European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00135.24I.0923.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
I. In Ansehung der erstbeklagten Partei wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.
II. Die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Kläger stützte seine Klage darauf, dass die Beklagten über die von ihnen betriebene Website Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels anbieten, obwohl sie über keine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht verfügten. Er habe an von den Beklagten veranstalteten Online-Glücksspielen teilgenommen und im Zeitraum vom 23. 11. 2021 bis 5. 7. 2023 insgesamt 83.500,80 EUR verloren. Die Beklagten hätten ihm diesen Verlust zu ersetzen.
Zu I:
[2] 1.1 Nach § 221 Abs 1 IO gilt für Insolvenzverfahren, die Voraussetzungen für ihre Eröffnung und ihre Wirkungen – soweit in den §§ 222 bis 235 IO nichts anderes bestimmt ist – das Recht des Staats, in dem das Verfahren eröffnet wird. Eine vergleichbare Regelung enthält auch Art 7 der EuInsVO. Ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten gemäß § 231 IO (§ 221 Abs 2 Z 6 IO). Für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit über eine Sache oder ein Recht der Masse ist daher nach § 231 IO das Recht des Staats maßgebend, in dem der Rechtsstreit anhängig ist. Diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen Art 18 EuInsVO. Unter Art 18 EuInsVO bzw § 231 IO fällt jedenfalls eine allfällige Unterbrechungswirkung und -dauer einschließlich der Regelung der Fortsetzung (8 Ob 21/22d mwN, 1 Ob 78/24p).
[3] 1.2 Die Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens auf anhängige massebezogene Rechtsstreitigkeiten richten sich daher jedenfalls nach österreichischem Recht (1 Ob 78/24p mzwN).
[4] 1.3 Nach § 7 Abs 1 IO werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Schuldner Kläger oder Beklagter ist, mit Ausnahme der in § 6 Abs 3 IO genannten Streitigkeiten unterbrochen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ihre Wirkungen sind auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen (RS0036752 [T12, T32]).
[5] 1.4 Das Gericht kann über ein nach Eintritt der Unterbrechung des Verfahrens eingebrachtes Rechtsmittel, solange das Verfahren nicht wieder aufgenommen ist, nicht meritorisch entscheiden, sondern kann nur mit der Zurückweisung dieses Rechtsmittels beziehungsweise der erstatteten Rechtsmittelschriften vorgehen (RS0037023).
[6] 2.1 Die Erstbeklagte führt im Rechtsmittel ohne Konkretisierung und ohne jeglichen Nachweis aus, dass mittlerweile über die Erstbeklagte ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, für dessen Anerkennung § 240 Abs 1 IO maßgeblich sei. Die Frage des Eintritts der Unterbrechungswirkung und das Vorliegen eines wirksamen Rechtsmittels kann davon ausgehend nicht beurteilt werden.
[7] 2.2 Das Erstgericht wird daher ersucht – allenfalls durch entsprechende Aufträge an die Erstbeklagte – zu erheben, ob und wann das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und ob die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Insolvenzeröffnung in Curaçao vorliegen, was bei Unanwendbakeit der EuInsVO nach § 240 IO zu beurteilen wäre.
Zu II:
[8] 1.1 Nach § 7 Abs 1 IO wirkt auf Streitgenossen des Schuldners die Unterbrechung nur dann, wenn sie mit dem Schuldner eine einheitliche Streitpartei bilden (§ 14 ZPO).
[9] 1.2 Die notwendige Streitgenossenschaft, deren Wesen darin besteht, dass der Klageanspruch nach der Natur des Rechtsverhältnisses oder nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nur von allen an einem Rechtsverhältnis Beteiligten oder gegen sie erhoben werden kann, liegt im Zweifel nur vor und führt zur Klageabweisung, wenn wegen Nichterfassung aller Teilhaber die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch verschiedene Entscheidungen entsteht, was nach den Umständen des besonderen Falls zu beurteilen ist (RS0035479). Eine einheitliche Streitpartei (notwendige Streitgenossenschaft) ist also dann gegeben, wenn die Gemeinschaftlichkeit der rechtserzeugenden Tatsachen zwangsläufig zu einer Einheitlichkeit der Entscheidung führen muss und eine unterschiedliche Beurteilung für oder gegen die einzelnen Streitgenossen unmöglich ist (RS0035496 [T5]). Sie liegt daher dann nicht vor, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit zu einer in jedem Fall einheitlichen Entscheidung gegeben ist, abweichende Entscheidungen also nicht zu unlösbaren Verwicklungen führen (RS0035473). Die Frage, ob eine einheitliche Streitpartei vorliegt, ist immer nach der materiellen Beurteilung des Streitgegenstands zu beantworten (RS0035468).
[10] 1.3 Der Kläger macht mit seiner Klage bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche aus nichtigen Glücksspielverträgen mit den Beklagten (§ 1174 iVm § 1431 ABGB) geltend.
[11] 1.4 Mehrere Bereicherte, die bei Vertragsgültigkeit Solidarschuldner wären, haften nach Lehre und Rechtsprechung in der Regel anteilig nach Höhe ihrer Bereicherung. Solidarhaftung gegenüber Bereicherungsansprüchen kann ohne besondere Vereinbarung oder ohne gesetzliche Anordnung nur dann angenommen werden, wenn eine solche Haftung nach der Parteienabsicht oder nach der Verkehrssitte begründet ist (vgl RS0016343 [T6]).
[12] 1.5 Die vom Kläger behauptete Solidarverpflichtung wird von den Beklagten nicht angezweifelt. Es entspricht aber ständiger Judikatur, dass eine Solidarverpflichtung, sei es aus einem Vertragsverhältnis oder aus dem Gesetz, grundsätzlich keine einheitliche Streitpartei schafft (RS0035606).
[13] 1.6 Die allfällige Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Erstbeklagten hindert demnach den Fortgang des Verfahrens gegenüber der Zweitbeklagten nicht.
[14] 2. Nach ständiger Rechtsprechung steht § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB einem (bereicherungsrechtlichen) Rückforderungsanspruch hinsichtlich der Spieleinsätze für ein (verbotenes) Online‑Glücksspiel nicht entgegen, weil die entsprechenden Einsätze nicht gegeben werden, um das verbotene Spiel zu bewirken, sondern um am Spiel teilzunehmen. Damit ist diese Bestimmung schon ihrem Wortlaut nach nicht anwendbar. Darauf, ob der Spieler durch die Teilnahme am verbotenen Spiel (selbst) einen Verwaltungsstraftatbestand erfüllt, konkret gegen § 52 Abs 5 GSpG verstoßen hat, kommt es daher nicht an. Gegenteiliges kann entgegen der Annahme der Zweitbeklagten in ihrem Rechtsmittel auch den Entscheidungen 5 Ob 506/96 und 10 Ob 2429/96w nicht entnommen werden (zuletzt etwa 1 Ob 1/24i mwN).
[15] 3. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspiel‑Konzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (vgl nur 1 Ob 95/23m; 1 Ob 111/23i je mwN). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
[16] 4. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl die Hinweise in 5 Ob 30/21d). Entgegen der Darstellung der Revisionswerberin ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH, C-920/19 , Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, legt die Revisionswerberin nicht dar (2 Ob 23/23f mwN). Der von der Beklagten behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen. Eine neuerliche Befassung des EuGH ist im Hinblick auf dessen Entscheidungen zu C‑390/12 , C‑79/17 und C‑545/18 entbehrlich (vgl 7 Ob 199/23z; 7 Ob 204/23k ua).
[17] 5. Einer Unterbrechung des Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen zu C‑440/23 bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen bereits geklärt erscheinen (vgl etwa 7 Ob 203/23p; 4 Ob 219/23v ua).
[18] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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