European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00107.20I.0414.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Wilhelm G***** und Agnes G***** betreffenden Schuldspruch wegen je eines Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (B) sowie demzufolge auch in den Strafaussprüchen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten sowie die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden Wilhelm G***** und Agnes G***** jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (A 1 sowie [betreffend Wilhelm G*****] A 2 a und [betreffend Agnes G*****] A 2 b) und jeweils eines Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 2 lit a, 38 Abs 1 FinStrG idF vor BGBl I 2019/62 (B) schuldig erkannt.
[2] Danach haben im Bereich des Finanzamts Kitzbühel Lienz vorsätzlich und gewerbsmäßig
(A) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten, nämlich jeweils durch die Nichtabgabe von Jahressteuererklärungen, Abgabenverkürzungen bewirkt, und zwar
1) Wilhelm G***** und Agnes G***** als vertretungsbefugte und abgabenrechtlich verpflichtete Vertreter der von ihnen zum Zweck der Vermietung von Fremdenzimmern gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG) an Umsatzsteuer, und zwar
a) für das Jahr 2009 um 5.577 Euro,
b) für das Jahr 2010 um 5.577 Euro,
c) für das Jahr 2011 um 7.813 Euro,
d) für das Jahr 2012 um 7.402 Euro,
e) für das Jahr 2014 um 7.900 Euro,
f) für das Jahr 2015 um 9.611 Euro,
g) für das Jahr 2016 um 11.167 Euro und
h) für das Jahr 2017 um 11.142 Euro sowie
2) an Einkommensteuer
a) Wilhelm G*****
i/ für das Jahr 2009 um 10.087 Euro,
ii/ für das Jahr 2010 um 8.896 Euro,
iii/ für das Jahr 2011 um 10.995 Euro,
iv/ für das Jahr 2012 um 10.650 Euro,
v/ für das Jahr 2013 um 10.151 Euro,
vi/ für das Jahr 2014 um 12.121 Euro,
vii/ für das Jahr 2015 um 15.168 Euro,
viii/ für das Jahr 2016 um 12.966 Euro und
ix/ für das Jahr 2017 um 13.732 Euro sowie
b) Agnes G*****
i/ für das Jahr 2009 um 1.262 Euro,
ii/ für das Jahr 2010 um 835 Euro,
iii/ für das Jahr 2011 um 1.587 Euro,
iv/ für das Jahr 2012 um 1.447 Euro,
v/ für das Jahr 2013 um 1.275 Euro,
vi/ für das Jahr 2014 um 1.982 Euro,
vii/ für das Jahr 2015 um 3.070 Euro,
viii/ für das Jahr 2016 um 2.040 Euro und
ix/ für das Jahr 2017 um 1.903 Euro sowie
(B) Wilhelm G***** und Agnes G***** als vertretungsbefugte und abgabenrechtlich verpflichtete Vertreter der zu A 1 dargestellten Gesellschaft bürgerlichen Rechts im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 11 erster Fall FinStrG) am 15. Februar 2019 unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG entsprechenden Voranmeldungen eine Verkürzung an Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2018 um 11.229 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten, indem sie weder die Umsatzsteuervoranmeldung einreichten noch die entsprechende Vorauszahlung entrichteten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wenden sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO erhobenen (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Wilhelm G***** und Agnes G*****.
[4] Die „unvollständige“ Feststellungen zur Willenskomponente des Vorsatzes der beiden Angeklagten in Bezug auf das Bewirken von Abgabenverkürzungen behauptende Rüge (nominell Z 5 zweiter Fall, der Sache nach Z 9 lit a) legt nicht dar, welche über die zum Schuldspruch A insoweit getroffenen, (sogar) die Vorsatzform der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) bejahenden (US 9 f – „zu dem Zweck“ des Bewirkens von Abgabenverkürzungen), hinausgehenden Konstatierungen zur subjektiven Tatseite erforderlich sein sollten (vgl insoweit Reindl‑Krauskopf in WK 2 StGB § 5 Rz 24; Leukauf/Steininger/Stricker , StGB 4 § 5 Rz 5; RIS‑Justiz RS0088886 [T1]). Demgemäß entzieht sie sich einer inhaltlichen Erledigung (RIS‑Justiz RS0095939).
[5] Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite zum Schuldspruch A stützte das Erstgericht insbesondere auf das professionelle Vorgehen bei der Vermietung, die erhebliche Höhe des Zusatzeinkommens, das die Einkünfte aus der Landwirtschaft um ein Vielfaches überstiegen habe, die Anzahl der Betten sowie das Beziehen von Einnahmen auch aus der Vermietung eines Hauses (US 10 f). Diese Ableitung ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098671 und RS0099413).
[6] Die Mängelrüge (der Sache nach ebenfalls Z 5 vierter Fall), die unter Hinweis auf Aussagedetails der beiden Angeklagten eine „differenziert[e]“ Beweiswürdigung hinsichtlich deren Vorsatzes fordert, übergeht diese Entscheidungsgründe (siehe aber RIS‑Justiz RS0119370). Soweit sie die Erwägungen der Tatrichter unsubstanziiert als eine „unstatthafte Vermutung zu Lasten der Angeklagten“ bezeichnet, übt sie bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik.
[7] Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell‑rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS‑Justiz RS0099810). Ausgehend von der Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 581, 584). Die angestrebte rechtliche Konsequenz ist methodisch vertretbar aus dem Gesetz abzuleiten (RIS‑Justiz RS0116565, RS0116569).
[8] Diesen Anfechtungserfordernissen wird die – weder auf einen konkreten Schuldspruch noch auf konkrete Feststellungen bezogene – Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht gerecht. Sie vermisst zur Beurteilung, „ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt“, Konstatierungen dazu, „ab welcher Bettenanzahl und ab welchem Umsatz die von den Angeklagten angenommene Pauschalierung nicht mehr zum Tragen kommt“, „ob auch die Einnahmen aus der Vermietung von der Land- und Forstwirtschaft‑Pauschalierungsverordnung 2015 umfasst sind“ und „welche abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten“ die Angeklagten zufolge dieser Verordnung getroffen hätten.
[9] Damit begehrt sie zum einen der Sache nach keine Tatsachenfeststellungen, sondern spricht – ohne Ableitung konkreter strafrechtlicher Konsequenzen – bloß die abgabenrechtliche Beurteilung (nämlich den Anwendungsbereich der genannten Verordnung) an. Zum anderen wird nicht klar, welche – über die getroffenen Konstatierungen zu Pflichtverletzungen (US 6 und 9 f) hinausgehenden – Feststellungen zu Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion erforderlich sein sollen.
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[11] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass das Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit zum Nachteil der Angeklagten Wilhelm G***** und Agnes G***** aufweist, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[12] In den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) finden sich zum Schuldspruch B (US 4) keine Konstatierungen. Da die Tatbeschreibung im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) allein fehlende Feststellungen nicht zu ersetzen vermag (RIS‑Justiz RS0114639), haftet dem Urteil insoweit ein die beiden Angeklagten betreffender Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) an.
[13] Dies erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuldspruch B hinsichtlich beider Angeklagter sowie demzufolge auch der Strafaussprüche bei der nichtöffentlichen Beratung samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht (§ 290 Abs 1 zweiter Satz iVm § 285e StPO).
[14] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Wilhelm G***** und Agnes G***** sowie die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung der Strafaussprüche zu verweisen.
[15] Hinzugefügt sei:
[16] Wird auf eine Geldstrafe oder auf Wertersatz erkannt, so ist zugleich die für den Fall der Uneinbringlichkeit an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen (§ 20 Abs 1 FinStrG), was im Ersturteil hinsichtlich der Strafaussprüche beider Angeklagter unterblieb. Da die Staatsanwaltschaft dies nicht zum Nachteil der Angeklagten geltend gemacht hat, steht das Verschlechterungsverbot (hier § 293 Abs 3 StPO) einem entsprechenden Vorgehen im zweiten Rechtsgang entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0115529).
[17] Nach § 53 Abs 4 FinStrG begründet die Zuständigkeit des Gerichts zur Ahndung von Finanzvergehen des (unmittelbaren [ Lässig in WK 2 FinStrG § 53 Rz 18]) Täters auch dessen Zuständigkeit zur Ahndung von Finanzvergehen der anderen vorsätzlich an der Tat Beteiligten. Im ersten Rechtsgang gründete die Zuständigkeit des Gerichts hinsichtlich Agnes G***** bei einem strafbestimmenden Wertbetrag von 92.819 Euro auf objektiver Konnexität. Für den Fall der Konstatierung eines 100.000 Euro nicht übersteigenden Verkürzungsbetrags auch im zweiten Rechtsgang (zur Beschränkung des Verschlechterungsverbots des § 293 Abs 3 StPO auf den Sanktionenbereich siehe RIS‑Justiz RS0098900 und RS0121424 sowie Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 32 und § 293 Rz 22) wird im Urteil gemäß § 53 Abs 4 zweiter Satz FinStrG die Feststellung, dass mit dieser Verurteilung nur die Folgen einer finanzstrafbehördlichen Bestrafung verbunden sind, zu erfolgen haben ( Lässig in WK 2 FinStrG § 53 Rz 22 f).
[18] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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