OGH 13Os37/16i

OGH13Os37/16i27.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Jülg als Schriftführer in der Strafsache gegen Jan L***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 17. Dezember 2015, GZ 26 Hv 105/15t‑372, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00037.16I.0627.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jan L***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 15. Dezember 2014 in M***** Gottfried G***** durch zahlreiche Stiche mit einem Messer und einem schmalen, spitzen, vierkantigen Gegenstand vorsätzlich getötet.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 4, 5, 6, 8, 9 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht – wie die Generalprokuratur zutreffend darlegt – fehl.

Mit dem Vorbringen der Besetzungsrüge (Z 1), dem Beschwerdeführer seien die Wohnadressen der Geschworenen nicht bekannt gegeben worden, wird Nichtigkeit im Sinn des § 345 Abs 1 Z 1 StPO nicht geltend gemacht.

Der Einwand, die genannte Norm sei lückenhaft, erschöpft sich in einer substratlosen Rechtsbehauptung.

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich auf keine der im Katalog des § 345 Abs 1 Z 4 StPO genannten Gesetzesstellen und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erledigung.

Die dabei mehrfach angesprochene Bestimmung des § 3 StPO enthält keine Nichtigkeitsdrohung.

Mit Blick auf allfällige Befangenheit eines Sachverständigen sind Verletzungen des § 47 Abs 1 Z 1 und 2 StPO mit Nichtigkeit bewehrt (§ 345 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 126 Abs 4 StPO). Diesbezügliches Vorbringen enthält die Beschwerde nicht.

Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 5) wies das Erstgericht mehrere Beweisanträge (ON 371 S 22 bis 29) ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (ON 371 S 30 bis 33):

Die Anträge auf „Einvernahme aller von der Polizei einvernommenen und im Hauptverfahren noch nicht gehörten Zeugen“ (ON 371 S 22) sowie auf „Auswertung sämtlicher beim GMI Innsbruck asservierten und bisher noch nicht untersuchten Spuren“ und auf „Auswertung sämtlicher an das GMI übermittelten Mikro‑Spuren“ (ON 371 S 28) ließen die Beweismittel nicht hinreichend konkret erkennen und verfielen schon aus diesem Grund zu Recht der Abweisung (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Die auf die Einholung von Expertisen des Prof. Simon C***** (ON 371 S 22 f), der kriminalwissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne (ON 371 S 23 bis 25) sowie eines forensisch‑psychologischen (ON 371 S 26) und eines gerichtsmedizinischen (ON 371 S 27) Sachverständigen gerichteten Anträge zielten auf die Überprüfung der Gutachten der vom Erstgericht bestellten Sachverständigen. Dazu hätte es fundierter Darlegungen bedurft, wonach der jeweilige Befund unbestimmt oder das jeweilige Gutachten widersprüchlich oder sonst mangelhaft gewesen sei und diesbezügliche Bedenken nicht durch Befragung beseitigt worden wären ( Hinterhofer , WK‑StPO § 127 Rz 16 mwN), welchen Kriterien die angesprochenen Beweisanträge nicht entsprachen.

Der Antrag auf Vernehmung des Alexander G***** als Zeugen zum Beweis dafür, dass „es sich bei den Spuren F‑10 und F‑11 weder um solche, die in oder mit Blut gesetzt wurden, gehandelt hat“ (ON 371 S 24), ließ nicht erkennen, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten lasse, und zielte solcherart auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung (RIS‑Justiz RS0118444).

Soweit dieser Beweisantrag überdies auf eine Bewertung der Analyse des gerichtsmedizinischen Instituts zielte, war er nicht auf die Wahrnehmung von Tatsachen gerichtet, womit er sich vom Gegenstand des Zeugenbeweises entfernte (EvBl 1992/189, 797; RIS‑Justiz RS0097540; Kirchbacher , WK‑StPO § 154 Rz 7 f).

Ob auch andere Personen ein Motiv gehabt hätten können, Gottfried G***** zu töten (ON 371 S 25), ein „Irrläufer einer SMS nicht wie von der Zeugin Waltraud S***** geschildert nicht nachvollziehbar und wirr“ sei (ON 371 S 26), ein vom Beschwerdeführer angeblich benutztes elektronisches Gerät (zudem bei nicht exakt feststehendem Tatzeitpunkt) am 15. Dezember 2014 von 20:30 Uhr bis 21:00 Uhr nicht in einem bestimmten Funkbereich eingeloggt gewesen sei (ON 371 S 27) und ob am Tatort „im Vorraum die Schuhe herumlagen“ oder „Luminol und LKV keinen zwingenden Nachweis auf roten Blutfarbstoff ergeben“ (ON 371 S 28), ist für die Beurteilung des Tatverdachts ohne Bedeutung, aus welchem Grund das Erstgericht den diesbezüglichen Beweisanträgen mit Recht nicht folgte (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO).

Die „Einholung des gesamten Chat‑ oder SMS‑Verkehrs des Angeklagten mit Dritten“ (ON 371 S 25 f) ließ nicht erkennen, welche erhebliche Tatsache damit bewiesen werden sollte (siehe aber § 55 Abs 2 Z 2 StPO).

Dem Antrag auf neuerliche Vernehmung des Zeugen Roger T***** (ON 371 S 28) fehlte die Darlegung, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer abermaligen Befragung dieses Zeugen erst nachträglich ergeben haben sollte (RIS‑Justiz RS0098117).

Welches Beweismittel (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO) mit dem Antrag auf „Einholung eines polizeieinsatztaktischen Sachbefundes“ (ON 371 S 29) angesprochen wurde, blieb im Dunkeln.

Das die Beweisanträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Die übrigen in der Beschwerde relevierten Anträge wurden nicht in der Hauptverhandlung gestellt und sind solcherart unter dem Aspekt des § 345 Abs 1 Z 5 StPO unbeachtlich ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 310).

Die Fragenrüge (Z 6) ist einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich, weil sie kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes Verfahrensergebnis (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) nennt, welches eine Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) indizieren würde (RIS‑Justiz RS0100860, RS0101087, RS0117447 und RS0119417).

Gegenstand der Instruktionsrüge (Z 8) ist der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen an die Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in diesen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage bezogene Inhalt der von §§ 321, 323 Abs 1 und 327 Abs 1 StPO genannten Belehrungen (14 Os 81/09g, SSt 2009/79; RIS‑Justiz RS0125434). An diesen Anfechtungskriterien orientiert sich die Beschwerde nicht, indem sie Ausführungen zur – hier nicht gestellten – Frage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB), zu den Bestimmungen der §§ 14, 258 und 259 StPO sowie zu „fundamentalen“ Grundsätzen „eines Strafverfahrens, insbesondere Art 6 EMRK“ verlangt.

Nicht am Gesetz ausgerichtet ist auch die Rüge aus Z 9, weil sie ihre Argumentation nicht aus dem Wahrspruch (§ 340 StPO), sondern aus der Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) der Geschworenen entwickelt (RIS‑Justiz RS0100917 und RS0100945).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) erschöpft sich in eigenen Beweiswerterwägungen zu einzelnen Ergebnissen der Tatorterhebungen sowie zu isoliert herausgegriffenen Aussagen der Sachverständigen und wendet sich damit nach Art einer im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 346 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung der Geschworenen.

Zur Anregung einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG hinsichtlich der „Verfassungsmäßigkeit des Rechtsschutzsystems der StPO im Geschworenenverfahren“ genügt der Hinweis, dass der Gesetzgeber mit der seit 1. Jänner 2015 geltenden Rechtslage (BGBl I 2013/114 iVm BGBl I 2014/92) ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte ausdrücklich verneint hat (RIS‑Justiz RS0130514, jüngst 13 Os 148/15m; vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 597 und § 285j Rz 4 bis 6).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 285d Abs 1, 344 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte