B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W148.1423987.1.00
Spruch:
W148 1423987-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Stefan Keznickl als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.12.2011, Zl. 11 05.278-BAL, zu Recht erkannt:
A.
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl I Nr. 144/2013, als unbegründet abgewiesen.
.
B.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idF BGBl. I Nr. 164/2013, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 30.05.2011 vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 31.05.2011 (AS 17 f.) sagte der Beschwerdeführer aus, er heiße XXXX, geb. XXXX. Er sei Staatsangehöriger von Afghanistan, Moslem schiitischer Ausrichtung, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und sei verheiratet. Er stamme aus einem näher bezeichneten Dorf, wo er bis zuletzt gelebt habe. Im Heimatort würden noch seine Mutter, seine Ehefrau, sein Sohn sowie seine fünf Geschwister leben. Sein Vater sei verstorben. Zum Reiseweg gab der Beschwerdeführer an, er sei von seinem Heimatort aus über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland auf dem Landweg nach Österreich gelangt. Als Gründe für seinen Antrag nannte er Probleme mit den Taliban in seinem Heimatort. Eine Bekannte habe ihm mitgeteilt, dass die Taliban ihn suchen würden. Er werde des Alkoholschmuggels verdächtigt.
3. Am 06.06.2011 ließ das Bundesasylamt das Verfahren des Beschwerdeführers durch Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte in Österreich zu.
4. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 03.08.2011 in der Sprache Dari ergänzte der Beschwerdeführer, sein Heimatort liege in der Provinz Ghazni. Er habe dort bis zu seiner Ausreise im Lebensmittelhandel gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen sagte der Beschwerdeführer zunächst aus, alle Hazara würden aus ethnischen Gründen verfolgt werden. Weiters habe ein Konkurrent auf dem Markt sowohl die Taliban als auch die Regierung bestochen, damit sie etwas gegen den Beschwerdeführer unternehmen. Diese hätten ihn sodann des Alkoholhandels bezichtigt, weshalb er vor zwei oder drei Jahren von den Dorfältesten des Dorfes verwiesen worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich in der Folge nach Kandahar begeben und sei von dort nach Griechenland ausgereist. 2009 sei er nach Afghanistan zurückgekehrt. In Herat habe er sich eine Woche aufgehalten und habe erfahren, dass er nach wie vor von den Dorfältesten gesucht werde. Der Beschwerdeführer gab weiters an, er leide unter nervösen Beschwerden, stehe jedoch diesbezüglich nicht in Behandlung.
5. Mit (am 23.01.2012 dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Postamt zugestelltem) Bescheid vom 30.12.2011, Zl. 11 05.278-BAL, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005), ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Beschwerdeführer jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt II. und III.).
In seiner Begründung traf das Bundesasylamt Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und stellte die Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, nicht jedoch seine Identität fest. Seine Fluchtgründe erachtete das Bundesasylamt als unglaubwürdig. Beweiswürdigend wies das Bundesasylamt darauf hin, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht schlüssig, nicht substantiiert, nicht plausibel und inkonsistent gewesen sei. Sein Vorbringen habe sich als ein "Sammelsurium" verschiedener in den Raum gestellter Behauptungen erwiesen.
Rechtlich wies das Bundesasylamt darauf hin, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft machen habe können. Die Unzulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers begründete das Bundesasylamt damit, dass der Beschwerdeführer aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage in seiner Heimatregion in eine ausweglose Lage geraten würde.
Mit Verfahrensanordnung vom 30.12.2011 gab das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer einen Rechtsberater bei.
6. Gegen diesen Bescheid richtete sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde, in der die Rechtswidrigkeit des Bescheidinhalts und die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden sowie ferner unter Zitierung aus Medienberichten ausgeführt wurde, dass der Verkauf von Alkohol in Afghanistan unter Strafe stehe. Es erwarte ihn Auspeitschung und Steinigung. Der Beschwerde beigefügt waren drei medizinische Schreiben betreffend eine depressive Anpassungsstörung, die beim Beschwerdeführer vorliege.
Am 26.07.2013 langte ein Untersuchungsbericht des Landeskriminalamts, AB 08, KPU-Stelle, beim Asylgerichtshof ein, in dem der Führerschein des Beschwerdeführers als Totalfälschung ausgewiesen wird.
7. Mit Schriftsatz vom 02.05.2014 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer aktuelle Länderberichte zur allfälligen Stellungnahme.
Der Beschwerdeführer hat bis dato keine Stellungnahme abgegeben.
8. Beweis wurde erhoben, indem in die Akten des Verfahrens und die im Wege des schriftlichen Parteiengehörs übermittelten Länderberichte (Länderberichtszusammenfassung, Stand 17.03.2014) eingesehen wurden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1 Zur Situation in Afghanistan:
1.1.1 Allgemeines:
Afghanistan ist eine islamische Republik und hat schätzungsweise 24 bis 33 Millionen Einwohner. Die afghanische Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Parlament vor, das aus einem Unterhaus und einem Oberhaus, deren Mitglieder von den Provinz- und Distriktsräten sowie vom Präsidenten bestellt werden, besteht (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013).
Nach mehr als 30 Jahren Konflikt und 11 Jahre nach dem Ende der Herrschaft der Taliban befindet sich Afghanistan in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Die nationale Aussöhnung mit den Aufständischen sowie die Reintegration versöhnungswilliger Mitglieder der Insurgenz bleiben weiterhin eine Grundvoraussetzung für die Schaffung eines friedlichen und stabilen Afghanistans (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Am Nato-Gipfeltreffen im Mai 2012 in Chicago wurden der schrittweise Abzug der internationalen Truppen bis 2014 sowie die Grundzüge des Nachfolgeeinsatzes diskutiert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012). Nach einer Strategie der Übergabe der Sicherheitsverantwortung ("Transition") haben die afghanischen Sicherheitskräfte schrittweise die Verantwortung für die Sicherheit in Afghanistan von den internationalen Streitkräften übernommen. Ein Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus dem Land ist bis Ende 2014 geplant. Es wird eine Intensivierung des Konflikts zwischen regierungstreuen und -feindlichen Kräften infolge des Abzugs der internationalen Truppen erwartet, sofern nicht vorher eine Friedensvereinbarung geschlossen wird (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
Die afghanische Regierung ist weiterhin weit davon entfernt, ihren Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, effiziente Regierungsinstitutionen, Rechtsstaatlichkeit, soziale Basisdienstleistungen und Schutz vor Menschenrechtsverletzungen bieten zu können (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Mittlerweile reklamieren die Taliban mit der systematischen Einrichtung parallelstaatlicher Strukturen in immer weiter nördlich gelegenen Gebieten den Anspruch für sich, als legitime Regierung Afghanistans betrachtet zu werden. Die regierungsähnlichen Strukturen in den von den Taliban kontrollierten Gebieten (mit Schattengouverneuren und in wichtigeren Gebieten mit verschiedenen Kommissionen z.B. für Justiz, Besteuerung, Gesundheit oder Bildung) sind relativ gut etabliert (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012).
1.1.2 Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt unvorhersehbar, die Zivilbevölkerung trägt weiterhin die Hauptlast des Konflikts (UNAMA-Midyear Report von Juli 2013). Im Jahr 2013 stieg die Zahl der Verluste unter den Zivilisten um 14% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die steigende Zahl der Toten und Verletzten revidiert den Rückgang im Jahr 2012 und steht im Einklang mit den hohen Rekordzahlen von Zivilopfern im Jahr 2011 (UNAMA-Annual Report vom Februar 2014). Der Rückgang der Zahl der Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Jahr 2012 war als taktische Reaktion der Aufständischen auf den Rückzug der internationalen Truppen und keineswegs als Verlust an operationeller Fähigkeit interpretiert worden (ANSO Quarterly Report vom Juni 2012). Schon im Frühjahr 2013 waren die Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen im Vergleich zum Vorjahr um 47% angestiegen. Zudem nahmen militärische Konfrontationen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und afghanischen Sicherheitskräften, in denen vermehrt Zivilisten ums Leben kamen, in den ersten sechs Monaten 2013 zu (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Konstant bleibt jedenfalls eine bewusste Verlagerung der Angriffsziele von internationalen Truppen zu afghanischen Zielen (ANSO Quarterly Report vom April 2013).
Mittlerweile betrifft der Konflikt, der sich zuvor auf den Süden und Osten des Landes konzentrierte, die meisten Landesteile, insbesondere den Norden, aber auch Provinzen, die zuvor als die stabilsten im Land gegolten hatten. Die zwölf Provinzen mit den insgesamt meisten Sicherheitsvorfällen im Jahr 2012 waren Helmand, Kandahar und Urusgan (südliche Region), Ghazni, Paktika und Khost (südöstliche Region), Nangarhar und Kunar (östliche Region), Herat und Farah (westliche Region) und Kabul und Wardak (Zentralregion). Die südliche, die südöstliche und die östliche Region entwickelten sich zu einem zunehmend zusammenhängenden Kampfgebiet. In den Provinzen Kandahar, Kunar, Nangarhar, Logar und Wardak kam es im Jahr 2012 zu einem deutlich höheren Grad an Sicherheitsvorfällen als 2011 (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
1.1.2.1 Sicherheitslage im Raum Kabul:
Der Fokus des Terrors liegt nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren, sondern der Großteil der Gewalt passiert in ländlichen Gegenden. Dennoch verüben die Taliban (einschließlich das Haqqani-Netzwerk) in Kabul weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe und demonstrieren, dass die Aufständischen überall im Land zuschlagen und selbst den "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden können, was anscheinend darauf abzielt, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und möglicher "Geldgeber" zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu verbreiten (Ruttig, After the "operational pause", vom 2.6.2013).
Am 10.6.2013 griffen Angehörige der Taliban das NATO-Hauptquartier im militärischen Teil des Flughafens in Kabul an und lieferten den afghanischen Sicherheitskräften ein rund vierstündiges Gefecht; am Tag darauf verübten Taliban einen Anschlag auf den Obersten Gerichtshof in Kabul (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
Am 16.11.2013 steuerte ein vor Sicherheitskräften flüchtender Selbstmordattentäter in Kabul sein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug in ein Militärfahrzeug und tötete vier Zivilisten, einen Polizisten und einen Soldaten; 22 Personen wurden verletzt. Der Anschlag ereignete sich nahe des Zeltes der am 21.11.13 beginnenden Großen Stammesversammlung (Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.11.2013). Am 11.12.2013 sprengte sich ein Selbstmordattentäter am Flughafen der Hauptstadt Kabul in unmittelbarer Nähe eines Bundeswehr-Konvois in die Luft (Briefing Notes des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.12.2013). Am 27.12.2013 wurden bei einem mutmaßlichen Selbstmordanschlag auf einen Konvoi internationaler Truppen im Osten Kabuls mindestens 3 ausländische Soldaten und weitere Zivilisten getötet (Radio Free Europe vom 27.12.2013). Am 17.1.2014 töteten drei Angreifer bei einem Anschlag auf ein bei Ausländern beliebtes Lokal insgesamt 21 Menschen, darunter 13 Ausländer: Ein Attentäter sprengte sich vor dem gut gesicherten Eingang in die Luft, zwei weitere stürmten in das gut besuchte Lokal und schossen wahllos um sich (Bericht der APA vom 18.1.2014).
1.1.2.2 Sicherheitslage im Südwesten, Süden und Osten des Landes:
Im Süden waren auch 2012 die meisten zivilen Opfer zu beklagen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Im Süden und Osten finden die meisten extra-legalen Hinrichtungen statt, die überdies um 107% bzw. 114% massiv anstiegen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 3.9.2012). Der Fokus der regierungsfeindlichen Gruppierungen richtete sich jedoch zunehmend auf den Osten, wo die gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Folge rasant zunahmen. Insbesondere in der Provinz Nangarhar haben die regierungsfeindlichen Gruppierungen eine signifikante Eskalation zur Verstärkung ihrer Hochburg im Osten unternommen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). In Nangarhar stiegen die Zwischenfälle durch regierungsfeindliche Gruppierungen im ersten Quartal 2013 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 81% an. Ebenso wie in Laghman, wo die Zahl der Zwischenfälle um 250% anstieg, wurden in Nangarhar die größten Zuwächse an Angriffen der bewaffneten Opposition verzeichnet, die auf die Infiltrationsrouten aus Pakistan und die strategisch bedeutsamen Gebiete angrenzend an Kabul-Tokham-Highway abzielen. Die Provinz Kunar war im ersten Quartal 2013 nach Helmand "Spitzenreiter", was das Ausmaß der Angriffe anbelangt. Die Zahl der Vorfälle erhöhte sich in Kunar um 21% im Vergleichszeitraum des Vorjahres (ANSO Quarterly Report vom April 2013).
Auch in der Provinz Ghazni geht der Trend bezüglich der Sicherheitslage in Richtung einer Verschärfung: Im ersten Quartal 2013 stieg die Zahl der Vorfälle jedoch im Vergleichszeitraum des Vorjahres um 127% (ANSO Quarterly Report vom April 2013). Auch im Juli und August 2013 gab es einen Anstieg der Angriffe. Aufgrund des fast völligen Fehlens von NATO-Präsenz konnten die Taliban und al-Quaida ihre Kontrolle in Ghazni ausweiten: Die Taliban töten gewöhnliche Menschen und zwingen Dorfbewohner, ihren Kämpfern Essen zu geben. Sobald die Taliban eine Gegend überrollen, gehen sie besonders aggressiv gegen die lokale Bevölkerung vor und implementierten ihre strengen Regeln und Gesetze (Länderinformation der Staatendokumentation vom 28.1.2014). Von der Verschlechterung der Sicherheitslage in den umliegenden Provinzen sind auch die Zufahrtsstraßen zu den (von Hazara bewohnten und an sich weniger stark von den Unruhen betroffenen) Distrikten Jaghori, Jaghatu und Malistan betroffen (Anfragebeantwortung des UNHCR vom 11.11.2011). Ghazni ist für die Taliban eine strategisch wichtige Provinz, da die Straße Kabul - Kandahar durch den überwiegend von Paschtunen besiedelten westlichen Teil Ghaznis führt. Daher stellt sich der Weg von Kabul nach Ghazni als gefährlich dar; auf dieser Route kam es zu einer Zunahme der Angriffe in den ersten sechs Monaten des Jahres 2013 (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 5.8.2013). Vorfälle, wie etwa die Entführung von 20 Zivilisten auf dem Weg in die Distrikte Jaghori und Malistan, ereignen sich am häufigsten in den Distrikten Qarabagh und Gilan, wo die Taliban über Einfluss verfügen (ACCORD-Anfragebeantwortung vom 14.8.2013).
Die Provinz Wardak liegt strategisch günstig beim westlichen Zugang zu Kabul und wird von regierungsfeindlichen Gruppen als Tor für Angriffe auf die Provinz Kabul genützt (Länderinformation der Staatendokumentation vom 28.1.2014). Im ersten Quartal haben sich die Vorfälle in Wardak um 187% im Vergleich zum Vorjahr erhöht (ANSO Quarterly Report vom April 2013). Auch in der Provinz Helmand, wo die Taliban in das soziale Gefüge eingebettet sind, und in der Provinz Kandahar, der traditionellen Hochburg der Taliban, nahm die Zahl der Vorfälle zu (ANSO Quarterly Report vom April 2013); Helmand und Kandahar sind die Provinzen, wo mit Abstand die meisten Opfer von Bombenanschlägen zu beklagen sind (UNAMA-Annual Report vom Februar 2014).
1.1.2.3 Sicherheitslage im Westen und Norden des Landes:
Die Anschläge sind in den westlichen Provinzen des Landes im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt um 72% in die Höhe geschnellt. In den westlichen Grenzprovinzen konnte beobachtet werden, wie es regierungsfeindlichen Gruppierungen gelungen ist, die entstehende Lücke der abziehenden internationalen Truppen zu füllen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
Im Norden sind enge Verstrickungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen, lokalen Machthabern und Kräften der organisierten Kriminalität bedeutsam. Während die Aktivitäten regierungsfeindlicher Gruppierungen 2012 mit Ausnahme der Provinzen Baghlan und Faryab abnahmen, wurde im ersten Quartal 2013 in den meisten Provinzen des Nordens eine Verschlechterung der Sicherheitslage verzeichnet. Grund dafür sind zahlreiche militärische Operationen der internationalen Truppen, zunehmende Anschläge regierungsfeindlicher Gruppierungen sowie die Aktivitäten lokaler Milizen. Die regierungsfeindlichen Gruppierungen sind im Begriff, neben dem Süden und Osten des Landes eine dritte Front vom Norden Richtung Süden zu schaffen (Faryab-Badhis-Ghor-Farah-Helmand). In der bisher als ruhig geltenden Provinz Badakhshan gewannen die regierungsfeindlichen Gruppierungen nach dem Abzug der internationalen Streitkräfte ebenfalls an Einfluss. Ende September 2013 brachten die Taliban den Distrikt Keran-wa-Monjan der Provinz Badakhshan unter ihre Kontrolle (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Auch die Zahl der Vorfälle in Ghor und Herat erhöhten sich vergleichsweise (Länderinformation der Staatendokumentation vom 28.1.2014). Die Sicherheitslage in Kunduz ist angespannt und hat sich in den vergangenen Monaten verschlechtert (Abzug aus Afghanistan, Der Spiegel vom 6.10.2013).
1.1.3 Menschenrechte:
Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden, können willkürlichen Festnahmen (inklusive Inhaftierung ohne Anklage) sowie Misshandlungen durch internationale Truppen oder durch afghanische Behörden ausgesetzt sein (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
Was Repressionen Dritter anbelangt, geht die größte Bedrohung der Menschenrechte von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich hierbei meist um Anführer von Milizen, die nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet sind. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Urheber von Menschenrechtsverletzungen praktisch keinen Einfluss und kann sie weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des desolaten Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen daher häufig ohne Sanktionen. Immer wieder kommt es zu Entführungen, die entweder politisch oder finanziell motiviert sind (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Regierungsfeindliche Kräfte greifen systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft in Afghanistan, einschließlich der internationalen Streitkräfte und internationalen humanitären Hilfs- und Entwicklungsakteure unterstützen bzw. mit diesen verbunden sind. Zu den primären Zielen solcher Anschläge zählen u.a. politische Führungskräfte, Lehrer und andere Staatsbedienstete, ehemalige Polizisten und Zivilisten, die der Spionage für regierungstreue Kräfte bezichtigt werden. Auch afghanische Zivilisten, die für die internationalen Streitkräfte als Fahrer, Dolmetscher oder in anderen zivilen Funktionen arbeiten, werden von Taliban bedroht und angegriffen. In Gebieten, die ihrer tatsächlichen Kontrolle unterliegen, nutzen regierungsfeindliche Kräfte Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Rekrutierungsmaßnahmen auf der Grundlage von Zwang. Personen, die sich einer Rekrutierung widersetzen, sind gefährdet, der Spionage für die Regierung angeklagt und getötet oder bestraft zu werden (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
Personen, denen Verstöße gegen die Scharia - wie Apostasie, Blasphemie, freiwillige, gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch - vorgeworfen werden, sind nicht nur der Gefahr ihrer Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte ausgesetzt. Dies gilt sowohl für Frauen als auch für Männer (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013). UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist. Wenn die Verfolgung von regierungsfeindlichen Akteuren ausgeht, muss berücksichtigt werden, ob die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Akteure den Antragsteller im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfolgen. Angesichts des geografisch großen Wirkungsradius der regierungsfeindlichen Kräfte existiert für Personen, die durch solche Gruppen verfolgt werden, keine sinnvolle interne Schutzalternative. Es sei insbesondere darauf hingewiesen, dass die Taliban, das Haqqani-Netzwerk und die Hezb-e-Islami Hekmatyar sowie andere bewaffnete Gruppierungen die operativen Kapazitäten haben, Angriffe in allen Teilen des Landes auszuführen, darunter auch in solchen Gebieten, die nicht von den regierungsfeindlichen Kräften kontrolliert werden, wie anhand des Beispiels von öffentlichkeitswirksamen Anschlägen in urbanen Gebieten, die sich unter der Kontrolle regierungsfreundlicher Kräfte befinden, ersichtlich wird (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
1.1.4 Meinungs- und Pressefreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit:
Art. 34 der afghanischen Verfassung gestattet die Meinungs- und Pressefreiheit. Jedoch werden diese Rechte in der Praxis von der Regierung eingeschränkt (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013).
Staatlichen Medien, wie der Fernsehsender RTA, die Nachrichtenagentur Baghda und die Tageszeitung Anis stehen unter starker inhaltlicher Einflussnahme der Regierung. Daneben gibt es eine Fülle privater Medien, die von großen westlich orientierten und regierungskritischen Medien bis hin zu kleinen Sendern und Zeitungen lokaler Machthaber, von Parteien oder religiösen Strömungen zur Verstärkung ihrer eigenen Propaganda reichen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Politiker, Sicherheitsbeamte und andere Personen in Machtpositionen bedrohten oder misshandelten eine große Anzahl an Journalisten aufgrund ihrer Berichterstattung (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013). Die gewalttätigen Übergriffe gegen Journalisten gingen bis hin zu gezielten Ermordungen. Rasche Ermittlungen und staatsanwaltliche Verfolgung dieser Vorfälle blieben oft nur gute Absicht. Journalisten beklagen zudem eine wachsende Kontrolle des Staates über Berichterstattung betreffend Korruption, Sicherheitsvorfälle, und Aufständische. Sender, die "unislamische" Fernsehsendungen ausstrahlen werden zum Teil dem Staatsanwalt vorgeführt. Strafen reichen bis zum Entzug der Sendelizenz. Unter den afghanischen Journalisten ist daher eine Kultur der Selbstzensur zu beobachten. Einige Journalisten gehen jedoch bewusst Risiken ein, um Missstände anzuprangern. Staatspräsident Karzai sprach sich im Oktober 2012 explizit dafür aus, dass das Ministerium für Information und Kultur medial vermittelte Inhalte stärker kontrollieren solle, da "unislamische" Videos und kontroverse Fernsehdebatten das Potential hätten, die Gesellschaft zu entzweien (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Was das (in der afghanischen Verfassung garantierte) Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit anbelangt, gibt es regelmäßig - genehmigte wie spontane - Demonstrationen, v.a. gegen soziale Missstände, gegen die Tötung von Zivilisten durch NATO-Truppen, gegen (geplante) Koranverbrennungen oder gegen im Ausland verbreitete Karikaturen des Propheten Mohammed. Die Kundgebungen verlaufen in den meisten Fällen friedlich, eskalieren aber teilweise oder werden von Einzelpersonen gezielt genutzt, um gewaltsame Ausschreitungen anzustacheln. Die afghanische Regierung ruft die Bevölkerung bei Demonstrationen regelmäßig auf, diese friedlich abzuhalten. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind grundsätzlich gewährleistet (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
1.1.5 Religionsfreiheit:
Die Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert. Dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen. Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Nach offiziellen Schätzungen sind 84% der Bevölkerung sunnitische Muslime und 15% schiitische Muslime. Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus und Christen machen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Nicht-muslimische religiöse Minderheiten, insbesondere Christen, Hindus und Sikhs, werden weiterhin durch das geltende Recht diskriminiert (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Hindus und Sikhs werden auch im Alltag diskriminiert und bei der Ausübung ihrer religiösen Zeremonien bedroht oder angegriffen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013). Christen und Angehörige der Baha'i vermeiden es aus Angst vor Diskriminierung, Misshandlung, willkürlicher Verhaftung oder Tötung, sich öffentlich zu ihrer Religion zu bekennen oder sich offen zum Gebet zu versammeln. Die afghanische Regierung schützt religiöse Minderheiten vor Übergriffen nicht (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Die Situation der größten religiösen Minderheit des Landes, der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde, hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert, ist jedoch noch immer mit gesellschaftlichen Diskriminierungen konfrontiert, wobei die Beziehungen zur sunnitischen Mehrheit sich verschlechtert hat (International Religious Freedom Report 2012 des U.S. Department of State vom 20.5.2013).
1.1.6 Ethnische Minderheiten:
Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat, über den es aufgrund der seit Jahrzehnten schwierigen Sicherheitslage kaum gesicherte statistische Daten gibt (ÖIF-Länderinfo vom Februar 2010). Der Anteil der Volksgruppen im Vielvölkerstaat wird auf ca. 38% Paschtunen, ca. 25%, Tadschiken, ca. 19% Hazara, ca. 6% Usbeken sowie zahlreiche kleinere ethnische Gruppen (Aimak, Turkmenen, Baluchi, Nuristani u. a.) geschätzt. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen dort ein offizieller Status eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser anderen Sprache spricht.
Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten (mehrheitlich schiitischen) Hazara hat sich die Lage deutlich verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung zwar nach wie vor unterrepräsentiert, aber dies scheint eher eine Folge der früheren Marginalisierung zu sein als eine gezielte Benachteiligung neueren Datums. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013). In diesem Sinne sind Angehörige der Hazara weiterhin gesellschaftlich diskriminiert und Berichten zufolge Opfer von Schikanierung, Einschüchterung und Tötungen durch die Taliban sowie andere regierungsfeindliche Kräfte (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Andererseits verbessert sich die Minderheit der Hazara ökonomisch und politisch durch Bildung: Viele Hazara schließen Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in den Bereichen Informationstechnologie oder Medizin ein (Congressional Research Service vom 22.11.2013).
In der Provinz Ghazni errangen Vertreter der Ethnie der Hazara sämtliche Sitze, die im Unterhaus für diese Provinz reserviert waren, was jedoch u.a. auch auf die niedrige Wahlbeteiligung in den paschtunisch besiedelten Distrikten aufgrund der prekären Sicherheitslage zurückzuführen war (D-A-CH-Bericht zur Sicherheitslage vom März 2011). In einer besonderen Lage befinden sich die ca. eine Million Kuchi-Nomaden, die unter ungeklärten Boden- und Wasserrechten in besonderem Maße leiden. De facto kommt es immer wieder zu einer Diskriminierung dieser Gruppe, da sie aufgrund ihres nomadischen Lebensstils als Außenseiter gelten und so die Gefahr laufen, Opfer einer diskriminierenden Verwaltungspraxis oder strafrechtlicher Sanktionierung zu werden. Immer wieder werden Nomaden rasch einer Straftat bezichtigt und verhaftet, wenngleich sie oft auch genauso schnell wieder auf freiem Fuß sind (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
1.1.7 Justiz und (Sicherheits‑)Verwaltung:
Verwaltung und Justiz funktionieren nur sehr eingeschränkt. Neben der fehlenden Einheitlichkeit in der Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia und Gewohnheitsrecht), werden auch rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien nicht regelmäßig eingehalten. Trotz bestehender Aus- und Fortbildungsangebote für Richter und Staatsanwälte wird die Schaffung eines funktionierenden Verwaltungs- und Gerichtssystems noch Jahre dauern (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
Richterinnen und Richter sind Bestechungsversuchen und Drohungen sowohl seitens lokaler Machthaber, Beamten aber auch Familienangehörigen, Stammesältesten und Angehöriger regierungsfeindlicher Gruppierungen ausgesetzt, was ihre Unabhängigkeit schwerwiegend beeinträchtigt. Die Urteile zahlreicher Gerichte basieren auf einem Gemisch von kodifiziertem Recht, Schari'a, lokalen Gebräuchen und Stammesgesetzen. Gerichtsprozesse entsprechen in keiner Weise den internationalen Standards für faire Verfahren. Die Haftbedingungen liegen weiterhin unter den internationalen Standards; sanitäre Einrichtungen, Nahrungsmittel, Trinkwasser und Decken sind mangelhaft, ansteckende Krankheiten verbreitet (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die systematisch nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht festzustellen. Fälle von Sippenhaft sind allerdings nicht auszuschließen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013). Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Pashtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kinder verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters durch das formale Rechtssystem schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013).
Die Taliban haben in den von ihnen kontrollierten Gebieten ihre eigenen parallelstaatlichen Justizsysteme eingerichtet. Ihre Rechtsprechung basiert auf einer äußerst strikt ausgelegten Interpretation der Shari'a; die von ihnen ausgeführten Bestrafungen umfassen auch Hinrichtungen und körperliche Verstümmelungen und werden von UNAMA teilweise als Kriegsverbrechen eingestuft (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
Innerhalb der Polizei sind Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung - ebenso wie in der Justiz - endemisch (Richtlinien des UNHCR vom 6.8.2013). Die Afghanische Nationale Polizei (ANP) gilt als korrupt und verfügt bei der afghanischen Bevölkerung kaum über Vertrauen. Die afghanischen Sicherheitskräfte, die inzwischen praktisch im ganzen Land an vorderster Front kämpfen, werden auch künftig auf internationale Unterstützung sowie Beratung und Ausbildung angewiesen sein. Ein weiteres schwerwiegendes Problem stellt die hohe Ausfallquote dar: Rund 35% der Angehörigen der Afghanischen Sicherheitskräfte schreiben sich jedes Jahr nicht mehr in den Dienst ein. Die Desertionsrate in der Armee wird nur noch von jener der ANP übertroffen (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
1.1.8 Versorgungslage:
Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung. Für Rückkehrer gilt dies naturgemäß verstärkt. Eine hohe Arbeitslosigkeit wird verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen. Das World Food Programme reagiert das ganze Jahr hindurch in verschiedenen Landesteilen auf Krisen bzw. Notsituationen wie Dürre, Überschwemmungen oder extremen Kälteeinbruch. Auch der Norden des Landes ist extremen Natureinflüssen wie Trockenheiten, Überschwemmungen und Erdverschiebungen ausgesetzt. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es an vielen Orten an grundlegender Infrastruktur für Transport, Energie und Trinkwasser.
Die medizinische Versorgung ist trotz erkennbarer Verbesserungen landesweit aufgrund ungenügender Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung der Kliniken, Ärzten und Ärztinnen sowie mangels gut qualifizierten Assistenzpersonals (v.a. Hebammen) immer noch unzureichend. Dies führt dazu, dass Afghanistan weiterhin zu den Ländern mit der höchsten Mütter- und Kindersterblichkeitsrate der Welt gehört (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
1.1.9 Rückkehrfragen:
Die Fähigkeit Afghanistans, Rückkehrer aufzunehmen, bleibt gering (Country Report des U.S. Department of State vom 19.4.2013). Gemäß UNHCR waren rund 40% der Rückkehrenden nicht in der Lage, sich in ihren Heimatgemeinden wieder zu integrieren, was zu einer signifikanten zweiten Vertreibung geführt hat. Bis zu 60% der Rückkehrenden kämpfen mit Schwierigkeiten, sich in Afghanistan wieder einzugliedern. Erschwert wird die Wiedereingliederung durch die anhaltend prekäre Sicherheitslage, den Verlust der Lebensgrundlage, den fehlenden Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie durch die Herausforderungen bei der Einforderung von Land und Besitz (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 30.9.2013).
Bei der Rückkehr von Frauen, Kindern, alten Menschen oder Alleinerziehenden stellt die Reintegration in ein religiöses und sozial traditionelles Umfeld oft eine Herausforderung dar (Bericht von IOM vom Oktober 2012). Rückkehrer können auf Schwierigkeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art vor allem dann stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes vom 4.6.2013).
UNHCR spricht sich gegen eine Rückkehr von Personen an einen Ort aus, der weder dem Herkunftsort noch früheren Wohnorten entspricht, wo keine tatsächlichen Familien- oder Stammesstrukturen und entsprechende Unterstützung bestehen (Anfragebeantwortung des UNHCR vom 11.11.2011).
1.2 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Asylgründen:
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er nennt sich XXXX, geb. XXXX. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Moslem schiitischer Ausrichtung, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist verheiratet. Er stammt aus einem näher bezeichneten Dorf in der Provinz Ghazni, wo er bis zuletzt gelebt habe. Im Heimatort leben noch seine Mutter, seine Ehefrau, sein Sohn sowie seine fünf Geschwister. Sein Vater ist verstorben.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Heimatland von den Taliban oder von einem Dorfältesten wegen des Verdachts des Alkoholverkaufs verfolgt und ihm drakonische Strafen angedroht wurden.
2. Beweiswürdigung:
2.1 Zur Lage in Afghanistan
Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen der Beschwerdeführer inhaltlich auch nach Übermittlung der Länderberichte nicht konkret entgegengetreten ist, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.
2.2 Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Asylgründen:
Die Feststellungen zur Nationalität, Volksgruppenzugehörigkeit, zur Herkunftsregion und zu den Familienverhältnissen des Beschwerdeführers stützen sich - soweit sie nicht bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt wurden - auf die insofern unbedenklichen Angaben des Beschwerdeführers, die in diesen Belangen über das gesamte Verfahren hindurch gleichbleibend und widerspruchsfrei waren. Seine Identität konnte mangels Vorliegens unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden. Auf seine Aussage stützt sich auch die Feststellung über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers. Insoweit Hinweise hervorgekommen sind, dass der Beschwerdeführer an Unruhe und nervösen Beschwerden leidet, ergibt sich aus seinem eigenen Vorbringen, dass er diesbezüglich nicht in ärztlicher Behandlung steht. Er hat lediglich angegeben, gelegentlich von Bekannten Medikamente zu nehmen. Hinweise, dass aktuell eine Behandlung dringend nötig oder vom Beschwerdeführer für notwendig erachtet würde oder dass gar eine stationäre Aufnahme geboten wäre, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer angegebenen Beschwerden nicht um schwere oder lebensbedrohliche Erkrankungen handelt.
Da der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe keine Beweismittel vorlegte, kommt seinen eigenen Angaben für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens besondere Bedeutung zu. Was das Vorbringen betreffend seine Fluchtgründe betrifft, erwies sich dieses jedoch als vage, von Mutmaßungen geprägt und insgesamt als derart spekulativ, dass nicht mit entsprechender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise in Afghanistan tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt war:
Diesbezüglich fällt auf, dass der Beschwerdeführer zwar in der Erstbefragung angegeben hat, er werde wegen Alkoholschmuggels von den Taliban verfolgt. In der den zentralen Schritt der Ermittlungen zu den Fluchtgründen bildenden Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab er dann zu seinen Fluchtgründen jedoch zunächst lediglich die allgemeine Gefahr einer Verfolgung aus ethnischen Gründen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara an. Erst auf Nachfrage, von wem er konkret verfolgt werde, gab der Beschwerdeführer die Regierung und den Dorfältesten an. Wenn man bedenkt, dass der Beschwerdeführer in Österreich seinen eigenen Angaben zu Folge Schutz vor Gefahren bis hin zu seiner Tötung sucht, erscheint es nicht nachvollziehbar, dass er sich in der Einvernahme zunächst allgemein auf die Diskriminierung seiner Volksgruppe stützt und die konkreten, ihn persönlich betreffenden Fluchtgründe erst auf Nachfrage erwähnt und so letztlich die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens unnötig gefährdet.
Was die angebliche Verfolgung wegen Alkoholverkaufs betrifft, hat der Beschwerdeführer dazu lediglich sehr oberflächliche Angaben gemacht. So bezeichnete er die Urheber der Verfolgung nicht genauer, sondern gab lediglich an, es habe sich um einen namentlich genannten Konkurrenten auf dem Markt gehandelt. Wie er von der Bestechung (der Taliban als auch der Regierung) erfahren habe, hat er nicht beschrieben, sondern sich lediglich darauf berufen, dass der Dorfälteste entschieden habe, dass der Beschwerdeführer das Dorf verlassen und bestraft werden müsse. Hinsichtlich dieser Entscheidung berief sich der Beschwerdeführer jedoch ausschließlich auf angebliche Mitteilungen nicht näher bezeichneter Dritter (vgl. AS 97: "BF: Alle Geschäftsleute haben mich benachrichtigt [...]") und stützt seine Befürchtungen somit auf nicht weiter belegte und nicht nachprüfbare Informationen vom Hörensagen, denen daher wenig Beweiswert zukommt. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift im Widerspruch zu seinen Aussagen im Verfahren vor dem Bundesasylamt, wonach bereits eine Verurteilung vorliege, angegeben hat, der Dorfälteste "hätte" in verurteilt (vgl. AS 259: "BF: Alkohol ist in Afghanistan bekanntlich verboten. Daher hätte der Dorfälteste mich verurteilt - das ist der übliche Verlauf"). Eine Gefährdung durch die Taliban stellte er überhaupt nur völlig unsubstantiiert in den Raum (vgl. AS 97: "BF: Beim Transport bin ich durch die Taliban bedroht. Die Taliban haben mich beschuldigt, dass ich Alkohol verkaufe. Es gibt Gebiete, in denen die Taliban die Herrschaft haben"). Konkrete, ihn persönlich betreffende Vorfälle hat der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) nicht geschildert. Erst in der Beschwerdeschrift gab er an, er sei von den Taliban zusammengeschlagen und es sei ihm die Schulter gebrochen worden. Diesbezüglich kann die Argumentation des Beschwerdeführers, er sei in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht weiter zu Bedrohungen durch die Taliban befragt worden, sodass er dazu keine näheren Angaben habe machen können, nicht überzeugen. Ausweislich des Einvernahmeprotokolls wurde der Beschwerdeführer nämlich ausdrücklich befragt, inwieweit er von den Taliban bedroht worden sei (vgl. AS 99: "BAA: Wie werden Sie durch die Taliban bedroht"). Dazu gab er wie oben ausgeführt jedoch lediglich eine vage Antwort und nannte insbesondere keinerlei konkrete Vorkommnisse oder gar Angriffe. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb der Beschwerdeführer an dieser Stelle den angeblichen Überfall mit (massiver) Verletzungsfolge nicht einmal angedeutet hat. Es handelt sich somit auch hinsichtlich der angeblichen Verfolgung durch die Taliban lediglich um Spekulationen, die aufgrund ihrer Vagheit nicht geeignet sind, eine Gefährdung des Beschwerdeführers durch die Taliban glaubhaft zu machen. Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer von Griechenland in sein Heimatland zurückgekehrt ist, nicht dafür, dass er dort eine derart massive Bedrohung erwartet hat, wie von ihm vorgegeben. Hinsichtlich der angebotenen ärztlichen Untersuchung betreffend die Schulterverletzung ist eine solche entbehrlich, da auch im Falle, dass eine solche festgestellt werden kann, dies keine Rückschlüsse auf die ursächlichen Umstände zulässt und einer derartigen Untersuchung somit lediglich ein sehr geringer Beweiswert zukommt.
Bei entsprechender Betrachtung des gesamten Vorbringens handelt es sich bei den Angaben des Beschwerdeführers über die Gründe einer allfälligen Verfolgung ausschließlich um vage Mutmaßungen und Spekulationen, die keiner Plausibilitätskontrolle zugänglich und folglich auch nicht geeignet sind, eine konkrete und gezielte Verfolgung des Beschwerdeführers aus klaren und nachvollziehbaren Gründen annehmen zu lassen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1 Gemäß § 75 Abs. 19 AsylG 2005 idF BGBl. I 68/2013 sind alle mit Ablauf des 31.12.2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.
Nach § 75 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 idF BGBl. I 29/2009 ist das AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die - wie im vorliegenden Fall - am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Die Einzelrichterzuständigkeit ergibt sich aus § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I 10/2013, wonach das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter entscheidet, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
Gemäß § 17 VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, sind, soweit nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG insbesondere die Bestimmungen des AVG und jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in jenem Verfahren, das dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist, angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 144/2013).
3.2 Zu A.)
3.2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates oder wegen Schutzes in einem EWR-Staat oder in der Schweiz zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Ausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 23.7.1999, 99/20/0208; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN). Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" (VwSlg. 16.482 A/2004) zugrunde liegt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539; 17.3.2009, 2007/19/0459).
3.2.2 Im vorliegenden Fall ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, objektiv begründete Furcht vor aktueller und landesweiter Verfolgung in gewisser Intensität glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, liegen daher nicht vor.
3.2.3 Auch die Annahme einer asylrelevanten Verfolgung allein aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Ethnie der Hazara scheidet nach ständiger Judikatur des Asylgerichtshofes aus (vgl. AsylGH (vgl. AsylGH 4.8.2010, C2 413686-1/2010; 8.8.2011, C5 314794-1/2008; 18.8.2011, C13 420219-1/2011; 29.9.2011, C10 401601-1/2008; 27.10.2011, 416073-1/2010; 19.1.2012, C4 422208-1/2010; 15.2.2012, C1 414903-1/2010; 20.2.2012, C15 416.171-1/2010).
Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kein hinreichender Grund für eine Asylgewährung (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 9.5.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529, 8.9.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.
3.2.4 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. In diesem Zusammenhang bestimmt § 24 VwGVG, dass, auch wenn eine Partei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, eine solche unterbleiben kann, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Einem Entfall der Verhandlung darf diesfalls weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Nach verwaltungsgerichtlicher Judikatur zur außer Kraft getretenen Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG, die auf die erste Fallvariante des durch das Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz (FNG), BGBl. I 87/2012, außer Kraft getretenen § 41 Abs. 7 AsylG 2005 (Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung) anwendbar war, war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten unrichtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (VwGH 2.3.2006, 2003/20/0317 mwH).
Gemäß Art. 47 Abs. 2 der Grundrechte-Charta der EU hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen Gericht öffentlich verhandelt wird, wie dies Art. 6 EMRK für zivil- und strafrechtliche Angelegenheiten vorsieht. Somit gelten abseits des Anwendungsbereichs von Art. 6 EMRK dessen Garantien auch für den Anwendungsbereich des Art. 47 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (dazu ausführlich VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK kann eine mündliche Verhandlung unter bestimmten Voraussetzungen unterbleiben, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Äußerungen der Parteien angemessen entschieden werden kann (EGMR 12.11.2002, 28.394/95, Döry vs. Schweden; 8.2.2005, 55.853/00, Miller vs. Schweden). In Anlehnung an diese Judikatur ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes auch die Bedeutung und Notwendigkeit einer Verhandlung für die Beweiserhebung und Beweiswürdigung sowie für die Lösung von Rechtsfragen maßgeblich, weshalb eine mündliche Verhandlung im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten im Verwaltungsverfahren auch regelmäßig unterbleiben kann, wenn das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt (VfGH 14.3.2012, U 466/11 ua).
Sowohl gemäß der oben erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als auch vor dem Hintergrund der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht unterbleiben:
Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen seiner Einvernahmen Gelegenheit zur Darlegung und Konkretisierung seiner Fluchtgründe. Die belangte Behörde hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Die Beschwerde bringt keine neuen wesentlichen Aspekte im Hinblick auf die Fluchtgründe vor. Der Beschwerde ist es nicht gelungen, eine Ergänzungsbedürftigkeit des Ermittlungsverfahrens in überzeugender Weise aufzuzeigen. Auch anhand der Beschwerde ergab sich kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer im Rahmen einer Verhandlung zu erörtern. Daran ändert auch der Antrag nichts, eine Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 17.10.2006, 2005/20/0329; 26.6.2007, 2007/01/0479; 22.8.2007, 2005/01/0015, 0017 u.a.).
3.3 zu B.)
Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt 3.2 angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor. Es kann in vorliegendem Fall auch nicht erkannt werden, dass die bisherige Judikatur des VwGH zu § 41 Abs. 7 AsylG 2005 in Hinblick auf die neue Bestimmungen der §§ 24 VwGVG und 21 Abs. 7 BFA-VG nicht mehr zu Grunde zu legen wäre.
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