BVwG I403 1428797-1

BVwGI403 1428797-15.3.2014

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §75 Abs20
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:I403.1428797.1.00

 

Spruch:

I403 1428797-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL-GRATZEL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Tunesien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.08.2012, Zl. 12 03.857-BAW zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF wird das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsbürger moslemischen Glaubens stellte am 31.03.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, er sei im Sommer 2009 von Tunis nach Libyen und 2 Monate später auf einem Fischerboot nach Italien gereist. Er hätte dann in Mailand gelebt, bis er am 26.03.2012 mit dem Zug nach Wien fuhr. Am 31.03.2012 fuhr er nach Traiskirchen. Italien habe er verlassen, weil er keine Arbeit hatte.

In der Erstbefragung wurde er mit einem EURODAC-Treffer vom 06.09.2004 konfrontiert, nach dem er in Malta gewesen war, was er aber in der Folge bestritt. Als Fluchtgrund gab er an: "Meine Schwester wurde von einem Verwandten des XXXX und von mehreren anderen XXXX vergewaltigt. Ich habe diesen Vergewaltiger namens XXXX zusammengeschlagen. Es kam zu einer Gerichtsverhandlung und ich wurde verurteilt. Deswegen habe ich meine Heimat verlassen. Dieser Vorfall war im Oktober 2008."

Am 23.04.2012 fand im Erstaufnahmezentrum Ost eine weitere niederschriftliche Einvernahme statt. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass die Zustimmung für eine Rücküberstellung durch Malta bereits vorliege. Nachdem er aber erklärt hatte, dass er von Malta nach Tunesien abgeschoben worden war, ergab die Überprüfung, dass dies den Tatsachen entspricht, dass dort ein negativer Asylbescheid erlassen worden war und eine Abschiebung nach einer Inschubhaftnahme tatsächlich stattgefunden hat und somit keine Zuständigkeit Maltas gegeben sei. Daher wurde das Asylverfahren zugelassen.

Eine weitere Einvernahme fand am 02.08.2012 statt. Der Beschwerdeführer erklärte, in Tunesien habe er gemeinsam mit seinem Vater am Markt gearbeitet, Schule habe er keine besucht. Er erklärt auch, dass er bereits seit 2006 in Italien gewesen sei und seine ursprünglichen Angaben falsch waren. Dort habe er Erfahrungen am Bau gesammelt. In Italien habe er keinen Asylantrag gestellt, weil er schlechte Erfahrungen von Malta hatte und nicht in Schubhaft wollte. Er hätte aber gehört, dass es in Österreich besser sei, deswegen habe er hier einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Der Zusammenfassung des Beamten des Bundesasylamtes, dass er den gegenständlichen Asylantrag ausschließlich eingebracht habe, um seinen Aufenthalt hier zu legalisieren und fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu verhindern und seine wirtschaftliche Situation zu verbessern, stimmte der Beschwerdeführer zu.

Mit Bescheid vom 02.08.2012 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde der Beschwerdeführer nach § 10 Abs. 1 AsylG idF nach Tunesien ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die negative Entscheidung wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgungsgefahr hinsichtlich seines Herkunftsstaates Tunesien geltend gemacht hatte.

Dagegen wurde am 14.08.2012 fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher der Beschwerdeführer behauptet, das Verfahren sei mangelhaft gewesen und er sei nicht nur aus ökonomischen Gründen geflüchtet. Zudem verweist er auf Passagen der Länderfeststellungen, in denen berichtet wird, dass die Lage in Tunesien noch immer nicht völlig stabil sei.

Am 19.04.2013 wurde der Beschwerdeführer im Zug von Italien kommend beim Überqueren der Grenze nach Österreich aufgegriffen.

Wie in § 75 Abs. 19 AsylG 2005 idgF vorgesehen, sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 01.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht zu Ende zu führen.

Am 10.02.2014 wurden dem Beschwerdeführer aktuelle Feststellungen zur Situation in Tunesien übermittelt und um Stellungnahme ersucht. Eine solche wurde nicht übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest, da er keinen Identitätsnachweis erbringen konnte. Es gibt keinen Grund, seine Angaben, dass er aus Tunesien stammt und moslemischen Glaubens ist, anzuzweifeln. Fest steht, dass der Beschwerdeführer illegal ins Bundesgebiet eingereist war und bereits einmal von Malta nach Tunesien abgeschoben worden ist.

Fest steht zudem, dass keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Der Beschwerdeführer verfügt über eine aufrechte Meldung im Bundesgebiet.

1.2. Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer brachte keinen Fluchtgrund vor. Er hatte Tunesien aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation verlassen. Den vorgebrachten Verfolgungshandlungen aufgrund seiner angeblichen Racheaktion gegen den Vergewaltiger seiner Schwester ist die Glaubwürdigkeit abzusprechen.

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

1.3. Feststellungen zur Situation in Tunesien:

Tunesien war gemäß der Verfassung von 1959 eine Präsidialrepublik. Art. 1 der Verfassung beschrieb es als freien, unabhängigen und souveränen Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Der Staat war zentralistisch aufgebaut und hatte 24 Gouvernorate. Nach der Revolution vom 14. Januar 2011 mit der Flucht des bisherigen Präsidenten Ben Ali wurde die Verfassung suspendiert und das Parlament aufgelöst. Eine aus Technokraten gebildete Übergangsregierung führte das Land bis zu den Wahlen der Verfassungsgebenden Nationalversammlung am 23. Oktober 2011, die seit ihrer Konstituierung am 22. November 2011 als demokratisch legitimiertes Verfassungsorgan das Land führt.

Aus den Wahlen am 23. November 2011 war die islamisch-konservative Partei Ennahdha ("Wiedergeburt") mit 41 Prozent der Sitze als stärkste Partei hervorgegangen, sie bildete mit zwei kleineren mitte-links Parteien eine Koalitionsregierung. Die politischen Führungspositionen wurden unter den drei Koalitionsparteien aufgeteilt. Präsident der Nationalversammlung wurde Moustapha Ben Jaafar (sozialdemokratisches Forum "Ettakattol"), Premierminister der Übergangsregierung Hamadi Jebali (seit März 2013 durch Ali Laarayedh ersetzt, beide islamisch-konservative Ennahdha) sowie Übergangspräsident Moncef Marzouki (linksliberale CPR, Kongress für die Republik). (Auswärtiges Amt: Tunesien: Innenpolitik, Stand: August 2013)

Im Februar 2013 wurde der Oppositionspolitiker Chokri Belaid ermordet. (APA: Artikel "Erneut bekannter Oppositionspolitiker in Tunesien erschossen" vom 25.Juli 2013) Nach der immer noch ungeklärten Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaid am 06. Februar 2013 trat Premierminister Jebali zurück, nachdem er mit dem Versuch einer Regierungsumbildung gescheitert war. Schließlich bildete der bisherige Innenminister Ali Laarayedh ein neues Kabinett aus Mitgliedern der Koalition und parteilosen Technokraten, das am 13. März 2013 vom Parlament bestätigt wurde. (Auswärtiges Amt: Tunesien: Innenpolitik, Stand: August 2013)

Am 25. Juli 2013 war der Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi wurde vor seinem Haus in Ariana nahe der Hauptstadt Tunis erschossen worden. In diesem Zusammenhang kam es zu Unruhen, die am 09. Jänner 2014 zum Rücktritt des Premierminister Ali Laarayedh führten. Ende Jänner 2014 kam es zu einem Kompromiss: Der parteilose Kompromisskandidat Mehdi Jomaa wurde mit der Regierungsbildung beauftragt. Die aus parteilosen Experten zusammengesetzte Regierung soll das Land in geordnete Neuwahlen führen.

Zudem kam es am 27. Jänner 2014 auch zu einer Verabschiedung der neuen Verfassung, die Gewissensfreiheit und Gleichberechtigung garantieren soll. In Tunis haben die Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung die neue tunesische Verfassung mit großer Mehrheit angenommen. Die Revolutionen in der arabischen Welt hatten zum Jahreswechsel 2010/2011 in Tunesien ihren Anfang genommen. Im Januar 2011 wurde die damalige Verfassung Tunesiens im Zuge der Umbrüche suspendiert, das Parlament aufgelöst und eine Übergangsregierung eingesetzt. Eine verfassungsgebende Nationalversammlung war mit der Ausarbeitung der heute verabschiedeten Verfassung beauftragt. (Auswärtiges Amt Deutschland; vgl. dazu

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_3EB2061E02BE7928C6C4BDBFC8D35DBC/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2014/140127-BM_TUN.html?nn=389500 vom 10.02.2014)

In Tunesien folgten damit weitere vielversprechende Schritte in Richtung eines demokratischen Übergangs. Im Oktober 2011 fanden die ersten freien und geheimen Wahlen statt. (CSS: Analysen zur Sicherheitspolitik: Artikel Tunesien: Hürden des Übergangsprozesses vom Juni 2013)

Eine weitere Beruhigung der Situation wird durch die Festnahme des für den Mord an dem Oppositionspolitikers Brahmi Verdächtigen erwartet. Vgl dazu die Newsmeldung vom 10. Februar 2014:

"In der Nähe von Tunis haben Sicherheitskräfte einen der Mörder des tunesischen Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi festgenommen. Laut Informationen des Innenministeriums wurden bei einem Einsatz gegen eine "Terrorgruppe" in der Nacht zu Sonntag vier Menschen festgenommen. Darunter der Verdächtige, der an der Ermordung Brahmis im Juli 2013 beteiligt gewesen sein soll. Erst vor Kurzem wurde der mutmaßliche Mörder eines zweiten tunesischen Oppositionellen bei einer Polizeirazzia getötet.

Die beiden Morde an den Oppositions-Politikern hatten 2013 eine schwelende politische Krise eskalieren lassen. Viele Tunesier gingen auf die Straße und protestierten gegen die islamistische Regierung. Der Regierungspartei Ennahda wurde eine Mitverantwortung an den von Extremisten verübten Attentaten angelastet. Im Rahmen eines nationalen Dialogs willigte die Partei daraufhin ein, die Regierungsverantwortung abzugeben. Ende Januar wurde eine neue Verfassung verabschiedet und eine Übergangsregierung aus parteilosen Experten eingesetzt. Sie soll Tunesien Parlamentswahlen führen."

(http://de.euronews.com/2014/02/09/mutmasslicher-moerder-von-brahmi-in-tunesien-gefasst/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed: euronews/de/news (euronews+-+news+-+de) Euronews vom 10. Februar 2014)

Tunesien kämpft auch nach der Revolution mit massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen; insbesondere die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und soziale Forderungen der Bevölkerung, u.a. nach Beschäftigung, setzen die Regierung unter Druck. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand: September 2013 vom 30.09.2013, Seite 4)

Sicherheitslage

Aufgrund der Ermordungen hochrangiger Oppositionspolitiker in Tunis - Chokri Belaid am 06.02.2013 und Mohamed Brahmi am 25.07.2013 - fanden jeweils in den darauffolgenden Tagen Großdemonstrationen in mehreren Städten statt, das Stadtzentrum von Tunis wurde abgeriegelt. Im Zuge beider Ermordungen kam es zu Generalstreiks, die von weiteren Ausschreitungen begleitet waren. Vor allem in großen Städten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. (Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten: Tunesien, Stand: 30.09.2013) Aufgrund der neuen Regierung und der Festnahme eines Verdächtigen in Zusammenhang mit dem Mord an Brahmi wird von einer Beruhigung der Lage ausgegangen.

Nach der Revolution im Jahr 2011 spielt das Militär eine größere Rolle für die innere Sicherheit. Die Polizei untersteht dem Innenministerium, die National Guard (Gendarmerie) hat die Hauptverantwortung für die Strafverfolgungsbehörden, die Grenzsicherung und Sicherheit für kleine Städte und Gemeinden unterstehen der Generaldirektion für die nationale Sicherheit. Im Laufe des Jahres 2012 kam es wiederholt zu gewaltsamen Angriffen von Demonstranten und Salafisten auf Polizisten und Sicherheitskräfte und zu Zerstörungen von Polizeistationen. Die Sicherheitskräfte gehen bei Angriffen von Salafisten auf private Personen gegen diese nicht immer wirksam vor. Führende Polizeibeamte führen laufend Schulungen durch, um die Polizeiarbeit zu verbessern. (U.S.

Department of State: Tunisia 2102 Human Rights Report vom 01.04.2013, Seite 2)

Es wurden bereits erste Schritte eingeleitet, um die tunesischen Sicherheitskräfte zu reformieren. Die politische Polizei, die unter Ben Ali Informationen über die Opposition sammelte, wurde aufgelöst. Auch die Ausbildung der Polizeikräfte im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte hat begonnen. (CSS: Analysen zur Sicherheitspolitik: Artikel Tunesien: Hürden des Übergangsprozesses vom Juni 2013)

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. In der Folge des Umsturzes nach dem 14.01.2011 und den sich anschließenden, teilweise noch mit übertriebener Gewalt aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen wurde der Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und Sondereinheiten des Innenministeriums, deutlich.

Die Kluft zwischen Innenbehörden und Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei ("police politique"), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium, dem dieses zunächst nicht im erhofften Maße nachkam. Das Innenministerium der neuen demokratischen Regierung hat aber, insbesondere in den letzten Monaten, weitreichende personelle Konsequenzen gezogen und eine Vielzahl früherer

Verantwortlicher entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Überdies wurden sämtliche Gouverneure und die Mehrzahl der in den Regionen für den Sicherheitsbereich zuständigen Verantwortlichen ausgetauscht. Die Einsetzung eines delegierten Ministers im Kabinettsrang, der die Reform der Innenbehörden vorantreiben soll und die Bemühungen des Innenministers um verstärkte internationale Zusammenarbeit (z.B. durch Besuche in Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien und Großbritannien) sind deutliche Zeichen des Wandels. Das Militär hat in der entscheidenden Phase der Revolution um den 14.01.2011 ausschlaggebende Rolle gespielt. Es hat sich zwischen Polizei und Demonstranten gestellt und in der unübersichtlichen Situation Stellung zugunsten des tunesischen Volkes und gegen die einstigen Machthaber bezogen, welche die Revolution mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern wollten. Das Ansehen der Armee in der Bevölkerung ist hierdurch, wie auch durch ihre Rolle bei der Bewältigung des Zustroms von Schutzsuchenden an der libysch-tunesischen Grenze, deutlich gestiegen. In der Zeit von Mitte Januar bis Ende März 2011 war die Armee durch personelle Präsenz an strategisch wichtigen Punkten (staatliche Einrichtungen, Rundfunk/Fernsehen, Versorgungseinrichtungen, Häfen und Flughäfen, Supermärkte) Garant der inneren Stabilität des Landes, an einigen dieser Punkte besteht auch heute noch Militärpräsenz. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand: September 2013 vom 30.09.2013, Seite 9)

Die wichtigste Aufsichtsbehörde, der Oberstenrat der Richterkammer, die für die Ernennung, Beförderung und Beaufsichtigung der Richter zuständig ist, wurde unter Ben Ali direkt von der Exekutive kontrolliert. Diese Behörde wurde aber nur in Teilen reformiert. (CSS: Analysen zur Sicherheitspolitik: Artikel Tunesien: Hürden des Übergangsprozesses vom Juni 2013)

Die Regierung hat für den Zeitraum 2012-2016 einen strategischen Plan für die Durchführung einer Reform der Justiz angenommen und einen Gesetzesentwurf zur Schaffung eines unabhängigen Justizrates in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung eingereicht. Das Militärgericht ist auch für zivilrechtliche und strafrechtliche Verfahren zuständig.

Im November 2011 wurde ein Dekret zu Schaffung eines "Internationalen Gremiums zur Bekämpfung der Korruption" beschlossen. Im Jahr 2012 ernannte die Regierung einen Minister für "Staatsführung und Bekämpfung der Korruption", der Maßnahmen gegen die Korruption im öffentlichen Dienst einleiten soll und für die Schaffung einer unabhängigen Justiz zuständig ist. (Europäische Kommission: Bericht über die Umsetzung der Maßnahmen und Fortschritte in Tunesien im Jahr 2012, Seite 6)

Eine Reihe hochrangiger Staatsbediensteter, die unter Präsident Ben Ali im Amt gewesen waren, wurden im Zusammenhang mit den Tötungen von Demonstrierenden während der Proteste im Dezember 2010 und Januar 2011 schuldig gesprochen und erhielten lange Haftstrafen. Einige ehemalige Beamte auf unterer und mittlerer Ebene wurden verurteilt und inhaftiert, weil sie persönlich für die Erschießung von Protestierenden verantwortlich waren. Der ehemalige Präsident Ben Ali wurde im Juli von einem Militärgericht in Tunis in Abwesenheit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. (Amnesty International: Tunesien, Amnesty Report 2013 vom 01.06.2013, Seite 2)

Menschenrechte

Die Verfassung von 1959 garantierte die Menschenrechte und eine unabhängige Justiz. In der Regierungszeit des am 14. Januar 2011 gestürzten Präsidenten Ben Ali gab es jedoch in der Praxis erhebliche Defizite. Seit der Revolution sind die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit faktisch gewährleistet sowie die Versammlungsfreiheit wiederhergestellt. (Auswärtiges Amt: Tunesien: Innenpolitik, Stand: August 2013) Weitere Rechte finden sich in der am 27.01.2014 verabschiedeten Verfassung.

Die tunesische Regierung hat die Ratifizierung wichtiger menschenrechtsbezogener VN-Konventionen beschlossen. Zudem ratifizierte Tunesien Anfang Juli 2011 u.a. das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Statut ist für Tunesien zum 01.09.2011 in Kraft getreten.

Tunesien ist an folgende Menschenrechtsabkommen gebunden:

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte;

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte;

Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau; am 23.9.2008

ratifizierte Tunesien auch das Zusatzprotokoll zur 1979 verabschiedeten UN-Konvention für

die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW);

Übereinkommen über die Rechte des Kindes;

Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung;

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die

Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten;

Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend

Kinderhandel, -prostitution und -pornographie;

Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge;

Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge;

Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe;

Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Genozids;

Fakultativprotokoll zur UN-Antifolterkonvention;

Internationale Konvention zum Schutz gegen willkürliches Verschwindenlassen von Personen;

Beide Fakultativprotokolle zum internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte;

Römisches Statut des IStGH.

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand: September 2013 vom 30.09.2013, Seite 16)

Im Januar 2012 schuf die Regierung ein Ministerium für Menschenrechte und Übergangsjustiz. Es soll Strategien zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit entwickeln und den Schutz der Menschenrechte in der Zukunft sicherstellen. Im Mai 2012 wurde die sogenannte Bouderbala-Kommission, eine Untersuchungskommission für Menschenrechte gegründet. Diese soll Menschenrechtsverstöße aufklären, die ab dem 17. Dezember 2010 begangen worden waren. Der Bericht schilderte die Ereignisse während der Massenproteste, die zum Sturz der Regierung von Präsident Ben Ali führten, und verzeichnete die Namen der Getöteten und Verletzten. Die Behörden boten den Angehörigen der Getöteten und den Verletzten Entschädigungszahlungen und medizinische Behandlung an. (Amnesty International: Tunesien, Amnesty Report 2013 vom 01.06.2013, Seite

2)

Bürger haben das Recht Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte anzuzeigen. Fälle von Wiedergutmachungen behaupteter Übergriffe durch Sicherheitskräfte, die aufgrund von Weigerungen der Zusammenarbeit der Behörden von zivilen Gerichten nicht bearbeitet werden, werden von den Militärgerichten durchgeführt. (U.S. Department of State: Tunisia 2012 Human Rights Report vom 01.04.2013)

Die Arbeit unabhängiger Menschenrechtsorganisationen und -verteidiger ist nach Jahren staatlicher Behinderung und Verfolgung nunmehr möglich. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 4)

Strafverfolgungs-und Strafzumessungspraxis

Die Behörden unternahmen Schritte, um das Justizwesen zu reformieren und die Unabhängigkeit der Gerichte zu stärken. Im Mai 2012 entließ der Justizminister 82 Richter wegen Korruptionsvorwürfen. Mehr als 700 Richter erhielten im September vom Obersten Justizrat (Conseil Supérieur de la Magistrature - CSM) neue Aufgabenbereiche zugeteilt oder wurden versetzt bzw. befördert. (Amnesty International: Tunesien, Amnesty Report 2013 vom 01.06.2013, Seite 1)

Während das Gesetz eine unabhängige Justiz vorsieht, werden in der Praxis die gerichtlichen Verfahren stark von der Exekutive beeinflusst, insbesondere bei Klagen gegen Dissidenten und Oppositionelle. Diese führen oft zu langwierigen Gerichtsverhandlungen und harten Urteilen, während religiöse Extremisten bei diversen Vergehen oft keiner Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Im Zivilgerichtsverfahren gilt für Angeklagte die Unschuldsvermutung. Sie haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess, auf unabhängige Geschworene, auf Beistellung eines Rechtsanwaltes und auf das Rechtsmittel der Berufung. Militärgerichte sind dem Verteidigungsministerium unterstellt und haben die Befugnis, Fälle in denen Soldaten und Zivilisten Verbrechen gegen die nationale Sicherheit vorgeworfen werden, abzuurteilen. (U.S. Department of State: 2012 Human Rights Report vom 01.04.2013, Seite 3)

Seit 2005 besteht eine Vereinbarung zwischen der Regierung und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), die es dem IKRK ermöglicht, die Haftanstalten zu besuchen und der Regierung periodisch zu berichten; diese Möglichkeit wird seither auch regelmäßig genutzt. Die IKRK-Berichte werden Dritten nicht zugänglich gemacht. Die Interimsregierung hat auch Human Rights Watch und AI den Zugang zu Gefangenen ermöglicht. Der Präsident verfügt über das Gnadenrecht, von dem Staatspräsident Marzouki anlässlich des ersten Jahrestags der Revolution und des Unabhängigkeitstages umfassend Gebrauch gemacht hat: Die tunesische Regierung entließ am 14.01.2012 9.000 Gefangene vorzeitig aus der Haft und wandelte 122 Todesstrafen in lebenslange Haftstrafen um. Am 20.03.2012 wurden weitere 2.470 Gefangene begnadigt. Seither gab es auch zu den hohen religiösen Feiertagen weitere Begnadigungsaktionen. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 13)

Todesstrafe

Die Todesstrafe kann bei Mord, Vergewaltigung mit Todesfolge und Landesverrat Anwendung finden und wurde auch nach Ende des Ben Ali-Regimes verhängt (nach Angaben von Human Rights Watch vor dem Zusammenbruch des Regimes 136 Verurteilungen); zu einer Vollstreckung ist es aber zuletzt 1992 gekommen. Im Februar 2013 verhängte das Amtsgericht Tunis die Todesstrafe gegen zwei Personen wegen des Mordes an einem jungen Mann im Frühjahr 2011.

Laut Amnesty International wurden 122 frühere Todesurteile am 14.01.2012 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. In der am 22.10.2011 gewählten verfassungsgebenden Versammlung findet sich keine Mehrheit für eine Abschaffung der Todesstrafe, entsprechende Bestrebungen kamen daher im Rahmen des verfassungsgebenden Prozesses nicht zum Zuge. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 17)

Religionsfreiheit

Am 27. Jänner 2014 wurde eine neue Verfassung beschlossen, zu der auch Österreich gratulierte.Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gratulierte schriftlich dazu und meinte "das tunesische Volk [könne] stolz auf die Annahme der Verfassung sein, der modernsten in der Arabischen Welt. So hat der demokratische Geist, der zur Revolution im Land geführt hat schließlich einen historischen Sieg errungen, der ein äußerst wichtiges Signal an die ganze Region aussendet". (Parlamentskorrespondenz Nr. 41 vom 27.01.2014) Die neue Verfassung sieht den Staat als Hüter der Religion, garantiert aber Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau werden ebenfalls festgeschrieben.

Die Regierung unternahm bereits Schritte um die interreligiöse Toleranz für andere religiöse Vereinigungen nicht zu beschränken sondern zu fördern.Die Mehrheit der Bevölkerung sind sunnitische Muslime, ein Prozent der Bevölkerung sind Christen, Juden, Schiiten und Bahai.

In Tunesien leben rund 25.000 Christen, mehrheitlich (22.000) ausländische Katholiken. Der rechtliche Status der katholischen Kirche ist seit 1964 durch einen konkordatsähnlichen Vertrag zwischen der tunesischen Regierung und dem Heiligen Stuhl geregelt. Dieser Vertrag garantiert den Bestand von sieben Kirchenbauten im Land und ermöglicht es auch, bei Bedarf weitere Kirchen zu bauen. Das Missionieren und das Verteilen von religiösem Material sind der katholischen Kirche durch die Vertragsbestimmungen jedoch verboten. Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Tunesische Konvertiten (einige Hundert im Land) werden innerhalb ihres sozialen Umfelds häufig zunächst aufgrund des Übertritts geächtet, mittelfristig aber gesellschaftlich wieder akzeptiert und integriert. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seiten 12-13)

Repressionen Dritter

In der Folge der Ereignisse im Januar 2011 gab es zunächst vereinzelte Berichte zu Plünderungen, Brandstiftungen und zivil gekleideten, vandalisierenden Schlägertrupps. Dieses Phänomen hörte allerdings wenige Wochen nach der Revolution auf. Es wurde vermutet, dass der Auftrag für solche Aktionen von Anhängern des Ben Ali-Regimes kam, die Unruhe stiften und die Rückkehr Ben Alis ermöglichen wollten. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 15)

Der Polizei wurde vorgeworfen, mehrfach nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben, als Künstler, Schriftsteller und andere Personen von religiösen Extremisten gewaltsam attackiert wurden. Die Angreifer waren dem Vernehmen nach zumeist Salafisten (Sunniten, die eine Rückkehr zu den ihrer Meinung nach fundamentalen Prinzipien des Islam fordern). Die Angriffe richteten sich sowohl gegen mutmaßliche Alkoholhändler als auch gegen Kunstausstellungen, Kulturveranstaltungen und andere Anlässe. Berichten zufolge wurden zahlreiche Salafisten nach diesen Übergriffen in Gewahrsam genommen. (Amnesty International: Tunesien, Amnesty Report 2013 vom 01.06.2013, Seite 2)

Verfolgung von ehemaligen staatlichen Funktionsträgern und RCD-Mitgliedern

Ehemalige staatliche Funktionsträger und Mitglieder der Staatspartei RCD unterliegen nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amts keiner spezifischen staatlichen Verfolgung durch die Übergangsregierung. Gezielte Übergriffe durch nichtstaatliche Akteure erfolgten in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit den Ereignissen des 14.01.2011 und waren gegen die Mitglieder der Familien Ben Ali und Trabelsi gerichtet. Zu körperlichen Übergriffen auf andere staatliche Funktionsträger oder Mitglieder der RCD und deren Familien wie auch deren Eigentum liegen keine Erkenntnisse vor. Im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Umsturzphase war festzustellen, dass zwischen den Mitgliedern des "Clans Ben Ali - Trabelsï" und anderen Anhängern sowie Parteimitgliedern und Mitläufern differenziert wurde. Allein an der Zahl von zuletzt ca. 2,5 Mio. Parteimitgliedern der RCD wird deutlich, dass es nicht zu persönlicher Verfolgung aller Mitglieder dieser Gruppe gekommen sein kann. Auch eine Vielzahl von führenden Persönlichkeiten und Entscheidungsträgern des früheren Regimes erfahren rechtsstaatliche Behandlung. Eine Ausnahme hiervon bildet eine Gruppe von früheren Ministern (Innen-, Verteidigungs- und Außenminister) wie auch Parteikadern (Generalsekretäre), die seit mehr als 2 Jahren inhaftiert bzw. vorläufig festgenommen sind und auf ihr Verfahren warten. Geschäftspartner der Familien Ben Ali - Trabelsi unterliegen keiner staatlichen Verfolgung; ein Ausreiseverbot gegen eine Vielzahl von ihnen wie auch Familienmitglieder besteht jedoch fort. Informationen zu einer nichtstaatlichen Verfolgung dieses Personenkreises liegen nicht vor. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand: September 2013 vom 30.09.2013, Seite 15)

Minderheiten

Diskriminierungen aufgrund der Rasse, des Geschlechts, der Behinderung, der Sprache oder des sozialen Status sind gesetzlich verboten. Die Regierung achtet diese Gesetze. (U.S. Department of State: 2012 Human Rights Report vom 01.04.2013, Seite 6)

Minderheiten unterliegen in Tunesien keinen besonderen Beschränkungen. Allerdings ist die tunesische Bevölkerung sehr homogen; nur ein kleiner Teil beruft sich auf seinen berberischen Ursprung.

Grundversorgung/Wirtschaft

Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis. Den größten Anteil am BIP erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (2010: 60 Prozent), gefolgt von der Industrie (32 Prozent) und der Landwirtschaft (8 Prozent). Das Land hat sich durch die Förderung des privaten Sektors und die Integration in die Weltwirtschaft eine gute Position in der Region erarbeitet. Die wirtschaftliche Öffnung hat Tunesien ein solides Wachstum und hohe Direktinvestitionen aus dem Ausland beschert. Die 1995 erfolgte Assoziation mit der EU war ein wichtiger Meilenstein im Aufstieg des Landes in den Kreis der Industrieländer. Am 19. November 2012 wurde Tunesien der Status einer "Privilegierten

Partnerschaft" mit der EU gewährt. 2012 konnte sich die tunesische Wirtschaft wieder deutlich erholen (BIP: +3,5 Prozent). Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor.

Die Arbeitslosigkeit wird auf 18 Prozent geschätzt, wobei junge Menschen, Akademiker und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind. Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt. Durch die Konzentration auf spezifische Sektoren und die Verbesserung der Infrastruktur und Vernetzung sollen private Investitionen in allen Regionen gefördert werden. (Auswärtiges Amt: Tunesien: Wirtschaft, Stand: August 2013)

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut. Neben Libyen hat Tunesien das höchste jährliche pro Kopf-Einkommen in Nordafrika (aktuellster Stand (2010): ca. 2.600 Euro/Jahr). Es existiert ein an das Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem (CNSS). Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten werden überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen, deren Zusammenhalt allerdings schwindet. Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Die Interimsregierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 19).

Das Arbeitsgesetz regelt eine Reihe von Mindestlöhnen. Die Regierung konnte nach einigen Verhandlungen einen Anstieg des Mindestlohns, vor allem im Bereich der Industrie und im Agrarbereich, erwirken. Trotzdem leben, nach einem Bericht Sozialministers, 24,7% der Bevölkerung mit weniger als € 2,-- pro Tag. (U.S. Department of State: 2012 Human Rights Report vom 01.04.2013, Seite 9)

Situation von Frauen

Frauen sind spätestens seit den 60er Jahren Männern rechtlich weitgehend gleichgestellt. Die Vielehe ist abgeschafft. Frauen können die Scheidung einreichen und Unterhaltsansprüche gerichtlich geltend machen. Dies gilt auch für das Sorgerecht, mit der Einschränkung, dass minderjährige tunesische Kinder das Land nur mit ausdrücklicher Zustimmung ihres Vaters oder des Vormundschaftsgerichts verlassen können. Die Stimme einer Frau als Zeugin in einem Gerichtsverfahren hat dasselbe Gewicht wie die eines Mannes. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand:

September 2013 vom 30.09.2013, Seite 14)

Frauen werden weiterhin durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert. Der UN-Menschenrechtsrat empfahl im Rahmen der universellen regelmäßigen Überprüfung, Gesetze abzuschaffen, die Frauen in Bezug auf das Erbrecht und das Sorgerecht für Kinder benachteiligten. Dies wurde von der Regierung jedoch zurückgewiesen. Das Strafgesetzbuch enthielt nach wie vor zahlreiche diskriminierende Regelungen. So konnte ein Täter, der eine minderjährige Frau entführt oder vergewaltigt hatte, der Strafverfolgung entgehen, indem er das Opfer heiratete. (Amnesty International: Tunesien, Amnesty Report 2013 vom 01.06.2013, Seite

3)

Das Strafgesetzbuch verbietet ausdrücklich Vergewaltigung einschließlich Vergewaltigung in der Ehe. Auch häusliche Gewalt durch einen Ehepartner oder einem Familienmitglied sind strafbar. Die Durchsetzung dieser Gesetze gelingt nur teilweise, weil Frauen diese Gewalttaten aus Furcht vor Repressalien selten zur Anzeige bringen. (U.S. Department of State: 2012 Human Rights Report vom 01.04.2013, Seite 7)

Es wird abzuwarten sein, wieweit die neue Verfassung vom 27.01.2014, welche die Gleichberechtigung von Mann und Frau festlegt, zu Verbesserungen im Alltag führen wird.

Öffentliches Gesundheitssystem

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau, d.h. es kann in Einzelfällen, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich aber um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema. In Einzelfällen ist eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich. (Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik, Stand: September 2013 vom 30.09.2013, Seite 19).

In der Stadt Tunis herrscht kein Mangel an praktischen Ärzten und an Fachärzten mit guter Ausbildung. Die Ärzteschaft erreicht fast immer europäischen Standard. In größeren Städten sind an die Spitäler Kliniken aller Fachrichtungen angeschlossen. (Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten: Tunesien, Stand:

30.09.2013)

Behandlung von Rückkehrern

An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich nach Kenntnis des Auswärtigen Amts nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in § 35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.05.1975 zu rechnen (Arbeitsübersetzung des Auswärtigen Amtes):

"Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 DT und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Die in diesem Paragraphen aufgeführten Strafen kommen jedoch nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten."

Die meisten Rückkehrwilligen reisen nach Tunis (30 %), Sfax (28 %), Mahdia (7 %) und Kairouan (7 %). Die Regierung in Tunesien hat 27 Projekte für Rückkehrer anerkannt. Die Projektbereiche sind:

Agrarbereich, Eröffnungen diverser Kleinbetriebe, Fischereibereich und Aufbau einer Infrastruktur. Alle Teilnehmer, die solche Projekte in Angriff nehmen möchten, sind zudem verpflichtet, an einer einwöchigen Schulung der Arbeitsagentur ANETI (Agence Nationale de l'Emploi et du Travail Indépendant) teilzunehmen. (Bundesamt für Migration und Flüchtlingshilfe und IOM: Schweizerische Rückkehrhilfe, Newsletter vom Dezember 2012)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

Das Bundesasylamt hat mit dem Beschwerdeführer eine ausführliche Befragung durchgeführt. Der aufgrund dieser ausführlichen Befragung festgestellte Sachverhalt, dessen Beweiswürdigung und ausführliche Länderfeststellungen zu Tunesien finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. Da die vom Bundesasylamt herangezogenen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen des Bundesasylamtes zu zweifeln. Festzustellen ist, dass das Bundesasylamt im o.a. Bescheid der gegenständlichen Entscheidung ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zugrunde gelegt hat.

2.2. Das Bundesasylamt hat im angefochtenen Bescheid in seiner Beweiswürdigung schlüssig dargelegt, dass im Falle des Beschwerdeführers keine Fluchtgründe im Sinne der Genfer Konvention vorliegen. Der Beschwerdeführer hatte sich bei der Erstbefragung als Fluchtgrund darauf bezogen, dass er den Mann, der seine Schwester vergewaltigt hatte, zusammengeschlagen hatte und dann verurteilt worden sei. Dieser Vorfall habe sich im Oktober 2008 ereignet. Die Aussagen in der Erstbefragung waren insgesamt von geringer Glaubwürdigkeit. So widersprach er vehement dem Umstand, dass er in Malta gewesen war. In späteren Befragungen gab er dies zu, ging niemals mehr auf den oben erwähnten angeblichen Fluchtgrund ein und erklärte zudem, er sei bereits 2006 nach Italien gereist und habe dann dort gelebt. Dies widerspricht der Angabe in der Erstbefragung, dass er sich im Oktober 2008 am Vergewaltiger seiner Schwester gerächt hätte. Zudem gab er bei der Befragung am 02.08.2012 auf die Frage, ob er jemals Probleme mit Behörden wie der Polizei gehabt hätte, zu Protokoll: "Nein, niemals. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt meines Lebens in Tunesien mit staatlichen Stellen zu tun." Das Vorbringen in der Erstbefragung erscheint völlig unglaubwürdig, dem tritt auch die Beschwerde nicht substantiiert entgegen.

2.3. Durchaus glaubwürdig ist dagegen, dass der Beschwerdeführer Tunesien aufgrund einer schwierigen ökonomischen Situation verließ. Dies ergibt sich beispielsweise aus Auszügen aus der Niederschrift zur Einvernahme vom 02.08.2012:

F: waren Sie jemals konkreten persönlichen Verfolgungshandlungen seitens heimatlicher Behörden, staatlicher Regierungsstellen aufgrund Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, Rasse, politischen Gesinnung, religiösen Glaubensrichtung, sozialen Stellung ausgesetzt?

A: Nein, niemals. Wir sind nette Leute dort, weder ich noch meine Familie hatte jemals Probleme im Heimatland wegen solcher Sachen.

F: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr nach Tunesien?

A: Keine Arbeit. Kein Geld. Keine Perspektiven. Den Bewohnern meines Viertels in Tunis geht es allen nicht gut. Es gibt dort wenig Arbeit und die Armut ist ein guter Auslöser für hohe Kriminalität.

2.4. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierten Rechte und Freiheiten verletzt worden sind - wozu u.a. das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Artikel 7), das Asylrecht (Artikel 18) sowie der Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung (Artikel 19) zählen -, ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Überdies gilt die Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Jedoch ist das in Artikel 47 Absatz 2 der Charta gewährleistete Recht - wie sich aus deren Artikel 52 ergibt - nicht schrankenlos garantiert und ist die in § 24 Abs. 4 VwGVG vorgesehene Einschränkung der Verhandlungspflicht im Sinne des Artikel 52 Absatz 1 der Charta zulässig, zumal sie gesetzlich vorgesehen ist und den Wesensgehalt des in Artikel 47 Absatz 2 der Charta verbürgten Rechtes achtet. Da eine möglichst rasche Entscheidung über Asylanträge eine Zielsetzung der Union ist, der hoher Stellenwert zukommt (vgl. etwa Erwägungsgrund 11 der Präambel der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2005 [Asyl-VerfahrensRL]) und der Entfall der Verhandlung in Fällen, wo die maßgeblichen Feststellungen ohne mündliche Erörterung getroffen werden können, ohne dass dies zu einer Verminderung der Qualität der zu treffenden Entscheidung führen würde, zur Erreichung dieses Zieles auch geeignet ist, erfüllt die in § 24 Abs. 4 VwGVG vorgesehene vorgesehene Einschränkung auch die im letzten Satz des Artikels 52 Absatz 1 der Charta normierte Voraussetzung. In diesem Zusammenhang ist zudem ferner auf die jüngsten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs (VfGH 14.03.2012, U 466/11-18; 14.03.2012, U 1836/11-13) zu verweisen, in welchen dieser ausführte: "Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist, steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde."

Dies ist im gegenständlichen Fall gegeben. Im Übrigen wird in diesen Zusammenhang der Vollständigkeit halber auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes U 2121/11-6 von 14.03.2012 verwiesen, wonach u.a. auch im Zusammenhang mit der Frage der Integration von keinen außergewöhnlichen Umstand ausgegangen wurde, der eine Verhandlung notwendig erscheinen hat lassen. Vgl zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten des VwGvG: AsylGH 30.05.2012, C8 408.105-1/2009.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war, Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen und eine initiative Darlegung für die Entscheidungsfindung relevanten Umstände, die durch die weitere Hinterfragung zu klären gewesen wären, nicht erforderlich war.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Verfahrensbestimmungen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

3.2. Prüfungsumfang, Übergangsbestimmungen

Gemäß § 75 Absatz 19 AsylG 2005 idF BGBl I 144/2013 sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,

4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, oder

6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 aberkannt wird,

so hat das Bundesverwaltungsgericht gem. § 75 Ab. 20 AsylG in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Zu A)

3.3. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH E vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose.

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

Eine Verfolgung, d.h. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann weiters nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH 27.01.2000, Zl. 99/20/0519, VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 2000/20/0291, VwGH 07.09.2000, Zl. 2000/01/0153, u.a.).

Im gegenständlichen Fall sind die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund nicht gegeben. Der Beschwerdeführer vermochte nämlich keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Die nur im Rahmen der Erstbefragung vorgebrachten Probleme, ausgelöst durch die angebliche Vergewaltigung seiner Schwester, stehen im Widerspruch zu seinen sonstigen Angaben bzw. wurden nicht glaubwürdig vorgebracht.

Die belangte Behörde befindet sich im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn sie davon ausgeht, dass wirtschaftliche Gründe in der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Weise keine asylrechtlich relevante Verfolgung zu begründen imstande sind (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erk. d. VwGH vom 28.06.2005, 2002/01/0414 oder vom 06.03.1996, 95/20/0110 oder vom 20.06.1995, 95/19/0040).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer keinen Fluchtgrund gemäß Genfer Flüchtlingskonvention vorgebracht hat. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides (Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten) war daher der Erfolg versagt.

3.4. Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

Hinsichtlich der Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides (Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten) ist Folgendes anzuführen:

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden, dessen Asylantrag abgewiesen wurde, zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gefahr im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Art. 2 EMRK lautet:

"(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.

(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:

a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;

b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;

c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."

Während durch das 6. ZPEMRK die Todesstrafe weitestgehend abgeschafft wurde, erklärt das 13. ZPEMRK die Todesstrafe als vollständig abgeschafft.

Art. 3 EMRK lautet: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden."

Folter bezeichnet jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund, wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigendem Einverständnis verursacht werden. Der Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind (Art. 1 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984). Unter unmenschlicher Behandlung ist die vorsätzliche Verursachung intensiven Leides unterhalb der Stufe der Folter zu verstehen (Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht 10. Aufl. (2007), RZ 1394), unter einer erniedrigenden Behandlung die Zufügung einer Demütigung oder Entwürdigung von besonderem Grad (Näher Tomasovsky, FS Funk (2003) 579; Grabenwarter, Menschenrechtskonvention 134f).

Art. 3 EMRK enthält keinen Gesetzesvorbehalt und umfasst jede physische Person (auch Fremde), welche sich im Bundesgebiet aufhält. Die Ausweisung eines Fremden kann eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle ihrer Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele:

VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, auch wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates dahingehend, dass er für ein "ausreichend reales Risiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren"", derselbe in Migralex: "Abschiebeschutz von Traumatisierten"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.)

Der EGMR geht weiters allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische od. sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vg. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gem. der Judikatur des EGMR muss der Beschwerdeführer die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich) wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt -so weit als möglich- Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005).

Auch nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder nicht effektiv verhinderbaren Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, Zl. 95/18/1293, VwGH 17.7.1997, Zl. 97/18/0336). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre (VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua), gesundheitliche (VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601) oder finanzielle (vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099) Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Voraussetzung für das Vorliegen einer relevanten Bedrohung ist auch in diesem Fall, dass eine von staatlichen Stellen zumindest gebilligte oder nicht effektiv verhinderbare Bedrohung der relevanten Rechtsgüter vorliegt oder dass im Heimatstaat des Asylwerbers keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht (mehr) vorhanden ist und damit zu rechnen wäre, dass jeder dorthin abgeschobene Fremde mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 8 Abs. 1 AsylG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 26.6.1997, 95/21/0294).

Der VwGH geht davon aus, dass der Beschwerdeführer vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in seinem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr betroffen zu sein. Wird dieses Wahrscheinlichkeitskalkül nicht erreicht, scheidet die Gewährung von subsidiärem Schutz somit aus.

Umgelegt auf den gegenständlichen Fall werden im Lichte der dargestellten nationalen und internationalen Rechtsprechung folgende Überlegungen angestellt:

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Auch wenn im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers die Todesstrafe praktiziert wird, so müssten konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt wäre. Nachdem keine derartige Gefährdung geltend gemacht wurde, liegt auch keine reale Gefahr einer Verletzung des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe vor.

Da sich der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers auch nicht im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, kann bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht festgestellt werden, dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht.

Insgesamt kann auch festgestellt werden, dass sich Tunesien nach Meistern der Krise im Jahr 2013 - insbesondere auch durch die neue Verfassung - auf einem guten Weg zur Umsetzung von mehr Demokratie und Rechtsstaat befindet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, Zl. 200/01/0443). Zur individuellen Versorgungssituation des Beschwerdeführers wird festgestellt, dass dieser im Herkunftsstaat über eine hinreichende Existenzgrundlage verfügt.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen Menschen. Der Beschwerdeführer war auch in der Vergangenheit in der Lage, einer Beschäftigung nachzugehen und hierdurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Darüber hinaus ist es dem Beschwerdeführer unbenommen, gegebenenfalls Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden. Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über Familie in seinem Herkunftsstaat. Aufgrund der oa. Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Krankheitsbedingte Abschiebehindernisse kamen ebenfalls nicht hervor. Hinsichtlich seiner Asthmaerkrankung gab der Beschwerdeführer an, dass er, seit er in Österreich sei, diesen nicht mehr benütze. Ebenso ist davon auszugehen, dass Österreich im Bedarfsfall in der Lage wäre, im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichende medizinische Begleitmaßnahmen zu setzen (VwGH 25.4.2008, 2007/20/0720 bis 0723, VfGH v. 12.6.2010, Gz. U 613/10-10 und die bereits zitierte Judikatur; ebenso ho. Erk. vom 12.3.2010, B7 232.141-3/2009/3E und ho. Erk. vom 19.12.2012, E10 430719-1/2012/5E mwN).

Weitere, in der Person des Beschwerdeführers begründete Rückkehrhindernisse können bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen ebenfalls nicht festgestellt werden.

Aufgrund der getroffenen Ausführungen ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht vernünftiger Weise (VwGH 9.5.1996, Zl.95/20/0380) damit rechnen muss, in seinem Herkunftsstaat mit einer über die bloße Möglichkeit (z.B. VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, VwGH vom 14.10.1998. Zl. 98/01/0262) hinausgehenden maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer aktuellen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194) Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt zu sein, weshalb die Gewährung von subsidiären Schutz ausscheidet.

Somit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen.

3.5. Zurückverweisung zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung

§ 75 Abs. 20 AsylG lautet:

"Bestätigt das Bundesverwaltungsgericht in den Fällen des Abs. 18 und 19 in Bezug auf Anträge auf internationalen Schutz

1. den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes,

2. jeden weiteren einer abweisenden Entscheidung folgenden zurückweisenden Bescheid gemäߧ 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

3. den zurückweisenden Bescheid gemäß § 4 des Bundesasylamtes,

4. jeden weiteren einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 4 folgenden zurückweisenden Bescheid gemäß § 68 Abs. 1 AVG des Bundesasylamtes,

5. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des Asylberechtigten gemäß § 7

aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

kommt, oder

6. den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäߧ 9 aberkannt wird,

so hat das Bundesverwaltungsgericht in jedem Verfahren zu entscheiden, ob in diesem Verfahren die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist oder das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt zurückverwiesen wird. Wird das Verfahren zurückverwiesen, so sind die Abwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich des Nichtvorliegens der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung für das Bundesamt nicht bindend. In den Fällen der Z 5 und 6 darf kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegen."

Im gegenständlichen Fall wurden weder der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG zuerkannt.

Es sind im Verfahren keine Aspekte einer außergewöhnlichen schützenswerten dauernden Integration hervorgekommen, dass allein aus diesem Grunde die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären wäre. Inwieweit eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Rechts auf ein Familien- und Privatleben darstellen würde, ist insofern nicht erkennbar. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher diesfalls die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach der neuen Rechtslage neu zu prüfen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

3.6. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; dazu sei auf die im Text angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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