VwGH 90/09/0152

VwGH90/09/015213.12.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen vom 14. August 1990, Zl. 05.087-DK/90, betreffend Disziplinarverfahren (Einleitungsbeschluß), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §49 Abs1;
AVG §49;
AVG §50;
AVG §56;
BDG 1979 §105 Z1;
BDG 1979 §107 Abs1;
BDG 1979 §110;
BDG 1979 §111;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs2;
BDG 1979 §124 Abs1;
BDG 1979 §124 Abs7;
BDG 1979 §44 Abs1;
BDG 1979 §46 Abs1;
BDG 1979 §46 Abs5;
B-VG Art90 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
RAO 1868 §8;
RAO 1868 §9 Abs2;
RAO 1868 §9;
VStG §33 Abs2;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §49 Abs1;
AVG §49;
AVG §50;
AVG §56;
BDG 1979 §105 Z1;
BDG 1979 §107 Abs1;
BDG 1979 §110;
BDG 1979 §111;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs2;
BDG 1979 §124 Abs1;
BDG 1979 §124 Abs7;
BDG 1979 §44 Abs1;
BDG 1979 §46 Abs1;
BDG 1979 §46 Abs5;
B-VG Art90 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
RAO 1868 §8;
RAO 1868 §9 Abs2;
RAO 1868 §9;
VStG §33 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Gruppeninspektor der Zollwache in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist das Zollamt K.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die belangte Behörde am 30. Juli 1990 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Im Spruch dieses Bescheides wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe seine Dienstpflichten gemäß § 44 Abs. 1 und § 46 Abs. 1 BDG 1979 dadurch verletzt, daß er der Weisung des Vorstandes des Zollamtes K vom 20. Feber 1990, zur Beschwerde der Diplomgeologin Birgit A vom 21. Jänner 1990 eine eingehende Stellungnahme bis 1. März 1990 abzugeben, nicht nachgekommen sei, sondern lediglich seinen Rechtsanwalt beauftragt habe, in seinem Namen eine Stellungnahme abzugeben, welche mit Schriftsatz vom 28. Feber 1990 erfolgt sei. Ferner wird der Beschwerdeführer beschuldigt, seine Gehorsamspflicht auch dadurch verletzt zu haben, daß er am 2. März 1990 trotz der Weisung, in derselben Sache mündlich auszusagen, keine Angaben gemacht und statt dessen den Antrag auf Abhandlung im schriftlichen Wege gestellt habe, um durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt eine ergänzende Stellungnahme abgeben zu können. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Wesenselement des Dienstvertrages nach dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, aber auch der Dienstpflichten des Beamten gemäß dem 6. Abschnitt des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 sei es, daß es sich bei der Verpflichtung zur Dienstleistung um eine höchstpersönliche Pflicht handle, bei der eine Vertretung grundsätzlich ausgeschlossen sei, also die Dienstpflichten durch den Verpflichteten (Beamten) nicht einer anderen Person übertragen werden könnten. Der Beschwerdeführer sei der am 20. Feber 1990 vom Vorstand des Zollamtes K erteilten Weisung, eine Stellungnahme zur Darstellung der Dienstaufsichtsbeschwerde der Birgit A abzugeben, nur durch ein Schreiben seines Rechtsanwaltes vom 28. Feber 1990 nachgekommen und habe in der Folge am 2. März 1990 sich geweigert, zu Fragen des Amtsvorstandes Stellung zu nehmen. Die im § 44 Abs. 1 BDG 1979 normierte Unterstützungs- und Gehorsamspflicht habe auch den Zweck, dem Vorgesetzten die Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben zu ermöglichen. Auf Grund der exponierten Tätigkeit im Rahmen der Finanzverwaltung und der damit verbundenen unmittelbaren Auswirkungen auf die finanziellen Bereiche der Parteien sei ganz allgemein eine höhere Bereitschaft der betroffenen Parteien gegeben, sich beschwert zu fühlen und in der Folge Beschwerdeschreiben an die mit der Dienstaufsicht befaßten Organe heranzutragen. In den seltensten Fällen ergebe sich nach Erledigung der entsprechenden Berichtsaufträge, daß ein begründeter Verdacht einer Dienstpflichtverletzung hervorkomme. In den überwiegendsten Fällen sei es nicht einmal erforderlich, im Sinne des § 45 Abs. 1 BDG 1979 aufgetretene Fehler und Mißstände "abzustellen". Bei dem Berichtsauftrag vom 20. Feber 1990 an den Beschwerdeführer habe es sich noch nicht um Vorerhebungen des Dienstvorgesetzten im Sinne des § 109 Abs. 1 BDG 1979, sondern um eine im Rahmen der Wahrnehmung der Dienstpflichten gemäß § 45 Abs. 1 BDG 1979 erteilte Weisung gemäß § 44 Abs. 1 leg. cit. gehandelt. Aber selbst wenn es sich um Vorerhebungen im Sinne des § 109 Abs. 1 BDG 1979 gehandelt hätte, so könnten solche Vorerhebungen nicht als Disziplinarverfahren angesehen werden. Denn in der Praxis lasse sich kaum abgrenzen, ob die Weisung, Bericht zu erstatten, an den Beamten ergehe, um aufgetretene Fehler oder Mißstände aufzudecken und abzustellen oder ob ein (begründeter oder noch nicht ausreichend begründeter) Verdacht einer Dienstpflichtverletzung bestehe. Diese Vorerhebungen seien also die Summe interner dienstlicher Erhebungen, die der Vorgesetzte im Rahmen seiner Aufsichtspflicht zu treffen habe. Sie seien nicht Disziplinarverfahren. Mangels ausdrücklicher gegenteiliger Anordnung würden für jeden der Dienstaufsicht unterworfenen Beamten - selbst im Rahmen der Vorerhebungen nach § 109 Abs. 1 BDG 1979 - die im Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 normierten "Dienstpflichten gegenüber Vorgesetzten" gelten:

Selbst der "verdächtige Beamte" habe lediglich die Stellung eines weisungsunterworfenen Organwalters. Zur Aussage- und Wahrheitspflicht sei jedoch anzumerken, daß dem Beamten, der tatsächlich eine Dienstpflichtverletzung begangen habe, dies jedoch im Rahmen des Berichtsauftrages unter Verletzung der Wahrheitspflicht gegenüber seinem Vorgesetzten verschleiere, nach der Lehre von der mitbestraften Nachtat Straffreiheit für die Verdunkelungshandlung zugute komme, sofern nicht ein überschießender Unrechtsgehalt vorliege. Keinesfalls bestehe jedoch das Recht, sich bei der Erfüllung der Dienstpflicht der weisungsgemäßen Berichterstattung vertreten zu lassen. Es habe der Beamte seine Dienstpflicht höchstpersönlich zu erfüllen. Zur Verletzung der Amtsverschwiegenheit sei auszuführen, daß der Beschwerdeführer durch die oben dargestellte, gesetzlich nicht gedeckte Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes, ihm ausschließlich aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordene Tatsachen, deren Geheimhaltung im überwiegenden Interesse der Parteien geboten gewesen sei, jemandem offenbart habe, dem er nicht nur keine amtliche Mitteilung zu machen hätte, sondern dem gegenüber eben zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen wäre. Keine Bedeutung komme in diesem Zusammenhang der Tatsache zu, daß der Rechtsanwalt an sich im Rahmen seiner Vertretungstätigkeit ohnedies der eigenen Verschwiegenheitspflicht unterliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde legte die Disziplinarakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht darauf verletzt, daß ein Disziplinarverfahren gegen ihn nicht ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 123 BDG 1979 eingeleitet werde, durch unrichtige Auslegung des § 44 Abs. 1 sowie des § 109 Abs. 1 BDG 1979 verletzt. Er trägt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes vor, der Vorwurf im angefochtenen Bescheid, er sei der Weisung des Vorstandes des Zollamtes K auf Abgabe einer Stellungnahme bis 1. März 1990 nicht nachgekommen, sondern hätte "lediglich" durch seinen ausgewiesenen Rechtsfreund fristgerecht eine Stellungnahme abgegeben, könne niemals Inhalt eines Disziplinarverfahrens sein, weil schon allein durch die schweren, im Falle des Zutreffens strafbaren Vorwürfe im Beschwerdebrief der Birgit A hervorgehe, daß die Dienstbehörde Ermittlungen darüber anstelle, ob die die Zollabfertigung durchführenden Zollwachebeamten ihren Dienstpflichten nachgekommen seien bzw. ob die Beamten die von ihnen zu erwartende Leistung erbracht hätten. Solche Ermittlungen (in Form der gewünschten Stellungnahme durch den Beschwerdeführer) könnten demgemäß in einem Disziplinarverfahren oder in einem Leistungsfeststellungsverfahren enden. Zwar sei streng formell mit einem solchen Berichtsauftrag in Form einer Stellungnahme keines der beiden eben genannten Verfahren eingeleitet, doch sei im vorliegenden Falle eben wegen der Schwere der unterstellten Vorwürfe die Beiziehung eines Rechtsanwaltes unbedingt erforderlich gewesen, weil eine solche Stellungnahme ein wesentlicher Ausgangspunkt für mögliche Vorerhebungen oder Voruntersuchungen sein könne. Wenn jedoch auch nur die Möglichkeit eines solchen Überganges in ein späteres Stadium eines Disziplinarverfahrens gegeben sei, dürfe die Beiziehung eines Rechtsanwaltes nicht zum Anlaß für disziplinarrechtliche Schritte genommen werden. Grundsätzlich sei zu unterscheiden, ob die Abgabe einer Stellungnahme eine dienstliche Aufgabe sei oder in den Bereich des Dienstrechtes falle. Die Verpflichtung zur Dienstleistung sei unzweifelhaft und unbestritten eine höchstpersönliche Pflicht; der eigentliche Dienst könne von Beamten nur persönlich verrichtet werden. Anders verhalte es sich jedoch im Dienstrecht. Gemäß § 10 Abs. 1 AVG könnten sich die Beteiligten eines Rechtsbeistandes bedienen. Das Recht des Beschuldigten auf Beiziehung eines Anwaltes im Disziplinarverfahren sei in § 107 Abs. 1 BDG 1979 geregelt. In beiden Fällen gebe es jedoch keine Amtsverschwiegenheitspflicht gegenüber dem Rechtsvertreter bzw. Verteidiger. Selbst dann, wenn die Information an den Rechtsanwalt nicht hätte weitergegeben werden dürfen, könne es zu keiner disziplinären Verurteilung kommen, weil das notwendige Tatbildmerkmal der Schuldhaftigkeit bei der zur Last gelegten Dienstpflichtverletzung fehle.

Die Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission nach Einlangen der Disziplinaranzeige die Disziplinarkommission zur Entscheidung darüber einzuberufen, ob ein Disziplinarverfahren durchzuführen ist. Notwendige Ermittlungen sind von der Dienstbehörde im Auftrag der Disziplinarkommission durchzuführen.

Die Ermittlungen haben dabei das Ziel zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegeben sind. Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, die die Annahme einer Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Ferner ist von der Disziplinarkommission zu prüfen, ob keine Einstellungsgründe offenkundig gegeben sind. Nach KUCSKO-STADLMAYER (vgl. Das Disziplinarrecht der Beamten, Seite 533 ff) hat die Disziplinarkommission in dem der Einleitung vorausgehenden Verfahren nicht positiv zu prüfen, ob eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung begangen wurde, sondern - negativ - zu erheben, ob nicht ein Grund für die Einstellung des Verfahrens offenkundig vorliegt. Die Kommission muß somit bei Fällung des Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob ein bestimmter Beamter eine Dienstpflichtverletzung begangen hat oder nicht. Erst im nachfolgenden Verfahren ist ausdrücklich vorgesehen, daß der Sachverhalt "ausreichend" zu klären ist (§ 124 Abs. 1 BDG 1979).

Ein Verdacht kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes immer nur auf Grund einer Schlußfolgerung aus Tatsachen entstehen. Ohne Tatsachen - wie weit sie auch vom (vermuteten) eigentlichen Tatgeschehen entfernt sein mögen - gibt es keinen Verdacht. Ein Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. "Verdacht" ist mehr als eine bloße Vermutung. Es kommt auf die Kenntnis von Tatsachen an, aus denen nach der Lebenserfahrung auf ein Vergehen geschlossen werden kann. Bloße Gerüchte und vage Vermutungen allein reichen für die Einleitung eines Verfahrens nicht aus (vgl. z.B. erst jüngst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0107).

Da gegen den Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gemäß § 123 Abs. 2 letzter Satz BDG 1979 kein Rechtsmittel zulässig ist, ist damit der Instanzenzug erschöpft und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Der Beschluß, das Disziplinarverfahren gemäß § 123 Abs. 2 BDG 1979 einzuleiten, ist nicht bloß eine prozessuale Verfügung, sondern er gestaltet vielmehr das bestehende Dienstverhältnis (vgl. dazu z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. November 1976, Zl. 1337/75, VwSlg. 9168/A und vom 27. April 1989, Zl. 89/09/0014).

Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin gelegen, dem einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Dies ist schon deshalb erforderlich, um klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0143, VwSlg. 11.938/A und vom 27. April 1989, Zl. 89/09/0014).

Der Bescheid, durch den das Disziplinarverfahren eingeleitet wird und für dessen weiteren Gang er eine Prozeßvoraussetzung bildet, dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluß begrenzt regelmäßig den Umfang einer durchzuführenden Untersuchung und des vor den Disziplinarkommissionen stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluß in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens war (vgl. VfSlg 5523/1967, 7016/1973). Eine selbständige, bindende Feststellung über die Schuld des betroffenen Beamten enthält der Einleitungsbeschluß nicht; er stellt nur eine vorläufige Meinungsäußerung der zuständigen Disziplinarbehörde dar, daß der Beschuldigte eines Dienstvergehens verdächtigt sei und daß bei der Schwere des Vorwurfs über Schuld und Strafe im Disziplinarverfahren entschieden werden müsse. Er ist also nicht in sich abgeschlossen, sondern - wie sein Name besagt - lediglich dazu bestimmt, das Disziplinarverfahren einzuleiten, sofern nicht schon vorher eine Einstellung erfolgt.

Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides erhobenen § 44 Abs. 1 BDG 1979 hat der Beamte seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen. Vorgesetzter ist jeder Organwalter, der mit der Dienst- oder Fachaufsicht über den Beamten betraut ist.

Diese Bestimmung regelt in spezieller Weise das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid zunächst davon aus, der Beschwerdeführer stehe deshalb im Verdacht, seine in § 44 Abs. 1 BDG 1979 normierten Dienstpflichten verletzt zu haben, weil er der Weisung des Vorstandes des Zollamts K vom 20. Feber 1990, zur Dienstaufsichtsbeschwerde der Birgit A vom 21. Jänner 1990 eine eingehende Stellungnahme abzugeben, nicht nachgekommen sei, sondern "lediglich seinen Rechtsanwalt beauftragt habe, in seinem Namen eine Stellungnahme abzugeben."

Feststellungen in der Richtung, daß eine PERSÖNLICHE Stellungnahme des Beschwerdeführers ausdrücklich gefordert worden sei, wurden im angefochtenen Bescheid nicht getroffen. Wie daher die konkrete Weisung des Vorstandes des Zollamtes K gelautet hat, ist weder dem angefochtenen Bescheid, noch der Aktenlage, zu entnehmen.

Unabhängig von diesem Feststellungsmangel erweist sich die Rechtsauffassung der belangten Behörde aus folgenden Gründen als rechtswidrig:

Gemäß § 124 Abs. 7 BDG 1979 darf der Beschuldigte zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht gezwungen werden.

INNERHALB eines Disziplinarverfahrens (d. h. ab seiner Anhängigkeit bis zum förmlichen Abschluß) ist der (beschuldigte) Beamte gegenüber der Aufforderung zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme (Sachverhaltsdarstellung) bzw. zu einer Aussage zu einem Vorfall berechtigt, eine Auskunft zu verweigern. Dieses in § 124 Abs. 7 BDG 1979 geregelte Recht ist auf ein allgemeines Auskunftsverweigerungsrecht im Falle einer sanktionsbedrohten Selbstbezichtigung zurückzuführen ("nemo tenetur se ipsum accusare"), das auch im Disziplinarverfahren, und zwar in allen Stadien, also auch für die Vorermittlungen gilt.

Im Beschwerdefalle geht der Rechtsstreit um die Frage, ob ein Beamter AUSZERHALB eines Disziplinarverfahrens eine von seinem Vorgesetzten abverlangte schriftliche Stellungnahme - wie offenbar die belangte Behörde vermeint - selbst abfassen muß oder ob er berechtigt ist, sich hiezu eines Rechtsanwaltes seiner Wahl zu bedienen.

Nach Auffassung des erkennenden Senates verbietet der oben dargestellte allgemeine Grundsatz, daß niemand gezwungen ist, gegen sich selbst auszusagen, seinem Wesen und seiner Bedeutung nach eine Beschränkung seines Geltungsbereiches auf ein bestimmtes Verfahren. Wenn der Beamte in jedem Stadium des Disziplinarverfahrens seine Aussage verweigern darf, zuvor aber zur wahrheitsgemäßen Auskunft auch dann verpflichtet sein soll, wenn er sich dadurch der Gefahr einer strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Verfolgung aussetzt, so wird er gezwungen, die Tatsachen und Beweismittel für ein gegen ihn einzuleitendes Disziplinarverfahren zu liefern, nach dessen Einleitung er dann jede Aussage verweigern darf. Ein Aussageverweigerungsrecht innerhalb des Disziplinarverfahrens scheint wenig sinnvoll, wenn vor Einleitung des Disziplinarverfahrens eine unbeschränkte Offenbarungspflicht bestünde. Daher kann aus § 124 Abs. 7 BDG 1979 kein Umkehrschluß für das dem Disziplinarverfahren vorgelegte Stadium gezogen werden. Aus diesen Gründen ist der erkennende Senat der Ansicht, daß die Auskunftspflicht des Beamten außerhalb eines Disziplinarverfahrens ihre Grenzen dort hat, wo der Beamte sich selbst durch eine wahrheitsgemäße Aussage belasten würde. Dieser Zusammenhang wird im Einzelfall bei objektiver Betrachtung erkennbar sein.

Gemäß § 107 Abs. 1 BDG 1979 kann sich der Beschuldigte selbst verteidigen oder durch einen Rechtsanwalt, einen Verteidiger in Strafsachen oder einen Beamten verteidigen lassen. Auch diese Bestimmung wirkt aus den oben angeführten Gründen auf außerhalb eines Disziplinarverfahrens gesetzte Erhebungsschritte. Hätte der Beschwerdeführer - was der Akteinlage nicht mit Sicherheit zu entnehmen ist - als Zeuge vornommen werden sollen, so wäre auf folgendes zu verweisen:

Das nach § 105 Z. 1 leg. cit. auf das Disziplinarverfahren anzuwendende Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1950 enthält keine positiv-rechtliche Regelung eines Rechts des Zeugen auf Rechtsbeistand, die den allgemein auch für ihn geltenden Grundsatz des § 8 RAO, wonach jedermann berechtigt ist, sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften in Rechtsangelegenheiten aller Art durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl beraten und vertreten zu lassen, damit er die Kenntnisse und Fähigkeiten des Rechtskundigen bei der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen benutzen kann, in die Verfahrensordnung einfügt.

Die prozessuale Stellung und Funktion eines Zeugen verwehren es ihm auf der Grundlage des geltenden Verfahrensrechts nicht, sich zur Abfassung einer von seinem Vorgesetzten abverlangten schriftlichen Stellungnahme oder zu einer sonstigen Vernehmung durch seinen Vorgesetzten eines Rechtsanwaltes seines Vertrauens und seiner Wahl zu bedienen. Rechte zur Verfahrensgestaltung stehen ihm nicht zu. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, über von ihm wahrgenommene Tatsachen Auskunft zu geben. Der Zeuge bekundet seine persönlichen Wahrnehmungen über einen zurückliegenden Vorgang. Gleichwohl kann der Zeuge an dem Gegenstand seiner Aussage mit selbständigen, rechtlichen geschützten Interessen beteiligt sein, wie das z.B. in dem in § 49 lit. a AVG 1950 normierten Aussageverweigerungsrecht zum Ausdruck kommt.

Die einem fairen Verfahren immanente Forderung nach verfahrensmäßiger Selbständigkeit des durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde zunächst in ein Verwaltungsverfahren hineingezogenen Beschwerdeführers bei der Wahrnehmung ihm eingeräumter prozessualer Rechte und Möglichkeiten gegenüber anderen Verfahrenbeteiligten gebietet es, auch dem Zeugen grundsätzlich das Recht zuzubilligen, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zur Abfassung einer schriftlichen Sachverhaltsdarstellung und zu seiner in Aussicht genommenen Einvernahme beizuziehen, wenn er das für erforderlich hält, um von seinen prozessualen Befugnissen selbständig und seinen Interessen entsprechend sachgerecht Gebrauch zu machen. Die Lage des Zeugen, der sich - wie der Beschwerdeführer - in Erfüllung seiner Dienstpflichten der Gefahr eigener Verfolgung aussetzt, weist enge Bezüge zu der oben dargestellten Situation des Beschuldigten auf.

Im Gegensatz zu dem Beschuldigten unterliegt der Zeuge grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht mit den sichernden Zwangsmitteln und Strafdrohungen. Der im allgemeinen rechtsunkundige Zeuge wird regelmäßig selbst bei fehlerfreier Belehrung (vgl. § 50 AVG 1950) die rechtlichen Folgen seiner Angaben für ihn nicht sicher übersehen und den Umfang und die Grenzen seines Aussageverweigerungsrechtes nicht zweifelsfrei erkennen können. Es sind Rechtsfragen, ob, wann und in welchem Umfang im Zuge einer schriftlichen Stellungnahme oder einer Aussage die Auskunft auf einzelne Fragen abgelehnt werden kann. Ein unabhängiger und von ihm selbst gewählter und ihm gemäß § 9 RAO zur Hilfe verpflichteter Rechtsanwalt ermöglicht es dagegen dem Zeugen, zur sachgerechten und seinen Interessen entsprechenden Wahrung und Ausübung seiner prozessualen Rechte und Möglichkeiten auf den Gang und das Ergebnis des Teiles des Verfahrens, der seine Stellungnahme bzw. Vernehmung umfaßt, Einfluß zu nehmen und daran teilzunehmen. Es liegt auf der Hand, daß der Rechtsfreund des Zeugen nicht mehr Befugnisse haben kann als dieser selbst. Selbständige Antragsrechte stehen ihm nicht zu. Eine eigene Darstellung des Sachverhaltes in der schriftlichen Stellungnahme bzw. eine Vertretung des Zeugen bei der Aussage scheidet selbstverständlich aus.

Unter diesen Umständen weicht das Recht auf Rechtsbeistand weder die Aussage- und Wahrheitspflicht des Zeugen auf noch beschränkt es die Beweismöglichkeiten in sonstiger Weise. Nicht jeder Beamte ist imstande, das, was er als sein Wissen ausdrücken will, auch zutreffend zum Ausdruck zu bringen. Bei ungeschickten, ängstlichen oder aus anderen Gründen in ihrer Aussagefähigkeit und -bereitschaft behinderten und gehemmten Beamten kann der Rechtsanwalt aus seiner häufig besseren Kenntnis des Wissens des Beamten dazu beitragen, Aussagefehler des Zeugen und Mißverständnisse zu vermeiden. Er kann dem Zeugen nicht nur zu seinem Recht verhelfen, sein Wissen zur Sache im Zusammenhang vorzutragen, sondern ihn auch darin unterstützen, unberechtigte Angriffe abzuwehren. Ein Rechtsanwalt ist in besonderem Maße geeignet und berufen, einem Beamten bei GEFAHR einer disziplinären Verfolgung rechtlichen Beistand zu leisten.

Nun hat der Beschwerdeführer zunächst gar nicht seine Auskunft verweigert, sondern er hat durch seinen auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ausgewiesenen Rechtsfreund zu den in der Aufsichtsbeschwerde der Birgit A gegen ihn erhobenen Anschuldigungen fristgerecht eine sechs Seiten umfassende Stellungnahme abgegeben.

In dieser Vorgangsweise vermag der Verwaltungsgerichtshof keinen Verdacht einer Verletzung der in § 44 Abs. 1 BDG 1979 normierten Dienstpflichten zu erblicken. Gleiches gilt auch für die Weigerung vom 2. März 1990, ohne Beisein seines Rechtsanwaltes eine Aussage zu machen. Denn für ein rechtsstaatliches Verfahren essentielle Verteidigungsrechte dürfen rechtens durch Weisung nicht behoben oder eingeschränkt werden.

Daraus erhellt, daß die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat.

Gilt nun - wie oben dargelegt - der Grundsatz, daß Beamte zur Selbstbelastung und Überführung nicht verpflichtet sind, auch für Selbstbezichtigungen mit disziplinären Folgen AUSZERHALB eines Disziplinarverfahrens und kann ein Beamter, dem in einer Aufsichtsbeschwerde Dienstpflichtverletzungen vorgeworfen werden, bereits im Vorfeld eines (möglichen) Disziplinarverfahrens zur Rechtswahrung und zu seiner Unterstützung gegenüber der eigenen Dienstbehörde einen Rechtsanwalt beiziehen und denselben über den wahren Vorgang zum Zwecke der Abfassung einer Stellungnahme unterrichten, so kann darin begrifflich keine Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gelegen sein.

Gemäß § 46 Abs. 1 BDG 1979 ist der Beamte über alle ihm ausschließlich aus seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist, gegenüber jedermann, dem er über solche Tatsachen nicht eine amtliche Mitteilung zu machen hat, zur Verschwiegenheit verpflichtet (Amtsverschwiegenheit). Nach der Anordnung des Abs. 5 dieser Gesetzesstelle ist im Disziplinarverfahren weder der Beschuldigte noch die Disziplinarbehörde oder der Disziplinaranwalt zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit verpflichtet.

Wenn auch diese generelle Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht nur für Äußerungen "im Disziplinarverfahren", in welchem - wie oben dargelegt - sich der Beschuldigte durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann, gilt, so ist es selbstverständlich, daß dem Beamten im Vorfeld eines Disziplinarverfahrens nicht ein Sachverhalt vorgeworfen und er zugleich daran gehindert sein kann, sich dagegen mit den garantierten Rechtsschutzmitteln zu wehren. Zu den wesentlichen Grundsätzen eines fairen Verfahrens gehört die Hinzuziehung und Information eines Rechtsanwaltes, dessen Beruf ein Vertrauensberuf ist, der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtete Stellung zuweist. Der Rechtsanwalt ist gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz RAO zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten verpflichtet.

Im übrigen hat die belangte Behörde, worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist, keine für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbare Feststellung getroffen, aus welchen Gründen die Geheimhaltung des Umstandes, daß gegen den Beschwerdeführer von der deutschen Staatsangehörigen Birgit A eine Aufsichtsbeschwerde eingebracht wurde, im überwiegenden Interesse dieser Person gelegen sein soll. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn der Genannten aus der durch die Beiziehung eines Rechtsanwaltes herrührenden "Verletzung der Verschwiegenheitspflicht" ein Nachteil erwachsen könnte. Dies ist aber nach Ansicht des erkennenden Senates von vornherein auszuschließen.

Hat aber der Beschwerdeführer durch sein Verhalten keine Dienstpflichten verletzt, so kann er auch nicht in dem Verdacht stehen, die ihm zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben. Der angefochtene Bescheid beruht solcherart insgesamt auf einer irrigen Rechtsansicht, weshalb er iSd § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Aufhebung verfallen mußte.

Die Entscheidung über den Anspruch auf Ersatz des Aufwandes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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