European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0050OB00092.24A.0903.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Kläger begehrten, die Beklagte zu verpflichten, 1.) die vom Grundstück der Beklagten infolge der dort betriebenen Papageien‑Haltung ausgehenden Einwirkungen durch Lärm auf die Liegenschaft der Kläger zu unterlassen, 2.) den Klägern jeweils ein Schmerzengeld in Höhe von 2.500 EUR sA zu zahlen. Die Unterlassungsbegehren der beiden Kläger bewerteten sie mit (insgesamt) 5.000 EUR.
[2] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichts dahin ab, dass es die Beklagte mit Teilurteil zur begehrten Unterlassung verpflichtete. Hinsichtlich der Geldleistungsbegehren hob es das Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.
[4] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR nicht übersteige, die Kosten des Berufungsverfahrens weitere Verfahrenskosten seien und die Revision hinsichtlich des abändernden Teils der Entscheidung jedenfalls unzulässig sei. Seinen Bewertungsausspruch begründete das Berufungsgericht damit, dass es sich an der unbeanstandet gebliebenen Bewertung durch die Kläger orientiert habe.
[5] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die („ordentliche“) Revision der Beklagten. Deren Zulässigkeit begründen sie damit, dass das Berufungsgericht offenbar davon ausgehe, der von ihm behandelte Entscheidungsgegenstand wäre lediglich der Teil des Klagebegehrens, der von ihm im Sinn einer Klagestattgebung abgeändert worden sei. Der für die Zulassung der Revision wesentliche Entscheidungsgegenstand sei jedoch immer der, über den das Berufungsgericht erkenne, und zwar auch in dem Fall, dass das Berufungsgericht ein Teilurteil fälle und im Übrigen einen Aufhebungsbeschluss fasse. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Berufungsgericht den Wert des Entscheidungsgegenstands daher mit 10.000 EUR festsetzen müssen und auszusprechen gehabt, ob es die ordentliche Revision für zulässig halte. Da das Berufungsgericht nicht ausgesprochen habe, dass es die ordentliche Revision für nicht zulässig erachte, sei die Revision zuzulassen. Ein Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO sei nicht zulässig, weil dieser sich gegen den Ausspruch des Berufungsgerichts richte, dass die Revision bei einem Wert des Entscheidungsgegenstands über 5.000 EUR bis 30.000 EUR für nicht zulässig erachtet werde.
[6] Das Erstgericht hat die Revision dem Obersten Gerichtshof vor Einholung einer Revisionsbeantwortung vorgelegt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision ist absolut unzulässig.
[8] 1. Das Berufungsgericht hat, wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, über den Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO). Diese Bewertung ist für den Obersten Gerichtshof grundsätzlich bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042385; RS0042410; RS0042450; RS0042515; RS0109332).
[9] Wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt, ist die Revision – abgesehen von den hier nicht relevanten Ausnahmen des § 502 Abs 4 und 5 ZPO – jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil auszusprechen, dass die Revision nach § 502 Abs 2 jedenfalls unzulässig ist, falls dies zutrifft; falls das nicht zutrifft, hat es auszusprechen, ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 zulässig ist oder nicht (§ 500 Abs 2 Z 2 und 3 ZPO).
[10] Für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision iSd § 500 Abs 2 ZPO ist stets der gesamte Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts maßgebend; dass nur ein Teil davon Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ist ohne Belang (RS0042408). Es kommt also auf den gesamten Gegenstand der berufungsgerichtlichen Entscheidung an Geld und sonstigen Ansprüchen in Zusammenfassung aller bestätigenden, abändernden und aufhebenden Teile an (RS0042408 [T1]). Im hier vorliegenden Fall des Zusammentreffens eines Teilurteils mit einem Aufhebungsbeschluss ist daher auf den Gesamtstreitwert abzustellen (1 Ob 9/12y).
[11] 2. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts können diese gemeinsam bewertet werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN für eine Zusammenrechnung erfüllt sind (RS0042741; RS0053096). Demnach sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen (und können diese gemeinsam bewertet werden), wenn sie 1.) von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen oder 2.) von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Ansprüche von und gegen formelle Streitgenossen iSd § 11 Z 2 ZPO sind hingegen nicht zusammenzurechnen (RS0035615), und zwar selbst dann nicht, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (RS0035615 [T26]; RS0053096 [T20]).
[12] Bei gleichzeitiger objektiver (Anspruchshäufung) und subjektiver Klagehäufung (Parteienhäufung), sind bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 JN zwar die gehäuften Ansprüche der betreffenden Partei zusammenzurechnen, nicht jedoch diese Ansprüche mit jenen der übrigen formellen Streitgenossen (RS0131473; RS0053096 [T21]).
[13] Findet keine Zusammenrechnung statt, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (RS0130936; RS0042642).
[14] 3. Im vorliegenden Verfahren ist eine objektive und zugleich auch subjektive Klagehäufung gegeben. Die zwei Kläger machen gegenüber der Beklagten jeweils einerseits einen Unterlassungs- und anderseits einen Geldleistungsanspruch geltend.
[15] Die Unterlassungsansprüche stützen die Kläger auf den nachbarrechtlichen Abwehranspruch iSd § 364 Abs 2 ABGB. Die Klage nach § 364 Abs 2 ABGB ist ein Anwendungsfall der negatorischen Eigentumsklage iSd § 523 ABGB (RS0010526 [T4]). Das Geldleistungsbegehren stützen die Kläger auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes. Sowohl den Unterlassungs- als auch den Schadenersatzanspruch leiten die Kläger aus ein und demselben angeblich rechtswidrigen Verhalten der Beklagten (Lärmimmissionen) ab. Die wegen einer einheitlichen – in das Eigentumsrecht eingreifenden und/oder einen Schaden verursachenden – Störungshandlung erhobenen Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz stehen daher in einem rechtlichen Zusammenhang (vgl RS0046469 [mehrere aus einem einheitlichen Urheberrechtsverstoß abgeleitete Ansprüche]). Die Werte der von jedem einzelnen Kläger erhobenen Begehren auf Unterlassung einerseits und Schadenersatz andererseits sind daher jeweils, also für jeden Kläger nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen.
[16] Diese den einzelnen Klägern zuzuordnenden Gesamtwerte hingegen sind für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision iSd § 500 Abs 2 ZPO nicht zusammenzurechnen. Im Fall einer Parteienhäufung (subjektive Klagehäufung) sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN die von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhobenen Ansprüche nur zusammenzurechnen, wenn diese materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Es muss somit entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet ist (RS0035615 [T25]; RS0053096 [T19]). Zur Erhebung von Ansprüchen nach § 364 ABGB ist jeder einzelne Miteigentümer legitimiert, insbesondere kann jeder einzelne Miteigentümer gegen den störenden Nachbarn mit einer Unterlassungsklage nach §§ 364 Abs 2, 523 ABGB vorgehen (6 Ob 14/22k; RS0130733). Sie leiten den behaupteten Anspruch aus dem ihnen persönlich zukommenden (Mit-)Eigentum ab und stehen in Ansehung des Streitgegenstands zueinander in keiner Rechtsbeziehung. Die Kläger sind daher in Bezug auf das Unterlassungsbegehren keine materiellen Streitgenossen iSd § 11 Z 1 ZPO, ihre selbständigen Ansprüche sind nicht zusammenzurechnen (RS0037911 [T5]).
[17] Die Voraussetzungen für eine materielle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 1 ZPO liegen aber auch in Bezug auf die geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht vor. Beide Kläger haben nach dem Klagevorbringen eigene Schadenersatzansprüche, die sie aus der – jeweils sie – schädigenden Handlung der Beklagten ableiten (vgl 2 Ob 55/20g [Vertragliche Schadenersatzansprüche mehrerer Reisender]; RS0110982 [Schadenersatzansprüche mehrerer aus einem Unfall Geschädigter]).
[18] 4. Im vorliegenden Fall der gleichzeitig objektiven und subjektiven Klagehäufung sind daher zwar die gehäuften Ansprüche des jeweiligen Klägers (auf Unterlassung und Geldleistung) zusammenzurechnen, nicht jedoch die gehäuften Ansprüche des einen Klägers mit jenen des anderen.
[19] Die Formulierung des Bewertungsausspruchs und seine Begründung lassen nun zwar vielleicht nicht zweifelsfrei erkennen, ob das Berufungsgericht die Problematik der gleichzeitig objektiven und subjektiven Klagehäufung erkannt, die Fragen der Zusammenrechnung (implizit) richtig gelöst und dieses Ergebnis den Aussprüchen über den Wert seines Entscheidungsgegenstands und die Unzulässigkeit der Revision zugrunde gelegt hat. Aber selbst wenn das Berufungsgericht, so wie die Beklagte unterstellt, nur den Gegenstand des Teilurteils (die beiden Unterlassungsansprüche) mit 5.000 EUR nicht übersteigend bewerten hätte wollen, machte dies für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision letztlich keinen Unterschied. Auch in diesem Fall übersteigt der maßgebliche Wert des Entscheidungsgegenstands für keinen den Kläger 5.000 EUR.
[20] Der Kläger hat den Wert eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstands in der Klage anzugeben (§ 56 Abs 2 Satz 1 JN). Die Kläger haben die von ihnen geltend gemachten Unterlassungsansprüche mit (insgesamt) 5.000 EUR bewertet. Wird für mehrere geltend gemachte Ansprüche eine Gesamtbewertung vorgenommen, so wird im Zweifel eine Gleichwertigkeit der einzelnen Ansprüche angenommen (5 Ob 15/24b). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist das Berufungsgericht an eine solche unter der Bagatellgrenze des § 501 Abs 1 ZPO von 2.700 EUR liegende Bewertung des Klägers gebunden, sodass es ihm nicht freisteht, abweichend von der Bewertung des Klägers auszusprechen, dass die im § 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO genannte Wertgrenze insoweit überschritten wurde (5 Ob 166/19a mwN). Das Berufungsgericht hat sich auch ausdrücklich an dieser Bewertung orientiert und (damit) den Wert des Unterlassungsanspruchs eines jeden Klägers mit 2.500 EUR nicht übersteigend bestimmt. Im Hinblick auf die nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnenden zwei Begehren des Urteilsantrags für jeden Kläger (Unterlassung und Zahlung von 2.500 EUR) ist daher in jedem Fall von einem 5.000 EUR nicht übersteigenden Gesamtstreitwert auszugehen.
[21] 5. Das Berufungsgericht ging daher zu Recht davon aus, dass die Revision gegen sein Urteil auf Basis seines Bewertungsausspruchs jedenfalls unzulässig ist (§ 502 Abs 2 ZPO).
[22] Soweit sich die Revision gegen den Aufhebungsbeschluss richtet, ist das Rechtsmittel allerdings zudem schon wegen der Anfechtungsbeschränkung des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig.
[23] Nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist gegen Beschlüsse des Berufungsgerichts, soweit dadurch das Urteil des Erstgerichts aufgehoben und diesem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wird, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur zulässig, wenn das Berufungsgericht dies ausgesprochen hat. Die Zulässigkeit des Rekurses ist daher an einen ausdrücklichen Zulassungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz gebunden. Fehlt ein solcher Ausspruch des Berufungsgerichts, ist ein Rekurs absolut unzulässig (RS0043880; RS0043898; RS0043986).
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