European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00010.23B.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin bezog aufgrund des Bescheids vom 13. Februar 2018 ab 7. November 2017 eine auf 30 Kalendermonate befristete Witwenpension nach ihrem verstorbenen Ehegatten.
[2] Mit Bescheid vom 8. September 2020 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Witwenpension ab 1. Juni 2020 ab, weil die Pension mit 31. Mai 2020 weggefallen und der Antrag auf Weitergewährung nicht innerhalb von drei Monaten danach gestellt worden sei.
[3] Das Erstgericht wies das (erkennbar) auf Weitergewährung der Witwenpension über den 31. Mai 2020 hinaus gerichtete Klagebegehren (im zweiten Rechtsgang) ab. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt verneinte es das Vorliegen von Invalidität und dementsprechend den Anspruch auf Weitergewährung der Witwenpension iSd § 258 Abs 2 vorletzter Satz ASVG.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Auch wenn die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Witwenpension im angefochtenen Bescheid nur wegen Verspätung der Antragstellung abgewiesen und das Vorliegen von Invalidität demgemäß gar nicht geprüft habe, habe das Gericht den Anspruch der Klägerin selbständig zu prüfen. Das Erstgericht sei daher jedenfalls zur amtswegigen Aufnahme aller Beweise zur Klärung der Frage, ob alle anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen seien, verhalten gewesen. Tatsachenvorbringen, das die rechtliche Schlussfolgerung des Vorliegens einer Invalidität zulasse, sei aber zu keinem Zeitpunkt erstattet worden. Überdies liege nach überwiegender Rechtsprechung kein die erschöpfende Erörterung der Sache hindernder Mangel des Verfahrens vor, wenn das Gericht ungeachtet zugestandener Tatsachen Beweise aufnehme und Feststellungen treffe, die mit dem Geständnis unvereinbar seien; vielmehr seien dann die getroffenen Feststellungen – und nicht das Geständnis – der Entscheidung zugrunde zu legen. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig.
[6] 1. Die Klägerin steht weiter auf dem Standpunkt, dass die Vorinstanzen – ungeachtet der getroffenen Feststellungen – vom Vorliegen von Invalidität iSd § 258 Abs 2 vorletzter Satz ASVG auszugehen gehabt hätten, weil die Beklagte nur eingewendet habe, dass der gegenständliche Antrag verspätet gewesen sei.
[7] 2. Damit übersieht die Klägerin jedoch, dass die Vorinstanzen das Vorliegen einer zugestandenen Tatsache iSd § 267 ZPO verneinten.
[8] 2.1. Die Frage, ob § 267 ZPO zutreffend angewendet wurde, nämlich ob ein schlüssiges Tatsachengeständnis vorlag oder nicht, ist eine Verfahrensfrage (RS0040078) und die Überprüfung dieses Ermessens ist daher nur im Rahmen der Verfahrensrüge möglich (RS0040078 [T5]).
[9] 2.2. Angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können nach § 503 Z 2 ZPO grundsätzlich nicht geltend gemacht werden (RS0042963). Dies gilt nur dann nicht, wenn sich das Berufungsgericht mit einem geltend gemachten Mangel zu Unrecht nicht befasst hat (RS0043144) oder die Mängelrüge auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigt (RS0043092 [T1]; RS0043166).
[10] 2.3. Die Klägerin behauptet nicht, dass sich das Berufungsgericht mit der Mängelrüge der Klägerin nicht befasst hätte. Ihren Ausführungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht die Mängelrüge auf vom Akteninhalt abweichender Grundlage erledigt hätte.
[11] 2.3.1. Ob tatsächliche Behauptungen einer Partei iSd § 267 Abs 1 ZPO als schlüssig zugestanden anzusehen sind, hat das Gericht unter sorgfältiger Berücksichtigung des gesamten Inhalts des gegnerischen Vorbringens zu beurteilen (RS0040091). Das bloße Unterbleiben der Bestreitung reicht für sich allein für die Annahme eines Tatsachengeständnisses nicht aus (RS0039941 [T5]). Ein „unsubstanziiertes Bestreiten“ (eine unterbliebene ausdrückliche Bestreitung) kann nur dann als Zugeständnis gewertet werden, wenn im Einzelfall gewichtige Indizien für ein (schlüssiges) Geständnis sprechen (RS0039955 [T2, T3]; RS0039941 [T3, T4]), etwa weil die vom Gegner aufgestellte Behauptung offenbar leicht widerlegbar sein musste, dazu aber nie konkret Stellung genommen wird (RS0039927), oder eine Partei bloß einzelnen Tatsachenbehauptungen des Gegners mit einem konkreten Gegenvorbringen entgegentritt, zu den übrigen jedoch inhaltlich nicht Stellung nimmt (RS0039927 [T12]).
[12] 2.3.2. Die Wertung von Parteienvorbringen als Geständnis hängt – wie die Auslegung des Parteivorbringens schlechthin (RS0042828) – zwangsläufig von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0040078 [T3, T4]; RS0040146 [T2]; RS0039927 [T9a]) und begründet daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 ZPO.
[13] 2.3.3. Aus welchen Gründen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass Tatsachenvorbringen, das die rechtliche Schlussfolgerung des Vorliegens der Invalidität gemäß § 258 Abs 2 vorletzter Satz ASVG zulasse, zu keinem Zeitpunkt erstattet worden sei, vom Akteninhalt abweichen soll, lässt sich der Revision der Klägerin, die darauf gar nicht eingeht, nicht entnehmen.
[14] 3. Von einem Tatsachengeständnis ist daher nicht auszugehen, sodass die Frage, wie ein Widerspruch zwischen einem solchen und (dennoch) getroffenen Feststellungen zu behandeln wäre, nicht entscheidungswesentlich ist. Gegen die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach der Klägerin ausgehend vom festgestellten Sachverhalt keine Witwenpension zusteht, wendet sich die Revision nicht.
[15] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.
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