OGH 15Os166/12v

OGH15Os166/12v20.3.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. März 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zellinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Ludwig S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 31. August 2012, GZ 37 Hv 44/12i-36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ludwig S***** in einem Fall des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und in einer unbestimmten Anzahl von weiteren Fällen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1), in einem Fall des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und in einer unbestimmten Anzahl von weiteren Fällen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (2), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (3) und (richtig:) der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (4) schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in W*****

1./ von 1997 bis Anfang Juni 1998 in zahlreichen Fällen mit einer unmündigen Person den Beischlaf unternommen, indem er seine am 3. Mai 1993 geborene Enkeltochter Antonia S***** auf seinen Penis setzte und teilweise in ihre Vagina eindrang;

2./ von 1995 bis Anfang Juni 1998 in zahlreichen Angriffen eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er seine am 3. Mai 1993 geborene, neben ihm im Bett liegende Enkeltochter Antonia S***** zu sich zog, eine ihrer Hände auf seinen entblößten Penis legte, selbst mit einer Hand unter ihre Pyjama-Hose fuhr und mit einem Finger in ihre Vagina eindrang,

wobei die zu Punkt 1./ und 2./ dargestellten Taten eine an sich schwere Körperverletzung der Antonia S***** (§ 84 Abs 1 StGB) verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine etwa im Jahr 2005 auftretende, bis dato teils in abgeschwächter Form anhaltende posttraumatische Belastungsreaktion, einhergehend mit erhöhter Ängstlichkeit, anhaltenden Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsstörungen, sich aufdrängenden Erinnerungen im Sinne von Flashbacks, emotionaler Irritation bis hin zu Gefühlstaubheit und Übererregtheit, zur Folge hatten;

3./ von 1995 bis Anfang Juni 1998 durch die zu Punkt 2./ dargestellten Tathandlungen mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person, nämlich seiner am 3. Mai 1993 geborenen Enkeltochter Antonia S*****, geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen;

4./ von 1997 bis Anfang Juni 1998 durch die in Punkt 1./ dargestellten Tathandlungen eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, nämlich seine unmündige Enkeltochter Antonia S*****, zum Beischlaf verführt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Aus Z 3 macht der Beschwerdeführer zu Unrecht mangelnde Individualisierung der Straftaten im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) geltend. Denn der Zweck dieses Referats im Urteilsspruch liegt darin, einerseits Lebenssachverhalte voneinander abzugrenzen, um Mehrfachverurteilungen hintanzuhalten, und andererseits jene als verwirklicht angesehenen entscheidenden Tatsachen zu bezeichnen, auf welche die gesetzliche Deliktsbeschreibung der strafbaren Handlungen abstellt (Lendl, WK-StPO § 260 Rz 9). Fehlende, ungenaue oder unzutreffende Angaben über Zeit und Ort der Tat begründen - es sei denn, sie wären ausnahmsweise rechtlich entscheidend (etwa bei Tatbestandsmerkmalen, im Zusammenhang mit der Verjährung oder der Identität von Anklage und Schuldspruch) - keine Nichtigkeit aus Z 3, wenn die Tat sonst hinlänglich individualisiert und eindeutig von anderen unterscheidbar ist (vgl Lendl, WK-StPO § 260 Rz 14; RIS-Justiz RS0098693). Fallbezogen ist die spruchmäßige Anführung einer unbestimmten Anzahl von gleichartigen, nur pauschal individualisierten Angriffen auf das namentlich genannte Tatopfer, die der Täter an seinem Wohnort in einem bestimmten Zeitraum vorgenommen hat, aus Z 3 unbedenklich, zumal auch die Beschwerde nicht darlegt, weshalb eine nach dem Sommer 1997 gelegene Tatzeit für den Schuldspruch oder die Subsumtion von Bedeutung sein sollte (vgl RIS-Justiz RS0116736).

Soweit der Angeklagte hinsichtlich des Tatzeitraums einen Widerspruch (nominell aus Z 3, der Sache nach aus Z 5 dritter Fall) zwischen dem Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO und den Entscheidungsgründen rügt, spricht er keine entscheidenden Tatsachen an. Ob nämlich der letzte der zahlreichen Übergriffe auf die Unmündige schon im Sommer 1997 oder erst im Juni 1998 stattgefunden hat, ist im vorliegenden Fall weder für den Schuldspruch noch für die rechtliche Unterstellung der Tat(en) von Bedeutung (vgl RIS-Justiz RS0098693, RS0098557).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnten in der Hauptverhandlung nachstehende Beweisanträge ohne Verletzung von Verteidigungsrechten des Angeklagten abgewiesen werden:

1./ zum Beweis der infolge eines 1991 erlittenen Herzinfarkts und der dadurch notwendigen medikamentösen Behandlung eingetretenen „vollkommenen Impotenz“ des Angeklagten und des mangels Erektion nicht möglichen, auch nur teilweisen Eindringens des Penis in die Vagina des Tatopfers die Beischaffung der Bezug habenden Unterlagen des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern in Linz, des Internisten Dr. Leopold H***** und des praktischen Arztes am Wohnort des Angeklagten sowie die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens (ON 35 S 51 f), und

2./ zum Beweis dafür, dass der Zeugin Antonia S***** in Ansehung der Anklagefakten die Beobachtungs-, Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit fehle, die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (ON 35 S 52 iVm ON 17).

Der Antrag 1./ ließ unbegründet, weshalb ein Sachverständiger ohne zeitnahe urologische Befundung nachträglich Aussagen zur Penetrationsfähigkeit des Beschwerdeführers im Tatzeitraum von 1997 bis Juni 1998 (1) oder zu Ursachen einer allfälligen Erektionsunfähigkeit in diesem Zeitraum (nämlich im organischen oder im psychischen Bereich) treffen können sollte (vgl US 8), und war somit auf bloße Erkundungsbeweisführung gerichtet. Aus diesem Grund war auch die Beischaffung von Unterlagen seiner behandelnden Ärzte nicht geboten. Im Übrigen würde bereits die bloße Berührung der Geschlechtsteile mit Penetrationsvorsatz (vgl US 4) zur Vollendung der Tat genügen (zur alten Rechtslage: Leukauf/Steininger, Komm3 § 206 RN 3 und 7; zur neuen Rechtslage: Philipp in WK2 § 206 Rz 10 und 24).

Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen obliegt dem Schöffengericht im Rahmen der ihm zukommenden freien Beweiswürdigung, wobei es nur ausnahmsweise der Hilfestellung eines Sachverständigen bedarf, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen (vgl RIS-Justiz RS0120634, RS0097733; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Mit dem Hinweis auf das frühkindliche Alter des Opfers im Tatzeitraum und mit spekulativen Erwägungen betreffend eine Suggestion durch die Mutter des Opfers lieferte der Beschwerdeführer dafür ebenso wenig Anhaltspunkte wie mit der Hervorhebung von den sonstigen Beweisergebnissen teilweise widersprechenden Angaben der zum Zeitpunkt ihrer gerichtlichen Vernehmung (ON 7) 17-jährigen Antonia S*****. Darüber hinaus wurde im Beweisantrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens nicht dargetan, dass die betroffene Zeugin ihre Zustimmung zur psychologischen Exploration erteilt hätte oder erteilen würde (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614).

Das erkennende Gericht ist weder dazu verhalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen in extenso zu erörtern und daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, noch muss es sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzen. Es genügt vielmehr, wenn das Schöffengericht im Urteil in gedrängter Form (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und schlüssig und zureichend begründet, warum es von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS-Justiz RS0098541, RS0106642). Die Aussagen des Opfers und seiner Familienangehörigen wurden von den Tatrichtern ebenso mit Blick auf eine mögliche Falschbezichtigung durch Antonia S***** beleuchtet wie Divergenzen dieser Angaben betreffend Nebenumstände wie Häufigkeit oder Tageszeit der Aufenthalte bei den Großeltern oder die Wahrnehmbarkeit von Übergriffen durch die Großmutter berücksichtigt (US 6 ff). Im Ergebnis läuft die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) mit eigenständigen Schlussfolgerungen, etwa hinsichtlich einer Scheidenpilzinfektion des Opfers und damit verbundener Schmerzen und Unannehmlichkeiten während des Tatzeitraums, auf eine schlichte, im schöffengerichtlichen Verfahren jedoch in dieser Form unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung hinaus. Ob der letzte der zahlreichen Übergriffe auf die Unmündige schon im Sommer 1997 oder erst im Juni 1998 stattgefunden hat, betrifft - wie schon erwähnt - keine entscheidende Tatsache, weshalb auch der Einwand widersprüchlicher und unzureichender Begründung hinsichtlich des Tatzeitraums (Z 5 dritter und vierter Fall) ins Leere geht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war somit - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Bleibt mit Blick auf § 290 StPO anzumerken, dass nach jüngster Rechtsprechung (auch) bei ungleichartiger Realkonkurrenz erfolgsqualifizierter strafbarer Handlungen ein- und derselbe Erfolg die entsprechende Qualifikation nur bei einer der zusammentreffenden Taten begründet, und zwar bei derjenigen, die mit dem strengsten Strafsatz verknüpft ist (verstärkter Senat vom 2. Oktober 2012, 14 Os 172/11t; RIS-Justiz RS0128224, RS0120828 [T5]). Die zu (2) erfolgte - vom Angeklagten ungerügt gebliebene und im konkreten Fall für den für die Strafbemessung zur Verfügung stehenden Strafrahmen (§ 28 StGB) irrelevante - Subsumtion einer Tat (auch) unter die Qualifikation nach § 207 Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 war somit verfehlt (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), wurde bei der Strafbemessung jedoch nicht gesondert in Anschlag gebracht (US 10). Mangels aktenmäßiger Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte infolge seiner individuellen geistigen Verhältnisse zur Tatzeit nicht wie jedermann in der Lage gewesen wäre, den durch vorsätzlichen sexuellen Missbrauch eines Vorschulkindes eingetretenen Erfolg und - in den wesentlichen Zügen - den zu ihm führenden Kausalverlauf zu erkennen (vgl RIS-Justiz RS0088955, RS0089230), waren auch konkrete Feststellungen zur objektiven und subjektiven Vorhersehbarkeit der schweren Tatfolge entbehrlich (vgl RIS-Justiz RS0089253; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602).

Fallbezogen wären im Hinblick auf den nach § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich und die Unzulässigkeit einer Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten (Höpfel/U. Kathrein in WK2 § 61 Rz 6; RIS-Justiz RS0112939) überdies die vom Schuldspruch zu (3) erfassten Missbrauchshandlungen wegen der Idealkonkurrenz mit Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 StGB idF BGBl 1974/60 (zu 2) der Bestimmung des § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 zu unterstellen gewesen (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO), die beim Missbrauch durch den leiblichen Großvater - soweit das Opfer wie hier nicht (gleichzeitig auch) dessen (minderjähriges) Kind, Wahlkind, Stiefkind oder Mündel ist - auf eine Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstehenden Opfer abstellt (vgl 15 Os 127/07a) und nicht wie § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF bei der Vornahme von geschlechtlichen Handlungen mit einer in absteigender Linie verwandten Person den Missbrauch des Autoritätsverhältnisses bereits als typisch voraussetzt (vgl Philipp in WK2 § 212 Rz 1; RIS-Justiz RS0095270). In einer Gesamtschau lässt das Urteil hinreichend deutlich erkennen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 19), dass die Tatrichter angesichts des dargelegten engen Verhältnisses des zur Tatzeit zwei- bis fünfjährigen Opfers zu seinen Großeltern auch tatsächlich von einer Ausnützung der Stellung des Angeklagten als Aufsichtsperson in objektiver und subjektiver Hinsicht ausgegangen sind.

Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 23 und 27a).

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