AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W211.2128873.1.00
Spruch:
W211 1434000-2/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1) XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, und 2) XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des 1) Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , und 2) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Die erste beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am 17.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.
2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die erste beschwerdeführende Partei im Wesentlichen an, ledig zu sein, zuletzt in XXXX in Mogadischu gelebt zu haben und der Volksgruppe der Madhiban anzugehören. Sie habe von 1997 bis 2005 in Mogadischu die Grundschule besucht. Ihr Vater sei im Jahr 2007 verstorben; ihre Mutter, zwei Brüder, und drei Schwestern würden noch in Somalia erleben. Ein Bruder sei im Jahr 2008 verstorben. Als Fluchtgrund gab sie an, dass in Somalia seit über 20 Jahren Krieg herrsche, sie dort keine Sicherheit habe, es keinen Polizeischutz und keine offizielle Regierung gebe. Ihr Vater und ihr Bruder XXXX seien unschuldig getötet worden. Ihre ältere Schwester sei von Al Shabaab entführt worden, und die beschwerdeführende Partei habe Angst, dass es ihr auch so gehen würde.
3. Bei der Einvernahme am 09.01.2013 durch die belangte Behörde gab die erste beschwerdeführende Partei soweit wesentlich weiter an, dass sie bis 2005 in Mogadischu bei ihrem Vater gelebt und dort die Schule besucht habe. Ihr Vater habe dort in einer Moschee Kinder unterrichtet. Danach sei sie zu ihrer Mutter nach XXXX , ca. XXXX km von Qoryooley entfernt, gezogen, die sie und die vier Halbgeschwister mit Zigarettenverkauf versorgt habe. Ihr Stiefvater sei ein schlechter Mensch gewesen und habe die erste beschwerdeführende Partei schlecht behandelt.
Ihre Heimat habe sie verlassen, weil sie Probleme wegen einer Zwangsheirat gehabt habe. Ihr Vater habe sie mit einem Al Shabaab Mitglied verheiraten wollen. Auf Nachfrage, ob es andere Probleme gegeben habe, meinte die erste beschwerdeführende Partei, dass es die allgemeine schlechte Sicherheitslage gegeben habe. Auf die Aufforderung, die erste beschwerdeführende Partei solle konkret erzählen, wie sie hätte verheiratet werden sollen, gab diese an, dass ihr Stiefvater sie an Al Shabaab hätte verkaufen wollen. Auf Nachfrage, ob das für Geld gewesen sei, meinte sie, sie glaube, er hätte viel Geld dafür bekommen sollen. Genau wisse sie es nicht. Auf Nachfrage, wer sie wann und wo hätte heiraten sollen, gab die erste beschwerdeführende Partei an, dass es im September 2011 gewesen sei. Sie hätte in XXXX einen Mann namens XXXX heiraten sollen. Sie habe ihn erstmals im September gesehen. Wegen dieser Ehe sei sie im Juli 2011 beschnitten worden, worunter sie nach wie vor schwer leide. Ihre Schwester sei etwa im August 2011 von Al Shabaab entführt worden. Sie wisse nicht, was mit ihr passiert sei.
4. In weiterer Folge wurde ein Sprachanalysebericht bei der Firma Sprakab beauftragt, der am 11.02.2013 zum Ergebnis kam, dass die Sprecherin nicht eine Variante des Somali spreche, die im Gebiet Mogadischu im südlichen Somalia gesprochen werde. Sie spreche eine Variante, die im nördlichen Somalia verbreitet sei. Es werde eingeschätzt, dass der sprachliche Hintergrund der Sprecherin mit sehr hoher Sicherheit im nördlichen Somalia, in den Regionen Waqooyi-galbeed und Togdheer liege. Der Sprachgebrauch der Sprecherin weise phonologische und grammatikalische Merkmale auf, die typisch für die im nördlichen Somalia gesprochene Variante von Somali seien. Bei der Kenntniskontrolle nannte sie einen falschen Bezirk in Mogadischu (Hiiran), sowie auch zwei Orte, die nicht in der Nähe von XXXX liegen würden ( XXXX ). Zu ihrem Clan habe sie angegeben, dass dieser überall in Somalia ansässig sein, was nach dem Analytiker nicht stimme, da der Clan überwiegend im nördlichen und mittleren Somalia ansässig sei.
5. Am 13.03.2013 wurde die erste beschwerdeführende Partei erneut von der belangten Behörde einvernommen. Sie gab dabei unter anderem an, bei der letzten Einvernahme nicht über das Problem ihrer erlittenen Beschneidung gesprochen zu haben, weil sie von einem Mann einvernommen worden sei. Nach ihrem Fluchtgrund befragt gab sie an, dass ihre Eltern sich getrennt hätten, als sie noch klein gewesen sei. Ihre Volksgruppe sei die Madhiban, das sei eine Minderheit in Somalia, die verachtet und diskriminiert werde. Sie sei geschlagen worden. 2005 hätten Kinder in der Schule mit Steinen auf sie geworfen. Ihr Vater habe ihr dann geraten, von dort wegzuziehen. Sie sei daraufhin zu ihrer Mutter nach Shabelle Hoose gegangen. Ihre Mutter sei mit einem anderen Mann verheiratet gewesen, der sie geschlagen habe. Sie habe keine Freiheit gehabt und die Schule nicht besuchen dürfen. Er habe gewollt, dass sie für seine Kinder arbeite. Als sie älter geworden sei, habe er eine Dame gerufen, um sie zu beschneiden. Sie seit drei Monate zuhause gewesen und habe das Haus nicht verlassen können. Später habe der Stiefvater sie mit einem Al Shabaab Mitglied verheiraten wollen. Als sie sich geweigert habe, habe er gedroht, sie umzubringen. Ihr Onkel mütterlicherseits habe das Leid nicht ertragen können und habe ihr geraten, wegzugehen. Sie habe von einem Schlepper gehört, der ihr geholfen habe. Sie habe mit ihrem Onkel das Dorf verlassen und sei mit dem Auto in Richtung Mogadischu gefahren. Ihr Onkel habe dann die Reise mit dem Schlepper organisiert. Auf die Sprachanalyse angesprochen meinte die erste beschwerdeführende Partei, dass ihre Volksgruppe nicht so wie die anderen in Somalia sei. Sie würden herumziehen. Alle aus ihrer Volksgruppe würden sprechen wie sie. Viele Somalier, mit denen sie in Griechenland zu tun gehabt habe, würden aus Nordsomalia stammen. In ihrer Region habe es nur drei Familien der Madhiban gegeben. Sie habe keine Freunde gehabt, sie habe nicht aus dem Haus dürfen. Nachdem sie ihr Land verlassen habe, habe sie ihre Sprache umgestellt, und so zu klingen, es wäre sie aus dem Norden.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der ersten beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte der ersten beschwerdeführenden Partei den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG (Spruchpunkt III.).
7. In der gegen Spruchpunkt I. eingebrachten Beschwerde wurde unter anderem ausgeführt, dass die erste beschwerdeführende Partei ausführlich zu ihren Asylgründen Stellung genommen habe. Ein Mangel an Objektivität der Analytiker sei nicht auszuschließen, weil diese anonymisiert würden. Da ihre Eltern aus dem Norden stammen würden, stimme es, dass im Norden und in Zentralsomalia dieser Dialekt gesprochen werde. Ihre Eltern seien, als sie noch jung gewesen seien, in den Süden übersiedelt.
8. Mit Erkenntnis vom 11.09.2013 wies der Asylgerichtshof die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. mit der Begründung ab, dass die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe.
Gegen dieses Erkenntnis erhob die erste beschwerdeführende Partei eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom XXXX 2014 hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis des Asylgerichtshofs mit der Begründung auf, dass der Asylgerichtshof ihr Vorbringen zu den Ereignissen, die zur Ausreise aus Somalia geführt hätten, völlig außer Betracht gelassen habe.
9. Mit Schreiben vom XXXX 11.2014 wurde bekanntgegeben, dass sich die erste beschwerdeführende Partei am XXXX 2014 einer Defibulation unterzogen habe. Sie würde damit in Somalia gesellschaftlicher Stigmatisierung und intensiver Diskriminierung ausgesetzt sein, da sie nunmehr als nicht beschnittene Frau gelte.
10. Am XXXX 2015 kam die zweite beschwerdeführende Partei zur Welt, für die ihre Mutter am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX 2016 wies die belangte Behörde den Antrag der zweiten beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsbewilligung (Spruchpunkt III.).
11. Mit Schreiben vom schließlich XXXX 03.2016 wurden die erste beschwerdeführende Partei und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 05.2016 geladen. Die belangte Behörde teilte bereits mit Schreiben am XXXX 02.2016 mit, dass eine Teilnahme an einer Verhandlung aus terminlichen Gründen nicht erfolgen werde.
12. Am XXXX 05.2016 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und in Anwesenheit der ersten beschwerdeführenden Partei und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, in der die erste beschwerdeführende Partei zur ihrem Leben in Somalia und ihren Fluchtgründen im Detail befragt wurde. Sie gab dabei unter anderem an, mit 16 Jahren zu ihrer Mutter nach XXXX gegangen zu sein. Wo sich ihrer Mutter und ihre Halbgeschwister aufhalten würden, wisse die erste beschwerdeführende Partei nicht. Zur Sprachanalyse befragt meinte sie, dass ihr Vater aus dem Norden stamme, der sie großgezogen habe. Sie würde wie ein Nordsomalier sprechen. In der Schule in Mogadischu, die sie acht Jahre lang besucht habe, habe sie keine sozialen Kontakte gehabt. Ihr Stiefvater habe sie beschneiden lassen, sie sei damals 16 Jahre alt gewesen. Er habe sie auch mit einem hochrangigen Al Shabaab verheiraten wollen. Zwischen der Beschneidung und der Nachricht, dass sie ein hochrangiges Al Shabaab Mitglied heiraten solle, seien ca. 5 Monate gelegen. Im Jahr 2014 sei eine Defibulation vorgenommen worden, ihre Familie wisse nichts davon. Sie fürchte sich, dass der Al Shabaab, mit dem sie hätte verheiratet werden soll, sie finden und töten würde. Wenn sie nach Somalia zurückkehre, würde sie zu ihrer Familie gehen; ihr Stiefvater würde sie töten, wenn er erführe, dass die erste beschwerdeführende Partei in Europa gewesen sei und gemacht habe, was sie wolle. Auf Nachfrage, dass sie vorher gesagt habe, nicht zu wissen, wo ihre Familie und ihr Stiefvater seien, meinte die erste beschwerdeführende Partei, dass sie nach ihrer Familie suchen würde im Falle einer Rückkehr. Ihr Kind würde in Somalia ein uneheliches Kind sein; das würde nicht akzeptiert werden.
13. Am XXXX 06.2016 langte eine ausführliche Stellungnahme zu den Länderberichten ein. Beigelegt war ein OP Bericht eines Krankenhauses vom XXXX 2014, nach dem die Patientin mit neun Jahren beschnitten worden sei. Es sei eine Typ II Defibulation mit Laser vorgenommen worden.
Am selben Tag langte außerdem eine Stellungnahme zum Verfahren der zweiten beschwerdeführenden Partei ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den beschwerdeführenden Parteien:
1.1.1. Die erste beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
1.1.2. Die zweite beschwerdeführende Partei ist die Tochter der ersten beschwerdeführende Partei und kam am XXXX 2015 in Österreich zur Welt. Für sie wurde am XXXX 2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
1.1.3. Es kann nicht festgestellt werden, woher aus Somalia die erste beschwerdeführende Partei stammt, noch welchem Clan sie angehört. Es kann nicht festgestellt werden, ob sich noch Familienangehörige der ersten beschwerdeführenden Partei in Somalia, bzw. wo sich solche, aufhalten.
1.1.4. Die beschwerdeführenden Parteien sind strafrechtlich unbescholten.
1.2. Es wird nicht festgestellt, dass die erste beschwerdeführende Partei an ein hochrangiges Mitglieder der Al Shabaab in XXXX zwangsverheiratet werden sollte.
1.3. Festgestellt wird, dass der zweiten beschwerdeführenden Partei in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.
2. Länderberichte zur Situation in Somalia
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten wiedergegeben.
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia, 25.04.2016, Auszüge:
1. Frauen/Kinder
Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe, insbesondere in den Lagern der Binnenvertriebenen, ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.12.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
1.1. Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (USDOS 25.6.2015), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (USDOS 13.4.2016; vgl. LI 11.6.2015; AA 1.12.2015). Betroffen sind mehr als 90% aller Mädchen (LI 11.6.2015; vgl. UNHRC 28.10.2015). In der Regel erleiden FGM dabei Mädchen im Alter von zehn bis 13 Jahren (AA 1.12.2015); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wurde die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 13.4.2016). Quellen im jüngsten Bericht des Danish Immigration Service (DIS) erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle des DIS gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).
63% der Beschnittenen erlitten die weitreichendsten Form (pharaonische Beschneidung/Infibulation/WHO Typ III) (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.12.2015).
Bei den Bendiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).
Landesweit bemühen sich die Regierungen, diese Praxis einzuschränken (AA 1.12.2015). UNICEF arbeitet mit der somalischen Regierung, mit Puntland und anderen Akteuren zusammen, um die Menschen gegen FGM zu mobilisieren und die Praktik auszurotten (UNHRC 28.10.2015). In Puntland ist FGM verboten und es gibt Zeichen einer Reduzierung. Laut einer Untersuchung von UNICEF in Zusammenarbeit mit den Regierungen von Somaliland und Puntland sind in Nordsomalia 25% der Mädchen zwischen 1-14 Jahren von FGM betroffen. Im Gegensatz dazu sind es bei den über 15jährigen 99% (UKHO 3.2.2015).
In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014). Auch die Gruppe al Islah und andere Islamisten setzen sich gegen FGM ein (C 18.6.2014). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).
Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist es aber in den Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).
Generell stößt eine Mutter, die ihre Tochter nicht beschneiden lassen will, in ländlichen Gebieten auf erhebliche Probleme. Auch in urbanen Gebieten kann es zu großem sozialen (LIFOS 24.1.2014) und psychischem Druck kommen, damit die Tochter beschnitten wird. Der psychische Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016).
Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).
Unbeschnittene Frauen sind in der somalischen Gesellschaft sozial stigmatisiert (EASO 8.2014). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.12.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
- C - Experte C (18.6.2014): Dieser Experte arbeitet seit mehreren Jahren zu Somalia.
- DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf , Zugriff 4.4.2016
- EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf , Zugriff 14.4.2016
- LI - Landinfo (11.6.2015): Barn og unge , http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1436864948_3151-1.pdf , Zugriff 4.4.2016
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539 , Zugriff 4.4.2016
- UKHO - UK Home Office (3.2.2015): Country Information and Guidance
- Somalia: Women fearing gender-based harm / violence, http://www.refworld.org/docid/54d1daef4.html , Zugriff 14.4.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx , Zugriff 23.3.2016
- USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015dlid=252727 , Zugriff 14.4.2016
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt Somalia-Somaliland, 25.04.2016, Auszüge:
2. Frauen
Die Gesundheitsbehörden in Somaliland, UN Organisationen und NGOs bekämpfen die Verbreitung von FGM; diese ist auch gesetzlich verboten. Allerdings hat sich die Tradition in der Gesellschaft kaum verändert - sie ist dort tief verwurzelt. Allerdings hat sich die Schwere des Eingriffs verändert: In vielen Fällen wird nur noch die sogenannte Sunna (WHO Typ II) angewendet (WHO 2012). Die Sunna ist gesetzlich erlaubt (LIFOS 24.1.2014). Einige Familien - vor allem gebildete städtische - haben die FGM-Tradition überhaupt aufgegeben (WHO 2012; vgl. DIS 1.2016). Das Network Against Female Genital Mutilation In Somaliland, in welchem zwanzig Gruppen der Zivilgesellschaft Kampagnen gegen Genitalverstümmelung organisieren, hat u.a. drei Zentren für Betroffene eingerichtet. Das Netzwerk arbeitet mit den somaliländischen Behörden zusammen. Auch mit religiösen Führern wird zusammengearbeitet, damit diese eine fatwa gegen FGM in Somaliland erlassen (UNHRC 28.10.2015).
Quellen:
- DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1455786226_fgmnotat2016.pdf , Zugriff 4.4.2016
- LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539 , Zugriff 4.4.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (6.11.2015): Summary prepared by the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights in accordance with paragraph 15 (c) of the annex to Human Rights Council resolution 5/1 and paragraph 5 of the annex to Council resolution 16/21; Somalia [A/HRC/WG.6/23/SOM/3], http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1455718419_g1525228.pdf , Zugriff 4.4.2016
- UNHRC - UN Human Rights Council (28.10.2015): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, Bahame Tom Nyanduga,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1451399567_a-hrc-30-57-en.docx , Zugriff 23.3.2016
- WHO - World Health Organization (2012): Child Health in Somalia - Situation Analysis,
http://applications.emro.who.int/dsaf/EMROPUB_2012_EN_734.pdf , Zugriff 1.4.2016
3. Beweiswürdigung:
3.1. Die Feststellungen zu den Personen ergeben sich aus den in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben der ersten beschwerdeführenden Parteien sowie aus ihren Sprach- und Ortskenntnissen.
Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität der ersten beschwerdeführenden Partei nicht festgestellt werden. Soweit diese namentlich genannt wird, legt das Gericht auf die Feststellung wert, dass dies lediglich der Identifizierung der ersten beschwerdeführenden Partei als Verfahrenspartei dient, nicht jedoch eine Feststellung der Identität im Sinne einer Vorfragebeurteilung iSd § 38 AVG bedeutet.
Das Datum der Antragstellungen und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
3.2. Die Feststellungen zur zweiten beschwerdeführenden Partei ergeben sich aus den Verwaltungsakten.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit der ersten beschwerdeführenden Partei fußt auf einem Auszug aus dem Strafregister vom 29.01.2016.
3.3. Die erste beschwerdeführende Partei konnte weder ihre Herkunft in Somalia, noch ihre Clanzugehörigkeit, noch ihre angebliche Fluchtgeschichte glaubhaft machen.
Sie gab selbst an, einen Dialekt aus Nordsomalia zu sprechen, wobei ihre Erklärungsversuche in der mündlichen Verhandlung, nämlich, dass sie diesen Dialekt von ihrem Vater habe, von dem sie großgezogen worden sei, nicht ausreichend nachvollziehbar sind. Insbesondere unter dem Gerichtspunkt, dass sie angab, acht Jahre lang in Mogadischu eine Schule besucht zu haben, ist ein sprachlicher Einfluss nur durch ihren Vater nicht mehr plausibel. Wenn nun die erste beschwerdeführende Partei ihre Schulzeit als gänzlich unsozial schildert, so überzeugt sie damit nicht. Bemerkenswert scheint es, dass sie sich schwer tut, die Clanzugehörigkeit ihrer Mitschüler_innen anzugeben, und dies, obwohl sie vorgibt, wegen ihrer eigenen Clanzugehörigkeit in der Schule belästigt, diskriminiert und sogar mit Steinen beworfen worden zu sein. Dass sie dann jedoch nur vage und oberflächlich über ihre Mitschüler_innen berichtet und angab, nicht nach den Subclans "gefragt" zu haben, so erscheint dies in Hinblick auf die von der ersten beschwerdeführenden Partei in den Vordergrund gestellten Probleme wegen ihrer eigenen angeblichen Minderheitenzugehörigkeit wenig plausibel. Nicht vergessen werden soll, dass sie vorbrachte, immerhin acht Jahre lang in dieser Schule gewesen zu sein.
Weder die fehlenden Einflüsse südsomalischer Dialekte noch die Minderheitenzugehörigkeit können jedoch in diesem Lichte erklärt bzw. glaubhaft gemacht werden.
Schließlich brachte die erste beschwerdeführende Partei vor, nach ihrem Umzug zur Mutter als Sechzehnjährige auf Initiative des Stiefvaters beschnitten worden zu sein. Genau gab sie in der mündlichen Verhandlung an, mit 16 Jahren beschnitten worden zu sein, damals, als sie von Mogadischu nach XXXX gekommen sei. Auf die Frage, wie viel Zeit ungefähr zwischen der Beschneidung und dem Gespräch mit dem Stiefvater über die geplante Zwangsheirat gewesen sei, meinte die erste beschwerdeführende Partei, ungefähr fünf Monate. Darauf hingewiesen, dass sie angegeben habe, 2005 nach XXXX gekommen, aber erst 2011 ausgereist zu sein, meinte sie, dass die Geschichte mit dem potentiellen Ehemann 2011 geschehen sei, sie wisse nicht, wann genau sie beschnitten worden sei.
In ihrer Einvernahme am 09.01.2013 gab die beschwerdeführende Partei noch an, wegen dieser Ehe im Juli 2011 beschnitten worden zu sein [damals wäre die erste beschwerdeführende Partei 22 Jahre alt gewesen]. Bei der Einvernahme am 13.03.2013 gab sie diesbezüglich an: "Dieser Mann, also mein Stiefvater, hat mich geschlagen. Ich hatte keine Freiheit gehabt. Ich durfte die Schule nicht besuchen. Er wollte, dass ich für seine Kinder arbeite. Er hat von mir auch verlangt, dass ich Wasser vom Brunnen hole und dies auf meinem Rücken trage. Meine Mutter hatte keinen Einfluss auf ihn gehabt und konnte mich nicht beschützen. Er hat sie selbst geschlagen. Als ich älter geworden bin, hat er eine Dame gerufen, um mich zu beschneiden. (...) Später wollte er mich mit einem Al Shabaab Mitglied verheiraten."
Unter Bedachtnahme, dass die erste beschwerdeführende Partei diese Chronologien unaufgefordert erzählte, erscheinen die zeitlichen Diskrepanzen von mehreren Jahren (einmal soll sie gleich nach ihrer Ankunft in XXXX 2005 als Sechzehnjährige, einmal 2011 als Zweiundzwanzigjährige beschnitten worden sein) widersprüchlich.
Schließlich gibt es außerdem noch den von der ersten beschwerdeführenden Partei vorgelegten OP Bericht vom XXXX 2014, nach dem die erste beschwerdeführende Partei mit neun Jahren beschnitten worden sei. In diesem Alter sie nach ihrem Vorbringen überhaupt noch in der Obhut ihres Vaters in Mogadischu gewesen. Nicht erkennbar ist, wie diese Information in die Krankenakte Eingang gefunden hat, sie trägt jedenfalls zur allgemeinen Verwirrung diesbezüglich bei.
Und schließlich bleibt auch das angebliche fluchtauslösende Vorbringen einer drohenden Zwangsheirat mit einem hochstehenden Al Shabaab Mitglied in XXXX vage und oberflächlich.
Der Sprachanalysebericht bzw. der ausgeprägte und von der ersten beschwerdeführenden Partei bestätigte nordsomalische Dialekt, die fehlende Nachvollziehbarkeit ihrer Schilderung der Schulzeit in Mogadischu, die auffallenden zeitlichen und den Ablauf betreffenden Diskrepanzen zur angeblich durch den Stiefvater initiierten Beschneidung und die Oberflächlichkeit der Schilderung der angeblichen drohenden Zwangsverheiratung lassen erhebliche Zweifel an der Herkunft, an der Clanzugehörigkeit und an der Glaubhaftigkeit der Fluchtgeschichte aufkommen. Eine Feststellung zu diesen Bereichen kann daher nicht erfolgen.
Davon betroffen sind in weiterer Folge auch die Angaben zu allfälligen in Somalia aufhältigen Familienangehörigen.
3.4. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die sich einerseits auf seriöse Quellen berufen oder, nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, solche selbst sind. Die für die gegenständliche Beschwerde entscheidungsrelevanten Berichte sind unter Punkt 2. in diesem Erkenntnis zusammengefasst wiedergegeben.
Das Bundesverwaltungsgericht verzichtete auf die ausführliche Wiedergabe von Berichten zur allgemeinen (Sicherheits‑) Lage in Somalia, Somaliland und Puntland, zur Lage der Clans und Minderheiten und zu allgemeinen Fragen der Grundversorgung, da immerhin gegenständlich den Beschwerden stattgegeben wird. Es wurden daher nur die Länderberichte rezipiert, die für diese Entscheidung im Endeffekt relevant sind.
4. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
4.1. Rechtsgrundlagen:
4.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
4.1.2. Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation der Asylwerberin und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2003, 2001/20/0011). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH 26.02.1997, 95/01/0454; 09.04.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, 95/20/0239; 16.02.2000, 99/01/0097), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich die Asylwerberin außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
4.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183; 18.02.1999, 98/20/0468). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; VwGH 27.06.1995, 94/20/0836; VwGH 23.07.1999, 99/20/0208; VwGH 21.09.2000, 99/20/0373; VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 m. w. N.; VwGH 12.09.2002, 99/20/0505 sowie VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären.
4.1.4. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen einer Asylwerberin gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status der Asylberechtigten oder der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jede_r Asylwerber_in erhält einen gesonderten Bescheid. Diese Bestimmungen gelten sinngemäß auch für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (§ 34 Abs. 5 AsylG).
Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes ist, dem der Status der subsidiär Schutzberechtigten oder der Asylberechtigten zuerkannt wurde.
4.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
4.2.1. Betreffend die erste beschwerdeführende Partei ist also zu sagen, dass weder ihre Herkunft, noch ihr Clan noch ihr Vorbringen zu den angeblich fluchtauslösenden Ereignissen geglaubt und damit einer rechtlichen Beurteilung zugeführt werden kann.
Da weder eine Minderheitenzugehörigkeit noch fehlender familiärer Anschluss festgestellt werden konnte, kann von einer allfälligen und entsprechend maßgeblichen Verfolgungsgefahr aufgrund dieser Faktoren nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden.
Das gleiche trifft auf die Vorbringen zu, die erste beschwerdeführende Partei sei aufgrund ihrer in Österreich vorgenommenen Defibulation oder wegen ihres Kindes von Verfolgung bedroht: die mangelnde allgemeine Glaubwürdigkeit der ersten beschwerdeführenden Partei erlaubt es nicht, die entsprechenden Parameter, wie das soziale und familiäre Umfeld im Falle einer - sowieso theoretischen - Rückkehr, festzustellen und anhand derer zu prüfen, ob die erste beschwerdeführende Partei tatsächlich einem entsprechend hohen sozialen und familiären Druck ausgesetzt wäre, sich einer Reinfibulation zu unterziehen, bzw. wegen ihres Kindes gefährdet zu sein. Gegenständlich lässt sich eine solche mögliche Verfolgungsgefahr in Bezug auf die konkrete Situation der ersten beschwerdeführenden Partei in (Nord‑) Somalia nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit feststellen. In diesem Sinne lässt sich auch die Begründung des in der Stellungnahme vom 09.06.2016 zitierten Erkenntnisses des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2014 zur Zl. E-1425/2014 nicht auf den gegenständlichen Sachverhalt anwenden. Die dort festgestellte Situation stellte sich gravierend anders da, als die feststellbare Situation der ersten beschwerdeführenden Partei und ist die dortige Begründung betreffend eine drohende Reinfibulation tatsächlich einer von mehreren Faktoren, die für die Asylzuerkennung wesentlich waren, und nach Verständnis der erkennenden Richterin auch nicht der wichtigste. Abschließend ist anzumerken, dass die Gefahr einer drohenden Reinfibulation in Somalia im Lichte der Rechtsprechung unter bestimmten Umständen, wie ein entsprechendes familiäres und soziales Umfeld, das Maß einer entsprechend wahrscheinlichen und ausreichend intensiven Verfolgungsgefahr erreichen kann. Gegenständlich ermöglichte jedoch die fehlende Glaubwürdigkeit der ersten beschwerdeführenden Partei nicht, diese Umstände in Erwägung zu ziehen.
Es gibt daher keinerlei Hinweise darauf, dass die erste beschwerdeführende Partei im Falle einer theoretischen Rückkehr nach Somalia oder Somaliland einer maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, ausgesetzt wäre, weshalb eine ("originäre") Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG für die erste beschwerdeführende Partei nicht in Frage kommt.
4.2.2. Die aktuellen Länderinformationen stellen fest, dass 90% der Mädchen und Frauen in Somalia Opfer einer weiblichen Genitalverstümmelung geworden sind, wobei zwischen 63% und 80% der Frauen und Mädchen der weitreichendsten Beschneidung, der Infibulation, unterzogen werden.
Daher geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass in Somalia aktuell und landesweit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit (siehe VwGH, 24.06.2010, 2007/01/1199) die Gefahr für unbeschnittene Mädchen und Frauen gegeben ist, Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden.
Dass weibliche Genitalverstümmelungen an Mädchen in Somalia sogar ohne Einverständnis der Eltern vorgenommen werden kann, wurde in der mündlichen Verhandlung in einem hg. anhängigen Verfahren bestätigt (siehe BVwG, 05.06.2015, Zl. W221 1425725-1).
Dazu kürzlich auch der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, in einem Aufruf zur Unterzeichnung und Ratifizierung der sog. "Istanbul Konvention" ("The Council of Europe's Convention on Preventing and Combatting Violence Against Women and Domestic Violence") aus, dass "harming girls in the way of FGM is an act of terrible violence and a serious abuse of a child¿s right to control her own body" (30.07.2015, http://www.coe.int/en/web/portal/-/thorbj-rn-jagland-women-s-safety-in-europe-has-been-strengthened-by-the-success-of-the-istanbul-convention -).
Die erkennende Richterin wertet eine FGM als eine schwere Misshandlung und schwere Körperverletzung mit lebenslangen Folgen für die betroffenen Mädchen und Frauen.
Die zweite beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die in Österreich geboren wurde. Sie fällt daher in jene bestimmte soziale Gruppe von Frauen und Mädchen, die in Somalia einem entsprechend hohen Risiko ausgesetzt sind, Opfer dieser Misshandlung zu werden. In Abgrenzung zu den Aussagen oben unter 4.2.1. zur ersten beschwerdeführenden Partei ist anzuführen, dass die zweite beschwerdeführende Partei ein Kleinkind ist und als besonders schutzlos und den Entscheidungen ihres Umfelds jedenfalls ausgeliefert angesehen werden muss. In Hinblick auf die dramatisch hohe Rate der Vornahme von FGM an Mädchen in Somalia und die Altersgruppe, in der nach den Länderberichten 80% von Beschneidungen vorgenommen werden, nämlich zwischen fünf und vierzehn Jahren, muss im Falle der zweiten beschwerdeführenden Partei jedenfalls, und anderes als bei der ersten beschwerdeführenden Partei betreffend eine Reinfibulation, von einem entsprechend hohen Risiko ausgegangen werden.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht, da diese Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung landesweit praktiziert wird. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Praxis in Somaliland weniger weit verbreitet sei, geht aus den Berichten nicht ausreichend klar hervor, dass die zweite beschwerdeführende Partei dort tatsächlich keinem maßgeblichen Risiko ausgesetzt wäre, Opfer einer solchen Misshandlung zu werden. Eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann jedoch insbesondere auch vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit den Länderberichten außerdem nicht davon aus, dass zur Vermeidung einer solchen Misshandlung auf die Schutzwilligkeit oder -fähigkeit der somalischen Regierungskräfte zurückgegriffen werden könnte.
4.2.3. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der zweiten beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
4.2.4. Im Einklang mit der Bestimmungen des § 34 Abs. 2 und 4 AsylG ist der ersten beschwerdeführenden Partei gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ebenfalls der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG auch für diese auszusprechen, dass ihr damit Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
4.2.5. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag der zweiten beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz am XXXX 2016 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einer Fremden, der der Status der Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt die zweite beschwerdeführende Partei nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.
Gemäß § 3 Abs. 4a AsylG gilt oben stehender Abs. 4 in einem Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 AsylG mit der Maßgabe, dass sich die Gültigkeitsdauer der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung der Familienangehörigen, von der das Recht abgeleitet wird, richtet. Daher verfügt auch die erste beschwerdeführende Partei nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung von Asyl auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
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