OGH 10Ob22/20p

OGH10Ob22/20p13.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der * 2012 geborenen S*, vertreten durch das Land Kärnten als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau, 9800 Spittal an der Drau, Tiroler Straße 16), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 23. Jänner 2020, GZ 3 R 3/20f‑36, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 14. November 2019, GZ 3 Pu 23/13b-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E130108

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Erhöhung der gemäß §§ 3, 4 Abs 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse für die Monate September und Oktober 2019 über den Betrag von 190 EUR monatlich hinaus. Dabei ist zu beurteilen, ob § 7 Abs 1 Z 1 UVG der begehrten Erhöhung entgegensteht, wenn zwar vor dem Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts erster Instanz das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Unterhaltsschuldners eröffnet wurde, aber erst nach diesem Zeitpunkt im Schuldenregulierungsverfahren der Zahlungsplan angenommen und bestätigt wurde.

[2] Mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 9. 2019, vom Rekursgericht bestätigt mit Beschluss vom 3. 10. 2019, wurde der Vater zur Leistung eines monatlichen Geldunterhalts von 300 EUR ab 1. 9. 2019 verpflichtet.

[3] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 8. 10. 2019, AZ * wurde über das Vermögen des Unterhaltsschuldners das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet.

[4] Am 28. 2. 2020, das ist derselbe Tag, an dem im vorliegenden Verfahren die Zulassungsvorstellung des Bundes verbunden mit dem ordentlichen Revisionsrekurs zur Post gegeben wurde, wurden im Schuldenregulierungsverfahren die Annahme des Zahlungsplans und der Beschluss vom 27. 2. 2020 bekannt gemacht, mit dem der am 13. 2. 2020 angenommene Zahlungsplan bestätigt wurde. Dieser sieht die Zahlung einer Quote von 15 % vor.

[5] Noch vor Annahme des Zahlungsplans durch die Gläubiger erhöhte das Erstgericht mit Beschluss vom 14. 11. 2019 die Unterhaltsvorschüsse für die Monate September und Oktober 2019 auf 300 EUR monatlich.

[6] Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes mit Beschluss vom 23. 1. 2020 nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob mit der Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen für die Zeit vor Insolvenzeröffnung wegen Bedenken gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zuzuwarten sei, bis das Ergebnis des Insolvenzverfahrens feststehe.

[7] Es führte aus, begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG könnten sich erst ergeben, wenn eine Quote festgesetzt worden sei oder sich im Abschöpfungsverfahren aus dem Verhältnis zwischen Abschöpfungsbetrag und Gesamtverbindlichkeit Anhaltspunkte entnehmen ließen, dass die titelmäßige Unterhaltspflicht materiell zu hoch sei. Im vorliegenden Fall sei das Ergebnis des Insolvenzverfahrens noch nicht festgestanden.

[8] Der dagegen erhobeneRevisionsrekurs des Bundes ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts – nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1. Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG sind Titelvorschüsse zu versagen, wenn sich für das Gericht aus der Aktenlage ergibt, dass die im Unterhaltstitel festgesetzte Geldunterhaltspflicht nicht mehr besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist im Verfahren über die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen (§ 19 Abs 2 UVG) entsprechend anzuwenden (RIS‑Justiz RS0117325; RS0105311 [T1]).

[10] 1.2. Bei Prüfung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist ein strenger Maßstab anzulegen (RS0108443 [T3, T7]). Eine Erhöhung der Titelvorschüsse ist nur dann zu versagen, wenn das Gericht ohne weitere Erhebungen bereits aufgrund der Aktenlage mit hoher Wahrscheinlichkeit von der materiellen Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels überzeugt ist (10 Ob 16/20f; vgl RS0076391 [T16]).

[11] 1.3. Die Prüfung, ob die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht noch besteht, oder – der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend – zu hoch festgesetzt ist, hat nach den Umständen des Einzelfalls vom materiellen Unterhaltsanspruch des Kindes auszugehen (vgl RS0042675).

[12] 1.4. Um dem Kind möglichst rasch zu einer Vorschussleistung zu verhelfen, soll das Bewilligungsverfahren ohne weitwendige Ermittlungen abgewickelt werden (RS0088823 [T3]; RS0088914 [T5]).

[13] 1.5. Maßgeblich dafür, ob Anhaltspunkte in der von § 7 Abs 1 Z 1 UVG geforderten Qualität vorliegen, sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung (10 Ob 13/12b; 10 Ob 107/15f; Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 7 Rz 37; Neuhauser in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht² [2020] 467 mwN der zweitinstanzlichen Rechtsprechung).

[14] 2.1. Der Umstand, dass dem Unterhaltspflichtigen sein Erwerbseinkommen aufgrund der Eröffnung des Konkurses über sein Vermögen oder daran anschließender insolvenzrechtlicher Konsequenzen (Abschöpfungsverfahren, Zahlungsplan, Sanierungsplan) nicht zur Gänze zur Verfügung steht, führt für sich allein nicht zu einer Verminderung seiner Unterhaltspflicht (verst Senat 1 Ob 160/09s [dazu Gitschthaler, EF-Z 2010/99, 146, Neuhauser,iFamZ 2010, 184; Simma, ZIK 2010/180, 122; Kolmasch, Zak 2010/501, 289; RS0125930).

[15] 2.2. Als Folge ist davon auszugehen, dass allein wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine aktenmäßigen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die titelmäßige Verpflichtung infolge Insolvenzeröffnung materiell nicht mehr aufrecht wäre (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 7 Rz 27).

[16] Ein Einfluss auf die materielle Unterhaltshöhe kann sich aber aus dem Abschluss eines Zahlungs- oder Sanierungsplans sowie der Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens ergeben (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar5 § 7 Rz 28).

[17] 2.3. So sind im Fall eines rechtskräftig bestätigten Zahlungsplans des Unterhaltsschuldners die Unterhaltsvorschüsse für die von der Restschuldbefreiung erfassten Unterhaltsperioden nicht im vollen, sich aus dem Erhöhungstitel ergebenden Umfang, sondern nur im Ausmaß der den Gläubigern zu leistenden Quote zu erhöhen (4 Ob 277/02t). Die Anhaltspunkte für die materielle Unrichtigkeit des Unterhaltstitels ergeben sich in einem derartigen Fall aus dem Umfang der nach der Aktenlage konkret zu erwartenden Restschuldbefreiung. Klarzustellen ist, dass die – in 4 Ob 277/02t zusätzlich angesprochene – Ableitung von Bedenken gegen die Richtigkeit des Unterhaltstitels allein aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seit der Entscheidung des verstärkten Senats zu 1 Ob 160/09z überholt ist.

[18] 2.4. Auch bei Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens gegen den Unterhaltsschuldner können trotz Feststellung (§ 188 Abs 2 IO) einer Forderung, die aus einem Rückstand aus einer bisher nicht titulierten Unterhaltserhöhung (für die Vergangenheit) resultiert, begründete Bedenken im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG entstehen, die einer Anpassung des bisher gewährten Unterhaltsvorschusses an die Erhöhung des Unterhaltstitels entgegenstehen (10 Ob 13/12b; 10 Ob 16/20f; RS0127735).

[19] 3.1. Im vorliegenden Fall verneinten die Vorinstanzen das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG mit der Begründung, dass bei Beschlussfassung erster Instanz zwar das Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Unterhaltsschuldners eröffnet, aber nicht absehbar gewesen sei, ob und in welchem Ausmaß es zu einer Restschuldbefreiung kommen würde.

[20] 3.2. Die Entscheidung des Rekursgerichts weicht damit nicht von der Rechtsprechung ab, nach der für die Beurteilung des Vorliegens von Versagungsgründen nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung des Gerichts erster Instanz abzustellen ist (10 Ob 13/12b; 10 Ob 107/15f ua).

[21] Sie steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung, wonach die Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Unterhaltsschuldners für sich allein nicht zu einer Verminderung der Unterhaltspflicht führt (verst Senat 1 Ob 160/09s; RS0125930).

[22] 3.3. Der Revisionsrekurswerber bringt vor, für die Beurteilung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG dürfe es nicht darauf ankommen, ob das Schuldenregulierungsverfahren im Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits „beendet“ sei oder nicht, weil in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Zahlungs- oder Sanierungsplan bestätigt oder das Abschöpfungsverfahren eingeleitet werde.

[23] 3.4. Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufgezeigt.

[24] 3.5. Es mag zutreffen, dass im Einzelfall auch vor der Abstimmung der Gläubiger über einen Zahlungsplan- (oder Sanierungsplan-)Vorschlag konkrete Anhaltspunkte für die materielle Unrichtigkeit des Unterhaltstitels im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG vorliegen können.

[25] Im vorliegenden Fall war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Erstgerichts aber noch nicht einmal die Frist zur Forderungsanmeldung im Schuldenregulierungsverfahren abgelaufen. Auch aus dem Pflegschaftsakt ergeben sich keine Anhaltspunkte für die Höhe der Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners.

[26] Bei dieser Aktenlage begründet es keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass die Vorinstanzen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgingen, die gesetzliche Unterhaltspflicht sei im Sinn des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu hoch festgesetzt.

[27] 3.6. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass mit dem IRÄG 2017 das Erfordernis einer Mindestquote für die Erteilung der Restschuldbefreiung im Abschöpfungsverfahren (§ 213 Abs 1 IO) entfallen ist (vgl dazu schon 10 Ob 70/18v), weil allein daraus nicht auf eine zukünftige Restschuldbefreiung im Wege einer „Nullquote“ im konkreten Fall geschlossen werden kann. Darüber hinaus ist die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens nach der Nichtannahme oder der Versagung der Bestätigung eines Zahlungsplans auch nach der Rechtslage nach dem IRÄG 2017 kein Automatismus. Sie kann vielmehr an (von den Gläubigern geltend zu machenden, § 201 Abs 2 IO) Einleitungshindernissen scheitern.

[28] Auch der Hinweis auf die mit dem IRÄG 2017 erleichterte Möglichkeit der Restschuldbefreiung ist daher nicht geeignet, eine unvertretbare Beurteilung der Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG durch das Rekursgericht aufzuzeigen.

[29] 3.7. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 Ob 41/08i klargestellt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners keine Unterbrechung des Unterhaltsvorschussverfahrens gemäß §§ 7, 8a IO bewirkt (RS0123460; RS0105681 [T10]). Das Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist daher ungeachtet der Eröffnung des Schuldenregulierungsverfahrens über das Vermögen des Unterhaltsschuldners fortzuführen.

[30] Die vom Rekursgericht und vom Revisionsrekurswerber aufgeworfene Rechtsfrage, ob mit der Entscheidung über die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen nach Eröffnung des Rekursverfahrens „zuzuwarten“ sei, ist damit bereits beantwortet.

[31] 3.8. Für ein – im Revisionsrekurs angestrebtes – „Aussetzen“ des Verfahrens über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen bis zur allfälligen Bestätigung eines Zahlungsplans oder Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens im Schuldenregulierungsverfahren vermag der Revisionsrekurswerber keine gesetzliche Grundlage aufzuzeigen. Ein „Zuwarten“ stünde auch im Widerspruch zu der vom Gesetzgeber angestrebten raschen Entscheidung im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen.

[32] 4. Dem Revisionsrekurs ist daher mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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