vom Disziplinarbeschuldigten nicht wiederholt und kann damit auch nicht zur Grundlage der Verfahrensrüge gemacht werden (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 310).
[6] Die gegen Schuldspruch 1./ gerichtete Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) benennt mit dem „Verhalten“ bzw den „Motiven der Mag. B*“ keine konkret bezeichneten (vgl aber RIS‑Justiz RS0124172 [T4]) den Annahmen des Erstgerichts entgegenstehende, erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 412) und verfehlt damit eine am Gesetz ausgerichtete Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes. Mit dem Hinweis, dass der inkriminierte Ablehnungsantrag nicht bloß unsachliche Äußerungen gegenüber der Verhandlungsrichterin, sondern auch gegenüber einer weiteren, nicht in das Verfahren involvierten Richterin enthielt, wird auch kein iSd § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO relevanter Widerspruch (vgl dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 437 ff) bezeichnet.
[7] Das gegen Schuldspruch 2./ gerichtete Vorbringen (§ 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO) legt nicht dar, weshalb die vom Disziplinarrat aus den Angaben der Zeugin * G* gezogenen Schlussfolgerungen (ES 8 iVm ES 14) den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0099413, RS0116732; vgl auch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 444 und 450 f) widersprechen sollten und zeigt (unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) mit dem Hinweis auf bloß behauptete Widersprüche innerhalb der Angaben dieser Zeugin (ON 19 S 2 f) sowie auf einen nicht näher bezeichneten (vgl neuerlich RIS‑Justiz RS0124172) „Aktenvermerk vom 17.10.2017“ keine zu diesen Sachverhaltsannahmen in einem erörterungspflichtigen Widerspruch stehende Beweisergebnisse auf.
[8] Die gegen Schuldspruch 1./ gerichtete Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) übergeht sowohl die zum Bedeutungsgehalt der Äußerungen (ES 5 f sowie ES 7 erster Absatz) getroffenen Konstatierungen des Disziplinarrats als auch jene, wonach der Disziplinarbeschuldigte den – unsachliche Äußerungen auch gegenüber einer nicht am Verfahren beteiligten Richterin enthaltenden (ES 5 ff) – Ablehnungsantrag nicht unmittelbar nach Kenntnis der vorgebrachten Umstände, sondern insgesamt erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist einbrachte (ES 5) und leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab, aus welchem Grund das gebrauchte Angriffsmittel (§ 9 Abs 1 RAO; vgl dazu RIS‑Justiz RS0046059, RS0107020) der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung seiner Mandantin dienlich gewesen sein sollte (vgl RIS‑Justiz RS0055897; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 RAO Rz 16, § 1 DSt Rz 60; vgl auch RS0041933 [T6, T27]; Klauser/Kodek, JN – ZPO18 § 21 JN E 4, 9, 12 und 13). Dem unter ergänzender Berufung auf das Gelingen des „Wahrheitsbeweises“ und des Beweises „des guten Glaubens“ behaupteten Vorliegen dieses Rechtfertigungsgrundes (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO; vgl RIS‑Justiz RS0031998) ist damit die Grundlage entzogen. Soweit der Berufungswerber im Übrigen den Konstatierungen des Disziplinarrats bloß eigenständige Erwägungen im Tatsächlichen gegenüberstellt und daraus für sich günstigere Schlussfolgerungen reklamiert, verfehlt er den gesetzlichen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.
[9] Dem weiteren gegen Schuldspruch 1./ gerichteten Vorbringen zuwider (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) hat das Fehlverhalten des Disziplinarbeschuldigten mit Blick auf die (im Übrigen gleichfalls zu Schuldspruch 2./) erfolgte Verfahrensführung in zwei Instanzen (ES 3 f und 5) auch hinreichende Publizitätswirkung entfaltet (vgl RIS‑Justiz RS0054876 [T11], RS0055086, RS0055093 [T7, T9]).
[10] Das gegen Schuldspruch 2./ gerichtete Vorbringen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) orientiert sich nicht an den Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats, wonach der Disziplinarbeschuldigte im Rekurs vorsätzlich falsch vorbrachte, seine Mandantin habe vor Beschlussfassung über die weitere Gewährung der Verfahrenshilfe kein Aufforderungsschreiben des Gerichts erhalten, ein Vermögensbekenntnis samt Belegen zu dessen Bescheinigung vorzulegen (ES 1 und 7 f; vgl dazu RIS‑Justiz RS0036733, RS0120395). Indem der Berufungswerber unter Bezugnahme auf jeweils isoliert hervorgehobene beweiswürdigende Erwägungen des Disziplinarsenats wiederum bloß für sich günstigere Schlussfolgerungen im Tatsächlichen reklamiert, wird der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund abermals nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht.
[11] Die gegen den Schuldspruch 2./ gerichtete Berufung wegen Schuld vermag mit dem Verweis auf das Vorbringen der Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter und vierter Fall StPO) keine Bedenken an der Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat zu erwecken. Indem der Berufungswerber unter Hinweis auf behauptete Widersprüche in den Angaben der Zeugin * G* und gestützt auf seine eigene Verantwortung für sich günstigere Schlussfolgerungen reklamiert, zeigt er keine im Rahmen der Schuldberufung aufzugreifenden Mängel der Beweiswürdigung durch den Disziplinarrat auf.
[12] Der im Rahmen der Schuldberufung gestellte Antrag auf Vernehmung des Zeugen Mag. * S* legt nicht dar, weshalb dem Disziplinarbeschuldigten eine entsprechende Antragstellung im Verfahren vor dem Disziplinarrat nicht möglich gewesen wäre (§ 49 zweiter Satz DSt; vgl RIS‑Justiz RS0129770).
[13] Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.
[14] In seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe verweist der Disziplinarbeschuldigte lediglich darauf, dass derzeit aufgrund von durch die Pandemie bedingten massiven Einkommensverlusten wesentlich geringere Strafen verhängt würden und die verhängte Strafe auch nicht schuld- und tatangemessen wäre. Konkrete Angaben zu seinen derzeitigen Einkommensverhältnissen macht er jedoch nicht. Im Ergebnis kommt der Berufung jedoch Berechtigung zu:
[15] Aus dem Akt AZ 28 Ds 5/21f ergibt sich, dass * mit Erkenntnis des Disziplinarratsder Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 12. Oktober 2020, AZ D 44/19, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt wurde. Danach hat er am 24. Mai 2019 bei einer Erstbesprechung * T* nicht konkret darüber aufgeklärt, dass die kostenlose erste anwaltliche Auskunft beendet ist und er nunmehr kostenpflichtig eine Vertretung und einen Auftrag übernehme, und die Genannte auch sonst nicht über die Kostenfolgen informiert.
[16] Die Entscheidung erwuchs mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 23. September 2021 in Rechtskraft, sodass die hier abgeurteilten Taten vor dieser (in erster Instanz ergangenen; vgl RIS‑Justiz RS0113612) Verurteilung gesetzt wurden. Somit liegen die Voraussetzungen des § 31 StGB iVm § 16 Abs 3 DSt vor. Auf diese Vorstrafe war daher Bedacht zu nehmen.
[17] Das angefochtene Erkenntnis wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die „Mehrzahl der Delikte“ sowie die zahlreichen Vorstrafen des Disziplinarbeschuldigten. Es erachtete eine Geldbuße von 4.000 Euro als tat- und schuldangemessen, die es wegen der langen Verfahrensdauer auf 2.700 Euro reduzierte.
[18] Als erschwerend ist zusätzlich zu werten, dass Faktum 2./ sowohl das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung als auch jenes der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes verwirklicht. Dem steht der im Bedachtnahmeurteil angeführte Milderungsgrund der geständigen Verantwortung gegenüber. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände wäre eine Zusatzgeldbuße in der Höhe von 2.000 Euro tat- und schuldangemessen.
[19] Die nicht vom Disziplinarbeschuldigten zu vertretende insgesamt unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer (Art 6 Abs 1 MRK, vgl § 34 Abs 2 StGB) war jedoch durch (weitere) Strafreduktion um 300 Euro auszugleichen, woraus die im Spruch genannte Sanktion resultiert.
[20] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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