OGH 1Ob93/24v

OGH1Ob93/24v24.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U* AG, *, vertreten durch Mag. Ewald Hannes Grabner, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach C*, geboren am *, verstorben am *, zuletzt *, vertreten durch die Verlassenschaftskuratorin B*, diese vertreten durch Dr. Leopold Boyer ua, Rechtsanwälte in Zistersdorf, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 25. Oktober 2023, GZ 39 R 127/23z-43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00093.24V.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin kündigte ein Mietverhältnis über eine Wohnung aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG gerichtlich auf. Die Mieterin war bereits (kurz) vor Einbringung der Aufkündigung verstorben.

[2] Das Erstgericht berichtigte die Bezeichnung der beklagten Partei auf die Verlassenschaft nach der Mieterin, hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab, weil die Mieterin (abgesehen von Spitals- und Kuraufenthalten) bis zu ihrem Tod in der aufgekündigten Wohnung gewohnt habe. In ihrem Haus im Burgenland habe sie nur die Wochenenden und Feiertage verbracht, aber nie ständig gewohnt. Auch ihre Tochter habe seit 2018 bis zuletzt in der aufgekündigten Wohnung gewohnt und nur gelegentlich Zeit im Haus im Burgenland verbracht. Sie sei daher nach dem Tod ihrer Mutter in den Mietvertrag eingetreten. Die beklagte Verlassenschaft sei somit nicht passivlegitimiert.

[3] Das Berufungsgericht gab der Aufkündigung statt und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

[4] Es stellte nach Beweiswiederholung fest, dass die Mieterin spätestens 2011 in ihr Haus im Burgenland übersiedelt sei und nicht mehr in der aufgekündigten Wohnung gewohnt habe. Ihre Tochter habe von 2011 bis 2018 in Klagenfurt gelebt und sei anschließend nicht in die aufgekündigte Wohnung zurückgekehrt, um dort zu wohnen. Diese sei weder zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin noch bei Zustellung der Aufkündigung „durch wen auch immer“ zu Wohnzwecken verwendet worden. Die Tochter sei daher nicht in die Mietrechte eingetreten, weshalb die Verlassenschaft nach der Mieterin für die Aufkündigung passivlegitimiert und der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Beklagten ist mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig:

[6] 1. Hat ein Mieter vor seinem Tod den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG erfüllt, kann dieser auch statt des Kündigungsgrundes der Z 5 leg cit geltend gemacht werden (7 Ob 552/91; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 [2016] § 1116 a Rz 7; Lovrek in GeKo Wohnrecht I [2017] § 30 MRG Rz 101; Kothbauer, Mietrecht Österreich Praxishandbuch1.01 [2023] Rz 2263; vgl auch 8 Ob 504/86). Es darf aber keine Sonderrechtsnachfolge nach § 14 Abs 2 MRG eingetreten sein, weil dem Gesamtrechtsnachfolger des Mieters sonst die Passivlegitimation fehlt (RS0070723 [T1]).

[7] Die in der älteren Rechtsprechung gelegentlich anzutreffende Formulierung, § 30 Abs 2 Z 6 MRG setze im Gegensatz zu § 30 Abs 2 Z 5 MRG voraus, dass „der Mieter noch am Leben“ sei (1 Ob 654/83; RS0069770), bezog sich ausschließlich auf die Frage, wie der in Z 6 enthaltene Verweis auf Eintrittsberechtigte iSv § 14 Abs 3 MRG zu verstehen ist. Dabei lag den Entscheidungen der typische Fall zugrunde, dass die Kündigung nach der Z 6 zu Lebzeiten des Mieters erfolgt, sodass es nur auf die (fiktive) Eintrittsberechtigung im Fall von dessen Tod ankommen kann. Keiner dieser Entscheidungen lässt sich aber entnehmen, dass – und vor allem warum – § 30 Abs 2 Z 6 MRG nicht auch nach dem Tod des Mieters anwendbar sein sollte. Zwar sieht § 30 Abs 2 Z 5 MRG für diesen Fall einen für den Vermieter leichter zu beweisenden Kündigungsgrund vor, weil danach die Nutzung oder Nichtnutzung der Wohnung durch den Mieter vor seinem Tod irrerelevant ist. Das kann aber nichts daran ändern, dass bei Erfüllung der (insofern weitergehenden) Tatbestandsvoraussetzungen auch § 30 Abs 2 Z 6 MRG anwendbar sein kann, sofern nicht ein Eintritt nach § 14 Abs 2 MRG erfolgt.

[8] 2. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG setzt zunächst eine fehlende regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken voraus. Diese Voraussetzung ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zweifellos erfüllt.

[9] 3. Soweit die Beklagte diese in Zweifel zieht, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043312; RS0123663). Dass die Mieterin nach ihrem letzten Krankenhausaufenthalt (sie verstarb im Krankenhaus) in die Wohnung zurückkehren wollte (vgl RS0069795), ist nicht ersichtlich. Es trifft auch nicht zu, dass sich die Mieterin vor ihrem Tod aufgrund von Kur- oder Berufsaufenthalten nur vorübergehend nicht in dieser aufgehalten habe. Die Rechtsprechung, wonach § 30 Abs 2 Z 6 MRG ein „Horten“ von Wohnungen verhindern wolle (RS0070500), steht der angefochtenen Entscheidung mangels jahrelanger Nutzung der aufgekündigten Wohnung zu Wohnzwecken nicht entgegen. Die bloße Ausübung einer beruflichen (künstlerischen) Tätigkeit der Tochter der Mieterin in der Wohnung könnte deren regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken allein nicht begründen (vgl 5 Ob 47/07h; Lovrek in GeKo Wohnrecht I [2017] § 30 MRG Rz 109). Dass das Mietobjekt auch zu Geschäftszwecken vermietet worden wäre, behauptet die Beklagte nicht.

[10] 4. Neben der Nichtbenutzung zu Wohnzwecken setzt § 30 Abs 2 Z 6 MRG ein fehlendes dringendes Wohnbedürfnis des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen an der Wohnung voraus. Hier kommt nur ein solches Wohnbedürfnis der Tochter der verstorbenen Mieterin als potenziell Eintrittsberechtigter in Betracht. Grundsätzlich wird zwar kein „aktuelles“ Eintrittsrecht gefordert (RS0069770). Da die Mieterin hier aber vor der Aufkündigung verstarb, ist zu prüfen, ob ihre Tochter in den (bei Tod der Mieterin aufrechten) Mietvertrag eintrat. Dies würde nicht nur den genannten Kündigungsgrund, sondern schon die Passivlegitimation der Beklagten ausschließen. Umgekehrt wäre sowohl diese als auch der Kündigungsgrund der Z 6 leg cit bei fehlender Eintrittsberechtigung der Tochter gegeben.

[11] 5. Gemäß § 14 Abs 2 und 3 MRG treten ua Verwandte in gerader Linie in den Mietvertrag des verstorbenen Hauptmieters ein, wenn sie schon bisher mit ihm diesem im gemeinsamen Haushalt in der Wohnung gewohnt und an dieser ein dringendes Wohnbedürfnis haben. Ein gemeinsamer Haushalt setzt ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen und Wirtschaften (RS0069741 [T2]) sowie den Lebensschwerpunkt des Angehörigen in der gekündigten Wohnung voraus (RS0068296 [T12, T14, T15]). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist ein solcher gemeinsamer Haushalt der Mieterin und ihrer Tochter in der gekündigten Wohnung zum Zeitpunkt des Todes der Mieterin (RS0069744) auszuschließen.

[12] 6. Mangels gemeinsamer Haushaltsführung in der aufgekündigten Wohnung kommt es auf das in der Revision behauptete dringende Wohnbedürfnis der Tochter an dieser Wohnung nicht an (3 Ob 164/18s; 5 Ob 8/19s).

[13] 7. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass sich das Berufungsgericht mit ihrem Argument, die Tochter der Mieterin habe ein Angebot der (durch die Hausverwaltung vertretene) Klägerin auf Übertragung der Mietrechte angenommen, nicht auseinandergesetzt hat. Dies vermag der Revision aber nicht zum Erfolg zu verhelfen. Selbst wenn die Tochter ein solches Angebot wirksam angenommen hätte, hätte die damit angestrebte Vertragsübernahme nämlich einer (allenfalls schlüssigen; RS0032607 [T2, T6]) Zustimmung der bisherigen Mieterin bedurft (RS0032607; speziell zum Mietvertrag zuletzt etwa 5 Ob 96/21k, 5 Ob 190/19f). Dazu finden sich aber weder in erster Instanz noch in der Revision taugliche Ausführungen.

[14] 8. Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation der Klägerin in erster Instanz nicht. Ihr nunmehriger Einwand, die Klägerin sei nicht Gesamtrechtsnachfolgerin der im Grundbuch eingetragenen Eigentümerin des Hauses mit der aufgekündigten Wohnung, ist daher eine unzulässige Neuerung. Daraus, dass die mangelnde Sachlegitimation von Amts wegen wahrzunehmen sei, wenn sich diese aus dem Klagevorbringen ergebe (RS0035196), ist für die Beklagte aufgrund des schlüssigen Vorbringens in der Aufkündigung nichts zu gewinnen. Soweit die Beklagte behauptet, sie sei vom Erstgericht nicht über den ihr zustehenden Einwand der fehlenden Aktivlegitimation belehrt worden, kann sie einen darin gelegenen Verfahrensmangel nicht mehr aufgreifen. Das Erstgericht stellte ausdrücklich fest, dass die Klägerin Vermieterin der aufgekündigten Wohnung sei. Aufgrund der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge der Klägerin in ihrer Berufung hätte die Beklagte den angeblichen (die für sie nachteilige Feststellung betreffenden) Verfahrensfehler daher gemäß § 468 Abs 2 ZPO in ihrer Berufungsbeantwortung rügen müssen (RS0112020 [insb T15]), was sie aber unterließ.

[15] 9. Zusammengefasst ist die angefochtene Entscheidung somit durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt. Eine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO liegt daher nicht vor.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte