European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130283
Spruch:
Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung der Sache an das zuständige Gericht übermittelt.
Gründe:
Mit beim Landesgericht Linz eingebrachter Anklageschrift vom 15. Juni 2020 (ON 12) legt die Staatsanwaltschaft Linz Thomas M* als Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall und 15 StGB sowie Monika N*, Sabine G* und Harald S* als Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 2 und 15 StGB beurteilte Taten zur Last. Damit verbunden (§ 21 Abs 2 VbVG) ist ein Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen die A* GmbH wegen Verantwortlichkeit (§ 3 Abs 1 Z 2 und Abs 2 VbVG) für die von der Anklage umfassten Taten ihres Geschäftsführers M*. Keiner der Angeklagten hat innerhalb der dafür vorgesehenen Frist (§ 213 Abs 2 erster Satz StPO) Einspruch gegen die Anklageschrift erhoben. Auch der belangte Verband hat weder die Anklageschrift (in Ansehung des M* betreffenden Anklagevorwurfs) noch den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße beeinsprucht (wozu er in Bezug auf Erstere gemäß §§ 15 Abs 1 zweiter Satz, 14 Abs 1 VbVG, in Bezug auf Letzteren gemäß §§ 13 Abs 1 letzter Satz, 14 Abs 1, 21 Abs 1 erster Satz VbVG, jeweils iVm §§ 212, 213 Abs 2 erster Satz StPO, legitimiert gewesen wäre [zum Recht des belangten Verbandes, Einspruch gegen die Anklageschrift zu erheben, siehe Oberressl, Besonderheiten des Haupt- und des Rechtsmittelverfahrens nach dem VbVG, ÖJZ 2020, 815 [817, 819 und 821]).
Die Akten wurden vom Vorsitzenden wegen Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz und von diesem – nach Verneinen des Bestehens eines der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Gründe – gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vorgelegt, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Infolge Verbundenheit (§ 21 Abs 2 VbVG) des Antrags auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße mit der Anklageschrift gegen die natürliche Person (des M*) gilt das – grundsätzliche (vgl § 15 Abs 2 erster Satz VbVG) – Gebot des § 15 Abs 1 erster Satz VbVG, „die Hauptverfahren“ gegen diesen Angeklagten und gegen den belangten Verband „gemeinsam zu führen“ (Oberressl, ÖJZ 2020, 815 [818]). Hiervon ausgehend richtet sich die Zuständigkeit für das Verbandsverfahren nach jener für das (gemäß § 37 Abs 1 StPO mit den Verfahren gegen die weiteren Angeklagten verbundene) Verfahren gegen den Genannten (§ 15 Abs 1 erster Satz VbVG; vgl Schumann in Soyer, Handbuch Unternehmensstrafrecht Rz 7.64 f und Rz 7.73 ff). Die Zuständigkeit des Zusammenhangs (§ 37 Abs 2 StPO) für die – im Sinn des § 37 Abs 1 StPO konnexen – Verfahren gegen die Angeklagten bleibt demnach davon unbeeinflusst; vielmehr bestimmt sie ihrerseits die Zuständigkeit (auch) für das – gesetzmäßig (vgl RIS-Justiz RS0127578 [zu §§ 36 Abs 4, 37 Abs 1 StPO] und RS0133157 [zu §§ 15, 21 Abs 2 VbVG]) – damit gemeinsam begonnene (§ 210 Abs 2 erster Satz StPO, § 21 Abs 2 VbVG) Hauptverfahren gegen den Verband (zur Zuständigkeit für das Verbandsverfahren im Fall dessen späterer Trennung [§ 15 Abs 2 erster Satz VbVG iVm § 27 StPO, § 36 Abs 4 StPO iVm § 14 Abs 1 VbVG] vom Verfahren gegen die natürliche Person erneut Oberressl, ÖJZ 2020, 815 [818 und bei FN 25] sowie Schumann in Soyer, Handbuch Unternehmensstrafrecht Rz 7.90 ff).
Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im Fall gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).
Nach der dargestellten Gesetzessystematik normiert somit der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS-Justiz RS0124935 und RS0125227; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 5).
Im vorliegenden Fall infolge Konnexität (§ 37 Abs 1 StPO) gesetzmäßig (RIS-Justiz RS0127578) gemeinsamer Anklage (hier: mehrerer Personen) bedeutet dies, dass für die Frage der örtlichen Zuständigkeitsbegründung nur jene strafbaren Handlungen (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) in den Blick zu nehmen sind, die sachlich in die Zuständigkeit des Schöffengerichts ressortieren (13 Ns 21/09f, 11 Ns 5/12t, 13 Ns 32/17k).
Bezugspunkt der angesprochenen Prüfung ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand. Dabei orientiert sich das Gericht – ohne Bindung an die Angaben in der Anklageschrift – an der Aktenlage (vgl RIS-Justiz RS0131309, jüngst 13 Ns 5/20v; Oshidari, WK-StPO § 38 Rz 2/1).
Nach Anklagevorwurf und Aktenstand soll der durch die jeweiligen (Betrugs-)Taten herbeigeführte Schaden (§ 29 StGB) nur bei M* und N*, nicht aber bei G* und S* – die Zuständigkeit des Schöffengerichts begründend (§ 31 Abs 3 Z 6a StPO) – 50.000 Euro übersteigen. Die den beiden letzteren Angeklagten zur Last liegenden strafbaren Handlungen bleiben daher für das Weitere außer Betracht.
Jener Schadensbetrag, der die höherrangige Zuständigkeit (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO) in Betreff der beiden ersten Angeklagten (M* und N*) begründet, wiederum wurde nach der Verdachtslage – jeweils – nicht schon durch eine einzige Tat, sondern bloß durch Zusammenrechnung (§ 29 StGB) erreicht. Für die weiteren möglichen Anknüpfungen nach § 37 Abs 2 erster Satz StPO (Sonderzuständigkeit, unmittelbare Täterschaft), § 37 Abs 2 dritter Satz StPO (Tatort) und § 37 Abs 2 zweiter Satz (iVm § 36 Abs 3) StPO (in dieser Reihenfolge) kann daher – vorderhand – jede der betreffenden Taten den Ausschlag geben (vgl RIS-Justiz RS0131445 und RS0096552 [T2]; Oshidari, WK-StPO § 37 Rz 5/1).
Sonderzuständigkeit steht hier nicht in Frage. Ebenso wenig wäre – nach gegenwärtigem Verfahrensstand – eine der Anklage zugrunde liegende Tat (vgl § 262 StPO) des M* oder der N* als Ausführungshandlung (§ 12 erster Fall StGB) des § 146 StGB zu beurteilen. Vielmehr liegt – im Sinn der zutreffenden Überlegungen des Oberlandesgerichts Linz (BS 8 f) – Ersterem (derzeit nur) Bestimmung (§ 12 zweiter Fall StGB) und Letzterer (derzeit nur) sonstiger Beitrag (§ 12 dritter Fall StGB) zur Last.
Da somit nicht schon einer der Anknüpfungspunkte des § 37 Abs 2 erster Satz StPO die Zuständigkeit (nur) eines bestimmten Gerichts erbringt, ist in Ansehung der (danach verbleibenden) Taten des M* und der N* mit der Prüfung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO fortzufahren.
Aus den bisherigen Verfahrensergebnissen ergibt sich – entgegen der Formulierung in der Anklageschrift („in Perg“) – keineswegs, dass M* am Unternehmenssitz der A* GmbH gehandelt hat (wofür bloße Vermutungen nicht ausreichen – vgl 11 Ns 46/19g und RIS-Justiz RS0127231 [T4]). Als Ort der N* angelasteten Handlungen wiederum ist den Akten nur Amstetten zu entnehmen. Damit bleibt offen, ob M* oder N* eine der vom Anklagevorwurf umfassten Verhaltensweisen im Sprengel des Landesgerichts Linz gesetzt haben. Auch ein (nach § 146 StGB tatbestandsmäßiger) Erfolg ist dort – nach der Verdachtslage – nicht eingetreten; Ort des (präsumtiven) Erfolgseintritts ist danach vielmehr ausschließlich Wien. Hiervon ausgehend soll keine der betreffenden Taten (auch nur zum Teil – vgl RIS-Justiz RS0092073 [insbesondere T2]) im Sprengel jenes Gerichts begangen (vgl § 67 Abs 2 StGB; RIS-Justiz RS0127317, RS0127231) worden sein, bei dem die anklagende (14 Ns 60/15g) Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Zuständigkeitsbegründung nach § 37 Abs 2 dritter Satz StPO scheidet demnach aus.
Somit ist jenes Gericht für das (gesamte) Verfahren zuständig, in dessen Zuständigkeit (§ 36 Abs 3 StPO) die früheste vom Anklagevorwurf umfasste Tat eines dieser beiden Angeklagten fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Diese Tat ist – weil N* nur nachfolgende (Beitrags-)Handlungen zur Last liegen (vgl ON 12 S 3 und 9) – jedenfalls eine Bestimmungshandlung (§ 12 zweiter Fall StGB) des M* (vgl ON 12 S 2 und 9). Wo sie „ausgeführt“ (§ 36 Abs 3 erster Satz StPO) wurde, er also insoweit gehandelt (vgl § 67 Abs 2 StGB; RIS-Justiz RS0127231 [T2] und RS0130107) hat, ist nach dem Aktenstand offen. Der Erfolg (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO) in Gestalt des Betrugsschadens aber trat – worauf sowohl der Vorsitzende (ON 1 S 18 ff) als auch das Oberlandesgericht Linz (BS 9 f) zutreffend hinwies – nach der Verdachtslage jedenfalls in Wien ein.
Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das sie gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO dem zuständigen Landesgericht zuzuweisen hat (RIS-Justiz RS0124585 [insbesondere T2]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)