OGH 11Os61/24s

OGH11Os61/24s17.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juli 2024 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Loibl LL.M., BSc als Schriftführer in der Strafsache gegen Jo* wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungenüber die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurtals Schöffengericht vom 20. Februar 2024, GZ 79 Hv 106/23d‑59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00061.24S.0717.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene (zum Teil prozessual verfehlte; vgl RIS-Justiz RS0091051, RS0115553, RS0120128; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1) Freisprüche des Angeklagten enthaltenden – Urteil wurde Jo* der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/1/ und 2/), des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II/1/), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II/2/), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II/3/) sowie der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (III/a/ und b/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er im Zeitraum von Mai 2021 bis Mai 2023 in L*

I/ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen, und zwar

1/ an der am * 2010 geborenen L*, indem er mehrmals ihre zum Teil unbekleideten Brüste, ihr Gesäß sowie ihren unbekleideten Schambereich betastete sowie jeweils einmal sich bekleidet auf sie legte und Kopulationsbewegungen durchführte, gewaltsam ihre Hand erfasste und auf seinen bekleideten Penis legte und versuchte, ihre Hose hinunter zu ziehen;

2/ an der am * 2014 geborenen J*, indem er mehrmals ihr Gesäß berührte und sich bekleidet auf sie legte und Kopulationsbewegungen durchführte;

II/ L*

1/ mit Gewalt zu einer Duldung, nämlich dazu, sich küssen zu lassen, genötigt, indem er sie mit beiden Händen an den Unterarmen packte, gegen eine Wand drückte und auf den Mund und den Hals küsste;

2/ mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie mit einer Hand an ihren Handgelenken packte und einen Finger in ihre Scheide einführte;

3/ vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihr mehrmals mit einem Melkgürtel auf den Oberschenkel schlug, wodurch sie ein „rotes Hämatom“ erlitt;

III/ mit der am * 2010 geborenen L* und damit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar

a/ durch die zu II/2/ beschriebene Tat;

b/ indem er sein Glied gegen ihren Anus drückte.

Rechtliche Beurteilung

 

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) zu II/2/ und III/a/ wurden durch die Abweisung (ON 58 S 10) des in der Hauptverhandlung am 5. Jänner 2024 gestellten Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Gynäkologie zur Beantwortung der Frage, inwieweit „die Angaben des vermeintlichen Opfers“ L* – soweit hier relevant – zur Vaginalpenetration mit zwei Fingern des Angeklagten (ON 29 S 20 ff) aus ärztlicher Sicht plausibel und nachvollziehbar erscheinen (ON 52a S 11), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Plausibilität von Zeugenaussagen ist nämlich allein von den Tatrichtern in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO; Lendl, WK‑StPO § 258 Rz 18) zu beurteilen. Aus welchen Gründen dafür besondere Fachkenntnisse erforderlich gewesen sein sollten, legte der Antragsteller nicht dar (RIS‑Justiz RS0097283).

[5] Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zu II/1/ aus der – im Urteil ohnedies erörterten (US 23 f) – Aussage der Zeugin H*, wonach L* ihr erzählt habe, dass der Angeklagte sie zu Boden gestoßen und abgeschmust hätte (ON 52a S 7), anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, bekämpft sie bloß die Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) in der Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung.

[6] Die Angaben der Zeugin L*, nach denen der Angeklagte (bloß) mit dem halben Finger in ihre Scheide „reingefahren“ sei (ON 29 S 21), blieben der weiteren Rüge zu II/2/ zuwider nicht ungewürdigt (US 18). Die Frage, ob der Angeklagte einen oder zwei Finger zur Gänze oder zur Hälfte in die Scheide des Opfers einführte, betrifft aber ohnehin keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0095004 [T7, T17], RS0095114 [T11, T12]; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25, § 206 Rz 12).

[7] Der zum Schuldspruch zu III/b/ vorgebrachte Einwand unterbliebener Auseinandersetzung mit den darauf bezogenen Schilderungen der L* (zum Tathergang und zur Tatzeit; ON 52a S 3 ff) geht mit Blick auf deren Erörterung (US 19 f) ins Leere. Weshalb die Aussage der Zeugin H*, wonach L* ihr im September 2023 von der „ungewollten Vergewaltigung“ erzählt habe (ON 52a S 8), den Konstatierungen zum sexuellen Missbrauch der Genannten durch Analpenetration (US 6) erörterungsbedürftig entgegenstehen sollte, erklärt die Beschwerde nicht (RIS-Justiz RS0098495 [insb T6], RS0098646 [insb T8]). Soweit sie die – von den Tatrichtern ohnedies gewürdigte (US 20) – Entscheidung der L*, ihre Einwilligung in eine gynäkologische Untersuchung nicht zu erteilen (ON 52a S 6), als nicht nachvollziehbar kritisiert, spricht sie keine der Kategorien der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO an.

[8] Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider ist die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehensablauf (US 4 ff) und der allgemeinen Lebenserfahrung sowie – in Bezug auf das Alter der Opfer – aus dem bestehenden Verwandtschaftsverhältnis und dem mehrjährigen Kontakt mit ihnen (US 27) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 452).

[9] Der Tatsachenrüge (Z 5a) gelingt es mit der Behauptung „überproportionaler Suggestivbefragung“ der Zeugin L* in ihrer kontradiktorischen Vernehmung (ON 29) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu wecken (zur Zulässigkeit von Suggestivfragen vgl im Übrigen § 161 Abs 3 erster Satz StPO; RIS-Justiz RS0097629).

[10] Gleiches gilt für den Hinweis auf den – im Urteil erwogenen (US 25) – Testosteronmangel beim Angeklagten (ON 45.1 S 4, ON 58 S 7 ff).

[11] In Bezug auf den sexuellen Missbrauch der J* (I/2/) bringen die Entscheidungsgründe (US 4 und 15 f) mit Blick auf den Verweis auf die Angaben der Genannten in ihrer kontradiktorischen Vernehmung, wonach ihr der Angeklagte mehrmals „beim Popo auf der nackten Haut hinten ungefähr in die Mitte hineingegriffen und gegrapscht“ habe (ON 28 S 5 ff) und sich einmal, als sie am Rücken gelegen sei, auf sie gelegt und links und rechts gewälzt habe, sodass sie seinen Penis an ihrem „Lulu“ gespürt habe (ON 28 S 8 ff), klar zum Ausdruck, dass die Tatrichter ein mehrfaches Betasten des Gesäßes des Opfers im Analbereich sowie Kopulationsbewegungen des Angeklagten mit intensiven Berührungen der – wenngleich bekleideten – Geschlechtsteile feststellen wollten (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19). Weshalb dies nicht dem Tatbestand des § 207 Abs 1 StGB zu unterstellen sein sollte, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS‑Justiz RS0116565; s dazu Philipp in WK2 StGB § 202 Rz 10, 13).

[12] Im Übrigen strebt die Beschwerde damit eine Reduktion der gar nicht konkret bestimmten Anzahl der Übergriffe an, die am Schuldspruch wegen mehrerer Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB nichts ändern könnte (RIS‑Justiz RS0115706 [T1, T3], RS0117436, RS0119552; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 33).

[13] Die Subsumtionsrüge (Z 10) zu II/2/ erklärt nicht, aus welchen Gründen über das konstatierte (einmalige) Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers (US 5) hinaus weitere Feststellungen zur Dauer der Tathandlung zu treffen gewesen sein sollten (RIS‑Justiz RS0116569; s dazu neuerlich RIS‑Justiz RS0095004 [T7, T17], RS0095114 [T11, T12]; Philipp in WK2 StGB § 201 Rz 25, § 206 Rz 12).

[14] Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) macht nicht klar, weshalb die infolge eines Schlags mit einem Melkgürtel aufgetretene – und mehrere Stunden nach der Tat noch sichtbare – Rötung auf dem Oberschenkel der L* (II/3/; US 5) nicht als vollendete, sondern bloß als versuchte Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB zu qualifizieren sein sollte (RIS-Justiz RS0092574 [T6]).

[15] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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