AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:W251.2285695.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika GLATZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2023, Zl. 1303477108-221156146, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Wesentliche Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Somalias, stellte am 09.04.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 10.04.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt (Aktenseite = AS 3-9). Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er 2007 zunächst in den Jemen ausgewandert sei. In weiterer Folge habe er bis 2021 in Saudi-Arabien gelebt. Im Jahr 2021 sei er mit seiner Familie aus Saudi-Arabien nach Somalia abgeschoben worden. Um seine Familie zu ernähren, habe er sich in seinem Heimatort ein Motorrad gekauft und habe damit Leute transportiert. Nach einiger Zeit haben ihm bewaffnete Männer das Motorrad weggenommen und er habe bei der dortigen Polizei Anzeige erstattet. Danach sei sein Vater angerufen worden und aufgefordert worden, dass er die Anzeige zurückziehen solle, andernfalls würden sie ihn töten. Die Leute haben zu seinem Vater gesagt, dass sie der Terrorgruppe der Al Shabaab angehören und sich vor nichts fürchten würden. Weil sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe er beschlossen, Somalia zu verlassen.
3. Am 23.10.2023 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt (AS 67-75). Der Beschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass er bei seinen Fluchtgründen aus der Erstbefragung bleibe. Der Beschwerdeführer führte zudem aus, dass er bei der gewaltsamen Wegnahme des Motorrades verletzt worden sei und ins Krankenhaus gekommen sei. Danach habe er Anzeige erstattet. Sein Vater sei daraufhin darauf aufmerksam gemacht worden, die Anzeige zurückzuziehen, da Al Shabaab dahinterstecken würden. Er habe dazu nochmals zur Polizei gehen müssen, jedoch habe davor die Al Shabaab seinen Vater angerufen und daraufhin sei er ausgereist, ohne die Anzeige zurückzuziehen
4. Mit dem angefochtenen Bescheid (AS 171-306) wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkte IV. und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde (AS 463-484) und brachte im Wesentlichen vor, dass der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Verletzung von Verfahrensvorschriften und eine mangelhafte Beweiswürdigung behaftet sei. Das Bundesamt habe die Relevanz des Fluchtvorbringens hinsichtlich der Anzeige und den daraus resultierenden Al Shabaab Drohungen nicht ausreichend berücksichtigt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, da die Al Shabaab im gesamten Staatsgebiet von Somalia Einfluss haben. Die Sicherheits- und Versorgunglage lasse eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimat nicht zu. Es wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.03.2024 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung durch.
7. Mit Schriftsatz vom 11.03.2024 legte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und das im Spruch angeführte Geburtsdatum. Er ist somalischer Staatsangehöriger und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er ist verheiratet und Vater von 5 Kindern (AS 5, 70; Verhandlungsprotokoll vom 06.03.2024 = VP S. 9).
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger des Clans der XXXX , Subclan XXXX , SubSubclan XXXX , Subsubsubclan XXXX (AS 71; VP S. 7).
1.1.3. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX (auch XXXX oder XXXX ) geboren und ist dort auch aufgewachsen, ehe er 2007 mit seiner Familie in den Jemen ging. Von dort ging er 2009 nach Saudi-Arabien. Der Beschwerdeführer und seine Familie wurden Anfang 2021 nach Somalia abgeschoben (VP S. 18). Im November 2021 reiste der Beschwerdeführer von Somalia mit einem Flugzeug in die Türkei aus (AS 7). Zwischen November 2021 und März 2022 hat die Familie des Beschwerdeführers, während der Beschwerdeführer noch in der Türkei aufhältig war, XXXX verlassen und sich dauerhaft in XXXX angesiedelt (VP S. 17).
Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 09.04.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich (AS 4, AS 6).
1.1.4. Der Beschwerdeführer hat mehrere Jahre die Schule besucht (AS 4, 70; VP S. 8). Er spricht Somalisch als Muttersprache. Er beherrscht Somali in Wort und Schrift auf dem Niveau C1, er kann auf Somalisch sehr gut lesen und schreiben (AS 3, VP S. 8). Zudem spricht der Beschwerdeführer auch sehr gut Arabisch und auch etwas Deutsch. Er kann auf Arabisch auch lesen und schreiben, jedoch nur mittelmäßig (VP S. 8). Der Beschwerdeführer spricht jedoch keinen Maay-Maay-Dialekt.
Der Beschwerdeführer hat im Jemen in einer Kunststofffabrik gearbeitet. In Saudi-Arabien hat der Beschwerdeführer den Beruf des Elektrikers erlernt und auch als Schweißer gearbeitet (VP S. 8).
1.1.5. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und Vater von 5 Kindern. Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinem Vater, seiner Ehefrau und seinen 5 Kindern sowie 2 Brüdern (AS 5, 73; VP S. 9), diese leben gemeinsam in Somalia und zumindest seit März 2022 in der Stadt XXXX . Seine Mutter ist bereits verstorben (AS 5). Die Brüder des Beschwerdeführers leiden an keinen psychischen Erkrankungen oder Behinderungen, diese sind gesund. Der Beschwerdeführer verfügt auch über eine Tante mütterlicherseits in Somalia in der Stadt XXXX und eine Tante mütterlicherseits im Jemen (VP S. 10).
Es besteht regelmäßiger Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie in Somalia. Seine Frau arbeitet in XXXX und kocht dort auf Bestellung Samosas und Brötchen, die sie dann auch ausliefert (VP S. 11). Die Frau des Beschwerdeführers hat Ersparnisse in Höhe von ca. 3.000 USD Dollar (VP S. 11). Der Beschwerdeführer hat Ersparnisse in der Höhe von ca. 4.500 EUR (VP S. 13). Der Beschwerdeführer hat in XXXX ein Haus und ein Feld (VP S. 11, S. 12). Auch die Brüder des Beschwerdeführers gehen in XXXX einer Arbeit nach und unterstützen mit dem Einkommen die Familie.
Der Familie des Beschwerdeführers geht es in XXXX gut (AS 70; VP S. 10 f.) und diese hat sich dort vor zumindest zwei Jahren angesiedelt. Die Familie des Beschwerdeführers lebt nicht in einem IDP-Camp. Die Familie des Beschwerdeführers beabsichtigt nicht in den Jemen auszuwandern. Die Familie des Beschwerdeführers hat bisher auch nicht versucht in den Jemen auszuwandern. Die finanzielle Lage der Familie des Beschwerdeführers in XXXX ist gut. Die Kinder des Beschwerdeführers besuchen in XXXX eine Schule.
Die Töchter des Beschwerdeführers sind derzeit nicht beschnitten. Es wurde in Somalia auch nicht verlangt, dass die Töchter beschnitten werden sollen. Es wurde diesbezüglich auch kein Druck ausgeübt oder ihnen verboten eine Schule zu besuchen.
1.1.6. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund und arbeitsfähig (AS 71; VP S. 5, 14).
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.
1.2.1. Der Beschwerdeführer wurde von der Al-Shabaab nicht angegriffen oder bedroht. Er hatte in Somalia keinen Kontakt zur Al Shabaab. Diese haben weder ihn noch seine Familie kontaktiert. Dem Beschwerdeführer wurde auch nicht unterstellt gegen die Scharia oder gegen die Gesetze der Al Shabaab verstoßen zu haben. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle haben sich nicht ereignet.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat Somalia weder aus Furcht vor Eingriffen in seine körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.
1.2.3. Im Falle der Rückkehr nach Somalia droht dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität, durch die Al Shabaab, durch sonstige Akteure oder durch andere Personen.
Bei einer Rückkehr nach Somalia wird dem Beschwerdeführer nicht unterstellt, dass er ein gegen die Al Shabaab oder die Scharia gerichtetes Verhalten gesetzt hat. Ihm drohen auch aufgrund seiner Eigenschaft als Rückkehrer keine Eingriffe in seine körperliche oder geistige Integrität durch die Al Shabaab oder durch andere Personen.
1.2.4. Der Beschwerdeführer hatte in Somalia selber keine konkret und individuell gegen ihn gerichteten Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit. Er wurde aufgrund seiner Clanzugehörigkeit bisher weder diskriminiert noch hatte er diesbezüglich irgendwelche Schwierigkeiten. Der Beschwerdeführer gehört einem Mehrheitsclan an und er kann auf den Schutz seines Clans zurückgreifen.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Somalia und einer Ansiedlung in XXXX kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit. Der Beschwerdeführer kann sich bei seiner Familie in XXXX ansiedeln und dort Fuß fassen, sodass er sich nicht in einem IDP-Camp ansiedeln muss. Der Beschwerdeführer kann dort grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut und spricht Somalisch als Muttersprache. Er kann auf Somalisch sehr gut lesen und schreiben, zudem spricht er auch gut Arabisch, sodass er über umfassende Sprachkenntnisse verfügt, die am Arbeitsmarkt von Vorteil sind. Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und kann auch auf Arabisch etwas lesen und schreiben. Er verfügt somit über einen weit überdurchschnittlichen Bildungsgrad im Vergleich zu anderen Landsleuten. Er ist arbeitsfähig und gesund. Er hat den Beruf des Elektrikers gelernt und auch jahrelang als Schweißer gearbeitet, sodass er über umfassende Berufserfahrungen verfügt.
Der Beschwerdeführer verfügt über Ersparnisse in Höhe von 4.500 EUR. Er kann daher auch mit diesen Ersparnissen sich ein Leben in Somalia aufbauen. Seine Frau verfügt über Ersparnisse in Höhe von ca. 3.000 USD, sodass die finanzielle Lage der Familie des Beschwerdeführers in Somalia gut ist. Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Zudem kann er auch über die in XXXX lebende Tante sein Haus und sein Grundstück in XXXX vermieten oder verkaufen um so weitere Einkünfte zu lukrieren.
Der Beschwerdeführer kann anschließend selber für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es drohen dem Beschwerdeführer in der Stadt XXXX keine Eingriffe in seine körperliche oder geistige Unversehrtheit. XXXX ist über den Flughafen sicher erreichbar.
1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
1.4.1. Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragsstellung am 09.04.2022 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG in Österreich durchgehend rechtmäßig aufhältig.
1.4.2. Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht. Er hat noch keine Deutschprüfung absolviert. Er verfügt über geringe Deutschkenntnisse (VP S. 12).
Der Beschwerdeführer hat an Integrationskursen XXXX teilgenommen. Er hat auch an einem Basisbildungsprogramm und an einem interkulturellen Begegnungs-Café teilgenommen. Der Beschwerdeführer war 2023 mehrere Monate bei den XXXX ehrenamtlich tätig (OZ 7).
1.4.3. Der Beschwerdeführer geht seit 19.09.2023 einer beruflichen Tätigkeit nach (OZ 7) und erhält ein Monatsbruttogehalt iHv € 1.351,56, das ist ein Monatsnettogehalt iHv € 1.147,20 (VP S. 12; Beilage ./A).
1.4.4. Der Beschwerdeführer hat keine wesentlichen freundschaftlichen Kontakte oder Bekanntschaften in Österreich knüpfen können (VP S. 14). Er verfügt weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich (VP S. 14 f.).
1.4.5. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten (Beilage ./I).
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Somalia basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Somalia, Stand 08.01.2024 (LIB),
- FFM Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, August 2017 (FFM),
- Focus Somalia Clans und Minderheiten vom 31.05.2017 (Focus Somalia),
- FEWS – Somalia – Food Security Outlook Update aus Dezember 2023 (FEWS)
1.5.1. Politische Situation
Somalia ist faktisch zweigeteilt in die somalischen Bundesstaaten und Somaliland, einen selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (LIB Kapitel Politische Lage).
Somalia wird als der am meisten gescheiterte Staat der Welt beschrieben, das Land verfügt über keine einheitliche Regierung. Seit dem Zusammenbruch des autoritären Regimes von Mohamed Siad Barre im Jahr 1991 kämpft Somalia darum, eine Regierung zu bilden. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind demnach sehr schwach, wesentliche Staatsfunktionen können von ihnen nicht ausgeübt werden und der Staat bleibt weiterhin fragil. Es gibt jedenfalls keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Ein Großteil des Landes steht nicht unter staatlicher Kontrolle. Al Shabaab kontrolliert fast 70% von Süd-/Zentralsomalia. Die Bundesregierung bietet ihren Bürgern derzeit nur wenige wesentliche Dienstleistungen an und der Staat leidet an gescheiterten Institutionen, vom Gesundheitswesen bis zu den Sicherheitskräften. Die ständige Instabilität bleibt ein prägendes Merkmal des Lebens. Viele Menschen verlassen sich daher hinsichtlich grundlegender Dienstleistungen und Schutz weiterhin auf bestehende traditionelle, informelle Institutionen (LIB, Kapitel Politische Lage).
Die Bundesregierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen, da sie nur wenige Gebiete kontrolliert. Gleichzeitig gilt Somalia als eines der korruptesten Länder der Welt und die Regierung ist zum Überleben stark auf internationale Hilfe angewiesen. Die Unfähigkeit, gegen die endemische Korruption vorzugehen, behindert den Staatsbildungsprozess und den Aufbau von Institutionen; der politische Machtkampf hat das Vertrauen der Bevölkerung in bestehende staatliche Institutionen weiter geschwächt, die politischen Konflikte haben die Kluft zwischen den Fraktionen vergrößert (LIB, Kapitel Politische Lage).
Die politische Landschaft durch ein komplexes Zusammenspiel von Clandynamiken, regionalen Rivalitäten und Machtkämpfen auf oberen Ebenen gekennzeichnet. Clanbasierte Politik und Identitäten haben die Bildung politischer Allianzen und Konflikte im ganzen Land erheblich beeinflusst. Verschiedene Fraktionen und regionale Regierungen wetteifern um die Macht, was zu politischer Fragmentierung und einem Mangel an kohärenter Regierungsführung geführt hat (LIB, Kapitel Politische Lage).
Die Übergangsverfassung sieht föderale Strukturen mit zwei Regierungsebenen vor: Die Bundesregierung (Federal Government) sowie die Bundesstaaten (Federal Member States), welche auch Lokalregierungen umfassen. Es wurden bisher sechs Entitäten durch die Bundesregierung als Bundesstaaten anerkannt, nämlich Puntland, Galmudug, Jubaland, South West State (SWS) und HirShabelle. Jeder dieser Bundesstaaten hat eine eigene Verfassung. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet. Die Hauptstadtregion Benadir (Mogadischu) verbleibt als Banadir Regional Administration/BRA unter direkter Kontrolle der Bundesregierung. Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (LIB, Kapitel Politische Lage).
1.5.2. Sicherheitslage
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, wird die Lage über die Kontrolle geringer Teilgebiete von Puntland von al Shabaab beeinflusst - und in noch geringeren Teilen vom Islamischen Staat in Somalia - während es hauptsächlich an Clandifferenzen liegt, wenn Puntland tatsächlich keinen Zugriff auf gewisse Gebiete hat. In Süd-/Zentralsomalia ist die Situation noch viel komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist.
Hargeysa, Berbera, Burco, Garoowe und Dhusamareb gelten als sichere Städte. Alle anderen Städte variieren von einem Grad zum anderen. Auch Kismayo selbst ist sicher, aber hin und wieder gibt es auch dort Anschläge. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Dies gilt auch für Galkacyo. Baidoa, Jowhar und Belet Weyne diesbezüglich innerhalb des Stadtgebietes wie Kismayo zu bewerten. Alle Hauptstädte der Bundesstaaten gelten als relativ sicher.
1.5.2.1. Sicherheitslage in Süd- und Zentralsomalia sowie in Puntland
Die Sicherheitslage bleibt in Süd- und Zentralsomalia und auch in Puntland volatil, mit durchschnittlich 234 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat (Zeitraum Feber-Juni 2023), wobei die Sicherheitslage von Region zu Region divergiert. Insgesamt gab es im Zeitraum 8.2.-7.6.2023 935 Vorfälle, davon 355 mit terroristischem Hintergrund. Al Shabaab führt immer wieder komplexe Angriffe durch. U.a. kommen Menschen bei Sprengstoffanschlägen ums Leben oder werden verletzt. Weiterhin führt der Konflikt zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen. Im o.g. Zeitraum waren 11 % der davon Betroffenen Zivilisten.
Am meisten von Sprengsätzen betroffen waren in diesem Zeitraum Mogadischu/Benadir, Lower Shabelle, Hiiraan und Lower Juba. Mogadischu wird immer wieder auch von indirektem Feuer der al Shabaab getroffen. Im Zusammenhang mit der laufenden Offensive am meisten betroffen sind Middle Shabelle, Mudug, Galgaduud und Hiiraan.
In den vergangenen Jahren wurden Offensiven gegen al Shabaab durchgeführt, die sich zunächst aus militärischer Sicht als erfolgreich erwiesen haben. Anfängliche territoriale Erfolge bringen aber oft eine weitaus schwierigere Herausforderung mit sich: die Stabilisierung eroberter Gebiete. Das Versäumnis, befreite Gebiete wirksam zu stabilisieren, hat wiederholt zum Rückzug von Regierungskräften geführt. Und das Versäumnis, gespaltene Gemeinschaften zu versöhnen, hat dazu geführt, dass auch in Absenz von al Shabaab neue Konflikte entstehen konnten. So wurde al Shabaab etwa im Rahmen der Operation Badbaado in Lower Shabelle in den Jahren 2019–2020 aus mehreren Städten vertrieben. Drei Jahre danach kämpft die Bundesregierung aber immer noch darum, die befreiten Gebiete zu stabilisieren. Hilfsleistungen und staatliche Dienstleistungen bleiben unzureichend und oberflächlich.
Generell hat es die Bundesregierung nach wie vor nicht geschafft, die Reichweite staatlicher Institutionen in Bezug auf die Bereitstellung von Dienstleistungen für Bürger und den Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums über Mogadischu hinaus auszuweiten. Jedoch haben sich sowohl die Verwaltung der Bundesregierung als auch die Bundesarmee verbessert, und dadurch ist bei der Bevölkerung der Widerstandswille gegen al Shabaab gewachsen.
ATMIS hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebieten. Die somalische Regierung und ATMIS können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren. Generell ist die Regierung nicht in der Lage für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf ATMIS, aber auch auf Unterstützung anderer Staaten angewiesen. Dabei wurde ATMIS im Juni 2023 um 2.000 Mann reduziert, die nächste Truppenreduktion um 3.000 Mann steht mit Ende Dezember 2023 an. Die Ausbildung neuer Soldaten für die Bundesarmee machte 2023 gute Fortschritte, es mussten aber auch hohe Verluste hingenommen werden. Das größte Problem derzeit ist neben der Truppenstärke die fehlende Ausrüstung (schwere Waffen, Luftkomponente, etc.). Selbst bei einem Abzug von ATMIS ist nicht anzunehmen, dass Al Shabaab das Land wieder übernimmt oder die Bundesregierung zusammenbricht (LIB, Kapitel Sicherheitslage).
Macawiisley-Offensive: Gegen Ende der Amtsperiode von Ex-Präsident Farmaajo war al Shabaab stärker denn je. Doch seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im Mai 2022 und dem Beschluss der USA, wieder Truppen in Somalia zu stationieren, haben die militärischen Operationen gegen al Shabaab zugenommen. Die im August 2022 begonnene neue Offensive (Macawiisley-Offensive) baut auf die gestiegene Unzufriedenheit bzw. Entfremdung der Lokalbevölkerung in einigen Gebieten Zentralsomalias mit al Shabaab. Die Gruppe hat lokale Clans genötigt, Buben zu übergeben, hat trotz der anhaltenden Dürre weiterhin Steuern eingetrieben, hat zu gewaltsamen Maßnahmen und Kollektivstrafen gegriffen und lokale Clans gezwungen, der Gruppe Frauen und Mädchen zuzuführen. Letztendlich hat sich al Shabaab im Zuge der Dürre als wenig hilfreich erwiesen. Während vorherige Offensiven immer von ATMIS bzw. AMISOM geführt worden waren, handelte es sich dieses Mal um eine somalische Offensive. An der Spitze des Kampfes standen die Macawiisley. Sie kennen das Terrain und die Bevölkerung und sind motiviert für ihr eigenes Gebiet zu kämpfen. Koordinierte Bundes- und regionale Kräfte eroberten zusammen mit den Macawiisley rasch Teile des von al Shabaab kontrollierten Territoriums, darunter mehrere Städte und wichtige Routen. Es konnten die größten territorialen Gewinne seit Mitte der 2010er-Jahre erzielt werden. Bundesarmee und lokale Milizen haben al Shabaab aus signifikanten Teilen Zentralsomalias vertrieben. Die Offensive wird als größter Erfolg seit der vollständigen Einnahme von Mogadischu im Jahr 2011 erachtet (LIB, Kapitel Sicherheitslage).
1.5.2.2. Sicherheitslage in Lower Shabelle und Afgooye:
Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley, Merka und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMI. Lower Shabelle ist nach wie vor von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen den Städten liegt im Fokus der al Shabaab. Zwischen Afgooye und Merka kann die Gruppe weiterhin das Gelände zwischen den größeren Orten, die mehrheitlich unter Regierungskontrolle sind, nutzen.
Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien - die Stadt gilt als Schlüssel zu Mogadischu. Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Die Lage in der Stadt hat sich in den vergangenen Monaten verbessert.
1.5.2.3. Sicherheitslage in Puntland und Bosasso:
Boosaaso (auch Bossaso) ist die Hauptstadt von Puntland. Bossaso ist im Allgemeinen sicher, es kommt dort aber zu gezielten Attentaten. Zivilisten sind in Bossaso vor der Al Shabaab einigermaßen sicher, die Gruppe kann dort nicht frei agieren, auch wenn es zu Drohungen kommt. Fallweise kommt es auch in Puntland zu Anschlägen durch al Shabaab und den Islamischen Staat in Somalia (ISIS) - insbesondere in und um Bossaso. Hier kommt es zur gezielten Tötung von Geschäftsleuten, aber auch von Politikern und einflussreichen Menschen, die der Regierung nahestehen. Einige gezielte Tötungen stehen direkt mit Geldforderungen in Zusammenhang. Insgesamt agiert al Shabaab hier aber nicht so systematisch wie im Süden, dafür mischt hier auch ISIS mit (LIB, Sicherheitslage).
Al Shabaab kontrolliert in Puntland keine relevanten Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten. Von dort aus unternimmt die Gruppe - meist kleinere - Operationen ins Umland. Manchmal sickern Insurgenten nach Bossaso ein, wo sie in gewissem Ausmaß auch tatsächlich eine Bedrohung darstellen, und wo es öfters v.a. zu kleineren Anschlägen kommt.
Zumindest in Bossaso treibt al Shabaab auch Steuern ein. Insgesamt haben sich Präsenz und Aktivitäten der Gruppe in Puntland in den letzten Jahren nicht verändert. Al Shabaab verfügt in Puntland über finanzielle Netzwerke sowie über Möglichkeiten zur Rekrutierung, Propaganda und Indoktrination. Beim Einheben von Steuern in Bossaso konkurriert al Shabaab mit dem ISIS. Überhaupt schwächen sich die zwei Gruppen in Puntland gegenseitig, indem sie sich bekämpfen. Generell ist al Shabaab in Puntland aber mangels Ressourcen und Kapazitäten in ihren Aktivitäten eingeschränkt - auch wenn die Gruppe dort über die relevanten Vorgänge informiert ist. Zudem hat Puntland bemerkenswerte Kapazitäten aufgebaut. Durch die Glaubwürdigkeit der bestehenden Institutionen entstand Vertrauen der Öffentlichkeit in die Verwaltung. Dies wiederum erschwert al Shabaab ihre Operationen.
Der sogenannte, von Abdiqadir Mumin geführte Islamische Staat in Somalia (ISIS) ist weiterhin in Puntland präsent, verfügt jedoch nicht über die Fähigkeit, große Gebiete zu kontrollieren oder bedeutende Operationen durchzuführen. Diese IS-Fraktion kontrolliert keine Gebiete, sondern ist nur in wenigen, schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten. Nach unterschiedlichen Schätzungen verfügt die Gruppe über 100-300 Kämpfer. Im Jahr 2019 betrug die Stärke noch 340 Mann, diese ist aber nach Verlusten zurückgegangen.
Dem ISIS mangelt es an Fähigkeiten, größere Aktionen durchzuführen. Außerdem leidet er an Abgängen. Die Eliminierung eines Strategen des ISIS im Jänner 2023 durch eine Operation der USA in Puntland war für die Gruppe ein schwerer Schlag. Die IS-Fraktion befindet sich im Gebiet um die Almiskat-Berge. Nach Angaben des US-Außenministeriums kassierte der ISIS im Jahr 2022 fast zwei Millionen US-Dollar an Erpressungssteuern, was jedoch einen Rückgang von 500.000 USDollar gegenüber 2021 bedeutet. Die Gruppe kann sich in Puntland nicht frei bewegen und konnte bislang selbst in Bossaso keine permanente Präsenz aufbauen. Generell wechselt die Gruppe zwischen Höhlen und Ansiedlungen und hat keine brauchbare Operationsbasis. In Bossaso verfügt er nur über Sympathisanten. Allerdings stattet der ISIS Geschäftstreibenden in Bossaso regelmäßige Besuche ab, um Abgaben einzutreiben. Mitte 2023 gab es Berichte, wonach Geschäfte in Bossaso aufgrund des Drucks des ISIS geschlossen blieben. Es gab Erpressungsanrufe und mindestens ein Geschäft wurde Ziel eines Angriffs. Die Geschäftswelt von Bossaso hat sich im August mit der Verwaltung der Region Bari getroffen, um gegen die Erpressungen zu protestieren. Auch wenn die Erpressung von Unternehmern in Bossaso besorgniserregend ist, stellt ISIS keine wesentliche Bedrohung für die allgemeine Sicherheit Somalias dar.
Die Berichte des UN-Sicherheitsrates aus dem ersten Halbjahr 2023 beinhalten nur zwei Einträge zu Aktivitäten des ISIS in Puntland: Im Jänner kam es im Bezirk Bossaso zu einem Scharmützel mit puntländischen Sicherheitskräften (UNSC 16.2.2023); und im Feber zu einem missglückten Anschlag ebendort. Seit März 2023 gibt es zudem wieder Berichte über Zusammenstöße zwischen al Shabaab und dem ISIS - mit erheblichen Opfern.
Vorfälle: In den beiden Regionen Nugaal (572.139) und Bari (1,102.760) leben 1,674.896 Millionen Einwohner. Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2021 insgesamt zehn Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei neun dieser zehn Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2022 waren es acht derartige Vorfälle (davon alle mit je einem Toten) (LIB, Sicherheitslage).
Bosasso ist sicher durch einen Linienflug von Mogadischu aus erreichbar (LIB, Bewegunsgfreiheit).
1.5.3. Al-Shabaab:
Al Shabaab ist mit al-Qaida affiliiert und wird häufig und korrekterweise als die größte zu al-Qaida zugehörige Gruppe bezeichnet. Die Gruppe weist eine stärkere innere Kohärenz auf als die Bundesregierung und einige der Bundesstaaten. Al Shabaab nutzt erfolgreich lokale Missstände, um taktische Allianzen zu schmieden und Kämpfer zu rekrutieren. Die Gruppe erkennt die Bundesregierung nicht als legitime Regierung Somalias an und lehnt die gesamte politische Ordnung Somalias, die sie als unislamisch bezeichnet, ab. Al Shabaab wendet eine Strategie des asymmetrischen Guerillakriegs an, die bisher sehr schwer zu bekämpfen war. Zudem bietet die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle Sicherheit und eine grundlegende Regierungsführung (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Al Shabaab ist eine mafiöse Organisation, die Schutzgelder im Austausch für Sicherheits-, Sozial- und Finanzdienstleistungen verlangt. Ihre konsequente Botschaft ist, dass die Alternative - die Bundesregierung - eigennützig und unzuverlässig ist. Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: die Eroberung Somalias bzw. die Durchsetzung ihrer eigenen extremen Interpretation des Islams und der Scharia in „Großsomalia“ und der Errichtung eines islamischen Staates in Somalia. Al Shabaab ist eine tief verwurzelte, mafiöse Organisation, die in fast allen Facetten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik integriert ist. Die Gruppe ist vermutlich die reichste Rebellenbewegung in Afrika (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Al Shabaab kontrolliert auch weiterhin den größeren Teil Süd-/Zentralsomalias und übt auf weitere Teile, wo staatliche Kräfte die Kontrolle haben, Einfluss aus. Nachdem al Shabaab in den vergangenen zehn Jahren weiter Gebiete verlustig ging, hat sich die Gruppe angepasst. Ohne Städte physisch kontrollieren zu müssen, übt al Shabaab durch eine Mischung aus Zwang und administrativer Effektivität dort Einfluss und Macht aus. Gleichzeitig ist die Zahl der unter direkter Kontrolle von al Shabaab lebenden Menschen drastisch zurückgegangen. Früher lebten noch rund eine Million Menschen in deren Gebieten, heute sind es - v.a. aufgrund von Abwanderungen und Flucht im Rahmen der Dürre - noch etwa 500.000 (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Während al Shabaab terroristische Aktionen durchführt und als Guerillagruppe agiert, versucht sie unterhalb der Oberfläche eine Art Verwaltungsmacht zu etablieren - z.B. im Bereich der humanitären Hilfe und beim Zugang zu islamischer Gerichtsbarkeit. Im Gegensatz zur Regierung ist al Shabaab weniger korrupt, Urteile sind konsistenter und die Durchsetzbarkeit ist eher gegeben. Bei der Durchsetzung von Rechtssprüchen und Kontrolle setzt al Shabaab vor allem auf Gewalt und Einschüchterung. Im eigenen Gebiet hat die Gruppe umfassende Verwaltungsstrukturen geschaffen. Dort übt al Shabaab alle Grundfunktionen einer normalen Regierung aus: Sie hebt Steuern ein, bietet Sicherheit und sorgt mitunter für Sozialhilfe für bedürftige Bevölkerungsgruppen. Al Shabaab ist es gelungen, dort ein vorhersagbares Maß an Besteuerung, Sicherheit, Rechtssicherheit und sozialer Ordnung zu etablieren und gleichzeitig weniger korrupt als andere somalische Akteure zu sein sowie gleichzeitig mit lokalen Clans zusammenzuarbeiten. Al Shabaab setzt Zwang und Überredung ein, um die Treue zum Clan zu erzwingen. Im Gegenzug bietet die Gruppe ihre eigene Art von „Recht und Ordnung“ sowie bescheidene Grunddienstleistungen. Durch das Anbieten öffentlicher Dienste - v.a. hinsichtlich Sicherheit und Justiz - genießt al Shabaab in einigen Gebieten ein gewisses Maß an Legitimität. Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten und geringer Kriminalität. Die Unterdrückung von Clankonflikten ist ein Bereich, in welchem die Gruppe Erfolge erzielen konnte. Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet, sie beansprucht das Gewaltmonopol für sich. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft. Al Shabaab unterhält ein rigoroses Justizsystem, welches Fehlverhalten – etwa nicht sanktionierte Gewalt gegen Zivilisten – bestraft. Daher kommt es kaum zu Vergehen durch Kämpfer der al Shabaab. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit. Hinsichtlich Korruption ist die Gruppe sehr aufmerksam. Insgesamt nimmt die Gruppe im Vergleich zur Regierung effizienter Steuern ein, lukriert mehr Geld, bietet ein höheres Maß an Sicherheit, eine höhere Qualität an Rechtsprechung. Zudem ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Al Shabaab wendet sich gezielt an Minderheiten, die nicht von der Regierung repräsentiert werden. Die Gruppe hat sich so im Süden die Loyalität jeder einzelnen Minderheit erkauft. Generell steht bei Entscheidungen immer die Sicherheit des eigenen Clans als höchstes Ziel im Vordergrund. Manche Clans schließen sich freiwillig al Shabaab an; mit anderen Clans hat al Shabaab Abkommen geschlossen. Und wieder andere Clans werden mit Zwang und Gewalt in Partnerschaft zu al Shabaab gehalten (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Trotz des Einflusses, den die Gruppe in weiten Teilen Somalias ausüben kann, folgen nur wenige Somali der fremden und unflexiblen Theologie, den brutalen Methoden zur Kontrolle und der totalitären Vision von Staat und Gesellschaft. Es gibt einige wenige, ideologisch positionierte Anhänger; Personen, die religiös gebildet sind und sich bewusst auf dieser Ebene mit al Shabaab solidarisieren. Es gibt aber eine viel größere Anzahl von Menschen, die pragmatisch agieren. Sie akzeptieren al Shabaab als geringeres Übel. Die Präsenz von al Shabaab bietet besorgten Gemeinden eine Form der Schirmherrschaft und des Schutzes, welche die somalische Regierung nur sporadisch gewähren kann. Die Gruppe verspricht Vorteile und faire Behandlung für diejenigen, die ihren Geboten folgen. Allen anderen droht sie mit Vergeltung (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Die Hälfte der Mitglieder von al Shabaab stellt den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und ATMIS bzw. AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; oder Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk. Die Anzahl der Kämpfer der Al Shabaab wird auf 7.000 bis 20.000 geschätzt, allerdings finden sich demnach darunter viele zwangsrekrutierte Kinder. Zur Kompensation von getöteten Kämpfern rekrutiert die Gruppe jedenfalls neue Kräfte Al Shabaab verfügt über zahlreiche „Teilzeitkräfte“ und „Freiberufler“, die nur bei Bedarf zum Einsatz kommen. De Gesamtzahl allen verfügbaren Personals wird auf 25.000-30.000 geschätzt (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Generell hat al Shabaab die somalische Gesellschaft dermaßen tief infiltriert, dass es schwierig oder sogar unmöglich ist, zu erkennen, wer Mitglied der Gruppe ist. Hinzugezählt werden die Kämpfer der Armee (jabahat), die Agenten des Amniyat und die Polizisten (Hisba); alle Schätzungen zur Größe von al Shabaab scheinen sich auf dieses Personal zu konzentrieren. Doch die Gruppe verfügt auch über einen beträchtlichen Kader, der nicht direkt an der Gewalt beteiligt ist, aber für die Reichweite der Organisation in Somalia gleichermaßen wichtig ist. Es handelt sich um eine komplexe Organisation, die eine Mischung aus Terroristengruppe, Rebellenorganisation, Mafia und Schattenregierung ist. Und es gibt Personal für all diese Funktionen. Al Shabaab beschäftigt u.a. Verwaltungsbeamte, Richter und Steuereintreiber. Der Amniyat verfügt neben Agenten über Doppelagenten, Quellen und Informanten, die in die Institutionen, die Wirtschaft und die ganze Gesellschaft Somalias eingedrungen sind. Einige arbeiten heimlich, in Teilzeit oder auf Ad-hoc-Basis mit der Gruppe zusammen. Sie bewegen Nachschub, überbringen Nachrichten und berichten über alles - von der Zusammenarbeit mit der Regierung bis hin zur Wirtschaftstätigkeit. Ihre Größe kann nicht angegeben werden (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen ATMIS manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyat über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk. Al Shabaab verfügt jedenfalls über ein extensives Netzwerk an Informanten und ist in der Lage, der Bevölkerung Angst einzuflößen. Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Al Shabaab verfügt weiterhin über ein starkes Hinterland. Die Gruppe wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position bzw. hat sie dort eine feste Basis. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo (Jubaland); Bakool, Bay und Lower Shabelle (SWS); Hiiraan und – in sehr geringem Maße - Middle Shabelle (HirShabelle); Galgaduud und - in sehr geringem Maße - Mudug (Galmudug). Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Al Shabaab ist weiterhin in der Lage, komplexe Angriffe z.B. in und um Mogadischu durchzuführen. Die Fähigkeit der Gruppe, Waffen zu beschaffen und Kämpfer neu zu verteilen, bleibt weitgehend intakt. Dabei geht die Einflusssphäre der Gruppe über jene Gebiete, die sie tatsächlich unter Kontrolle hat, hinaus. Der Amniyat hat die Politik, lokale Behörden, Betriebe und Gemeinschaften unterwandert. Dies gilt auch für die NISA (Geheimdienst) und die Polizei. Bis zu 30 % der Polizisten in Mogadischu sind demnach kompromittiert (LIB, Kapitel Al Shabaab). Al Shabaab hat jedoch nicht genügend Kapazitäten, um ständig und überall präsent zu sein. Das Einsatzgebiet von der Gruppe ist fast so groß wie Deutschland. In diesem weitläufigen und infrastrukturell wenig erschlossenen Gebiet muss die Gruppe mit ca. 10.000 bewaffneten Kämpfern auskommen. Das bedeutet, dass al Shabaab zu keinem Zeitpunkt eine permanente Kontrolle über alle strategisch wichtigen Punkte ausüben kann. Die Gruppe kann nicht alle wichtigen Straßen kontrollieren, kann nicht in allen Orten des Hinterlandes mit permanenter Präsenz aufwarten, kann sich nicht um alle Konflikte vor Ort gleichzeitig kümmern. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen. Al Shabaab funktioniert in nahezu ganz Südsomalia als Schattenregierung bzw. –Verwaltung. „Kontrolliert“ wird - wie es ein Experte ausdrückt - durch „exemplarische Gewalt“, etwa bei Körperstrafen; durch das Streuen von Gerüchten; durch terroristische Anschläge zur Einschüchterung der Bevölkerung. All das erfolgt aber nur so intensiv und so oft, wie es nötig ist, um die lokale Bevölkerung zu erschrecken und dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen sich tatsächlich - zwangsläufig - mit der Herrschaft von al Shabaab arrangiert. Dort wo al Shabaab nicht in der Lage ist, ein angemessenes Maß an Gewaltandrohung glaubhaft darstellen zu können, sind die Erpressungsversuche auch weniger erfolgreich. So lehnen etwa Wirtschaftstreibende, die ausschließlich in Baidoa und Kismayo agieren, Zahlungsforderungen mitunter ab. Zudem hat die Gruppe aus vergangenen Fehlern gelernt und so die Kontrolle über einige Gebiete zurückerlangt, die sie 2022 verloren hat. Einige Übereinkommen mit Clans in Zentralsomalia wurden wieder aufgenommen. Al Shabaab hebt weiter illegale Steuern ein, ohne dabei so weit zu gehen, lokale Clans zu gewalttätigem Widerstand zu provozieren. Die Gruppe ist nun darauf bedacht, die Gemeinschaften, von denen sie abhängig ist, nicht zu sehr auszubeuten (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Steuern bzw. Schutzgeld: In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes Steuersystem. Die Besteuerung scheint systematisch, organisiert und kontrolliert zu erfolgen. Al Shabaab führt ein Register über den Besitz „ihrer“ Bürger, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen. Das Steuersystem der Gruppe hat sich immer mehr entwickelt – bis hin zu Eigentumssteuern. Al Shabaab nimmt alleine an Checkpoints pro Jahr mehr als 100 Millionen US-Dollar ein. Al Shabaab kann jährlich bis zu 180 Millionen US-Dollar generieren - bei Ausgaben von nur etwa 100 Millionen. Al Shabaab investiert einen Teil ihres Budgets in Immobilien und Klein- und Mittelbetriebe. Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen. Die Gruppe hebt in 10 von 18 somalischen Regionen Steuern ein. Eingehoben werden Steuern und Gebühren etwa auf die Landwirtschaft, auf Fahrzeuge, Transport und den Verkauf von Vieh sowie auf manche Dienstleistungen. Al Shabaab erhebt Steuern auf Importe. Die Gruppe erpresst Schutzgeld auf alles, was ’segelt, rollt oder sich bewegt’ sowie vom Bauwesen bzw. von Baufirmen und am Immobiliensektor generell. Auch Beamte und kleine Unternehmen müssen Geld abführen. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöser Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird. Die Höhe der Steuer ist oft verhandelbar. Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen. Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen. Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat. Die Gruppe baut auf ihre Reputation der Omnipräsenz und Einschüchterung – typisch für eine mafiöse Organisation. Der Zakat wird vom Amniyat durchgesetzt – und zwar durch Einschüchterung und Gewalt. Bei Zahlungsverweigerung droht die Ermordung. A Shabaab hat es in der Vergangenheit jedoch diesbezüglich zu weit getrieben. In manchen Landesteilen war die Gruppe zu gierig und brachte die Bevölkerung gegen sich auf. Al Shabaab schreckt nicht davor zurück, Menschen durch Gewalt gefügig zu machen. Menschen werden entführt, Vieh weggenommen. Teilweise flieht die Bevölkerung vor der Besteuerung (LIB, Kapitel Al Shabaab).
Wirtschaftsmacht als Shabaab: Mit einer neuen Gesetzgebung hat die Regierung Zahlungen an al Shabaab verboten; zudem gibt es entsprechende Kampagnen gegen Zahlungen an die Gruppe. Zusätzlich droht die Regierung den Wirtschaftstreibenden, und einige von ihnen haben in Mogadischu aufgehört, Geld an al Shabaab abführen. Die Bundesregierung bekämpft die Gruppe also auf finanzieller Ebene. Auch einige Konten von al Shabaab wurden eingefroren. Nun versucht die Gruppe, in den Gebieten unter ihrer Kontrolle so viel wie möglich von der Bevölkerung zu erpressen. Tatsächlich gibt es bei der finanziellen Bekämpfung von al Shabaab allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Die ganze Wirtschaft ist von al Shabaab abhängig, wenn es z.B. um den Warentransport geht. Zudem sind die tief wurzelnden Strukturen der Gruppe im Wirtschaftsbereich Mogadischus nur schwer zu beseitigen. Die ganze Wirtschaft in der Hauptstadt zahlt Steuern an al Shabaab. Und auch viele Menschen führen weiterhin ’Steuern’ an die Gruppe ab, weil sie nicht davon ausgehen, dass die Regierung in der Lage ist, sie vor al Shabaab zu schützen. Denn bis zuletzt galt: Bei Nichtzahlung drohen Konsequenzen, z.B. die Zerstörung von Eigentum oder Betriebsmitteln. Oder aber al Shabaab sorgt dafür, dass Unternehmen keine Aufträge mehr erhalten. Wirtschaftstreibende verschweigen es üblicherweise, wenn sie Geld an al Shabaab abführen.
Al Shabaab ist kaum mehr in der Lage, die ideologische Karte zu spielen bzw. die Idee der Schaffung eines islamischen Staates zu propagieren. Sie schafft sich also ein Wirtschaftsimperium, denn al Shabaab verfügt über entsprechende Kompetenzen. Morde gegen Bezahlung scheinen für al Shabaab zum Geschäftsmodell zu werden. Zudem hat die Gruppe in vielen Sparten investiert, Reichtümer angehäuft und betreibt einige Unternehmen. Mittlerweile erscheint die Gruppe eher als „Wagner-style mafia“. Al Shabaab agiert außerhalb des eigenen Gebietes wie ein Kartell bzw. wie eine Mafia. Für al Shabaab ist es nicht schwierig, eine Telefonnummer zu bekommen. So kann die Gruppe jede Person erreichen (LIB, Kapitel Al Shabaab).
1.5.4. Sicherheitsbehörden:
Ausländische Kräfte: Im April 2022 hat die African Union Transition Mission in Somalia (ATMIS) von der African Union Mission in Somalia (AMISOM) übernommen, nachdem dies vom UN Security Council und zuvor vom Sicherheitsrat der Afrikanischen Union so beschlossen wurde. Das Mandat von ATMIS umfasst die Umsetzung des Somali Transition Plans und die Übertragung der Verantwortung für die Sicherheit an somalische Kräfte und Institutionen mit Ende 2024. Das vorläufige Mandat von ATMIS erstreckt sich auf ein Jahr und ist mehr oder weniger mit jenem von AMISOM ident. Das militärische Mandat umfasst: die Ausführung gezielter Operationen in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften, um al Shabaab und andere terroristische Gruppen zu bekämpfen; in Tandem mit somalischen Sicherheitskräften Städte zu halten und die dort ansässige Bevölkerung zu schützen und die Sicherheit zu gewährleisten; Hauptversorgungsrouten zu sichern und einzunehmen; die Kapazitäten somalischer Sicherheitskräfte zu entwickeln, damit diese Ende 2024 die Verantwortung übernehmen können. Auch hinsichtlich der Truppenstärke ist ATMIS mit AMISOM vergleichbar, die Aufstellung soll aber ein mobileres und agileres Vorgehen gegen al Shabaab gewährleisten. ATMIS bzw. AMISOM gelten als mächtigster Gegner der al Shabaab. Die Truppe trägt einerseits seit Jahren die Führung im Kampf gegen al Shabaab und andererseits schützt sie die Bundesregierung, die in großem Maße von den Kräften der ATMIS abhängig ist.
ATMIS hat eine militärische, eine polizeiliche und eine zivile Komponente. Truppenstellerstaaten für die militärische Komponente sind gegenwärtig Uganda, Burundi, Dschibuti, Kenia und Äthiopien mit einem Mandat für 18.586 Mann (LIB, Sicherheitsbehörden).
Somalische Kräfte: Der Sicherheitssektor ist sehr relevant. Somalia hat mit 53.000 Mann auf Bundesebene und ca. 23.000 auf Ebene der Bundesstaaten mehr staatliches Sicherheitspersonal als notwendig und finanzierbar ist. Trotzdem ist die Aufnahme und Ausbildung weiterer 22.500 Soldaten in Planung. Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen, obwohl in den vergangenen Jahren Milliarden an US-Dollar in die Ausbildung und Ausrüstung von tausenden Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern investiert worden sind. Trotzdem sind die Sicherheitskräfte Somalias auch nach 15 Jahren immer noch schwach und werden für politische Zwecke eingesetzt. Die somalischen Sicherheitskräfte sind jedenfalls noch zu schwach und schlecht organisiert, um selbstständig - ohne internationale Unterstützung - die Sicherheit im Land garantieren zu können. Für die militärische Organisation gibt es kein zentrales Kommando. Zudem sind die Sicherheitskräfte von al Shabaab unterwandert, und die Loyalität vieler Sicherheitskräfte liegt eher beim eigenen Clan bzw. der patrilinearen Abstammungsgruppe als beim Staat. Zudem wurde der Sicherheitssektor unter dem ehemaligen Präsidenten Farmaajo darauf getrimmt, dass nicht al Shabaab bekämpft, sondern politische Rivalen unterdrückt werden konnten. Loyale und unterqualifizierte Personen wurden auf relevante Stellen gehoben, die Führung der Sicherheitskräfte politisiert. Seither hat sich die Koordination von Aktivitäten und Operationen des Sicherheitsapparats gebessert, wie die Operationen gegen al Shabaab in Zentralsomalia gezeigt haben (LIB, Sicherheitsbehörden).
Polizei: Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für innere Sicherheit. Neben der Bundespolizei führt jeder Bundesstaat eigene regionale Polizeikräfte. Die Kräfte sind jeweils dem Bundes- bzw. dem bundesstaatlichen Ministerium für innere Sicherheit unterstellt. Die große Mehrheit dieser Polizisten versieht ihren Dienst in Mogadischu und Umgebung. Die Strafverfolgungsbehörden sind schwach. Es gibt kein zentrales Strafregister. Dies erschwert es den Sicherheitskräften, Untersuchungen durchzuführen. Polizeistationen führen handschriftliche „Vorfallsbücher“ („occurrence books“). Die Bezahlung erfolgt meist nur unregelmäßig, dies fördert die Korruption. Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten. Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal – und die lokale Clandynamik berücksichtigend – rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (LIB, Sicherheitsbehörden).
Polizei-Spezialeinheit Haramcad: Die Türkei hat die paramilitärische Polizei-Spezialeinheit Haramcad (Gepard) ausgebildet und mit modernen Waffen, Ausrüstung und gepanzerten Fahrzeugen ausgestattet. Haramcad umfasst ca. 1.200 Mann. Diese Einheit wird allgemein als fähig erachtet, wurde allerdings von der Regierung Farmaajo u. a. eingesetzt, um interne Gegner auf Linie zu bringen. Damals war die Einheit dem Kommando der NISA unterstellt, nunmehr steht sie wieder unter dem Kommando der Polizei (LIB, Sicherheitsbehörden).
Armee: Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der Armee verantwortlich. Es wurde versucht, diverse Milizen zu einer Armee unter Führung der Bundesregierung zu fusionieren. Die Regierungstruppen bestehen hauptsächlich aus Clanmilizen, deren Loyalität in erster Linie beim eigenen Clan liegt; bzw. waren viele militärische Einheiten der Bundesarmee ursprünglich Clanmilizen. Die Linie zwischen der Bundesarmee und Clanmilizen ist sehr schmal. Ein Soldat kann an einem Tag im Interesse des Landes arbeiten und am nächsten im Interesse seines Clans oder einer politischen Gruppe. Jedenfalls zeigt die Bundesarmee nur wenige Merkmale einer effektiven Armee im westlichen Sinne. Korruption ist verbreitet. Soldaten werden durch Nepotismus aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit befördert und/oder um ihre Loyalität zu erlangen. Dies zerstört die Moral der Sicherheitskräfte und lenkt ihre Loyalität in Richtung der Clans. Einige Kommandanten nehmen Bestechungsgelder an oder kooperieren mit al Shabaab (LIB, Sicherheitsbehörden).
Soldaten verdienen etwa 100 US-Dollar im Monat. Es kommt vor, dass Soldaten nur sehr unregelmäßig bezahlt werden, dies fördert die Korruption. Diese, sowie Misswirtschaft und finanzielle Einschränkungen beeinträchtigen die Wirksamkeit der Armee. Generell erfolgt nunmehr die (elektronische) Bezahlung der Soldaten viel regelmäßiger, doch selbst hier kommt es mitunter zu Verzögerungen (LIB, Sicherheitsbehörden).
Der Armee mangelt es zudem an Ausbildung und Ausrüstung, obwohl die Bundesarmee im vergangenen Jahrzehnt von zahlreichen Akteuren diesbezüglich Unterstützung erhalten hat. Die somalischen Streitkräfte haben keine Übersicht über ihre eigenen Lagerbestände (LIB, Sicherheitsbehörden).
Spezialein Danab: Danab ist eine von den USA ausgebildet, ausgerüstet und betreut – sie ist die einzige Einheit, bei welcher bei der Rekrutierung nicht der Clan, sondern militärische Erfahrung und Können eine Rolle spielen. Es handelt sich um eine bestens ausgebildete und um die schlagkräftigste Einheit in Somalia. Die Spezialeinheit Danab wird und wurde von den USA finanziert und regelmäßig bezahlt (LIB, Sicherheitsbehörden).
Regionale Kräfte: Die Bundesstaaten haben ihre eigenen Sicherheitsapparate. Unklar ist, inwiefern diese Kräfte in die zur Bundesregierung gerechneten Kräfte eingegliedert sind bzw. dorthin zugeordnet werden. Milizen, die nicht Teil der somalischen Sicherheitskräfte sind, aber loyal zu Regionalregierungen stehen, sind Teil des Spektrums. Oft haben sie in der Vergangenheit das Sicherheitsvakuum gefüllt, wo staatliche Kräfte aufgrund ihrer Schwäche nicht dazu in der Lage waren (LIB, Sicherheitsbehörden).
Die Macawiisely – benannt nach den langen Gewändern der somalischen Nomaden – wurden ursprünglich nur bei Bedarf mobilisiert. Es gab keine permanenten Stützpunkte, keine organisierte Führung, keine regulären Kräfte und keine externe Unterstützung. Mit der zunehmenden Terrorisierung der Zivilbevölkerung in Teilen von Galmudug und HirShabelle hat ihre Bedeutung zugenommen. In der Verteidigung der eigenen Heimat und der eigenen Familien mit eigenen Mitteln und Waffen, greifen diese Milizen al Shabaab an und konnten dabei auch schon einige Erfolge verzeichnen. Ein signifikanter Teil der Macawiisley besteht folglich aus Personen, die keine Soldaten oder professionellen Milizionäre sind, sondern Viehzüchter und Nomaden. Diese lokalen Milizen stellen eine zur SNA parallele und durch die FGS aufgrund ihrer Clan-basierten Strukturen nicht kontrollierbare bewaffnete Macht dar. Zudem sind die Macawiisley aufgrund von Zwängen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit nicht unbegrenzt für den Kampf verfügbar (LIB, Sicherheitsbehörden).
Zudem verfügen alle politischen Kräfte über eigene Kampftruppen. Einzelne Politiker, Unternehmen und Hilfsorganisationen haben eigenes Sicherheitspersona l(LIB, Sicherheitsbehörden).
NISA (National Intelligence and Security Agency): Die NISA ist vergleichbar mit einem Inlandsgeheimdienst. Sie hat die Aufgabe als Sicherheitspolizei vornehmlich gegen al Shabaab vorzugehen bzw. ist sie auch für den Staatsschutz zuständig und mit exekutiven Vollmachten ausgestattet. Die exekutiven Einheiten der NISA sind zwar 2018 formal in die Polizei integriert worden. Trotzdem bleibt die NISA mit exekutiven Vollmachten ausgestattet und übt weiterhin eine aktive Rolle in der Terrorismusbekämpfung aus, die über eine rein nachrichtendienstliche Tätigkeit hinausgeht (LIB, Sicherheitsbehörden).
1.5.5. Folter und unmenschliche Behandlung:
Staatlichen Akteuren werden Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder diese wurden dokumentiert (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
Tötungen: Die Regierung und ihre Handlanger verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Auch bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet. Alleine im Dezember 2021 töteten Sicherheitskräfte bei unterschiedlichen „Unfällen“ in Mogadischu mehrere Zivilisten. Während immer noch al Shabaab und Clanmilizen für die Mehrheit der extra-legalen Tötungen verantwortlich zeichnen, wächst die Zahl an Fällen von Tötungen durch Sicherheitskräfte. Es fehlen Regeln hinsichtlich der Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Der Einsatz tödlicher Gewalt – etwa von scharfer Munition gegen Demonstranten – ist nicht unüblich und jedenfalls üblicher als eine graduelle Eskalation (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
Folter: Folter und unmenschliche Behandlung sind zwar verboten, es kommt aber dennoch zu derartigen Vorfällen. Regierungskräfte und alliierte Milizen setzen exzessiv Gewalt ein - darunter auch Folter. NISA misshandelt Personen bei Verhören, es kommt dabei zu Folter. Verhaftete sind einem Risiko ausgesetzt, gefoltert bzw. unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten und misshandelt zu werden. Bei mehr als tausend Besuchen in Haft- und Anhalteeinrichtungen in Baidoa, Kismayo und Mogadischu wurde festgestellt, dass Folter dort üblich ist. Sowohl NISA als auch Armee sind in Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und anderen Vergehen verwickelt. Unter Folter fallen demnach auch öffentliche Exekutionen (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
Verhaftungen: Willkürliche Verhaftungen sind üblich. Es gibt immer wieder Berichte über Polizeigewalt und exzessive Gewaltanwendung, Drohungen, Belästigungen und willkürliche Verhaftungen – vor allem von Terrorverdächtigen, Menschenrechtsverteidigern und Journalisten (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
Rechenschaft: Hinsichtlich Folter durch Polizei und Armee besteht weitgehende Straffreiheit. Sicherheitskräfte agieren, ohne eine Strafe befürchten zu müssen. Fälle von Polizeigewalt werden oft nicht registriert, die Straffreiheit bei der Polizei floriert. Polizisten können selbst im Fall eines Mordes ungeschoren davonkommen. Nur einige Sicherheitsbeamte wurden in der Vergangenheit zur Verantwortung gezogen. Der Polizei fehlt für Untersuchungen schon die Kapazität. Die Armee verfügt diesbezüglich über bessere Justizmechanismen, diese werden allerdings nicht immer effizient eingesetzt. Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm. Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte, dieses bleibt i. d. R. ungeahndet, denn ohne zivilrechtliche Aufsicht und Rechenschaftsablegung haben die Opfer polizeilicher Willkür und Gewalt oft gar keine legale Möglichkeit, juristisch dagegen vorzugehen (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
Al Shabaab: Die Gruppe tötet, entführt und misshandelt Zivilisten, verübt geschlechtsspezifische Gewalt und führt Frauen einer Zwangsehe zu. Zudem rekrutiert al Shabaab Kinder und setzt diese auch ein. Außerdem verhängt und vollstreckt die Gruppe in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin harte Strafen. Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden. Mitunter wird gegen Zivilisten - z.B. gegen potenzielle Spione und gegen Personen, die keine Abgaben leisten - auch Folter eingesetzt. Mitunter entführt al Shabaab Zivilisten - etwa Verwandte von Clanmilizionären (LIB, Folter und unmenschliche Behandlung).
1.5.6.Korruption
Somalia ist eines der korruptesten Länder der Welt, und Korruption ist endemisch. Weil Korruption in Somalia seit Jahrzehnten ungehindert existiert, ist die Kultur der Korruption sehr verfestigt und wird als unvermeidbar hingenommen. Korruption und Clanpatronage ziehen sich durch alle Ebenen der Verwaltung. Zudem durchdringt Korruption alle Teile der Gesellschaft. Für Politiker stehen persönliche und Claninteressen im Vordergrund. Kleptokratie, Korruption und Entscheidungsfindung nach Claninteressen verhindern die Unabhängigkeit der Staatsgewalten. Richter werden regelmäßig korrupter Praktiken beschuldigt. Somalia findet sich am Index von Transparency International 2021 mit 13 Punkten (100 Maximum) auf dem vorletzten Platz von 180 untersuchten Ländern. Es gibt keine funktionierende Antikorruptionskommission. Es gibt zwar ein Gesetz gegen Korruption in der Verwaltung, dieses wird aber nicht effektiv angewendet. Nur sehr selten werden öffentlich Bedienstete für Korruption bestraft ((LIB, Korruption).
1.5.7. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:
Im ganzen Land sind zahlreiche UN-Agenturen und hunderte internationale und lokale NGOs aktiv. Es gibt eine große Zahl an Organisationen der Zivilgesellschaft, die in unterschiedlichen Bereichen z. B. Frauen, Jugendliche, Berufskasten) und Landesteilen aktiv sind. Viele arbeiten mittlerweile professionell. Fast alle Organisationen oder Interessensgruppen haben einen Hintergrund im Clansystem oder in der religiösen Identität. Menschenrechtsorganisationen sehen sich trotzdem in aller Regel Repressionen durch staatliche Sicherheitsorgane, die auch auf eigene Faust und im eigenen Interesse agieren, ausgesetzt. Regionalbehörden und Sicherheitskräfte drangsalieren, erpressen und behindern mitunter NGOs und humanitäre Kräfte, oder sie versuchen, diese unter ihre Kontrolle zu bringen (LIB, NGOs und Menschenrechtsaktivisten).
Außerhalb der von der Regierung kontrollierten Gebiete können diese Organisationen nicht arbeiten. Al Shabaab untersagt den meisten NGOs sowie allen UN-Agenturen das Arbeiten auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle. Zudem wird der Aktionsradius von Organisationen in Süd-/Zentralsomalia aufgrund von Sicherheitserwägungen und Gewalt eingeschränkt. Islamic Relief ist eine Ausnahme, diese humanitäre Organisation darf im Gebiet der al Shabaab operieren (LIB, NGOs und Menschenrechtsaktivisten).
1.5.8. Wehrdienst und Rekrutierung durch den Staat und durch dritte:
Die somalische Armee ist eine Freiwilligenarmee. Es gibt keinen verpflichtenden Militärdienst. Allerdings rekrutieren Clans regelmäßig – und teils unter Androhung von Zwangsmaßnahmen für die Familie – junge Männer zum Dienst in einer Miliz, bei den staatlichen Sicherheitskräften oder bei al Shabaab. Dadurch soll für den eigenen Clan oder Subclan Schutz erlangt werden (LIB, Wehrdienst).
1.5.9. Allgemeine Menschenrechtslage:
In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle. Trotzdem werden Grund- und Menschenrechte regelmäßig und systematisch verletzt. Im Wettstreit stehende, politische Akteure in Süd-/Zentralsomalia sind in schwere und systematische Menschenrechtsverbrechen involviert. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: willkürliche und ungesetzliche Tötungen durch Kräfte der somalischen Bundesregierung; Entführungen und Verschwindenlassen; Rekrutierung und Verwendung von Kindersoldaten; Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen (LIB, Menschenrechtslage).
Es gibt aber auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Kräfte der Bundesregierung und von Regionalregierungen. Auch Clanmilizen sind für Vergehen verantwortlich - darunter Tötungen, Entführungen und Zerstörung zivilen Eigentums. Es gibt mehrere Berichte über von der Regierung gesteuertes, politisch motiviertes Verschwindenlassen. Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden sowie durch alliierte Milizen. Die Regierung verwendet bei derartigen Verhaftungen oft den Vorwurf der Mitgliedschaft bei al Shabaab. Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung macht zumindest einige Schritte, um öffentlich Bedienstete – vor allem Sicherheitskräfte – strafrechtlich zu verfolgen (LIB, Menschenrechtslage).
Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen und für den größten Teil ziviler Todesopfer verantwortlich. Al Shabaab verletzt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Grundrechte. Die Gruppe ist für die Mehrheit schwerer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten. Al Shabaab entführt Menschen und nimmt Geiseln. Die Entführung und Verhaftung von Zivilisten erfolgt, um Regelbrüche zu ahnden oder Kollaboration zu erzwingen. Al Shabaab verhängt in ihren Gebieten Körperstrafen. So werden sexuelle Vergehen mitunter mit Auspeitschen, Diebstahl mit Amputation und Spionage mit dem Tode bestraft. Al Shabaab richtet regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit der Regierung, internationalen Organisationen oder westlichen Hilfsorganisationen vorgeworfen wird, bzw. Zivilisten, die zu Abtrünnigen oder Spionen deklariert werden. Al Shabaab übt teils Rache an der Bevölkerung von Gebieten, die zuvor „befreit“ aber danach von al Shabaab wieder eingenommen worden waren. Die Gruppe wendet u. a. auch das Mittel von Zwangsvertreibungen an, um sich an sich widersetzenden oder nicht die eigenen Regeln befolgenden Bevölkerungsgruppen zu rächen (LIB, Menschenrechtslage).
1.5.10. Meinungs- und Pressefreiheit:
Gesetze und Verfassung sehen Meinungs- und Pressefreiheit vor, allerdings halten sich weder die Bundes- noch regionale Regierungen daran. Die Verfassungen der Bundesstaaten sind zudem nicht einheitlich, und es finden sich dort einige Einschränkungen, z. B., dass nicht gegen den Islam geredet werden darf; hinsichtlich einer Störung der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Stabilität; oder aber hinsichtlich „unethischer“ Äußerungen.
Zumindest in Gebieten unter Kontrolle der Regierung ist die Meinungsfreiheit weitgehend gegeben und wird durch die sehr weit verbreiteten sozialen Medien auch intensiv wahrgenommen. Nach anderen Angaben gibt es in den sichereren Gebieten des Landes ein gewisses Maß an Meinungsfreiheit. Allerdings können Personen, welche sich kritisch über Mächtige in Staat und Gesellschaft äußern, Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sein. Clanmilizen, kriminelle Organisationen und al Shabaab können die Meinungsfreiheit einschränken. Medienvereinigungen setzen sich für die Rechte der Medien, Meinungsfreiheit und Qualität im Journalismus ein. In Somalia wurden zahlreiche regionale Medien etabliert, darunter Zeitungen, Fernseh- und Radiosender sowie Onlinemedien. In Print- und v. a. Online-Publikationen spiegelt sich die Meinungsvielfalt in Mogadischu wider. Unabhängige Medien verbreiten eine große Anzahl unterschiedlicher Meinungen; allerdings ist aufgrund der Erfahrung mit willkürlichen Verhaftungen und anderen Folgen Selbstzensur üblich, was die Kritik an der Regierung betrifft. Mobiles Internet ist in weiten Teilen des Landes ohne Zugangseinschränkung verfügbar (LIB, Meinungs- und Pressefreiheit).
Im Gebiet von Al Shabaab stehen das öffentliche Leben und die öffentliche Meinung unter enger Kontrolle der Gruppe. Diese verbietet den Menschen dort das Hören internationaler Medien. Generell ist die Meinungsfreiheit in ihren Gebieten massiv eingeschränkt, unabhängige Medien sind verboten. Al Shabaab betreibt eigene Radiosender, welche v. a. religiöse Inhalte und politische Propaganda verbreiten. Al Shabaab verbietet es, Telekommunikationsunternehmen Zugang zum Internet anzubieten. Die Unternehmen wurden gezwungen, auf dem Gebiet unter Kontrolle der Gruppe ihre Datendienste einzustellen. Al Shabaab bedroht und drangsaliert Medienmitarbeiter auch außerhalb der eigenen Gebiete (LIB, Meinungs- und Pressefreiheit).
1.5.11. Versammlungs- und Vereinigungsfeiheit, Opposition:
Gesetzlich werden grundsätzlich Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährt, diese Freiheiten werden von der somalischen Regierung aber eingeschränkt. Für alle öffentlichen Versammlungen ist eine Genehmigung durch das Ministerium für innere Sicherheit erforderlich bzw. ist für Demonstrationen eine Genehmigung erforderlich. Die Regierung macht bei sicherheitsrelevanten Themen Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geltend. Zusätzlich bleibt die Versammlungsfreiheit aufgrund der Sicherheitslage in vielen Gebieten effektiv eingeschränkt.
In von der al Shabaab kontrollierten Gebieten bestehen weder Versammlungs- noch Vereinigungsfreiheit. Die meisten internationalen Organisationen dürfen dort nicht tätig werden (LIB, Versammlungsfreiheit).
1.5.12. Haftbedingungen:
Eine Absenz medizinischer Versorgung, unzureichende Ernährung und Mangel an Trinkwasser werden aus Gefängnissen aus ganz Somalia gemeldet. Es herrscht Überbelegung. Zum Teil sind die Haftbedingungen lebensbedrohlich. Vollzugsbeamten mangelt es an Wissen und beruflichen Fähigkeiten.
Al Shabaab hält Personen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle in Haft, teils für verhältnismäßig geringfügige Vergehen und unter inhumanen Bedingungen. Die Haftbedingungen in Haftanstalten von al Shabaab und in von traditionellen Autoritäten geführten Gebieten sind oft hart und lebensbedrohlich (LIB, Haftbedingungen).
1.5.13. Todesstrafe:
In allen Landesteilen wird die Todesstrafe verhängt und vollzogen. Deutlich seltener in Gebieten unter der Kontrolle der jeweiligen Regierung als in Gebieten unter Kontrolle der Al Shabaab – und dort nur für schwerste Verbrechen. Allerdings kommt es dort auch nach Verfahren, die nicht internationalen Standards genügen, zur Ausführung der Todesstrafe. Die von Bundes- aber auch von Regionalbehörden verhängten Todesurteile werden oft innerhalb weniger Tage vollstreckt; in manchen Fällen wird Verurteilten eine bis zu dreißigtägige Berufungsfrist eingeräumt. Im Jahr 2021 wurden in ganz Somalia mindestens 27 Todesurteile verhängt und mindestens 21 Todesurteile vollstreckt.
In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten kommt es zu öffentlichen Exekutionen, v. a. nach Spionagevorwürfen oder wegen Blasphemie. Die Todesstrafe wird auch wegen Ehebruchs und „Kooperation mit den Feinden des Islam“ (d.h. mit der Regierung, ATMIS, UNO oder Hilfsorganisationen) verhängt. Al Shabaab hat alleine im Zeitraum Mai-Juli 2021 19 Zivilisten öffentlich hingerichtet – 18 davon wegen vorgeblicher Spionage und eine Person wegen Mordes. Exekutionen durch al Shabaab werden öffentlich vollzogen, manchmal werden Menschen zum Zuschauen gezwungen (LIB, Todesstrafe).
1.5.14. Religionsfreiheit:
Die somalische Bevölkerung bekennt sich zu über 99 % zum sunnitischen Islam. Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt in einigen Gebieten verboten und gilt als sozial inakzeptabel. Nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an. Die auf einige Hundert geschätzten Christen praktizieren ihren Glauben nicht in der Öffentlichkeit. Somalis folgten traditionell der Shafi’i-Schule des islamischen Rechts, geführt von mehreren dominanten Sufi-Orden bzw. Sekten (turuuq). Der Sufismus hat sich in Ostafrika in den vergangenen 200 Jahren ausgebreitet und in Somalia eigene Formen angenommen. Trotz des aggressiven Vordringens des importierten Salafismus’ schätzen viele Somali nach wie vor ihren Sufi-Glauben und ihre Sufi-Bräuche. Als Sufi-Hochburgen gelten Galgaduud und Hiiraan. Allerdings macht sich seit 20 Jahren der Einfluss des Wahhabismus und damit der Vormarsch einer konservativen Auslegung des Islams bemerkbar. Salfafisten, al Quaida und al Shabaab verabscheuen die Sufi-Interpretation des Islam (LIB, Religionsfreiheit).
Gebiete unter Regierungskontrolle: Somalia ist seinem verfassungsmäßigen Selbstverständnis nach ein islamischer Staat, der nicht vorrangig auf religiöse Vielfalt und Toleranz ausgelegt ist. Die Verfassungen von Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam als Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt, alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion. Der Übertritt zu einer anderen Religion ist gesetzlich nicht explizit verboten, wohl aber wird die Scharia entsprechend interpretiert. Blasphemie und „Beleidigung des Islam“ sind Straftatbestände. Nach anderen Angaben ist es Muslimen verboten, eine andere Religion anzunehmen. Jedenfalls sind Missionierung bzw. die Werbung für andere Religionen laut Verfassung verboten. Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen.
Gebiete von Al Shabaab: In Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab ist die Praktizierung eines moderaten Islams sowie anderer Religionen untersagt. Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene Interpretation des Islam und der Scharia durch. Al Shabaab drangsaliert, verletzt oder tötet Menschen aus unterschiedlichen Gründen, u. a. dann, wenn sich diese nicht an die Edikte der Gruppe halten. Eltern, Lehrer und Gemeinden, welche sich nicht an die Vorschriften von al Shabaab halten, werden bedroht. Zudem droht al Shabaab damit, jeden Konvertiten zu exekutieren. Auf Apostasieund Blasphemie steht die Todesstrafe. Christen droht Verfolgung, die diesbezügliche Situation hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Al Shabaab will Christen in Somalia gezielt auslöschen. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab sind Politik und Verwaltung von religiösen Dogmen geprägt. Al Shabaab verbietet dort generell „unislamisches Verhalten“ - Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung. Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (LIB, Religionsfreiheit).
1.5.15. Minderheiten und Clans:
Der Clan ist die relevanteste soziale, ökonomische und politische Struktur in Somalia. Er bestimmt den Zugang zu Ressourcen sowie zu Möglichkeiten, Einfluss, Schutz und Beziehungen. Dementsprechend steht Diskriminierung in Somalia generell oft nicht mit ethnischen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke haben. Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balance zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt. Selbst relative starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Region, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (LIB, Minderheiten und Clans).
Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungsposition werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessenvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Friedensstifter, Konfliktvermittler und Wächter des Xeer. Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler. Al Shabaab installiert oft Älteste, welche die Gruppe repräsentieren. Er wird so zum Bindeglied zwischen der Gemeinschaft und al Shabaab. So werden zuvor legitime Strukturen in Geiselhaft genommen (LIB, Minderheiten und Clans). In ganz Somalia sehen sich Menschen, die keinem der großen Clans angehören, in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz und für ökonomische sowie politische Partizipation. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt – trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten. Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (LIB, Minderheiten und Clans).
Recht/Justiz: Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren. Allerdings sind Angehörige von Minderheiten in staatlichen Behörden unterrepräsentiert und daher misstrauisch gegenüber diesen Einrichtungen. Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile. Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans. Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet. Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das Xeer-System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kompensationszahlung) bei. Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen. Angehörige von Minderheiten stehen vor Hindernissen, wenn sie Identitätsdokumente erhalten wollen - auch im Falle von Reisepässen (LIB, Minderheiten und Clans).
Politik: Politische Repräsentation, politische Parteien, lokale Verwaltungen und auch das nationale
Parlament sind um die verschiedenen Clans bzw. Subclans organisiert, wobei die vier größten Clans (Darod, Hawiye, Dir-Isaaq und Digil-Mirifle) Verwaltung, Politik, und Gesellschaft dominieren - und zwar entlang der sogenannten 4.5-Formel. Dies bedeutet, dass den vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zusteht, während kleinere Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze erhalten. Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (LIB, Minderheiten und Clans).
Gesellschaft: Einzelne Minderheiten leben unter besonders schwierigen sozialen Bedingungen in tiefer Armut und leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion. Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt. Zudem sind die Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen weniger gut ausgebaut und sie verfügen über geringere Ressourcen und erhalten weniger Remissen. Die mächtigen Gruppen erhalten den Löwenanteil an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Dementsprechend stehen Haushalte, die einer Minderheit angehören, einem höheren Maß an Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung gegenüber. Meist sind Minderheitenangehörige von informeller Arbeit abhängig, und die allgemeinen ökonomischen Probleme haben u.a. die Nachfrage nach Tagelöhnern zurückgehen lassen. Dadurch sind auch die Einkommen dramatisch gesunken (LIB, Minderheiten und Clans).
Gewalt: Minderheitengruppen, denen es oft an bewaffneten Milizen fehlt, sind überproportional von Gewalt betroffen (Tötungen, Folter, Vergewaltigungen etc.). Täter sind Milizen oder Angehörige dominanter Clans - oft unter Duldung lokaler Behörden. In Mogadischu können sich Angehörige aller Clans frei bewegen und auch niederlassen. Allerdings besagt der eigene Clanhintergrund, in welchem Teil der Stadt es für eine Person am sichersten ist (LIB, Minderheiten und Clans).
Al Shabaab: Es gibt Hinweise, wonach al Shabaab gezielt Kinder von Minderheiten entführt. Gleichzeitig nützt al Shabaab die gesellschaftliche Nivellierung als Rekrutierungsanreiz – etwa durch die Abschaffung der Hindernisse für Mischehen zwischen „noblen“ Clans und Minderheiten. Dementsprechend wird die Gruppe von Minderheitsangehörigen eher als gerecht oder sogar attraktiv erachtet. Al Shabaab hat sich die gesellschaftliche Benachteiligung von Gruppen zunutze gemacht. Ein überproportionaler Teil von al Shabaab setzt sich aus Angehörigen der am meisten marginalisierten Gruppen Somalias zusammen. Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite ist ein weiterer Grund dafür, dass Angehörige von Minderheiten al Shabaab beitreten. Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke. Aufgrund der (vormaligen) Unterstützung von al Shabaab durch manche Minderheiten kann es in Regionen, aus welchen al Shabaab gewichen ist, zu Repressalien kommen (LIB, Minderheiten und Clans).
1.5.16. Clans – Bevölkerungsstruktur:
Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen. die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist. Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden. Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren. Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt. Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern. Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (LIB, Minderheiten und Clans).
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage. Als noble Clans und vier Hauptclans gelten die Darod, Hawiye, Dir, Isaaq und Rahanweyne.
- Darod: Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
- Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
- Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
- Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
- Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie. Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern. In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen.
Die Rahanweyn bzw. Digil und Mirifle sehen sich als weitere Clanfamilie und als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale. Als «Rahanweyn» wird manchmal nur ein Teil der Clanfamilie bezeichnet, manchmal wird der Ausdruck auch für alle Digil und Mirifle verwendet. Im Gegensatz zu den Samaale-Clanfamilien sind die Saab-Clans mehrheitlich – aber nicht ausschliesslich – sesshafte Stämme, die in der Landwirtschaft tätig sind. Sie leben in den fruchtbaren Landstreifen entlang der Flüsse Shabelle und Jubba sowie zwischen diesen, vorwiegend in den Regionen Bay und Bakool. Die Saab-Clans werden manchmal als separate «Kaste» mit geringerem gesellschaftlichem Prestige als die Samaale angesehen, da sie eine «gemischtere» Abstammung hätten. Saab wie auch Samaale gelten als «noble» Clans. Gemeinsam stellen sie die somalische Nation dar. Traditionell ist ihnen das Tragen von Waffen erlaubt. Als Mehrheitsclans haben sie jeweils ein eigenes Territorium.
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind. Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (LIB, Minderheiten und Clans).
1.5.17. Clans –Süd-/Zentralsomalia, Puntland – ethnische Minderheiten:
Ethnische Minderheiten: Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich. Sie werden aber als minderwertig und mitunter als Fremde erachtet. So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (LIB, Minderheiten und Clans).
Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war. Dies gilt auch für Mogadischu. Allerdings sind dort all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler. In den Städten ist die Bevölkerung aber allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (LIB, Minderheiten und Clans).
Ethnischen Minderheiten können Stigmatisierung, soziale Absonderung, Verweigerung von Rechten und ein niedriger sozialer, ökonomischer und politischer Status, Arbeitslosigkeit und ein Mangel an Ressourcen zukommen. Sie werden am Arbeitsmarkt diskriminiert und vom Rest der Gesellschaft ausgeschlossen. Die meisten Angehörigen marginalisierter Gruppen haben keine Aussicht auf Rechtsschutz, nur selten werden solche Personen in die Sicherheitskräfte aufgenommen. Auch im Xeer werden sie marginalisiert. In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (LIB, Minderheiten und Clans).
Die Bantu sind die größte Minderheit in Somalia. Es gibt zahlreiche Bantu-Gruppen bzw. -Clans, wie z. B. Gosha, Makane, Kabole, Shiidle, Reer Shabelle, Mushunguli, Oji oder Gobaweyne; pejorativ werden sie auch Adoon (Sklaven) oder Jareer (Kraushaar) genannt. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle. Von den ca. 900.000 IDPs, die sich im Großraum Mogadischu aufhalten (Stand 2020), sind rund 700.000 Bantu.
Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert. Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu, die zum Teil einst als Sklaven ins Land gekommen waren, herab. Sie sind das dramatischste Beispiel für die Schlechterbehandlung durch dominierende Gruppen und werden als Bürger zweiter Klasse erachtet und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert. Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur. 80 % der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt finden sich unter ihnen. Überhaupt befinden sich Bantu in einer vulnerablen Situation, da zuvor bestehende Patronageverhältnisse (welche Schutz gewährleisteten) im Bürgerkrieg erodiert sind. Dadurch haben Bantu heute kaum Zugang zum Xeer. Bantu sind besonders schutzlos. Andererseits sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen.
Mischehen werden stigmatisiert. Im September 2018 wurde ein Bantu in Mogadischu in Zusammenhang mit einer Mischehe getötet. Allerdings war dies ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, über welchen viele Somali ihre Entrüstung äußerten. Al Shabaab hingegen hat zahlreiche Kinder der Bantu entführt oder zwangsrekrutiert. Trotzdem genießt die Gruppe bei dieser Minderheit größere Unterstützung. Die meisten Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehörenzu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von „noblen“ Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten. Aus den USA deportierte somalische Bantu sind - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (LIB, Minderheiten und Clans).
Benadiri ist ein Dachbegriff für verschiedene voneinander unabhängige urbane Minderheiten, die in den Küstenstädten des Südens leben (z. B. Mogadischu, Merka, Baraawe) und sich traditionell im Handel betätigen. Sie haben eine gemischte Abstammung aus Somalia, Arabien, Persien, Indien und Portugal. Vor 1991 hatten sie einen privilegierten Status. Ohne bewaffnete Miliz waren sie im Bürgerkrieg aber schutzlos. Heute werden Benadiri gemeinhin als Händler respektiert. In Mogadischu stellen die Benadiri die zweitgrößte Minderheitengruppe. Einige von ihnen haben es geschafft, reich zu werden. Im Gegensatz zu den Bantu kommt ihnen kein geringerer Status zu, Mischehen sind kein Problem. Auch von Sicherheitsproblemen wird (in Mogadischu) nicht berichtet. Vielen Reer Xamar (Teil der Benadiri) ist es gelungen, ihre vormaligen Immobilien im Bezirk Xamar Weyne (auch Hamarwayne geschrieben, in Mogadischu) durch Zahlungen zurückzuerhalten. Dort stellen sie auch die Bevölkerungsmehrheit (LIB, Minderheiten und Clans).
1.5.18. Subjekte gezielter Attentate durch die Al Shabaab:
Folgende Personengruppen sind bezüglich eines gezielten Attentats durch al Shabaab einem erhöhten Risiko ausgesetzt:
• Angehörige der AMISOM bzw. ATMIS
• nationale und regionale Behördenvertreter und -Mitarbeiter
• Angehörige der Sicherheitskräfte
• Regierungsangehörige, Parlamentarier, Offizielle und Wahlkandidaten (al Shabaab greift z. B.
gezielt Örtlichkeiten an, wo sich Regierungsvertreter treffen)
• mit der Regierung in Verbindung gebrachte Zivilisten
• Angestellte von NGOs und internationalen Organisationen
• Wirtschaftstreibende, insbesondere dann, wenn sie sich weigern, Schutzgeld („Steuer“) an al Shabaab abzuführen
• Älteste und Gemeindeführer (gemäß somalischen Regierungsangaben hat al Shabaab innerhalb von zehn Jahren 324 Älteste ermordet. Einige der Opfer waren in Wahlprozesse involviert. In jüngerer Vergangenheit hat al Shabaab v. a. solche Älteste ermordet, die ihre Clans zur Beteiligung an der Offensive gegen die Gruppe aufgerufen bzw. deren Teilnahme öffentlich unterstützt haben).
• Wahldelegierte und deren Angehörige (dabei hat al Shabaab in der Vergangenheit Delegierte vor die Wahl gestellt, entweder zu ihnen zu kommen und sich zu entschuldigen, oder aber einem Todesurteil zu unterliegen. Die große Mehrheit entschuldigte sich. Immer wieder werden jedenfalls an Wahlen Beteiligte ermordet, so z. B. ein Delegierter und Ältester am 13.6.2022 sowie ein weiterer Delegierter Mitte April 2022 – beide in Hodan (Mogadischu). Al Shabaab bekennt sich nicht immer zu derartigen Attentaten, hat in der Vergangenheit allerdings betont, jede an Wahlen beteiligte Person zum Ziel zu machen)
• Angehörige diplomatischer Missionen
• prominente und Menschenrechts- und Friedensaktivisten
• religiöse Führer
• Journalisten und Mitarbeiter von Medien
• Telekommunikationsarbeiter
• mutmaßliche Kollaborateure und Spione
• Deserteure
• als glaubensabtrünnig Bezeichnete (Apostaten)
• (vermeintliche) Angehörige oder Sympathisanten des IS (den IS hat al Shabaab als Seuche bezeichnet, welche ausgerottet werden müsse)
Personen all dieser Kategorien werden insbesondere dann zum Ziel, wenn sie kein Schutzgeld bzw. „Steuern“ an al Shabaab abführen. Gleichzeitig muss davon ausgegangen werden, dass zahlreiche Angriffe und Morde auf o. g. Personengruppen politisch motiviert oder einfache Verbrechen sind, die nicht auf das Konto von al Shabaab gehen (LIB, Subjekte gezielter Attentate durch Al Shabaab).
Kollaboration und Spionage: In von al Shabaab kontrollierten Gebieten gelten eine Unterstützung der Regierung und Äußerungen gegen al Shabaab als ausreichend, um als Verräter verurteilt und hingerichtet zu werden. Al Shabaab tötet - meist nach unfairen Verfahren - Personen, denen Spionage für oder Kollaboration mit der Regierung oder ausländischen Kräften vorgeworfen wird. Al Shabaab bedroht Menschen, die mit der Regierung in Verbindung gebracht werden. Zivilisten können bestraft oder auch getötet werden, wenn sie für die Regierung oder die Armee arbeiten. Die Schwelle dessen, was al Shabaab als Kollaboration mit dem Feind wahrnimmt, ist mitunter sehr niedrig angesetzt. So wurden etwa im Feber 2021 in Mogadischu drei Frauen erschossen, die im Verteidigungsministerium als Reinigungskräfte gearbeitet hatten. Nach eigenen Angaben greift al Shabaab solche Personen hingegen nicht gezielt an. Insbesondere in Frontgebieten oder Orten, deren Herrschaft wechselt, kann auch das Verkaufen von Tee an Soldaten bereits als Kollaboration wahrgenommen werden. So wurden etwa Anfang Juli 2021 fünf Zivilisten im Gebiet Jowhar von al Shabaab entführt, weil sie Soldaten der Armee mit Erfrischungen bewirtet bzw. mit ihnen gehandelt hatten. Mehrere Häuser und Fahrzeuge wurden angezündet. Generell sind aber das Ausmaß und/oder die Gewissheit der Kollaboration, der Ort des Geschehens und die Beziehungen der betroffenen Person dafür ausschlaggebend, ob al Shabaab die entsprechenden Konsequenzen setzt. Besonders gefährdet sind Personen, welche folgende Aspekte erfüllen:
a) die Kollaboration ist offensichtlich
b) der Ort lässt eine leichte Identifizierung des Kollaborateurs zu
c) eine Exekution wird als maßgebliches Abschreckungszeichen wahrgenommen
d) wenn sich die Kollaboration in einem Ort mit fluktuierender Kontrolllage zugetragen hat
Auf der anderen Seite kollaborieren viele Menschen mit al Shabaab. Verwaltungsstrukturen und Sicherheitskräfte sind unterwandert. Eine derartige Kollaboration kann aus finanziellen oder ideologischen Gründen erfolgen, oft aber auch aus Angst. Es scheint wenig ratsam, ein „Angebot“ von al Shabaab abzulehnen.
Kapazitäten: Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Vertreter des Staates, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung auf Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie direkt Soldaten von Armee und ATMIS. Grundsätzlich richten sich die Angriffe der al Shabaab in nahezu allen Fällen gegen Personen des somalischen Staates (darunter die Sicherheitskräfte), Institutionen der internationalen Gemeinschaft (darunter ausländische Truppen) und gegen Gebäude, die von erst- und zweitgenannten Zielen frequentiert werden.
Al Shabaab greift Zivilisten, die nicht in eine der weiter oben genannten Kategorien fallen, nicht spezifisch an. Für diese besteht das größte Risiko darin, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden. So hat Mogadischu über die Jahre Dutzende Arbeiter der Straßenreinigung verloren, die durch versteckte Sprengsätze getötet wurden, welche entlang von Straßen im dahinter liegenden Müll platziert waren. Außerdem greift al Shabaab etwa Cafés, Restaurants oder Hotels an, die von Behördenvertretern oder Wirtschaftstreibenden frequentiert werden. So kamen etwa am 17.7.2022 bei einem Selbstmordanschlag auf ein bei Politikern beliebtes Hotel in Jowhar mindestens zwölf Personen ums Leben. Dutzende weitere Personen wurden verletzt. Unter den Opfern befanden sich regionale Minister und Direktoren sowie ehemalige Abgeordnete. Zwar richten sich diese Angriffe also gegen Personengruppen, die von al Shabaab als Feinde erachtet werden, doch kommen dabei auch Zivilisten zu Schaden, welche sich am oder in der Nähe des Ziels aufhalten. Nach einem Anschlag im Dezember 2019 hat sich al Shabaab sogar dafür entschuldigt, dass derart viele Zivilisten ums Leben gekommen sind. Nach anderen Angaben ist es zwar Zufall, wer konkret einem Anschlag zum Opfer fällt; aber al Shabaab greift wahllos und doch gezielt Zivilisten an. Die Intention ist, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass die Regierung sie nicht beschützen kann. Dies führt Zivilisten in eine Art endemisch-alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen - und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (LIB, Subjekte gezielter Attentate durch Al Shabaab).
Ausweichmöglichkeiten: Aufgrund der überregionalen Aktivitäten und der Vernetzung des Amniyad [Nachrichtendienst der al Shabaab] sind – vor allem prominente – Zielpersonen auch bei einer innerstaatlichen Flucht gefährdet. Generell kann sich ein Mensch in Mogadischu vor al Shabaab verstecken. Dies kann beispielsweise für eine Person gelten, die vom eigenen Clan z. B. im Bezirk Jowhar für eine Rekrutierung bei al Shabaab vorgesehen gewesen wäre, und sich nach Mogadischu abgesetzt hat; nicht aber prominentere Personen, die vor al Shabaab auf der Flucht sind. Al Shabaab verfügt also generell über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen. Zusätzlich möchte al Shabaab mit jedem begangenen Anschlag und mit jedem verübten Attentat auch ein entsprechendes Publikum erreichen. Üblicherweise verfolgt al Shabaab zielgerichtet jene Person, derer sie habhaft werden will. Sollte die betroffene Person nicht gefunden werden, könnte stattdessen ein Familienmitglied ins Visier genommen werden. Wurde al Shabaab der eigentlichen Zielperson habhaft bzw. hat sie diese ermordet, dann gibt es keinen Grund mehr, Familienangehörige zu bedrohen oder zu ermorden. Manchmal kann es zur Erpressung von Angehörigen kommen. Gleichzeitig finden sich etwa Clanälteste immer wieder zwischen den Fronten. So wurden im Dezember 2022 in Galmudug drei Älteste verhaftet, denen Kollaboration mit al Shabaab vorgeworfen wird. Sie geben hingegen an, durch die ihnen vorgeworfene Vereinbarung mit al Shabaab die Freilassung von 69 Geiseln bewirkt zu haben.
Der Islamische Staat in Somalia (ISIS) operiert nahezu ausschließlich in Puntland bzw. mit einigen Zellen in Mogadischu. Die Hauptziele des ISIS in Puntland sind Regierungsangestellte und Politiker, Soldaten, Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, Polizisten und Angehörige von al Shabaab. In Mogadischu wendet sich der IS gegen Angehörige von al Shabaab sowie gegen jene Personen (v. a. Händler und Geschäftsleute), die sich weigern, Abgaben bzw. Schutzgeld zu entrichten (LIB, Subjekte gezielter Attentate durch andere terroristische Gruppen).
1.5.19. Risiko im Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen:
Anders als der somalische Staat „besteuert“ al Shabaab alles und jeden in Somalia - insbesondere in den eigenen Gebieten. Besteuert werden u.a. die Landwirtschaft, der Handel und Immobilientransaktionen; Fahrzeuge, Vieh, Handelswaren, Importe, Exporte von Holzkohle oder Bauarbeiten. Doch auch in umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung von al Shabaab nicht befolgt. Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden „Steuern“ an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv bzw. wurden Schattenverwaltungen aufgebaut. Al Shabaab besteuert maßgeblich Im- und Export, jeden größeren Gewerbetreibenden in Mogadischu. Kleinere Marktstände sind al Shabaab hingegen weniger wichtig.
„Steuern“ werden eingehoben auf:
a) Agrarwirtschaft (dalag beeraha): auf Höfe, agrarische Produkte und Land;
b) Fahrzeuge (gadiid): Transitgebühren hängen von der Art des Fahrzeuges und von der Länge der Reise ab. Fahrzeuge müssen jedenfalls bei al Shabaab registriert sein;
c) Güter (badeeco): Wegzoll für alle Güter, die Höhe hängt von Art und Quantität ab. Zudem werden
z.B. an Häfen Import- und Exportgebühren eingefordert;d) Vieh (xoolo): auf den Verkauf von Vieh, v.a. Rinder, Kamele, Ziegen.
Die Haupteinnahmequelle der Gruppe ist die Besteuerung des Transits von Fahrzeugen und Gütern. Dabei lukriert al Shabaab jährlich zig-Millionen US-Dollar. Dazu unterhält die Gruppe Dutzende von Checkpoints, die mit Steuerbeamten besetzt sind. Fahrzeuge, die einen solchen Checkpoint passieren, sind bei al Shabaab registriert. Sind sie das nicht, werden sie gegen eine Gebühr ins Register eingetragen (samt Fahrzeugdetails und Besitzern). Daneben hebt al Shabaab auch den Zakat ein, eine Quelle betitelt dies als „Zwangsspende“. Dieser ist eine Spendensammlung und stellt eine der fünf Säulen des Islam dar. Es handelt sich um eine religiöse Verpflichtung, einen Prozentsatz seines Besitzes an die Armen abzugeben. Al Shabaab hebt den Zakat zweimal jährlich auf die Agrarwirtschaft und einmal jährlich auf Viehwirtschaft und Wirtschaftstreibende ein. Außerdem erhält al Shabaab mit dem Infaq noch zusätzliche, freiwillige Beiträge zur Unterstützung von Kämpfer. Außerdem nimmt al Shabaab nach Entführungen Lösegelder in Empfang. Kommt es zu Finanzengpässen, erwartet sich die Gruppe von Clanältesten, Finanzierungslücken zu schließen. Al Shabaab hebt insgesamt soviel an „Steuern“ ein wie die Bundesregierung - oder sogar noch mehr. Dabei agiert die Gruppe wie ein verbrecherisches Syndikat bzw. wie eine mafiöse Organisation. Ziel ist es, aus kriminellenAktivitäten Gewinn zu machen. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel Konservativen Schätzungen zufolge lukriert al Shabaab alleine an monatlichen Abgaben 15 Millionen US-Dollar - davon die Hälfte in Mogadischu. Generell werden alle Wirtschaftstätigkeiten in Mogadischu von der Gruppe mit Schutzgeldforderungen belegt. Wirtschaftstreibende zahlen Schutzgeld, denn die Regierung ist nicht in der Lage, sie vor Schutzgelderpressung zu schützen. Dabei verlangt al Shabaab von Wirtschaftstreibenden zunehmend höhere „Steuern“. Alle großen Unternehmen im südlichen Somalia zahlen diese jährliche „Steuer“. Nur sehr kleine Betriebe oder Straßenhändler müssen nichts abführen. Dahingegen werden auch zahlreiche andere Bereiche besteuert – etwa die Nutzung von Wasserstellen oder von Bewässerungsanlagen durch Bauern. Aus Diinsoor wird berichtet, dass zurückkehrende IDPs eine Landwirtschaftsgenehmigung beantragen und bezahlen müssen, damit sie ihre eigenen Ackerflächen bewirtschaften dürfen. Besteuert wird auch der Immobilienmarkt. In Afgooye verlangt al Shabaab z. B. von Hausbesitzern Steuern. Für ein Steinhaus 150 US-Dollar, für ein mehrstöckiges Haus 300 US-Dollar; und für eine Wellblechhütte 100 US-Dollar. Auch in Mogadischu erhielten zwischen Mai und Juli 2022 zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab, und auch dort liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar. Auf im Entstehen begriffene Bauten erhebt die Gruppe in Mogadischu ebenfalls Steuern. Dort werden einem Bauherrn üblicherweise 25 % des Gesamtwertes des fertigen Baus in Rechnung gestellt. Berichten zufolge ist der Preis allerdings verhandelbar. Für Zahlungsverzögerungen drohen Strafzahlungen.
Al Shabaab verlangt von Geschäftsleuten in der Stadt die Zahlung von „Steuern“. Das Einsammeln der Gelder erfolgt üblicherweise nicht persönlich sondern über das Mobiltelefon. V. a. Unternehmen, die Waren nach und aus Mogadischu transportieren und nach Somalia importieren, werden zur Zahlung gezwungen. Dem Vernehmen nach sollen auch viele Hilfsorganisationen „Steuern“ an al Shabaab abführen. Ähnliches gilt für Hotels. Jedenfalls ist es immer möglich, dass hinter Steuerforderungen gar nicht al Shabaab steht, sondern andere kriminelle Akteure, die sich als al Shabaab ausgeben. Im Fall einer Weigerung der Zahlung an al Shabaab gibt es in vielen Fällen einen Spielraum für Verhandlungen über die Höhe.
Selbst das Personal internationaler Organisationen zahlt Schutzgeld, um in Ruhe gelassen zu werden. Und auch Bundesbedienstete führen Schutzgeld oder „Einkommenssteuer“ an al Shabaab ab, darunter hochrangige Angehörige der Armee und sogar Bundesminister. Dieser Faktor belegt aber auch den Pragmatismus von al Shabaab als mafiöse Organisation, wo Geld vor Ideologie gereiht wird. Betriebe und Einzelpersonen werden durch Angst genötigt, Geld an al Shabaab abzuführen. Todesdrohungen und tatsächlich angewandte Gewalt halten das „Steuersystem“ al Shabaabs aufrecht. Wenn z. B. ein Fahrer die Abgabe verweigert oder versucht, einen Checkpoint der al Shabaab zu umfahren, dann muss er als Strafe meist den doppelten Betrag abführen. Diese nicht-verhandelbare Strafe wird etwa per SMS „zugestellt“ oder aber Fahrzeugbesitzer oder Fahrer werden per Nachricht an eines der Schariagerichte der Gruppe einberufen. In extremen Einzelfällen kann es auch vorkommen, dass al Shabaab Personen, die keine Gebühren abführen wollten, tötet und Fahrzeuge zerstört. Auch wenn derartige Fälle sehr selten sind, sorgen sie dafür, dass andere Fahrer aus Angst freiwillig „Steuern“ abführen. Kommt es zu einem Anschlag auf ein Hotel, dann steht für al Shabaab eine Strafaktion für ausständige „Steuerzahlungen“ im Vordergrund. Allfällig anwesende Regierungsvertreter oder Staatsbedienstete sind hierbei nur nebenrangige Ziele, wiewohl al Shabaab einen „günstigen“ Zeitpunkt abwartet, um gleichzeitig auch solche Ziele zu treffen.
Jene, die sich weigern, an al Shabaab Abgaben abzuführen, werden bestraft und ihr Leben bedroht, oder es das eigene Geschäft wird z. B. mit einem Sprengsatz zerstört. Ein anderes Beispiel stammt aus Galmudug im Jahr 2022, wo Nomaden den Forderungen von al Shabaab nicht nachgekommen sind. Dort griff al Shabaab die Gemeinde an, entführte und tötete Nomaden und plünderte ihren Viehbestand. Vorerst werden i.d.R. hohe Strafzahlungen ausgesprochen oder aber der Zugang zu Märkten wird blockiert, dann folgen auch Todesdrohungen. Zur tatsächlichen Exekution kommt es aber nur in Extremfällen. Manche Personen müssen ihre Firma schließen, ihre Kontaktdaten ändern oder aus dem Land fliehen. Nur jene können den Druck ertragen und einer Besteuerung entgehen, welche sich außerhalb der Reichweite von al Shabaab befinden. Jene, welche Abgaben an al Shabaab abführen, können ungestört leben. Kaum jemand bezahlt die Abgaben freiwillig, das Antriebsmittel dafür ist die Angst. Keine „Steuern“ zu zahlen, ist für Wirtschaftstreibende keine Option. Letztere sehen das Schutzgeldsystem zwar als unfair und illegal; angesichts von Morden an Zahlungsverweigerern bezahlen sie dann aber doch die geforderten Summen (LIB, Schutzgeld Erpressungen).
Auch der Islamische Staat in Somalia (ISIS) fordert „Steuern“ - v. a. von Wirtschaftstreibenden in städtischen Gebieten. Jene, die sich der Zahlung einer „Steuer“ widersetzen, müssen mit Gewalt rechnen. Auch in Mogadischu fordern Personen, die sich als Mitglieder des ISIS ausgeben, Steuern ein (LIB, Schutzgeld Erpressungen).
1.5.20. Bewegungsfreiheit und Relokation:
Gesetze schützen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Land und das Recht zur Ausreise. Diese Rechte sind in einigen Landesteilen eingeschränkt – v. a. durch die Unsicherheit entlang der wichtigsten Straßen, durch Checkpoints und Straßenblockaden der jeweiligen Machthaber in bestimmten Gebieten aber auch durch Kampfhandlungen. IDPs sind in den Lagern in und um Mogadischu teils strikten Beschränkungen bezüglich ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen. Davon abgesehen sind keine Einschränkungen für bestimmte Gruppen bekannt (LIB, Bewegungsfreiheit).
Überlandreisen: Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal placiert al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden. Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen. Einige Bezirke sind demnach auf Luftbrücken angewiesen.
Der durchschnittliche Somali kann eine Überlandreise antreten, muss aber mit einem gewissen Risiko rechnen, während das Risiko für Sicherheitskräfte oder Regierungsbedienstete höher ist. Trotzdem bereisen Zivilisten und Wirtschaftstreibende tagtäglich die Überlandverbindungen. Die Menschen reisen nicht uninformiert. Reisende und Fahrer versuchen ihre Reise nach neuesten sicherheitsrelevanten Informationen zu adaptieren. Überlandreisen werden bevorzugt mit Minibussen (9-Sitzer), auf Lastwägen oder aber zu Fuß unternommen. Es ist einfach, sich in Mogadischu eine solche Fahrt zu organisieren. Straßenzustand und Sicherheitsüberlegungen können den Zugang zu einzelnen Destinationen fallweise verunmöglichen. Generell können Menschen aber jedes Ziel in Süd-/Zentralsomalia erreichen. Um in kleinere Dörfer zu gelangen, muss meist in der nächstgelegenen Bezirkshauptstadt umgestiegen werden.
Al Shabaab kontrolliert den Ort Leego an der Straße zwischen Wanla Weyne und Buur Hakaba. Damit ist die Route von Mogadischu nach Baidoa für Zwecke der Regierung geschlossen; diese gilt auch für die Hauptversorgungsroute nach Baraawe. Die Verbindung von Mogadischu nach Belet Weyne ist hingegen offen, die Zahl an Reisebewegungen auf dieser Route ist zuletzt stark angestiegen. Der Teil von Buulo Barde nach Belet Weyne wurde gesäubert, und damit ist diese Hauptverbindungsstraße nach 13 Jahren wieder frei. Die Route von Belet Weyne nach Dhusamareb ist weitgehend sicher. Al Shabaab kontrolliert etwa auch an der Hauptversorgungsroute von Kismayo nach Dhobley. Al Shabaab verfügt an allen Ausfallstraßen aus Kismayo – sowohl in Richtung Jamaame, als auch in Richtung Dhobley oder Kolbiyow – über Checkpoints. Generell kann es an den Straßenverbindungen in der Region Lower Juba zu Übergriffen durch al Shabaab kommen. Dies gilt auch in der Region Gedo für die Verbindungen südlich von Garbahaarey. Dahingegen kommt es im Gebiet zwischen Doolow und Luuq nur selten zu Zwischenfällen. In Bakool kommt es entlang der Verbindungsstraßen zwischen Waajid, Yeed und Ceel Barde nur selten zu Zwischenfällen. Die Verbindungen von und nach Xudur unterliegen wiederkehrenden Angriffen von al Shabaab, Xudur ist von al Shabaab eingekreist. In Bay bzw. Lower Shabelle kann es an der Route von Baidoa nach Mogadischu zu Übergriffen durch unterschiedliche Akteure kommen. Al Shabaab hat Zugriff auf die gesamte Straße, sie kontrolliert die Verbindung von Baidoa nach Buur Hakaba und weiter nach Bali Doogle. Rund um Baidoa betreibt die Gruppe Straßensperren (LIB, Bewegungsfreiheit).
Straßensperren: In ganz Süd-/Zentralsomalia gibt es Straßensperren (Checkpoints), an welchen Fahrzeuge aufgehalten und Personen kontrolliert werden. Prinzipiell geht es an einer Straßensperre um die Einhebung von Wegzoll, wobei die Höhe des Zolls mitunter willkürlich ist. Es gibt permanente und ad hoc Straßensperren, betrieben von Sicherheitskräften, al Shabaab oder Clanmilizen. Häufig kommt es an Checkpoints zwischen Clanmilizen, aber auch mit und unter staatlichen Einheiten, die sich um die Kontrolle und um Einnahmen streiten, zu kämpfen (LIB, Bewegungsfreiheit).
In Mogadischu gibt es mehrere Hundert permanente oder mobile Kontrollpunkte, dadurch wird die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dort werden keine offiziellen Gebühren eingehoben, es kann aber zur Forderung nach Bestechungsgeldern kommen. Gemäß neueren Angaben wurde die Mehrzahl der Checkpoints innerhalb des Stadtgebietes geräumt (Ausnahme: in den Bereichen wichtiger Infrastruktur wie der Villa Somalia, des Parlamentsgebäudes, dem Flughafen u. a.). Einschränkungen ergeben sich durch Sicherheitsmaßnahmen zu besonderen Anlässen wie Staatsbesuchen, die teilweise wichtige Straßenzüge für den zivilen Verkehr unpassierbar machen. Die Dauer dieser Auswirkungen ist unterschiedlich: von mehreren Stunden bis zu mehreren Tagen. Clanälteste, Bundes- und Bundesstaatsminister sowie Abgeordnete können sich in der Stadt nicht ohne Leibwächter frei bewegen. Insgesamt können sich Menschen in Mogadischu aber unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit frei bewegen und sich niederlassen (LIB, Bewegungsfreiheit).
Frauen: Es ist nicht ungewöhnlich, alleine reisende ältere Frauen anzutreffen. Dahingegen wird vermieden, jüngere Frauen ohne Begleitung auf Reisen zu schicken – v. a. aufgrund der Gefahr sexueller Gewalt. Bezüglich dieser besteht für Frauen an Straßensperren ein erhöhtes Risiko (LIB, Bewegungsfreiheit).
Straßensperren von al Shabaab: Das Netzwerk an Straßensperren bzw. Checkpoints bleibt stabil, es ist auch für einen großen Teil der Einnahmen von al Shabaab verantwortlich. Die Gruppe betreibt über 100 Checkpoints in Süd-/Zentralsomalia. In ländlichen Gebieten der gesamten Südhälfte Somalias ist jederzeit mit spontan errichteten Checkpoints der al Shabaab zu rechnen. Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten. Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von al Shabaab zu stoßen. Straßensperren zielen in erster Linie auf die Einhebung von Steuern und Abgaben ab, und in zweiter Linie darauf, Spione zu identifizieren. Generell ist es weder Ziel von al Shabaab, Menschen am Reisen zu hindern, noch sind Reisende selbst ein Ziel. Menschen können z.B. aus den Gebieten von al Shabaab in Städte reisen, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen. Ein Bericht über die „Besteuerung“ von Straßenverkehr und Gütern an Checkpoints der al Shabaab zeigt, dass der Verkehr in Süd-/Zentralsomalia aus, in und durch das Territorium der al Shabaab möglich ist. Die Studie dokumentiert mehr als 800 Fahrzeuge, die im Zeitraum Dezember 2020 bis Oktober 2021 in Lower und Middle Juba, Lower Shabelle, Bay, Bakool und Gedo unterwegs waren. Passagierfahrzeuge müssen an Straßensperren der al Shabaab nur einen vergleichsweise geringen Betrag abführen.
Allerdings verhält sich al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden. Gebühren werden eingehoben, die Identität aller Reisenden wird verifiziert. Al Shabaab kennt den Hintergrund vieler Menschen, ihr Nachrichtendienst ist effizient. Wenn also eine Person in eine solche Kontrolle gerät und über diese Person im Rahmen der ausführlichen Netzwerke der al Shabaab eine Meldung vorliegt, dass diese Person z. B. vor ein paar Monaten negativ aufgefallen ist, dann kann dies zu Repressalien führen. Angst vor al Shabaab müssen in erster Linie jene Reisenden haben, die öffentlich Bedienstete sind oder die Verbindungen zur Regierung haben. Außerhalb größerer Städte können sie jederzeit auf eine Straßensperre von al Shabaab treffen. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Dies gilt insbesondere an Straßensperren in jenen Gebieten, die nicht vollständig unter Kontrolle von al Shabaab stehen. Dort dürfen Spione standrechtlich – ohne Verfahren – exekutiert werden. In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab werden Verdächtige i.d.R. verhaftet und vor Gericht gestellt. Auch dies hat - bei einem Schuldspruch - den Tod zur Folge. Außerdem kann es Personen treffen, die von al Shabaab – etwa wegen des Mitführens von bestimmten Objekten (Smartphones, Regierungsdokumente, Symbole, die mit der Regierung assoziiert werden etc.) – als mit der Regierung in Zusammenhang stehend oder als Spione verdächtigt werden. Auch Reisende, die im Gebiet der Reisebewegung weder über Familien- noch Clanverbindungen verfügen, können von al Shabaab unter Umständen als Spione verdächtigt werden (außer sie haben einen Bürgen). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Reiseziel der Person im von der al Shabaab kontrollierten Gebiet liegt.
Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab an solchen Straßensperren kein Problem dar. Allerdings ruft westliches Verhalten oder westliche Kleidungsart Sanktionen hervor – etwa Auspeitschen. Reisende passen sich daher üblicherweise den Kleidungs- und Verhaltensvorschriften von al Shabaab an, um nicht herauszustechen (LIB, Bewegungsfreiheit).
Ausweichmöglichkeiten und Binnenmigration: Innerstaatliche Fluchtalternativen bestehen jedenfalls für einen Teil der somalischen Bevölkerung. Im Fall einer nicht durch individuelle Verfolgung begründeten Flucht aus von al Shabaab kontrollierten Gebieten bieten urbane Zentren und ländliche Gebiete unter staatlicher Kontrolle relativ größere Sicherheit. Dabei ist es schwierig, relativ sichere Zufluchtsgebiete pauschal festzulegen, denn je nach Ausweichgrund und persönlichen Umständen ist eine Person möglicherweise in einem anderen Gebiet Somalias dann von anderen Menschenrechtsverletzungen oder Verletzungen des humanitären Völkerrechts bedroht. Die soziale und wirtschaftliche Integration in „clanfremden“ Gebieten kann zum Teil schwierig sein.
Menschen aus Süd-/Zentralsomalia können sich auch in Somaliland und Puntland ansiedeln. Dort werden sie jedoch nur „halb“ akzeptiert, in Somaliland kommen ihnen keine Staatsbürgerrechte zu. Trotzdem herrscht in Somaliland und Puntland (außer in den umstrittenen Gebieten) mehr Freiheit. Üblicherweise genießen Somalis außerdem den Schutz ihres eigenen Clans, weshalb man davon ausgehen kann, dass sie in Gebieten, in denen ihr Clan Einfluss genießt, grundsätzlich in Sicherheit sind. Selbst IDPs tun sich bei einer Integration leichter, wenn sie z. B. in Mogadischu über Beziehungen und Clanverbindungen verfügen. Manchmal helfen bei einer Integration auch spezielle berufliche Fähigkeiten. Zudem gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. In Mogadischu und anderen großen Städten ist es nicht automatisch nachvollziehbar, welchem Clan eine Person angehört. Dort leben Angehörige aller somalischen Clans, sie können sich dort frei bewegen und auch niederlassen.
Generell hat die Binnenmigration seit 2012 stark zugenommen, v. a. der Zuzug in urbane Gebiete. Menschen erhoffen sich in der Stadt eine bessere Zukunft und bessere Lebensbedingungen als etwa auf dem Land, wo wiederkehrende Dürren und Überschwemmungen ein nomadisches oder landwirtschaftliches Leben schwer gemacht haben. Immer mehr Menschen flüchten und kommen nach Mogadischu (LIB, Bewegungsfreiheit).
Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Regierungsvertreter nutzen das Flugzeug, wo es nur geht. Von Mogadischu aus können Baidoa, Kismayo, Garoowe, Galkacyo, Bossaso, Cadaado und Guri Ceel mit Linienflügen erreicht werden. Anbieter ab Mogadischu gibt es auch für Flüge nach Cabudwaaq, Belet Weyne und Dhobley. Die Kosten für ein One-Way-Ticket im Binnenflugverkehr belaufen sich auf 100-150 US-Dollar(LIB, Bewegungsfreiheit)..
Eine effektive Ausreisekontrolle an den Grenzübergängen von Somalia in die Nachbarländer findet nicht statt. Sowohl die Landgrenze als auch die Seegrenze werden weitgehend nicht überwacht. Kontrollen werden dagegen bei Flugreisen ab Mogadischu, Garoowe und Bossaso durchgeführt (LIB, Bewegungsfreiheit).
1.5.21. Meldewesen und Staatsbürgerschaft:
Es gibt in Somalia kein Personenstandswesen und auch keine Institution oder Behörde, die sich mit dem Meldewesen befassen würde. Somalische Behörden haben keinen Überblick über die eigene Bevölkerung, Bürger werden normalerweise nur dann registriert, wenn sie einen Reisepass beantragen. Zudem gibt es weder Fahndungs- noch Strafregister. Die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt oft nur durch den Ältestenrat eines Dorfes oder durch Verwandte bzw. Bekannte. Auch an Checkpoints wird nicht nach einem Personalausweis gefragt, sondern es wird der Clanhintergrund festgestellt.
Schon vor 1991 und erst recht nach 1991 wurden in Somalia geborene Personen nie offiziell registriert, und auch jetzt werden Geburten nur in sehr geringem Ausmaß behördlich registriert. Eine Geburtsurkunde ist de facto nur für die Ausstellung eines Reisepasses oder aber bei einer formellen Anstellung notwendig. Daher gibt es für die Bevölkerung kaum einen Anreiz, die Geburt eines Kindes erfassen zu lassen. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige in Süd- und Zentralsomaliaund Puntland zu erhalten. Zustellungen sind nicht möglich.
Generell ist das Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 weiterhin in Kraft. Die Übergangsverfassung sieht allerdings vor, dass es hinsichtlich der Definition, wie jemand an die somalische Staatsbürgerschaft gelangt und wie er diese aussetzt oder verliert, ein Gesetz geben soll. Allerdings wurde ein solches Gesetz noch nicht geschaffen, und es gibt daher keine neue Definition. Die somalische Staatsbürgerschaft wird daher weiterhin mit der Geburt erlangt, wenn der Vater Somali ist. Vor 1991 galt, dass jeder Abkomme eines männlichen Somali somalischer Staatsbürger ist - unabhängig davon, wo diese Person herstammt. Als Somali wird hier definiert, wer durch Herkunft, Sprache oder Tradition zur somalischen Nation gehört – wer also ethnischer Somali ist. Daher ist es auch nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob diese ethnisch Somali ist.
Somalische Behörden betrachten demnach auch Somali, die eigentlich kenianische oder äthiopische Staatsbürger sind, als somalische Staatsbürger. In beiden Ländern gibt es substanzielle Gruppen ethnisch somalischer Nomaden, und es ist unrealistisch, eine klare Linie zu ziehen und einzelne Familien auf der einen oder auf der anderen Seite der Grenze endgültig zu lokalisieren. Folglich können auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia somalische Reisepässe erhalten. Auch weiterhin erhalten Kinder somalischer Väter bei der Geburt die Staatsbürgerschaft; Kinder somalischer Mütter können die Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren erhalten. In einer anderen Quelle wird die Weitergabe durch die Mutter nicht erwähnt. Dahingegen erlangt eine Frau automatisch die somalische Staatsbürgerschaft, wenn sie einen Somali heiratet; umgekehrt ist dies nicht der Fall. Angehörige von Minderheiten werden aus rechtlicher Sicht ebenso als vollwertige Staatsbürger erachtet. Nach anderen Angaben kann es für Angehörige ethnischer Minderheiten mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie als Flüchtlings außerhalb Somalias aufgewachsen sind. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse.
Seit 2004 bzw. 2012 werden Doppelstaatsbürgerschaften formell akzeptiert, obwohl das Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 nicht überarbeitet worden ist und dieses Doppelstaatsbürgerschaften formell verbietet. In der Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 steht etwa in Artikel 8: Einem somalischen Staatsbürger kann die somalische Staatsbürgerschaft nicht entzogen werden, auch wenn er Staatsbürger eines anderen Staates wird. Viele politisch Führer und ein großer Teil der Parlamentsabgeordneten sind Doppelstaatsbürger – Doppelstaatsbürgerschaften werden also de facto akzeptiert. Während die provisorische Verfassung aus dem Jahr 2012 diese Auffassung unterstützt, sprechen nach wie vor bestehende Gesetze aus dem Jahr 1962 dagegen.
Unklar ist, ob das Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft überhaupt jemals durchgesetzt worden ist – also auch vor dem Zusammenbruch staatlicher Institutionen im Jahr 1991. Somalia erachtet natürlich auch alle in Somaliland lebenden Somali als somalische Staatsbürger, während Somaliland sie als somaliländische Staatsbürger erachtet. Zudem kämpft das Land mit einer ungelösten Debatte zur Staatsbürgerschaft in Zusammenhang mit dem föderalen System. Es bleibt unklar, wer in welchem Bundesstaat welche Rechte hat und dort auch leben darf. Denn die Übergangsverfassung aus dem Jahr 2012 sieht zwar vor, dass das Staatsbürgerschaftswesen durch die Bundesregierung verwaltet wird; jedoch haben mehrere Bundesstaaten eine eigene Staatsbürgerschaft eingeführt (z. B. Puntland) oder
aber die Verwaltung an sich gerissen (z. B. der SWS) (LIB, Meldewesen und Staatsbürgerschaft).
1.5.22. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:
Die somalische Regierung arbeitet mit dem UNHCR und IOM zusammen, um Flüchtlinge, zurückkehrende Flüchtlinge, Asylwerber, Staatenlose und andere relevante Personengruppen zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung.
IDP-Zahlen: Rund 2,9 Millionen Menschen gelten als intern Vertriebene, davon sind ca. 1,9 Millionen Kinder. Im Jahr 2022 wurden mehr als 1,8 Millionen Menschen neu vertrieben (2021: 874.000), davon flohen 607.000 vor Konflikten (2021: 544.000) und 1,179.000 in Zusammenhang mit der anhaltenden Dürre (2021: 245.000). Überflutungen stellten 2022 so gut wie keine Quelle an IDPs dar. Es gibt mehr als 2.400 IDP-Lager in Somalia. Die Migration vom Land in die Stadt hat zu einem enormen und unregulierten Städtewachstum geführt. Hinsichtlich der IDP-Zahlen müssen zwei Faktoren berücksichtigt werden: Einerseits gibt es für Somalia keine Zahlen zur „normalen“ Urbanisierung. Andererseits werden i.d.R. nur jene IDPs gezählt, die in Lagern wohnen. Mitglieder großer Clans kommen aber üblicherweise bei Verwandten unter und leben daher nicht in Lagern. In Städten wurde die Urbanisierung durch den Zuzug vieler IDPs verstärkt. Dies hat zu einer hohen Nachfrage nach Land aber auch zu nochmaligen Zwangsräumungen geführt. So leben etwa in Baidoa mittlerweile mindestens 600.000 Vertriebene - deutlich mehr als die Stadt Einwohner hat (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
Somalia verzeichnet eine der höchsten Urbanisierungsraten der Welt, und manche bezeichnen Baidoa als die am schnellsten wachsende Stadt Afrikas – wegen der Dürre. Allerdings ist die Zahl dieser Zwangsräumungen seit 2019 rückläufig. Im ersten Quartal 2022 wurden ca. 31.000 IDPs zwangsweise vertrieben. Zehntausende IDPs wurden auch 2021 vertrieben - v.a. in Mogadischu. Im Jahr 2020 waren es insgesamt 143.000 gewesen - zwei Drittel davon im Großraum Mogadischu, außerdem auch in Baidoa und Kismayo. Insgesamt bleiben Zwangsräumungen von IDPs und armer Stadtbevölkerung ein Problem. Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen. Die Mehrheit der betroffenen Menschen zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke der Städte, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt. Generell befinden sich derartige Relocation Areas am Stadtrand oder sogar weit außerhalb der jeweiligen Stadt. Allerdings bieten diese Lager wesentlich bessere Unterkünfte - etwa Häuser aus Wellblech oder sogar Stein (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
Rechtliche Lage: Ende 2019 hat die Bundesregierung die Konvention der Afrikanischen Union zum Schutz von IDPs ratifiziert. Die Regionalverwaltung von Benadir (BAR) hat ein Büro für nachhaltige Lösungen für IDPs geschaffen. Auch eine nationale IDP-Policy wurde angenommen. Im Jänner 2020 präsentierte die BAR eine Strategie für nachhaltige Lösungen. Diesbezüglich wurden nationale Richtlinien zur Räumung von IDP-Lagern erlassen. Insgesamt sind dies wichtige Schritte, um die Rechte von IDPs zu schützen und nachhaltige Lösungen zu ermöglichen.
Menschenrechte: IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen
ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nicht-staatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung. Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen. Weibliche und minderjährige IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung bzw. Missbrauch besonders gefährdet. Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
Versorgung: In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten. Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v. a. in Benadir, dem SWS und Jubaland. Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften. Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Oft wurde dort auch eine Nachbarschaftshilfe aufgebaut. Trotzdem werden noch weniger Kinder von IDPs eingeschult, als es schon bei anderen Kindern der Fall ist (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
Unterstützung: Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen. Organisationen wie IOM versuchen, durch eine Umsiedlung von IDPs auf vorbereitete Grundstücke einer Zwangsräumung zuvorzukommen. So wurden z.B. in Baidoa 2019 1.000 IDP-Haushalte aus 15 Lagern auf mit der Stadtverwaltung abgestimmte Grundstücke umgesiedelt. Dort wurden zuvor Latrinen, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung und andere Infrastruktur installiert. Auch zwei Polizeistationen wurden gebaut. Den IDPs wurden außerdem Gutscheine für Baumaterial zur Verfügung gestellt. Im März 2021 konnte IOM knapp 7.000 IDPs aus Baidoa in das IDP-Lager Barwaaqo übersiedeln, wo schon 2019 mehr als 6.000 IDPs angesiedelt worden waren. Das Land für dieses Lager wurde von der Lokalverwaltung zur Verfügung gestellt. In Barwaaqo bekommen Familien ein Stück Land, auf dem eine Unterkunft errichtet und ein Garten betrieben werden kann. Die Familien erhalten zudem finanzielle Unterstützung. Zwei Jahre nach der Umsiedlung erhalten die Familien dann auch Rechtsanspruch auf den von ihnen genutzten Grund. Im November 2021 hat der SWS mehr als 4.300 Landbesitzurkunden im Neuansiedlungsgebiet Barwaaqo (Baidoa) ausstellt. In einem Medienbericht wird erklärt, dass 20.000 IDPs in Baidoa auf Boden wohnen, der ihnen übereignet worden ist (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
In Galkacyo wurden für weitere 100 IDP-Familien Häuser gebaut. Das zugehörige 225 Quadratmeter große Grundstück gehört jeweils dazu. Das Projekt wurde von Galmudug gemeinsam mit UNHCR umgesetzt. In Baraawe hat eine Hilfsorganisation 150 Häuser und mehrere Wasserstellen für IDPs gebaut. Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt. Im März 2022 startete die Bundesregierung gemeinsam mit den UN ein vier-Jahres-Programm namens Saameynta. Mit diesem Programm soll mehr als 75.000 IDPs und Aufnahmegemeinden in Baidoa, Belet Weyne und Bossaso geholfen werden. Vor allem sollen die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe und die Armut reduziert sowie die Integration der IDPs in den Städten gefördert werden. Das Programm umfasst den Zugang zu Wasser, Unterkunft und medizinischer Versorgung. IOM setzt das Programm in Partnerschaft mit der Bundesregierung, UNDP und UNHABITAT um. Die Situation von IDPs in Puntland wird von NGOs als durchaus positiv beschrieben, sie können z.B. geregelter Tätigkeit nachgehen. Es gibt Anzeichen dafür, dass in Puntland aufhältige IDPs aus anderen Teilen Somalias dort permanent bleiben können und dieselben Rechte genießen wie die ursprünglichen Einwohner(LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
Flüchtlinge: Die Zahl ausländischer Flüchtlinge wird als sehr gering eingeschätzt. Im April 2022 befanden sich ca. 33.000 Flüchtlinge und Asylwerber im Land, etwa die Hälfte davon in Somaliland. Sie stammen fast zur Gänze aus Äthiopien (68,5 %), dem Jemen (27,5 %) und Syrien (3,5 %). Asylwerbern aus dem Jemen wird prima facie der Asylstatus zuerkannt. Der UNHCR betreibt ein Unterstützungs- und Integrationsprogramm zur möglichst schnellen Eingliederung von Flüchtlingen in das öffentliche Leben (LIB, Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge).
1.5.23. Grundversorgung/Wirtschaft:
Mehrere Schocks haben die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung des Landes unterminiert, darunter Überschwemmungen, eine Heuschreckenplage und die Covid-19-Pandemie. Die somalische Wirtschaft hat sich allerdings als resilienter erwiesen, als zuvor vermutet: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 % prognostiziert worden, tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 % geworden, nach anderen Angaben sogar nur 0,1 %. Für 2021 war ein Wachstumvon 2,4 % prognostiziert, geworden sind es dann 2,9 %. Für das Jahr 2022 prognostiziert die Weltbank ein Wachstum von 3,2 % (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Erholung sind Remissen und anhaltende Investitionen. Ein resilienter Privatsektor und starke Remissen aus der Diaspora bleiben Grundlage für Optimismus. Zudem gibt es unentwickelte Möglichkeiten aufgrund der Urbanisierung, sowie auf den Gebieten neuer Technologien, Bildung und Gesundheit. Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können. Der Bevölkerungszuwachs nivelliert das Wirtschaftswachstum und hemmt die Reduzierung von Armut. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 875 US-Dollar. Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt. Landwirtschaft, Handel, Kommunikation und mobile Geldtransferdienste tragen maßgeblich zum BIP bei; alleine die Viehwirtschaft macht rund 60 % des BIP und 80 % der Exporte aus (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft)..
Staatshaushalt: Die Regierung ist stark abhängig von externer Hilfe. Ein Großteil der Regierungsausgaben wird durch externe Akteure bezahlt. Selbst für grundlegende Staatsausgaben ist das Land auf externe Geber angewiesen. Von den Bundesstaaten gelingt es neben Puntland nur Jubaland, ein relevantes Maß an Einnahmen selbst zu generieren.
Arbeitsmarkt: Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. Ca. 95 % der Berufstätigen arbeiten im informellen Sektor. In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort ab. Das Unternehmertum spielt in der somalischen Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Schätzungen zufolge werden alleine dadurch mehr als drei Viertel aller Arbeitsplätze geschaffen. Zum einen sind Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge und zurückkehrende Flüchtlinge in Süd-/Zentralsomalia limitiert sind, zum anderen fallen die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse. Am Arbeitsmarkt spielen Clanverbindungen eine Rolle. Gerade, um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde. Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen. Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden. Außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem gibt es Ausbeutung und Unterbezahlung. Die von der EU finanzierte Dalbile Youth Initiative wurde im August 2020 gestartet und läuft weiter fort. Mit diesem Programm wird das Leben von ca. 5.000 jungen Menschen verändert werden, durch Unternehmertum, soziale Unternehmungen, Management Training, Mentorship, Ausbildung und Geldern für Start-ups. Ein Programm von IOM unterstützt Jugendliche dabei, neue Fähigkeiten zu erwerben, die auf dem Arbeitsmarkt von Vorteil sind – etwa als Schneider, Installateur oder Elektriker. In Baidoa und Kismayo wurden 300 Jugendliche finanziell unterstützt, um bei lokalen Firmen Berufspraktika absolvieren zu können. Die meisten der Absolventen des Programms können danach ihren Lebensunterhalt mit eigenem Einkommen finanzieren (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Einkommen, Tätigkeiten: An Arbeitstätigkeiten genannt werden: Träger am Bau, Arbeiten am Hafen, Köhler, Hilfsarbeiter am Bau, Koranlehrer, Rickshaw-Fahrer, Transporteur mit einer Eselkarre, Transporteur mit einer Scheibtruhe, Arzt, Krankenschwester, Universitätslektor, angestellte und selbstständige Überlandfahrer, Fleischverkäufer, Magd, Hausangestellte, Wäscherin, Marktverkäuferin. In der Verwaltung sind nur wenige Stellen verfügbar. Besser stellt sich die Situation bei Polizei und Armee dar. Viele Menschen leben vom Kleinhandel oder von ihrer Arbeit in Restaurants oder Teehäusern. Allerdings ist eine Arbeit in der Gastwirtschaft mit niedrigem Ansehen verbunden. Die Mehrheitsbevölkerung ist derartige Tätigkeiten sowie jene auf Baustellen äußerst abgeneigt. Dort finden sich vielmehr marginalisierte Gruppen – z. B. IDPs – die oft auch als Tagelöhner arbeiten. Weibliche IDPs arbeiten als Mägde, Hausangestellte oder Wäscherinnen. Manche verkaufen Früchte auf Märkten. Durch den Niedergang der Landwirtschaft, der maßgeblich durch die Dürre verursacht worden ist, ist auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft gesunken bzw. haben sich die Löhne dort verringert. Ungelernten Arbeitskräften stehen Jobs wie etwa als Reinigungskraft, Träger oder im Zustelldienst, als Ziegelmacher, Wäscherin oder auchals Buchhalter zur Verfügung. Oft werden derartige Jobs aber von Arbeitgebern an eigene Verwandte vergeben. Zu finden sind Jobs meist über die eigene Verwandtschaft oder persönliche Netzwerke. Es gibt aber auch Websites zur Arbeitsvermittlung. Gesucht werden in Mogadischu Fachkräfte in den Bereichen Medizin (Ärzte, Krankenpfleger), Hotellerie, Wirtschaft und IT (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Tagelöhner und Bettler verdienen ca. 30 Dollar im Monat, Reinigungskräfte 60 Dollar. Bauarbeiter verdienen ca. 6-10 Dollar pro Tag. Koranlehrer und Lehrer an Privatschulen verdienen ca. 120 Dollar im Monat. Eine Krankenschwester verdient ca. 200-300 dollar im Monat. In Mogadischu verdienen Soldaten, Polizisten, Installatuere und Taxifahrer ca. 350 Dollar im Monat, Kellner und Köche 300 Dollar im Monat und Zimmermädchen 180 Dollar im Monat (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Arbeitslosenquote: Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch und kann nicht exakt angegeben werden. Die Erwerbsquote liegt ca. bei 58% bei Männern und bei 37% bei Frauen und 40 Prozent bei Jugendlichen, wobei es in unterschiedlichen Quellen auch hohe Schwankungsbreiten gibt. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen in Puntland und Süd-/Zentralsomalia arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (65,6 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (13,5 %) (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Frauen: Der vor allem unter Männern vorherrschende Khat-Konsum, der im langjährigen Konflikt geforderte Blutzoll an der männlichen Bevölkerung und die hohe Scheidungsrate haben dazu geführt, dass Frauen immer mehr in ehemals männlich dominierte Wirtschaftsbereiche vorstoßen – etwa bei der Viehzucht, in der Landwirtschaft und im Handel. Frauen tragen nunmehr oft den Hauptteil zum Familieneinkommen bei. Gerade auch die Hungersnot von 2011 und die Dürre 2016/17 haben den Vorstoß von Frauen in männliche Domänen weiter vorangetrieben. In Süd-/Zentralsomalia und Puntland sind Frauen in 43 % der Haushalte mittlerweile die Hauptverdiener. Frauen spielen - außer bei den großen Betrieben - eine führende Rolle beim Unternehmertum. In Mogadischu und Bossaso sind ca. 45 % der formellen Unternehmen im Besitz von Frauen. Trotzdem bietet sich für vom Land in Städte ziehende Frauen meist nur eine Tätigkeit als z. B. Wäscherin an, da es diesen Frauen i. d. R. an Bildung und Berufsausbildung mangelt. Allerdings können sie z. B. auch als Kleinhändlerin tätig werden. Sie verkaufen Treibstoff, Milch, Fleisch, Früchte, Gemüse oder Khat auf Märkten oder auf der Straße. 80-90 % des derart betriebenen Handels wird von Frauen kontrolliert. Außerdem arbeiten Frauen in der Landwirtschaft oder sie verkaufen Kleidung und Essen. Andere arbeiten als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin, Köchin, Schneiderin, Müllsammlerin oder aber auch auf Baustellen. Viele der hunderten Straßenreiniger in Mogadischu sind Witwen und die alleinigen Geldverdiener ihrer Familien. Das höchste hier verfügbare Einkommen beträgt 150 US-Dollar im Monat, manche bekommen auch Essensrationen. Die Stadtverwaltung versucht auch, männliche Reinigungskräfte anzuwerben, hat aber wenig Erfolg. Viele Männer weigern sich demnach, solche Arbeiten zu verrichten. Natürlich gibt es für Frauen auch weiterhin kulturelle Einschränkungen bezüglich der Berufsausübung, z. B. können sie nicht Taxifahrerin werden. Sie haben hinsichtlich Einkommensmöglichkeiten eine eingeschränkte Auswahl. Von Frauen abgehaltene Workshops (z. B. Schneiderei-, Henna- und Kochkurse) in Mogadischu tragen zur Verbesserung der Situation von Frauen bei. Allerdings ist auch bekannt, dass Frauen eine geringere Aussicht auf eine Vollzeitanstellung haben (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Lebensunterhalt: Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei (62,8 %). Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel (14,1 %). 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen (etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor), 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager. Die Mehrheit der IDPs verdingt sich als Tagelöhner. Frauen gehen oft von Tür zu Tür und bieten ihre Dienste an, etwa als Wäscherinnen oder in der Hausarbeit. Männer gehen häufig auf Baustellen - die Städte werden ja wieder aufgebaut und daher braucht es auch viele Tagelöhner. Die begehrtesten Jobs sind jene auf Baustellen, wo der Verdienst höher ist als in anderen Bereichen. Es gibt auch viele Kleinstunternehmer beiderlei Geschlechts. Dabei bekommen die Menschen nicht immer einen Job, sie arbeiten z. B. nur 2-3 Tage in der Woche. Daneben gibt es humanitäre Hilfe, aber damit sind die Menschen nicht ausreichend versorgt.
Insgesamt ist das traditionelle Recht (Xeer) ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall- bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil (diya-zahlende Gruppe; auch Jilib) helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie). Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar. Aufgrund des Fehlens eines formellen Bankensystems ist die Schulden-Kredit-Beziehung (debtcredit relationship) ein wichtiges Merkmal der somalischen Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei spielen Vertrauen, persönliche und Clanverbindungen eine wichtige Rolle – und natürlich auch der ökonomische Hintergrund. Es ist durchaus üblich, dass Kleinhändler und Greißler anschreiben lassen. Zusätzlich ist es 2019 gelungen, die Gargaara Company Ltd. Zu etablieren. Über diese Institution werden Kredite an Mikro-, Klein- und mittlere Unternehmen vergeben. Gargaara spielt auch beim Abfedern von Auswirkungen der Covid-19-Pandemie eine Rolle.
Die Lebenshaltungskosten in Mogadischu liegen bei mindestens 200 US-Dollar im Monat, für mittlere Standards jedenfalls bei 300 US-Dollar, wobei die Lebenshaltungskosten zuletzt erheblich gestiegen sind (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
Remissen: Im Jahr 2020 wurden insgesamt 2,8 Milliarden US-Dollar (2019: 2,3 Milliarden) nach Somalia zurück überwiesen. Davon flossen 1,6 Milliarden an Privathaushalte (2019: 1,3 Milliarden). Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle bzw. ermöglichen sie es vielen somalischen Staatsbürgern, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei und fördern die Resilienz der Haushalte. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar. IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen.
Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist. Mindestens 65 % der Haushalte, welche Remissen beziehen, erhalten diese regelmäßig (monatlich), der Rest erhält sie anlassbezogen oder im Krisenfall. Remissen können folglich Fluktuationen im Einkommen bzw. gestiegene Ausgaben ausgleichen. Dies ist gerade in Zeiten einer humanitären Krise - etwa jener von 2017 - wichtig. Durch Remissen können Haushalte Quantität und Qualität der für den Haushalt besorgten Lebensmittel verbessern, und ein sehr großer Teil der Überweisungen wird auch für Lebensmittel aufgewendet. Zusätzlich wird in Somalia in Zeiten der Krise auch geteilt. Menschen bitten z. B. andere Personen, von welchen sie wissen, dass diese Remissen erhalten, um Hilfe (LIB, Grundversorgung und Wirtschaft).
1.5.24. Grundversorgung und humanitäre Lage:
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Die Ausmaße der historische Dürre sowie der anhaltende Konflikt mit al Shabaab verschärfen dieses Problem. Öffentliche Dienste gibt es kaum, meist finden sich Angebote wie Wasser- und Stromversorgung sowie Bildung und Gesundheitsdienste bei privaten Dienstleistern. Für viele Menschen sind derartige Dienste nur schwer oder gar nicht zugänglich. Der Gouverneur der somalischen Zentralbank erklärt, dass es für die Zurverfügungstellung eines finanziellen Sicherheitsnetzes für Bedürftige seitens der Regierung keinerlei budgetären Spielraum gibt (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Armut: Weite Teile der Bevölkerung in Somalia leiden unter Armut und Ernährungsunsicherheit. Die Weltbank schätzt, dass 71 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag sowie 10 % knapp darüber leben. Besonders stark und weit verbreitet ist Armut in ländlichen Gebieten und in den Siedlungen von Binnenvertriebenen. Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten. Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei. Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Mit jeder Dürre wurden ihre Vermögenswerte reduziert: Tiere starben oder wurden zu niedrigen Preisen verkauft, Ernten blieben aus; es fehlte das Geld, um neues Saatgut anzuschaffen. Die Zahl der Menschen, die in Somalia humanitäre Hilfe benötigen, ist im Laufe der Jahre stetig gestiegen, von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen im Jahr 2021; von 7,7 Millionen im Jahr 2022 auf derzeit 8,25 Millionen Menschen im Jahr 2023 (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Dürre, Regenfälle, Überschwemmungen: Die Gu-Regenzeit (April-Juni) 2023 brachte unterschiedliche Erträge. In Nordsomalia sowie im südlichen Gedo und in Lower Juba gab es durchschnittliche bis überdurchschnittliche Niederschläge, in den zentralen Regionen nahezu durchschnittliche bis durchschnittliche Niederschläge. Damit wurde das Ende der Dürrebedingungen in den meisten Teilen Somalias signalisiert. Die Dürre hatte mit fünf ausgefallene Regenzeiten zu einer Dezimierung von Viehbeständen und Ernten geführt, das Land stand am Rand einer Hungersnot. Die Dürre hat zum Verlust von Menschenleben und von wichtigen Nahrungs- und Einkommensquellen und damit zu schweren Schäden an der Lebensgrundlage geführt. Viele ländliche Haushalte haben eine Erosion ihrer Lebensgrundlagen und ihrer Bewältigungskapazitäten erlebt und sahen sich mit wachsenden Lücken in der Nahrungsmittelversorgung konfrontiert. Diese Faktoren haben zum Anstieg der Zahl an Menschen geführt, die aus ländlichen Gebieten in IDP-Lager geflüchtet sind. Von der Dürre waren fast 50 % der Bevölkerung betroffen.
Schon im Rahmen der Gu-Regenzeit kam es zu Überschwemmungen in Hiiraan, Middle Shabelle und Lower Shabelle. Schwere Sturzfluten verursachten in Teilen von Gedo, Bay und Bakool sowie in Teilen der nordwestlichen Regionen schwere Schäden. Menschen mussten flüchten, es kam zu erheblichen Ernteverlusten sowie Einkommensverlusten aus der landwirtschaftlichen Beschäftigung. In Belet Weyne wurden 97 % der Wasserquellen zerstört oder verseucht. Bereits im November 2022 wurde festgehalten, dass es Jahre dauern wird, bevor sich Somalia von der Dürre erholt haben wird. So werden etwa pastoralistische Haushalte in Nord- und Zentralsomalia werden mehrere Saisonen brauchen, bis sie sich von den Verlusten der jüngeren Vergangenheit erholt haben. Doch nun folgt auf die o.g. schlimmste Dürre seit 40 Jahren das Wetterphänomen El Niño, das ungewöhnlich starke Regenfälle, Gewitter und extreme Überschwemmungen mit sich bringt. El Niño wird von einem positiven Dipol im Indischen Ozean begleitet. Somalia wird von einer Flutkatastrophe heimgesucht. Schon ein Monat nach Beginn der Deyr-Regenzeit (Oktober bis Dezember) ist Somalia 2023 mit einer Überschwemmungskatastrophe konfrontiert). Die Regenmenge und –intensität war in den Regionen Hiiraan, Bakool, Bay und Gedo sowie im Bezirk Saakow (Middle Juba) schon im Oktober 2023 außergewöhnlich hoch. In mehreren Gebieten fielen innerhalb von sieben Tagen bis zu 300 mm Niederschlag – weit mehr, als üblicherweise in der gesamten Regenzeit. Sowohl der Juba als auch der Shabelle fühtren Hochwasser. Im November 2023 waren von den Überschwemmungen 1,69 Millionen Menschen betroffen, 654.000 mussten fliehen, 40 Menschen kamen zu Tode und knapp 6.000 Häuser waren beschädigt oder zerstört. In Belet Weyne waren 90 % der Stadt überschwemmt. Ackerland, Vieh und Infrastruktur (etwa die Juba-Brücke von Buurdhuubo und eine Brücke bei Baardheere) wurden vernichtet. Schätzungen zufolge könnten schlussendlich 4,3 Millionen Menschen Hunger leiden, nicht zuletzt, weil 1,5 Millionen Hektar Ackerland und damit auch die landwirtschaftliche Produktion betroffen sein werden, nicht zuletzt auch aufgrund der Zerstörung von Pumpen, Kanälen und Bewässerungsrohren.
Humanitäre Organisationen, Behörden und lokale Gemeinschaften haben die Hilfe für die betroffenen Menschen verstärkt. Bis Ende November 2023 konnten bereits 820.000 Betroffene erreicht werden. Auch z.B. CARE hat auf die Katastrophe reagiert und ein Programm zur finanziellen Unterstützung von 198.000 Personen ausgerollt.
Überschwemmungen und Dürre stellen für Somalia kein neues Phänomen dar. Immer spielt Wasser eine Rolle: Entweder gibt es zu viel davon, oder zu wenig. Derartige Katastrophen ereignen sich seit Jahrzehnten. Im Zuge der Dürre im Jahr 1973 in Nordsomalia wurden mehr als 100.000 Familien nach Lower Shabelle und in die Juba-Regionen übersiedelt. Bei der Hungersnot in den Jahren 1991-1992 starben 300.000 Menschen, im Jahr 2011 mehr als 260.000 – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Somalia ist hinsichtlich des Klimawandels das am zweitstärksten vulnerable Land der Welt und ist dementsprechend als Frontstaat zu bezeichnen. Das Land hat in Ostafrika bislang den größten Temperaturanstieg zu verzeichnen. Seit 1990 war das Land mehr als 30 klimabedingten Gefahren ausgesetzt, darunter Dürren und Überschwemmungen. Das ist eine Verdreifachung gegenüber dem Zeitraum zwischen 1970 und 1990 (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Preise: Die Getreideproduktion der Gu-Saison 2023 lag in Südsomalia um 34 % unter dem langjährigen Durchschnitt, im Nordwesten sogar um 60%. Das niedrige Produktionsniveau ist das Ergebnis einer Kombination von Faktoren, darunter unterdurchschnittliche Niederschläge, Unsicherheit, Überschwemmungen, Schädlinge und ein Mangel an landwirtschaftlichen Betriebsmitteln. Der Somalische Shilling ist im Allgemeinen stabil. Die Inflation liegt im Jahr 2023 bei 4,2 %, 2024 bei 4,0 %. Seit Juli 2023 sind die Preise für Mais und Sorghum aufgrund des gestiegenen Angebots aus der Gu-Ernte 2023 auf ein Niveau unter dem Vorjahresniveau gesunken und liegen derzeit nahezu im Durchschnitt. Die Preise für importierte Lebensmittel haben sich im vergangenen Jahr auf den meisten Märkten aufgrund des ausreichenden Angebots stabilisiert oder sind gesunken, sie bleiben über dem Fünfjahresdurchschnitt. Somalia gehört weltweit zu den Ländern mit der größten Rate an Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Ca 3,9 bis acht Millionen Menschen, überwiegend Kinder, benötigen Unterstützung im Hygienebereich und bei der Wasserversorgung. Die mäßigen bis starken Gu-Regenfälle (April–Juni) 2023 haben auch den Zugang zu Wasser und Weideland verbessert und den Menschen eine gewisse Erleichterung gebracht. Die Wasserpreise sind teils um etwa 40 % gesunken. Bereits mit Stand Feber 2023 hatten die Pegelstände in den Flüssen Juba und Shabelle wieder annähernd Normalniveau erreicht. Mit der Gu-Regenzeit 2023 hat sich der Zustand des Weidelandes deutlich verbessert. Spätestens für Ende 2023 wird sich das Weideland in ganz Somalia erholt haben. Die Dürre hat mindestens ein Drittel des Viehbestands in Somalia vernichtet. Seit Mitte 2021 sind rund 3,8 Millionen Stück Vieh umgekommen. Die Viehwirtschaft hat bis dahin maßgeblich zur Versorgung der Familien – mit Milch und Fleisch – beigetragen.
Zudem finden sich in der Viehwirtschaft 90 % der informellen Beschäftigten und Vieh bildet 90 % der Exporte des Landes. Die Dürre hatte also akute Auswirkungen auf die Lebensgrundlage von Haushalten. In den meisten Fällen kam es zu einem vollständigen oder nahezu vollständigen Verlust der Viehbestände und zu erheblichen Unterbrechungen landwirtschaftlicher Aktivitäten. 40 % der im Rahmen einer Studie befragten Haushalte verfügten vor der Dürre über ein landwirtschaftliches Einkommen. Danach waren es 12 %. Auch der Verkauf von Produktionsgütern wie Vieh ist überall deutlich zurückgegangen, von 16 % auf 3 % (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Fluchtbewegungen aufgrund von Dürre: Im Jahr 2022 sind in Süd-/Zentralsomalia 1,179.000 Menschen aufgrund der Dürre vertrieben worden. 2023 waren es Stand November 528.000; die meisten diesbezüglich Vertriebenen stammen aus den Regionen Bay (152.000), Lower Shabelle (109.000), Gedo (90.000), Bakool (62.000), Middle Juba (29.000), Bari (24.000) und Lower Juba (19.000). Die wenigsten Menschen flohen aus Woqooyi Galbeed (Somaliland; 0), Benadir (900), Nugaal (1.000), Galgaduud (2.000) und Sanaag, Sool und Togdheer (Somaliland, je 4.000) sowie Awdal (Somaliland; 6.000) (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Hunger, Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot]. Mit Stand September 2023 befanden sich ca. 2,8 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (17 % der Bevölkerung); ca. 920.000 in Stufe 4 (5 %) und keine in Stufe 5 (Hungersnot). Zusammen mit den rund 5,6 Millionen in IPC 2 ist die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 17 Millionen Menschen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Knapp 1,8 Millionen Kinder leiden an Unterernährung. Humanitäre Hilfe verhindert in vielen Bereichen eine Verschlechterung der Ernährungssicherheit und der Ernährungslage. Im Zeitraum August-September 2023 besonders betroffen war das Küstengebiet von Zentralsomalia sowie Laascaanood (IPC 4). Die meisten pastoralen und agropastoralen Lebensräume [livelihoods] in den nördlichen und zentralen Regionen; die agro-pastoralen in ganz Somalia; sowie die Flusslebensräume in Hiiraan, Middle Shabelle, Lower Shabelle und Gedo werden auf Krisenniveau eingestuft (IPC 3); dies gilt auch für die meisten der wichtigsten IDP-Lager im Land. Die meisten städtischen Bevölkerungsgruppen stehen demnach unter Stress (IPC 2). Die Stadtbevölkerung ist oft von IPC 3 oder IPC 4 anteilig weniger betroffen als Menschen in ländlichen Gebieten. Generell finden sich unter IDPs mehr Personen, die unter Ernährungsunsicherheit sowie an Mangel- oder Unterernährung leiden.
Für das Jahr 2022 gab es ca. mit ca. 43.000 Hungertote – die Hälfte davon Kinder unter fünf Jahren. Am stärksten betroffen waren die Regionen Bay, Bakool und Benadir. V.a. Bay und die dortige Hauptstadt Baidoa waren massiv betroffen. Zu den 500.000 Einwohnern der Stadt kamen 600.000 Menschen aus dem Umland. Für das Jahr 2023 wurde bereits im März eine Übersterblichkeit von 18.000-34.000 prognostiziert eine andere Quelle schätzt die Zahl an Menschen, die im ersten Halbjahr 2023 aufgrund der Dürre gestorben sind, auf 135 pro Tag. Die Situation hinsichtlich akuter Unterernährung hat sich im Vergleich zu 2022 im Allgemeinen verbessert. Für den Zeitraum August 2023 bis Juli 2024 wird die Zahl an Kindern unter 5 Jahren, die an akuter Unterernährung leiden, auf ca. 1,5 Millionen geschätzt; davon 330.630 mit schwerer Unterernährung. Auch bei IDPs ist die Quote an Unterernährten zurückgegangen – namentlich in Mogadischu, Baidoa und in Hiiraan. Von Gu 2022 bis Gu 2023 konnten die Zahl von an akuter Unterernährung betroffenen Kindern unter fünf Jahren um 19 % gesenkt werden, jene der Kinder mit schwerer Unterernährung um 36 % (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
In den meisten Gebieten Somalias, die nicht von Überschwemmungen betroffen waren, wirkten sich die reichlichen Niederschläge während des Deyr weitgehend positiv auf die Pflanzen- und Viehproduktion aus und trugen zu einer anhaltenden allmählichen Erholung von der historischen Dürre 2020–2023 bei. Arme Haushalte kämpfen in vielen von der Dürre betroffenen Gebieten immer noch mit einer verringerten Vermögensbasis und einer ungewöhnlich hohen Verschuldung. Daher dürften viele arme Haushalte bis Januar weiterhin mit Versorgungsengpässen bei Nahrungsmitteln zu kämpfen haben, wobei die Folgen des Notfalls (IPC-Phase 4) wahrscheinlich anhalten werden. Im Zeitraum Februar bis Mai wird in den Flussgebieten eine Verbesserung der Krisenergebnisse (IPC-Phase 3) erwartet, nachdem seit Dezember mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und der Zugang zu wildem Fisch, Gemüse und Obst verbessert wurde. Viele arme Haushalte werden jedoch weiterhin mit Versorgungsengpässen bei Nahrungsmitteln konfrontiert sein, da die Ernte schrittweise erfolgt und die meisten ihrer Produkte zur Schuldentilgung verkauft werden.
Agropastorale Gebiete profitierten im Allgemeinen von den durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Deyr-Niederschlägen. In einigen Gebieten, die von starken Regenfällen und Überschwemmungen betroffen sind, ist es jedoch wahrscheinlich, dass die Ernte erst im Februar/März 2024 erfolgt, was die Trockenzeit verlängert. Trotz der Verbesserung des Zugangs zu Nahrungsmitteln und des Einkommens aus der Pflanzen- und Tierproduktion während der Deyr-Saison sind viele arme Haushalte weiterhin mit unterdurchschnittlichen Viehbeständen und hoher Verschuldung konfrontiert, da sie Schwierigkeiten haben, sich von den Auswirkungen der Dürre 2020–2023 zu erholen. Daher wird erwartet, dass die Krisenergebnisse (IPC-Phase 3) in den meisten agropastoralen Gebieten bis Januar andauern, bevor sie sich in der Zeit von Februar bis Mary aufgrund eines verbesserten Zugangs zu Nahrungsmitteln und Einkommen aus dem Haupt- und Nebensaison-Deyr auf Stressed (IPC-Phase 2) verbessern. Die agropastorale Lebensgrundlagenzone Bay/Bakool mit geringem Potenzial dürfte jedoch weiterhin in der Krise bleiben (IPC-Phase 3), da viele Gebiete mehrere gute Jahreszeiten benötigen, um sich von der jüngsten Dürre zu erholen. In ähnlicher Weise werden die nordwestlichen Agropastoral-Lebensgrundlagen wahrscheinlich weiterhin in der Krise bleiben (IPC-Phase 3), da mit einer schlechten Pflanzenproduktion und einem unterdurchschnittlichen Viehbestand zu rechnen ist.
Angesichts der weiteren Verbesserungen der Tierproduktion während des Deyr erholen sich die meisten Weidegebiete weiterhin allmählich von den Auswirkungen der Dürre 2020–2023. In vielen Gebieten wird im Zeitraum Februar bis Mai eine Verbesserung der Ergebnisse unter Stress (IPC-Phase 2) und sogar minimal (IPC-Phase 1) erwartet, da sich die Tierproduktion zu Beginn der Gu-Saison etwa im April verbessert. Allerdings werden die Ergebnisse der Krise (IPC-Phase 3) wahrscheinlich in einigen der am schlimmsten von der Dürre betroffenen Gebiete anhalten, einschließlich der Küstenzone Deeh Pastoral in Zentralsomalia, wo die Viehbestände immer noch sehr gering und nicht nachhaltig sind (FEWS).
Humanitäre Hilfe: In Somalia ist die längstdienende humanitäre Mission tätig, jährlich werden Milliarden US-Dollar ausgegeben. Somalia ist auch der am besten finanzierte sog. Humanitarian Plan weltweit; um eine Hungersnot zu vermeiden, umfasste das Engagement im Jahr 2022 2,27 Milliarden US-Dollar, für das Jahr 2023 sind 2,6 Milliarden vorgesehen. Davon waren aber laut Angaben der UN bis November 2023 erst 42 % finanziert. Mit Stand Oktober 2023 waren in Somalia in 71 von 74 Bezirken 248 humanitäre Organisationen aktiv, 115 davon befassten sich in 69 Bezirken mit Ernährungssicherheit. In Zusammenarbeit mit Partnern konnte UNICEF in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 in 70 von 74 Bezirken 517.090 Kinder mit schwerer akuter Unterernährung mit lebensrettender Behandlung versorgen.
Humanitäre Hilfe spielt weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Verbesserung der Lage hinsichtlich Ernährungsunsicherheit und in vielen anderen Bereichen. Nahrungsmittel- und Bargeldhilfe erreichten im Zeitraum Jänner-März 2023 durchschnittlich 4,4 Millionen Menschen pro Monat. Diese Zahl ging im Zeitraum April-Juni 2023 auf 3,6 Millionen Menschen pro Monat zurück. Aufgrund von Finanzierungsengpässen musste die humanitäre Hilfe eingeschränkt werden. Bis zum Geldtransferprogramm Baxnaano gab es kein Programm für ein soziales Sicherheitsnetz. Baxnaano ist das erste von der Bundesregierung geleitete Geldtransferprogramm, es wird vom WFP unterstützt und von der Weltbank finanziert. Stand Juni 2023 wurden über dieses Programm monatlich bedingungslose Geldtransfers an 200.000 arme und gefährdete Haushalte mit Kindern bereitgestellt und damit ca. 1,2 Millionen Menschen erreicht. Humanitäre Hilfe erfolgt z.B. durch den Danish Refugee Council. Dieser stellte etwa in Dayniile (Mogadischu) hunderten bedürftigen Haushalten von der EU finanziertes Geld über mobile Lösungen zu. In Galkacyo hat der DRC mit EU-Geldern Brunnen, Tanks und Wasserleitungen für 800 Haushalte gebaut. Ein anderes Beispiel ist jenes Projekt von der FAO und von USAID, mit welchem von der Dürre betroffene Menschen mit Bargeld und Beiträgen zum Lebensunterhalt unterstützt werden, um einen besseren Zugang zu Nahrung und anderen Grundbedürfnissen gewährleisten zu können. In Bossaso stellte die FAO z.B. 400 gefährdeten Fischerfamilien sechs Monate lang Bargeld und Fischverarbeitungsausrüstung zur Verfügung, damit sie ihre dringendsten Bedürfnisse erfüllen und sich besser im Fischereisektor engagieren können. Diese Art der Unterstützung geht mit Schulungen zum effizienten Umgang mit begrenzten Ressourcen einher. Zusätzlich zu den Ausrüstungen erhielten die Teilnehmer sechs Monate lang Geldtransfers in Höhe von 75 US-Dollar pro Monat. Andere Hilfe leistete wiederum UNHCR in Galkacyo, wo 40 Betreiber kleiner Geschäfte, die einem Straßenbau weichen mussten, von UNHCR mit je 1.000 US-Dollar kompensiert worden sind. So konnten sie sich an einem neuen Ort ihr Geschäft wieder aufbauen.
Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Arbeit humanitärer Kräfte. Ca. 740.000 Menschen in von nicht-staatlichen Gruppen kontrollierten Gebieten können nur schwerlich an humanitäre Hilfe gelangen. Ohne humanitäre Hilfe würden mehr Menschen an Hunger sterben. Aber auch die humanitären Organisationen stoßen auf Grenzen und haben nicht genügend Ressourcen, um allen zu helfen. Selbst in Mogadischu haben nicht alle IDPs Zugang zu Nahrungsmittelhilfe. Anfang 2023 konnten fast 90 % der IDPs in Mogadischu, Garoowe, Hargeysa und Burco ihre Grundbedürfnisse nicht abdecken. Menschen werden mitunter aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit von Hilfe ausgeschlossen. Zudem ist in kurzer Zeit sehr viel Geld mit wenig Kontrolle nach Somalia geflossen, einiges davon kommt nicht bei den Bedürftigen an. Es kommt zu Diebstahl und Fehlleitung humanitärer Güter sowie zur Besteuerung humanitärer Hilfe. In Somalia sind es die mächtigen Gruppen, die den Löwenanteil erhalten: an Jobs, Ressourcen, Verträgen, Remissen und humanitärer Hilfe. Schwache Gruppen erhalten wenig bis gar nichts. Bei der Hungersnot 1991 waren die meisten Hungertoten entweder Digil-Mirifle oder Bantu. Dies gilt auch für die Hungersnot im Jahr 2011. Ein Grund dafür ist, dass humanitäre Hilfe von mächtigeren Clans vereinnahmt wird. Weitere Gründe sind, dass diese Gruppen traditionell über weniger Ressourcen verfügen, weniger Remissen erhalten und Systeme gegenseitiger Unterstützung bei ihnen nicht so gut ausgebaut sind. Al Shabaab hat sich diese Benachteiligung zunutze gemacht (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
Gesellschaftliche Unterstützung: Bis auf das o.g. Programm Baxnaano gibt es kein öffentliches Wohlfahrtssystem, keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals zumindest einen rudimentären Schutz. Ein Vorteil der somalischen Sozialstruktur ist die Verpflichtung zur Hilfe. Wenn eine Person des eigenen Clans Unterstützung braucht, dann ist die Gewährung derselben nicht verhandelbar. Vorrangig stellt die patrilineare (väterliche) Abstammungsgemeinschaft die Solidaritäts- und Schutzgruppe. Aber daneben gibt es auch die Patri-(Vater)-Linie der Mutter und zusätzlich möglicherweise noch angeheiratete Verwandtschaft. Alle drei Linien bilden i.d.R. - wie es ein Experte formuliert - „einen ganz beachtlichen Verwandtschaftskosmos“. Und in diesem Netzwerk kann Hilfe und Solidarität gesucht werden, es besteht diesbezüglich eine moralische Pflicht. Allerdings müssen verwandtschaftliche Beziehungen auch gepflegt werden. Entscheidend ist also nicht unbedingt die Quantität an Verwandten, sondern die Qualität der Beziehungen. Wer als schwacher Akteur in diesem Netzwerk positioniert ist, der wird schlechter behandelt als die stark Positionierten. Diese Art des „Fundraising“ (Qaraan) erfolgt in Somalia und in der Diaspora als nicht nur, um sogenanntes Blutgeld im Fall eines Mordes zu sammeln, sondern auch, um andere Bedürfnisse eines Clanmitglieds abzudecken. Darunter fallen auch Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung. In Somalia sind soziale Kontakte im Fall von Dürren und anderen Krisen seit Langem eine Quelle der Widerstandsfähigkeit, ein effizienter Teil der Bewältigungsstrategie, die zum Überleben von Haushalten beigetragen hat. Die bei einer Studie am häufigsten angegebenen Unterstützungsquellen sind Familie, Freunde und Nachbarn (24 %), gefolgt von internationalen (15 %) und lokalen NGOs (8 %). Soziale Kontakte haben auch während der aktuellen Dürre eine entscheidende Rolle gespielt. Ohne die gegenseitige Unterstützung - ohne Teilen – wäre die Katastrophe noch viel größer geworden. Die Haushalte haben sich gegenseitig auf vielfältige Weise unterstützt, auf materielle und immaterielle Art, darunter mit Bargeld, Lebensmitteln, Informationen und emotionaler Unterstützung. Oft teilen diejenigen mit mehr sozialen Verbindungen und besserem Zugang zu Ressourcen mit weniger gut vernetzten Haushalten. Der Zusammenhalt erstreckte sich mitunter auch auf externe Hilfe – etwa Bargeldhilfen durch humanitäre Organisationen. Lokale Führer haben Gemeinschaftstöpfe eingerichte, in welche die Haushalte Teile der erhaltenen Hilfe einzahlen. So wurde einerseits sichergestellt, dass vulnerable Haushalte nicht leer ausgehen, und andererseits wurden derart Spannungen zwischen Haushalten, die Hilfe erhalten, und solchen, die keine Hilfe erhalten, abgemildert. Zu den gefährdeten Gemeindemitgliedern gehören in diesem Zusammenhang z.B. ältere und/oder behinderte Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können, Waisen und Witwen. NRC berichtet beispielsweise von einer IDP-Familie, die nach Baidoa geflüchtet ist. Dort siedelte sie sich gezielt in einem Lager an, wohin schon vorher Menschen aus der eigenen Community geflüchtet waren. Ein Nachbar ist in diesem Kontext manchmal ein Dorfbewohner von zu Hause, ein entfernter Verwandter. So entsteht ein Unterstützungssystem. Bei einem anderen Beispiel wird hinsichtlich der Überschwemmungen im Rahmen der Deyr-Regenzeit 2023 berichtet, dass die meisten Familien aus dem überfluteten Horseed-1-IDP-Lager in Baidoa bei Verwandten untergekommen sind.
Neben Familie und Clan helfen hierbei auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können. Soziale Unterstützung erfolgt auch über islamische Wohltätigkeitsorganisationen und NGOs. Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann. 22 % der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28 % bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7 %) untergebracht. Weitere 28 % schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn.
In der somalischen Gesellschaft - auch bei den Bantu - ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Menschen, die selbst wenig haben, teilen ihre wenigen Habseligkeiten und helfen anderen beim Überleben. Es herrscht eine starke Solidarität Ein Gemeindeführer eines Dorfes bei Garoowe erklärt beispielsweise, dass Menschen ihre Verwandten nicht zurücklassen würden. Es wird demnach geteilt, so lange es etwas zu teilen gibt. Auch Remissen werden mitunter mit Nachbarn, Verwandten und Freunden geteilt. Oft borgen Haushalte also Geld oder Waren von lokalen Betrieben. Selbst Kleinhändlerinnen in IDPLagern, die ihre Ware selbst nur auf Kredit bei einem größeren Geschäft angeschafft haben, lassen anschreiben und streichen manchmal die Schulden von noch ärmeren Menschen. Eine Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland. Nach Somalia fließen jährlich mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar. Remissen spielen damit eine entscheidende Rolle bei der Verringerung der Armut. Sie steuerten in den Jahren 2021 und 2022 jeweils 27,3 % zum BIP bei. So kommt weit mehr Geld ins Land als durch Entwicklungshilfe. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22 % der städtischen, 12 % der ländlichen und 6 % der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Diese stellen einen bedeutenden Anteil des Budgets von Privathaushalten dar, v.a. für die unteren 40%, wo Remissen 54% aller Haushaltsausgaben decken. Laut einer Studie von IOM aus dem Jahr 2021 sind 67 % der Empfänger von Remissen arbeitslos. Für viele Menschen sind die Überweisungen ein Rettungsanker. Überweisungen werden hauptsächlich für allgemeine Haushaltsausgaben (z.B. Nahrung, Wasser) sowie Bildung und Gesundheit verwendet. Minderheiten mangelt es oft am Zugang zu Remissen. In einem Artikel berichtet ein Geschäftsmann und zehnfacher Vater, der seinen Betrieb zusperren musste, dass er von seiner Schwester in Saudi-Arabien mit 200 US-Dollar pro Monat unterstützt wird. Ein anderer Verkäufer, dem es wegen der Dürre ähnlich ergangen ist, erhält pro Monat 150 US-Dollar von einem Onkel in Südafrika, der auch noch für zwei seiner Brüder die Semestergebühren an der Universität in Mogadischu finanziert. Ein weiterer Verkäufer hat sich einerseits an einen Onkel in Großbritannien gewandt und ist andererseits mit seiner Familie zurück zu seinen Eltern gezogen, um sich die 20 US-Dollar Miete zu sparen. Vom Onkel in Großbritannien erhält er 250 US-Dollar im Monat.
Gegenwärtig sind die Systeme sozialer Absicherung allerdings deutlich überdehnt. Diese Überlastung zeigt sich auch an der hohen Anzahl an IDPs. Auch generell sind manche Clans nicht mehr in der Lage, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clanheimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Bei einer Studie haben 56 % der befragten Haushalte angegeben, über keinerlei Unterstützungsquellen zu verfügen. 85 % gaben an, dass sie es nicht geschafft haben, irgendwo einen Kredit zu bekommen. Ein Viehzüchter aus Awdal berichtet beispielsweise, dass er aufgrund des Verlusts von Vieh bei einem lokalen Geschäft auf Kredit eingekauft hat. Als seine Schulden 1.000 US-Dollar erreicht haben, wurden ihm weitere Einkäufe versagt; seitdem leben er und seine Familie von dem, was Verwandte ihnen geben (LIB, Grundversorgung und humanitäre Lage).
1.5.25. Rückkehrspezifische Grundversorgung:
Einkommen: Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten. Der UNHCR hat für eine repräsentative Studie von 2018 bis Dezember 2021 fast 2.900 Haushalte mit mehr als 17.000 Angehörigen – darunter vor allem unterstützte Rückkehrer aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen – zu ihrer Situation in Somalia befragt. Insgesamt haben 59 % der Rückkehrerhaushalte angegeben, dass ihr Einkommen nicht ausreicht. Dies wird zu 43 % auf mangelnde Jobmöglichkeiten zurückgeführt. Die meisten Rückkehrer leben von Einkommen als Taglöhner oder als Selbstständige sowie von humanitärer Hilfe. Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich ein erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird. Arbeitslose Rückkehrer im REINTEG-Programm (siehe unten) berichten über mangelnde Möglichkeiten; über eingeschränkte Erfahrungen, Fähigkeiten und Informationen über den Arbeitsmarkt. Nur 30 % der REINTEGRückkehrer sind mit ihrer ökonomischen Situation zufrieden, viele klagen über niedriges Einkommen und lange Arbeitsstunden. Viele von ihnen sind diesbezüglich Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v. a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben. Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben. Andererseits werden in Kismayo Somali, die nach Jahrzehnten in Kenia nach Somalia zurückgekehrt sind, auch in der Verwaltung eingesetzt – mitunter in hohen Funktionen. Viele der Rückkehrer aus Kenia arbeiten in ganz Somalia für Behörden oder NGOs. Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich vielleicht auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich. Rückkehrer, die im Ausland ausgebildet wurden, können - bei vorhandenen, besseren Fähigkeiten - am Arbeitsmarkt Vorteile haben. Jedenfalls sind Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden für Rückkehrer höchst relevant. Die Unterstützung, die ein Rückkehrer aus diesen Netzwerken ziehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr er diese Netzwerke während seines Auslandsaufenthalts gepflegt hat. Natürlich spielen auch Clannetzwerke eine Rolle. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Rückkehrer sich oft in Gebieten ansiedeln, die von eigenen Clanmitgliedern bewohnt werden (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Unterstützung/Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen (z. B. Großfamilie). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben, denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden. Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen. Laut Angestellten von IOM in Somaliland würde ein Rückkehrer ohne Beziehungen oder Kontakten in Hargeysa in der Stadt trotzdem mit Wasser, Nahrung und Unterkunft versorgt werden. Dies erfolgt informell und aus Gründen der Gastfreundschaft und anderen kulturellen Werten. Die Verfügbarkeit derartiger kulturell bedingter Unterstützung kann aber weder geplant werden, noch ist diese längerfristig garantiert. Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig. Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Unterstützung extern: Für Rückkehrer aus dem Jemen und Kenia gibt es seitens des UNHCR Rückkehrpakete. Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient. Der UNHCR unterstützt ausgewählte Haushalte in unterschiedlichen Teilen Somalias mit Ausbildungs-, Schulungs- und finanziellen Maßnahmen (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Rückkehrprogramme: Bis Ende 2022 setzt IOM für Österreich das Rückkehrprogramm Restart III um, das auch Somalia umfasst. Das Programm bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen - etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung oder für Bildungsmaßnahmen; Beratung nach der Rückkehr; situationsspezifische Unterstützung vor Ort - etwa für vulnerable Rückkehrer; Zuweisung zu weiteren spezifischen Organisationen; Monitoring (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Die auf Rückkehrer spezialisierte Organisation IRARA kooperiert mit Frontex, um u. a. in Somalia eine Reintegration zu gewährleisten. Hierbei werden nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückkehrer unterstützt und vom Programm abgedeckt. Einerseits bietet IRARA Leistungen bei der Ankunft (Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft; dringende medizinische Betreuung; spezielle Betreuung vulnerabler Personen; Geldaushilfe). Zum anderen bietet die Organisation auch sogenannte post-return assistance (Hilfe beim Aufbau eines Betriebes; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Bildung und Berufsausbildung; Geldaushilfe. Im ebenfalls von IOM geführten Programm RESTART III wird Somalia als Projektland für freiwillige Rückkehr angeführt. Dieses wird dort über Büros in Mogadischu und Bossaso abgewickelt. Voraussetzung einer Rückführung ist hier eine Freigabe durch somalische Behörden vor der Rückkehr (Kontakt über Operations bei IOM Österreich) (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Unterkunft: Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEGProgramm als problematisch beschrieben. Ein Appartementzimmer in einer sichereren Wohngegend Mogadischus kostet rund 200 US-Dollar im Monat, in Gegenden mit niedrigerem Lebensstandard zahlt eine Einzelperson für ein Zimmer in einem Mietshaus 80-100 US-Dollar. Mieten für Wellblechhäuser beginnen bei 45 US-Dollar. Nach Angaben von IOMMitarbeitern in Mogadischu spielt die Clanmitgliedschaft bei der Anmietung einer Unterkunft keine Rolle. Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i. d. R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf. In Hargeysa kann es vorkommen, dass mehrere alleinstehende Frauen zusammen ein Objekt anmieten. In Mogadischu verfügen viele Haushalte über Fließwasser. Es gibt auch kollektive Wasserstellen. Im Feber 2023 kostete ein Kubikmeter Wasser 1,5 US-Dollar (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDPLagern an, nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia schlussendlich in IDP-Lagern wieder. IOM-Mitarbeiter erklären, dass der durchschnittliche Rückkehrer sich vorübergehend nur eine Wellblechhütte oder eine traditionelle Wohnstatt als Unterkunft leisten kann. Gemäß der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben hingegen nur 22 % der unterstützten und 38 % der nicht unterstützten, von UNHCR befragten 2.900 Rückkehrerhaushalte angegeben, in einem IDP-Lager zu wohnen.
Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind (LIB, Rückkehrspezifische Grundversorgung).
1.5.26. Medizinische Versorgung – Süd-/Zentralsomalia und Puntland:
Das somalische Gesundheitssystem ist das zweitfragilste weltweit. Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft und nicht durchgängig gesichert. Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete. Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können. Es mangelt an Geld, Personal, Referenzsystemen, Diagnoseeinrichtungen, an Ausbildungseinrichtungen, Regulierungen und Managementfähigkeiten. 2021 betrug das Budget des Gesundheitsministeriums 33,6 Millionen US-Dollar. Allerdings zeigt sich in Aufwärtstrend: 2020 wurden 1,3 % des Budgets für den Gesundheitsbereich ausgegeben, 2021 wurden dafür 5 % veranschlagt. Nach anderen Angaben wurden für den Gesundheitsbereich in den Jahren 2017-2021 jährlich durchschnittlich 2 % des Budgets ausgegeben. Insgesamt zählt die Gesundheitslage zu den schlechtesten der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist zwar von 45,3 Jahren im Jahr 1990 auf heute 57,1 Jahre beträchtlich gestiegen, bleibt aber immer noch niedrig (WB 6.2021, S. 29). Erhebliche Teile der Bevölkerung haben keinen Zugang zu trinkbarem Wasser oder zu hinreichenden sanitären Einrichtungen; daran sterben jährlich 87 von 100.000 Einwohnern (Äthiopien: 44). Die Quoten von Mütter- und Säuglingssterblichkeit sind unter den höchsten Werten weltweit. Eine von zwölf Frauen stirbt während der Schwangerschaft, eines von sieben Kindern vor dem fünften Geburtstag. Bei der hohen Kindersterblichkeit schwingt Unterernährung bei einem Drittel der Todesfälle als Faktor mit. Selbst in Somaliland und Puntland werden nur 44 % bzw. 38 % der Mütter von qualifizierten Geburtshelfern betreut. Insgesamt haben nur ca. 15 % der Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu medizinischer Versorgung. Die Rate an grundlegender Immunisierung für Kinder liegt bei Nomaden bei 1 %, in anderen ländlichen Gebieten bei 14 %, in Städten bei 19 %. Zudem gibt es für medizinische Leistungen und pharmazeutische Produkte keinerlei Qualitäts- oder Sicherheitsstandards. Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten. Insgesamt kommen auf 10.000 Einwohner 4,28 medizinisch ausgebildete Personen (Subsaharaafrika: 13,3; WHO-Ziel: 25). Nach anderen Angaben kommen auf 100.000 Einwohner fünf Ärzte, vier Krankenpfleger und eine Hebamme. Dabei herrscht jedenfalls eine Ungleichverteilung: In Puntland gibt es 356 Ärzte, in Jubaland nur 54 und in Galmudug und im SWS je nur 25. Die Weltbank hat das mit 100 Millionen US-Dollar dotierte „Improving Healthcare Services in Somalia Project / Damal Caafimaad“ genehmigt. Damit soll die Gesundheitsversorgung für ca. 10 % der Gesamtbevölkerung Somalias, namentlich in Gebieten von Nugaal (Puntland),Bakool und Bay (SWS), Hiiraan und Middle Shabelle verbessert werden. Die Gesundheitsdirektion der Benadir Regional Administration (BRA) verfügt über 69 Gesundheitszentren für die Primärversorgung, sechs Stabilisierungszentren für unterernährte Kinder und elf Zentren für die Behandlung von Tuberkulose. Zusätzlich gibt es in der Hauptstadtregion fast 80 private Gesundheitszentren. Insgesamt sind diese Zahlen zwar vielversprechend, decken aber keinesfalls die Bedürfnisse der Bevölkerung ab. Nach anderen Angaben gibt es in Benadir 61 Gesundheitseinrichtungen, in HirShabelle 81. In anderen Bundesstaaten stehen folgende Gesundheitseinrichtungen zur Verfügung: Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia elf öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es demnach vier öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren. Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen. In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden. Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben. Das Keysaney Hospital wird von der Somali Red Crescent Society (SRCS) betrieben. Zusätzlich führt die SRCS Rehabilitationszentren in Mogadischu und Galkacyo. Die Spitäler Medina und Keysaney (Mogadischu) sowie in Kismayo und Baidoa werden vom Roten Kreuz unterstützt. Insgesamt gibt es im Land nur 5,34 stationäre Krankenhausbetten pro 10.000 Einwohnern (WHO-Ziel: 25 Betten). In Gebieten von al Shabaab mangelt es – mit der Ausnahme von Apotheken – generell an Gesundheitseinrichtungen.
Zudem sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung, medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Die am besten ausgerüsteten Krankenhäuser Somalias befinden sich in Mogadischu. Der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus ist erheblich schlechter. Die Mehrheit der Krankenhäuser bietet außerdem nicht alle Möglichkeiten einer tertiären Versorgung. Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in
öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst
am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes
Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt. Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden. Immerhin stellt der private Sektor 60 % aller Gesundheitsleistungen und 70 % aller Medikamente. Und auch in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen wird der Großteil der Dienste über NGOs erbracht. Qatar Charity hat in Bossaso ein Gesundheitszentrum eröffnet. Dieses soll 10.000 Unterprivilegierten aus Bossaso und dem Umland dienen. Das Zentrum verfügt über Abteilungen für Geburten, Notfälle, Impfungen, über ein Labor, Radiologie und eine Apotheke. 2021 hatte Qatar Charity bereits Gesundheitszentren in Puntland, Galmudug, dem SWS und in Mogadischu eröffnet. Fünf weitere Zentren sowie neun Geburts- und Mütterzentren sind in Bau.
Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist
für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt. Oft handelt es sich bei dieser Primärversorgung um sogenannte „Mother Health Clinics“, von welchen es in Somalia relativ viele gibt. Diese werden von der Bevölkerung als Gesamtgesundheitszentren genutzt, weil dort die Diagnosen eben kostenlos sind. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Schon ein kleiner operativer Eingriff kostet 100 US-Dollar. Am Banadir-Hospital in Mogadischu wird eine Ambulanzgebühr von 5-10 US-Dollar eingehoben, die Behandlungsgebühr an anderen Spitälern beläuft sich auf 5-12 US-Dollar. Medikamente, die Kindern oder ans Bett gebundenen Patienten verabreicht werden, sind kostenlos. Üblicherweise sind die Kosten für eine Behandlung aber vom Patienten zu tragen. Am türkischen Spital in Mogadischu, das als öffentliche Einrichtung wahrgenommen wird, werden nur geringe Kosten verrechnet, arme Menschen werden gratis behandelt. Generell gilt, wenn z.B. ein IDP die Kosten nicht aufbringen kann, wird er in öffentlichen Krankenhäusern auch umsonst behandelt. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen. Es gibt keine Krankenversicherung, nach anderen Angaben ist diese so gut wie nicht existent, im Jahr 2020 waren nur 2 % der Haushalte hinsichtlich Ausgaben für Gesundheit versichert.
Beispiel Garoowe: Quellen von EASO berichten, dass am Garoowe Group Hospital (GGH)
eine Aufnahmegebühr von 5 US-Dollar zu entrichten ist, bei der Aufnahme zur Behandlung bei
einem Spezialisten auch bis zu 10 US-Dollar. Auch Labortests müssen selbst bezahlt werden; ein normaler Bluttest kostet 1-4 US-Dollar. Normale Betten kosten nichts, Einzelzimmer 10 US-Dollar pro Nacht. Die Pflege, normale Dienste und im Spital lagernde Medikamente sind kostenfrei. Für Operationen muss allerdings bezahlte werden. Ein Kaiserschnitt kostet ca. 350 US-Dollar.
In privaten Krankenhäusern ist die Aufnahmegebühr etwas höher als am GGH. Alle Dienste und Übernachtungen müssen bezahlt werden. Operationen kosten in etwa so viel, wie am GGH. Es gibt auch mobile Gesundheitseinrichtungen, etwa durch die Organisation Somali Aid in Lower Juba. Damit wird der Zugang für die Menschen, die ansonsten weite, teure und manchmal gefährliche Reisen zum nächstgelegenen Spital auf sich nehmen müssen, verbessert. Die SRCS betreibt 53 stationäre und zwölf mobile Kliniken zur primären medizinischen Versorgung. Im Jahr 2020 wurden dort mehr als 1,2 Millionen Patienten behandelt. Davon waren 45 % Kinder und 40 % Frauen. Die häufigsten Behandlungen erfolgten in Zusammenhang mit akuten Atemwegserkrankungen (24 %), Durchfallerkrankungen (12,4 %), Anämie (15,6 %), Hautkrankheiten (6,2 %), Harnwegs- (10 %) und Augeninfektionen (5,2 %).
Die am öftesten diagnostizierten chronischen Krankheiten sind Diabetes und Bluthochdruck. Mobile Kliniken versorgen wöchentlich oder zweiwöchentlich IDP-Lager am Stadtrand von Mogadischu. Diese Versorgung erfolgt allerdings nur unregelmäßig. Gesundheitspartner der UN haben von Jänner bis November in Somalia 2,6 Millionen präventive und heilkundliche Konsultationen durchgeführt, u. a. 12.000 Konsultationen zur psychischen Gesundheit. Versorgungs- und Gesundheitsmaßnahmen internationaler Hilfsorganisationen mussten auch
immer wieder wegen Kampfhandlungen oder aufgrund von Anordnungen unterbrochen werden. Zudem mangelt es an Rettungsdiensten. So gibt es selbst in Mogadischu bei einer Bevölkerung von ca. drei Millionen Menschen nur zwei Krankenwagen, die kostenfrei Covid-19-Patienten transportieren.
Psychiatrie: Für 16,8 Millionen Einwohner gibt es in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur 82 professionelle Kräfte im Bereich psychischer Gesundheit, nur vier davon sind Psychiater). In Süd-/Zentralsomalia und Puntland gibt es nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt: An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Nach Angaben einer Quelle gibt es in Bossaso, Mogadischu, Baidoa und Belet Weyne psychiatrische Abteilungen an Krankenhäusern. Nach anderen Angaben gibt es auch am Rand von Garoowe eine Psychiatrie, dort fallen für einen monatlichen Aufenthalt 100 US-Dollar an Kosten an. Es gibt eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung. Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30 % der Bevölkerung betroffen, die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert. Nach anderen Angaben (Stand 2020) wurden bei 4,3 % der Bevölkerung durch einen Arzt eine psychische Erkrankung diagnostiziert, während man von einer Verbreitung von 14 % ausgeht. Im Falle psychischer Erkrankung sind die meisten Somali von der Unterstützung durch Familie und Gemeinde abhängig. Oft werden die Dienste traditioneller und spiritueller Heiler in Anspruch genommen; andere Patienten greifen zu Selbstmedikation oder Drogen. Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an, es kommt zu dadurch verursachter Diskriminierung. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weitverbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe. Die WHO schätzt, dass 90 % der Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen bereits einmal in ihrem Leben angekettet worden sind. Aufgrund des Mangels an Einrichtungen werden psychisch Kranke mitunter an Bäume gebunden oder zu Hause eingesperrt. Im Zweifelsfall suchen Menschen mit psychischen und anderen Störungen Zuflucht im Glauben. Spirituelle Heilungsanstalten bzw. -Programme heißen Ilaaj. Es gibt ein Netzwerk an diesen Ilaaj. Jedermann kann eine solche Anstalt eröffnen – ohne Qualifikation; viele werden von pseudo-religiösen Heilern betrieben, die „traditionelle“ Mittel anwenden. Selbst aus der Diaspora werden Jugendliche, die an psychischen Krankheiten leiden oder drogensüchtig sind, nach Somalia zur Heilung geschickt. Dort werden sie manchmal gegen ihren Willen festgehalten und mitunter angekettet.
Verfügbarkeit:
Nur 5 % der Einrichtungen sind in der Lage, Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes oder Gebärmutterhalskrebs zu diagnostizieren und zu behandeln. Durch die anhaltenden Konflikte, Angriffe auf Krankenhäuser, aber auch durch die Dürre wird der Zugang zu Therapiemöglichkeiten erschwert, wenn dieser überhaupt gegeben ist. Dies gilt für Tuberkulose und andere gängige Krankheiten.
Diabetes: Kurz- und langwirkendes Insulin ist kostenpflichtig verfügbar. Medikamente können
überall gekauft werden. Die Behandlung erfolgt an privaten Spitälern. Rund 537.000 Menschen leiden in Somalia an einer Form von Diabetes
• Dialyse: Dialyse steht in Städten zur Verfügung, jedoch nicht aber auf Bezirksebene. Am türkischen Krankenhaus in Mogadischu kostet jede Behandlung 35 US-Dollar.
• HIV/AIDS: Kostenlose Dienste stehen zur Verfügung. Über das Land verstreut gibt es Zentren, in welchen anti-retrovirale Medikamente kostenfrei abgegeben werden
• Krebs: Es gibt nur diagnostische Einrichtungen, keine Behandlungsmöglichkeiten. Es sind auch keine Medikamente verfügbar. Wer es sich leisten kann, geht zur Behandlung nach Indien, Äthiopien, Kenia oder Dschibuti
• Orthopädie: Das SRCS betreibt in Hargeysa, Mogadischu und Galkacyo orthopädische
Rehabilitationszentren samt Physiotherapie. An den genannten Zentren der SRCS in Mogadischu und Galkacyo werden Prothesen, Orthosen, Physiotherapie, Rollstühle und Gehhilfen organisiert, unterhalten und repariert.
• Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geografischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult. Oft werden Patienten während psychotischer Phasen angekettet.
• Transplantationen: Diese sind in Somalia nicht möglich, es gibt keine Blutbank. Patienten
werden i.d.R. nach Indien, in die Türkei oder nach Katar verwiesen.
• Tuberkulose: Die Behandlung wird über den Global Fund gratis angeboten. Die Zahl an Infizierten mit der multi-resistenten Art von Tuberkulose ist in Somalia eine der höchsten in Afrika. Mehr als 8 % der Neuinfizierten weisen einen resistenten Typ auf. Im Jahr 2022 ist Tuberkulose immer noch eine wesentliche Todesursache in Somalia. Es gibt immer noch viele Fehldiagnosen und zu wenig Bewusstsein über die Krankheit und ihre Infektionswege.
Medikamente: Grundlegende Medikamente sind verfügbar, darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen.
Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten und medizinischen Verbrauchsmaterialien. Es gibt keine lokale Medikamentenproduktion, alle Medikamente werden importiert. Im Jahr 2014 gelangten 30% der verfügbaren Medikamente durch Spenden der internationalen Gemeinschaft ins Land. Der Rest wird v.a. aus Indien, der Türkei, auch Ägypten und der VR China importiert. Es kommt mitunter auch zu Großspenden, etwa Anfang November 2022, als die WHO 39 Tonnen medizinische Versorgungsgüter an Somalia übergeben hat. Es gibt keine Regulierung des Imports von Medikamenten. Nach anderen Angaben ist im Jahr 2015 zwar ein Regulatorium für Medikamente eingeführt worden, um Registrierung, Lizenzierung, Herstellung, Import und andere Aspekte zu regulieren. Aber es gibt diesbezüglich keine Rechtsdurchsetzung. Jeder kann sich ein Zertifikat holen, um eine Apotheke zu eröffnen, es gibt für Apotheken keinerlei Aufsicht. Es gibt keine Standards zur Qualitätssicherung. Einige der verfügbaren Medikamente sind abgelaufen, andere sind Fälschungen oder enthalten giftige Zutaten. Die Versorgung mit Medikamenten erfolgt in erster Linie über private Apotheken. Medikamente können ohne Verschreibung gekauft werden. Die zuständige österreichische Botschaft kann zur Medikamentenversorgung in Mogadischu keine Angaben machen.
1.5.27. Rückkehr – Süd-/Zentralsomalia und Puntland:
Rückkehr international: Seit Jahren steigt die Anzahl der nach Somalia zurückgekehrten somalischen Flüchtlinge, wobei ich diese 2020 aufgrund der Covid-Pandemie verlangsamte. Seit 2009 kommen Somali der Diaspora zurück in ihre Heimat, viele mit Bildung, Fähigkeiten und einer unternehmerischen Einstellung. Viele Somalis in der Diaspora wollen zurückkommen und das Land aufbauen. Die USA, Kanada, Großbritannien, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Belgien und Norwegen führen grundsätzlich Abschiebungen nach Mogadischu durch. Aus Europa wurden im Jahr 2022 – in geringen Zahlen – jedenfalls Somali nach Somalia rückgeführt, die meisten davon freiwillig. Österreich beteiligt sich am von IOM geführten Programm RESTART III, das freiwillige Rückkehr nach Somalia abwickelt. Insgesamt hat IOM von 2020 bis 2022 bei 187 freiwilligen Rückführungen aus Europa Unterstützung geleistet.
Rückkehr regional: Die Rückkehrbewegung nach Somalia hat sich seit 2020 deutlich verlangsamt. Insgesamt sind von Ende 2014 bis Jänner 2022 knapp 134.000 Menschen mit oder ohne Unterstützung nach Somalia zurückgekehrt. Der UNHCR und andere internationale Partner unterstützen seit 2014 die freiwillige Rückkehr von Somaliern aus Diese gingen vor allem nach Kismayo und das südliche Jubaland. Noch nie wurde ein Bus, welcher Rückkehrer transportiert, angegriffen. Allerdings kommt es aufgrund von Gewalt und Konflikten sowie durch die Pandemie bedingte Reisebeschränkungen immer wieder zu Unterbrechungen bei der Rückkehrbewegung. Trotz seiner Rolle bei der Rückführung aus Kenia warnt der UNHCR angesichts der aktuellen Lage in Somalia davor, Personen in Gebiete in Süd- oder Zentralsomalia zwangsweise zurückzuschicken, da die Sicherheit nicht gewährt werden kann.
Behandlung: Die Zahl der von westlichen Staaten zurückgeführten somalischen Staatsangehörigen nimmt stetig zu. Mit technischer und finanzieller Unterstützung haben sich verschiedene westliche Länder über die letzten Jahre hinweg für die Schaffung und anschließende Professionalisierung eines speziell für Rückführung zuständigen Returnee Management Offices (RMO) innerhalb des Immigration and Naturalization Directorates (IND) eingesetzt. Das RMO hat für alle Rückführungsmaßnahmen nach Somalia eine einheitliche Prozedur festgelegt, die konsequent zur Anwendung gebracht wird. Es liegen keine Informationen dahingehend vor, dass abgelehnte Asylwerber am Flughafen in Mogadischu Probleme seitens der Behörden erfahren. Das RMO befragt sie hinsichtlich Identität, Nationalität, Familienbezügen sowie zum gewünschten zukünftigen Aufenthaltsort. Eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug kann vom RMO organisiert werden, die Rechnung begleichen die rückführenden Staaten. Staatliche Repressionen sind nicht die Hauptsorge der Rückkehrer. Nach vorliegenden Erkenntnissen werden Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt. Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht.
Erreichbarkeit: Einen regelmäßigen internationalen Direktflugverkehr nach Mogadischu gibt es aus Istanbul, Addis Abeba, Nairobi, Doha und Entebbe. Darüber hinaus fliegen regionale Fluglinien, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und private Chartermaschinen Mogadischu aus Nairobi regelmäßig an. Von Bossaso (Puntland) aus wird Addis Abeba und Dubai angeflogen, von Garoowe (Puntland) Addis Abeba und Nairob.
1.5.28. Dokumente – Süd-/Zentralsomalia und Puntland:
Es gibt im Land kein umfassendes Programm zur Geburtenregistrierung, die Registrierungsrate beträgt in ganz Somalia (inkl. Somaliland) nur rund 3 % und der Großteil der Bevölkerung besitzt also keine Papiere. Normalerweise identifizieren sich Somalis durch Dialekt und Clanzugehörigkeit. Einen Reisepass besitzen nur Personen in formellen Anstellungen oder jene, die ins Ausland reisen.
Identitätsprüfung: Möchte jemand ein Dokument beantragen, dann muss er sich an jene Lokalbehörde wenden, wo er geboren wurde oder lebt. Die Ausstellung von Dokumenten erfolgt allein aufgrund der mündlichen Angaben der antragstellenden Person und ggf. anwesender Zeugen und Verwandten. Die Person selbst wird interviewt und nach dem Ältesten befragt, mit welchem ggf. Kontakt aufgenommen wird. Denn die verlässliche Feststellung von Identitäten erfolgt – neben Verwandten – oft durch Älteste eines Dorfes. Es kann leicht zu Falschangaben kommen und zusätzlich fördern schwache Institutionen, niedrige Gehälter und eine Kultur der Korruption die Bestechlichkeit von Beamten, welche Dokumente ausstellen. Es besteht keine Möglichkeit, über amtliche Register verlässliche Auskünfte über somalische Staatsangehörige zu erhalten. Für Angehörige ethnischer Minderheiten kann es mitunter schwierig werden, einen Reisepass zu erhalten. Sie müssen den somalischen Behörden gegenüber „nachweisen“, dass sie aus Somalia stammen – meist durch die Darstellung entsprechender Sprachkenntnisse, aber auch durch Nennung einer prominenten Bezugsperson (z. B. ein Abgeordneter). Dies gilt insbesondere für Bantu und Bajuni, nicht unbedingt für Benadiri.
Dokumentensicherheit: Für Somalier ist es generell einfach, echte Dokumente unwahren Inhalts zu besorgen, darunter auch unrichtige Pässe der Nachbarländer Dschibuti, Äthiopien und Kenia. In Somalia selbst, aber auch z. B. im Stadtteil Eastleigh in Nairobi, werden gefälschte somalische Reisepässe ebenso wie zahlreiche andere gefälschte Dokumente zum Verkauf angeboten. Dokumenten mangelt es insgesamt an nachweisbaren Grundlagen und Verlässlichkeit der Angaben. Dieser Umstand öffnet die Tür für Betrug und Missbrauch. Personen mit fünf verschiedenen Reisedokumenten und fünf darin anderslautenden Namen sind keine Seltenheit. Hinzu kommen erschwerend die häufige Namensgleichheit bzw. verschiedene Namensschreibweisen. Generell werden Dokumente eher nicht gefälscht, da es einfach ist, an Originale zu gelangen. Mit Hilfe von sogenannten „Fixern“ können alle Arten von Dokumenten arrangiert werden: Reisepässe, Geburts- oder Sterbeurkunden etc.. An unterschiedlichen städtischen Behörden werden Identitätsdokumente ausgestellt, wobei es für deren Ausstellung unterschiedlichste Kriterien gibt. Ein Regierungsvertreter hat gegenüber dem Expertenrat der Vereinten Nationen angegeben, dass man alleine in Mogadischu binnen eines Tages zwanzig verschiedene Geburtsurkunden bekommen könnte. Eine Finanzinstitution hat angegeben, dass es Fälle gibt, wo eine Person mit drei unterschiedlich lautenden Identitätsdokumenten versucht, Bankkonten zu eröffnen.
Der Begriff „Somali“ im somalischen Staatsbürgerschaftsgesetz aus dem Jahr 1962 umfasst alle ethnischen Somali. Für die Ausstellung eines Reisepasses ist es nicht entscheidend, ob eine Person aus Somalia kommt oder in Somalia lebt. Vielmehr ist relevant, ob die Person ethnisch Somali ist. Auch ethnische Somali aus Äthiopien, Dschibuti oder Kenia können somalische Reisepässe erhalten. Natürlich spielt die Angabe des Clans hier eine relevante Rolle. Die Echtheit von Dokumenten bzw. Urkundenüberprüfungen hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit bzw. des Wahrheitsgehalts von Dokumenten kann keinesfalls überprüft werden.
Dokumente: Ausgestellt werden Pässe in Mogadischu und wenigen anderen somalischen Städten sowie an einigen Botschaften. Ausstellung eines Passes in Mogadischu erfolgen innerhalb weniger Wochen ohne Problem, Nur wenige Somali können die erforderlichen Mittel (90-100 US-Dollar) aufbringen, um einen Reisepass zu erhalten. Gleichzeitig mit dem Pass erhält man einen Personalausweis. Für die Beantragung eines Passes ist die Vorlage einer Geburtsurkunde notwendig. Die Daten im Reisepass beruhen auf den mündlichen Angaben des Antragstellers. Insgesamt ist die Ausstellung von Reisepässen von Betrug und Korruption gekennzeichnet, die Integrität dieses Dokuments ist untergraben sodass ein somalischer Reisepass nur in wenigen Staaten anerkannt wird. Die große Mehrheit somalischer Geburtsurkunden ist entweder gefälscht oder sonst für einen Identitätsnachweis unbrauchbar. Geburtsurkunden mit falschen Einträgen können gekauft werden du selbst somalische Behörden schenken somalischen Geburtsurkunden nur wenig Vertrauen
Ehen werden vor einem Schariagericht geschlossen und auch wieder aufgelöst. Die Scharia-Gerichte können Ehe- und Scheidungsurkunden ausstellen. Es gibt kein zentrales Verzeichnis, dass die Akte der Gerichte nachprüfbar macht Es gibt keine Zivilehe.
1.5.29. Relevante Bevölkerungsgruppe – Frauen und FGM:
Kulturell gilt die Klitoris als „schmutzig“, eine Infibulation als ästhetisch. Letztere trägt zur Ehre der Frau bei, denn sie beschränkt den Sexualdrang, sichert die Jungfräulichkeit und sichert die Heirat. Dahingegeben werden unbeschnittene Frauen oft als schmutzig oder unsomalisch, als abnormal und schamlos oder aber als unislamisch bezeichnet. Sie werden mitunter in der Schule gehänselt und drangsaliert und sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. In Somalia herrschen zwei Formen von FGM vor:
a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (gudniinka fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym „FGM“ verstanden wird
b) Andererseits die Sunna (gudniinka sunna). Die Sunna wird nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (sunna kabir) und die kleine Sunna (sunna saghir); es gibt auch Mischformen. De facto kann unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht. Da es keine klare Definition der Sunna gibt, wissen Eltern oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird. Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht.
Durchführung: Mädchen werden mittlerweile zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten. Diese „Medizinisierung“ von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen. FGM/C wird also zunehmend im medizinischen Bereich durchgeführt – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen. Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen.
Verbreitung: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet und bleibt die Norm, obwohl mittlerweile von einer Rückläufigkeit auszugehen ist. Während in der ältesten Altersgruppe vier von fünf Frauen eine Infibulation erlitten haben, ist es bei der jüngsten Altersgruppe nicht einmal eine von zwei. Generell geht der Trend in Richtung Sunna. Sowohl der finanzielle wie auch der Bildungshintergrund spielen bei der Entscheidung hinsichtlich der Form des Eingriffs eine Rolle. Die Rate an Infibulationen ist in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt. Vielen Menschen – v.a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest. FGM kann als gesellschaftliche Konvention erachtet werden, die von den meisten Menschen als selbstverständliche angesehen wird. Daher stellt sich üblicherweise nicht die Frage, ob der Eingriff durchgeführt wird. Vielmehr geht es um die praktischen Aspekte der Umsetzung. Üblicherweise liegt die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, in erster Linie bei der Mutter. Der Vater hingegen wird wenig eingebunden. Dabei geht es bei dieser Entscheidung weniger um das „ob“ als vielmehr um das „wie und wann“. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist. Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter und weibliche Verwandte eher Einfluss ausüben. Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Eine diesbezüglich annehmbare Ausnahme wäre (theoretisch), dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt. Gerade in Städten ist es heutzutage kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen, und die Zahl unbeschnittener Mädchen steigt. In manchen Gemeinden und Gemeinschaften, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich Teile der Bevölkerung gegen jegliche Art von FGM. Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat. Hinsichtlich FGM herrscht kein physischer Zwang, allerdings besteht eine Art Gruppendruck, um sozialen Erwartungen gerecht zu werden. Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft. So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen. Mitunter üben nicht beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird. Die umfassende FGM in Form einer Infibulation stellt eine Art Garantie der Jungfräulichkeit bei der ersten Eheschließung dar. Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus. Daher wird die Infibulation teils immer noch als notwendig erachtet.
Die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, hängt maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber. In der Stadt ist es kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das anders. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen FGM ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern. Eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, wird versuchen, die Tatsache geheim zu halten. Nur wenige Mütter „bekennen“, dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten. In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig. Natürlich werden nicht ständig die Genitalien von Mädchen überprüft. Aber Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei. Da gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden, ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht. Spätestens bei der Verheiratung ist der physische Status jedenfalls klar. Trotzdem gibt es sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen. Doch auch dabei gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist.
Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Die Beschneidung erfolgt meistens in einem Alter von 4-14 Jahren wobei das Beschneidungsalter scheinbar immer weiter sinkt. eine Sunna kann auch bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, werden nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (LIB, Relevante Bevölkerungsgruppe - Frauen).
1.5.30. Relevante Bevölkerungsgruppe – FGM in Süd-/Zentralsomalia und Puntland:
In der Übergangsverfassung steht, dass eine Beschneidung von Mädchen der Folter gleichkommt und daher verboten ist. Allerdings mangelt es an einer Definition von „Beschneidung“, und es wird kein Strafmaß genannt. Es sind auch keine Fälle bekannt, wo FGM/C dahingehend einer Strafverfolgung zugeführt worden wäre – selbst dann, wenn ein Mädchen an den Folgen der Verstümmelung verstorben ist. Die Regierung bemüht sich, gegen die Praxis vorzugehen. Allerdings gibt es kein spezifisches Gesetz gegen FGM/C. Unklar bleibt, ob ein künftiges Gesetz alle Formen von FGM verbieten wird, oder nur eine abgemilderte Form der Beschneidung vorsehen würde.
In Puntland hingegen wurde im Juni 2021 die sogenannte FGM Zero Tolerance Bill vom Präsidenten unterzeichnet und vom Ministerkabinett verabschiedet. Damit sind alle Formen von FGM verboten worden. Nicht nur Beschneiderinnen, sondern auch an einer FGM beteiligtes medizinisches Personal, Eltern und Helfershelfer werden mit dem Gesetz kriminalisiert. Schon 2013 hatten religiöse Führer und Akademiker eine Fatwa veröffentlicht, wonach jede Form von FGM verboten ist. Das neue Gesetz hatte bislang allerdings wenig praktische Änderungen zur Folge.
Al Shabaab hatte ursprünglich jede Form von FGM verboten. Mittlerweile gilt das Verbot für die Infibulation, während die Sunna akzeptiert wird. Generell ist al Shabaab nicht Willens, dieses Verbot auf dem von ihr kontrollierten Gebiet auch umzusetzen. Die Gruppe unterstützt die Tradition nicht, geht aber auch nicht aktiv dagegen vor. So zeigt das Verbot auf dem Gebiet von al Shabaab kaum einen Effekt.
Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch, landesweit bemühen sich die Regierungen, die Verbreitung von FGM einzuschränken – speziell jene der Infibulation. Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in Kampagnen eingebunden. Zahlen us 2011 für Puntland zeigten eine rückläufige FGM-Rate. Im Jahr 2011 waren ca. 90 % der über 25-Jährigen, 85,4 % der 20-24-Jährigen und 79,7 % der 15-19-Jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht - und auch die Sunna Kabir. Die Sunna Saghir (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch. Im Jahr 2018 gaben in einer Studie nur 65 % der befragten Frauen an, selbst beschnitten zu sein; nur ein Drittel gab an, dass die eigene Tochter beschnitten sei.
In Mogadischu werden junge Mädchen nicht mehr der Infibulation, sondern hauptsächlich der Sunna ausgesetzt. In Mogadischu wurde (laut tsudie aus 2017) kaum ein unter 18-Jähriges Mädchen infibuliert; dagegen kommen sowohl große als auch kleine Sunna breitflächig zur Anwendung. Bei der Bewertung dieses Trends muss aber berücksichtigt werden, dass in manchen Fällen davon auszugehen ist, dass einfach nur nicht soweit zugenäht wird wie früher; der restliche Eingriff aber de facto einer Infibulation entspricht - und trotzdem von den Betroffenen als „Sunna“ bezeichnet wird (LIB, Relevante Bevölkerungsgruppe - Frauen).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die im Verfahren vorgelegten Urkunden.
Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Religionszugehörigkeit, dem Familienstand und der Muttersprache des Beschwerdeführers gründen sich auf seinen diesbezüglich gleichbleibenden Angaben (AS 5, 70; VP S. 9).
2.1.2. Die Feststellungen zur Clanzugehörigkeit gründen sich auf seinen diesbezüglich gleichbleibenden Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
2.1.3. Dass der Beschwerdeführer in XXXX (AS 3, 70) geboren wurde und dort die ersten Jahre aufgewachsen ist, ergibt sich aus seinen diesbezüglich durchwegs gleichbleibenden Angaben. Ebenso verhält es sich mit seinen Auslandsaufenthalten im Jemen ab 2007 und Saudi-Arabien ab 2009 samt seiner Rückkehr nach Somalia Anfang 2021 (AS 70). Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er Anfang 2021 von Saudi-Arabien nach Somalia abgeschoben worden sei, sodass dies den Feststellungen zu Grunde gelegt wurde (VP S. 18).
2.1.4. Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung an, dass er Somalisch in Wort und Schrift auf dem Niveau C1 beherrsche. Dies deckt sich jedenfalls mit seinem Unterschriftsbild in der Erstbefragung sowie in den weiteren Einvernahmeprotokollen. Der Beschwerdeführer hat ein flüssiges und sehr geübtes Unterschriftsbild, dass nur durch langjährige Schulbildung und Übung zustande kommt (AS 3ff). Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung an, dass er in Somalia vier Jahre lang eine Grundschule besucht habe (AS 4). Diese Angaben ergänzte der Beschwerdeführer dahingehend, dass er vor seiner Ausreise aus Somalia im Jahr 2007 für vier Jahre eine Volksschule besucht habe, er könne jedoch sehr gut auf Somalisch lesen und Schreiben. Die Volksschule habe er im Jahr 2003-2007 besucht, sohin im Alter von 7 bis 11 Jahren (VP S.8). Es ist für das Gericht nicht plausibel, dass sich der Beschwerdeführer durch den Besuch einer Volksschule im Alter von 7-11 Jahren sehr gut lesen und schreiben beigebracht habe und er ein sehr flüssiges und geübtes Unterschriftsbild habe, wenn er danach keine weitere Schule oder einen Unterricht erhalten habe. Das Gericht geht daher davon aus, dass er über eine umfassendere Schulbildung verfügt, als er im Asylverfahren angegeben hat.
Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung auch an, dass er mittelmäßige Arabischkenntnisse in Wort und Schrift habe (AS 3). In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass er sehr gut Arabisch spreche und dies auch lesen und schreiben könne, jedoch nicht so gut (VP S. 8). Es war daher festzustellen, dass der Beschwerde neben Somalisch auch sehr gut Arabisch spricht und er auf Arabisch auch lesen und schreiben kann, wenn auch nur mittelmäßig.
Dass der Beschwerdeführer keinen Maay-Maay Dialekt (Anm.: Variante des Somali, die vor allem in Zentralsomalia gesprochen wird; VP S. 20) spricht, ergibt sich daraus, dass er während der gesamten Verhandlung in einwandfreiem Somali ohne ein Wort im Maay-Maay Dialekt antwortete (VP S. 20) und er auch in den Vorbefragungen durch das Bundesamt nie diesen Dialekt angab oder Schwierigkeiten mit dem jeweiligen Dolmetscher oder dessen jeweiliger Übersetzung in Somali angab (AS 9, 74). Die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach er MayMay spreche sind daher nicht glaubhaft (VP S. 3).
In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass er angelernter Schweißer sei (AS 4). In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass er im Jemen in einer Kunststofffirma gearbeitet habe. In Saudi- Arabien habe er den Beruf des Elektrikers erlernt und zudem habe er auch als Schweißer gearbeitet (VP S. 8). Es waren daher diese Angaben des Beschwerdeführers den Feststellungen zu Grunde zu legen.
2.1.5. An den Angaben des Beschwerdeführers, dass eine Tante mütterlicherseits in Somalia und eine Tante mütterlicherseits im Jemen (VP S. 10) leben würden, besteht nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine Veranlassung für Zweifel, zumal kein Grund ersichtlich ist, weshalb der Beschwerdeführer hier unglaubhafte Angaben machen sollte.
2.1.6. Die anderen Angaben zu seinen Familienmitgliedern sowie zu deren Aufenthaltsort waren jedoch aus nachstehenden Angaben nur teilweise glaubhaft.
Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung an, dass sein Vater, seine Ehefrau, seine 5 Kinder und beide Brüder in Somalia leben (AS 5). In der Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, dass er seine Frau in Saudi-Arabien kennengelernt und 2013 geheiratet habe. Seine fünf Kinder kamen allesamt in Saudi-Arabien zur Welt. Sein Vater, seine Frau, seine Kinder und seine beiden Brüder leben in XXXX . Seiner Familie geht es soweit gut und er habe ein gutes Verhältnis zu diesen (AS 71). In der weiteren Einvernahme vor dem Bundesamt änderte der Beschwerdeführer seine Angaben dahingehend ab, dass ein Bruder vermisst werde und ein Bruder psychische Probleme habe (AS 73). Diese Angaben des Beschwerdeführers sind widersprüchlich und daher nicht glaubhaft. In der mündlichen Verhandlung steigerte der Beschwerdeführer diese Angaben dahingehend, dass ein Bruder verschwunden sei und niemand wisse, wo er sich aufhalte (VP S. 9) und der zweite Bruder sei taub und habe eine geistige Behinderung (VP S. 9). Als er in Österreich angekommen sei, habe ihm seine Familie am 14.04.2022 erzählt, dass sei Bruder auf dem Weg nach XXXX verschwunden sei (VP S. 9-10). Hätte der Beschwerdeführer daher von seiner Familie bereits im April 2022 erfahren, dass ein Bruder von ihm verschwunden sei, so hätte er beim Bundesamt zunächst nicht angegeben, dass beide Brüder mit seiner Frau und seinem Vater in XXXX leben würden und es der Familie dort gut gehe. Die Angaben des Beschwerdeführers, wonach ein Bruder verschwunden sei und dessen Aufenthaltsort unbekannt sei, sind daher nicht glaubhaft.
Zudem gab der Beschwerdeführer beim Bundesamt zunächst an, dass es seiner Familie gut gehe, erst in der weiteren Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass der eine Bruder psychische Probleme habe, in der mündlichen Verhandlung steigerte der Beschwerdeführer seine Angaben dahingehend, dass der zweite Bruder taub sei und zudem eine geistige Behinderung habe, und zwar auf die Frage wie viele Geschwister er habe. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem zweiten Bruder sind widersprüchlich und wirken konstruiert. Es ist ein erheblicher Unterschied ob jemand psychische Probleme, sohin Depressionen oder eine andere behandelbare psychische Erkrankung habe oder eine geistige Behinderung, die dann wohl nicht behandelbar ist. Zudem ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer beim Bundesamt zunächst angab, dass es seiner Familie gut gehe, wenn doch ein Bruder erhebliche psychische Probleme habe bzw. dieser geistig behindert sei. Die Angaben des Beschwerdeführers zum Gesundheitszustand des zweiten Bruders sind daher ebenfalls nicht glaubhaft. Es war daher festzustellen, dass beide Brüder ebenfalls in XXXX leben und diese keine Erkrankungen oder Behinderungen haben.
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass seine Frau die Familie derzeit versorge, indem sie auf Bestellung Essen zubereitet und ausliefert (VP S. 11). Sein Vater sei jedoch krank und alt und deswegen arbeite dieser nicht mehr (VP S. 10). Diese Angaben des Beschwerdeführers wirken plausibel und sind daher auch glaubhaft. Da die Brüder des Beschwerdeführers ebenfalls erwachsen sind und diese beide auch gesund sind, geht das Gericht davon aus, dass auch diese Brüder arbeiten gehen und dadurch zum Familieneinkommen in Somalia beitragen.
Dass der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach er zuletzt vor einer Woche mit seiner Familie telefoniert habe (VP S. 10), sodass dies den Feststellungen zu Grunde zu legen war.
Der Beschwerdeführer gab zudem an, dass sich seine Familie für längere Zeit nicht in XXXX niedergelassen habe, sondern diese in den Jemen weiterreisen wolle. Das Gericht geht jedoch aufgrund nachstehender Überlegungen davon aus, dass sich die Familie dauerhaft in XXXX angesiedelt hat und nicht beabsichtigt in den Jemen weiterzureisen. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung diesbezüglich an, dass seine Familie in XXXX lebe, dort jedoch aber nicht sesshaft sei (VP S. 9). Seine Familie plane illegal in den Jemen zu reisen. Seine Familie habe bereits drei Mal versucht in den Jemen zu reisen, jedoch sei der Familie dies nicht gelungen. Einmal sei das Wetter zu schlecht gewesen, einmal sei das Boot schadhaft gewesen und einmal sei seine Familie von Soldaten aufgegriffen worden und habe nicht mehr weiterreisen können (VP S. 11-12). Pro Person koste die Ausreise in den Jemen 100 USD, sohin insgesamt 900 USD für die gesamte Familie. Die Frau des Beschwerdeführers hat Ersparnisse von ca. 3.000 USD und der Beschwerdeführer hat Ersparnisse von ca. 4.500 USD, sodass die Familie des Beschwerdeführers jedenfalls die finanziellen Mittel hätte um in den Jemen zu reisen. Da sich die Familie zumindest seit März 2022 in XXXX aufhält (im April 2022 habe der Beschwerdeführer mit seiner Familie telefoniert und diese sei bereits in XXXX gewesen bzw. habe seine Frau ihm erzählt, dass diese XXXX verlassen haben, als der Beschwerdeführer in der Türkei war, daher ca. von November 2021 bis März 2022 – VP S. 17) und diese trotz ausreichender finanzieller Mittel innerhalb von mehr als zwei Jahren XXXX nicht verlassen hat, ist nicht glaubhaft, dass die Familie vor hat in den Jemen zu reisen oder XXXX zu verlassen. Zudem ist nicht glaubhaft, dass die Familie des Beschwerdeführers in den Jemen flüchten soll. Dort herrscht derzeit Bürgerkrieg und sowohl die Sicherheitslage als auch die humanitäre Lage und Versorgungslage sind katastrophal, mehr als die Hälfte der Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung und sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Zudem gehen die Frau des Beschwerdeführers und die Brüder des Beschwerdeführers einer Arbeit in XXXX nach, die Frau des Beschwerdeführers bereitet Essen zu und liefert dieses in XXXX aus, sie hat sich daher in XXXX einen Betrieb innerhalb von zwei Jahren aufgebaut. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, dass die Frau des Beschwerdeführers diesen Betrieb aufgeben sollte und in ein Land flüchten sollte, in dem Bürgerkrieg herrscht. Es war daher festzustellen, dass die Familie des Beschwerdeführers in XXXX lebt und sich dort vor 2 Jahren dauerhaft niedergelassen hat.
2.1.7. Zudem geht das Gericht davon aus, dass die Kinder des Beschwerdeführers in XXXX auch eine Schule besuchen. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass seine Kinder in XXXX nicht die Schule besuchen dürfen, da diese MayMay sprechen würden (VP S. 11). Dazu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer selber nicht MayMay spricht, sondern Somalisch, wie dies auch von der Dolmetscherin in der mündlichen Verhandlung festgehalten wurde (VP S. 20). Obwohl der Beschwerdeführer sehr ausführlich in der Verhandlung, die dreieinhalb Stunden dauerte, befragt wurde, hat dieser während der Verhandlung nicht ein einziges Wort im MayMay-Dialekt gesprochen. Dass der Beschwerdeführer MayMay sprechen würde, ist daher eine Schutzbehauptung. Es ist daher auch nicht glaubhaft, dass die Kinder des Beschwerdeführers MayMay sprechen sollen, zumal diese in Saudi-Arabien auf die Welt kamen und auch der Beschwerdeführer selbst kein MayMay spricht. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Kinder des Beschwerdeführers in XXXX zur Schule gehen.
Es ist zudem nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer sich nicht bei seiner Familie in XXXX ansiedeln kann. Er gab dazu in der Verhandlung an, dass er dies nicht könne, da er MayMay spreche. Als MayMay-Sprachiger könne er nicht in XXXX leben, da man ihm deswegen dort die Haare abrasieren und ihn nach XXXX zurückschicke würde (VP S. 19). Dem ist entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer tatsächlich kein einziges Wort MayMay spricht. Zudem lebt seine Familie seit über 2 Jahren in XXXX , seine Familie hat sich in XXXX angesiedelt und dort niedergelassen. Seine Frau hat dort ein Unternehmen und auch seine beiden Brüder gehen dort einer Arbeit nach. Seine Kinder besuchen in XXXX die Schule. Der Beschwerdeführer kann sich daher jedenfalls bei seiner Familie in XXXX ansiedeln.
Der Familie geht es finanziell gut. Der Beschwerdeführer erstattete auch hinsichtlich möglicher Versorgungsschwierigkeiten aufgrund der Dürre, kein substantiiertes Vorbringen. Er gab auch nicht substantiiert an, dass seine Familie in XXXX sich in einem IDP-Camp angesiedelt habe oder unter dortigen prekären Bedingungen leben würde. Das Gericht geht daher davon aus, dass die Familie des Beschwerdeführers in XXXX lebt, aber nicht in einem IDP-Camp.
2.1.8. Die Töchter des Beschwerdeführers sind nicht beschnitten. Ihnen droht in Somalia diesbezüglich auch keine Gefahr einer Beschneidung, da der Beschwerdeführer und seine Frau dies vehement ablehnen. Die Frau des Beschwerdeführers wurde diesbezüglich in Somalia nicht aufgefordert, dass sie ihre Töchter beschneiden lassen soll. Es hat auch die Lehrerin der Töchter des Beschwerdeführers dies nicht von der Frau des Beschwerdeführers verlangt. Die Angaben des Beschwerdeführers zu einer drohenden Beschneidung seiner Töchter waren widersprüchlich und unplausibel, zudem sind diese nicht mit den Länderberichten in Einklang zu bringen und daher auch aus diesem Grund nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer gab an, dass die Lehrerin seiner Töchter in XXXX der Frau des Beschwerdeführers gesagt habe, dass die Töchter nicht mehr den Koran lernen dürfen, wenn diese nicht beschnitten seien. Die Frau des Beschwerdeführers sei dann zu den Nachbarn gegangen und habe diese betreffend die Tradition der Beschneidung befragt. Der Beschwerdeführer gab jedoch auch an, dass seine Frau selber beschnitten sei, sodass die Frau des Beschwerdeführers daher über die Beschneidung von Frauen und Mädchen in Somalia informiert sein müsste. Dass diese dann nicht wisse, was eine Beschneidung sei und diese erst die Nachbarn fragen müsse, ist daher nicht glaubhaft.
Zudem ergibt sich aus den Länderberichten, dass es gerade in Städten heutzutage kein Problem mehr ist, sich einer Beschneidung zu widersetzen, und die Zahl unbeschnittener Mädchen steigt. Die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, hängt dabei auch maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber. In der Stadt ist es auch kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Beschneidung erfolgt meistens in einem Alter von 4-14 Jahren wobei das Beschneidungsalter scheinbar immer weiter sinkt. Es handelt sich auch bei XXXX um eine große Stadt, sodass nicht nachvollziehbar ist, dass es dort ein Problem wäre zuzugeben, dass die Töchter nicht beschnitten sind. In urbanen Gebieten wäre es zudem auch möglich den unbeschnittenen Status der Töchter zu verbergen.
Zudem fällt auf, dass die Töchter, als diese noch in XXXX gelebt haben, ca. 1, 5 und 7 Jahre alt waren (der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt am 23.10.2023 an, dass seine Töchter nun 9, 7 und drei Jahre alt seien). Beschneidungen werden in Somalia meistens im Alter von 4-14 Jahren vorgenommen. Die Töchter waren daher damals noch nicht in einem Alter, wo eine Beschneidung bereits jedenfalls hätte erfolgen müssen, selbst wenn in ländlichen Gebieten (wobei die Töchter des Beschwerdeführers in einer Stadt gelebt haben) ein diesbezüglicher Druck ausgeübt worden wäre.
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung auch an, dass die Lehrerin der Töchter in XXXX auch gesagt habe, dass die Töchter einer Beschneidung zu unterziehen wären, da eine Beschneidung ab dem 7. oder 8. Lebensjahr beschnitten werden sollten (VP S. 18). Als die Familie des Beschwerdeführers noch in XXXX gelebt hat, waren die Töchter jedoch gerade erst 1, 5 und 7 Jahre alt, sodass auch hier nicht plausibel ist, dass die Lehrerin darauf drängen sollte, dass alle Mädchen aufgrund des Alters umgehend beschnitten werden müssten.
Der Beschwerdeführer gab auch an, dass die Lehrerin erklärt habe, dass die Mädchen ab dem 7. oder 8. Lebensjahr beschnitten werden müssen, da es die Tradition in Somalia sei, dass Mädchen ab dem 8. oder 9. Lebensjahr verheiratet werden können (VP S. 18). Aus den Länderberichten (LIB, relevante Bevölkerungsgruppe – Kinder) ergibt sich jedoch, dass gemäß somalischem Zivilrecht für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen ist, wobei Scharia und Tradition eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät annehmen. Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht. Aus den Länderberichten ergibt sich daher ein Heiratsalter zwischen 10 und 16 Jahren, sodass die Angaben des Beschwerdeführers, wonach es in Somalia Tradition sei, dass Mädchen ab dem 8. oder 9. Lebensjahr verheiratet werden würden nicht nachvollziehbar ist.
Zudem wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt am 23.10.2023 gefragt, ob nach seiner Ausreise aus Somalia noch irgendetwas erwähnenswertes passiert sei, was er jedoch verneinte (AS 73). Auch hier wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer derartige Probleme betreffend seine Töchter bereits in der Einvernahme beim Bundesamt angegeben hätte, hätten sich diesbezüglich irgendwelche Vorfälle ergeben. Die Angaben des Beschwerdeführers sind daher auch aus diesem Grund nicht glaubhaft.
Die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der seine Töchter in Somalia betreffenden Vorfälle sind daher aus den oben aufgezeigten Gründen nicht glaubhaft.
2.1.9. Die Ausreise des Beschwerdeführers aus Somalia, samt seiner Reisepassausstellung am Passamt Mogadischu (AS 6) und seiner legalen Ausreise über den Flughafen Mogadischu Richtung Türkei (AS 6, 70) und seiner illegalen Einreise nach Österreich sind glaubhaft (Erstbefragung AS 3-9; Einvernahme AS 67-75). Jedenfalls besteht für das erkennende Gericht kein Grund an diesen Angaben des Beschwerdeführers zu zweifeln.
2.1.10. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sowie zu seiner Arbeitsfähigkeit stützen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und die vorgelegten Lohn- und Gehaltsabrechnungen (VP S. 12, Beilage ./A).
2.2. Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Der Beschwerdeführer gab zu Beginn der Verhandlung an, dass er MayMay spreche und er nicht wolle, dass es diesbezüglich Missverständnisse gebe. Hier ist jedoch festzuhalten, dass sich aus der Korrespondenz mit der BBU ergibt, dass der Beschwerdeführer den Somalisch Dolmetscher bei dem Vorbereitungsgespräch mit der BBU gut verstanden hat (VP S. 3). Auch die Dolmetscherin gab in der Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar an, dass der Beschwerdeführer keinen MayMay-Dialekt spricht, sondern er immer auf Somalisch spricht (VP S. 3 und S. 20). Es ist daher für das Gericht nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer überhaupt den MayMay-Dialekt spricht oder, dass es diesbezüglich in den bisherigen Befragungen zu Verständigungsschwierigkeiten gekommen sei.
Zudem gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung an, dass ihn die Dolmetscherin beim Bundesamt nicht gut verstanden habe. Die Dolmetscherin sei nicht in Somalia geboren und beherrsche daher die Dialekte nicht. Zudem sei er beim Bundesamt aufgefordert worden nur auf die Fragen zu antworten, daher habe er viele Sachen nicht erzählen können. Er habe bei der Einvernahme vor dem Bundesamt auch keine Rückübersetzung erhalten, daher wisse er auch nicht ob alles richtig protokolliert worden sei (VP S. 6-7). Der Beschwerdeführer gab jedoch nach erfolgter Rückübersetzung beim Bundesamt an, dass alles richtig und vollständig protokolliert worden sei (AS 75). Vor der Rückübersetzung wurde der Beschwerdeführer beim Bundesamt auch gefragt, ob er noch abschließende Angaben machen möchte bzw. ob er in seiner Einvernahme alles habe vorbringen können. Er gab an, dass er alles habe umfassend vorbringen können und zudem habe er auch die anwesende Dolmetscherin sehr gut verstanden (AS 74). Auch zu Beginn der Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, dass er die anwesende Dolmetscherin sehr gut verstehe (AS 68). Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführerin die Dolmetscherin vor dem Bundesamt gut verstehen konnte und es keine Verständigungsschwierigkeiten gab, zumal der Beschwerdeführer selber keinen MayMay-Dialekt spricht. Zudem hat der Beschwerdeführer beim Bundesamt die Möglichkeit erhalten alle seine Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen detailliert und umfassend darzulegen. Das Gericht geht daher auch davon aus, dass das Protokoll vom Bundesamt richtig und vollständig ist. Das Gericht legt daher die Inhalte der bisherigen Einvernahmeprotokolle dem Erkenntnis zu Grunde.
2.2.3. Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seine Angaben zu den Fluchtgründen vor dem Bundesamt lediglich vage und unkonkret hielt und diese nur auf Nachfragen weiter konkretisierte. Der Beschwerdeführer machte vor dem Bundesamt, nachdem ihm seine Angaben von der Erstbefragung nochmal vorgehalten wurden und er aufgefordert wurde möglichst umfassend alle Fluchtgründe zu schildern folgende Angaben (AS 72):
„VP: Ich bleibe bei den Gründen aus der Erstbefragung.
LA: Gibt es sonst noch weitere Gründe?
VP: Sonst gibt es keine weiteren Gründe.
LA: Was ist nun konkret wann vorgefallen, weshalb Sie den Entschluss gefasst haben Ihre Heimat zu verlassen?
VP: Ich habe einfach Angst vor der Al Shabaab.
LA: Was ist nun aber konkret vorgefallen?
VP: Sie haben mir gewaltsam mein Motorrad weggenommen, ich wurde dabei verletzt und kam ins Krankenhaus. Danach erstattete ich Anzeige, woraufhin mein Vater darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich die Anzeige zurückziehen sollte, da die Al Shabaab dahinterstecken würde.“
Der Beschwerdeführer präsentierte vor dem Bundesamt bloß eine grobe und allgemein gehaltene Rahmengeschichte, die er erst auf Nachfragen näher darlegte. Selbst auf Nachfragen blieben die Angaben des Beschwerdeführers weitgehend vage und ausweichend. Auch dabei konnte dieser keine konkreten und lebensnahen Details nennen. Die Schilderungen machen nicht den Eindruck, dass es sich um tatsächlich erlebte Ereignisse handeln würde.
2.2.3. Beim Bundesamt gab der Beschwerdeführer an, dass die Al Shabaab ihm das Motorrad weggenommen und ihn geschlagen habe (AS 72). In der Beschwerde gab der Beschwerdeführer auch nur allgemein an, dass er am 20.06.2021 bei einer Rückfahrt mit dem Motorrad angehalten und niedergeschlagen worden sei (AS 464). In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer jedoch an, dass er in der Nacht bei einer Rückfahrt von Räubern erwischt worden sei, die ihn mit seinem Namen angesprochen haben. Er sei aufgefordert worden den Schlüssel von seinem Motorrad abzugeben. Als er sich geweigert habe, haben die Männer begonnen auf ihn einzuschlagen, einer habe ihn mit dem Gewehrkolben geschlagen. Als er vom Motorrad heruntergefallen sei, habe er versucht sich am Motorrad festzuhalten, er sei jedoch von dem einen Mann getreten worden (VP S. 15). Hier zeigt sich, dass der Beschwerdeführer, der vor dem Bundesamt in der freien Erzählung nur vage und ausweichende Angaben machte, seine Angaben in der Verhandlung dahingehend steigerte, dass er nicht nur geschlagen, sondern auch mit dem Gewehrkolben geschlagen und getreten worden sei. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer diese Angaben bereits beim Bundesamt in der freien Erzählung erstattet hat. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind daher auch aus diesem Grund nicht glaubhaft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer damit versucht, seinem Vorbringen einen zusätzlichen Aspekt hinzuzufügen. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind daher auch unter diesem Aspekt nicht glaubhaft.
2.2.4. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass seine Wunden in XXXX im Krankenhaus versorgt worden wären (VP S. 15). Er sei dann am nächsten Tag in der Früh um 08:00 Uhr zur Polizeistation gegangen um eine Anzeige zu erstatten. Nachdem er die Anzeige erstattet habe, sei er nach Hause gegangen und sein Vater hätte dann gleich noch am selben Tag einen Anruf der Al Shabaab erhalten (VP S. 17). Der erste Anruf an den Vater sei im Juli gewesen, ebenso wie der zweite und dritte Anruf der Al Shabaab (VP S. 16-17). In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer jedoch vor, dass er am 20.06.2021 von der Al Shabaab angegriffen worden wäre. Zudem legte der Beschwerdeführer einen Bericht des Krankenhauses vom 20.06.2021 vor, wonach er im Spital behandelt worden sei, nachdem Diebe ihn getreten und mit ihren Pistolen geschlagen haben (Beilage ./B). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich am 20.06.2021 überfallen worden und hätte er am 21.06.2021 eine Anzeige erstattet und wäre dann auch sein Vater am selben Tag von der Al Shabaab kontaktiert worden, so hätte der erste Anruf der Al Shabaab nicht im Juli, sondern im Juni 2021 stattgefunden. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung auch an, dass er einen Kunden in der Nacht noch transportiert habe. Auf dem Rückweg sei er von Räubern erwischt worden. Als der Beschwerdeführer wieder zu sich gekommen sei, habe er versucht zu einer Apotheke zu gehen. Seine Verletzungen am Unterkiefer seien in der Apotheke verarztet worden. Der Apotheker habe ihm jedoch auch gesagt, dass er sich im Spital weiter behandeln lassen solle, woraufhin der Beschwerdeführer ins Spital gegangen sei (VP S. 14-15). Um 20:00 Uhr sei er im Krankenhaus genäht worden (VP S. 17). Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer nach dem Überfall das Bewusstsein zunächst verloren habe, er dann eine Apotheke aufgesucht habe und dort verarztet worden sei und er anschließend ins Krankenhaus gegangen sei, wo er um 20:00 Uhr genäht worden sei, müsste davon auszugehen sein, dass diese Abfolge von Vorfällen eine entsprechend lange Zeit benötigt hat. Wenn der Beschwerdeführer weiters vorbringe, dass er seinen letzten Kunden in der Nacht transportiert haben, und er jedoch bereits um 20:00 Uhr im Krankenhaus genäht worden sei, sind seine Angaben nicht glaubhaft. Ausgehend davon, dass er den letzten Kunden in der Nacht transportiert hätte, müsste er wesentlich später im Krankenhaus behandelt worden sein. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind widersprüchlich und nicht glaubhaft.
2.2.5. Der Beschwerdeführer legte zwar eine Bestätigung eines Krankenhauses in XXXX vor, wonach der Beschwerdeführer von Dieben angegriffen und von diesen getreten und mit der Pistole am Kinn geschlagen worden wäre (Beilage ./B). Dieser Bestätigung ist jedoch entgegen zu halten, dass die Korruption in Somalia besonders hoch ist, sodass diesbezügliche Urkunden bereits aus diesem Grund nicht besonders glaubhaft sind. Zudem ist unplausibel, dass eine Krankenhausbestätigung in Somalia, die für ein anderes Krankenhaus in Somalia benötigt werden würde, auf Englisch verfasst werden sollte. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb ein somalisches Spital überhaupt in englischer Sprache Berichte abfassen sollte, zumal der Beschwerdeführer der englischen Sprache nicht mächtig ist (er spricht Somali, Arabisch und etwas Deutsch AS 3, VP S. 8) und gar nicht wissen kann, was darin steht.
Zudem fällt auf, dass die Bestätigung des Krankenhauses auch keine Diagnose enthält und es ist der Bestätigung auch nicht zu entnehmen welche Medikamente gegeben wurden und welcher genaue Behandlungsbedarf besteht. Auch aus diesen Gründen ist die vermeintliche Bestätigung des Krankenhauses nicht geeignet die Fluchtgründe des Beschwerdeführers glaubhaft zu machen.
Es ist auch nicht plausibel, aus welchen Gründen das Krankenhaus in Mogadischu einen Befundbericht aus dem XXXX Spital benötigen würde und der Beschwerdeführer erst behandelt wurde, nachdem dieser Befundbericht (Beilage ./B) vorlag. Hätte der Beschwerdeführer eine akute Infektion gehabt (die er drei Monate im Krankenhaus habe stationär behandeln lassen müssen - VP S. 17), wäre er wohl sofort im Krankenhaus behandelt worden und nicht erst, nach einer Kontaktaufnahme mit dem XXXX Spital und der Übermittlung des „Befundberichts“ (Beilage ./B).
Der Beschwerdeführer gab auch an, dass sich die Wunde nach zwei Wochen entzündet habe (VP S. 19). Dann habe ein Nachbar organisiert, dass er nach Mogadischu ins Spital gebracht worden sei. Der Beschwerdeführer wäre nach diesen Angaben wohl Anfang Juli in Mogadischu im Spital gewesen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass der Befundbericht (Beilage ./B) als Ausstellungsdatum den 20.06.2021 trägt und nicht das Ausstellungsdatum im Juli 2021. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Verletzungen und zum Krankenhausaufenthalt sind daher auch unter diesem Aspekt nicht glaubhaft.
Das erkennende Gericht übersieht dabei nicht, dass der Beschwerdeführer auch ein Konvolut an Fotos seines Gesichtes (4 Stück) vorlegte (OZ 5, Beilage ./C). Dabei ist jeweils ein neutraler (weiß/grauer) Hintergrund zu sehen, sowie 3x sein mit einem weißen Tuch abgedeckten Kinn und 1x sein Kinn selbst mit einer ca. 1-2 cm langen Naht wo der Faden noch zu erkennen ist, wobei die Fotos in besonders schlechter Qualität vorliegen. Es ist insbesondere nicht erkennbar, wo und wann diese Fotos von wem aufgenommen wurden. Auch deshalb kann kein Zusammenhang zwischen den Fotos und den vom Beschwerdeführer angegebenen Fluchtgründen erkannt werden.
In weiterer Steigerung dieses Vorfalles gab der Beschwerdeführer an, zwei Wochen nach seinem Aufenthalt im XXXX Spital hätte sich die Wunde entzündet und daraufhin sei er auch noch im Juli 2021 nach Mogadischu ins türkische Digfeer Spital gegangen (VP S. 15, 19) wo er sich 3 Monate aufgehalten haben will. Nach diesem Spitalsaufenthalt sei er noch einen Monat in Mogadischu bis zu seiner Ausreise Anfang November 2021 geblieben (VP S. 9, 19). Dazu ist anzumerken, dass das türkische Digfeer Spital seit Beginn des Jahres 2015 nicht mehr so heißt, sondern in Erdogan Hospital umbenannt wurde (Anm.: Der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Somalia Anfang des Jahres 2015 ist als allgemeine Information leicht auffindbar, zugänglich und nachvollziehbar. Die Information zur Umbenennung des Digfer oder Digfeer Hospitals in Erdogan Hospital ist dies ebenso.). Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich im Juli 2021 in diesem Spital gewesen, würde er auch wissen, wie dieses im Jahr 2021 genannt worden wäre. Abgesehen davon, kann realistisch und lebensnah auch angenommen werden, dass der Beschwerdeführer bei einem tatsächlich 3-monatigem Krankenhausaufenthalt zumindest irgendeine Form eines Entlassungsschreibens oder irgendeine Unterlage irgendeiner Art seitens des Spitales erhalten hätte. Aufgrund dieser Ungereimtheiten kann den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Aufenthalts im Digfeer/Erdogan Spital keine Glaubwürdigkeit zugebilligt werden.
2.2.6. Wenn der Beschwerdeführer behauptet zum Zeitpunkt seiner Ausreise im November 2021 sei die Al Shabaab in XXXX an der Macht gewesen (VP S. 9), so ist dies nicht mit den vorliegenden Länderberichten in Einklang zu bringen. XXXX ist zwar umkämpft, steht und stand jedoch unter Kontrolle der Regierung, auch wenn Al Shabaab dort, wie in ganz Süd- und Zentralsomalia eine verdeckte Präsenz hat.
2.2.7. Hinsichtlich der Drohungen will der Beschwerdeführer die erste Drohung am Tag nach seinem Krankenhausaufenthalt in XXXX , also am 21.06.2021, damit auch dem Tag wo er die Anzeige bei der Polizei erstattet haben will, erhalten haben (VP S. 17). Dazu gibt der Beschwerdeführer auch an, er habe daraufhin Angst um sein Leben bekommen, da die Al-Shabaab von der Anzeigeerstattung wisse (AS 72). Auch gab er an, falls er die Anzeige nicht zurückziehe, werden sie ihn töten (VP S. 15). Abgesehen von der regionalen Abwesenheit der Al-Shabaab (wie bereits im obigen Absatz ausgeführt), erscheint diese Behauptung umso widersprüchlicher, da der Beschwerdeführer weder die Anzeige zurückgenommen hat (AS 72), noch etwas dabei fand, trotz behaupteter Angst um sein Leben einfach nach Hause zu seinem Vater zu gehen und dort mindestens 2 Wochen zu verbringen, bis sich seine Wunde entzündet hat (VP S. 19). Diese Angaben des Beschwerdeführers sind in sich nicht schlüssig und daher unglaubhaft. Denn weshalb er bei einer Furcht um sein Leben weiterhin mindestens 2 Wochen zu Hause und damit an einem Ort, wo ihn jeder dort wohl zuerst suchen würde, aufhalten sollte, erschließt sich dem erkennenden Gericht nicht. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich um sein Leben gefürchtet, wäre er nicht nur nicht nach Hause gegangen, zudem hätte er die Anzeige wohl auch zurückgezogen. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer gab beim Bundesamt (auf die Frage ob er die Anzeige zurückgezogen habe) an, dass er nochmal zur Polizei habe gehen sollen, aber sein Vater sei davor von der Al Shabaab angerufen worden und daraufhin sei er ausgereist (AS 72). Nach diesen Angaben wäre davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer umgehend nach dem Anruf der Al Shabaab Somalia verlassen habe. Tatsächlich gab der Beschwerdeführer jedoch in der mündlichen Verhandlung an, dass er nach dem Nähen der Wunde zwei Wochen lang in XXXX zu Hause gewesen sei, dann habe sich die Wunde entzündet und er sei drei Monate in Mogadischu im Spital gewesen. Nach einem weiteren Monat sei er ausgereist (VP S. 19). Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer diese Angaben nicht bereits vor dem Bundesamt erstattet hat, sondern seine Angaben variiert. Auch hier liegt eine erhebliche Steigerung vor. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubhaft.
Der Beschwerdeführer gab in der mündlichen Verhandlung in der freien Erzählung an, dass die Al Shabaab seinen Vater kontaktiert habe und diesem gesagt habe, dass sie ihn töten werden, wenn er die Anzeige nicht zurückzieht. Er sei unsicher gewesen, als er erfahren habe, dass die Al Shabaab damit zu tun habe und er habe große Angst bekommen. Deshalb habe er auch entschieden, dass er Somalia verlassen werde. Bevor er jedoch Somalia habe verlassen können, habe sich seine Wunde infiziert (VP S. 15). Es wäre daher nach diesen Angaben davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer noch im Juni den Entschluss gefasst habe Somalia zu verlassen. In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer jedoch an, dass er sich zwischen Juni und November 2021 entschlossen habe Somalia zu verlassen (AS 6). Es ist nicht plausibel, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angibt, dass er den Entschluss zur Ausreise noch im Juni 2021 getroffen habe und der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung dafür einen Zeitraum von mehreren Monaten angibt. Die Angaben des Beschwerdeführers sind auch unter diesem Aspekt nicht glaubhaft.
2.2.8. In einer Gesamtschau der dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen sowie unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Beschwerdeverhandlung konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen, dass sich die von ihm geschilderten Vorfälle überhaupt ereignet habe.
2.2.9. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass Rückkehrer vom RMO/IND grundsätzlich mit Respekt behandelt werden. Eine strukturelle Diskriminierung von Rückkehrern aus dem Ausland gibt es nicht. Alleine die Tatsache, dass jemand in einem westlichen Land gewesen ist, stellt im Kontext mit al Shabaab und von denen errichteten Straßensperren auch kein Problem dar. Es war daher aufgrund der Länderinformationen davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia, allein aufgrund der Eigenschaft als Rückkehrer aus einem westlichen Land, kein Eingriff in seine körperliche oder geistige Unversehrtheit droht.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.4. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
2.4.1. Betreffend die Erreichbarkeit und Bewegungsfreiheit in Süd- und Zentralsomalia ist den Länderberichten folgendes zu entnehmen:
XXXX liegt 20 Kilometer nordwestlich von Mogadischu und ist über den XXXX von Mogdischu aus zu erreichen. XXXX liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien - die Stadt gilt als Schlüssel zu Mogadischu. Trotzdem kann XXXX hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Al Shabaab bleibt aber auch weiterhin die größte Bedrohung hinsichtlich Bewegungsfreiheit entlang von Hauptversorgungsrouten in Süd-/Zentralsomalia. Die Gruppe verwendet entlang dieser Straßen Sprengsätze und legt Hinterhalte. Manchmal platziert Al Shabaab Sprengsätze auch deswegen, um dadurch den Verkehr auf Straßen umzulenken, an welchen sie Checkpoints unterhält, wo Gebühren eingehoben werden. Al Shabaab kontrolliert die Versorgungsrouten zwischen den meisten Städten. Außerhalb der tatsächlich von der Regierung und ihren Alliierten kontrollierten Gebieten besteht eine große Wahrscheinlichkeit, auf eine Straßensperre von Al Shabaab zu stoßen. Reisende werden durch die zahlreichen, von unterschiedlichen Gruppen betriebenen Straßensperren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Zudem sind sie dort Plünderung, Erpressung, Belästigung und Gewalt ausgesetzt. Neben den Straßensperren kann auch das Aufflammen bewaffneter Auseinandersetzungen ein Risiko darstellen. Gegen einige Städte unter Regierungskontrolle führt Al Shabaab eine Blockade durch und greift manchmal Zivilisten an, welche die Blockade durchbrechen wollen. Allerdings verhält sich Al Shabaab an Straßensperren unberechenbar. Menschen können nie voraussehen, wie sie dort behandelt werden.
Die Fluchtgründe des Beschwerdeführers waren nicht glaubhaft, sodass es für das Gericht auch nicht glaubhaft ist, dass der Beschwerdeführer als Motorradfahren und Transporteur in XXXX gearbeitet hat. Da der Beschwerdeführer nur wenige Monate in XXXX verbracht hat, ist auch nicht davon auszugehen, dass er sich mit den örtlichen Gegebenheiten in und um XXXX sowie im XXXX (Verbindung nach Mogadischu) so gut auskennt, dass er gefährliche Straßensperren umgehen könnte.
Ausgehend von diesen Länderinformationen und den individuellen Umständen des Einzelfalls geht das Gericht davon aus, dass nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass der Herkunftsort des Beschwerdeführers, nämlich XXXX , für diesen ausreichend sicher erreichbar ist.
2.4.2. Jedoch ist es dem Beschwerdeführer möglich und auch zumutbar sich in XXXX bei seiner Kernfamilie anzusiedeln und dort zu leben.
2.4.2.1. Der Gliedstaat Puntland im Norden des Landes, liegt direkt an der Spitze des Horns von Afrika. Faktisch erkennt Puntland die somalische Bundesregierung an und ist einer der fünf föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie und finanzieller Unabhängigkeit von der Bundesregierung. Aus den Länderberichten ist ersichtlich, dass vergleichsweise stabile staatliche Strukturen etabliert werden konnten. Al-Shabaab kontrolliert in Puntland keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sogenannten „Islamischen Staats“. Zu Anschlägen durch Al-Shabaab und ISIS kommt es allerdings, wenn auch seltener, auch in Puntland, insbesondere in und um XXXX . Stammesmilizen spielen im Vergleich zum Süden eine untergeordnete Rolle, wenngleich sie weiterhin präsent sind. Die Situation in XXXX ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre. Das Gericht geht daher davon aus, dass es in der Stadt XXXX zu Anschlägen kommt, jedoch nicht in allen Stadtteilen.
Die sichere Erreichbarkeit von XXXX ist jedenfalls gewährleistet. Der Flughafen in XXXX ist über den internationalen Flughafen in Mogadischu oder per Linienflug aus Dschibuti erreichbar. Rückführungen werden aber meist über Mogadischu mit Weiterreise nach XXXX durchgeführt. Es finden keine Einreise- oder Ausreisekontrollen an den Grenzen statt.
2.4.2.2. Mit Stand September 2023 befanden sich ca. 2,8 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (17 % der Bevölkerung); ca. 920.000 in Stufe 4 (5 %) und keine in Stufe 5 (Hungersnot). Zusammen mit den rund 5,6 Millionen in IPC 2 war im Herbst 2023 die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 17 Millionen Menschen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Somalia erholt sich aufgrund der letzten Regenzeit von der Dürre 2000-2023. Für die urbane Bevölkerung in XXXX gilt mittlerweile nur noch IPC-Stufe 2 (stressed), für IDP-Lager in XXXX gilt IPC-Stufe 3 (crisis) (siehe Bericht FEWS). Auch sonstige Berichte haben ergeben, dass sich die Lage in Somalia und auch im Norden Somalias aufgrund der guten Regensaison im Herbst 2023 weiterhin verbessern wird, so werden sich von April bis Juni 2024 über 9 Millionen Menschen in Somalia in der IPC-Stufe 1 (minimal) befinden, über 6 Millionen Menschen in der IPC Stufe 2 (stressed) und ca. 3,5 Millionen Menschen in der IPC-Stufe 3 und 4 (crisis und emergency). Bis auf IDP-Lager und einen kleinen Landstrich im Osten und im Westen wird bis Juni 2024 in Puntland und in Nordsomalia IPC-Stufe 2 (stressed) gelten (Bericht IPC Acute food insecurity and acute malnutrition analysis January – June 2024, vom 15.02.2024). Es hat sich daher auch die Nahrungsmittelsicherheit in XXXX wieder stabilisiert. Die Familie des Beschwerdeführers war auch bisher nicht von der Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, dieser ging es gut und diese leben auch nicht in einem IDP-Camp. Dadurch, dass der Beschwerdeführer in XXXX über ein familiäres Netzwerk verfügt und die finanzielle Situation seiner Familie gut ist, er erwerbsfähig ist und er auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann, ist er nicht von einer möglichen Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Er kann auch weiterhin bei seiner Familie in XXXX wohnen, sodass er sich nicht in einem IDP-Camp ansiedeln muss.
2.4.2.3. Ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen ist für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist. Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration hängt in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person ab. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem, wenn sie aus dem Westen zurückkehren. Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise; die Dauer der Abwesenheit; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht.
Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut und spricht Somalisch als Muttersprache. Er kann auf Somalisch sehr gut lesen und schreiben, zudem spricht er auch Arabisch und er kann auch in dieser Sprache mittelmäßig lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer hat daher – im Vergleich mit anderen Landsleuten – sehr gute Sprachkenntnisse, die ihm auch am Arbeitsmarkt von Vorteil sind. Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und somit über einen weit überdurchschnittlichen Bildungsgrad im Vergleich zu anderen Landsleuten. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und gesund. Er hat den Beruf des Elektrikers gelernt und auch jahrelang als Schweißer gearbeitet, sodass er über relevante Arbeitserfahrung verfügt.
Der Beschwerdeführer verfügt über Ersparnisse in Höhe von 4.500 EUR. Er kann daher auch mit diesen Ersparnissen sich ein Leben in Somalia aufbauen. Seine Frau verfügt über Ersparnisse in Höhe von ca. 3.000 USD, sodass die finanzielle Lage der Familie des Beschwerdeführers in Somalia gut ist. Zudem kann er auch über die in XXXX lebende Tante sein Haus und sein Grundstück in XXXX vermieten oder verkaufen um so weitere Einkünfte zu lukrieren. Die finanzielle Situation des Beschwerdeführers und seiner Familie ist daher sehr gut.
Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Restart III bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro an Sachleistungen - etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung oder für Bildungsmaßnahmen, für Beratung nach der Rückkehr und für situationsspezifische Unterstützung vor Ort.
Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich sich nach anfänglichen Schwierigkeiten ein Leben ohne unbillige Härten, wie es auch andere Landsleute führen, aufzubauen. Der Beschwerdeführer verfügt über Selbständigkeit und Anpassungsfähigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten, jedenfalls in der Stadt XXXX ansiedeln kann und sich dort wieder eine Existenz aufbauen kann. Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich sich in XXXX bei seiner Kernfamilie anzusiedeln und sich dort – nach anfänglichen Schwierigkeiten – ein Leben ohne unbillige Härten aufzubauen.
2.5. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (insbesondere zur Aufenthaltsdauer und -titel, seinen geringen vorhandenen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und den im Verfahren vorgelegten Unterlagen betreffend seine Integration.
Die Feststellungen zu den geringen Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ergeben sich daraus, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angab, dass er nur wenig auf Deutsch in der Verhandlung verstanden habe (VP S. 12). Dass der Beschwerdeführer einen A1 Deutschkurs besucht und er noch keine Deutschprüfung abgelegt hat, ergibt sich ebenso aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Verhandlung (VP S. 14). Dass der Beschwerdeführer einer beruflichen Erwerbstätigkeit in Österreich als Küchenhilfe nachgeht, ergibt sich aus den vorgelegten Lohn- und Gehaltszetteln sowie aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung.
Dass der Beschwerdeführer weder Verwandte noch wesentliche freundschaftliche Kontakte in Österreich hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung (VP S. 14). Dass kein Abhängigkeitsverhältnis besteht, ergibt sich daraus, dass ein solches nicht vorgebracht werden konnte, bzw. ein solches auch für die erkennende Gerichtsabteilung in der Verhandlung nicht hervorgekommen ist.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister (Beilage ./I).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten
3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
…“
3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.3. Es wurde weder eine Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Al Shabaab, die somalische Regierung oder andere Personen festgestellt. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle haben sich nicht ereignet. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden jemals in Somalia bedroht. Ihm wurde weder von der Al Shabaab noch von anderen Personen unterstellt ein Spion zu sein oder eine oppositionelle Gesinnung aufzuweisen. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle haben sich nicht ereignet. Es ist daher keine Verfolgung des Beschwerdeführers und auch keine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund erkennbar.
3.1.4. Da der Beschwerdeführer einem Mehrheitsclan angehört bzw. von diesem unterstützt werden kann, konnte auch keine konkrete individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia aufgrund seiner Clanzugehörigkeit festgestellt werden.
Dem Beschwerdeführer drohen in Somalia bei einer Rückkehr, alleine aufgrund des Umstandes, dass er aus einem westlichen Land zurückgekehrt ist, weder von der Regierung noch von der Al Shabaab oder sonstigen Personen Eingriffe in seine körperliche oder geistige Unversehrtheit.
Da insgesamt weder eine individuell-konkrete Verfolgung, eine Gruppenverfolgung oder Verfolgungsgefahr noch eine begründete Furcht festgestellt wurden, liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG nicht vor.
3.1.5. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers, der EUAA-Leitlinien und der UNHCR-Richtlinien erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Nach den aktuellen UNHCR-Richtlinien zu Somalia aus September 2022 kann sich eine asylrelevante Gefährdung durch die Al Shabaab oder anderen militanten Gruppierungen bei vermeintlichen oder tatsächlichen Unterstützern der Regierung oder der Streitkräfte oder von Verbündeten der Regierung ergeben. Ein derartiger Risikozusammenhang konnte jedoch im gegenständlichen Fall nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer gehört zudem einem Clan an, der in Somalia respektiert ist und dem kein geringer oder marginalisierter Status zukommt. Es kann daher auch ein derartiger relevanter Risikozusammenhang in diesem Fall nicht festgestellt werden.
Nach den aktuellen EUAA-Leitlinien kann für Personen in Somalia, die als „Spione“ von Al Shabaab wahrgenommen werden, eine begründete Furcht vor Verfolgung vorliegen (siehe Punkt 2.1.4. der EUAA-Leitlinien), jedoch konnte auch ein solcher Sachverhalt gegenständlich nicht festgestellt werden.
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides – Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
3.2.1. § 8 AsylG lautet auszugsweise:
„Status des subsidiär Schutzberechtigten
§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.
…
§ 11 AsylG lautet:
„Innerstaatliche Fluchtalternative
§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.“
3.2.2. Gemäß Art. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Unter realer Gefahr in diesem Sinne ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können (VwGH vom 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Für die zur Prüfung der Notwendigkeit von subsidiärem Schutz erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Beschwerdeführers bei seiner Rückkehr abzustellen. Dies ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; VfGH 13.09.2013, U370/2012; VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0029).
Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Asylwerber nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH vom 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH vom 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht.
Für die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative sind zwei getrennte und selbständige Voraussetzungen zu prüfen. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiären Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Von dieser Frage ist getrennt zu beurteilen, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann, bzw. dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in dem betreffenden Gebiet niederzulassen. Das als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet muss zudem sicher und legale zu erreichen sein (VwGH vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; VwGH vom 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).
Ob dem Asylwerber ein Aufenthalt in einem bestimmten Gebiet des Herkunftsstaates zugemutet werden kann, hängt von mehreren Faktoren (persönlichen Umstände des Betroffenen, die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Aussichten auf wirtschaftliches Überleben) ab. Es muss möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute des Asylwerbers führen können. Ein voraussichtlich niedrigerer Lebensstandard oder eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation sind keine ausreichenden Gründe, um ein vorgeschlagenes Gebiet als unzumutbar abzulehnen. Die Verhältnisse in dem Gebiet müssen aber ein für das betreffende Land relativ normales Leben ermöglichen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001; VwGH vom 30.01.2018 Ra 2018/18/0001).
3.2.3. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage scheint eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Somalia im Hinblick auf die regional differenzierende Sicherheitslage auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Die sichere Erreichbarkeit von XXXX ist jedoch aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der vorliegenden Länderberichte nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit gewährleistet, sodass das Gericht davon ausgeht, dass die Stadt XXXX für den Beschwerdeführer nicht sicher erreichbar ist.
3.2.4. Jedoch ist es dem Beschwerdeführer möglich und auch zumutbar sich in XXXX bei seiner Kernfamilie anzusiedeln und dort zu leben.
Wie sich aus dem vorliegenden Länderberichtsmaterial ergibt, sind nach wie vor viele Landesteile vor allem Süd- und Zentralsomalias von teilweise massiven Kampfhandlungen unterschiedlicher Gruppierungen (Al Shabaab, AMISOM, das somalische Militär, örtliche Clan-Milizen) betroffen, die in den entsprechenden Gebieten ein Refoulement-relevantes Ausmaß willkürlicher Gewalt erreichen mögen. Auf das gesamte somalische Staatsgebiet trifft dies allerdings nicht zu, zumal sowohl in Somali- als auch in Puntland keine derartigen Kampfhandlungen bekannt sind sowie viele größere und mittelgroße Städte Süd- und Zentralsomalias von AMISOM-Truppen gehalten werden und – zumindest in ihren Zentren – als sicher gelten. Dies trifft auch für größere Landstriche in bestimmten Regionen Südsomalias zu. In Puntland konnten vergleichsweise stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Shabaab kontrolliert in Puntland keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sogenannten „Islamischen Staats“. Zu Anschlägen durch Al Shabaab und ISIS kommt es allerdings, wenn auch seltener, auch in Puntland, insbesondere in und um XXXX . Die Situation in XXXX ist nicht derartig, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko eines Eingriffs in die körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt wäre. Die Sicherheitslage in XXXX steht daher einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in dieser Stadt nicht entgegen.
Es gibt zwar sicherheitsrelevante Vorfälle in XXXX , dies bedeutet für einen Rückkehrer jedoch nicht, er wäre in dieser Stadt einem maßgeblichen Risiko ausgesetzt, Opfer allgemeiner und willkürlicher Gewalt zu werden. Die Situation in XXXX ist nicht derartig beschaffen, dass jeder Mensch in der Stadt einem Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK im Falle seiner Rückführung dorthin ausgesetzt wäre.
Die sichere Erreichbarkeit von XXXX ist jedenfalls gewährleistet. Der Flughafen in XXXX ist über den internationalen Flughafen in Mogadischu oder per Linienflug aus Dschibuti erreichbar. Rückführungen werden aber meist über Mogadischu mit Weiterreise nach XXXX durchgeführt. Es finden keine Einreise- oder Ausreisekontrollen an den Grenzen statt.
3.2.5. Der Beschwerdeführer konnte ebenso nicht darlegen, dass ihm in Somalia die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK aus diesem Grund überschritten wäre (vgl. diesbezüglich das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059, zur dargestellten „Schwelle“ des Art. 3 EMRK):
Wie sich aus den Feststellungen ergibt, war Somalia in den vergangenen Jahren wiederholt von verheerenden Dürren betroffen, die in Verbindung mit der beschränkten Infrastruktur bzw. der seit Jahrzehnten prekären Sicherheitslage zu großflächigen Nahrungsmittel-versorgungsunsicherheiten führte.
Mit Stand September 2023 befanden sich ca. 2,8 Millionen Menschen in IPC-Stufe 3 (17 % der Bevölkerung); ca. 920.000 in Stufe 4 (5 %) und keine in Stufe 5 (Hungersnot). Zusammen mit den rund 5,6 Millionen in IPC 2 war im Herbst 2023 die Hälfte der Gesamtbevölkerung von 17 Millionen Menschen Ernährungsunsicherheit ausgesetzt. Somalia erholt sich aufgrund der letzten Regenzeit von der Dürre 2000-2023. Für die urbane Bevölkerung in XXXX gilt mittlerweile nur noch IPC-Stufe 2 (stressed), für IDP-Lager in XXXX gilt IPC-Stufe 3 (crisis) (siehe Bericht FEWS). Auch sonstige Berichte haben ergeben, dass sich die Lage in Somalia und auch im Norden Somalias aufgrund der guten Regensaison im Herbst 2023 weiterhin verbessern wird, so werden sich von April bis Juni 2024 über 9 Millionen Menschen in Somalia in der IPC-Stufe 1 (minimal) befinden, über 6 Millionen Menschen in der IPC Stufe 2 (stressed) und ca. 3,5 Millionen Menschen in der IPC-Stufe 3 und 4 (crisis und emergency). Bis auf IDP-Lager und einen kleinen Landstrich im Osten und im Westen wird bis Juni 2024 in Puntland und in Nordsomalia IPC-Stufe 2 (stressed) gelten. Es hat sich daher auch die Nahrungsmittelsicherheit in XXXX wieder stabilisiert. Die Familie des Beschwerdeführers war auch bisher nicht von der Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, dieser ging es gut. Dadurch, dass der Beschwerdeführer in XXXX über ein familiäres Netzwerk verfügt und die finanzielle Situation seiner Familie gut ist, er erwerbsfähig ist und er auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen kann, ist er nicht von einer möglichen Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Er kann auch weiterhin bei seiner Familie in XXXX wohnen, sodass er sich nicht in einem IDP-Camp ansiedeln muss.
3.2.6. Ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen ist für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist. Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration hängt in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person ab. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden, vor allem, wenn sie aus dem Westen zurückkehren. Zur Klärung, welche Mittel eine Person bei einer Rückkehr zur Verfügung hat, sind folgende Punkte zu berücksichtigen: Die Lebensumstände der Person vor der Abreise; die Dauer der Abwesenheit; die Clan-Verbindungen, auf welche zurückgegriffen werden kann; der Zugang zu finanziellen Ressourcen; die Möglichkeiten der Person, sich durch Arbeit oder Selbständigkeit einen Lebensunterhalt zu finanzieren; die Verfügbarkeit von Remissen aus dem Ausland; die Lebensumstände der Person im Gastland; und die Frage, ob die Finanzierung der Reise in den Westen einer finanziellen Unterstützung bei der Rückkehr entgegensteht.
Der Beschwerdeführer ist mit den Gepflogenheiten in Somalia vertraut und spricht Somalisch als Muttersprache. Er kann auf Somalisch sehr gut lesen und schreiben, zudem spricht er auch gut Arabisch und er kann auch in dieser Sprache mittelmäßig lesen und schreiben. Der Beschwerdeführer hat daher – im Vergleich mit anderen Landsleuten – sehr gute Sprachkenntnisse, die ihm auch am Arbeitsmarkt von Vorteil sind. Er verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und somit über einen weit überdurchschnittlichen Bildungsgrad im Vergleich zu anderen Landsleuten. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und gesund. Er hat den Beruf des Elektrikers gelernt und auch jahrelang als Schweißer gearbeitet, sodass er über relevante Arbeitserfahrung verfügt.
Der Beschwerdeführer verfügt über Ersparnisse in Höhe von 4.500 EUR. Er kann daher auch mit diesen Ersparnissen sich ein Leben in Somalia aufbauen. Seine Frau verfügt über Ersparnisse in Höhe von ca. 3.000 USD, sodass die finanzielle Lage der Familie des Beschwerdeführers in Somalia gut ist. Zudem kann er auch über die in XXXX lebende Tante sein Haus und sein Grundstück in XXXX vermieten oder verkaufen um so weitere Einkünfte zu lukrieren.
Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Restart III bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro an Sachleistungen - etwa im Rahmen einer Unternehmensgründung oder für Bildungsmaßnahmen, für Beratung nach der Rückkehr und für situationsspezifische Unterstützung vor Ort.
3.2.6. Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich sich nach anfänglichen Schwierigkeiten ein Leben ohne unbillige Härten, wie es auch andere Landsleute führen, in XXXX aufzubauen. Der Beschwerdeführer verfügt über Selbständigkeit und Anpassungsfähigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich der Beschwerdeführer nach anfänglichen Schwierigkeiten, jedenfalls in der Stadt XXXX ansiedeln kann und sich dort eine Existenz aufbauen kann. Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich sich in XXXX bei seiner Kernfamilie anzusiedeln und sich dort – nach anfänglichen Schwierigkeiten – ein Leben ohne unbillige Härten aufzubauen.
3.2.4. Der Beschwerdeführer kann auch durch die Inanspruchnahme von österreichischer Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden. Es ist deshalb auch nicht zu befürchten, dass er bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten würde.
Es haben sich beim Beschwerdeführer zudem keine ernsten oder sonstigen lebensbedrohliche Erkrankungen ergeben. Die Angaben des Beschwerdeführers legen somit eine Exzeptionalität der Umstände oder eine konkrete Betroffenheit des Beschwerdeführers nicht dar. Auch eine Reisewarnung des Außenministeriums kann keine den Beschwerdeführer konkret treffende Exzeptionalität darlegen.
In jedem Fall setzt eine durch die Lebensumstände im Zielstaat bedingte Verletzung des Art. 3 EMRK aber eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr voraus. Die bloße Möglichkeit eines dem Art. 3 EMRK widersprechenden Nachteils reicht hingegen nicht aus, um Abschiebungsschutz zu rechtfertigen (VwGH vom 06.11.2009, 2008/19/0174). Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr nach Somalia sein kann, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben. Der Beschwerdeführer hat für seinen Einzelfall keine individuellen, konkret seine Person treffenden exzeptionellen Umstände aufgezeigt bzw. diese glaubhaft gemacht.
Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist diesem eine Rückkehr nach Somalia und eine Ansiedlung in die Stadt XXXX bei seiner Kernfamilie möglich und auch zumutbar.
3.2.5. Die Beschwerde betreffend Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.
3.3. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides – Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
3.3.1. Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG
3.3.1.1. § 57 AsylG lautet auszugsweise:
„Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, …,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
…“
3.3.1.2. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.
Die Beschwerde ist zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides daher als unbegründet abzuweisen.
3.3.2. Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG
3.3.2.1. § 52 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 9 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG), und §§ 58 Abs. 2 und 52 AsylG lauten auszugsweise:
„Rückkehrentscheidung (FPG)
§ 52 …
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn,
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird,
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
…“
„Schutz des Privat- und Familienlebens (BFA-VG)
§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,4. der Grad der Integration,5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind.
…“
„Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln
Antragstellung und amtswegiges Verfahren (AsylG)
§ 58 …
(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
…“
„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK (AsylG)
§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn,
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
…“
3.3.2.2. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien vorzunehmen. Dabei sind die Umstände des Einzelfalles unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Unter „Privatleben“ im Sinne von Art. 8 EMRK sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554).
Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (VwGH vom 25.04.2018, Ra 2018/18/0187). Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (VwGH vom 18.09.2019). Die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie dem Ausüben einer Erwerbstätigkeit stellt bei einem Aufenthalt von knapp vier Jahren im Zusammenhang mit der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine außergewöhnliche Integration dar (VwGH vom 18.09.2019, Ra 2019/18/0212). Es ist im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH vom 28.02.2019, Ro 2019/01/003).
Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens ein hoher Stellenwert zu. Gegen diese Normen verstoßen Fremde, die nach dem negativen Abschluss ihres Asylverfahrens über kein weiteres Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und unrechtmäßig in diesem verbleiben (VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).
3.3.2.3. Da der Beschwerdeführer über keine Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich verfügt, ist ein Eingriff in sein Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen.
3.3.2.4. Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen und somit illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung am 09.04.2022, somit seit etwas mehr als 2 Jahren, im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer durfte sich in Österreich bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war.
Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse und hat an Deutschkursen auf dem Niveau A1 teilgenommen, jedoch noch keine Deutschprüfung absolviert. Er geht in Österreich seit 19.09.2023 einer Erwerbstätigkeit nach und erhält ein Monatsbruttogehalt iHv € 1.351,56, das ist ein Monatsnettogehalt iHv € 1.147,20. Er erbrachte im Laufe seines Aufenthaltes auch ehrenamtlichen Tätigkeiten und nahm an Integrationskursen teil.
Der Beschwerdeführer hat daher innerhalb der letzten zwei Jahre Integrationsschritte gesetzt und sich um eine gute Integration bemüht. Insgesamt kann jedoch nicht von einer außergewöhnlichen Integration ausgegangen werden.
Es ist auch nach wie vor von einer engen Bindung des Beschwerdeführers nach Somalia auszugehen, zumal er sein gesamtes bisheriges Leben bis zur Ausreise dort verbracht hat. Er wurde in Somalia sozialisiert und besuchte dort die Schule. Er spricht auch Somalisch als Muttersprache. Hinzu kommt, dass er nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia hat. Aufgrund der relativ kurzen Ortsabwesenheit kann auch nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer seinem Kulturkreis völlig entrückt wäre, sodass er sich in Somalia problemlos wieder eingliedern wird können.
Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens ist dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Der Beschwerdeführer durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
3.3.2.5. Den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Der Beschwerdeführer konnte zwar Integrationsschritte setzen, es liegen jedoch keine außergewöhnlichen Umstände vor.
3.3.2.6. Bei Gesamtbetrachtung all der oben behandelten Umstände und der Abwägung dieser im Sinne des § 9 BFA-VG ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig machen würden oder die die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erforderlich machen würden.
Der Beschwerdeführer hat weder behauptet, über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens zu verfügen, noch ist ein solches im Ermittlungsverfahren hervorgekommen.
Die Erlassung der Rückkehrentscheidung ist daher im vorliegenden Fall geboten und ist auch nicht unverhältnismäßig.
3.3.3. Zulässigkeit der Abschiebung
3.3.3.1. §§ 52 Abs. 9 und 50 FPG lauten auszugsweise wie folgt:
„Rückkehrentscheidung
§ 52 …
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
…
Verbot der Abschiebung
§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
…“
3.3.3.2. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 FPG entsprechen jenen des § 8 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG entsprechen jenen des § 3 Abs. 1 AsylG. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde mit der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verneint.
Es besteht auch keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, welche eine Abschiebung nach Somalia für unzulässig erklärt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia ist daher zulässig.
3.3.3.3. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia ist daher zulässig.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.4. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides – Ausreisefrist
3.4.1. § 55 FPG lautet auszugsweise:
„Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
…
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.“
3.4.2. Besondere Umstände im Sinne des § 55 Abs. 2 FPG sind im Beschwerdeverfahren nicht vorgebracht worden. Die Beschwerde richtet sich zwar gegen sämtliche Spruchpunkte, der Beschwerdeführer hat jedoch weder substantiierte Beschwerdegründe hinsichtlich dieses Spruchpunktes vorgebracht, noch eine Abänderung dieser Frist beantragt.
Es wurden vom Beschwerdeführer zudem auch weder besondere Umstände nachgewiesen, noch ein anderer Termin für die Ausreise bekannt gegeben. Der Beschwerdeführer hat auch nicht vorgebracht, dass er eine andere Frist zur Ausreise benötigen würde, um allfällige persönliche Verhältnisse zu regeln.
Die vom Bundesamt gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise entspricht daher den gesetzlichen Bestimmungen.
3.4.3. Die Beschwerde zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.
Zu B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen sowohl auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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