BVwG L501 2275925-1

BVwGL501 2275925-110.4.2024

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2024:L501.2275925.1.00

 

Spruch:

 

L501 2275925-1/11E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2023, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

Die beschwerdeführende Partei (in der Folge „bP“), eine syrische Staatsangehörige, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 29.06.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Fluchtgrund befragt, gab sie an, sie sei vor dem Bürgerkrieg geflüchtet, sie sei noch so jung, sie habe Angst vor dem Krieg.

Am 10.03.2023 sowie am 26.05.2023 wurde die bP vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „BFA“ bzw. „belangte Behörde“) niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, in dem im Bezirk XXXX gelegenen Dorf XXXX im Gouvernement Aleppo geboren und aufgewachsen zur sein. Ihrer Familie gehe es finanziell sehr gut, ihr Vater habe eine Steinmetzfirma. Die Lage in Syrien sei derzeit ruhig, aber nicht stabil. Ihr Heimatdorf stehe unter der Macht der FSA, hin und wieder gebe es Raketenangriffe, es sei aber nicht mehr so schlimm wie früher. Sie habe Syrien mit finanzieller Unterstützung ihres Vaters illegal verlassen und sich eineinhalb Jahre in der Türkei aufgehalten Zum Fluchtgrund befragt, gab die bP an, sie sei vor ihrem 18. Lebensjahr und der Beantragung ihres Militärbuchs ausgereist, weil sie nicht zum Militär gewollt habe. Sie wolle nicht kämpfen und töten, sondern in Frieden leben. Ihr Heimatdorf stehe seit ihrem 10. Lebensjahr unter der Herrschaft der FSA, daher könne das Regime nicht zu ihnen. Sie hätte zudem bei der FSA einrücken müssen, es gäbe aber bei dieser Gruppierung keinen Einberufungsbefehl, man werde einfach mitgenommen. Sie sei ein friedlicher Mensch, hasse den Krieg und wolle keine Unschuldigen töten; bei einer Rückkehr würde sie gleich am Flughafen festgenommen, bestraft und anschließend zum Militär gebracht werden. Sonstige Ausreisegründe habe sie nicht; sie von niemandem bedroht oder verfolgt worden.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der bP auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab, erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die bP einerseits aufgrund ihres legalen und sicheren Aufenthalts in der Türkei vom Wehrdienst hätte freikaufen können sowie andererseits selbst eine Einziehung aufgrund der aktuellen Lage nicht indiziere, dass sie im Zuge des Wehrdienstes Menschenrechtsverletzungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit begehen müsse. An einer Wehrpflicht als solcher könne nichts Verwerfliches erkannt werden. Den Länderinformationen könne weder entnommen werden, dass eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der illegalen Ausreise drohe, noch, dass jedem Rückkehrer eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde. Eine Gefährdung allein aufgrund der Asylantragstellung in Österreich sei nicht zu befürchten.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde vom 24.07.2023 brachte die bP sowohl die Gefahr der zwangsweisen Einziehung zum Grundwehrdienst bei der syrischen Armee als auch bei der FSA vor. Sie wolle aus Gewissensgründen keine Waffen tragen, die Wehrdienstverweigerung werde ihr jedoch als oppositionelle politische Gesinnung unterstellt. Aufgrund der Teilnahme ihres Vaters und Onkels an regimekritischen Demonstrationen drohe ihr überdies eine Reflexverfolgung. Die belangte Behörde habe keinen Abgleich mit aktuellen relevanten Länderberichten vorgenommen und sei die Furcht der bP vor politischer Verfolgung wohlbegründet.

Am 14.03.2024 führte das erkennende Gericht im Beisein der bP, deren Rechtsvertreter sowie einem Dolmetscher für die arabische Sprache eine mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Die am XXXX geborene bP führt den Namen XXXX , ist Staatsangehörige von Syrien, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Ihre Muttersprach ist Arabisch.

Sie ist in XXXX (bezeichnet auch als XXXX bzw. XXXX ) geboren und aufgewachsen, besuchte dort 9 Jahre lang die Schule und war nebenbei im Steinmetzbetrieb ihres Vaters erwerbstätig. Der Herkunftsort liegt im Distrikt XXXX im Gouvernement Aleppo und ist das Verwaltungszentrum eines der drei Unterbezirke von XXXX , nämlich des Unterbezirks XXXX liegt in der westlichen Region des Gouvernements Aleppo, in unmittelbarer Nähe zum Gouvernement Idlib. Der Ort ist ca. 50 km von dem vom Regime beherrschte Teil des Gouvernements Aleppo entfernt.

Die Familie der bP lebt nach wie vor in XXXX , ihre wirtschaftlichen Verhältnisse sind gut. Die bP hat fünf Brüder, zwei Halbbrüder, vier Schwestern und drei Halbschwestern. Drei Brüder der bP befinden sich im wehrfähigen Alter, die beiden ältesten Brüder sind verheiratet und haben Kinder. Keiner ihrer Brüder hat den verpflichtenden Wehrdienst bei den syrischen Streitkräften abgeleistet oder ist Angehöriger der Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), der Syrian National Army (SNA), vormals Freien Syrische Armee (FSA), oder anderer oppositioneller militärischer Gruppierungen. Ein Cousin ist Angehöriger einer oppositionellen militärischen Gruppierung. Ihr Vater und Ihr Onkel haben an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen.

Anfang 2021 verließ die bP ihren zu diesem Zeitpunkt unter der Herrschaft der Opposition stehenden Herkunftsort illegal in Richtung Türkei, wo sie ca. 1 ½ Jahre lebte und arbeitete. Unter Umgehung der Grenzkontrollen reiste sie schließlich im Juni 2022 in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.06.2022 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Kosten für die schlepperunterstützte Reise von Syrien bis Österreich in Höhe von insgesamt EUR 8.000,-- beglich sie mit den ihr von ihrem Vater zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln.

Die bP ist ledig, gesund und hat keine Kinder. Sie ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Das Gouvernement Aleppo ist unterteilt in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert werden, Gebiete, die unter kurdischer Kontrolle stehen und Gebiete, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden. Die syrische Regierung kontrolliert den gesamten südlichen Teil des Gouvernements Aleppo bis nördlich der Hauptstadt Aleppo. Nördliche und westliche Teile des Gouvernements – wie die Herkunftsregion der bP - werden von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert.

Der Herkunftsort XXXX liegt im gleichnamigen Unterbezirk des Bezirks XXXX im Westen des Gouvernements Aleppo in unmittelbarer Nähe zum Gouvernement Idlib. Er befindet sich außerhalb des Einflussbereichs der syrischen Regierung. Der Ort steht bereits seit dem 10. Lebensjahr der bP unter der Kontrolle oppositioneller Kräfte; konkret befindet sich der Ort in dem derzeit von der Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) (vormals Jabhat al-Nusra) – einer sunnitischen Oppositionsmiliz – bzw. der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) beherrschten Gebiet.

Die Herkunftsregion der bP ist ohne Kontakt mit den Behörden bzw. den Streitkräften des syrischen Regimes erreichbar, und zwar durch die Einreise über von der HTS verwaltete bzw. überwachte Grenzübergänge im Norden bzw. Nordwesten Syriens an der türkisch-syrischen Grenze, beispielsweise über den Grenzübergang Bab al Hawa auf dem Landweg sowie anschließend über sichere Straßenverbindungen. Die Kontrolle der HTS erstreckt sich über das gesamte Gebiet vom Grenzübergang Bab Al-Hawa bis zum Heimatdorf der bP (siehe https://syria.liveuamap.com/ ). Darüber hinaus wäre es der bP auch möglich über die Grenzübergänge Bab as-Salam, Jarabulus oder Hamam in ihr Herkunftsgebiet zu gelangen. Da die Regelungen an diesen Grenzübergängen von der türkischen Seite bestimmt werden, macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Grenzübergang im Gebiet der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) oder um einen Grenzübergang im Gebiet der Syrischen Interimsregierung (SIG) handelt. Reisen zwischen dem Gebiet der SSG und der SIG sind möglich. Der bP drohen sohin weder beim Grenzübertritt in ihren Herkunftsstaat noch auf dem Weg in ihre Heimatregion mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Regierung.

II.1.3. Die bP gehörte in ihrem Herkunftsstaat keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an. Sie hat sich in Syrien politisch nicht betätigt. Sie hatte vor ihrer Ausreise keine Nachteile aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe oder ihres sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

II.1.4. Die bP befindet sich mit ihren 21 Jahren im wehrpflichtigen Alter. Sie hat von den syrischen Militärbehörden weder Wehrdienstbuch noch Einberufungsbefehl erhalten und auch den Wehrdienst bei der syrischen Armee nicht abgeleistet. Sie war keinen Rekrutierungsversuchen syrischer Militärbehörden ausgesetzt und hat auch nicht gegenüber der syrischen Regierung erklärt, den Wehrdienst zu verweigern.

Die bP hat keine militärische Erfahrung, sie gehörte keinen bewaffneten oppositionellen Gruppen wie der Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) oder der Syrian National Army (SNA) oder der (vormals) Freien Syrischen Armee (FSA) an. Sie war in ihrer Herkunftsregion keinen Rekrutierungsversuchen der genannten Akteure ausgesetzt. Sie unterlag vor ihrer Ausreise auch keiner von einem anderen Akteur ausgehenden individuellen Gefährdung und/oder drohenden (Zwangs-)Rekrutierung und beteiligte sich nicht an Kampfhandlungen.

Die bP war vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat auch keiner anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder Privatpersonen ausgesetzt.

II.1.5. Im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion droht der bP nicht die Einberufung zum Wehrdienst in der syrischen Armee, ebenso wenig droht ihr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die (Zwangs-)Rekrutierung durch syrische Streitkräfte. Die syrischen Militärbehörden können keine Rekrutierungen in den von der Opposition gehaltenen Gebieten in Nord- bzw. Nordwestsyrien durchführen. Die an der Grenze zum Gouvernement Idlib gelegene Herkunftsregion der bP, die Stadt XXXX im Bezirk XXXX , befindet sich aktuell in diesem von der Opposition, respektive Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), kontrollierten Gebiet und somit in einer Region, in der die syrische Regierung auf Männer im wehrpflichtigen Alter nicht zugreifen kann. Die bP wird sohin in ihrer Heimatregion weder der Gefahr einer Rekrutierung durch das syrische Militär noch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Konfrontationen mit Angehörigen syrischer Regimestreitkräfte im Rückkehrfall ausgesetzt sein.

Im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsort droht der bP aufgrund ihres persönlichen Profils auch nicht die (Zwangs-)Rekrutierung durch oppositionelle Gruppierungen, wie der HTS oder der SNA (vormals Freie Syrische Armee, FSA), da diese Gruppierungen Zivilisten in von ihr kontrollierten Gebieten generell keine Wehrdienstpflicht auferlegen. Die HTS selbst greift zwar auf Kämpfer aus den von ihr beherrschten Gebieten und Grenzübergängen zurück, führt aber in der Regel keine zwangsweisen Rekrutierungen durch, da zahlreiche Männer sich freiwillig anschließen und Motivation und Loyalität der Rekruten für die Organisation von zentraler Bedeutung sind. Männer im wehrfähigen Alter ohne militärische Erfahrung können in den von der HTS kontrollierten Gebieten als Zivilisten leben und haben keine Konsequenzen zu fürchten, wenn sie sich der HTS nicht anschließen. Der bP droht daher auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die SNA oder die ihre Herkunftsregion beherrschende Hay’at Tahrir al-Sham (HTS).

II.1.6. Die bP wird im Falle einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion auch keiner anderweitigen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung, psychischen und/oder physischen Gewalt oder Strafverfolgung ausgesetzt sein. Sie war und ist nicht politisch tätig, ist nicht Mitglied einer oppositionellen Gruppierung und auch sonst nicht in das Blickfeld der syrischen Regierung oder anderer Konfliktparteien geraten. Sie unterliegt insbesondere auch keiner individuellen Gefährdung aufgrund ihrer sunnitisch-arabischen Identität, ihrer Familien- bzw. Stammeszugehörigkeit, wegen politischer Betätigung oder wegen der unrechtmäßigen Ausreise aus Syrien sowie des in Österreich durchlaufenen Asylverfahren oder des Aufenthaltes in Europa.

II.1.7. Zur (allgemeinen) Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber der bP offengelegten Quellen getroffen:

II.1.7.1. Politische Lage

Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba’ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weitverbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 29.08.2016).

Die Entscheidung Moskaus, 2015 in Syrien militärisch zu intervenieren, hat das Assad-Regime in Damaskus effektiv geschützt. Russische Luftstreitkräfte und nachrichtendienstliche Unterstützung sowie von Iran unterstützte Milizen vor Ort ermöglichten es dem Regime, die Opposition zu schlagen und seine Kontrolle über große Teile Syriens brutal wiederherzustellen. Seit März 2020 scheint der Konflikt in eine neue Patt-Phase einzutreten, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden (IPS 20.05.2022). Das Assad-Regime kontrolliert rund 70% des syrischen Territoriums. Seit dem Höhepunkt des Konflikts, als das Regime – unterstützt von Russland und Iran - unterschiedslose, groß angelegte Offensiven startete, um Gebiete zurückzuerobern, hat die Gewalt deutlich abgenommen. Auch wenn die Gewalt zurückgegangen ist, kommt es entlang der Konfliktlinien im Nordwesten und Nordosten Syriens weiterhin zu kleineren Scharmützeln. Im Großen und Ganzen hat sich der syrische Bürgerkrieg zu einem internationalisierten Konflikt entwickelt, in dem fünf ausländische Streitkräfte - Russland, Iran, Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten - im syrischen Kampfgebiet tätig sind und Überreste des Islamischen Staates (IS) regelmäßig Angriffe durchführen (USIP 14.03.2023). Solange das militärische Engagement von Iran, Russland, Türkei und USA auf bisherigem Niveau weiterläuft, sind keine größeren Veränderungen bei der Gebietskontrolle zu erwarten (AA 2.2.2024).

Der Machtanspruch des syrischen Regimes wird in einigen Gebieten unter seiner Kontrolle angefochten. Dem Regime gelingt es dort nur bedingt, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Im Gouvernement Suweida kommt es beispielsweise seit dem 20.8.2023 zu täglichen regimekritischen Protesten, darunter Straßenblockaden und die zeitweise Besetzung von Liegenschaften der Regime-Institutionen (AA 2.2.2024). In den vom Regime kontrollierten Gebieten unterdrücken die Sicherheits- und Geheimdienstkräfte des Regimes, die Milizen und die Verbündeten aus der Wirtschaft aktiv die Autonomie der Wähler und Politiker. Ausländische Akteure wie das russische und das iranische Regime sowie die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah üben ebenfalls großen Einfluss auf die Politik in den von der Regierung kontrollierten Gebieten aus (FH 9.3.2023).

In den übrigen Landesteilen üben unverändert de facto Behörden Gebietsherrschaft aus. Im Nordwesten kontrolliert die von der islamistischen Terrororganisation Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) gestellte Syrische Errettungsregierung (SSG) weiterhin Gebiete in den Gouvernements Idlib, Lattakia, Hama und Aleppo. In Teilen des Gouvernements Aleppo sowie in den von der Türkei besetzten Gebieten im Norden beansprucht weiterhin die von der syrischen Oppositionskoalition (SOC/Etilaf) bestellte Syrische Interimsregierung (SIG) den Regelungsanspruch. Die von kurdisch kontrollierten Kräften abgesicherten sogenannten Selbstverwaltungsbehörden im Nordosten (AANES) üben unverändert Kontrolle über Gebiete östlich des Euphrats in den Gouvernements ar-Raqqah, Deir ez-Zor und al-Hassakah sowie in einzelnen Ortschaften im Gouvernement Aleppo aus (AA 2.2.2024). Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen bleibt Syrien, bis hin zur subregionalen Ebene, territorial fragmentiert. In vielen Fällen wird die tatsächliche Kontrolle auf lokaler Ebene von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt. Selbst in formal ausschließlich vom Regime kontrollierten Gebieten wie dem Südwesten des Landes (Gouvernements Dara’a, Suweida) sind die Machtverhältnisse mitunter komplex und können sich insofern von Ort zu Ort, von Stadtviertel zu Stadtviertel unterscheiden. Auch Überschneidungen sind möglich (v. a. Nordwesten und Nordosten). Die tatsächliche Kontrolle liegt lokal häufig ganz oder in Teilen bei bewaffneten Akteuren bzw. traditionellen Herrschaftsstrukturen (AA 29.3.2023). Im syrischen Bürgerkrieg hat sich die Grenze zwischen Staat und Nicht-Staat zunehmend verwischt.

Die politische Gesamtlage in Syrien zeigt sich [im Berichtszeitraum März 2023 - Oktober 2023] nicht wesentlich verändert (AA 2.2.2024). Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Patt-Situation mit wenig Aussicht auf eine baldige politische Lösung (USIP 14.3.2023; vgl. AA 29.3.2023). Eine realistische Perspektive für eine Veränderung des politischen Status Quo in den Regimegebieten, etwa zugunsten oppositioneller Kräfte, ob auf politischem oder militärischem Wege, besteht aktuell nicht. Auch der politische Prozess für eine von den Konfliktparteien verhandelte, inklusive Lösung des Konflikts gemäß Sicherheitsratsresolution 2254 der Vereinten Nationen (VN) (vorgesehen danach u. a. Ausarbeitung einer neuen Verfassung, freie und faire Wahlen unter Aufsicht der VN und unter Beteiligung der syrischen Diaspora) unter Ägide der VN stagniert. Ausschlaggebend dafür bleibt die anhaltende Blockadehaltung des Regimes, das keinerlei Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts zeigt und vor diesem Hintergrund jegliche Zugeständnisse verweigert. Alternative politische Formate unter Führung verschiedener Mächte haben bislang keine Fortschritte gebracht (AA 2.2.2024). Letztlich ist es das Ziel der Assad-Regierung, die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium wiederzuerlangen (Alaraby 31.5.2023; vgl. IPS 20.5.2022). Russland, die Türkei, die Vereinigten Staaten und Iran unterstützen die Kriegsparteien weiterhin militärisch und finanziell (HRW 11.1.2024).

Im Äußeren gelang es dem syrischen Regime, sich dem Eindruck internationaler Isolation entgegenzusetzen (AA 2.2.2024). Das propagierte "Normalisierungsnarrativ" verfängt insbesondere bei einer Reihe arabischer Staaten (AA 29.3.2023). Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen, von der es im November 2011 aufgrund der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste ausgeschlossen worden war (Wilson 6.6.2023; vgl. SOHR 7.5.2023). Als Gründe für die diplomatische Annäherung wurden unter anderem folgende Interessen der Regionalmächte genannt: Rückkehr von syrischen Flüchtlingen in ihr Heimatland, die Unterbindung des Drogenschmuggels in die Nachbarländer - insbesondere von Captagon (CMEC 16.5.2023; vgl. Wilson 6.6.2023, SOHR 7.5.2023), Ängste vor einer Machtübernahme islamistischer Extremisten im Fall eines Sturzes des Assad-Regimes sowie die Eindämmung des Einflusses bewaffneter, von Iran unterstützter Gruppierungen, insbesondere im Süden Syriens. Das syrische Regime zeigt laut Einschätzung eines Experten für den Nahen Osten dagegen bislang kein Interesse, eine große Anzahl an Rückkehrern wiederaufzunehmen und Versuche, den Drogenhandel zu unterbinden, erscheinen in Anbetracht der Summen, welche dieser ins Land bringt, bislang im besten Fall zweifelhaft (CMEC 16.5.2023). Am 3.7.2023 reiste erneut der jordanische Außenminister Ayman Safadi nach Damaskus, um Bemühungen zur Schaffung von Bedingungen für die Rückkehr von syrischen Geflüchteten aus Jordanien zu intensivieren (AA 2.2.2024). Die EU-Mitgliedsstaaten in ihrer Gesamtheit und die USA stellen sich den Normalisierungsbestrebungen politisch unverändert entgegen (AA 2.2.2024).

II.1.7.1.1. Syrische Interimsregierung und syrische Heilsregierung

Im März 2013 gab die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte als höchste offizielle Oppositionsbehörde die Bildung der syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt, welche die Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes im ganzen Land verwalten soll. Im Laufe der Zeit schrumpften die der Opposition angehörenden Gebiete jedoch, insbesondere nach den Vereinbarungen von 2018, die dazu führten, dass Damaskus die Kontrolle über den Süden Syriens und die Oppositionsgebiete im Süden von Damaskus und im Umland übernahm. Der Einfluss der SIG ist nun auf die von der Türkei unterstützten Gebiete im Norden Aleppos beschränkt (SD 18.3.2023). Formell erstreckt sich ihr Zuständigkeitsbereich auch auf die von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Zone. Dort wurde sie von der HTS jedoch an den Rand gedrängt (Brookings 27.1.2023). Die von der HTS kontrollierten Gebiete in Idlib und Teile der Provinzen Aleppo und Latakia werden inzwischen von der syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG), dem zivilen Flügel der HTS, regiert (SD 18.3.2023).

Nicht-staatliche Akteure in Nordsyrien haben systematisch daran gearbeitet, sich selbst mit Attributen der Staatlichkeit auszustatten. Sie haben sich von aufständischen bewaffneten Gruppen in Regierungsbehörden verwandelt. In Gebieten, die von der HTS, einer sunnitischen islamistischen politischen und militärischen Organisation, kontrolliert werden, und in Gebieten, die nominell unter der Kontrolle der SIG stehen, haben bewaffnete Gruppen und die ihnen angeschlossenen politischen Flügel den institutionellen Rahmen eines vollwertigen Staates mit ausgefeilten Regierungsstrukturen wie Präsidenten, Kabinetten, Ministerien, Regulierungsbehörden, Exekutivorganen usw. übernommen (Brookings 27.1.2023).

Die nordwestliche Ecke der Provinz Idlib, an der Grenze zur Türkei, ist die letzte Enklave der traditionellen Opposition gegen Assads Herrschaft. Sie beherbergt Dutzende von hauptsächlich islamischen bewaffneten Gruppen, von denen die HTS die dominanteste ist (MEI 26.4.2022). Mit der im November 2017 gegründeten (NPA 4.5.2023) syrischen Heilsregierung hat die HTS ihre Möglichkeiten zur Regulierung, Besteuerung und Bereitstellung begrenzter Dienstleistungen für die Zivilbevölkerung erweitert. Doch wie jüngste Studien gezeigt haben, sind diese Institutionen Mechanismen, die hochrangige Persönlichkeiten innerhalb der herrschenden Koalitionen ermächtigen und bereichern (Brookings 27.1.2023). In dem Gebiet werden keine organisierten Wahlen abgehalten und die dortigen Lokalräte werden von bewaffneten Gruppen beherrscht oder von diesen umgangen. Die HTS versucht in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Obwohl die Mehrheit der Menschen in Idlib sunnitische Muslime sind, ist HTS nicht beliebt. Die von der HTS propagierten religiösen Dogmen sind nur ein Aspekt, der den Bürgerinnen und Bürgern missfällt. Zu den anderen Aspekten gehören der Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, willkürliche Verhaftungen, Gewalt und Missbrauch (BS 23.2.2022).

In den von der Türkei besetzten und kontrollierten Gebieten in Nordwest- und Nordzentral-Syrien ist die SIG die nominelle Regierungsbehörde. Innerhalb der von der Türkei kontrollierten Zone ist eine von der Türkei unterstützte Koalition bewaffneter Gruppen, die Syrische Nationale Armee (SNA) - nicht zu verwechseln mit Assads Syrischen Streitkräften -, mächtiger als die SIG, die sie routinemäßig ignoriert oder außer Kraft setzt (Brookings 27.1.2023). Beide wiederum operieren de facto unter der Autorität der Türkei (Brookings 27.1.2023; vgl. SD 18.3.2023). Die von der Türkei unterstützten Oppositionskräfte bildeten nach ihrer Machtübernahme 2016 bzw. 2018 in diesem Gebiet Lokalräte, die administrativ mit den angrenzenden Provinzen der Türkei verbunden sind. Laut einem Forscher des Omran Center for Strategic Studies können die Lokalräte keine strategischen Entscheidungen treffen, ohne nicht die entsprechenden türkischen Gouverneure einzubinden. Gemäß anderen Quellen variiert der Abhängigkeitsgrad der Lokalräte von den türkischen Behörden von einem Rat zum nächsten (SD 18.3.2023). Die Anwesenheit der Türkei bringt ein gewisses Maß an Stabilität, aber ihre Abhängigkeit von undisziplinierten lokalen Vertretern, ihre Unfähigkeit, die Fraktionsbildung unter den Dutzenden bewaffneter Gruppen, die mit der SNA verbunden sind, zu überwinden, und ihre Toleranz gegenüber deren Missbrauch und Ausbeutung der Zivilbevölkerung haben dazu geführt, dass ihre Kontrollzone die am wenigsten sichere und am brutalsten regierte im Norden Syriens ist (Brookings 27.1.2023).

II.1.7.1.2. Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien

2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) gekommen sein, deren Mitglieder die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekîtiya Demokrat, PYD) gründeten. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine 'zweite Front' in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Ba'ath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrîn, 'Ain al-'Arab (Kobanê) und die Jazira/Cizîrê von der PYD und der YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (Savelsberg 8.2017).

Im November 2013 - etwa zeitgleich mit der Bildung der syrischen Interimsregierung (SIG) durch die syrische Opposition - rief die PYD die sogenannte Demokratische Selbstverwaltung (DSA) in den Kantonen Afrîn, Kobanê und Cizîrê aus und fasste das so entstandene, territorial nicht zusammenhängende Gebiet unter dem kurdischen Wort für "Westen" (Rojava) zusammen. Im Dezember 2015 gründete die PYD mit ihren Verbündeten den Demokratischen Rat Syriens (SDC) als politischen Arm der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) (SWP 7.2018). Die von den USA unterstützten SDF (TWI 18.7.2022) sind eine Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheitengruppen (USDOS 20.3.2023), in dem der militärische Arm der PYD, die YPG, die dominierende Kraft ist (KAS 4.12.2018). Im März 2016 riefen Vertreter der drei Kantone (Kobanê war inzwischen um Tall Abyad erweitert worden) den Konstituierenden Rat des "Demokratischen Föderalen Systems Rojava/Nord-Syrien" (Democratic Federation of Northern Syria, DFNS) ins Leben (SWP 7.2018). Im März 2018 (KAS 4.12.2018) übernahm die Türkei völkerrechtswidrig die Kontrolle über den kurdischen Selbstverwaltungskanton Afrîn mithilfe der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einer von ihr gestützten Rebellengruppe (taz 15.10.2022). Im September 2018 beschloss der SDC die Gründung des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North and East Syria, AANES) auf dem Gebiet der drei Kantone (abzüglich des von der Türkei besetzten Afrîn). Darüber hinaus wurden auch Gebiete in Deir-ez Zor und Raqqa (K24 6.9.2018) sowie Manbij, Takba und Hassakah, welche die SDF vom Islamischen Staat (IS) befreit hatten, Teil der AANES (SO 27.6.2022).

II.1.7.2. Sicherheitslage:

Die militärische Landkarte Syriens hat sich nicht substantiell verändert. Das Regime kontrolliert weiterhin rund 60 Prozent des syrischen Staatsgebiets, mit Ausnahme von Teilen des Nordwestens, des Nordens und des Nordostens (AA 2.2.2024). United Nations Geospatial veröffentlichte eine Karte mit Stand Juni 2023, in welcher die wichtigsten militärischen Akteure und ihre Einflussgebiete verzeichnet sind (UNGeo 1.7.2023):

UNGeo 1.7.2023 (Stand: 6.2023)

Die folgende Karte zeigt Kontroll- und Einflussgebiete unterschiedlicher Akteure in Syrien, wobei auch Konvoi- und Patrouille-Routen eingezeichnet sind, die von syrischen, russischen und amerikanischen Kräften befahren werden. Im Nordosten kommt es dabei zu gemeinsam genutzten Straßen

CC 13.12.2023 (Stand: 30.9.2023)

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention Irans in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018). Die syrische Regierung hat derzeit die Kontrolle über ca. zwei Drittel des Landes, inklusive größerer Städte, wie Aleppo und Homs. Unter ihrer Kontrolle sind derzeit die Provinzen Suweida, Daraa, Quneitra, Homs sowie ein Großteil der Provinzen Hama, Tartus, Lattakia und Damaskus. Auch in den Provinzen Aleppo, Raqqa und Deir ez-Zor übt die syrische Regierung über weite Teile die Kontrolle aus (Barron 6.10.2023). Aktuell sind die syrischen Streitkräfte mit Ausnahme von wenigen Eliteeinheiten technisch sowie personell schlecht ausgerüstet und können gerade abseits der großen Konfliktschauplätze nur begrenzt militärische Kontrolle ausüben (AA 2.2.2024). Die Opposition konnte eingeschränkt die Kontrolle über Idlib und entlang der irakisch-syrischen Grenze behalten. (CFR 24.1.2024).

Das Regime, Pro-Regime-Milizen wie die Nationalen Verteidigungskräfte (National Defense Forces - NDF), bewaffnete Oppositionsgruppen, die von der Türkei unterstützt werden, die Syrian Democratic Forces (SDF), extremistische Gruppen wie Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und IS (Islamischer Staat), ausländische Terrorgruppen wie Hizbollah sowie Russland, Türkei und Iran sind in den bewaffneten Konflikt involviert (USDOS 20.3.2023) Es kann laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amts im gesamten Land jederzeit zu militärischer Gewalt kommen. Gefahr kann dabei einerseits von Kräften des Regimes gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland und Iran ausgehen, welches unverändert das gesamte Staatsgebiet militärisch zurückerobern will und als Feinde betrachtete „terroristische“ Kräfte bekämpft. Das Regime ist trotz begrenzter Kapazitäten grundsätzlich zu Luftangriffen im gesamten Land fähig, mit Ausnahme von Gebieten unter türkischer oder kurdischer Kontrolle sowie in der von den USA kontrollierten Zone rund um das Vertriebenenlager Rukban an der syrisch-jordanischen Grenze. Nichtsdestotrotz basiert seine militärische Durchsetzungsfähigkeit fast ausschließlich auf der massiven militärischen Unterstützung durch die russische Luftwaffe und Einheiten Irans, bzw. durch seitens Iran unterstützte Milizen, einschließlich Hizbollah (AA 2.2.2024). Wenngleich offene Quellen seit August 2022 den Abzug militärischer Infrastruktur (insb. Luftabwehrsystem S-300) vermelden, lassen sich Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf die russische Einsatzfähigkeit in Syrien bislang nicht substantiieren. (AA 29.3.2023).

Die folgende Karte zeigt die verschiedenen internationalen Akteure und deren militärische Interessenschwerpunkte in Syrien:

Quelle: Jusoor 30.7.2023

II.1.7.2.1. Sicherheitslage in Nordwest-Syrien:

Während das Assad-Regime etwa 60 Prozent des Landes kontrolliert, was einer Bevölkerung von rund neun Millionen Menschen entspricht, gibt es derzeit [im Nordwesten Syriens] zwei Gebiete, die sich noch außerhalb der Kontrolle des Regimes befinden: Nord-Aleppo und andere Gebiete an der Grenze zur Türkei, die von der von Ankara unterstützten Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army, SNA) kontrolliert werden, und das Gebiet von Idlib, das von der militanten islamistischen Gruppe Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird. Zusammen kontrollieren sie 10 Prozent des Landes mit einer Bevölkerung von etwa 4,4 Millionen Menschen, wobei die Daten zur Bevölkerungsanzahl je nach zitierter Institution etwas variieren (ISPI 27.6.2023).

Auf diesem Kartenausschnitt sind die Machtverhältnisse in Nordwest-Syrien eingezeichnet:

II.1.7.2.1.1. Das Gebiet unter Kontrolle von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS)

In der nordwestlichen Provinz Idlib und den angrenzenden Teilen der Provinzen Nord-Hama und West-Aleppo befindet sich die letzte Hochburg der Opposition in Syrien (BBC 2.5.2023). Das Gebiet wird von dem ehemaligen al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: übersetzt soviel wie: Komitee zur Befreiung der Levante] beherrscht, der nach Ansicht von Analysten einen Wandel durchläuft, um seine Herrschaft in der Provinz zu festigen (Alaraby 5.6.2023).

Das Gebiet beherbergt aber auch andere etablierte Rebellengruppen, die von der Türkei unterstützt werden (BBC 2.5.2023). HTS hat die stillschweigende Unterstützung der Türkei, die die Gruppe als Quelle der Stabilität in der Provinz und als mäßigenden Einfluss auf die radikaleren, transnationalen dschihadistischen Gruppen in der Region betrachtet. Durch eine Kombination aus militärischen Konfrontationen, Razzien und Festnahmen hat die HTS alle ihre früheren Rivalen wie Hurras ad-Din und Ahrar ash-Sham effektiv neutralisiert. Durch diese Machtkonsolidierung unterscheidet sich das heutige Idlib deutlich von der Situation vor fünf Jahren, als dort eine große Anzahl an dschihadistischen Gruppen um die Macht konkurrierte. HTS hat derzeit keine nennenswerten Rivalen. Die Gruppe hat Institutionen aufgebaut und andere Gruppen davon abgehalten, Angriffe im Nordwesten zu verüben. Diese Tendenz hat sich nach Ansicht von Experten seit dem verheerenden Erdbeben vom 6.2.2023, das Syrien und die Türkei erschütterte, noch beschleunigt (Alaraby 5.6.2023).

Aufgrund des militärischen Vorrückens der Regime-Kräfte und nach Deportationen von Rebellen aus zuvor vom Regime zurückeroberten Gebieten, ist Idlib in Nordwestsyrien seit Jahren Rückzugsgebiet vieler moderater, aber auch radikaler, teils terroristischer Gruppen der bewaffneten Opposition geworden (AA 29.11.2021). Zehntausende radikal-militanter Kämpfer, insb. der HTS, sind in Idlib präsent. Unter diesen befinden sich auch zahlreiche Foreign Fighters (Uiguren, Tschetschenen, Usbeken) (ÖB Damaskus 12.2022). Unter dem Kommando der HTS stehen zwischen 7.000 und 12.000 Kämpfer, darunter ca. 1.000 sogenannte Foreign Terrorist Fighters (UNSC 25.7.2023). Viele IS­-Kämpfer übersiedelten nach dem Fall von Raqqa 2017 nach Idlib - großteils Ausländer, die für den Dschihad nach Syrien gekommen waren und sich nun anderen islamistischen Gruppen wie der Nusra­-Front [Jabhat al-Nusra], heute als HTS bekannt, angeschlossen haben. Meistens geschah das über persönliche Kontakte, aber ihre Lage ist nicht abgesichert. Ausreichend Geld und die richtigen Kontaktleute ermöglichen derartige Transfers über die Frontlinie (Zenith 11.2.2022). Der IS sieht den Nordwesten als potenzielles Einfallstor in die Türkei und als sicheren Rückzugsort, wo seine Anhänger sich unter die Bevölkerung mischen (UNSC 25.7.2023). Laut einem Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom Februar 2023 sind neben HTS und Hurras ad-Din unter anderem auch die zentralasiatischen Gruppierungen Khatiba at-Tawhid wal-Jihad (KTJ) - im März 2022 in Liwa Abu Ubayda umbenannt - und das Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM) - auch bekannt als Turkistan Islamic Party (TIP) - in Nordwestsyrien präsent (UNSC 13.2.2023).

Im Jahr 2012 stufte Washington Jabhat an-Nusra [Anm.: nach Umorganisationen und Umbenennungen nun HTS] als Terrororganisation ein (Alaraby 8.5.2023). Auch die Vereinten Nationen führen HTS als terroristische Vereinigung (AA 2.2.2024). Die Organisation versuchte, dieser Einstufung zu entgehen, indem sie 2016 ihre Loslösung von al-Qaida ankündigte und ihren Namen mehrmals änderte, aber ihre Bemühungen waren nicht erfolgreich und die US-Regierung führt sie weiterhin als "terroristische Vereinigung" (Alaraby 8.5.2023; vgl. CTC Sentinel 2.2023). HTS geht gegen den IS und al-Qaida vor (COAR 28.2.2022; vgl. CTC Sentinel 2.2023) und reguliert nun die Anwesenheit ausländischer Dschihadisten mittels Ausgabe von Identitätsausweisen für die Einwohner von Idlib, ohne welche z.B. das Passieren von HTS-Checkpoints verunmöglicht wird. Die HTS versucht so, dem Verdacht entgegenzutreten, dass sie das Verstecken von IS-Führern in ihren Gebieten unterstützt, und signalisiert so ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft bei der Terrorismusbekämpfung (COAR 28.2.2022). Im Mai 2023 startete die HTS in den Provinzen Idlib und Aleppo beispielsweise eine Verhaftungskampagne gegen Hizb ut-Tahrir (HuT) als Teil der langfristigen Strategie, andere islamistische Gruppen in den von ihr kontrollierten Gebieten zu unterwerfen und die Streichung der HTS von internationalen Terroristenlisten zu erwirken (ACLED 8.6.2023; vgl. Alaraby 8.5.2023). Das Vorgehen gegen radikalere, konkurrierende Gruppierungen und die Versuche der Führung, der HTS ein gemäßigteres Image zu verpassen, führten allerdings zu Spaltungstendenzen innerhalb der verschiedenen HTS-Fraktionen (AM 22.12.2021). Im Dezember 2023 wurden diese Spaltungstendenzen evident. Nach einer Verhaftungswelle, die sich über ein Jahr hinzog, floh eine Führungspersönlichkeit in die Türkei, um eine eigene rivalisierende Gruppierung zu gründen. Die HTS reagierte mit einer Militäroperation in Afrin (Etana 12.2023). HTS verfolgt eine Expansionsstrategie und führt eine Offensive gegen regierungsnahe Milizen im Raum Aleppo durch (UNSC 25.7.2023).

Konfliktverlauf im Gebiet

Im Jahr 2015 verlor die syrische Regierung die Kontrolle über Idlib und diverse rivalisierende oppositionelle Gruppierungen übernahmen die Macht (BBC 18.2.2020), wobei die Freie Syrische Armee (FSA) manche Teile der Provinz schon 2012 erobert hatte (KAS 4.2020). Während die syrische Regierung die gesamte Provinz zurückerobern will, versucht Ankara zu verhindern, dass Idlib an Damaskus fällt, und daraufhin noch mehr Syrer in die Türkei flüchten (ORF 14.3.2021; vgl. Alaraby 25.1.2023). Die Türkei hat HTS als terroristische Organisation eingestuft, doch hat sie die Rebellengruppe in den letzten Jahren nicht aktiv daran gehindert, die Verwaltungsmacht in Idlib zu übernehmen (USCIRF 11.2022). Im Mai 2017 einigten sich Russland, Iran und die Türkei im Rahmen der Astana-Verhandlungen auf die Errichtung vier sogenannter Deeskalationszonen (DEZ) in Syrien (KAS 6.2020), wobei Idlib Teil einer DEZ wurde, die sich von den nordöstlichen Bergen Lattakias bis zu den nordwestlichen Vororten von Aleppo erstreckt und sowohl durch Hama als auch durch Idlib verläuft (SOHR 2.12.2022). Gemeint waren damit kampffreie Räume, in denen Zivilisten vor Angriffen geschützt sein sollten (KAS 6.2020; vgl. SD 18.8.2019). Gemäß der Übereinkunft von Astana rückte die türkische Armee im Oktober 2017 in die DEZ Idlib ein und errichtete Beobachtungsposten zur Überwachung der Waffenruhe. Ankara hatte sich in Astana verpflichtet, die Rebellen zu entwaffnen und den freien Verkehr auf den Fernstraßen M4 und M5 zu gewährleisten. Im Gegenzug hatten Moskau und Damaskus zugesichert, die Provinz nicht anzugreifen. Zusagen, die letztlich keine Seite einhielt. Die syrische Regierung führte im Zeitraum 2018-2020 Offensiven in Idlib durch, die zur Flucht von rund einer Million Menschen führten (KAS 6.2020).

Das syrische Regime hat den Wunsch geäußert, die Provinz zurückzuerobern, doch seit einer Offensive im März 2020, die mit einer für die syrische Regierung katastrophalen Niederlage gegen die Türkei endete, hat das Gebiet den Besitzer nicht mehr gewechselt (Alaraby 5.6.2023). Im März 2020 vermittelten Russland und die Türkei einen Waffenstillstand, um einen Vorstoß der Regierung zur Rückeroberung von Idlib zu stoppen (BBC 26.6.2023). Die vereinbarte Waffenruhe in der DEZ Idlib wurde weitestgehend eingehalten (AA 2.2.2024), sie führte zu einer längeren Pause in der Gewalt, aber sporadische Zusammenstöße, Luftangriffe und Beschuss gehen weiter (BBC 26.6.2023). Der Konflikt ist derzeit weitgehend eingefroren, auch wenn es immer wieder zu Kämpfen kommt (AJ 15.3.2023).

Insbesondere im Süden der DEZ kommt es unverändert regelmäßig zu Kampfhandlungen zwischen Einheiten des Regimes und seiner Verbündeten und regimefeindlichen bewaffneten Oppositionsgruppen (AA 2.2.2024; vgl. UNSC 20.4.2023), inklusive schwerer Artillerieangriffe durch das syrische Regime und Luftschläge der russischen Luftwaffe (AA 2.2.2024; vgl. USDOS 20.3.2023).

Im Oktober 2023 kam es zu einer erneuten Eskalation, die vom Vorsitzenden der CoI als größte Eskalation von Kampfhandlungen in Syrien in vier Jahren bezeichnet (UNHRC 24.10.2023). Angefangen hat die Gewaltperiode am 5.10.2023 durch einen Drohnenangriff auf die Ausmusterungsveranstaltung der Militärakademie in Homs, bei dem 89 Personen getötet und 270 verletzt wurden. Die Hay'at Tahrir ash-Sham wird verdächtigt, hinter dem Anschlag zu stehen. Die russischen Streitkräfte intensivierten ihre Luftangriffe und die Syrische Armee den Beschuss. Die HTS und ihre Verbündeten reagierten wiederum mit Artilleriebeschuss, Scharfschützen, Lenkflugkörpern und mutmaßlich auch weiteren Drohnenangriffen. Die Situation in Nordwestsyrien beruhigte sich im November wieder und die Kampfhandlungen gingen auf das Niveau vor der Eskalation im Oktober 2023 zurück, waren aber auch im Dezember 2023 noch unverändert evident (ICG 10.2023).

Organisation Hay’at Tahrir al-Sham (HTS):

Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) war früher als Jabhat al-Nusra bekannt und wurde 2011 in Syrien als Ableger von Al-Qaida im Gegensatz zur Regierung der Arabischen Republik gegründet. Jabhat Al-Nusra entwickelte sich schnell zu einer leistungsfähigen Organisation, die eine wachsende Zahl von Kämpfern anzog. Jabhat al-Nusra beherrschte die Durchführung aufständischer Angriffe und die Sicherung wirtschaftlicher Einnahmen, vor allem durch Geber aus den Golfstaaten, aber auch durch Steuern und Beschlagnahmungen von Vermögenswerten in den von der Organisation kontrollierten Gebieten. Im Jahr 2016 wurde Jabhat al-Nusra aufgelöst und stattdessen Jabhat Fatah al-Sham gegründet. Im Jahr 2017 fusionierte Jabhat Fatah al-Sham jedoch mit mehreren anderen islamistischen Gruppen, wie Harakat Nour al-Din al-Zinki, Liwa al-Haq, Jaysh al-Sunna und Jabhat Ansar al-Din. Infolgedessen wurde al-Nusra erneut umbenannt und neu organisiert, um sich als Hay’at Tahrir al-Sham zu etablieren. (DIS 12.2022)

Seit 2017 versucht HTS, sich von einer Fraktion der globalen Dschihad-Bewegung und einem Al-Qaida-Ableger zu einer de facto militärischen und regierenden konservativen Macht im Nordwesten Syriens zu entwickeln. Seitdem besteht das Hauptziel von HTS darin, in den von ihm kontrollierten Gebieten eine islamische Herrschaft zu etablieren, indem es die syrische Regierung und die iranischen Milizen bekämpft, Nordsyrien verteidigt und erhält und die Einheit unter dschihadistischen Gruppen im Nordwesten Syriens anstrebt. (DIS 12.2022)

Im Jahr 2017 gründete HTS die syrische Heilsregierung, die aus zehn Ministerien besteht, darunter Ministerien für Inneres, Justiz, Stiftungen, Bildung, Gesundheit, lokale Verwaltung und Dienstleistungen, Wirtschaft und Ressourcen, Entwicklung und humanitäre Angelegenheiten, Hochschulbildung und Landwirtschaft. Die Organisation funktioniert somit eher wie eine quasi-staatliche Einheit mit einer zentralen Führung, die die verschiedenen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte und Komponenten von HTS kontrolliert. Laut einer syrischen Menschenrechtsorganisation ist HTS viel besser organisiert als SNA. Die von ihr kontrollierten Gebiete sind sicherer und geschützter als die von SNA kontrollierten Gebiete. (DIS 12.2022)

Seit November 2022 kontrolliert HTS große Teile des Großraums Idlib. Laut einer für diesen Bericht konsultierten syrischen Menschenrechtsorganisation kontrolliert HTS 50 % des Gouvernements Idlib. HTS kontrolliert auch Teile des nordwestlichen Gouvernements Hama und einen Teil der westlichen Landschaft von Aleppo. HTS kontrolliert Gebiete im nördlichen Umland von Aleppo und im nordöstlichen Umland von Latakia. Dies ist im nordwestlichen Teil der unter Pkt. II.1.5.2. abgebildeten Karte von Syrien (UNGeo 1.7.2023, Stand: 6.2023 ) in durchgehendem Grün und schraffiertem Grün dargestellt. (DIS 12.2022)

II.1.7.2.1.2. Gebiete unter Kontrolle der Türkei und Türkei-naher Milizen

Die Opposition im Nordwesten Syriens ist in zwei große Gruppen/Bündnisse gespalten: HTS im Gouvernement Idlib und die von der Türkei unterstützte SNA im Gouvernement Aleppo.

Zur Freien Syrischen Armee (FSA)

Ab 2022 existiert die Freie Syrische Armee (FSA) nicht mehr als zusammenhängende Militärmacht. Seit 2018 hat sich die FSA in Süd- und Zentralsyrien aufgelöst, nachdem die syrische Regierung (GoS) 2018 von der Opposition kontrollierte Gebiete übernommen hatte. An anderen Orten im Norden und Nordwesten Syriens, in Gebieten unter der Kontrolle der Opposition, haben sich ehemalige FSA-Gruppen mit der Syrischen Nationalarmee zusammengeschlossen (SNA) nach 2018, teilweise aufgrund der Dezimierung solcher FSA-Gruppen bei bewaffneten Zusammenstößen mit der GoS in Idlib im Jahr 2020. (DIS 12.2022)

Seit November 2022 ist die Freie Syrische Armee (FSA) ein umgangssprachlicher Begriff, den gewöhnliche Syrer verwenden, um Oppositionsgruppen zu beschreiben, bei denen es sich nicht um den Islamischen Staat, die HTS oder kurdisch geführte Kräfte wie die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) handelt. Gewöhnliche Syrer bezeichnen mit dem Begriff „Freie Syrische Armee“ Rebellen- und Oppositionsgruppen, die von Forschern hingegen als spezifische und individuelle bewaffnete Oppositionsgruppen identifiziert wurden. Nach Angaben des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) bezeichnen sich alle bewaffneten nichtislamischen Oppositionsgruppen als „Freie Syrische Armee“, obwohl jede Gruppe einen eigenen Namen hat und tatsächlich Teil der (SNA) sein kann. (DIS 12.2022)

Die SNA ist auf dem Papier die Streitkraft der syrischen Übergangsregierung (SIG), die rund 2,3 Millionen Syrer regiert. In Wirklichkeit ist die SNA allerdings keine einheitliche Truppe, sondern setzt sich aus verschiedenen Fraktionen zusammen, die unterschiedliche Legionen bilden und nicht unbedingt der Führung des Verteidigungsministers der SIG folgen (Forbes 22.10.2022). Eine hochrangige syrische Oppositionsquelle in Afrîn sagte, dass innerhalb der SNA strukturelle Probleme bestehen, seit die von der Türkei unterstützten Kräfte das Gebiet 2018 von kurdischen Kräften erobert haben (MEE 15.10.2022) und es wird von internen Kämpfen der SNA-Fraktionen berichtet (MEE 25.10.2022). Trotz der internen Streitigkeiten operieren die SIG-Verwaltungen und die bewaffneten Gruppen innerhalb der SNA innerhalb der von Ankara vorgegebenen Grenzen (Forbes 22.10.2022; vgl. Brookings 27.1.2023).

Die SNA ist in den nördlichen und nordwestlichen Teilen der Gouvernements Aleppo, Raqqa und Hasaka präsent, in Gebieten, in denen die Türkei seit 2016 drei separate Militäreinsätze gestartet hat. Diese Gebiete sind als Operation Euphrates Shield-Gebiet (2016), Operation Olive Branch-Gebiet (2018) und Operation Peace Spring-Gebiet (2019) bekannt. Diese sind auf der unter Pkt. II.1.5.2. abgebildeten Karte von Syrien (UNGeo 1.7.2023) in den mit grüner Farbe und weißen Punkten markierten Gebieten dargestellt. (DIS 12.2022)

II.1.7.2.2. Nordost-Syrien (Selbstverwaltungsgebiet Nord- und Ostsyrien (Autonomous Administration of North und East Syria – AANES) und das Gebiet der SNA (Syrian National Army)

Besonders volatil stellt sich laut Einschätzung des deutschen Auswärtigen Amtes die Lage im Nordosten Syriens (v. a. Gebiete unmittelbar um und östlich des Euphrats) dar. Als Reaktion auf einen, von der Türkei der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkerên Kurdistanê, PKK) zugeschriebenen, Terroranschlag mit mehreren Toten in Istanbul startete das türkische Militär am 19.11.2022 eine mit Artillerie unterstützte Luftoperation gegen kurdische Ziele u. a. in Nordsyrien. Bereits zuvor war es immer wieder zu vereinzelten, teils schweren Auseinandersetzungen zwischen türkischen und Türkei-nahen Einheiten und Einheiten der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) sowie Truppen des Regimes gekommen, welche in Abstimmung mit den SDF nach Nordsyrien verlegt wurden. Als Folge dieser Auseinandersetzungen, insbesondere auch von seit Sommer 2022 zunehmenden türkischen Drohnenschlägen, wurden immer wieder auch zivile Todesopfer, darunter Kinder, vermeldet (AA 29.3.2023). Auch waren die SDF gezwungen, ihren Truppeneinsatz angesichts türkischer Luftschläge und einer potenziellen Bodenoffensive umzustrukturieren. Durch türkische Angriffe auf die zivile Infrastruktur sind auch Bemühungen um die humanitäre Lage gefährdet (Newlines 7.3.2023). Die Angriffe beschränkten sich bereits im 3. Quartal 2022 nicht mehr nur auf die Frontlinien, wo die überwiegende Mehrheit der Zusammenstöße und Beschussereignisse stattfanden; im Juli und August 2022 trafen türkische Drohnen Ziele in den wichtigsten von den SDF kontrollierten städtischen Zentren und töteten Gegner (und Zivilisten) in Manbij, Kobanê, Tell Abyad, Raqqa, Qamishli, Tell Tamer und Hassakah (CC 3.11.2022). Bereits im Mai 2022 hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine vierte türkische Invasion seit 2016 angekündigt (HRW 12.1.2023). Anfang Oktober 2023 begannen die türkischen Streitkräfte wieder mit der Intensivierung ihrer Luftangriffe auf kurdische Ziele in Syrien, nachdem in Ankara ein Bombenanschlag durch zwei Angreifer aus Syrien verübt worden war (REU 4.10.2023). Die Luftangriffe, die in den Provinzen Hasakah, Raqqa und Aleppo durchgeführt wurden, trafen für die Versorgung von Millionen von Menschen wichtige Wasser- und Elektrizitätsinfrastruktur (HRW 26.10.2023; vgl. AA 2.2.2024).

Die Türkei unterstellt sowohl den Streitkräften der Volksverteidigungseinheiten (YPG) als auch der Democratic Union Party (PYD) Nähe zur von der EU als Terrororganisation gelisteten PKK und bezeichnet diese daher ebenfalls als Terroristen und Gefahr für die nationale Sicherheit der Türkei (AA 29.11.2021).

Der Think Tank Newslines Institute for Strategy and Policy sieht auf der folgenden Karte besonders die Gebiete von Tal Rifa'at, Manbij und Kobanê als potenzielle Ziele einer türkischen Offensive. Auf der Karte sind auch die Strecken und Gebiete mit einer Präsenz von Regime- und pro-Regime-Kräften im Selbstverwaltungsgebiet ersichtlich, die sich vor allem entlang der Frontlinien zu den pro-türkischen Rebellengebieten und entlang der türkisch-syrischen Grenze entlangziehen. In Tal Rifa'at und an manchen Grenzabschnitten sind sie nicht präsent:

Der Rückzug der USA aus den Gebieten östlich des Euphrat im Oktober 2019 ermöglichte es der Türkei, sich in das Gebiet auszudehnen und ihre Grenze tiefer in Syrien zu verlegen, um eine Pufferzone gegen die SDF zu schaffen (CMEC 2.10.2020). Aufgrund der türkischen Vorstöße sahen sich die SDF dazu gezwungen, mehrere tausend syrische Regierungstruppen aufzufordern, in dem Gebiet Stellung zu beziehen, um die Türkei abzuschrecken, und den Kampf auf eine zwischenstaatliche Ebene zu verlagern (ICG 18.11.2021). Regimekräfte sind seither in allen größeren Städten in Nordostsyrien präsent (AA 29.11.2021). Die Türkei stützte sich bei ihrer Militäroffensive im Oktober 2019 auch auf Rebellengruppen, die in der 'Syrian National Army' (SNA) zusammengefasst sind; seitens dieser Gruppen kam es zu gewaltsamen Übergriffen, insbesondere auf die kurdische Zivilbevölkerung sowie Christen und Jesiden (Ermordungen, Plünderungen und Vertreibungen). Aufgrund des Einmarsches wuchs die Zahl der intern vertriebenen Menschen im Nordosten auf über eine halbe Million an (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Auf der folgenden Karte sind die militärischen Akteure der Region wie auch militärische und infrastrukturelle Maßnahmen, welche zur Absicherung der kurdischen "Selbstverwaltung" (Autonomous Administration of North and East Syria - AANES) nötig wären, eingezeichnet. Auf dieser Karte ist entlang der gesamten Frontlinie zu pro-türkischen Gebieten bzw. der türkisch-syrischen Grenze die Präsenz einer Kooperation zwischen SDF, Regime und russischen Truppen mit Ausnahme entlang des Tigris im äußersten Nordosten verzeichnet:

TWI 15.3.2022

SDF, YPG und YPJ [Anm.: Frauenverteidigungseinheiten] sind nicht nur mit türkischen Streitkräften und verschiedenen islamistischen Extremistengruppen in der Region zusammengestoßen, sondern gelegentlich auch mit kurdischen bewaffneten Gruppen, den Streitkräften des Assad-Regimes, Rebellen der Freien Syrischen Armee und anderen Gruppierungen (AN 17.10.2021). Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Nordosten Syriens umfassen auch den größten Teil des Gebiets, das zuvor unter der Kontrolle des IS in Syrien stand (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022). Raqqa war de facto die Hauptstadt des IS (PBS 22.2.2022), und die Region gilt als "Hauptschauplatz für den Aufstand des IS" (ICG 11.10.2019; vgl. EUAA 9.2022).

Die kurdischen YPG stellen einen wesentlichen Teil der Kämpfer und v. a. der Führungsebene der SDF, welche in Kooperation mit der internationalen Anti-IS-Koalition militärisch gegen die Terrororganisation IS in Syrien vorgehen (AA 29.11.2021). In Reaktion auf die Reorganisation der Truppen zur Verstärkung der Front gegen die Türkei stellten die SDF vorübergehend ihre Operationen und andere Sicherheitsmaßnahmen gegen den Islamischen Staat ein. Dies weckte Befürchtungen bezüglich einer Stärkung des IS in Nordost-Syrien (Newlines 7.3.2023). Die SDF hatten mit Unterstützung US-amerikanischer Koalitionskräfte allein seit Ende 2021 mehrere Sicherheitsoperationen durchgeführt, in denen nach eigenen Angaben Hunderte mutmaßliche IS-Angehörige verhaftet und einzelne Führungskader getötet wurden (AA 2.2.2024).

II.1.7.3. Rechtsschutz/Justizwesen

II.1.7.3.1. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes unter HTS- oder SNA Dominanz

In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen unterschiedlich (AA 2.2.2024). In von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, mit starken Unterschieden bei der Organisationsstruktur und bei der Beachtung juristischer Normen. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen dem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, der von der Arabischen Liga aus dem Jahr 1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und häufig sind diese dem Einfluss der dominanten bewaffneten Gruppierungen unterworfen (USDOS 11.3.2020). Auch die Härte des angewandten islamischen Rechts unterscheidet sich, sodass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können (ÖB Damaskus 1.10.2021).

Doch werden insbesondere jene religiösen Gerichte, welche in (vormals) vom Islamischen Staat (IS) und von Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) [Anm.: HTS wird von den Vereinigten Staaten aufgrund ihrer Verbindungen zu Al Qa'ida als ausländische Terrororganisation eingestuft (CRS 8.11.2022)] kontrollierten Gebieten Recht sprechen, als nicht mit internationalen Standards im Einklang stehend charakterisiert (ÖB Damaskus 1.10.2021). Die Gerichte extremistischer Gruppen verhängen in ihren religiösen Gerichten harte Strafen wegen in ihrer Wahrnehmung religiösen Verfehlungen (FH 9.3.2023). Urteile von Scharia-Räten der Opposition resultieren manchmal in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass Angeklagte Berufung einlegen oder Besuch von ihren Familien erhalten können (USDOS 20.3.2023).

Das Gebiet unter Kontrolle der von der Türkei unterstützten syrischen Oppositionsgruppen wird von der "Syrischen Interimsregierung" (Syrian Interim Government - SIG) verwaltet. Das Justizsystem ist hauptsächlich mit erfahrenem Personal als Richter, Staatsanwälte und Anwälte besetzt, aber die Justiz gilt als direkt und indirekt unter Einfluss der türkischen Streitkräfte und ihrer lokalen syrischen Verbündeten stehend. Implizit werden Korruption und Schikanen durch diese von der Justiz toleriert. Gleichzeitig wird gegen jegliche Opposition zur SIG oder der türkischen Präsenz strikt vorgegangen. Neben einem zivilen Justizsystem gibt es auch eine Militärjustiz, welche für militärische Strafverfahren und für das Militärpersonal zuständig ist (NMFA 5.2022).

In Idlib übernehmen quasi-staatliche Strukturen der sogenannten „Errettungs-Regierung“ der HTS Verwaltungsaufgaben (AA 2.2.2024) und verfügen auch über eine Justizbehörde. Die Gruppe unterhält auch geheime Gefängnisse. Die HTS unterwirft ihre Gefangenen geheimen Verfahren, den sogenannten "Scharia-Sitzungen". In diesen werden die Entscheidungen von den Scharia- und Sicherheitsbeamten (Geistliche in Führungspositionen der HTS, die befugt sind, Fatwas [Rechtsgutachten] und Urteile zu erlassen) getroffen. Die Gefangenen können keinen Anwalt zu ihrer Verteidigung hinzuziehen und sehen ihre Familien während ihrer Haft nicht (NMFA 6.2021). Die COI (die von der UNO eingesetzte Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic) stellt in ihrem Bericht vom Februar 2022 fest, dass durch HTS und andere bewaffnete Gruppierungen eingesetzte, rechtlich nicht legitimierte Gerichte Urteile bis hin zur Todesstrafe aussprechen. Dies sei als Mord einzustufen und stelle insofern ein Kriegsverbrechen dar (AA 2.2.2024).

II.1.5.3.2. Nordost-Syrien

In Gebieten unter Kontrolle der sogenannten „Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien“ übernimmt diese quasi-staatliche Aufgaben wie Verwaltung und Personenstandswesen (AA 2.2.2024). Es wurde eine von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) geführte Verwaltung geschaffen, die neben diesen Rechtsinstitutionen auch eine eigene Polizei, Gefängnisse und Ministerien umfasst (AI 12.7.2017). Das Justizsystem in den kurdisch kontrollierten Gebieten besteht aus Gerichten, Rechtskomitees und Ermittlungsbehörden (USDOS 20.3.2023). Juristen, welche unter diesem Justizsystem agieren, werden von der syrischen Regierung beschuldigt, eine illegale Justiz geschaffen zu haben. Richter und Justizmitarbeiter sehen sich mit Haftbefehlen der syrischen Regierung konfrontiert, verfügen über keine Pässe und sind häufig Morddrohungen ausgesetzt (JS 28.10.2019).

II.1.7.4. Wehr- und Reservedienst bei den syrischen Streitkräften:

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes verpflichtend (ÖB Damaskus 12.2022). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007).

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 1.2024).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022).

Am 1.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr.37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, sich von ebendiesem freikaufen können durch eine Zahlung von 4.800 USD. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden 200 USD abgezogen (SANA 1.12.2023).

Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018). Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehren, müssen mit Zwangsrekrutierung rechnen (AA 2.2.2024).

II.1.7.4.1. Die Umsetzung der Wehrpflicht:

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. (DIS 5.2020). Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. (STDOK 8.2017; vgl. DIS 7.2023). Die Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (STDOK 8.2017).

Obwohl die offizielle Wehrdienstzeit etwa zwei Jahre beträgt, werden Wehrpflichtige in der Praxis auf unbestimmte Zeit eingezogen (NMFA 5.2022; vgl. AA 29.3.2022), wobei zuletzt von einer "Verkürzung" des Wehrdienstes auf 7,5 Jahre berichtet wurde. Die tatsächliche Dauer richtet sich laut UNHCR Syrien jedoch nach Rang und Funktion der Betreffenden (ÖB Damaskus 12.2022). Personen, die aufgrund ihrer besonderen Fachkenntnisse von großem Wert für die Armee und nur schwer zu ersetzen sind, können daher über Jahre hinweg im Militärdienst gehalten werden. Personen, deren Beruf oder Fachwissen in der Gesellschaft sehr gefragt ist, wie z.B. Ärzte, dürfen eher nach Ablauf der offiziellen Militärdienstzeit ausscheiden (NMFA 5.2022).

Seit März 2020 hat es in Syrien keine größeren militärischen Offensiven an den offiziellen Frontlinien mehr gegeben. Scharmützel, Granatenbeschuss und Luftangriffe gingen weiter, aber die Frontlinien waren im Grunde genommen eingefroren. Nach dem Ausbruch von COVID-19 und der Einstellung größerer Militäroperationen in Syrien Anfang 2020 verlangsamten sich Berichten zufolge die militärischen Rekrutierungsmaßnahmen der SAA. Die SAA berief jedoch regelmäßig neue Wehrpflichtige und Reservisten ein. Im Oktober 2021 wurde ein Rundschreiben herausgegeben, in dem die Einberufung von männlichen Syrern im wehrpflichtigen Alter angekündigt wurde. Auch in den wiedereroberten Gebieten müssen Männer im wehrpflichtigen Alter den Militärdienst ableisten (EUAA 9.2022). Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt aufgrund von Entlassungen langgedienter Wehrpflichtiger und zahlreicher Verluste durch Kampfhandlungen unverändert hoch (AA 2.2.2024).

II.1.7.4.2. Rekrutierungspraxis

Es gibt, dem Auswärtigen Amt zufolge, zahlreiche glaubhafte Berichte, laut denen wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, von Mitarbeitern der Geheimdienste abgeholt und zwangsrekrutiert werden (AA 2.2.2024). Junge Männer werden an Kontrollstellen (Checkpoints) sowie unmittelbar an Grenzübergängen festgenommen und zwangsrekrutiert (AA 2.2.2024; vgl. NMFA 5.2022), wobei es in den Gebieten unter Regierungskontrolle zahlreiche Checkpoints gibt (NMFA 5.2022; vgl. NLM 29.11.2022). Glaubhaften Berichten zufolge gibt es Zwangsrekrutierungen junger Männer durch syrische Streitkräfte auch unmittelbar im Kampfgebiet (AA 2.2.2024).

Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Lokale Medien berichteten, dass die Sicherheitskräfte der Regierung während der Fußballweltmeisterschaft der Herren 2022 mehrere Cafés, Restaurants und öffentliche Plätze in Damaskus stürmten, wo sich Menschen versammelt hatten, um die Spiele zu sehen, und Dutzende junger Männer zur Zwangsrekrutierung festnahmen (USDOS 20.3.2023).

Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z. B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. ICG 9.5.2022, EB 6.3.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden (DIS 5.2020). Hausdurchsuchungen finden dabei v.a. eher in urbanen Gebieten statt, wo die SAA stärkere Kontrolle hat, als in ruralen Gebieten (DIS 1.2024). Mehrere Quellen berichteten im Jahr 2023 wieder vermehrt, dass Wehr- und Reservedienstpflichtige aus ehemaligen Oppositionsgebieten von der syrischen Regierung zur Wehrpflicht herangezogen wurden, um mehr Kontrolle über diese Gebiete zu erlangen bzw. um potenzielle Oppositionskämpfer aus diesen Gebieten abzuziehen (NMFA 8.2023; vgl. DIS 7.2023). Eine Quelle des Danish Immigration Service geht davon aus, dass Hausdurchsuchungen oft weniger die Rekrutierung als vielmehr eine Erpressung zum Ziel haben (DIS 1.2024).

Während manche Quellen berichten, dass sich die syrische Regierung bei der Rekrutierung auf Alawiten und regierungstreue Gebiete konzentrierte (EASO 4.2021), berichten andere, dass die syrische Regierung Alawiten und Christen nun weniger stark in Anspruch nimmt (ÖB Damaskus 12.2022; vgl. EASO 4.2021). Da die Zusammensetzung der syrisch-arabischen Armee ein Spiegelbild der syrischen Bevölkerung ist, sind ihre Wehrpflichtigen mehrheitlich sunnitische Araber, die vom Regime laut einer Quelle als "Kanonenfutter" im Krieg eingesetzt wurden. Die sunnitisch-arabischen Soldaten waren (ebenso wie die alawitischen Soldaten und andere) gezwungen, den größeren Teil der revoltierenden sunnitisch-arabischen Bevölkerung zu unterdrücken. Der Krieg forderte unter den alawitischen Soldaten bezüglich der Anzahl der Todesopfer einen hohen Tribut, wobei die Eliteeinheiten der SAA, die Nachrichtendienste und die Shabiha-Milizen stark alawitisch dominiert waren (Al-Majalla 15.3.2023).

Im Rahmen sog. lokaler "Versöhnungsabkommen" in den vom Regime zurückeroberten Gebieten sowie im Kontext lokaler Rückkehrinitiativen aus Libanon hat das Regime Männern im wehrpflichtigen Alter eine sechsmonatige Schonfrist zugesichert. Diese wurde jedoch in zahlreichen Fällen, auch nach der Einnahme des Südwestens, nicht eingehalten. Sowohl in Ost-Ghouta als auch in den südlichen Gouvernements Dara‘a und Quneitra soll der Militärgeheimdienst dem Violations Documentation Center zufolge zahlreiche Razzien zur Verhaftung und zum anschließenden Einzug ins Militär durchgeführt haben (AA 2.2.2024).

II.1.7.4.3. Rekrutierung von Personen aus Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle

Gebiete unter HTS- oder SNA-Dominanz

Das Gouvernement Idlib befindet sich außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung, die dort keine Personen einberufen kann (Rechtsexperte 14.9.2022), mit Ausnahme einiger südwestlicher Sub-Distrikte (Nahias) des Gouvernements, die unter Regierungskontrolle stehen (ACLED 1.12.2022; vgl. Liveuamap 17.5.2023). Die syrische Regierung kontrolliert jedoch die Melderegister des Gouvernements Idlib (das von der syrischen Regierung in das Gouvernement Hama verlegt wurde), was es ihr ermöglicht, auf die Personenstandsdaten junger Männer, die das Rekrutierungsalter erreicht haben, zuzugreifen, um sie für die Ableistung des Militärdienstes auf die Liste der "Gesuchten" zu setzen. Das erleichtert ihre Verhaftung zur Rekrutierung, wenn sie das Gouvernement Idlib in Richtung der Gebiete unter Kontrolle der syrischen Regierung verlassen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army, SNA) ist die zweitgrößte Oppositionspartei, die sich auf das Gouvernement Aleppo konzentriert. Sie wird von der Türkei unterstützt und besteht aus mehreren Fraktionen der Freien Syrischen Armee (Free Syrian Army, FSA). Sie spielt nach wie vor eine wichtige Rolle in Nordsyrien, wird aber von politischen Analysten bisweilen als türkischer Stellvertreter gebrandmarkt. Die SNA hat die Kontrolle über die von der Türkei gehaltenen Gebiete (Afrin und Jarabulus) in Syrien und wird von der Türkei geschützt. Die syrische Regierung unterhält keine Präsenz in den von der Türkei gehaltenen Gebieten und kann keine Personen aus diesen Gebieten für die Armee rekrutieren, es sei denn, sie kommen in Gebiete, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden (Rechtsexperte 14.9.2022). Auch mit Stand Februar 2023 hat die syrische Armee laut einem von ACCORD befragten Syrienexperten keine Zugriffsmöglichkeit auf wehrdienstpflichtige Personen in Jarabulus (ACCORD 20.3.2023).

Nordost-Syrien

Die syrische Regierung ist – mit Ausnahme der Regierungsenklaven in Qamischli und Hasaka - in den von der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES) kontrollierten Gebieten de facto nicht in der Lage, die Wehrpflicht durchzusetzen oder Oppositionelle zu verhaften. (ACCORD Themendossier Wehrdienst vom 20.03.2024; Länderinformation der Staatendokumentation, S. 160; ACCORD Anfragebeantwortung a-12197 vom 24.08.2023; DIS, Juni 2022, S. 1; Themenbericht der Staatendokumentation, Syrien-Grenzübergänge, S. 5)

Entsprechend dem Abkommen zwischen den Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom 14.10.2019 rückte die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad in einige kurdisch kontrollierte Gebiete vor, um sich - wie Staatsmedien berichteten - der "türkischen Aggression" entgegenzustellen (Standard 15.10.2019).

Laut einem von ACCORD kontaktierten Syrienexperten sind aus diesem Grunde u.a. Regierungstruppen in den Gebieten in und um Manbidsch, Ain Al-Arab, Tal Rifaat und an der türkischen Grenze zwar präsent, führten jedoch hauptsächlich nur Patrouillen, meist zusammen mit der russischen Militärpolizei aus. Die SDF (Syrian Democratic Forces) ist aber nach wie vor der Hauptakteur in der Region. Die SDF hat der Regierung lediglich erlaubt, Truppen einzusetzen, um eine mögliche türkische Militäroperation in Nordsyrien zu verhindern.

II.1.7.4.4. Einsatz von Rekruten im Kampf

Grundsätzlich vermeidet es die syrische Armee, neu ausgebildete Rekruten zu Kampfeinsätzen heranzuziehen, jedoch können diese aufgrund der asymmetrischen Art der Kriegsführung mit seinen Hinterhalten und Anschlägen trotzdem in Kampfhandlungen verwickelt werden (BMLV 12.10.2022), wie in der Badia-Wüste, wo es noch zu Konfrontationen mit dem IS kommt (DIS 7.2023). Alle Eingezogenen können laut EUAA (European Union Agency for Asylum) unter Berufung auf einen Herkunftsländerbericht vom April 2021 potenziell an die Front abkommandiert werden. (EUAA 2.2023; vgl. DIS 7.2023). Ihr Einsatz hängt laut EUAA vom Bedarf der Armee für Truppen sowie von den individuellen Qualifikationen der Eingezogenen und ihrem Hintergrund oder ihrer Kampferfahrung ab (EUAA 2.2023). Andere Quellen hingegen geben an, dass die militärische Qualifikation oder die Kampferfahrung keine Rolle spielt, beim Einsatz von Wehrpflichtigen an der Front (DIS 7.2023). Eingezogene Männer aus "versöhnten" Gebieten werden disproportional oft kurz nach ihrer Einberufung mit minimaler Kampfausbildung als Bestrafung für ihre Illoyalität gegenüber dem Regime an die Front geschickt. Reservisten werden in (vergleichsweise) kleinerer Zahl an die Front geschickt (EUAA 2.2023; vgl. NMFA 8.2023).

II.1.7.4.5. Befreiung, Aufschub, Befreiungsgebühren, Strafen bei Erreichung des 43. Lebensjahrs ohne Ableistung des Wehrdiensts:

Das syrische Wehrdienstgesetz sieht vor, dass bestimmte Personengruppen, wie zum Beispiel der einzige Sohn einer Familie, aus medizinischen Gründen Untaugliche (DIS 5.2020; vgl. FIS 14.12.2018), manche Regierungsangestellte (FIS 14.12.2018) und Personen, welche eine Befreiungsgebühr bezahlen, vom Wehrdienst ausgenommen sind. Manche Studenten und Personen mit bestimmten Abschlüssen, wie auch Personen mit vorübergehenden Erkrankungen können den Wehrdienst aufschieben, wobei die Rückstellungen jedes Jahr erneuert werden müssen (DIS 5.2020). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (STDOK 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).

Als einziger Sohn der Familie kann man sich vom Wehrdienst befreien lassen. Mehrere Quellen des Danish Immigration Service haben angegeben, dass es keine Fälle gibt, in denen die einzigen Söhne einer Familie trotzdem zur Wehrpflicht herangezogen worden sind (DIS 1.2024).

Seit einer Änderung des Wehrpflichtgesetzes im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich und kann durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB Damaskus 12.2022).

Am 1.12.2023 trat das neue Gesetzesdekret Nr.37 in Kraft, wonach sich Rekruten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in den Reservedienst eingetreten sind, sich von eben diesem freikaufen können durch eine Zahlung von 4.800 USD. Für jeden Monat, in dem derjenige den Reservedienst bereits geleistet hat, werden 200 USD abgezogen (SANA 1.12.2023)

II.1.7.4.6. Befreiungsgebühr für Syrer mit Wohnsitz im Ausland

Das syrische Militärdienstgesetz erlaubt es syrischen Männern und registrierten Palästinensern aus Syrien im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland, eine Gebühr ("badal an-naqdi") zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht wieder einberufen zu werden. Bis 2020 konnten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten haben, einen Betrag von 8.000 USD zahlen, um vom Militärdienst befreit zu werden (DIS 5.2020), wobei noch weitere Konsulargebühren anfallen (EB 2.9.2019; vgl. SB Berlin o.D.). Im November 2020 wurde mit dem Gesetzesdekret Nr.31 (Rechtsexperte 14.09.2022) die Dauer des erforderlichen Auslandsaufenthalts auf ein Jahr reduziert und die Gebühr erhöht (NMFA 6.2021). Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre) ISPI 5.6.2023; vgl. AA 2.2.2024). Die Person bekommt einen Beleg für den Freikauf, den sie bei der Einreise am Flughafen vorweisen kann. Um auch möglichst problemlos Checkpoints passieren zu können, muss die Person zusätzlich zum Beleg einen Eintrag in sein Militärbuch machen lassen (DIS 7.2023). Laut der Einschätzung verschiedener Organisationen dient die Möglichkeit der Zahlung des Wehrersatzgeldes für Auslandssyrer maßgeblich der Generierung ausländischer Devisen (AA 2.2.2024; vgl. ISPI 5.6.2023)

Die Zahlung des Wehrersatzgeldes ist an die Vorlage von Dokumenten geknüpft, die eine Vielzahl der ins Ausland Geflüchteten aufgrund der Umstände ihrer Flucht nicht beibringen können oder die nicht ohne ein Führungszeugnis der Sicherheitsdienste des syrischen Regimes nachträglich erworben werden können, wie etwa einen Nachweis über Aus- und Einreisen (Ausreisestempel) oder die Vorlage eines Personalausweises (AA 2.2.2024). Die Syrische Regierung respektiert die Zahlung dieser Befreiungsgebühr mehreren Experten, die vom Danish Immigration Service befragt wurden, zufolge und zieht Männer, die diese Gebühr bezahlt haben, im Allgemeinen nicht ein. Drei vertrauliche Quellen, die vom niederländischen Außenministerium im März 2023 und November 2022 befragt wurden, gehen davon aus, dass jemand, der sich vom Militärdienst freigekauft hat, auch nicht mehr zum Militärdienst einberufen wird. Eine Quelle gibt auch an, dass Personen, die die Gebühr bezahlt haben problemlos ins Land einreisen können. Probleme bekommen vor allem jene Männer, die ihre Dokumente zum Beweis, dass sie befreit sind, nicht vorweisen können. Des Weiteren berichten Quellen des Danish Immigration Service von Fällen, bei denen Personen, die ihren Status mit der Regierung geklärt hatten, dennoch verhaftet worden sind, weil sie aus Gründen der Sicherheit von den Sicherheitskräften gesucht worden sind. Die Behörden geben normalerweise keine Auskunft darüber, ob man von den Sicherheitsbehörden gesucht wird. Mehrere Quellen gehen aber von Erpressungen gegenüber Wehrpflichtigen an Checkpoints durch Streit- und Sicherheitskräfte an Checkpoints aus, insbesondere gegenüber Personen aus Europa bzw. Geschäftsleuten. Eine Quelle sprach auch von Racheaktionen gegenüber Wehrpflichtigen, die aus ehemaligen Oppositionsgebieten kommen, bei denen die syrischen Behörden diese an Checkpoints festhalten und erpressen (DIS 1.2024). Auch das Auswärtige Amt schreibt, dass staatlich ausgestellte Nachweise über die Ableistung des Wehrdienstes bzw. Zahlung des Wehrersatzgeldes an Kontrollstellen der Sicherheitsdienste des Regimes durchgängig anerkannt werden (AA 2.2.2024).

Auch Männer, die Syrien illegal verlassen haben, können Quellen zufolge durch die Zahlung der Gebühr vom Militärdienst befreit werden (NMFA 5.2022; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022; NMFA 8.2023). Diese müssen ihren rechtlichen Status allerdings zuvor durch einen individuellen "Versöhnungsprozess" bereinigen (NMFA 5.2022)

Bevor die Zahlung durchgeführt wird, kontaktiert die Botschaft das syrische Verteidigungsministerium, um eine Genehmigung zu erhalten. Dabei wird ermittelt, ob die antragstellende Person sich vom Wehrdienst freikaufen kann (NMFA 5.2020). Die syrische Botschaft in Berlin gibt beispielsweise an, dass u. a. ein Reisepass oder Personalausweis sowie eine Bestätigung der Ein- und Ausreise vorgelegt werden muss (SB Berlin o.D.), welche von der syrischen Einwanderungs- und Passbehörde ausgestellt wird ("bayan harakat"). So vorhanden, sollten die Antragsteller auch das Wehrbuch oder eine Kopie davon vorlegen (Rechtsexperte 14.9.2022).

Offiziell ist dieser Prozess relativ einfach, jedoch dauert er in Wirklichkeit sehr lange, und es müssen viele zusätzliche Kosten aufgewendet werden, unter anderem Bestechungsgelder für die Bürokratie. Beispielsweise müssen junge Männer, die mit der Opposition in Verbindung standen, aber aus wohlhabenden Familien kommen, wahrscheinlich mehr bezahlen, um vorab ihre Akte zu bereinigen (Balanche 13.12.2021).

II.1.7.4.7. Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern

In Syrien besteht keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung. Auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht. Nach dem Wehrpflichtgesetz ist es syrischen Männern im wehrpflichtigen Alter möglich, sich durch Zahlung eines sogenannten Wehrersatzgeldes von der Wehrpflicht freizukaufen, sofern sie mindestens ein Jahr ohne Wiedereinreise nach Syrien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten (AA 2.2.2024)

Das syrische Wehrpflichtgesetz (Art. 97) ermöglicht es, das Vermögen von Männern zu beschlagnahmen, die sich bis zum Erreichen des 43. Lebensjahres (Altersgrenze zur Einberufung) der Wehrpflicht entzogen haben und sich weigern, ein Wehrersatzgeld in Höhe von 8.000 USD zu entrichten. Das Gesetz erlaubt die Beschlagnahme des Vermögens nicht nur von Männern, die nicht im Militär gedient haben, sondern auch von deren unmittelbaren Familienangehörigen, einschließlich Ehefrauen und Kindern (AA 2.2.2024 vgl. Rechtsexperte 14.9.2022; vgl. NMFA 8.2023).

Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021).

Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021) Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 2.2.2024).

Wehrdienstentzug wird gemäß dem Militärstrafgesetzbuch bestraft. In Art. 98-99 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht (AA 2.2.2024; vgl. Rechtsexperte 14.9.2022). Desertion wird von Soldaten begangen, die bereits einer Militäreinheit beigetreten sind, während Wehrdienstverweigerung in den meisten Fällen von Zivilisten begangen wird, die der Einberufung zum Wehrdienst nicht gefolgt sind. Desertion wird meist härter bestraft als Wehrdienstverweigerung.

Die Gesetzesbestimmungen werden nicht konsistent umgesetzt (Landinfo 3.1.2018), und die Informationslage bezüglich konkreter Fälle von Bestrafung von Wehrdienstverweigerern und Deserteuren ist eingeschränkt, da die syrischen Behörden hierzu keine Informationen veröffentlichen (Rechtsexperte 14.9.2022). Manche Quellen geben an, dass Betroffene sofort (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018) oder nach einer kurzen Haftstrafe (einige Tage bis Wochen) eingezogen werden, sofern sie in keinerlei Oppositionsaktivitäten involviert waren (DIS 5.2022). Andere geben an, dass Wehrdienstverweigerer von einem der Nachrichtendienste aufgegriffen und gefoltert oder "verschwindengelassen" werden können. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Es gibt verschiedene Meinungen darüber, ob Wehrdienstpflichtige zurzeit sofort eingezogen, oder zuerst inhaftiert und dann eingezogen werden: Laut Balanche ist der Bedarf an Soldaten weiterhin hoch genug, dass man wahrscheinlich nicht inhaftiert, sondern mit mangelhafter oder ohne Ausbildung direkt an die Front geschickt wird (Balanche 13.12.2021). Die Strafe für Wehrdienstentzug ist oft Haft und im Zuge dessen auch Folter. Während vor ein paar Jahren Wehrdienstverweigerer bei Checkpoints meist vor Ort verhaftet und zur Bestrafung direkt an die Front geschickt wurden (als "Kanonenfutter"), werden Wehrdienstverweigerer derzeit laut Uğur Üngör wahrscheinlich zuerst verhaftet. Seit die aktivsten Kampfgebiete sich beruhigt haben, kann das Regime es sich wieder leisten, Leute zu inhaftieren (Gefängnis bedeutet immer auch Folter, Wehrdienstverweigerer würden hier genauso behandelt wie andere Inhaftierte oder sogar schlechter) (Üngör 15.12.2021).

Selbst für privilegierte Personen mit guten Verbindungen zum Regime ist es nicht möglich, als Wehrdienstverweigerer nach Syrien zurückzukommen - es müsste erst jemand vom Geheimdienst seinen Namen von der Liste gesuchter Personen löschen. Auch nach der Einberufung ist davon auszugehen, dass Wehrdienstverweigerer in der Armee unmenschliche Behandlung erfahren werden (Üngör 15.12.2021). Laut Kheder Khaddour würde man als Wehrdienstverweigerer wahrscheinlich ein paar Wochen inhaftiert und danach in die Armee eingezogen (Khaddour 24.12.2021). Auch einige Quellen des Danish Immigration Service geben an, dass Wehrdienstverweigerer mit einer Haftstrafe von bis zu neun Monaten rechnen müssen. Andere Quellen des Danish Immigration Service wiederum berichteten, dass Wehrdienstverweigerer direkt zum Wehrdienst eingezogen, ohne vorher inhaftiert zu werden. Wer an einem Checkpoint als Wehrdienstverweigerer erwischt wird, wird dem Geheimdienst übergeben. Ein Wehrdienstverweigerer, der nicht aus anderen Gründen gesucht wird, wird dem Militär zur Ableistung des Wehrdienstes übergeben. Wehrdienstverweigerer werden meist direkt an die Front geschickt (DIS 1.2024). Wehrdienstverweigerer aus den Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, werden dabei mit größerem Misstrauen betrachtet und mit größerer Wahrscheinlichkeit inhaftiert oder verhaftet (NMFA 8.2023).

Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung "ausgesöhnt" hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der "internen und externen Desertion vom Militärdienst" aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 07.02.2023).

II.1.7.5. Nicht-staatliche bewaffnete regierungsfreundliche Gruppierungen

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).

II.1.7.6. Nicht-staatliche bewaffnete regierungsfeindliche Gruppierungen

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022).

Rekrutierungspraxis bei HTS:

Die Rekrutierung von HTS erfolgt typischerweise in Moscheen und über örtliche Scheichs und Geistliche. Der Schwerpunkt bei diesen Rekrutierungsprozessen liegt darauf, sicherzustellen, dass neue Rekruten die gleiche islamistische Ideologie wie HTS teilen. HTS rekrutiert hauptsächlich durch Rekrutierungskampagnen, bei denen Männer ab 18 Jahren ermutigt werden, sich der militärischen Abteilung von HTS anzuschließen. Zu diesen Kampagnen gehören die Verteilung von Flugblättern und Ankündigungen auf Social-Media-Plattformen wie Telegram und Twitter. (DIS 12.2022)

HTS rekrutiert auch aus von der SNA kontrollierten Gebieten über Familien- oder Stammesverbindungen. Allerdings erlaubt HTS ehemaligen Oppositionsgruppenkämpfern, wie z.B. ehemaligen SNA-Kämpfern, nicht, dem HTS beizutreten. Es erlaubt Oppositionsgruppen auch nicht, Rekrutierungsbüros und Ausbildungsstützpunkte in von HTS kontrollierten Gebieten zu eröffnen. (DIS 12.2022)

HTS verfügt über eine große Anzahl von Kämpfern, da sich viele Männer, die in HTS-Gebieten leben, seinem militärischen Zweig anschließen. Allerdings ist die genaue Anzahl der Kämpfer, die HTS zur Verfügung stehen, laut der Online-Medienveröffentlichung Al-Monitor nicht bekannt. Eine syrische Menschenrechtsorganisation schätzt, dass HTS derzeit aus etwa 80.000 Kämpfern besteht. Laut Fabrice Balanche besteht HTS im Oktober 2022 aus 30.000 bis 50.000 Kämpfern. Im Oktober 2018 verfügte HTS über eine Kampftruppe von 12.000 bis 15.000 Kämpfern. (DIS 12.2022)

Junge Männer schließen sich HTS vor allem wegen der attraktiven Anreize an, die die Organisation ihren Kämpfern bietet. HTS betrachtet seine Kämpfer als wichtigen Teil seiner Organisation, was insgesamt einen wichtigen Motivationsfaktor für den Beitritt zu HTS darstellt. Neben der Zahlung von Gehältern stellt HTS seinen Mitgliedern auch Lebensmittelkörbe und Unterkünfte zur Verfügung. (DIS 12.2022)

Zwei der befragten Quellen gaben an, dass sich auch viele junge Männer der HTS anschließen, weil sie die ideologischen und religiösen Überzeugungen der Organisation teilen. (DIS 12.2022)

Dem Bericht des Danish Immigration Service (DIS) vom Dezember 2022 ist zu entnehmen, dass Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) im Allgemeinen keine Zwangsrekrutierung einsetzt. HTS benötigt keine Rekruten, da eine große Anzahl von Männern bereitwillig der Organisation beitritt. Darüber hinaus setzt HTS keine Zwangsrekrutierung ein, da es für HTS von wesentlicher Bedeutung ist, dass seine Rekruten motiviert sind und loyal gegenüber der Organisation.

Es ist möglich, in von HTS kontrollierten Gebieten zu leben, ohne im HTS dienen zu müssen. Männer, die sich dafür entscheiden, HTS nicht beizutreten, werden keine Probleme mit HTS haben, weil sie nicht beitreten. Sie können als Zivilisten in den vom HTS kontrollierten Gebieten leben. In Idlib leben 100.000 Menschen, die arbeiten und sich frei bewegen und nicht vom HTS rekrutiert werden. (DIS 12.2022)

Allerdings hat HTS in einigen Fällen bei der Einstellung von Mitarbeitern Gewalt oder Nötigung angewendet. Laut Al-Ghazi zwingt HTS Personen mit militärischer Erfahrung dazu, sich HTS anzuschließen. Darüber hinaus haben örtliche HTS-Polizeieinheiten gelegentlich Männer unter Druck gesetzt, sich HTS anzuschließen, insbesondere im Zusammenhang mit den Angriffen der syrischen Regierung auf Idlib. Allerdings gibt es keine systematische Praxis dieser Art der Rekrutierung. Es gab auch Fälle von Zwangsrekrutierung von Männern aus IS-Schläferzellen, um eine feste Kontrolle über diese Kämpfer zu erlangen. Beispielsweise im Mai 2021 startete Ansar al-Tawhid eine Rekrutierungskampagne für ihre neue militärische Formation mit dem Namen „Jaysh al-Ansar“ in Nordwestsyrien [Anm.: es konnten hierbei keine Berichte über Zwangsrekrutierungen gefunden werden]. (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: „Gebietskontrolle al-Barah, Zwangsrekrutierungen durch HTS, Einreise nach Idlib“ vom 27.10.2023, S. 7)

HTS erlaubt es Kämpfern nicht, aufzuhören oder zu entscheiden, ob sie an bewaffneten Kämpfen teilnehmen möchten. Über diese Angelegenheiten entscheiden ausschließlich die Leiter von HTS. Laut SNHR kann Männern, die in der HTS-Militärabteilung dienen und aufhören wollen, ein höheres Gehalt angeboten werden, wenn sie erfahrene Kämpfer sind. Wenn sie jedoch kündigen, werden sie höchstwahrscheinlich als Verräter wahrgenommen und vor ein HTS-Militärgericht gestellt. (DIS 12.2022)

Rekrutierungspraxis bei SNA:

SNA rekrutiert auf freiwilliger Basis. Die Rekrutierung von Männern für die SNA erfolgt oft auf Märkten, in Moscheen und in kleineren Gruppen, Versammlungen oder durch Familienmitglieder. Laut dem syrischen Forscher und Aktivisten Suhail Al-Ghazi rekrutieren einige spezifische SNA-Gruppen aus Ostsyrien, die aber jetzt in von der SNA kontrollierten Gebieten aktiv sind, nur Personen mit Stammeshintergrund aus Ostsyrien. SNA versucht nicht aktiv, Angehörige der kurdischen und jesidischen Minderheiten zu rekrutieren, da SNA diesen religiösen und ethnischen Gruppen kein Vertrauen entgegenbringt. Al-Ghazi erwähnte auch, dass eine Person, deren Familie die SNA nicht unterstützt, nur dann der SNA beitreten darf, wenn mindestens zwei aktuelle SNA-Kämpfer die Person empfehlen. (DIS 12.2022)

Wirtschaftliche Anreize sind ein wichtiger Faktor für den Beitritt zur SNA, da SNA-Kämpfer in der SNA mehr Geld verdienen können als mit jedem anderen Job in den von der SNA kontrollierten Gebieten. Weitere Anreize für den Beitritt sind der Widerstand der SNA gegen die GoS und ihre religiöse, konfessionelle und ethnische Feindseligkeit gegenüber Schiiten, Alawiten und Kurden. (DIS 12.2022)

Im Allgemeinen rekrutieren SNA-Gruppen keine Männer zwangsweise, um sich ihren Reihen anzuschließen. Einige Quellen gehen davon aus, dass die SNA Männer nicht zwangsweise rekrutieren muss, da es in SNA-kontrollierten Gebieten aufgrund der wirtschaftlichen Anreize viele Männer gibt, die bereit sind, sich ihren Reihen anzuschließen. Darüber hinaus möchten viele junge Männer der SNA beitreten, da die Organisation seit März 2020 in relativ wenige Zusammenstöße verwickelt war. SNA-Rekruten, die der SNA beigetreten sind, können jedoch nicht entscheiden, ob sie an den bewaffneten Operationen der Gruppe teilnehmen möchten, wenn diese stattfinden. (DIS 12.2022)

Obwohl sich die überwiegende Mehrheit der derzeitigen SNA-Kämpfer oder Männer, die in von der SNA kontrollierten Gebieten leben, freiwillig der SNA angeschlossen haben, kam es in einigen Fällen zu Zwangsrekrutierungen. Laut Suhail Al-Ghazi kam es zu Zwangsrekrutierungen von Männern mit vorheriger Kampferfahrung. In solchen Fällen sollte die Zwangsrekrutierung als eine Form der Massenkontrollmaßnahme seitens der SNA gegen ehemalige Kombattanten angesehen werden. Al-Ghazi berichtete außerdem über sechs konkrete Fälle mutmaßlicher Kämpfer des Islamischen Staates (IS) oder der YPG/SDF in Gebieten von SNA und türkischen Streitkräften gefangen genommen. Die SNA zwang und übte Druck auf diese Kämpfer aus, sich der SNA anzuschließen, um ihre Loyalität zu beweisen. Vier dieser Fälle ereigneten sich im Jahr 2016. Im Jahr 2018 gab es Beispiele dafür, dass die SNA kurdische Männer in der Region Afrin zwang, sich der SNA anzuschließen, weil die SNA sie für Stellvertreterkämpfer der YPG/SDF hielt. Seit Oktober 2022 werden kurdische Männer von der SNA nicht mehr zwangsrekrutiert. (DIS 12.2022)

Es ist möglich, dass Männer, die körperlich in der Lage sind, an bewaffneten Konflikten teilzunehmen, einer Rekrutierung durch die SNA entgehen und als Zivilisten in von der SNA kontrollierten Gebieten leben, da es viele Männer gibt, die bereit sind, sich der Organisation anzuschließen. SNHR erklärte, dass es Männern sogar erlaubt sei, die SNA zu verlassen und ohne Probleme als Zivilisten in von SNA kontrollierten Gebieten zu leben. (DIS 12.2022)

II.1.7.7. Wehrpflichtgesetz der Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien (AANES):

Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbstverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).

II.1.7.8. Folter und unmenschliche Behandlung:

Der Einsatz von Folter, des Verschwindenlassens und schlechter Bedingungen in den Gefängnissen ist keine Neuheit seit Ausbruch des Konflikts, sondern war bereits seit der Ära von Hafez al-Assad Routinepraxis verschiedener Geheimdienst- und Sicherheitsapparate in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Medien und Menschenrechtsgruppen gehen von der systematischen Anwendung von Folter in insgesamt 27 Einrichtungen aus, die sich alle in der Nähe der bevölkerungsreichen Städte im westlichen Syrien befinden: Zehn nahe Damaskus, jeweils vier nahe Homs, Latakia und Idlib, drei nahe Dara‘a und zwei nahe Aleppo. Es muss davon ausgegangen werden, dass Folter auch in weiteren Einrichtungen in bevölkerungsärmeren Landesteilen verübt wird (AA 2.2.2024).

Laut Einschätzung des Auswärtigen Amtes unterliegen Personen, die unter dem Verdacht stehen, sich oppositionell zu engagieren oder als regimekritisch wahrgenommen werden, einem besonders hohen Folterrisiko (AA 2.2.2024). Menschenrechtsaktivisten, die Commission of Inquiry für Syrien der UN (COI) und lokale NGOs berichten von Tausenden glaubwürdigen Fällen, in denen die Behörden des Regimes Folter, Missbrauch und Misshandlungen zur Bestrafung wahrgenommener Oppositioneller einsetzen, auch bei Verhören - eine systematische Praxis des Regimes, die während des gesamten Konflikts und bereits vor 2011 dokumentiert wurde (USDOS 12.4.2022). Die willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Folter und Verschwindenlassen durch syrische Sicherheitskräfte und regierungsfreundliche Milizen betreffen auch Kinder, Menschen mit Beeinträchtigungen, RückkehrerInnen und Personen aus wiedereroberten Gebieten, die "Versöhnungsabkommen" unterzeichnet haben (HRW 12.1.2023)

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen, der Folter von Inhaftierten (darunter laut SNHR drei Todesfälle durch Folter im Jahr 2022), Verschwindenlassen und willkürlicher Verhaftungen beschuldigt. Opfer sind vor allem Personen, die der Regimetreue verdächtigt werden, Kollaborateure und Mitglieder von regimetreuen Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Die Berichte dazu betreffen u. a. HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham), SNA (Syrian National Army) und SDF (Syrian Democratic Forces) (USDOS 20.3.2023).

II.1.7.9. Bewegungsfreiheit:

Die Verfassung sieht Bewegungsfreiheit vor, 'außer eine gerichtliche Entscheidung oder die Umsetzung von Gesetzen' schränken diese ein. Das Regime, HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) und andere bewaffnete Gruppen sehen Restriktionen bei der Bewegungsfreiheit in ihren jeweiligen Gebieten vor und setzen dazu zur Überwachung Checkpoints ein (USDOS 20.3.2023).

Checkpoints werden sowohl von Regimesicherheitskräften sowie lokalen und ausländischen Milizen unterhalten (USDOS 20.3.2023). In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen Syriens gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der syrischen Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig ungeregelte Kontrollen durchführen. Dabei kann es auch zu Forderungen nach Geldzahlungen oder willkürlichen Festnahmen kommen. Insbesondere Frauen sind in diesen Kontrollen einem erhöhten Risiko von Übergriffen ausgesetzt (AA 8.12.2023). Auch können Passierende gewaltsam für den Militärdienst eingezogen werden (NFMA 5.2022).

Überlandstraßen und Autobahnen sind zeitweise gesperrt. Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich. Es gibt in Syrien eine Reihe von Militärsperrgebieten, die allerdings nicht immer eindeutig gekennzeichnet sind. Darunter fallen auch die zahlreichen Checkpoints der syrischen Armee und Sicherheitsdienste im Land. Für solche Bezirke gilt ein absolutes Verbot, sie zu betreten. (AA 8.12.2023).

Die Regimesicherheitskräfte erpressen Leute an den Checkpoints (USDOS 20.3.2023) für eine sichere Passage durch ihre Kontrollpunkte. (HRW 20.10.2021). Die Kontrollpunkte grenzen die Stadtteile voneinander ab. Sie befinden sich auch an den Zugängen zu Städten und größeren Autobahnen wie etwa Richtung Libanon, Flughafen Damaskus, und an der M5-Autobahn, welche von der jordanischen Grenze durch Dara'a, Damaskus, Homs, Hama und Aleppo bis zur Grenze mit der Türkei reicht. Zurückeroberte Gebiete weisen eine besonders hohe Dichte an Checkpoints auf (HRW 20.10.2021)

Passierende müssen an den vielen Checkpoints des Regimes ihren Personalausweis und bei Herkunft aus einem wiedereroberten Gebiet auch ihre sogenannte 'Versöhnungskarte' vorweisen. Die Telefone müssen zur Überprüfung der Telefonate übergeben werden. Es mag zwar eine zentrale Datenbank für gesuchte Personen geben, aber die Nachrichtendienste führen auch ihre eigenen Suchlisten. Seit 2011 gibt es Computer an den Checkpoints und bei Aufscheinen (in der Liste) wird die betreffende Person verhaftet (HRW 20.10.2021). Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, u.a. wenn sie z.B. aus früher oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder auch wenn sie Verbindungen zu Personen in Oppositionsgebieten wie Nordsyrien oder zu bekannten oppositionellen Familien haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensähnlichkeit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Kontrollpunkten führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, wer ihn kontrolliert. Auch die Laune und die Präferenzen des Kommandanten können eine Rolle spielen (DIS 9.2019).

Betreten und Verlassen des Regimegebiets

Zum Betreten und Verlassen des Regimegebiets ist eine Sicherheitsfreigabe durch das Regime nötig, was ein Hindernis für Flüchtlinge und Binnenvertriebene darstellt, welche in ihre Heimatorte zurückkehren möchten. Personen, die vom Regime als kritisch wahrgenommen werden, erhalten diese Genehmigung oft nicht - ebenso ihre Verwandten, frühere Oppositionelle sowie ehemalige BewohnerInnen von als Hochburgen der Opposition wahrgenommen Gebieten (USDOS 20.3.2023).

Laut niederländischem Außenministerium ist es unmöglich, einen Überblick zu vermitteln, welche Übergänge zwischen den Oppositionsgebieten und dem Regimegebiet im Berichtszeitraum offen waren - und zu welchem Zeitpunkt und für welche Personen und Reisezwecke. Es wird aber auf die potenzielle Gefahr von Reisen für ZivilistInnen innerhalb Syriens allgemein und besonders bei Einreisen aus den Oppositionsgebieten in das Regimegebiet wegen der Notwendigkeit des Passierens von Checkpoints der syrischen Geheimdienste, des Militärs und anderer Pro-Regime-Milizen hingewiesen (NMFA 6.2021).

Es ist laut niederländischem Außenministerium nicht möglich, frei vom Regimegebiet in die Gebiete der sog. Errettungsregierung (Anm.: mit HTS als dominante Kraft) oder in das Gebiet der Syrischen Interimsregierung (Anm.: mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu reisen und in umgekehrter Richtung. Das gilt für alle BürgerInnen ungeachtet ihres Geschlechts, Alters, ethnischer Zugehörigkeit und Religion, und hat nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Es ist auch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung zu gelangen. Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung sind möglich. Manche Reisen zwischen dem Regimegebiet und dem Selbstverwaltungsgebiet (der SDF) sind möglich, aber die genauen Konditionen sind unbekannt. BewohnerInnen von al-Hassakah und Qamishli sowie Personen, die dort geboren sind, gehören zu den Personengruppen, welche vom Regimegebiet aus in diese beiden Städte reisen können, weil die Behörden dort eine gewisse Präsenz haben. Auch Leute, die im Regimegebiet wohnen, aber aus Teilen von Raqqa und Deir az-Zour stammen, die nun unter Kontrolle der Selbstverwaltung stehen, können Berichten zufolge hin und her reisen, um ihre Besitztümer zu überprüfen oder Land zu kultivieren (NMFA 5.2022).

Die Situation bezüglich des Warenverkehrs stellt sich anders dar als bei Personen - landwirtschaftliche Produkte können vom Regimegebiet aus in andere Landesteile gebracht werden (NMFA 5.2022).

II.1.7.10. Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen des Regimes:

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem von der Opposition dominierten geografischen Gebiet verweigern (USDOS 20.3.2023). Das syrische Regime hat zudem Erfordernisse für Ausreisegenehmigungen eingeführt. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition oder Personen, die als solche wahrgenommen werden oder mit diesen oder mit Oppositionsgebieten in Verbindung stehen. Deshalb zögern diese sowie ihre Familien, eine Ausreise zu versuchen, aus Angst vor Angriffen/Übergriffen und Festnahmen an den Flughäfen und Grenzübergängen. Auch JournalistInnen und MenschenrechtsaktivistInnen sowie Personen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, sowie deren Familien und Personen mit Verbindungen zu ihnen werden oft mit einem Ausreiseverbot belegt. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Berichten zufolge verhängt das Regime Reiseverbote ohne Erklärung oder explizite Nennung der Dauer. Erhalten AktivistInnen oder JournalistInnen eine Ausreiseerlaubnis, so werden sie bei ihrer Rückkehr verhört (USDOS 20.3.2023). Männern im wehrpflichtigen Alter ist die Ausreise verboten. Der Reisepass wird ihnen vorenthalten, und Ausnahmen werden nur mit Genehmigung des Rekrutierungsbüros, welches bescheinigt, dass der Wehrdienst geleistet wurde, gewährt (AA 2.2.2024).

In Syrien betragen die Kosten für einen Reisepass aktuell 7 USD im regulären Verfahren und 56 USD im sogenannten „Expressverfahren“, welches dennoch mehrere Wochen dauern kann. Im Ausland liegen die Kosten bei 300 USD für das Regel- und 800 USD für das Expressverfahren. Die Gültigkeit beträgt in der Regel nur zwei Jahre. (AA 2.2.2024).

Flüchtlingsbewegungen finden in die angrenzenden Nachbarländer statt. Die Grenzen sind zum Teil für den Personenverkehr geschlossen, bzw. können ohne Vorankündigung kurzfristig geschlossen werden, und eine Ausreise aus Syrien unmöglich machen (AA 16.5.2023). Das Regime schließt regelmäßig den Flughafen von Damaskus sowie Grenzübergänge und begründet dies mit Gewalt, bzw. drohender Gewalt (USDOS 20.3.2023)

Die auf Grund von COVID-19 verhängten Sperren der Grenzübergänge vom regierungskontrollierten Teil in den Libanon, nach Jordanien (Nasib) und in den Irak (Al-Boukamal) für den Personenverkehr wurden zwischenzeitig aufgehoben. Neue Einschränkungen seitens des Libanon sind mehr der Vermeidung illegaler Migration aus Syrien in den Libanon als COVID-Maßnahmen geschuldet. Der libanesische Druck zur freiwilligen Rückkehr einer wachsenden Zahl syrischer Flüchtlinge steigt. Die Grenzen zwischen der Türkei und den syrischen kurdisch besetzten Gebieten sind geschlossen; zum Irak hin sind diese durchlässiger (ÖB Damaskus 12.2022).

II.1.7.11. Rückkehr

Die Regierung erlaubt SyrerInnen, die im Ausland leben, ihre abgelaufenen Reisepässe an den Konsulaten zu erneuern. Viele SyrerInnen, die aus Syrien geflohen sind, zögern jedoch, die Konsulate zu betreten, aus Angst, dass dies zu Repressalien gegen Familienangehörige in Syrien führen könnte (USDOS 20.3.2023).

Die Behandlung von Einreisenden nach Syrien ist stark vom Einzelfall abhängig, über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste über allfällige exilpolitische Tätigkeiten informiert sind, ebenso ist von vorhandenen 'black lists' betreffend Regimegegner immer wieder die Rede. Je nach Sachlage kann es aber (z.B. aufgrund von Desertion oder Wehrdienstverweigerung oder früherer politischer Tätigkeit) durchaus zu Schwierigkeiten mit den syrischen Behörden kommen. (ÖB Damaskus 12.2022).

Auch länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z. B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Z.B. müssen deutsche männliche Staatsangehörige, die nach syrischer Rechtsauffassung auch die syrische Staatsangehörigkeit besitzen, sowie syrische Staatsangehörige mit Aufenthaltstitel in Deutschland auch bei nur besuchsweiser Einreise damit rechnen, zum Militärdienst eingezogen oder zur Zahlung eines Geldbetrages zur Freistellung vom Militärdienst gezwungen zu werden. Eine vorab eingeholte Reisegenehmigung der syrischen Botschaft stellt keinen verlässlichen Schutz vor Zwangsmaßnahmen seitens des syrischen Regimes dar. Auch aus Landesteilen, die aktuell nicht unter der Kontrolle des syrischen Regimes stehen, sind Fälle zwangsweiser Rekrutierung bekannt (AA 16.5.2023). Die Dokumentation von Einzelfällen zeigt immer wieder, dass es insbesondere auch bei aus dem Ausland Zurückkehrenden trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung kommen kann. Häufiger werden die Festgenommenen an Haftanstalten der Geheimdienste oder des Militärs überstellt, oft in den Raum Damaskus (AA 2.2.2024).

Durch das Fehlen klarer Informationen über das Prozedere für eine Rückkehr, durch das Zurückhalten der Gründe für die Ablehnung einer Rückkehr, bzw. durch das Fehlen einer Einspruchsmöglichkeit enthält die syrische Regierung ihren BürgerInnen im Ausland das Recht auf Einreise in ihr eigenes Land vor (UNCOI 7.2.2023).

Die offizielle politische Position des Regimes hinsichtlich der Rückkehr von Geflüchteten wurde im Berichtszeitraum angepasst. In einem anlässlich des UNHCR-Exekutivkomitees am 12.10.2023 veröffentlichten Statement versicherte das syrische Regime, dass es sichere Rückkehrbedingungen schaffe. Die Versprechungen, z. B. zum Wehrdienst, bleiben jedoch vage. Nach Einschätzung vieler Beobachter könne kaum mit großangelegter Flüchtlingsrückkehr gerechnet werden (AA 2.2.2024).

Wahrnehmung von RückkehrerInnnen ja nach Profil

Die Rückkehr von ehemaligen Flüchtlingen ist trotzdem nicht erwünscht, auch wenn offiziell mittlerweile das Gegenteil gesagt wird (The Guardian 23.3.2023; vgl. Balanche 13.12.2021). Rückkehrende werden vom Regime häufig als „VerräterInnen“ deklariert (AA 2.2.2024), bzw. insgeheim als illoyal gegenüber ihrem Land und als Unterstützer der Opposition und/oder bewaffneter Gruppen angesehen (AI 9.2021). Eine besondere Gefahr, Ziel staatlicher und von Willkür geprägter Repression zu werden, besteht für alle, die sich in der Vergangenheit (regime-)kritisch geäußert oder betätigt haben oder sich auf andere Weise das Missfallen des Regimes zugezogen haben. Dies kann nach Einschätzungen von Menschenrechtsorganisationen bereits dann der Fall sein, wenn Betroffene in familiärer Verbindung zu vermeintlichen Oppositionellen oder Regimefeinden stehen oder ihre regionale Herkunft (z. B. ehemalige Oppositionsgebiete) dies nahelegt. Berichte deuten jedoch darauf hin, dass selbst regimenahe Personen Opfer von Repressionen werden können (AA 2.2.2024).

Jeder, der geflohen ist und einen Flüchtlingsstatus hat, ist in den Augen des Regimes bereits verdächtig (Üngör 15.12.2021). Aus Sicht des syrischen Staates ist es daher besser, wenn diese SyrerInnen im Ausland bleiben, damit ihr Land und ihre Häuser umverteilt werden können, um Assads soziale Basis neu aufzubauen. (The Guardian 23.2.2023). Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021).

Entscheidend für die Sicherheit von Rückkehrenden bleibt vielmehr die Frage, wie der oder die Rückkehrende von den im jeweiligen Gebiet präsenten Akteuren wahrgenommen wird. Rückkehr auf individueller Basis findet, z. B. aus der Türkei, insbesondere in Gebiete statt, die nicht unter Kontrolle des Regimes stehen. Darüber hinaus können belastbare Aussagen oder Prognosen zu Rückkehrfragen nach geografischen Kriterien weiterhin nicht getroffen werden. Insbesondere für die Gebiete unter Kontrolle des Regimes, einschließlich vermeintlich friedlicherer Landesteile im äußersten Westen Syriens sowie in der Hauptstadt Damaskus, gilt unverändert, dass eine belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage aufgrund des dortigen Herrschaftssystems, seiner teilweise rivalisierenden Geheimdienste sowie regimenaher Milizen ohne umfassende zentrale Steuerung nicht möglich ist (AA 2.2.2024).

Berichte internationaler Organisationen ergeben ein Bild regional unterschiedlicher Bedingungen und Politiken zur Flüchtlingsrückkehr (ÖB Damaskus 1.10.2021), und die Aussagen zur Haltung der Regimekräfte gegenüber Rückkehrern heben unterschiedliche Aspekte zu deren Wahrnehmung und Behandlung hervor:

Der Syrien-Experte Uğur Üngör geht davon aus, dass jeder, der das Land verlassen hat, und nach Europa geflohen ist, vom Regime als verdächtig angesehen wird, weil es im Verständnis des Regimes keinen Grund gab, zu fliehen. Die Flucht nach Europa und das Beantragen von Asyl können negativ gesehen werden - im Sinne einer Zusammenarbeit mit den europäischen Regierungen oder sogar, dass man von diesen bezahlt wurde. Dies gilt jedoch nicht für Personen, die eine offiziell bestätigte regierungsfreundliche Einstellung haben. Weiters werden Personen, die in die Türkei geflohen sind, als Vertreter von Präsident Erdoğans Regierung gesehen. Wer im Ausland negative Äußerungen über das Regime gemacht hat (im Sinne von öffentlichem politischen Aktivismus, aber auch privat in sozialen Medien), kann bei der Rückkehr speziell vom politischen Geheimdienst überprüft werden. Wenn man Glück hat, sind die Anschuldigungen laut Üngör nicht sehr ernst, oder man kann ein Bestechungsgeld zahlen, um freizukommen, andernfalls kann man direkt vor Ort verhaftet werden. Hierbei spielen nicht nur eigene Aktivitäten eine Rolle, sondern auch Aktivitäten von Verwandten und die geografische Herkunft der rückkehrenden Person. Es gibt auch Berichte, dass Familienmitglieder von Journalisten, die in Europa für oppositionelle Medien schreiben, inhaftiert und tagelang festgehalten und wahrscheinlich gefoltert wurden (Üngör 15.12.2021)

Laut dem Syrien-Experten Kheder Khaddour kommt es darauf an, wo im Ausland man sich aufgehalten hat: War man in den Golfstaaten, wird vielleicht davon ausgegangen, dass man geschäftlichen Tätigkeiten nachgegangen ist und nichts mit Politik zu tun hat. Wer in die Türkei gegangen ist, wird als Kollaborateur der Islamisten und Präsident Erdoğans gesehen. Wer in Europa war, wird beschuldigt, von Europa bezahlt worden zu sein, um gegen das Regime zu sein. Der Libanon ist vielleicht noch am neutralsten, quasi wie ein 'erweitertes Syrien', und durch die geografische Nähe stehen Flüchtlingen im Libanon-Korruptionsnetzwerke (zur Absicherung der Rückkehr) zur Verfügung, auf die man in Europa keinen Zugriff hat (Khaddour 24.12.2021).

Bashar al-Assad hat erklärt, dass er jene, die gegen sein Regime sind, als 'Krankheitserreger' sieht. Die Rückkehr ist aber nicht nur für Regimegegner, sondern auch für alle, über deren politischer Position sich das Regime nicht sicher ist, problematisch. Die Behandlung eines Rückkehrers durch die Behörden hängt laut dem syrischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Mohamad Rasheed allein davon ab, ob die Person für oder gegen das Regime ist. Wer regierungstreu ist, kann auf legalem und gewöhnlichem Weg ein- und ausreisen. Die Unvorhersehbarkeit und Willkür sind große Hindernisse für die Rückkehr nach Syrien. Man kann jederzeit verhaftet und verhört werden und niemand weiß, ob man leben, getötet oder verschwinden gelassen wird. Der Staatsapparat ist durchzogen von Mafias, und im ganzen Land gibt es Milizen, die die Bevölkerung tyrannisieren (Rasheed 28.12.2021).

Laut dem Nahost-Experten Fabrice Balanche kann man, wenn man Teil der Opposition war oder sogar gekämpft hat, nicht nach Syrien zurückkehren, selbst wenn es laut offiziellem Narrativ des Präsidenten eine Amnestie gibt. Dasselbe gilt auch für (andere) politische Flüchtlinge. Zudem besteht immer die Gefahr, vom Geheimdienst verhaftet zu werden, zum Teil, um Geld zu erpressen. Man wird für ein paar Wochen inhaftiert, weil man vom Ausland zurückkommt und davon ausgegangen wird, dass man Geld hat. Die Familie muss dann ein Lösegeld von ein paar Tausend Dollar bezahlen, oder die Person bleibt weitere zwei Wochen im Gefängnis (Balanche 13.12.2021).

Auch die lokale Bevölkerung hegt oft Argwohn gegen Personen, die das Land verlassen haben. Es besteht eine große Kluft zwischen Syrern, die geflohen sind, und jenen, die dort verblieben sind. Erstere werden mit Missbilligung als Leute gesehen, die 'davongelaufen' sind, während Letztere oft Familienmitglieder im Krieg verloren und unter den Sanktionen gelitten haben (Khaddour 24.12.2021; vgl. Üngör 15.12.2021). Es kann daher zu Denunziationen oder Erpressungen von Rückkehrern kommen, selbst wenn diese eigentlich 'sauber' [Anm.: aus Regimeperspektive] sind, mit dem Ziel, daraus materiellen Gewinn zu schlagen (Üngör 15.12.2021)

Ein weiteres soziales Problem sind persönliche Racheakte: Wenn bei Kämpfen zwischen zwei Gruppen jemand getötet wurde, kann es vorkommen, dass jemand, der mit dem Mörder verwandt ist, von der Familie des Ermordeten im Sinne der Vergeltung getötet wird. Dies hindert viele an der Rückkehr in ihren Heimatort (Balanche 13.12.2021).

II.1.7.13. Administrative Verfahren der syrischen Behörden für RückkehrerInnen

Die syrische Regierung bietet administrative Verfahren an, die Rückkehrwillige aus dem Ausland oder aus von der Opposition kontrollierten Gebieten vor der Rückkehr in durch die Regierung kontrollierte Gebiete durchlaufen müssen, um Probleme mit der Regierung zu vermeiden. Im Rahmen dieser Verfahren führen die syrischen Behörden auf die eine oder andere Weise eine Überprüfung der RückkehrerInnen durch. Während des als 'Sicherheitsüberprüfung' (arabisch muwafaka amniya) bezeichneten Verfahrens werden die Namen der AntragstellerInnen mit Fahndungslisten verglichen. Beim sogenannten 'Statusregelungsverfahren' (arabisch: taswiyat wade) beantragen die AntragstellerInnen, wie es in einigen Quellen heißt, die 'Versöhnung', sodass ihre Namen von den Fahndungslisten der syrischen Behörden gestrichen wird (DIS 5.2022). Es mangelt insbesondere an einheitlichen bzw. verlässlichen Verfahren zur Klärung des eigenen Status mit den Sicherheitsbehörden (Überprüfung, ob gegen die/den Betroffene/n etwas vorliegt) und an verfügbaren Rechtswegen (AA 2.2.2024).

Gemäß Berichten von Menschenrechtsorganisationen kommt es zu systematischen, politisch motivierten Sicherheitsüberprüfungen von Rückkehrwilligen, zur Ablehnung zahlreicher Rückkehrwilliger und zu gezielten Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrende sowie Verletzungen von im Rahmen lokaler Rückkehrinitiativen getroffenen Vereinbarungen (Einzug zum Militärdienst, Verhaftung, etc.) (AA 29.11.2021). Auch die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) berichtet von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Berichtszeitraum, darunter den Tod eines Rückkehrers in Haft, dem man lebensrettende medizinische Versorgung verweigert hatte. Er war Anfang 2022 bei seiner Rückkehr nach Syrien trotz eines erfolgten Beilegungs-, bzw. 'Versöhnungsprozesses', verhaftet worden (UNCOI 7.2.2023).

So gilt es zum Beispiel für die Rückkehr nach Homs, in die von der Regierung gehaltenen Teile von Idlib sowie ins Umland von Damaskus (Rif Dimashq) mehrere und sich überlappende Genehmigungsprozesse bei einer Reihe von Behörden zu durchlaufen. Oft beinhalten diese Prozedere eine geheimdienstliche Sicherheitsgenehmigung oder ein Beilegungsabkommen (Anm.: auch 'Versöhnungsabkommen') oder beides, je nachdem woher die Rückkehrenden kommen, wo sie hingehen, und was ihre Profile sind. Einige mussten etwa schon vor ihrer Rückkehr ihren Status bei Zentren zur 'Statusklärung' in Regierungsgebieten 'klären', indem Verwandte oder Freunde vor Ort dies für sie durchführten. Andere gingen direkt zu diesen Zentren, nachdem sie durch Schmuggelrouten in das Gebiet zurückkehrten oder nachdem sie an einem Grenzübergang um eine 'Statusklärung' angesucht hatten. Andere wiederum mussten eine Sicherheitsgenehmigung für einen Wohnsitz, bzw. Aufenthalt ('residence') bereits vor ihrer Rückkehr einholen. Andere versuchten an kollektiven Rückkehraktionen aus dem Libanon teilzunehmen (UNCOI 7.2.2023)

Auch nach vermeintlicher Klärung des Status mit einer oder mehreren der Sicherheitsbehörden innerhalb oder außerhalb Syriens kann es nach Rückkehr jederzeit zu unvorhergesehenen Vorladungen und/oder Verhaftungen durch diese oder Dritte kommen. Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen bestätigen, dass selbst eine von der jeweiligen Sicherheitsbehörde vorgenommene positive Sicherheitsüberprüfung jederzeit von dieser revidiert werden kann und damit keine Garantie für eine sichere Rückkehr leistet (AA 2.2.2024).

II.1.8. Zu Einreisemöglichkeiten in die Herkunftsregion der bP im Gouvernement Aleppo werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber der bP offengelegten Quellen getroffen:

II.1.8.1. Die Akteure Syriens und ihre Einflussgebiete

Über zehn Jahre nach Konfliktbeginn hat das syrische Regime die Souveränität über seine Grenzen nicht vollständig wiedererlangt. Neben jenen Gebieten im Norden des Landes an der Grenze zur Türkei und dem Irak, die sich weitgehend oder ganz der Kontrolle des Regimes entziehen, sind in den Gebieten unter Regierungskontrolle gemeinsam mit den syrischen staatlichen Sicherheitskräften auch nicht-staatliche und ausländische Akteure entlang der internationalen Grenzen aktiv. In diesem Zusammenhang sind insbesondere mit Iran verbundene Milizen zu nennen. Rojava (AANES) erhält eine gewisse De facto-Autonomie in Nord- und Ost-Syrien aufrecht, während das syrische Regime in einigen Gebieten und besonders entlang der Highways vertreten ist. Verhandlungen haben dann und wann zwischen den beiden Seiten stattgefunden, aber eine politische Einigung bleibt außer Reichweite (van Wilgenburg 09.10.2023).

In Nordwest- und Nordostsyrien hat das syrische Regime keine Möglichkeit zum Aufgreifen von Wehrdienstverweigerern, mit Ausnahme bestimmter Gebiete in Qamishli und al-Hassakah in Nordostsyrien (Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien-Grenzübergänge, S. 5). Personen, die von der Türkei aus in Gebiete außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes in Nordwestsyrien reisen würden, können nicht von der syrischen Regierung gefunden und zum Dienst in der Armee einberufen werden, weil die syrische Regierung nicht von ihrer Einreise erfahren würde (ACCORD 14.06.2023). Personen, die von der Türkei aus etwa nach Idlib, Afrin oder Dscharabulus reisen würden, könnten Balanche zufolge nicht von der syrischen Regierung gefunden und zum Dienst in der Armee einberufen werden (ACCORD 14.06.2023). Rückkehrer, die nicht in die vom Assad Regime kontrollierten Gebiete zurückkehren, haben keine Angst vor Verfolgung oder Verhaftung durch die Sicherheitskräfte der Regierung. Die größte Bedrohung geht nach Einschätzung von Befragten nach wie vor von Machthaber Bashar al-Assad aus. Wenn sie die von der Opposition gehaltenen Gebiete nicht verlassen, besteht die größte Gefahr für sie darin, vom Assads Waffen getroffen zu werden. (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Einreise türkisch-syrische Grenze, Weiterreise in AANES-Gebiete, besonders Tal Rifaat, S. 3-4)

Reservisten können in der AANES-kontrollierten Region nicht von der syrischen Regierung gefasst werden, außer sie betreten von der Regierung kontrollierte Gebiete in Qamischli [kurdisch: Qamishlo] oder al-Hasakah [kurdisch: Hesekê], da beide Städte unter geteilter Kontrolle stehen (ACCORD 14.06.2023; vgl. van Wilgenburg 09.10.2023). Laut niederländischem Außenministerium ist es jedoch nicht möglich, vom kurdischen Selbstverwaltungsgebiet ins Gebiet der Syrischen Interimsregierung (Anm.: mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) zu gelangen (NMFA 5.2022).

Es gibt Kontrollpunkte der syrischen Armee in den Grenzgebieten zu den von der Türkei unterstützten Gruppierungen in der Nähe von Ain Issa [kurdisch: Bozanê]/Tal Tamr [kurdisch: Til Temir] und an der Grenze zur Türkei, aber dort werden keine Personen kontrolliert. Die Kontrollpunkte wurden nach einer von Russland vermittelten Vereinbarung zwischen den Syrian Democatic Forces (SDF) [Anm.: Streitkräfte der AANES] und Damaskus im Oktober 2019 errichtet. Syrische Regierungstruppen sind auch an der Distriktgrenze von Manbij präsent. Diese Kontrollpunkte der syrischen Armee haben nicht die Befugnis, Menschen in den Städten zu kontrollieren, sie dienen der Abschreckung der Türkei (van Wilgenburg 02.09.2023).

II.1.8.2. Die Grenzübergänge Syriens

Die folgende Auflistung stellt offizielle und bedeutsamere Grenzübergänge in Syrien dar (nach BFA-Staatendokumentation, Themenbericht Syrien-Grenzübergänge, vom 25.10.2023):

Nachstehend kann eine Übersichtskarte zu den Kontrollzonen unterschiedlicher Akteure entnommen werden (nach BFA-Staatendokumentation, Themenbericht Syrien-Grenzübergänge, vom 25.10.2023):

Entlang des weitgehend außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes stehenden syrischen Staatsgebiets im Nordwesten und Nordosten des Landes agieren unterschiedliche Akteure an den Grenzübergängen (TWI/Balanche 10.02.2021). Im Nordwesten sind dies insbesondere Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) sowie mit der Türkei verbundene Kräfte (TWI/Balanche 10.02.2021; vgl. UNOCHA 25.04.2023). Die Ein- und Ausreisebestimmungen zwischen Syrien und der Türkei werden in Nordwestsyrien vor allem von der türkischen Seite bestimmt (FNWS 13.09.2023), während die Grenzübergänge zwischen der Türkei und der AANES auf Betreiben der Türkei durchwegs geschlossen sind. Eine Grenzmauer riegelt das Gebiet auf türkischer Seite ab (Jasim/STDOK 10.10.2023; vgl. TWI/Balanche 10.02.2021).

II.1.8.3. Grenzlage zwischen Türkei und Syrien

Die insgesamt 911 km lange Grenze zwischen der Türkei und Syrien (Jasim/STDOK 10.10.2023) ist seit den Republiksgründungen der beiden Länder in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Streitpunkt und hat wesentlichen Einfluss auf die zwischenstaatlichen Beziehungen Syriens und der Türkei (CMEC 30.30.2022).

Der 2011 ausgebrochene Syrienkonflikt machte die Grenze zu einem viel genutzten Übertrittsgebiet für die Einreise von Flüchtlingen aus Syrien in die Türkei sowie für das Einsickern von Geld, Waffen, ausländischen Kämpfern und sogar der türkischen Armee nach Syrien (CMEC 30.03.2022). Im Nordwesten wurden die Grenzübergänge zur Türkei zum wichtigsten Tor zur Außenwelt, was die Mobilität von Menschen, humanitärer Hilfe und Handelsgütern angeht (CMEC/Tokmajyan/Khaddour 27.03.2023).

Während die türkischen Grenzkontrollen in Nordwestsyrien zu Beginn des Konflikts vergleichsweise lax waren (CMEC 30.3.2022), wurde der Grenzübertritt insbesondere seit 2015/2016 von der türkischen Seite stärker reguliert (CMEC/Tokmajyan 3.10.2023 vgl. CMEC 30.3.2022) und das Grenzgebiet ist inzwischen erheblich militarisiert. Zwischen 2015 und 2018, als sich der bewaffnete Konflikt in Syrien zunehmend entlang der türkischen Grenze konzentrierte, errichtete die türkische Regierung eine Grenzmauer, die in ihrer Länge weltweit nur von der Chinesischen Mauer und dem Grenzwall zwischen den USA und Mexiko übertroffen wird (CMEC 30.3.2022). Die verstärkte Befestigung der Grenze erfolgte unter anderem, um die Einreise von Kämpfer:innen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in die Türkei zu unterbinden, sowie nach einer Serie von jihadistischen Anschlägen in der Türkei im Jahr 2015 auch, um eine Infiltration durch den Islamischen Staat (IS) zu stoppen. Ebenso sollten Flüchtlinge an der Einreise gehindert werden, nachdem die Türkei rund 3,6 Mio. Syrer:innen aufgenommen hatte (TWI/Balanche 10.02.2021). Die Türkei betrachtet Immigration und die Einreise von Flüchtlingen als eine wichtige sicherheitspolitische Frage (FNWS 13.09.2023).

Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Übergriffe türkischer Sicherheitskräfte auf Personen, die versuchen, die Grenze illegal zu überqueren (HRW 27.04.2023). So wurde beispielsweise von willkürlichem Beschuss von Zivilist:innen berichtet (HRW 27.04.2023; vgl. SOHR 10.09.2023) sowie von Fällen von Folter und dem Einsatz überschießender Gewalt von Grenzbeamt:innen gegenüber aufgegriffenen Migrant:innen (HRW 27.04.2023; vgl. NH 25.07.2023). Hierbei kam es auch zu Todesopfern (SOHR 10.09.2023; vgl. HRW 27.04.2023, SNHR 07.07.2023).

Das bis 2018 kurdisch kontrollierte Afrin (Jasim/STDOK 10.10.2023) ist im Grunde eine Sicherheitszone. Die in den übrigen Kantonen nominell regierende Syrische Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) entspricht eher einer Fassade, und die tagtäglichen Verwaltungsaufgaben werden vor allem von lokalen Räten in den Städten und Dörfern übernommen, die in ihren Entscheidungen wiederum den Gouverneuren in den angrenzenden türkischen Provinzen folgen (FNWS 13.09.2023). Auf der Verwaltungsebene behandelt die Türkei die Gebiete, welche sie 2019 eingenommen hatte, zum Teil wie türkisches Staatsgebiet und stellt bestimmte öffentliche Dienstleistungen bereit (HRW 03.02.2021). Die offiziell dem „Verteidigungsministerium“ der SIG unterstehende Syrian National Army (SNA) ist ein Zusammenschluss verschiedener bewaffneter Gruppierungen oder Fraktionen, deren Vorsitzende jeweils ihren eigenen autonomen Bereich verwalten und somit erhebliche Macht ausüben können (GCSP 10.2020).

Hinsichtlich Misshandlungen von Grenzbeamt:innen oder anderen Sicherheitsakteuren gegenüber Zivilist:innen, welche versuchen, die Grenze zu passieren, ist auf der syrischen Seite der Grenze weitaus weniger bekannt, als auf der türkischen Seite. Es gibt Berichte über Misshandlungen und Übergriffe auf Syrer:innen, welche die Grenze passieren. Gemäß einem Interviewpartner existieren hierbei erfahrungsgemäß allerdings meist tiefer liegende Gründe, wie zum Beispiel Mordfälle an Verwandten oder Probleme aus der Anfangszeit des Konflikts. In Nordwestsyrien existieren viele derartige persönliche, familiäre oder finanzielle Probleme und Misshandlungen an der Grenze können hierbei nicht spezifisch dem Grenzübertritt zugeschrieben werden. Hinsichtlich wahlloser Übergriffe auf Zivilist:innen bei der Überquerung der Grenze bestehen die Probleme eher auf türkischer Seite, wo es zahlreiche Berichte von Misshandlungen, Folter, Verhaftungen und Tötungen gibt (FNWS 13.09.2023). Verhaftungen finden allerdings statt, wenn Rückkehrer:innen für Medien arbeiten oder politische Aktivist:innen sind. Die meisten Verhaftungen wurden dabei von der HTS durchgeführt, weil die Aktivist:innen Kritik an der Verwaltung und Politik in den Gebieten unter ihrer Kontrolle geäußert haben (FSLA 19.09.2023).

Die türkischen Behörden führen zudem in großer Zahl zwangsweise Rückführungen von Syrer:innen in Gebiete in Nordwestsyrien durch (FNWS 13.09.2023; vgl. HRW 24.10.2022), wobei ihre Anzahl 2022 signifikant stieg (NI 21.09.2022). Die Akteure auf syrischer Seite haben hierbei wenig Einfluss auf die Einreisen (FNWS 13.09.2023). Zwischen Jänner und November 2022 sollen fast 15.000 Syrer:innen von der Türkei über den Grenzübergang Bab al-Hawa nach Idlib abgeschoben worden sein (SO 02.11.2022). Nach dem Erdbeben in der Südosttürkei und im Norden Syriens im Februar 2023 hob die Türkei einerseits Reisebeschränkungen für in der Türkei ansässige Syrer:innen für Reisen nach Nordwestsyrien auf (Infomigrants 01.03.2023), andererseits sahen sich Schätzungen zufolge zwischen 10.000 und 20.000 Syrer:innen aufgrund der schwierigen Versorgungslage nach dem Erdbeben dazu gezwungen, von der Türkei nach Syrien zurückzureisen (DW 24.02.2023). Im Juli 2023 wurden an den Grenzübergängen Bab al-Hawa, Bab as-Salam und Tal Abyad insgesamt 3.970 zwangsweise und 5.273 freiwillige Rückführungen von Syrer:innen verzeichnet, wobei Vertreter:innen der Grenzübergänge Bab al-Hawa und Bab as-Salam berichteten, dass ein Großteil der „freiwillig“ Zurückgekehrten dazu gezwungen worden waren, Papiere zu unterzeichnen, welche die Freiwilligkeit der Rückkehr bescheinigen sollen (Enab 18.08.2023).

Während die Rückführungen sowohl in Gebiete unter Kontrolle der HTS, als auch der SNA stattfinden (SO 02.11.2022; vgl. BAMF 03.07.2023, NPA 10.09.2023), gibt es Informationen, dass die Rückgeführten dazu ermutigt werden, sich im „Peace Spring“-Gebiet anzusiedeln, das mitten in kurdischem Siedlungsgebiet liegt (Anm.: Streifen entlang der Grenze zur Türkei zwischen Tall Abyad und Ra’s al-’Ayn) (FNWS 13.09.2023) und das zuvor unter Kontrolle der SDF gestanden hatte. Die Militäroperation Peace Spring, wie auch die Eroberung des zuvor SDF-kontrollierten Afrin (Operation Olive Branch) führten zu einer der umfangreichsten Vertreibungswellen seit Beginn des Konflikts (SCM/FNS 11.2022). Nach Schätzungen der UN wurden im Rahmen der Olive Branch-Operation 2018 beispielsweise rund 150.000 Personen aus Afrin vertrieben (UNHCR 31.12.2018; vgl. CMEC/Tokmajyan 03.10.2023), einem historisch kurdischen Gebiet (CMEC/Tokmajyan 03.10.2023). Mehrere Quellen sprechen daher von „demographic engineering“ (CMEC/Tokmajyan 03.10.2023; vgl. SCM/FNS 11.2022) oder demografischem Austausch (JPOST 11.06.2022). Der türkische Präsident Erdoğan hatte 2019 im Zusammenhang mit der „Peace Spring“-Militäroperation den Plan verlautbaren lassen, in einer 30 km breiten „Sicherheitszone“ in dem Gebiet rund eine Million in der Türkei lebende Syrer:innen anzusiedeln und dies als „Lösung des Flüchtlingsproblems“ der Türkei angepriesen, wobei sich das Ausmaß an freiwilliger Rückkehr nach Syrien in Grenzen hält (NI 21.09.2022).

Einreisebestimmungen:

Hinsichtlich der Einreisebestimmungen auf syrischer Seite gibt das niederländische Außenministerium unter Berufung auf eine vertrauliche Quelle an, dass abseits des Besitzes eines gültigen Ausweises keine anderen Verfahren oder Bedingungen der Behörden der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) und der Syrischen Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG) bekannt seien (MBZ 8.2023). Während die Akteure auf der syrischen Seite der Grenzübergänge bestimmte Kontrollen durchführen (FNWS 13.09.2023) und beispielsweise die Identität der Einreisenden aus der Türkei überprüfen können (FSLA 19.09.2023), betont ein mit der Grenzregion von Nordwestsyrien befasster Experte jedoch, dass die syrische Seite bezüglich der Frage der Grenzübertritte sehr wenig Mitspracherecht hat. Die Akteure auf der syrischen Seite erhalten Anweisungen von den entsprechenden türkischen Vilayets (Provinzen) wie Kilis, Gaziantep und Hatay bezüglich der Frage, wer die Grenze überqueren darf und wer nicht (FNWS 13.09.2023). Einreisen von der Türkei nach Syrien sind grundsätzlich möglich, so die türkischen Grenzbehörden dies zulassen. Die syrischen Behörden spielen bei der Entscheidung keine Rolle, wenn Personen mit Zustimmung der türkischen Grenzbehörden nach Syrien einreisen. Falls Personen eine Einreisegenehmigung der türkischen Seite haben, steht es für die syrische Seite ebenfalls außer Frage, eine Ausreise aus Syrien abzulehnen und solange keine Einreisegenehmigung von türkischer Seite vorliegt, kann niemand syrische Grenzposten in Richtung Türkei verlassen (FSLA 19.09.2023). Da die Regelungen an allen Grenzübergängen von der türkischen Seite bestimmt werden, macht es im Grunde keinen Unterschied, ob es sich hierbei beispielsweise um den Grenzübergang Bab al-Hawa (im Gebiet der SSG) oder Bab as-Salam (im Gebiet der SIG) handelt (FNWS 13.09.2023). Die Türkei und Syrien hoben die Visapflicht für Einreisen im Jahr 2009 auf und die türkische „Politik der offenen Grenze“ ermöglichte Syrer:innen in der Anfangszeit des Krieges eine legale Einreise in die Türkei (Conversation 15.08.2022). 2012 und 2013 war die Lage an den Grenzübergängen eher chaotisch (FNWS 13.09.2023). Viele Personen reisten auch illegal ein, beispielsweise, weil sie bei der Flucht ihren Pass nicht mitgenommen hatten, oder weil sie aus Gebieten einreisten, die von Gruppierungen kontrolliert wurden, welche die Türkei oder Syrien nicht anerkannten (Conversation 15.08.2022). Es gibt Erzählungen von Personen, die, weil sie ihren Pass nicht dabei hatten, Grenzübergänge schlicht umgingen, um illegal in die Türkei einzureisen (FNWS 13.09.2023). 2015 schloss die Türkei ihre Südgrenze jedoch (Conversation 15.08.2022) und reglementierte den Grenzübertritt stärker (CMEC/Tokmajyan 03.10.2023).

Ein Grenzübertritt ist derzeit (in beide Richtungen) stark eingeschränkt und nur für bestimmte, privilegierte Personengruppen möglich (FNWS 13.09.2023), wie zum Beispiel Inhaber:innen einer von einem lokalen Rat ausgestellten „Händlerkarte“ (in Kombination mit einem Reisepass) oder Inhaber:innen von temporären Schutzkarten (Kimlik) unter dem sogenannten „Genehmigungs“-System. Weitere Kategorien von Personen, welche Grenzübergänge legal passieren können, sind bestimmtes humanitäres oder medizinisches Hilfspersonal (FSLA 19.09.2023), bestimmte medizinische Notfälle, wobei die Grenze für diese Personenkategorie zeitweise immer wieder geschlossen wird, sowie Syrer:innen mit türkischem Reisepass. Die Grenzübergänge sind somit nicht für alle Syrer:innen offen, was zu den zahlreichen illegalen Grenzübertrittsversuchen führt (FNWS 13.09.2023).

Für die verschiedenen Personengruppen bestehen unterschiedliche Grenzübertrittsbestimmungen:

Für Kimlik-Inhaber:innen: Eine Genehmigung der türkischen Behörden zum Grenzübertritt ist für Inhaber:innen einer Kimlik verpflichtend. In regelmäßigen Abständen werden Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge, welche sich vorübergehend in syrischen Gebieten aufhalten dürfen, angekündigt (FSLA 19.09.2023). Die türkischen Behörden erlauben einen Grenzübertritt und die (vorübergehende) Rückkehr nach Syrien nur zu bestimmten Anlässen, wie zum Beispiel dem islamischen Feiertag Eid (FNWS 13.09.2023). Diese Genehmigungen hat es seit 2014 zu Feiertagen regelmäßig gegeben. Im April 2022 wurden sie jedoch ausgesetzt. Nach dem Erdbeben vom Februar 2023 erklärte die türkische Regierung, dass Syrer:innen, die eine Aufenthaltsgenehmigung haben und in den zehn erdbebengeschädigten Provinzen der Türkei leben, Syrien besuchen könnten, allerdings mit der Auflage, dort mindestens drei Monate zu bleiben und nach spätestens sechs Monaten wieder in die Türkei zurückzukehren, um ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht zu verlieren (DW 24.02.2023). Inhaber:innen der Kimlik verlieren ihren vorübergehenden Schutzstatus, wenn sie nicht vor Ablauf der Frist in die Türkei zurückkehren. Jede Grenzverwaltung stellt für Personen mit einer Karte für vorübergehenden Schutz einen auf dem gewünschten geografischen Gebiet in Syrien basierenden Registrierungslink zur Verfügung. Es ist wichtig, dass auf der Karte keine Verbotsklauseln der türkischen Einwanderungsverwaltung aufscheinen (FSLA 19.09.2023).

Für Gewerbetreibende: In Syrien ansässige Händler können über die örtlichen Handelskammern eine Einreiseerlaubnis in die Türkei erhalten, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen. Je nach den Vorschriften der örtlichen Gemeinde müssen sie eine Jahresgebühr zwischen 2.000 und 3.500 USD entrichten. Erforderlich sind ein gültiger Reisepass, eine „Händlerkarte“ der örtlichen Behörde und die Entrichtung der Gebühren (FSLA 19.09.2023). Die Registrierung bei einem lokalen Wirtschaftsrat auf der syrischen Seite erfordert Geld und Beziehungen. Nicht alle Personen, die sich so registrieren ließen, sind tatsächlich Unernehmer:innen (FNWS 13.09.2023).

Für Syrer:innen mit türkischer Staatsangehörigkeit: Syrer:innen, die in der Türkei wohnen und die türkische Staatsangehörigkeit besitzen, können alle 15 Tage über den Grenzübergang Jarabulus nach Syrien einreisen. Sie müssen lediglich ihren türkischen Ausweis, ein Dokument zum Nachweis der doppelten Staatsbürgerschaft und eine Familienbescheinigung vorlegen, wenn sie mit Familienangehörigen reisen (FSLA 19.09.2023).

Für medizinische Fälle aus humanitären Gründen: Einige medizinische Fälle, wie Krebspatient:innen und Patient:innen mit bösartigen und chronischen Krankheiten, dürfen gelegentlich die Grenze passieren. Sie müssen einem spezialisierten Ausschuss auf syrischer Seite ein medizinisches Gutachten vorlegen, das von der entsprechenden türkischen Provinzverwaltung in Abstimmung mit der türkischen Katastrophenschutzbehörde AFAD genehmigt werden muss. Eine Änderung der Politik der türkischen Regierung hat sich auf Tausende von Kindern und Frauen, insbesondere Krebspatient:innen, ausgewirkt. Diese Änderung schreibt eine befristete medizinische Genehmigung vor und verlangt von den Patient:innen, dass sie ihre medizinischen Kosten selbst tragen, was bedeutet, dass die türkischen medizinischen Einrichtungen diese Kosten nicht mehr übernehmen (FSLA 19.09.2023).

Für Personal von Hilfs- und medizinischen Organisationen: Einreisegenehmigungen werden bestimmten Berufsgruppen wie Krankenpfleger:innen, Ärzt:innen, Mitarbeiter:innen humanitärer Organisationen, Angestellten von Kommunalverwaltungen sowie Mitarbeiter:innen der Polizei und der öffentlichen Sicherheit erteilt. Ihre Einreisegenehmigungen sind ein Jahr lang gültig und werden in Abstimmung mit der AFAD auf Provinzebene erteilt (FSLA 19.09.2023).

Die genannten Kategorien können allerdings nicht über jeden beliebigen Grenzübergang einreisen. Beispielsweise ist es syrischen Inhaber:innen eines türkischen Reisepasses nur gestattet, den Grenzübergang Jarabulus zu passieren (FSLA 19.09.2023) und eine Registrierung bei einem lokalen Wirtschaftsrat ist u. U. mit einem bestimmten Grenzübergang verknüpft, der für den Grenzübertritt benutzt werden muss (FNWS 13.09.2023).

Zu den einzelnen Grenzübergängen:

Auf der syrischen Seite werden die Grenzübergänge zwischen Samira und Atmeh von Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert, bzw. im Fall des Grenzübergangs Bab al-Hawa laut UNOCHA von einer „lokalen Verwaltungseinheit“ (UNOCHA 25.04.2023; vgl. Jasim/STDOK 10.10.2023). An Grenzübergängen wie Bab as-Salam und ar-Ra’i sind die Kontrollverhältnisse deutlich unklarer, da mindestens zwei Akteure involviert sind - einerseits die Syrische Interimsregierung (Syrian Interim Government, SIG), die beispielsweise einen Teil der Einnahmen auf Importe über den Grenzübergang Bab as-Salam erhält, und andererseits bewaffnete Gruppierungen, welche die Verwaltung vor Ort übernehmen (FNWS 13.09.2023). Die Einreisebestimmungen sowie die kontrollierenden Gruppierungen auf der syrischen Seite variieren z. T. je nach Grenzübergang.

Nachfolgend sind kurze Beschreibungen zu den wichtigsten Grenzübergängen zu entnehmen:

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang Bab al-Hawa verbindet die syrische Provinz Idlib mit der türkischen Provinz Hatay und wird von der Allgemeinen Behörde für den Grenzübergang Bab al-Hawa (General Authority of the Bab al-Hawa Crossing) verwaltet (FSLA 19.09.2023), die in der Praxis der Grenzverwaltung der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) untersteht. Bab al-Hawa ist gemäß Resolution 2672 (09.01.2023) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) der einzige Grenzübergang, welcher für humanitäre Hilfslieferungen der UN verwendet werden kann (FSLA 19.09.2023; vgl. FNWS 13.09.2023). Während in der Verwaltung des Grenzübergangs Zivilist:innen tätig sind, wird der Grenzübergang bezüglich der Einhebung von Abgaben und Steuern eigentlich von der HTS kontrolliert (FNWS 13.09.2023). Bab al-Hawa ist der größte Grenzübergang im Nordwesten Syriens, was humanitäre Hilfsgüter wie auch Personen- und Warenverkehr betrifft (FNWS 13.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023). Der Grenzübergang ist die wichtigste Einnahmequelle der HTS (FNWS 13.09.2023). Die Besteuerung von Hilfsorganisationen ist dabei eine sensible Angelegenheit. UN-Hilfslieferungen werden von der HTS nicht besteuert, die Konvois manch anderer Hilfsorganisationen allerdings schon (FNWS 13.09.2023; vgl. ECFR o.D.). Besitzer:innen einer türkischen temporären Schutzkarte können zu bestimmten Anlässen über diesen Grenzübergang nach Syrien ein- und wieder ausreisen. Die Türkei verbietet es Syrer:innen mit türkischem Pass, den Grenzübergang Bab al-Hawa zu benutzen (FSLA 19.09.2023).

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang Bab as-Salam, der die syrische Provinz Aleppo mit der türkischen Provinz Kilis verbindet (FSLA 19.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023) und sich nahe des Orts Azaz befindet, ist ebenfalls wirtschaftlich bedeutsam für den Warenverkehr (FNWS 13.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023). Er wird von einer Gruppierung desertierter Polizeioffiziere verwaltet, die zuvor in der Immigrations- und Zollabteilung gearbeitet haben. Der Grenzübergang wird der Sham Front, die Teil der SNA ist, zugeschrieben (FSLA 19.09.2023), auch Jabhat ash-Shamiya genannt. Diese Gruppierung verwaltet alle wirtschaftlichen Angelegenheiten am Grenzübergang, hebt dort Abgaben ein und führt Sicherheitskontrollen durch (FNWS 13.09.2023). Besitzer:innen einer türkischen temporären Schutzkarte können zu bestimmten Anlässen über diesen Grenzübergang nach Syrien ein- und wieder ausreisen. Die Türkei verbietet es Syrer:innen mit türkischem Pass, den Grenzübergang Bab as-Salam zu benutzen (FSLA 19.09.2023).

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang ar-Ra’i verbindet die syrische Stadt ar-Ra’i in Aleppo mit dem türkischen Çobanbey (FSLA 19.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023). Der Grenzübergang wird von einer Gruppe von Zivilist:innen verwaltet, die vom Direktorat für Zollwesen des Wirtschaftsministeriums der SIG ernannt werden. Die tatsächliche Kontrolle hat die Sultan Murad-Fraktion inne, die Teil des Zweiten Korps der SIG ist. Besitzer:innen einer türkischen temporären Schutzkarte können zu bestimmten Anlässen über diesen Grenzübergang nach Syrien ein- und wieder ausreisen. Die Türkei verbietet es Syrer:innen mit türkischem Pass, den Grenzübergang ar-Ra’i zu benutzen (FSLA 19.09.2023).

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang Jarabulus verbindet die syrische Stadt Jarabulus mit Karkamış in der Südtürkei (FSLA 19.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023) und wird nominell vom Zolldirektorat der SIG verwaltet, tatsächlich wird die Verwaltung allerdings von der Neunten Division der SNA beaufsichtigt. Über diesen Grenzübergang können Syrer:innen mit gültigen Aufenthalts- und temporären Schutzkarten benutzen, welche in der Provinz Gaziantep ausgestellt wurden. Dies ist der einzige Grenzübergang in Syriens Norden, über welchen Syrer:innen mit türkischer Staatsbürgerschaft einreisen können (FSLA 19.09.2023).

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang Hamam (FSLA 19.09.2023), auch Bab al-Hamam (Al Majalla 01.08.2023) oder Olive Branch genannt - nach der Militäroperation der Türkei in dem Gebiet (YŞ 10.04.2018) - verbindet Jindires im Distrikt Afrin mit der türkischen Provinz Hatay (FSLA 19.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023). Er wurde 2019 eröffnet und zu Beginn nur für militärische Zwecke genutzt. Später wurde er für zivile und kommerzielle Zwecke freigegeben (Jusoor 10.02.2023). Nominell wird der Grenzübergang vom Zolldirektorat der SIG verwaltet, die tatsächliche Verwaltung wird allerdings vom Liberation and Construction Movement (LCM) beaufsichtigt, das mit dem Ersten Korps der SNA verbunden ist. Über den Grenzübergang können Personen mit einer jährlichen Einreisegenehmigung der Türkei für die „befreiten“ Gebiete einreisen (FSLA 19.09.2023).

Der zivile und kommerzielle Grenzübergang Tal Abyad verbindet das Gebiet von Tal Abyad im Norden der Provinz Raqqa mit der Provinz Şanlıurfa in der Türkei und wird nominell vom Zolldirektorat der SIG verwaltet, tatsächlich aber vom Dritten Korps der SNA überwacht. Über diesen Grenzübergang können Hilfslieferungen von bestimmten türkischen Organisationen transportiert werden (FSLA 19.09.2023).

So Grenzschließungen stattfinden, sind diese stark von den Entscheidungen der türkischen Regierung abhängig (FNWS 13.09.2023; vgl. Jasim/STDOK 10.10.2023) wobei sie inzwischen nicht mehr so häufig sind. Zwischen 2012 und 2015 passierte es vergleichsweise oft, dass die Grenzübergänge aus Sicherheitsgründen von den türkischen Behörden für ein oder zwei Wochen geschlossen wurden (FNWS 13.09.2023). Nach dem Erdbeben vom Februar 2023 waren die Grenzübergänge Bab al-Hawa (FNWS 13.09.2023; vgl. Jusoor 10.02.2023) und Hamam/Olive Branch kurzzeitig de facto geschlossen, da die Straßen unpassierbar waren (Jusoor 10.02.2023). Ein weiterer Faktor für bestimmte Grenzöffnungen und -schließungen sind Entscheidungen des UN-Sicherheitsrats (Jasim/STDOK 10.10.2023).

Zu den administrativen Erfordernissen einer Einreise:

Syrische Staatsangehörige, die nach Österreich gereist sind, hier einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben und Österreich verlassen, dürfen in die Türkei einreisen, um in Folge nach Syrien zurückzukehren, unabhängig davon ob der Antrag auf internationalen Schutz dieser Personen in Österreich abgewiesen oder dem Antrag Folge gegeben und den Personen Asyl zuerkannt wurde. Nach Angaben der Leitung von PMM brauchen die Syrer ein gültiges Reisedokument und wenn sie in die Türkei einreisen – durchreisen wollen brauchen sie ein gültiges Visum von der türkischen Botschaft – in diesem Falle von der TK Botschaft in Wien. Als gültiges Reisedokument wird der syrische Reisepass oder ein AT Konventionsreisedokument angesehen. Syrische Staatsangehörige, die legal in die Türkei einreisen, dürfen sich innerhalb der Türkei – daher insbesondere bis zur syrischen Grenze – frei bewegen. Syrische Staatsangehörige werden bei Reisebewegungen innerhalb der Türkei mit dem Ziel, über die Grenzübergänge Syrien zu erreichen, faktisch – daher unabhängig von der Rechtslage – in ihrer Bewegung nicht beschränkt, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen zur legalen Einreise in die Türkei erbringen konnten und während ihres Aufenthaltes nicht gegen andere türkische Gesetze verstoßen haben. Die angefragten Grenzübergänge Cilvegözu, Bab al Hawa/ Akçakale, Tel Abyad uind Celanpınar, Ra’s al ˁAyan (Sere Knaiye) sind laut Angaben von PMM offen und können für freiwillige Ausreisen von Syrern nach Syrien benutzt werden. (Themenbericht der Staatendokumentation Syrien – Grenzübergänge vom 25.10.2023; E-Mail VB Ankara vom 23.12.2022). Anträge für ein Visum können nicht direkt bei der türkischen Botschaft oder den türkischen Konsulaten eingereicht werden. Das sogenannte Visumantragszentrum für die Türkei nimmt die Anträge für Visa in Österreich entgegen. Das Visumantragszentrum ist nur verpflichtet, die Anträge an die Botschaft bzw. das Konsulat weiterzuleiten. Die Visumsentscheidung wird nur von der Botschaft bzw. dem Konsulat getroffen (VfT 2021).

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt sowie im Wege der Einvernahme der bP als Partei in der vor dem erkennenden Gericht durchgeführten mündlichen Verhandlung; ferner durch Einholung aktueller Auszüge aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie schließlich im Wege der Einsichtnahme in die vom erkennenden Gericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat der bP, (insbesondere UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen,6. Aktualisierte Fassung, März 2021, EUAA COI-Report, Syria: Targeting of Individuals, September 2022, EUAA Country Guidance Syria, February 2023, Länderinformation der Staatendokumentation zu Syrien, Version 11, Datum der Veröffentlichung: 2024-03-27, EUAA COI Report, Syria – Country Focus, October 2023, EUAA COI Report, Syria – Security Situation, October 2023, ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Registrierung einer Eheschließung beim Schariagericht; Vorgehen, wenn sich Ehepartner im Ausland befinden [a-11270], 13.05.2020, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Wehrdienst, 27.01.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Zwangsrekrutierung und Kontrolle in Idlib, 17.03.2022, The Danish Immigration Service, COI-Report Syria: Treatment upon return, May 2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Wehrdienstbefreiung für einzige Söhne, 19.08.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Bestrafung von Wehrdienstverweigerung und Desertion, 16.09.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Fragen des BVwG zur Wehrpflicht in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung (ergänzende AFB), 14.10.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Rekrutierungspraxis der syrischen Regierungsstreitkräfte, 14.11.2022, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Türkei/Syrien: Einreise türkisch-syrische Grenze, Weiterreise in AANES-Gebiete, besonders Tal Rifaat, 05.04.2023, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: HTS und SIG, 19.06.2023, The Danish Immigration Service, COI-Report Syria: Military service: recruitment procedure, consripts‘ duties and military service for naturalised Ajanibs, July 2023, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Militärdienst: Regelung „einzige Söhne“ bei Halbgeschwistern, 02.10.2023, Staatendokumentation Research Paper Syria: The border situation between Turkey, Syria, and Iraq, 10.10.2023, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Türkei: Ein- und Durchreisebestimmungen für Syrer, Passieren von Grenzübergängen zu Syrien, 24.10.2023, Themenbericht der Staatendokumentation: Syrien – Grenzübergänge, 25.10.2023, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Syrien: Gebietskontrolle al-Barah, Zwangsrekrutierungen durch HTS, Einreise nach Idlib, 27.10.2023, The Danish Immigration Service, COI-Report Syria: Military service, January 2024, ACCORD zu Syrien, Themendossier: Wehrdienst, vom 16.01.2024, ACCORD Anfragebeantwortung zu Syrien: Informationen zu Möglichkeiten der Erlangung eines syrischen Reisedokuments (Möglichkeiten, Voraussetzungen, Rolle des konkreten Herkunftsortes, persönliche Anwesenheit, Folgen für Antragsteller/·innen im Inland und Verwandte im Herkunftsstaat) [a-12313], 01.02.2024; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 17.08.2023 betreffend Wehrdienstverweigerer an syrischen Grenzübergängen, Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, Country of Origin lnformation Report von EASO vom Juni 2021, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 14.10.2022 betreffend Fragen des BVwG zu Rückkehrern nach Syrien, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.06.2021, betreffend Einreise in das Kurdengebiet, speziell Provinz al-Hassakah, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21.04.2023 betreffend Sicherheitslage in Nordost-Syrien, Anfragebeantwortung von ACCORD vom 06.Q9.2023 betreffend Konsequenzen bei Verweigerung des Dienstes in den Selbstverteidigungskräften; Konsequenzen für Angehörige; Wahrnehmung von Personen, die den Dienst in den Selbstverteidigungskräften verweigern; Situation von Arabern; Einsatz von Rekruten im Rahmen der Selbstverteidigungspflicht an der Front, Anfragebeantwortung von ACCORD vom 06.05.2022 betreffend Voraussetzungen für Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem lrak bzw. der Türkei; lnformationen zum Grenzübergang Semalka - Faysh Khabr, Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem lran, The Danish lmmigration Service: Syria - Recruitment to Opposition Groups, Dezember2022, Verbindungsbeamter Ankara, Auskunft per E-Mail vom 23.12.2022 (Exzerpt)).

Wenn die Beschwerde moniert, dass seitens der belangten Behörde kein Abgleich mit aktuellen relevanten Länderberichten erfolgt sei, so ist zu betonen, dass die Behörde ihre Feststellungen aufgrund der zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation vom Dezember 2022 traf sowie die verwendeten Quellen in ihrer Gesamtheit als ausgewogen zusammengestellt bewertet werden können. In Bezug auf den in der Beschwerde zitierten Artikel aus dem Jahr 2020 (https://www.migrationsrecht.net/nachrichten-auslaenderrecht-europa-und-eu/wehrdienstentziehung-in-syrien-begruendet-anspruch-auf-fluechtlingsschutz.html ) ist festzuhalten, dass sich dieser in erster Linie auf die Implikationen einer EuGH-Entscheidung vom 19.11.2020 (C-238/19) für die deutsche Rechtsprechung bezieht und im Übrigen keine über die auch aus dem aktuellen Länderleitfaden der EUAA ersichtlichen Informationen enthält.

II.2.2. Die Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der bP, ihrer Abstammung, ihren persönlichen und familiären Lebensumständen sowie ihrer Familienverhältnisse unter Punkt II.1. beruhen auf ihren insoweit stringenten Angaben im Verfahren erster Instanz und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Identität der bP kann aufgrund des im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten Auszugs aus dem Personenstandsregister im Original festgestellt werden (vgl. AS 39).

II.2.3. Die bP legte im Laufe des Verfahrens im Hinblick auf ihren gesundheitlichen Zustand dar, dass es ihr gut gehe. Ausgehend davon und ob des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks ist daher festzustellen, dass die bP gesund ist und insbesondere an keiner die Tauglichkeit für den Wehrdienst ausschließenden Erkrankung leidet.

II.2.4. Die zur Lage im Herkunftsstaat unter dem Punkt II.1. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen (insbesondere dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2024-03-14, Version 10), die der bP mit Schreiben vom 06.03.2024, 12.03.2024 und 14.03.2024 unter gleichzeitiger Angabe der herangezogenen Quellen zur Erstattung einer Stellungnahme bekanntgegeben wurden. Eine Stellungnahme wurde nicht erstattet.

Die nunmehr getroffenen Feststellungen zur politischen Lage und zu den Machtverhältnissen in Syrien gründen sich demnach im Wesentlichen auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Zum Zweck einer einheitlichen Darstellung wurden die einschlägigen Inhalte des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation um den Inhalt spezifischerer Länderberichte – insbesondere betreffend die Sicherheits- und Rekrutierungssituation im Norden und Nordwesten von Syrien sowie die Lage an den Grenzübergängen der SIG und der SSG – bzw. aktuellerer Länderberichte erweitert.

Die Machtverhältnisse in der Herkunftsregion der bP sind nicht strittig. Sie ergeben sich aus der Einsichtnahme in das von den einschlägigenWebsites(https://syria.liveuamap.com/ ; https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria . html) abgerufene, in das Verfahren eingeführte und der bP vorgehaltene Kartenmaterial in Zusammenschau mit den Darstellungen und Ausführungen im aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation bzw. den sonstigen bekanntgegebenen Quellen.

In ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde, aber auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte die bP, dass ihr Herkunftsgebiet unter der Kontrolle oppositioneller Kräfte steht. Dass sie auf eine Kontrolle durch die Freie Syrische Armee (die in der „Syrischen Nationalen Armee“, kurz „SNA“ „aufging“) statt durch die HTS („Hay’at Tahrir al-Sham“) verwies, ist vor dem Hintergrund erklärbar, dass – wie in den Länderfeststellungen ersichtlich - Syrer gewöhnlich mit dem Begriff „Freie Syrische Armee“ Rebellen- und Oppositionsgruppen im Allgemeinen meinen, Forscher hingegen bewaffnete Oppositionsgruppen spezifisch einordnen. Bestätigt wird dies durch die Aussage der bP in der mündlichen Verhandlung, wonach alle Gruppierungen „Freies Syrisches Militär“ hießen und der FSA untergeordnet seien. Im Übrigen ist es im Hinblick auf das Fluchtvorbringen der bP, welches sich im Wesentlichen auf Fragen in Zusammenhang mit der Rekrutierung durch das syrische Regime und der befürchteten Reflexverfolgung wegen der vorgebrachten Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen ihres Vaters und Onkels beschränkte, letztlich nicht von entscheidender Bedeutung, ob ihr Herkunftsgebiet unter der Kontrolle der SNA oder der HTS steht. Wie festgestellt und in weiterer Folge begründet, kann das Regime im Herkunftsgebiet der bP nicht auf die Personen zwecks Rekrutierung bzw. Verfolgung wegen unterstellter regimekritischer Einstellung zugreifen.

Das Vorbringen in der Beschwerde bzw. in der mündlichen Verhandlung, wonach die Frontlinie quasi ständig wechsle und jederzeit die Gefahr eines Einmarsches des Syrischen Militärs in das Herkunftsgebiet bestünde, findet keine Deckung in den Länderfeststellungen. Aus diesen geht hervor, dass die Frontlinien im Allgemeinen und insbesondere auch in dem von der HTS beherrschten Gebiet seit März 2020 weitgehend eingefroren seien, wenn es auch – insbesondere im Süden der vereinbarten Deskalationszone im Gouvernement Idlib –immer wieder zu Kampfhandlungen komme. Das Heimatdorf der bP steht seit 2014 (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html ) bis zum heutigen Tag (https://syria.liveuamap.com/ ) unverändert unter Kontrolle der Opposition. Dies deckt sich insofern mit den eigenen Angaben der bP, als diese in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde ausführte, dass ihr Heimatdorf unter der Macht der FSA – und damit unter Oppositionskontrolle – stehe und es hin und wieder noch Raketenangriffe gebe, aber nicht mehr so schlimm wie früher; da die FSA seit ihrem zehnten Lebensjahr die Macht in ihrem Dorf gehabt habe, sei das syrische Regime auch nicht an sie herangetreten (vgl. AS 59, 63). Dass die bP diese Situation als „ruhig, aber nicht stabil“ (vgl. AS 59) beschreibt, erscheint dem erkennenden Gericht angesichts der bloß faktisch bestehenden Machtverhältnisse und der Sicherheitslage in Syrien nachvollziehbar.

II.2.5. Die zum Wehrdienst und zur Rekrutierungspraxis der syrischen Streitkräfte, der HTS bzw. Hay’at Tahrir al-Sham sowie der SNA bzw. der Syrischen Nationalarmee getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Länderinformationsblatt, aber insbesondere auch aus den entsprechenden Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation sowie von ACCORD in Kombination mit dem Report des Danish Immigration Service („Syria – Recruitment to Opposition Groups“). Die jeweils im Einzelfall herangezogene Quelle wurde in den Feststellungen ersichtlich gemacht, die Quellen zeigen insgesamt ein übereinstimmendes Gesamtbild und ermöglichen damit zweifelsfreie Feststellungen zur Situation vor Ort.

Die Feststellungen zu den in Syrien nach wie vor bestehenden Menschenrechtsverletzungen durch das syrische Regime, insbesondere in Zusammenhang mit militärischen Operation, Rückkehrern und Wehrdienstverweigerern, beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, dessen wesentliche Aussagen Bestätigung in anderen Quellen finden (Anfragebeantwortungen, Information Reports der EUAA, Bericht des Danish Immigration Service betreffend „Treatment Upon Return“).

Die zur Lage im Grenzgebiet sowie die zur potentiellen Einreisemöglichkeit in das von der Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) kontrollierte Herkunftsgebiet der bP getroffenen Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, auf dem Inhalt des Themenberichtes der Staatendokumentation Syrien - Grenzübergänge vom 25.10.2023, der auch aktuelle Einschätzungen zur Rekrutierungssituation im Grenzgebiet – unter anderem in der Herkunftsregion der bP – umfasst, sowie auf dem Exzerpt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl betreffend das E-Mail des Verbindungsbeamten des Bundesministeriums für Inneres in Ankara vom 23.12.2022.

In Bezug auf die Rekrutierungssituation durch syrische Regimestreitkräfte wird in den herangezogenen Quellen die Einschätzung vertreten, dass die syrische Regierung im Nordosten und Nordwesten Syriens, so auch in den von der HTS und SNA verwalteten Gebieten, keine Rekrutierungen durchführen kann. Dies wurde auch durch die bP im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigt, indem sie erklärte: „Das Regime hatte damals keine Funktion bei uns in unserem Dorf, ich war für das Regime nicht greifbar, ich habe in befreiten Gebieten gelebt. Es gab keine Rekrutierungsversuche“.

Bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) und die SNA (Syrian National Army, ehemals Freie Syrische Armee - FSA) legen laut der herangezogenen Länderberichte Zivilisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten generell keine Wehrdienstpflicht auf. In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nord- und Nordwestsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der HTS oder SNA beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Beide Oppositionsgruppen haben eine große Anzahl von Kämpfern und ist dies ausweislich der Länderberichte auch der Grund, warum keine Zwangsanwerbungen von Personen durchgeführt werden. Darüber hinaus setzt HTS keine Zwangsrekrutierung ein, da es für HTS von wesentlicher Bedeutung ist, dass seine Rekruten motiviert sind und loyal gegenüber der Organisation. Folglich ist es ohne weiteres möglich, in von der HTS oder SNA kontrollierten Gebieten zu leben, ohne diesen Organisationen militärisch beitreten zu müssen. Es gab zwar vereinzelt Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des bewaffneten Konflikts in Syrien, allerdings handelte es sich hierbei um spezielle Einzelfälle bzw. um Rekruten mit einem besonderen Profil. Beispielsweise zwingt HTS Personen mit militärischer Erfahrung, über welche die bP jedenfalls nicht verfügt (!), dazu, sich HTS anzuschließen. Darüber hinaus haben örtliche HTS-Polizeieinheiten gelegentlich Männer unter Druck gesetzt, sich HTS anzuschließen, insbesondere im Zusammenhang mit den Angriffen der syrischen Regierung auf Idlib. Allerdings gibt es keine systematische Praxis dieser Art der Rekrutierung. Auch bei der SNA kam es zu Zwangsrekrutierungen von Männern mit vorheriger Kampferfahrung. In solchen Fällen sollte die Zwangsrekrutierung als eine Form der Massenkontrollmaßnahme seitens der SNA gegen ehemalige Kombattanten angesehen werden. Berichtet wurde außerdem über sechs konkrete Fälle, wo mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates (IS) oder der YPG/SDF in Gebieten von SNA und türkischen Streitkräften gefangen genommen wurden. Die SNA zwang und übte Druck auf diese Kämpfer aus, sich der SNA anzuschließen, um ihre Loyalität zu beweisen. Im Jahr 2018 gab es Beispiele dafür, dass die SNA kurdische Männer in der Region Afrin zwang, sich der SNA anzuschließen, weil die SNA sie für Stellvertreterkämpfer der YPG/SDF hielt. Die bP fällt jedoch angesichts ihres persönlichen Profils nicht unter den vorerwähnten Kreis gefährdeter Personen und wird daher keiner im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch HTS oder SNA ausgesetzt sein. Dies bestätigte die bP auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung, indem sich angab „Diese Gruppierungen rekrutieren junge Männer freiwillig, wer will kann mit ihnen mitkämpfen.“ bzw. erklärte, sie sei vor dem BFA falsch verstanden worden, sie habe nicht von einer zwangsweisen ‚Mitnahme‘ durch die FSA gesprochen.

II.2.6. Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte vor Ort zu verifizieren, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht (VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein Vorbringen im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden kann, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650).

II.2.7. Unter Berücksichtigung der angeführten Rechtsprechung ist es der bP nicht gelungen, eine im Rückkehrfall mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende individuelle Gefährdung glaubhaft darzulegen. Im Einzelnen:

II.2.7.1. Im Lichte der Aussagen der bP sowie der Feststellungen zur Lage in Syrien ist glaubhaft, dass die bP den Herkunftsstaat wegen des (Bürger-)Kriegszustandes und der damit verbundenen prekären Sicherheitslage verließ. Insofern besteht allerdings kein Konnex zu einem Verfolgungsgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Die Befürchtung der bP im Hinblick auf den Krieg reicht mangels maßgeblicher Verfolgungswahrscheinlichkeit im Entscheidungszeitpunkt nicht aus, um die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Notsituationen wie bürgerkriegsähnliche Zustände und Kriege mit Nachbarstaaten begründen eine Asylgewährung grundsätzlich nicht, da diese ein allgemeines Risiko für alle Einwohner des Landes darstellen und nicht als individuelle Verfolgung gelten (VwGH 30.04.1997, 96/01/1040; 26.11.1998, 98/20/0309, 0310).

II.2.7.2. Zur vorgebrachten Wehrpflicht für die Arabische Republik Syrien und der behaupteten drohenden Zwangsrekrutierung geht das erkennende Gericht ebenso wenig von einer maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention aus.

Laut Art. 4 lit. b des Gesetzesdekretes Nr. 30 aus dem Jahr 2007 gilt die Wehrpflicht im syrischen Regimegebiet vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Die am 17.01.2003 geborene bP befindet sich somit aktuell im wehrdienstfähigen Alter.

Die Feststellung, wonach die bP keinen Wehrdienst in Syrien abgeleistet hat und in Syrien auch keinen Rekrutierungsversuchen ausgesetzt war, gründet sich auf ihre diesbezüglichen Angaben im Verfahren erster Instanz und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Vor dem Hintergrund, dass die bP vor ihrer Ausreise aus Syrien aufgrund ihres damaligen Alters noch keiner Wehrpflicht unterlag und die syrische Regierung ausweislich der Feststellungen in den von der HTS verwalteten Gebieten keine Rekrutierungen durchführen kann, erwiesen sich diese Angaben als plausibel und glaubwürdig.

Bei einer Rückkehr nach Syrien wäre die bP mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keinen Verfolgungshandlungen durch das syrische Regime in Zusammenhang mit dem Wehrdienst ausgesetzt. Zweifel an diesem Fluchtvorbringen kommen zunächst dadurch auf, dass die bP eine drohende Zwangsrekrutierung und/oder eine Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung in ihrer Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte. Auf die Frage nach dem Fluchtgrund führte sie lediglich den Bürgerkrieg in Syrien und die damit verbundene mangelnde Sicherheitslage an. Freilich sind an dieser Stelle die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs betreffend die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung zu berücksichtigen, gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH vom 25.6.2019, Ra 2018/19/0546 mwN). Vor diesem Hintergrund, dass die drohende Zwangsrekrutierung im Verlauf des weiteren Verfahrens als eine zentrale Gefahr ins Treffen geführt wurde, wäre aber doch zu erwarten gewesen, dass der Militärdienst zumindest ansatzweise auch bei der Erstbefragung Erwähnung findet. Dass dies jedoch nicht der Fall war, lässt zumindest prima facie darauf schließen, dass eine solche Gefahr nicht ganz so immanent sein dürfte.

Bestätigung findet diese Annahme in den vorhandenen Länderberichten, wonach die Durchsetzung der Wehrpflicht, die Vornahme von (Zwangs-)Rekrutierungen sowie behördliche Maßnahmen aufgrund einer der bP allenfalls unterstellten politischen Gesinnung an bestehende Zugriffsmöglichkeiten des syrischen Regimes gebunden sind. Wie bereits ausgeführt, steht die Herkunftsregion der bP in Syrien unter der Kontrolle der HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham). Den Feststellungen zufolge können die syrischen Behörden in diesem Oppositionsgebiet (wie im Übrigen auch im Gebiet der Syrischen Nationalarmee, SNA) keine Rekrutierungen durchführen, was die bP im Übrigen selbst zugesteht. Die bP ist im Rückkehrfall auch nicht dazu gezwungen, von den syrischen Behörden kontrollierte Gebiete zu betreten oder zu passieren (siehe dazu im Detail Punkt 2.7.5.). Die bP kann sich vielmehr – wie bereits vor der Ausreise – im HTS-Gebiet aufhalten, ohne eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende (Zwangs-)Rekrutierung oder gar eine Festnahme durch Repräsentanten des syrischen Regimes befürchten zu müssen. Allfällige Zugriffsmöglichkeiten der syrischen Behörden sind angesichts der Herkunftsregion der bP nicht als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes genügt die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen (statt aller VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100 und 0101). Dies ist – wie dargelegt – gegenständlich nicht der Fall. Damit treffen die Erwägungen des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, die auf von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete abstellen, auf die bP nicht zu.

Schließlich ist zur guter Letzt darauf hinzuweisen, dass das syrische Militärdienstgesetz syrischen Männern im Militärdienstalter (18-42 Jahre) und mit Wohnsitz im Ausland erlaubt, eine Gebühr zu entrichten, um von der Wehrpflicht befreit und nicht einberufen zu werden. Das Wehrersatzgeld ist nach der Änderung des Wehrpflichtgesetzes im November 2020 gestaffelt nach der Anzahl der Jahre des Auslandsaufenthalts und beträgt 10.000 USD (ein Jahr), 9.000 USD (zwei Jahre), 8.000 USD (drei Jahre) bzw. 7.000 USD (vier Jahre). Vor diesem Hintergrund könnte die bP, die sich seit 2021 außerhalb von Syrien aufhält, auch eine Befreiungsgebühr entrichten und sich somit vom Wehrdienst bei der Syrischen Arabischen Republik „freikaufen“. Es sind im Verfahren auch keine Umstände zu Tage getreten, die darauf hinweisen, dass die bP nicht die finanziellen Möglichkeiten hätte, die Gebühr zu bezahlen. Im Gegenteil, gab die bP vor der belangten Behörde selbst an, die 8.000,- EUR hohen Kosten für die Reise in das Bundesgebiet von ihrem Vater erhalten zu haben, zumal es der Familie finanziell gut gehe. Es ist fallbezogen nicht zu sehen, dass der bP nunmehr diese Hilfe verwehrt werden sollte, gerade wenn es um eine nach syrischem Recht legale Abhilfemaßnahme geht, die die von der bP geäußerte, zu ihrer Flucht führende Furcht vor einer Zwangsrekrutierung zur Syrisch-Arabischen Armee mit weitestgehender Sicherheit beseitigen würde. Im Übrigen ist festzuhalten, dass es der bP, der bereits rechtskräftig der Status einer subsidiärer Schutzberechtigten zuerkannt wurde und die sohin uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt im Bundesgebiet hat, ebenso zumutbar und möglich erscheint, etwaig noch fehlendende Geldmittel selbst ins Verdienen zu bringen.

Im Falle der Rückkehr in ihre von der HTS kontrollierten Herkunftsregion besteht somit für die bP nicht die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, zum Wehrdienst bei den syrischen Streitkräften (zwangs-)rekrutiert zu werden oder aufgrund einer ihr unterstellten oppositionellen Gesinnung inhaftiert oder misshandelt zu werden.

II.2.7.3. Ebenso wenig droht der bP im Rückkehrfall eine (Zwangs-)Rekrutierung durch bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) oder die SNA (Syrian National Army), zumal diese Zivilisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten generell keine Wehrdienstpflicht auferlegen (vgl. diesbezügliche Ausführungen). Insofern droht der bP im Rückkehrfall ebenso wenig eine (Zwangs-)Rekrutierung durch die ihre Herkunftsregion kontrollierende Organisation Hay'at Tahrir ash-Sham oder durch die das benachbarte Gebiet kontrollierende SNA. Die wenigen festgestellten Einzelfälle über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des bewaffneten Konflikts treffen auf das festgestellte Profil der bP in keiner Weise zu. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen kann das erkennende Gericht keine Rückkehrgefährdung durch oppositionelle Gruppierungen erkennen.

II.2.7.4. Vollständigkeitshalber wird kurz auf eine allfällige Verfolgung wegen illegaler Ausreise und Asylantragstellung in Österreich eingegangen.

Aus den getroffenen Feststellungen zur Lage in Syrien ergibt sich nicht, dass jedem Rückkehrer, der unrechtmäßig ausgereist ist und der im Ausland einen Asylantrag gestellt hat, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147). Ebenso wenig begründet ein in Österreich gestellter Antrag auf internationalen Schutz eine für die Zuerkennung der Status des Asylberechtigten hinreichende Verfolgungswahrscheinlichkeit im Rückkehrfall. Die Antragstellung ist den syrischen Behörden nicht bekannt, Datenübermittlungen an den Herkunftsstaat des Asylwerbers sind unzulässig. Die bP hat sich in Österreich auch nicht (exil-)politisch oder in andere Weise exponiert und es besteht in einer Gesamtbetrachtung kein Grund zur Annahme, dass ihre unrechtmäßige Ausreise aus dem von der HTS kontrollierten Gebiet sowie ihr Aufenthalt in Europa dem syrischen Regime überhaupt bekannt sind. Zwar geht aus den Berichten zur Lage im Herkunftsstaat teilweise hervor, dass es nach wie vor willkürliche Verhaftungen und andere Formen der Repressionen gegenüber Rückkehrern gibt und es wird in verschiedenen Quellen Einzelfällen berichtet, allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, dass sämtliche Rückkehrer per se als politisch oppositionell angesehen würden oder der weitaus überwiegende Teil aller Rückkehrer systematischen Repressionen ausgesetzt wäre.

Die bP ist zudem in ihrem Herkunftsstaat vor der Ausreise nicht in den Fokus der syrischen Behörden gerückt. So gab sie in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde explizit an, dass sie von niemanden bedroht oder verfolgt worden sei und keine sonstigen Ausreisegründe habe. Auch verneinte sie eine Teilnahme an Demonstrationen oder eine Tätigkeit für eine politische Partei. Sie sei niemals festgenommen, inhaftiert oder behördlich gesucht worden und bestehe auch kein Haftbefehlt gegen sie (AS 65). Abgesehen von der – erst in der Beschwerde vorgebrachten – Reflexverfolgung aufgrund der Teilnahme ihres Vaters und Onkels an regimekritischen Demonstrationen– fanden politischen Aktivitäten seitens der bP – weder in Syrien noch in Österreich – Erwähnung Eine tatsächlich verinnerlichte politische (oppositionelle) Gesinnung der bP kam im Verfahren auch nicht hervor. Eine erhöhte Gefährdung im Rückkehrfall aufgrund von Aktivitäten der bP kann somit ausgeschlossen werden. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass das Konzept des syrischen Regimes, wer als Oppositioneller angesehen wird, nicht klar definiert ist und Personen aus unterschiedlichen Gründen und teilweise willkürlich als regierungsfeindlich angesehen werden. Die Berichtslage ist jedoch nicht dergestalt, dass mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden müsste, dass Rückkehrer allein aufgrund einer unrechtmäßigen Ausreise und eines längeren Aufenthaltes in Europa seitens des syrischen Regimes als oppositionell bzw. regierungsfeindlich eingeschätzt und verfolgt würden. Aus den einschlägigen Berichten ergibt sich, dass insbesondere medizinisches Personal, Aktivisten, Journalisten und Personen, die die Regierung offen kritisieren, als regierungsfeindlich angesehen werden. Die bP fällt in keine dieser Risikokategorien. Allein die Tatsache, Syrien verlassen zu haben, führt demnach nicht zu dem (Verfolgungs-)Risiko, das erforderlich ist, um eine begründete Furcht vor Verfolgung nachzuweisen. Auch eine Asylantragstellung führt demnach nicht ipso facto zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat Syrien. Rückkehrer, die nicht an oppositionellen Aktivitäten beteiligt waren und Syrien (nur) wegen des Krieges verlassen haben, werden im Allgemeinen bei ihrer Rückkehr nicht mit Problemen konfrontiert; es sei denn, jemand hätte in ihrer Abwesenheit bei den Behörden eine Anzeige gegen sie erstattet und sie beispielsweise beschuldigt, an Aktivitäten der Opposition beteiligt zu sein. Hinweise auf einen solchen Sachverhalt kamen im Verfahren nicht hervor.

Die bP würde abseits davon ohnedies nicht in ein vom syrischen Regime kontrolliertes Gebiet zurückkehren, sondern in ein von der Organisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) okkupiertes Gebiet. Ein Kontakt mit Repräsentanten des syrischen Regimes im Fall einer Rückkehr in die Herkunftsregion ist deshalb nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Aus den im Verfahren herangezogenen Berichten geht in keiner Weise hervor, dass das syrische Regime in den von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebieten Verfolgungs- oder Rekrutierungshandlungen setzt. Vielmehr ergibt sich aus den Berichten unzweifelhaft, dass das syrische Regime – abgesehen von der mangelnden Befugnis solcher Aktivitäten – dazu auch gar nicht die Kapazitäten besitzt. Ein Eingriff in die psychische und/oder die physische Unversehrtheit der bP ist daher – selbst wenn ein aktuelles Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes angenommen werden sollte – nicht absehbar, sodass der bP jedenfalls keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfall eintretende Verfolgung, auch keine Reflexverfolgung wg. ihrem Vater oder Onkel droht.

Es konnten im Verfahren auch keine anderweitigen konkreten Anhaltspunkte für eine individuelle Gefährdung der bP mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im Rückkehrfall ermittelt werden, zumal von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) keine Gefahr für zuvor unrechtmäßig ausgereiste Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Europa ausgeht. Dass der bP bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsregion wegen einer ihr unterstellten oppositionellen Gesinnung Verfolgung durch Akteure vor Ort drohen würde, kam im Verfahren ebenfalls nicht hervor. Für die Annahme eines solchen Szenarios besteht demgemäß kein Anlass.

II.2.7.5. Der bP ist es vor dem Hintergrund der eingeholten Länderinformationen grundsätzlich möglich, in das von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Oppositionsgebiet einzureisen ohne in Kontakt zum syrischen Assad-Regime zu kommen. Respektive wäre es der bP möglich und zumutbar durch Passieren der syrisch-türkischen Grenze in den nord- bzw. nordwestlichen Teil Syriens einzureisen, welcher von der sogenannten Errettungsregierung (Anm.: mit HTS als dominante Kraft) und von der Syrischen Interimsregierung (Anm.: mit den pro-türkischen Einheiten der Syrian National Army) kontrolliert wird. Das syrische Regime hat in diesem Gebiet keinen Zugriff auf wehrdienstpflichtige Personen und erfährt auch offiziell nichts von der Einreise, sodass der bP daraus auch keine (zusätzliche) Gefährdung erwächst. Die bP wird in der Lage sein, diesen Weg ohne Kontakt mit Repräsentanten des syrischen Regimes zu bestreiten (vgl. auch die Darstellung der aktuellen Gebietskontrolle und Einflussbereiche auf https://syria.liveuamap.com/ ). Somit droht der bP auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit beim Übertritt über die von der Opposition kontrollierte syrisch-türkische Grenze eine zwangsweise Einziehung zum Wehrdienst durch syrische Streitkräfte (siehe hiezu grundlegend VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108).

Für die dargestellte Route stehen der bP zahlreiche Grenzübergänge zur Verfügung. Beispielsweise wäre es ihr möglich, den Grenzübergang Bab al Hawa zu nutzen, welcher von der Allgemeinen Behörde für den Grenzübergang Bab al-Hawa (General Authority of the Bab al-Hawa Crossing) verwaltet wird, die in der Praxis der Grenzverwaltung der Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government, SSG) untersteht. Der Grenzübergang Bab al-Hawa kann ausweislich der Generaldirektion für Migrationsverwaltung in Ankara (Presidency of Migration Management, PMM) für Ausreisen von Syrern nach Syrien benutzt werden. Darüber hinaus wäre es der bP auch möglich, direkt über von der SNA verwaltete bzw. überwachte Grenzübergänge einzureisen, beispielsweise über den Grenzübergang Bab as-Salam, Jarabulus oder Hamam. Da die Regelungen an allen Grenzübergängen von der türkischen Seite bestimmt werden, macht es keinen Unterschied, ob es sich um einen Grenzübergang im Gebiet der SSG oder um einen Grenzübergang im Gebiet der SIG handelt. Anschließend wäre es der bP möglich, über den Landweg in das von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierte Oppositionsgebiet zu gelangen, da Reisen zwischen dem Gebiet der sog. Errettungsregierung und der Syrischen Interimsregierung ausweislich der herangezogenen Länderberichte möglich sind.

Es kann zwar – wie es in der Vergangenheit gelegentlich der Fall war – vorkommen, dass Grenzübergänge zur Türkei vorübergehend geschlossen werden. So erfolgten solche Schließungen durch türkische Behörden zwischen 2012 und 2015 vergleichsweise oft aus Sicherheitsgründen. Diese Schließungen dauerten allerdings nur ein bis zwei Wochen und ist es der bP deshalb zumutbar, die Dauer einer kurzzeitigen Schließung gegebenenfalls auch abzuwarten. Außerdem kommt es mittlerweile nicht mehr so häufig vor, dass die Grenzübergänge von den türkischen Behörden geschlossen werden.

Berichte, dass Grenzbeamte oder andere Sicherheitsakteure Zivilisten misshandeln, die versuchen, die Grenze zu passieren, sind eher auf türkischer Seite bekannt als auf syrischer Seite der Grenze. Hinsichtlich der syrischen Seite der Grenze gibt es zwar Berichte über Misshandlungen und Übergriffe auf die Grenze passierende Syrer, ausweislich der Länderberichte existieren hierbei allerdings meist tiefer liegende Gründe, wie zum Beispiel Mordfälle an Verwandten oder Probleme aus der Anfangszeit des Konflikts. In Nordwestsyrien existieren viele derartige persönliche, familiäre oder finanzielle Probleme und Misshandlungen an der Grenze können hierbei nicht spezifisch dem Grenzübertritt zugeschrieben werden. Die Akteure auf syrischer Seite haben wenig Einfluss auf die Einreisen. Gemäß herangezogener Länderinformationen waren Grenzsicherungsmaßnahmen der Türkei vor allem zwischen 2015 und 2018 präsent, als sich der bewaffnete Konflikt in Syrien zunehmend entlang der türkischen Grenze konzentrierte. Beispielsweise erfolgte eine verstärkte Befestigung der Grenze durch Errichtung einer Grenzmauer, um die Einreise von Kämpfern der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in die Türkei zu unterbinden, sowie nach einer Serie von jihadistischen Anschlägen in der Türkei im Jahr 2015 auch, um eine Infiltration durch den Islamischen Staat (IS) zu stoppen. Ebenso sollten Flüchtlinge an der Einreise gehindert werden, nachdem die Türkei rund 3,6 Mio. Syrer aufgenommen hatte. Verstärkte Grenzmaßnahmen der Türkei hatten daher offensichtlich in erster Linie kriegs- und sicherheitspolitische Gründe. Berichten zur Situation an den Grenzübergängen im Nordwesten bzw. an der syrisch-türkischen Grenze ist gemein, dass auf Bedrohung und Verfolgung von Personen durch die türkische Regierung gegenüber Syrern hingewiesen wird, die aus Syrien ausreisen wollen, jedoch weniger zu den zurückkehrenden Personen nach Syrien. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts wäre kein vernünftiger Grund ersichtlich, wieso die türkischen Behörden Syrer an der freiwilligen Ausreise nach Syrien hindern sollten, zumal die türkischen Behörden in der Vergangenheit zwangsweise Rückführungen von Syrern in Gebiete in Nordwestsyrien durchführten und zwar sowohl in Gebiete unter Kontrolle der HTS als auch der SNA. Zudem hob die Türkei nach dem Erdbeben in der Südosttürkei und im Norden Syriens im Februar 2023 Reisebeschränkungen für in der Türkei ansässige Syrer für Reisen nach Nordwestsyrien auf. Es ist somit nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der bP im Falle der Rückkehr nach Syrien über die türkisch-syrische Grenze seitens der türkischen Regierung unüberwindbare Hindernisse in den Weg gelegt werden würden.

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht auch nicht, dass Berichte vorliegen, dass ein Grenzübertritt derzeit (in beide Richtungen) stark eingeschränkt und nur für bestimmte, privilegierte Personengruppen möglich ist, wie zum Beispiel Inhaber einer von einem lokalen Rat ausgestellten „Händlerkarte“ (in Kombination mit einem Reisepass) oder Inhaber von temporären Schutzkarten (Kimlik) unter dem sogenannten „Genehmigungs“-System. Weitere Kategorien von Personen, welche Grenzübergänge legal passieren können, sind bestimmtes humanitäres oder medizinisches Hilfspersonal, bestimmte medizinische Notfälle, wobei die Grenze für diese Personenkategorie zeitweise immer wieder geschlossen wird, sowie Syrer mit türkischem Reisepass. Diesen Berichten steht jedoch eine präzisere Auskunft der Generaldirektion für Migrationsverwaltung in Ankara (Presidency of Migration Management, PMM) einer offiziellen Quelle entgegen, wonach lediglich ein gültiges Reisedokument - und wenn Syrer in die Türkei einreisen oder durchreisen wollen – auch ein gültiges Visum von der türkischen Botschaft erforderlich sei, in diesem Falle von der Botschaft der Republik Türkei in Wien. Als gültiges Reisedokument wird von PMM der syrische Reisepass oder ein Konventionsreisedokument genannt. Im Falle des Fehlens eines Reisepasses ist es der bP grundsätzlich möglich, beispielsweise einen Passierschein bei einer syrischen Vertretungsbehörde im Ausland zu beantragen (siehe dazu ausführlich EASO, Syrien: Lage der Rückkehrer aus dem Ausland, 25). Sollte die bP über keinen syrischen Reisepass besitzen und einen solchen nicht bei einer syrischen Vertretungsbehörde erlangen können, hat sie als subsidiär Schutzberechtigte einen Anspruch auf die Ausstellung eines Fremdenpasses (§ 88 FPG 2005). Die bP war in der Türkei nicht straffällig, sodass es der bP mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit möglich wäre, ein Einreisedokument zu beschaffen und durch die Türkei ohne Probleme zu den Grenzübergängen zu reisen. Dass es ihr unmöglich sei, die Formalitäten am Grenzübergang zu erledigen, wurde seitens der bP weder vorgebracht, noch ergeben sich dahingehende Schwierigkeiten von Rückkehrerinnen und Rückkehrern.

Schließlich ist noch auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vom 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, zu verweisen, wonach eine allfällige Verfolgung durch die syrischen Behörden beim Grenzübertritt zwar nicht ungeprüft bleiben dürfe, allerdings sei die Frage der erforderlichen Einreisedokumente von der entscheidungsrelevanten Rechtsfrage einer drohenden asylrelevanten Verfolgung bei bzw. nach Einreise in den Herkunftsstaat zu unterscheiden. In dieser Entscheidung wird auf zwei Judikate des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH 09.03.2023, Ra 2022/20/0211, VwGH 03.01.2023, Ra 2022/01/0328) verwiesen, in denen die unterbliebene Prüfung der legalen Einreisemöglichkeit nicht beanstandet worden ist. Mit Erkenntnis vom 29.02.2024, Ra 2024/18/0043 hielt der Verwaltungsgerichtshof schließlich dezidiert fest, dass es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen könne, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen, was verfahrensgegenständlich zu bejahen ist.

Eine Einreise über das nordöstliche Grenzgebiet in das kurdisch kontrollierte Territorium über den Grenzübergang Semalka – Faysh Khabour zieht das Bundesverwaltungsgericht nicht in Erwägung, da es ausweislich der herangezogenen Länderinformationen nicht möglich ist, vom kurdisch kontrollierten Gebiet in das Gebiet der syrischen Interimsregierung zu reisen. Dies wäre aber notwendig, um in weiterer Folge in das Gebiet der sogenannten Errettungsregierung (Anm.: mit HTS als dominante Kraft) zu gelangen.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde – Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

II.3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 23.06.2021, Ra 2021/18/0164, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233, mwN; vgl. ferner unter Hinweis auf diese Entscheidung VfGH 27.2.2023, E 3307/2022; VwGH 23.05.2023, Ra 2023/20/0110).

II.3.2. Auch einer Wehrdienstverweigerung kann Asylrelevanz zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen seiner Wehrdienstverweigerung vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Würde der Wehrdienst dazu zwingen, an völkerrechtswidrigen Militäraktionen teilzunehmen, kann nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch schon eine Bestrafung mit einer "bloßen" Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. dazu VwGH Ra 2019/18/0274 unter Hinweis auf VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0705, mwN).

II.3.3. Die im Verfahren behauptete Furcht der bP, in Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, ist nicht begründet. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte aus den im Rahmen der Beweiswürdigung erörterten Gründen zur Überzeugung, dass die bP keiner individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt durch staatliche Organe oder nichtstaatliche Akteure im Herkunftsstaat ausgesetzt war und sie im Fall der Rückkehr dorthin auch keiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt wäre.

II.3.4. Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442). Wie den getroffenen Feststellungen zu entnehmen ist, ist die bP in XXXX aufgewachsen und hat sie auch von dort aus ihre Flucht in die Türkei angetreten. Da die bP sohin jedenfalls aus einem von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebiet stammt, in dem das syrische Regime keine Verfolgungshandlungen setzen kann, wird sich das Risiko im Falle der Rückkehr einer (Zwangs-)Rekrutierung zum Wehrdienst in der syrischen Armee und einer damit in Zusammenhang stehenden Bestrafung ausgesetzt zu sein, nicht manifestieren. Die Furcht der bP vor Verfolgung in Zusammenhang mit der Verpflichtung zum Wehrdienst in den syrischen Streitkräften bzw. einer unterstellten oppositionellen Gesinnung bzw. sonstiger behördlicher Maßnahmen ist daher nicht wohlbegründet.

Auch droht der bP keine Rekrutierung durch bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) oder die SNA (Syrian National Army); diese legen Zivilisten in den von ihnen kontrollierten Gebieten generell keine Wehrdienstpflicht auf. Insofern droht der bP im Rückkehrfall ebenso wenig eine (Zwangs-)Rekrutierung durch die ihre Herkunftsregion kontrollierende Organisation Hay'at Tahrir ash-Sham oder durch die das benachbarte Gebiet kontrollierende Opposition SNA.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat sowie zum persönlichen Profil der bP kann daher nicht erkannt werden, dass ihr im Herkunftsstaat eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende asylrelevante Verfolgung droht. Es ist der bP insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Die Herkunftsregion der bP ist schließlich ohne Kontakt zum syrischen Regime erreichbar, sodass ihr auch keine asylrelevante Verfolgung beim Grenzübertritt droht (vgl. dazu jüngst VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108).

II.3.5. Wie unter Punkt II.2.7.4. beweiswürdigend dargelegt, droht der bP auch keine Verfolgung aufgrund ihrer Asylantragstellung im Ausland sowie der illegalen Ausreise, zumal systematische Menschenrechtsverletzungen gegen Rückkehrer wie beweiswürdigend dargestellt nicht aus den Länderinformationen ersichtlich sind, jedenfalls nicht in den Gebieten, die unter der Kontrolle der HTS stehen.

II.3.6. Eine Verfolgung der bP im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK liegt somit nicht vor und ist der bP sohin nicht die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Darüber hinaus ist das Schwergewicht im vorliegenden Fall im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist nicht revisibel (statt aller VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0149, mwN)

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