BVwG W215 1435187-1

BVwGW215 1435187-15.10.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W215.1435187.1.00

 

Spruch:

W215 1435187-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 19.04.2013, Zahl 12 13.622-BAW, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß

§ 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin gelangte illegal in das Bundesgebiet und stellte am 30.09.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich einer niederschriftlichen Erstbefragung am 01.10.2012 gab die Beschwerdeführerin an, ledig, kinderlos, Tschetschenin, von Beruf XXXX und in Tschetschenien wohnhaft gewesen zu sein. Sie sei ausgereist, nachdem sie Probleme mit Regierungsleuten bekommen hätte, welche auf der Suche nach ihrem bereits ein Jahr zuvor ausgereisten Bruders seien.

In den niederschriftlichen Befragungen im Bundesasylamt am 07.11.2012 und 11.04.2013 gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, sie sei wegen ihres Bruders aus der Russischen Föderation ausgereist. Vertreter der Staatsgewalt seien daran interessiert gewesen, dass die Beschwerdeführerin und ihre Familie den ausgereisten Bruder der Beschwerdeführerin zur Rückkehr bewegen.

I.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.04.2013, Zahl 1213.622-BAW, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin vom 30.09.2012 in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt III. gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.04.2014 erteilt. Im Bescheid wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin keine asylrelevante Verfolgungsgefahr dargetan habe. Infolge der Erkrankung einer Schwester der Beschwerdeführerin sei eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren. Nachdem es dem Bruder der Beschwerdeführerin nicht gelungen sei, asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, sei diese auch nicht seinetwegen gefährdet und der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen gewesen.

Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes vom 19.04.2013, Zahl

12 13.622-BAW, zugestellt am 25.04.2013, richtet sich eine fristgerecht am 08.05.2013 eingebrachte Beschwerde.

I.3. Die Beschwerdevorlage vom 15.05.2013 langte am 24.05.2013 beim Asylgerichtshof ein und wurde auf Grund der damals geltenden Geschäftseinteilung der Gerichtsabteilung D/9 zur Erledigung zugewiesen.

I.4. Mit 01.01.2014 wurde der Asylgerichtshof zum Bundesverwaltungsgericht und auf Grund der ersten Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes gegenständlicher Verwaltungsakt zur Entscheidung der Gerichtsabteilung W218 zugewiesen.

Auf Grund einer Unzuständigkeitseinrede wurde die gegenständliche Rechtssache am 13.02.2014 der Gerichtsabteilung W218 abgenommen und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Für den 18.09.2014 wurde zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu welcher die Beschwerdeführerin (Anmerkung: in den Verhandlungsschriften P2) erschien. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde ordnungsgemäß geladen, erschienen aber nicht. Die Verhandlung wurde zur Einholung von Sachverständigengutachten im Verfahren der Geschwister der Beschwerdeführerin vertagt. Die Verhandlung wurde am 17.06.2015 fortgesetzt und abermals vertagt. In der Verhandlung am 24.07.2015 wurde die Beschwerdeführerin befragt und hatte Gelegenheit zur Stellungnahme zum Asylverfahren ihres Lebensgefährten, zugleich Vaters ihres Kindes, sowie ihren Rückkehrbefürchtungen.

Am 27.08.2015 erreichte das Bundesverwaltungsgericht ein Schriftsatz der Beschwerdeführerin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, Tschetschenin und moslemischen Glaubens.

II.1.2. Die Beschwerdeführerin lebte bis ins Jahr 2012 im Herkunftsstaat und gelangte im September 2012 ins Bundesgebiet. Dem Lebensgefährten und Vater ihres Kindes, mit dem die Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet die islamische Ehe geschlossen hat, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2014, Zahl 811400406-1958067, gemäß § 3 AsylG, der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass diesem kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Im Fall ihrer Rückkehr befürchtet die Beschwerdeführerin, wegen ihres in Österreich asylberechtigten Lebensgefährten verhört zu werden, Gewalt ausgesetzt zu sein, wenn nicht gar getötet zu werden.

II.1.3. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wird festgestellt:

Politische Lage

Die Russische Föderation hatte im Juli 2015 mehr als 142 Millionen Einwohner (CIA Factbook Stand 24.08.2016). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 07. Mai 2012 Wladimir Putin. Er wurde am 04. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 08. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten (AA Stand März 2016).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Der Föderationsrat ist als obere Parlamentskammer das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht (einschließlich der vier Vertreter aus den völkerrechtswidrig annektierten Föderationssubjekten Krim und Sewastopol) aus bis zu 187 Mitgliedern. Jedes Föderationssubjekt entsendet zwei Vertreter in den Föderationsrat, je einen aus der Exekutive und der Legislative. Der Staatspräsident kann ferner bis zu 17 weitere Senatoren ernennen. Der im September 2000 durch Präsidialdekret geschaffene Staatsrat der Russischen Föderation tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt als ausschließlich beratendes Gremium Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Er besteht aus den Gouverneuren der Regionen, den Vorsitzenden von Staatsduma und Föderationsrat sowie den Fraktionsvorsitzenden der in der Staatsduma vertretenen Parteien (AA Stand März 2016). Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400 000 Mitgliedern, die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150 000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185 000 Mitgliedern, die populistisch und antiliberal ausgerichtet ist; die Rechte Sache (Pravoje Delo), mit 62 000 Mitgliedern, bekennt sich zum Neoliberalismus; Jabloko, demokratisch-liberale Partei mit 55 000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85 000 Mitgliedern (LIP Geschichte und Staat, September 2016).

(CIA - Central Intelligence Agency, The World Factbook, Russia, last update 24.08.2016,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html

AA - Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Innenpolitik, Stand März 2016,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html

LIP - Liportal, Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung September 2016,

https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat )

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012). Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (RFE/RL 19.01.2015). Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 05.03.2012, Ria Novosti 05.12.2012, vgl. auch ICG 06.09.2013). In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 - nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten - forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015).

(ICG - International Crisis Group, The North Caucasus: The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law, 06.09.2013,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf

ÖB Moskau, Österreichische Botschaft, Asylländerbericht Russische Föderation, 10.2015

Ria Novosti, United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, 05.12.2011,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html

Rüdisser Veronika, Russische Föderation/Tschetschenische Republik.

In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, 11.2012,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/

Die Welt, In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin, 05.03.2012,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty, The Unstoppable Rise of Ramzan Kadyrov, 19.01.2015,

http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html )

Sicherheitslage

Angesichts der Terroranschläge auf Linienbusse, den Bahnhof in Wolgograd, den Moskauer Flughafen Domodedowo und die Moskauer U-Bahn wird zu erhöhter Vorsicht und Wachsamkeit vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei größeren Menschenansammlungen geraten (insbesondere Vorsicht bei herrenlosen Gepäckstücken und verdächtigen Gegenständen). Obwohl die Großstädte als relativ sicher gelten, sollte nur wenig Bargeld mitgeführt und Wertgegenstände nicht offen zur Schau gestellt werden. Nachtlokale sollten wegen Überfallsgefahr nur in Begleitung oder in Gruppen verlassen werden. Fernreisen mit dem Zug können unsicher sein. Bei Taxifahrten in den Nachtstunden wird empfohlen, vor dem Einsteigen demonstrativ das Kennzeichen aufzuschreiben und anschließend einen (auch fingierten) Anruf zu tätigen. Bei Überfällen sollte jeglicher Widerstand vermieden werden, da das Führen und die Verwendung von Schusswaffen durch Kriminelle nicht auszuschließen ist. Konflikte im Nordkaukasus können in der gesamten Russischen Föderation zu Attentaten führen und sollen in ihrem Gefahrenpotenzial keineswegs unterschätzt werden (BMEIA Stand 06.09.2016).

Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 01.08.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.03.2016).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf. Die generelle Empfehlung, besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht insbesondere bei Menschenansammlungen und bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (insbesondere U-Bahn, Bus) walten zu lassen, gilt unverändert (AA Sicherheitshinweise Stand 06.09.2016).

(BMEIA - Österreichisches Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation, Russische Föderation, unverändert gültig seit 14.04.2016, Stand 06.09.2016, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf

ICG - - International Crisis Group, The North Caucasus Insurgency and Syria, An Exported Jihad? Europe Report N°238, 14.03.2016, http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/europe/caucasus/238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf

AA - Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.02.2016, Stand 06.09.2016

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_89A9837342D6D11D2EC1D5EDE3A85A03/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html )

Sicherheitslage Nordkaukasus

Von nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Dagestan Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien wird angesichts der dortigen prekären Sicherheitslage abgeraten. Ein von Tschetschenien ausgehendes erhöhtes Gefährdungspotential ist darüber hinaus auch im gesamten Nordkaukasus (Regionen Krasnodar und Stawropol, Republiken Adygeja, Karatschai-Tscherkessien, Nordossetien) gegeben. (BMEIA Stand 06.09.2016).

Bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus sowie angrenzende Regionen wird auf die erhöhte Sicherheitsgefährdung hingewiesen. Insbesondere von nicht zwingend erforderlichen Reisen nach Inguschetien, Tschetschenien, Dagestan und Kabardino-Balkarien wird dringend abgeraten. In den oben genannten Regionen besteht aufgrund von Anschlägen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Entführungsfällen ein hohes Sicherheitsrisiko (AA Sicherheitshinweise Stand 06.09.2016).

Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien - so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 23.02.2016).

Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.

Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA Stand Januar 2016).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch

Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).

Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 08.02.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.05.2016) und im 2. Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 87 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 51 davon getötet, 36 (verwundet (Caucasian Knot 11.08.2016).

(BMEIA - Österreichisches Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres, Reiseinformation, Russische Föderation, unverändert gültig seit 14.04.2016, Stand 06.09.2016, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation

AA - Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 03.02.2016, Stand 06.09.2016

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_89A9837342D6D11D2EC1D5EDE3A85A03/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html

ÖB Moskau, Österreichische Botschaft, Asylländerbericht Russische Föderation, 10.2015

SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik, Reaktionen auf den Islamischen Staat (ISIS) in Russland und Nachbarländern, 10.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf

AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, 08.02.2016,

http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527

AI - Amnesty International, Amnesty International Report 2015/2016, Russische Föderation, 23.02.2016, https://www.amnesty.org/en/countries/europe-and-central-asia/russian-federation/report-russian-federation/

Caucasian Knot, Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2016 10.05.2016, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35530/

Caucasian Knot, Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 2 of 2016, 11.08.2016, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/36495 )

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 04.2015).

Im Dezember 2014 ist Tschetschenien von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert. Dabei wurden am Donnerstag, den 04.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 04.12.2014).

Laut NGO "Kawkaski-Usel" waren 2014 in Tschetschenien 117 Opfer gewaltsamer Auseinandersetzungen zu beklagen, darunter 52 Tote. Für das erste Halbjahr 2015 berichtet die NGO von 21 Opfern gewaltsamer Auseinandersetzungen, darunter 10 Tote (AA Stand Januar 2016). 2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 117), 14 davon getötet und 16 davon verwundet (Caucasian Knot 08.02.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es in Tschetschenien 01 Opfer, dieses wurde getötet, des bewaffneten Konfliktes (Caucasian Knot 10.05.2016) und i, 2. Quartal 2016 gab es in Tschetschenien 14 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 03 davon getötet und 11 verwundet (Caucasian Knot 11.08.2016).

(SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik, Dagestan Russlands schwierigste Teilrepublik, 04.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf

NZZ - Neue Zürcher Zeitung, Tote bei Gefechten in Grosny, 04.12.2014,

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064

AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

Caucasian Knot, Infographics, Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, 08.02.2016,

http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527

Caucasian Knot, Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2016 10.05.2016, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35530

Caucasian Knot, Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 2 of 2016, 11.08.2016, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/36495 )

Justiz

Höchste Rechtsinstanz in Russland ist der Oberste Gerichtshof, daneben gibt es einen Obersten Schiedsgerichtshof. Die Richter dieser Gerichte werden durch den Föderationsrat auf Empfehlung des Präsidenten ernannt. 2003 haben Schwurgerichte ihre Arbeit aufgenommen (LIP Geschichte und Staat September 2016).

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (rund 1 %) zu Freisprüchen der Angeklagten. Lt. einer Umfrage des Levada-Zentrums16 über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der RF widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Konfrontation mit dem Westen laufen in Russland mehrere politisch motivierte Prozesse gegen ausländische Staatsangehörige (z.B. die ukrainische Pilotin Nadja Savchenko), die in einigen Fällen (z.B. ukrainischer Regisseur Oleg Sentsov oder estnischer Sicherheitsbeamter Eston Kohver) bereits zu Verurteilungen geführt haben und an der Unabhängigkeit der russischen Justiz von der Politik zweifeln lassen. Gleichzeitig ist ein Anstieg der Anklagen wegen Hochverrats gegen russische Staatsangehörige zu beobachten. Diese Prozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und nur wenige Informationen geraten in die Medien (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AA Stand Januar 2016).

Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. USDOS erstellt 2016). Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. In außenpolitisch motivierten Prozessen gegen den ukrainischen Filmemacher Oleg Senzow und den Mitangeklagten Alexander Koltschenko sind im November hohe Strafen von 20 und zehn Jahren Lagerhaft bestätigt worden. Es handelte sich um einen politisch manipulierten Prozess, in dem keinerlei entlastendes Material in die Urteilsfindung einbezogen wurde. Ähnliches gilt für den noch laufenden Prozess gegen die ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko (AA Stand Januar 2016).

(LIP - Liportal, Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung September 2016,

https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat

ÖB Moskau, Österreichische Botschaft, Asylländerbericht Russische Föderation, 10.2015

AA - Auswärtiges Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

USDOS - U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2015, erstellt 2016, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252893#wrapper )

Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 09.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 04.2015).

Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA Stand Januar 2016).

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA Stand Januar 2016). Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.04.2011).

(SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik, Dagestan Russlands schwierigste Teilrepublik, 04.2015, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf

EASO - European Asylum Support Office, Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautentführung; Waisenhäuser), 09.2014, http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf

BAA/Staatendokumentation, Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien, 20.04.2011

CoE-Commissioner for Human Rights, Report by Nils Muižnieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 3 to 12 April 2013, 12.11.2013, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1384353253_com-instranetrf.pdf

DIS - Danish Immigration Service, Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, 01.2015, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-findingmission-report.pdf

AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016)

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (USDOS erstellt 2016).

Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Der Standard 06.04.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein - der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Der Standard 07.04.2016).

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA Stand Januar2016).

Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).

(USDOS - U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2015, erstellt 2016, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252893#wrapper

Zenithonline, Speznaz, Spiele und Korruption, 10.02.2014, http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/speznaz-spiele-und-korruption-004017

Rüdisser Veronika, Russische Föderation/Tschetschenische Republik.

In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, 11.2012,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/

AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

Der Standard, Putin: Russland richtet Nationalgarde ein, 06.04.2016, http://derstandard.at/2000034264935/Putin-Russland-richtet-Nationalgarde-ein

Der Standard Putin leistet sich eine eigene Elitetruppe, 07.04.2016,

http://derstandard.at/2000034322284/Wladimir-Putin-leistet-sich-eine-eigene-Elitetruppe )

Folter und unmenschliche Behandlung

Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).

Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS erstellt 2016).

Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen

sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.02.2016).

Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.03.2015).

(USDOS - U.S. Department of State, Country Report on Human Rights Practices for 2015, erstellt 2016, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252893#wrapper

UK FCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth, Human Rights and Democracy Report 2014 - Section XII: Human Rights in Countries of Concern - Russia, 12.03.2015,

https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-of-concern--2/russia-country-of-concern#conflict-and-protection-of-civilians

ÖB Moskau, Österreichische Botschaft, Asylländerbericht Russische Föderation, 10.2015

AI - Amnesty International, Amnesty International Report 2015/2016, Russische Föderation, 23.02.2016, https://www.amnesty.org/en/countries/europe-and-central-asia/russian-federation/report-russian-federation )

Menschenrechtslage

Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

Rassendiskriminierung (1969)

Zusatzprotokoll (1991)

Zusatzprotokoll (2004)

Behandlung oder Strafe (1987)

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 06.12.2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.07.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA Stand Januar 2016).

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Art-Gruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering. Einschüchternd auf die Zivilgesellschaft sollte das Urteil gegen drei Mitglieder der Punkband Pussy Riot wirken, die in der Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau mit einer Performance gegen Putin protestiert hatten. Die drei Frauen wurden zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Von einer Amnestie im Dezember 2013 konnten mehrere Tausend Personen profitieren (u.a. die Aktivistinnen von "Pussy Riot"), zudem begnadigte Putin den seit fast zehn Jahren inhaftierten Michail Chodorkowskij. Der Druck auf andere Regimekritiker, Teilnehmer von Protestaktionen, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen nimmt dennoch zu, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Seit 2012 wurden die NGO-Gesetze zunehmend verschärft. Seither müssen sich Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, als "ausländische Agenten" anmelden. Die Organisationen unterliegen verstärkten Kontrollen durch die Behörden. Mehrere Organisationen haben daraufhin ihre Arbeit eingestellt. Seit Ende Mai 2015 kann der Generalstaatsanwalt nun eine Organisation, die vom Föderationsrat als "unerwünscht" eingestuft wurde, ohne weitere Verfahren verbieten (LIP Staat September 2016).

Formal garantiert Russland in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten.

Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA Innenpolitik Stand März 2016).

(LIP - Liportal, Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung September 2016,

https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat

AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

AA - Auswärtiges Amt, Russische Föderation, Innenpolitik, Stand März 2016,

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html )

Tschetschenien

Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA Stand Januar 2016).

Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Der Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW Jänner 2016).

NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015).

2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 03.06.2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (HRW Jänner 2016, AI 23.02.2016).

(AA - Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

Der Tagesspiegel, Wladimir Putin legt Russland an die Kette, 19.12.2014,

http://www.tagesspiegel.de/meinung/jahrespressekonferenz-des-kremlchefs-wladimirputin-legt-russland-an-die-kette/11140502.html

ÖB Moskau, Österreichische Botschaft, Asylländerbericht Russische Föderation, 10.2015

HRW - Human Rights Watch World Report 2016, Russia, veröffentlicht Jänner 2016,

https://www.hrw.org/world-report/2016/country-chapters/russia

AI - Amnesty International, Amnesty International Report 2015/2016, Russische Föderation, 23.02.2016, https://www.amnesty.org/en/countries/europe-and-central-asia/russian-federation/report-russian-federation )

Todesstrafe

Die mit der Aufnahme Russlands in den Europarat 1996 eingegangene Verpflichtung zur formellen Abschaffung der Todesstrafe wurde nicht erfüllt. Ein Moratorium aus dem Jahre 1999 setzte die Vollstreckung der Todesstrafe jedoch aus (LIP Geschichte und Staat September 2016). Das Strafgesetzbuch sieht seit 1997 für schwere Kapitalverbrechen die Todesstrafe vor. Seit 1996 gilt jedoch ein Moratorium des Staatspräsidenten gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Verpflichtung, bis spätestens 1999 dem 6. Protokoll zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe beizutreten, ist Russland bisher nicht nachgekommen. Die Bevölkerung ist mehrheitlich für die Beibehaltung der Todesstrafe. Die Todesstrafe bleibt ausgesetzt. Obwohl sie noch nicht de jure abgeschafft ist, kann von einer de facto-Abschaffung gesprochen werden (AA Stand Januar 2016).

(AA - Auswärtiges Amt Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 05.01.2016, Stand Januar 2016

LIP - Liportal, Russland, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung September 2016,

https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat )

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Die Identität der Beschwerdeführerin (siehe oben II.1.1.) konnte nach Vorlage eines russischen Inlandspasses bereits vom Bundesasylamt festgestellt werden. Die Feststellungen zur Volksgruppenzugehörigkeit und zur Religionszugehörigkeit (siehe oben II.1.1.) beruhen auf den diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin.

II.2.2. Die Feststellungen zu den Gründen für ihren Aufenthalt außerhalb des Herkunftsstaates und den nunmehrigen Rückkehrbefürchtungen (siehe oben II.1.2.) beruhen auf dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in den Beschwerdeverhandlungen beim Bundesverwaltungsgericht und dem den Lebensgefährten der Beschwerdeführerin betreffenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, mit dem diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen betont, dass die Aussage des Asylwerbers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt und daher der persönliche Eindruck des Asylwerbers für die Bewertung der Glaubwürdigkeit seiner Angaben von Wichtigkeit ist (VwGH 24.06.1999, 98/20/0453; VwGH 25.11.1999, 98/20/0357).

Die ledige Beschwerdeführerin hat am 10.12.2012 im österreichischen Bundesgebiet mit einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation eine "Ehe nach islamischem Ritus" geschlossen, wobei sich dieser zum damaligen Zeitpunkt als Asylwerber im Bundesgebiet befand. Zwischenzeitlich wurde diesem Lebensgefährten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Die Beschwerdeführerin hat in der Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar dargetan, dass sie als nach islamischem Recht angetraute Ehefrau ihres Lebensgefährten für den Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat um ihr Leben fürchte. Die unbescholtene Beschwerdeführerin hat anschaulich dargestellt, dass sie von den Verfolgern ihres Lebensgefährten als zu dessen Familie gehörig betrachtet werde und als Familienangehörige derselben Gefahr wie ihr Lebensgefährte ausgesetzt wäre.

Die Rückkehrbefürchtungen der Beschwerdeführerin erscheinen in Zusammenschau mit den vorliegenden Informationen zum Asylverfahren des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin nachvollziehbar.

II.2.3. Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin (siehe oben II.1.3.) beruhen auf dem in der letzten Beschwerdeverhandlung zitierten Dokumentationsmaterial sowie etwas aktuelleren, mit den in der letzten Beschwerdeverhandlung genannten Berichten inhaltlich in Einklang stehenden, Berichten aus den bereits in der Beschwerdeverhandlung zur Kenntnis gebrachten Quellen. Die Parteien des Beschwerdeverfahrens haben zu keinem Zeitpunkt Einwand gegen die Heranziehung der genannten Informationsquellen erhoben. Die herangezogenen Berichte und Informationsquellen stammen hauptsächlich von staatlichen Institutionen oder diesen nahestehenden Einrichtungen und es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Zweifel an deren Objektivität und Unparteilichkeit aufkommen zu lassen. Die inhaltlich übereinstimmenden Länderberichte befassen sich mit der aktuellen Lage in der Russischen Föderation bzw. in Tschetschenien.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Mit 01. Jänner 2014 wird der Asylgerichtshof zum Verwaltungsgericht des Bundes. (Art. 151 Abs. 51 Z 7 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 164/2013).

Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt

(§ 58 Abs. 2 VwGVG).

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert, dass als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 19.04.2001, 99/20/0273).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312, zur Gefahr einer "Sippenhaftung" ausführte, entspräche diese Form der "stellvertretenden" (oder - in anderen Fällen - zusätzlichen) Inanspruchnahme eines Familienmitgliedes dem Modell des - oft als "Sippenhaftung" bezeichneten - "Durchschlagens" der Verfolgung eines Angehörigen auf den Asylwerber, wobei in den hier in der Praxis im Vordergrund stehenden Fällen eine Verfolgung des Angehörigen wegen politischer Aktivitäten für die Asylrelevanz dieses "Durchschlagens" nicht gefordert wird, dass der potentielle Verfolger auch dem Asylwerber eine entsprechende politische Gesinnung unterstellt. Die Rechtsgrundlage für das Absehen vom Erfordernis einer dem Asylwerber selbst zumindest unterstellten politischen Gesinnung in den Fällen der "Sippenhaftung" ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in der Anerkennung des Familienverbandes als "soziale Gruppe" gemäß Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK in Verbindung mit § 7 AsylG 1997 zu sehen.

Verfolgung kann daher schon dann Asylrelevanz zukommen, wenn ihr Grund in der bloßen Angehörigeneigenschaft des Asylwerbers, somit in seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, etwa jener der Familie, liegt (VwGH 14.01.2003, 2001/01/0508-7).

Auf Grund der aktuellen Lage in der Russischen Föderation ist derzeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wegen ihres in Österreich asylberechtigten Lebensgefährten, mit dem sie seit 2012 nach moslemischen Ritus verheiratetet ist und eine Familie gegründet hat, relevanten Übergriffen von staatlicher Seite ausgesetzt wäre.

Wegen der konkreten Gefährdung der Beschwerdeführerin in Verbindung mit den Länderfeststellungen konnte in diesem konkreten Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative im Herkunftsstaat ermittelt werden.

Die Beschwerdeführerin konnte somit glaubhaft machen, dass ihr in ihrem Herkunftsstaat wegen ihres asylberechtigten Lebensgefährten Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einem Familienverband als "soziale Gruppe" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Es sind keine Hinweise hervorgekommen, wonach einer der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlusstatbestände eingetreten sein könnte.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrages auf internationalem Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 (VwGG), in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im konkreten Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der Beweiswürdigung wurde, unter Bezugnahme auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Asylverfahren (siehe dazu oben II.2.2.), ausgeführt, dass festgestellt werden konnte, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem in Österreich als Flüchtling angerkannten Lebensgefährten nach moslemischem Ritus verheiratet ist, ein gemeinsames Kind hat und im gemeinsamen Haushalt lebt. Dieses Erkenntnis beschäftigt sich vor allem mit der Erforschung und Feststellung von Tatsachen und es ergaben sich im Lauf des Verfahrens keine Hinweise auf das Vorliegen von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der langjährigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Asylverfahren ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe dazu die unter II.3. Rechtliche Beurteilung zu A angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Asylverfahren auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen treffen klare, im Sinne von eindeutigen Regelungen (vgl. OGH 22.03.1992, 5 Ob 105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

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