OGH 15Os62/22i

OGH15Os62/22i24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart des Schriftführers Mag. Wunsch in der Straf‑ und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers * M* gegen den Angeklagten und Antragsgegner DDr. * B* wegen der Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen sowie wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ 52 Hv 104/18h (nunmehr AZ 52 Hv 45/21m) des Landesgerichts Salzburg, über den Antrag des Verurteilten und Antragsgegners auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung des Privatanklägers und Antragstellers sowie der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00062.22I.0524.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiete: Grundrechte, Medienrecht

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] In der Straf‑ und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers * M* gegen den Angeklagten und Antragsgegner DDr. * B* wurde – im dritten Rechtsgang – mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 15. Jänner 2021, GZ 52 Hv 104/18h‑141, – soweit hier von Bedeutung – DDr. * B* jeweils mehrerer Vergehen der üblen Nachrede nach §§ 2, 12 dritter Fall, 111 Abs 1 und Abs 2 dritter Fall StGB (I./) und der Beleidigung nach §§ 2, 12 dritter Fall, 115 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB (II./) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er es in W* und M* unterlassen hat, umgehend die Löschung von Kommentaren zu von ihm verfassten und im Internet (zu I./8./) auf dem Blog www.*.com sowie (zu I./1./ bis 7./ und 9./ sowie II./) auf der Facebook-Seite „* B*“ publizierten Artikeln, die sich mit der Tätigkeit des Privatanklägers kritisch auseinandersetzen, zu veranlassen, und so dazu beigetragen hat, dass unbekannte Internetnutzer * M*

I./ durch die unter I./1./ bis 9./ wiedergegebenen, als Reaktion auf die jeweils angeführten Artikel veröffentlichten Postings in einer für Dritte wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeihen oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigen, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, wobei die Tat auf eine Weise begangen wurde, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, sowie

II./ durch die unter II./1./ bis 14./ wiedergegebenen, als Reaktion auf die jeweils angeführten Artikel veröffentlichten Postings öffentlich beschimpfen und verspotten.

[2] Weiters sprach das Erstgericht aus, dass durch die unter I./ und II./ wiedergegebenen Postings in achtzehn Fällen (US 19) in einem Medium in Bezug auf * M* der objektive Tatbestand der üblen Nachrede oder der Beleidigung hergestellt wurde, und verpflichtete DDr. * B* als Medieninhaber der Facebook‑Seite „* B*“ und des Internet‑Blogs www.*.com nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 7.200 Euro (400 Euro pro verwirklichtem Entschädigungstatbestand [US 19]) an * M*.

[3] Zur – hier interessierenden – Facebook‑Seite „* B*“ und zum Internetblog www.*.com, zu den dort erfolgten Veröffentlichungen und zur diesbezüglichen Rolle des DDr. * B* traf das Erstgericht zusammengefasst folgende Feststellungen:

Im Internet ist im sozialen Netzwerk Facebook ein Account mit der Bezeichnung „* B*“ eingerichtet. Wer diesen Account erstellt hat und wem welche Administratorenrechte zukommen, lässt sich nicht mehr nachvollziehen (US 7). Faktisch ist es DDr. * B*, der – unter Zwischenschaltung von Personen aus seinem Umfeld, die über entsprechende (technische) Zugriffsmöglichkeiten verfügen und die Anweisungen des Angeklagten befolgen (US 11) – bestimmt, welche Inhalte über diesen Account verbreitet werden und welche Eingriffe an den dort von anderen Internetnutzern geposteten Kommentaren vorgenommen werden (US 7, US 10). DDr. B* hat die Möglichkeit, die Löschung von auf der Facebook‑Seite „* B*“ von anderen Internetnutzern geposteten Wortmeldungen zu veranlassen (US 10, US 16), und ist derjenige, der für die dort veröffentlichten Inhalte verantwortlich ist (US 11).

[4] DDr. * B* betreibt im Internet weiters den Blog www.*.com, für dessen Inhalt er verantwortlich ist und in dem er die Möglichkeit hat, die dort hinterlassenen Kommentare anderer Internetnutzer zu moderieren und zu löschen (US 7, US 10).

[5] Der Angeklagte und Antragsgegner nutzte diese jeweils für über 150 Personen zugänglichen Websites (US 7) zur Förderung der Ziele des „V*“ (US 14, US 19 iVm US 6).

[6] Zwischen 12. März 2016 und 3. Mai 2017 veranlasste DDr. B* auf diesen Websites die Veröffentlichung von ihm verfasster Artikel, die sich mit * M* und dessen Tätigkeit kritisch auseinandersetzen, wobei er einen Artikel am 7. April 2017 auf dem Blog www.*.com (US 7 iVm US 2; I./8./) und siebzehn Artikel auf der Facebook‑Seite „* B*“ (US 7 iVm US 1 ff) veröffentlichte. Als Reaktion auf diese Artikel hinterließen unbekannte Internetnutzer auf der Facebook‑Seite und auf dem Blog unter Ausnutzung der jeweils bestehenden Kommentarfunktion die im Urteilsspruch wiedergegebenen Postings (US 7 iVm US 1 ff) mit dem in den Entscheidungsgründen konstatierten Bedeutungsinhalt (US 7 ff); zehn Artikel führten demnach (bloß) zu einem ehrverletzenden Posting, acht Artikel hingegen zu einer Reihe ehrverletzender Postings (US 7 iVm US 1 ff).

[7] DDr. * B*, der diese ehrverletzenden Kommentare mit seinen veröffentlichten Artikeln bewusst provoziert hatte (US 7, US 10, US 14, US 17), unterließ es in Kenntnis des Bedeutungsinhalts der Postings bewusst und gewollt, die ihm mögliche Löschung dieser Postings zu veranlassen, und prolongierte damit bewusst und gewollt deren Abrufbarkeit im Internet für jedenfalls mehr als 150 Personen (US 10).

[8] Das Erstgericht ging weiters auf der Sachverhaltsebene davon aus, dass, soweit zu ein und derselben Veröffentlichung des DDr. B* auf der Facebook‑Seite „* B*“ mehrere ehrverletzende Postings unbekannter Internetnutzer veröffentlicht und von DDr. B* nicht gelöscht wurden (vgl I./1./ und II./1./; I./3./ und II./3./; I./4./ und II./8./; I./5./ und II./9./; I./7./ und II./12./; II./2./; II./6./; II./7./), eine tatbestandliche Handlungseinheit vorlag (US 7 ff iVm US 19).

[9] In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht hinsichtlich einiger der solcherart zusammenhängenden Postings (US 7 iVm US 1 ff) von Tatbestandsmäßigkeit iSd § 111 Abs 1 und Abs 2 StGB und hinsichtlich einiger von solcher iSd § 115 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB aus (US 6, US 16 ff), wobei es – soweit hier von Bedeutung – durch die aus Anlass derselben Veröffentlichung erfolgten iSd § 111 oder § 115 Abs 1 StGB tatbestandsmäßigen Postings den Entschädigungstatbestand des § 6 Abs 1 MedienG jeweils nur einmal und somit insgesamt achtzehnmal als verwirklicht erachtete (US 19).

[10] Der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Angeklagten und Antragsgegners wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht mit Urteil vom 15. Dezember 2021, AZ 10 Bs 218/21m, 219/21h (ON 165), nicht Folge.

[11] Das Oberlandesgericht Linz stufte die gegen die erstrichterlichen Konstatierungen zur Facebook‑Seite „* B*“ sowie zur diesbezüglichen Rolle und Gestaltungsmacht des DDr. B* vorgebrachten Argumente der Schuldberufung als nicht überzeugend ein (US 7 ff) und erachtete auf Basis der erstrichterlichen Sachverhaltsfeststellungen zum zeitlichen und thematischen Konnex der Artikel des DDr. B* und der bezughabenden Postings, somit zum Vorliegen tatbestandlicher Handlungseinheiten die rechtliche Annahme achtzehnfacher Verwirklichung des Entschädigungstatbestands nach § 6  Abs 1 MedienG als zutreffend (US 10).

Rechtliche Beurteilung

[12] Sowohl gegen das in Rede stehende Urteil des Landesgerichts Salzburg als auch gegen jenes des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht richtet sich der rechtzeitige (Art 35 Abs 1 MRK iVm Art 8 Abs 3 des 15. ZPMRK [BGBl III 2021/68]) Antrag des Verurteilten und Antragsgegners DDr. * B* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG (RIS‑Justiz RS0122228), der eine Verletzung der Art 6, 10 und 14 MRK sowie von Art 1 1. ZPMRK behauptet.

[13] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 15. Jänner 2021, GZ 52 Hv 104/18h‑141, richtet, war er schon deshalb zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG), weil Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber mit Berufung anfechten kann, unzulässig sind (vgl Art 35 Abs 1 MRK; RIS‑Justiz RS0124739 [T4]).

[14] Auch dem gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Dezember 2021, AZ 10 Bs 218/21m, 219/21h, gerichteten Erneuerungsantrag kommt keine Berechtigung zu.

[15] Ein nicht auf eine Entscheidung des EGMR gestützter Erneuerungsantrag hat deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine Grundrechtsverletzung zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17], RS0124359). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und – soweit er nicht Begründungsmängel aufzeigt oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung methodengerecht zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1], RS0128393).

[16] Diesen Anforderungen wird der Erneuerungsantrag nicht gerecht.

[17] Die unter dem Aspekt des Art 6 MRK vorgetragene Kritik an den referierten Feststellungen zur Gestaltungsmacht und zu den Eingriffsmöglichkeiten des Erneuerungswerbers betreffend die Facebook‑Seite „* B*“ verkennt, dass die Behandlung eines Erneuerungsantrags nicht die Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde‑ oder Berufungsinstanz bedeutet (RIS‑Justiz RS0129606 [T2, T3]).

[18] Erhebliche Bedenken (RIS‑Justiz RS0118780) gegen die angesprochenen Urteilsfeststellungen werden mit der Behauptung „einseitiger und unrichtiger Beweiswürdigung“, Wiederholung der – eine Gestaltungsmacht über die Facebook-Seite „* B*“ und entsprechende Eingriffsmöglichkeiten in Abrede stellenden – Verantwortung des Erneuerungswerbers sowie eigenständiger Würdigung der Aussagen der Zeugen * H*, * L*, * D*, Mag. * N* und * F* sowie der von DDr. B* in den Verfahren AZ 39 Cg 6/16z des Handelsgerichts Wien und AZ 112 Hv 42/16s des Landesgerichts für Strafsachen Wien getätigten Angaben (vgl zum Ganzen US 7 ff iVm S 11 ff des Ersturteils) nicht aufgezeigt. Mit der Bezugnahme auf ein mit dem Antrag vorgelegtes Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. März 2022, AZ 74 Hv 3/22k, verlässt der Erneuerungswerber von vornherein den Anfechtungsrahmen (vgl RIS‑Justiz RS0099708, RS0127726; im Übrigen: RIS‑Justiz RS0128416).

[19] Die Behauptung unterlassener – unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK gebotener (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 72; Wiederin, WK‑StPO § 6 Rz 107 ff) – Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des DDr. * B* und den Aussagen der vernommenen Zeugen übergeht die bezughabenden Ausführungen des Berufungsgerichts (US 7 ff iVm S 11 ff des Ersturteils).

[20] Indem der Erneuerungswerber einzelne in den Entscheidungsgründen für die Bejahung seiner Medieninhaberschaft angeführte Begründungselemente (US 7 f iVm US 11 f, US 13 f des Ersturteils) herausgreift und diesen eigene Überlegungen gegenüberstellt, zeigt er ein aus Art 6 Abs 1 MRK relevantes Begründungsdefizit (RIS‑Justiz RS0129981; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 76; Wiederin, WK‑StPO § 6 Rz 108 ff) nicht auf.

[21] Das eine Verletzung der Grundrechte auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 „iVm Art 14“ MRK und auf Schutz des Eigentums nach Art 1 1. ZPMRK reklamierende Vorbringen, der Erneuerungswerber habe nur einzelne Beiträge verfasst und sei für deren – nicht einmal selbst vorgenommenes – Posten „nach §§ 6 ff MedienG bestraft“ und zu einer Geldstrafe verurteilt worden, übergeht die referierten Feststellungen zum Verhalten des DDr. B*.

[22] Die Behauptung rechtsirriger Annahme der Medieninhaberschaft des Erneuerungswerbers hinsichtlich der Facebook‑Seite „* B*“ orientiert sich nicht an den Feststellungen zur inhaltlichen Gestaltungsmacht und zu den faktischen Eingriffsmöglichkeiten des DDr. B* betreffend die seinen Namen tragende Facebook‑Seite; weshalb diese Feststellungen die rechtliche Annahme der Medieninhaberschaft iSd § 1 Abs 1 Z 8 MedienG nicht tragen sollten, macht der Antrag nicht klar (vgl im Übrigen Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 § 1 Rz 30b, 30g; Rami in WK² MedienG § 1 Rz 47; RIS‑Justiz RS0125859).

[23] Das – der Sache nach – die rechtliche Annahme achtzehnfacher Verwirklichung des Entschädigungstatbestands kritisierende Vorbringen, die befassten Gerichte hätten die auf der Facebook‑Seite „* B*“ erfolgten, von den Punkten I./1./ und II./1./, I./3./ und II./3./, I./4./ und II./8./, I./5./ und II./9./, I./7./ und II./12./ sowie I./8./ und II./13./ erfassten Postings „in unbegründeter Weise nicht zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ und demnach nicht „zu einer Verwirklichung des Entschädigungstatbestands zusammengefasst“, orientiert sich nicht an den Urteilsannahmen, wonach das unter I./8./ angeführte Posting auf dem Blog www.*.com, das unter II./13./ angeführte hingegen auf der Facebook‑Seite „* B*“ veröffentlicht wurde (US 10; S 7 iVm S 2 ff des Ersturteils) und hinsichtlich der unter I./1./ und II./1./, I./3./ und II./3./, I./4./ und II./8./, I./5./ und II./9./, I./7./ und II./12./ genannten Postings je eine tatbestandliche Handlungseinheit vorlag (US 10 iVm S 7 ff iVm US 19 des Ersturteils).

[24] In Übereinstimmung mit der zutreffenden Stellungnahme der Generalprokuratur war daher der Erneuerungsantrag bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 und 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG).

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